Wilhelm Raabe
Sankt Thomas
Wilhelm Raabe

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9.

Spanien, schließ dich!

Sie hatten in dem Schlosse Pavaosa keine Zeit mehr, die Leichen nach christlichem Gebrauche in die Erde zu bestatten, und wenn auch die Zeit sich gefunden hätte, so war kein Raum vorhanden: sie besprengten ihre Toten mit Weihwasser, sprachen ein kurzes Gebet über sie und stürzten sie von der Mauer in das Meer, das eine Weile mit ihnen spielte und sie dann an den Strand, den Niederländern zuwarf. Der einzige, welcher im Hofe des Kastells mit aller kriegerischen Feierlichkeit beerdigt wurde, war der alte tapfere Statthalter, Don Franzisko Meneses; – Mynheer van der Does hatte sein Hauptquartier in einem noch unversehrten Hause am äußersten Ende der Ruinen der verbrannten Stadt aufgeschlagen.

Von allen noch das Schloß Pavaosa haltenden Untertanen und Untertaninnen des Königs Philipp III. war die Señora Rosamunda Bracamonte die einzige, welche sich in jeder Beziehung den Umständen gewachsen zeigte. Sie schritt nicht wie eine Verzückte, gleich Doña Camilla Drago, durch den heroischen Jammer; sie ließ sich nicht wie Señor Pedro Tellez maschinenhaft vorschieben, um dann mit Desperation dreinzuschlagen: sie hatte das Reden nicht verlernt und sagte der bösen Welt ihre Meinung, wie sie dieselbe einst dem Oberst Heraugière gesagt hatte. Sie trug ihre Röcke aufgeschürzt, die Ärmel zurückgeschlagen und die Nase sehr hoch – so erwartete sie die Flotte von Coruña, hielt Ordnung unter den Weibern und Kindern der Kolonisten und folgte ihrer Herrin, wohin diese sie führte: auf den Wall dem stürmenden Feind entgegen, zu den Lagerstätten der Verwundeten und Fieberkranken, auf die Mauern am Meer zu den schrecklichen Leichenbegängnissen. –

Don Franzisko Meneses hatte in seinen letzten Augenblicken die Hand seiner Nichte mit eisernem Griff festgehalten:

»Mein armes Kind, mein armes Mädchen!... Ruft Pedro Tellez... er mag das Banner herabziehen... es ist aus mit unserer Herrschaft auf Sankt Thomas!« hatte er gestöhnt, und Doña Camilla Drago hatte, ohne ihre Hand aus dem schmerzhaften Druck der erstarrenden Finger zu befreien, sich zu den Umstehenden gewendet:

»Señores, Señores, o sagt es ihm, daß Pavaosa noch nicht verloren ist, daß Spaniens Wappen noch nicht unter die Füße der Niederländer geworfen wird, daß wir kein ander Geschick haben wollen als Gratiosa und Palma!«

»Es lebe der König!« rief der dichtgedrängte Kreis, aber ein alter Kriegsmann, genannt Juan Lodoiro, beugte sich zu dem Sterbenden herab und sprach:

»Señor Gobernador, wenn's nicht anders sein kann, so steiget ruhig hinunter; kommt die Flotte früh genug, so wird sie uns auf unserm Posten finden, wenn nicht, nun so nehmt's als einen Trost zum Valet, daß sie da draußen die Madorka im Lager haben und daß wir sie, wenn wir Euch nachfolgen müssen, an einer bösen Kette nachschleifen werden. Erinnert Euch, Euer Gnaden, welch ein stattliches Geleit wir Anno achtundsiebenzig dem Prinzen Don Juan d'Austria zu Namur gaben; laßt's Euch einen Trost sein, daß wir in einem noch viel mächtigeren Gedränge treppab marschieren werden.«

Don Franzisko erinnerte sich nicht. Er zog keinen Trost mehr aus den Vorgängen des Jahres achtundsiebenzig. Er starb, und Camilla Drago stürzte von seiner Leiche fort und auf die Mauer des Schlosses:

»Spanien! Spanien! Spanien für immer!«

Das war nicht mehr die Camilla, welche sich in der Hängematte schaukelte, auch nicht die, welche vom Turm Abreojos das niederländische Geschwader auf der Meereshöhe erscheinen sah. Wie der schöne, aber tödliche Genius dieser glühenden Insel erschien sie nun; es war, als habe die verderbliche Macht der tropischen Sonne in ihr einen Körper gefunden; nicht Pedro Tellez, sondern Camilla Drago im Bündnis mit dem Feuer vom Himmel verteidigte das Kastell Pavaosa!

»Jetzt wacht Ihr freilich wieder, Liebchen«, sprach die Señora Bracamonte. »O Jesus Christus, allmählich wird's einem jeden einerlei, was aus einem wird. Die Bösewichte! die Bösewichte! ich bin ein altes Weib und habe ein gutes Herz, aber zuletzt gibt es doch kein größeres Vergnügen, als ihnen einen Topf voll siedenden Wassers auf die Köpfe zu gießen. Es ist ein Wunder, was der Mensch alles vergessen und was er alles ertragen kann, wenn er seine gehörige Beschäftigung hat. Und die Madorka haben sie gottlob auch auf dem Halse, die Ketzer und Rebellen; – ich bin gewiß von sanftem und verträglichem Gemüte, aber ich gönne ihnen das Unheil, und dem feisten Schlingel, dem Herrn Almirante van der Does, gönne ich es vor allen andern; er hat's um uns und unsern Herrn Oheim tausendfach verdient!«


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