Wilhelm Raabe
Sankt Thomas
Wilhelm Raabe

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4.

Ein niederländischer Orlogszug

In der Gruft des Eskorials, neben dem Vater, dem Kaiser Karl, schlief Don Philipp II. den letzten Schlaf. Die schweren Pforten waren hinter ihm zugefallen, der dröhnende Klang war verhallt in den Wölbungen; nichts störte mehr die Ruhe des Königs, nicht einmal der wilde, triumphierende Schrei, der von der Schelde bis zur Ems die Ufer der Nordsee entlang und weit ins Land hinein durch das Volk lief, als ihm die Glocken der noch gefesselten Grenzstädte die große Nachricht verkündeten. Am 2. April des Jahres neunundneunzig bereits schleuderten diese freien Provinzen dem neuen Manne, welcher sich noch immer ihren Herrscher nannte, ihren neuen Absagebrief ins Gesicht. Sie erließen an alle Nationen und Regierungen Europas ein Manifest, in welchem sie ihnen allen Handelsverkehr zu Wasser und zu Lande mit der Krone Spanien, dem Erzherzog Albert und seiner Gemahlin und Mitregentin Clara Isabella Eugenia verboten, und zu Wasser und zu Lande wagte nur der tapfere Christian IV., der König von Dänemark, dieses Schriftstück ad acta zu legen. Es waren wahrlich hochmögende Herren aus den Bettlern geworden seit dem Jahre fünfzehnhundertsechsundsechzig!

Sie hämmerten und klopften auf ihren Werften Tag und Nacht, und der lebende König Philipp III. vernahm den Schall, den sein Vorgänger nicht mehr hören konnte. Sie drehten Seile und gossen Geschütze, sie schmiedeten Anker und Enterhaken, sie erfanden eine neue Steuer und musterten Mannschaft, und am 25. Mai neunundneunzig liefen sie aus der Maas, dem neuen Könige von Spanien persönlich Glück zu seiner Thronbesteigung zu wünschen. Fünfundsiebenzig große Schiffe und achttausend Mann Matrosen und Schiffssoldaten nahmen an diesem Gratulationsbesuche teil; Admiral war in der Tat, wie der Kapitän José Giralto richtig erkundet hatte, Mynheer van der Does, und als Contre-Admirale oder Schouts by Nacht hatte man ihm die Herren Jan Gerbrant und Cornelius Lensen gegeben. Als sie aber am 11. Juni vor Coruña anklopften, fanden sie die Tür verschlossen und die spanische Flotte unter den Geschützen der Festung wohlgeborgen vor Anker. Nach einem hitzigen Angriff und einem heftigen, aber ebenfalls vergeblichen Bombardement hielt man einen Kriegsrat, in welchem man beschloß, vor Lissabon den Versuch nicht zu wiederholen, sondern einen Überfall der Glücklichen Inseln zu wagen. Mit günstigem Winde langte man am 26. Juni auf der Höhe der Großen Kanaria an und warf der Stadt Palma und der Festung Gratiosa so nahe als möglich Anker.

»Jetzt mach deiner Mutter einmal eine rechte Freude und fang ihr einen Affen mit eigener Hand, Georg, mein Junge«, sagte der Admiral zu seinem Neffen, als er an Bord des Oranien den Fuß auf die Schiffstreppe setzte, um die Landungstruppen zu führen.

Die Treppe schwankte und knarrte unter dem Gewicht des riesenhaften Mannes, aber sie trug ihn. Mit einem lauten Jubelruf sprang ihm Georg van der Does nach in die Schaluppe, und mit ebenso wildem Geschrei folgten die Matrosen und Soldaten. Von allen Schiffen aus setzten sich die Boote, unter dem Donner der Kanonen, gegen den Strand in Bewegung; aber auch die Große Kanaria eröffnete ihr Feuer gegen den nahenden Feind. Die Seichtigkeit des Wassers hinderte bald das weitere Vordringen, die Schaluppen gerieten auf den Sand, und es fiel manch guter niederländischer Mann unter einer spanischen Kugel.

»Zeigt ihnen, daß die Frösche von Seeland und die friesischen Wasserratten ihre Kunst noch nicht verlernt haben!« schrie der Admiral. »Heraus aus den Waschbutten; was nicht schwimmt, muß krabbeln! Ein Vivat für die Herren Generalstaaten!«

Er sprang auch hier zuerst vom Bord und watete keuchend und schnaufend gegen das Ufer; eine Kugel streifte seine Schulter, aber er schüttelte sich nur und sagte: »Pfui Teufel!« Zuerst gelangten auf festen Boden Georg van der Does und Heinrich Leflerus, der Prädikant von Ysselmünde und Almosenierer der Flotte, der erste mit dem Schiffsmesser in der Faust, der andere mit der Bibel unter dem Arme. »Alle duivels!« sagte der eine; – »O Herr, gib deinem Volke den Sieg!« rief der andere.

Und sie »krabbelten« ihnen nach und kamen ebenfalls zu Lande, Admiral und Schout by Nacht, Kapitäne, Steuermänner, seebefahrene Matrosen, Aufläufer und Jungen, Hellebardiere und Büchsenschützen aus Nord- und Süd-Holland, aus Friesland und Gelderland, aus Utrecht, Groningen und Seeland. Sie trieben mit großer Macht das Inselvolk vor sich her und jagten es hinter seine Wälle. Sie nahmen das Kastell Gratiosa im ersten Anlauf mit Sturm und waren am Abend mit ihrem Tagewerk recht zufrieden. Als am dritten Morgen nach der Landung Mynheer van der Does den Fuß bereits auf die Sturmleiter gesetzt hatte, besann sich auch die Stadt Palma eines Bessern, schickte einen Trompeter und Parlamentär auf den Wall und öffnete nach kurzer Verhandlung ihre Tore. Die einziehenden Niederländer fanden freilich die Gassen ziemlich menschenleer, denn der größte Teil der Bevölkerung hatte sich mit Kind und Kegel in die Berge geflüchtet; aber man machte dessenungeachtet eine gute Beute und hatte zudem das Vergnügen, auf den Bauhöfen, den Werften, in den Gefängnissen einer großen Zahl Landesgenossen die Ketten abzunehmen. Mynheer van der Does verstand's, einen guten Kehraus zu machen; selbst die Glocken der Kirchen und Klöster erschienen ihm des Mitnehmens wert, und er machte sich kein Gewissen daraus, sie auf seine Schiffe bringen zu lassen. Am ersten Julius hielt Henricus Leflerus vor versammeltem Heer sehr gerührt die Dankpredigt für alles genossene und gefundene Gute, worauf man, um das Werk zu krönen, die Stadt Palma an allen vier Ecken in Brand steckte und sämtliche Kastelle unter ungeheuerem Jubel in die Luft sprengte. Nachher segelte man heiter und mit dem leichtesten Gewissen gen Gomera, allwo der »opperkerkvoogd« und Prädikant von Ysselmünde, Mynheer Henricus Leflerus, Gelegenheit fand, seine Predigt zu wiederholen, und wo die Säcke so voll wurden, daß der Admiral den Schout by Nacht Jan Gerbrant mit fünfunddreißig schwerbeladenen Schiffen nach dem Texel zurückschicken mußte, um den Plunder in Sicherheit zu bringen. Der Kapitän José Giralto sah vom Stern seiner Brigantine auf der Meereshöhe den Rauch der angezündeten Kolonien und die Trennung der niederländischen Flotte; er sah aber auch den Oranien mit der gelben Admiralsflagge wiederum das Bugspriet gegen Südwest drehen und verlor, wie wir bereits wissen, die niederländische Armada bis auf die Höhe von Sankt Thomas kaum aus dem Gesicht, hatte auch, wie wir ebenfalls bereits wissen, mehrfach Gelegenheit, Kugeln mit ihr zu wechseln.

Der Prädikant von Ysselmünde, Herr Heinrich Leflerus, ging nicht mit dem Schout by Nacht nach Holland zurück. Außerdem, daß er so schöne Dank- und Siegespredigten halten konnte, hielt er auch ein Tagebuch und verzeichnete darin mancherlei, was der Admiral nicht wert hielt, es seinem Log einzuverleiben.

»Die sollen dem Herrn danken um seine Güte und um die Wunder, so er an den Menschenkindern tut, die mit Schiffen auf dem Meere fuhren und trieben ihren Handel in großen Wassern!« sprach er mit dem Psalmisten und passierte mit Erstaunen und Kopfschütteln das »Dunkelmeer«, das Staubgewölk, in welches der Wind der Sahara die See um die Inseln des grünen Vorgebirges hüllen kann. Sehr in Verwunderung setzten auch die fliegenden Fische den ehrwürdigen Herrn, und recht kurioser Art waren die Bemerkungen, welche er über sie zu Papiere brachte. Mynheer van der Does ließ ihm zu seinem besondern Vergnügen einen Haifisch fangen und gab ihm somit Anlaß, das gefräßige Ungeheuer zum passenden Texte seiner nächsten Sonntagsrede zu machen und allerlei fromme Betrachtungen über den Antichrist, den nichts ahnenden Papst Innocenz IX., den guten Sultan Murad III. und den König Don Philipp III. daran zu knüpfen. Er versuchte es, den Neffen des Admirals zu einem aufmerksamen Teilnehmer an seinen nautischen, geographischen, naturhistorischen, philosophischen und theologischen Observationen und Studien zu machen, aber Georg van der Does täuschte die Erwartungen des trefflichen Mannes in betreff seiner Willigkeit und Teilnahme auf das schändlichste. Georg van der Does hatte ein bedeutend größeres Interesse an der immerfort den niederländischen Enterhaken und Kartaunenkugeln entwischenden Brigantine des Kapitäns José Giralto als an den tiefsinnigsten Hypothesen und scharfsinnigsten Auseinandersetzungen des Prädikanten von Ysselmünde, Henricus Leflerus. Überdies wußte Georg van der Does aus dem Munde der Gefangenen von der Großen Kanaria und Gomera, wer Gouverneur auf Sankt Thomas, dem jetzigen Ziel des Seezuges, sei, und dachte häufiger, als man von ihm hätte erwarten sollen, an die Möglichkeit, eine alte Bekanntschaft wieder anzuknüpfen. –

Man fuhr an den Inseln am Kap Verde vorüber, ohne anzulegen und das Spiel von den Kanarien zu wiederholen; es galt jetzt, mit möglichstes Schnelligkeit die Küsten von Brasilien zu erreichen, auf der Guineainsel wollte man nur frisches Wasser einnehmen, und weder Admiral noch Contre-Admiral hatten eine Ahnung von dem, was das Schicksal anders beschlossen haben könne.

»Land, Land! Land ahoi!«

Einen Augenblick später versank das ferne blaue Wölkchen, das Gebirge von Sankt Thomas, in die tropische Nacht.


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