Wilhelm Raabe
Sankt Thomas
Wilhelm Raabe

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5.

Die Landung

Mit der wieder aufgehenden Sonne kamen sie heran in einem weiten, mächtigen Halbkreise: zur Linken der Admiral, zur Rechten Mynheer Cornelius Lensen von Vlissingen, in der Mitte Mynheer Gerhard Storms van Wena. Die atlantische Woge schien sich jauchzend vor dem Bug ihrer Orlogsschiffe zu teilen, mit tausendstimmigem Jubelruf begrüßte die Flotte das aus den Wassern aufsteigende Schloß Pavaosa, welches durch einen Kanonenschuß der Stadt und den schwachen Befestigungen des Ufers das Zeichen gab, sich zur Abwehr bereit zu halten.

Auf dem Turm Abreojos unter dem im veratmenden Morgenwinde leise sich regenden Banner von Spanien stand Doña Camilla Drago. Sie sah den Oranien sich in die gefährliche weiße Rauchwolke hüllen, der dumpfe Knall dröhnte nach, ein Zischen und Pfeifen ging an ihr vorüber, dann schien sich der Boden unter ihren Füßen zu bewegen: mit allem Geschütz der Seeseite antworteten das Schloß und die Stadt Pavaosa auf den niederländischen Gruß.

Ächzend hielt sich unten im Gemache die Señora Bracamonte die Ohren zu, die spanischen Dienerinnen lagen mit hellem Wehklagen vor dem Bilde der heiligen Jungfrau, und die schwarzen Weiber lagen auf der Erde und stießen unartikulierte Töne des Grauens aus. Doña Camilla Drago umfaßte die Fahnenstange auf dem Turme Abreojos. Wenn der Qualm und Rauch unter ihr hie und da sich zerteilte, sah sie das Meer mit den feindlichen Schaluppen bedeckt; immer wilder ward das Geschrei und Rufen am Strande, das Knattern der Büchsen fing an, sich mit dem Donner der Kanonen zu mischen; die Sonne des Äquators erhitzte von neuem die Steinplatten und die Brüstung des Turmes, aber Camilla hatte in diesen Augenblicken nicht das Bewußtsein von ihr wie die das Ufer gewinnenden Männer aus dem Norden. –

»Herrgott von Brügge, da geht einem der Schweiß herunter!« rief der Admiral der hochmögenden Generalstaaten, seine Riesengestalt in den Sand werfend. »Vorwärts, wer noch nach Luft schnappen kann! Jage die Dons, wer mag; ich bin fertig für diesen Morgen!«

»Ein Vivat für den Herrn Oheim! Voran! voran!« schrie Georg van der Does, über den atemlosen Verwandten wegspringend und mit den keuchenden niederländischen Haufen vorwärts eilend.

»Nehmt das Ding in die Hand und gewinnt ihm das Beste ab, Mynheer van Wena!« rief der Admiral dem eben am Strande anlangenden Befehlshaber zu. »Ehrwürdiger Herr Henricus, nehmt Euch Zeit, kommt her und verschnauft ein wenig; wir haben nicht so große Eile um das Kinderspiel.«

Der Prädikant von Ysselmünde nahm den breiträndigen Hut ab und trocknete die schweißtriefende Stirn.

»Mynheer van der Does«, sagte er, »das ist ein heißes Land. Wie lange gedenket Ihr Euch allhier zu verweilen?«

»Nun«, lachte der Admiral, »den Strand haben wir, und Cornelius Lensen scheint von der See aus gute Arbeit gegen Schloß und Stadt zu machen; er geht wacker mit seinen Breitseiten dran und wird die hispanischen Mauern hoffentlich bald zu Boden legen. Ich verhoffe, daß wir nicht nötig haben, uns zu Mohren versengen zu lassen.«

»Das ist mir recht lieb«, seufzte der Prediger. »Es ist in der Tat eine merkwürdige Sonne.«

Immer neue Scharen sprangen aus den Booten und eilten in ziemlich ungeordneter Hast gegen die Stadt, aber das Krachen der Büchsen verstummte allmählich, die Verschanzungen am Ufer waren von den Niederländern genommen, mit Toten und Verwundeten war der Boden zwischen dem Meer und den Mauern der Stadt überstreut; Niederländer, Spanier, Neger und Mulatten durcheinander; ein Bote kam vom Schiffshauptmann Gerhard Storms, um den Admiral zu fragen, ob's nicht anständig und vielleicht bequemlicher sei, den Gouverneur der Insel zur Übergabe aufzufordern.

»Es wird zwar vergeblich sein, Mynheer Pieter Klundert«, sagte der Admiral zu dem Fähnrich, welcher ihm die Frage überbrachte, – »ich kenne den Alten drin vom Hörensagen; aber – meinetwegen; es gibt unsern Leuten Zeit, die Hitze zu verblasen und sich nach den Gelegenheiten des Ortes umzusehen. Lasset dem Señor das Stücklein vorpfeifen, Mynheer; ich folge Euch auf dem Fuße.«

Eine Viertelstunde später unterhielten sich der niederländische Befehlshaber und Don Franzisko Meneses an der Stadtmauer auf das freundschaftlichste.

»Ich lasse Euch keinen Stein auf dem andern, wenn ich hineinkomme, Señor«, sprach der Admiral mit dem Hute in der Hand.

»Wir haben von Euerm Verhalten auf den Kanarien in betreff dieses vernommen«, erwiderte der Gouverneur mit ausgesuchtester Höflichkeit. »Wir wollen aber unser Bestes tun, Euch draußen zu halten, so lange als möglich, Señor.«

»Ich zweifle nicht an Euerer Tapferkeit und Euern Hülfsmitteln, Señor; aber ich will Euch doch noch einmal fragen, ob das Euer letztes Wort ist?«

»Der König erlaubt kein anderes.«

»So wünsche ich Euch eine recht gesegnete Mahlzeit und eine angenehme Siesta, Don Franzisko. Ich werde mich mit Euerer Erlaubnis vor Euern Wällen einrichten und hoffe Euch baldigst wiederzusehen.«

»Lebet wohl, Señor Almirante, und nehmet meine Entschuldigung an, wenn ich Euch nicht zur Mahlzeit einlade.«

Mit zwei tiefen Verbeugungen, nach Art der Señora Bracamonte und des Kapitäns Giralto, schieden die beiden Führer voneinander. Mynheer van der Does zog sich langsam zu den Seinigen am glühenden Meeresufer zurück, und ebenso langsam umschritt Don Franzisko Meneses seine Wälle, um hier ein ermunterndes Wort zu sprechen, dort einen Befehl zu geben und überall den Mut und die Hoffnung der Truppen und der Kolonisten durch sein Erscheinen zu beleben. Das Feuer der feindlichen Flotte hatte natürlich während der Unterhandlung geschwiegen; die Sonne trat in den Zenit, regungslos lagen die gewaltigen Schiffe im Halbmond auf der Reede; aber auch die ausgeschifften Mannschaften lagen regungslos, wo sie nur den notdürftigsten Schatten fanden. Sie hatten die Brustharnische, die Sturmhauben, die Woll- und Teerjacken abgeworfen; die Schwert- und Messerklingen, die Büchsenläufe, welche der Sonne ausgesetzt wurden, brannten in der Hand, als ob sie eben aus der Esse des Schwertfegers kämen. Die Siesta, welche der Gouverneur von Sankt Thomas nicht hielt, hielt der Admiral der niederländischen Orlogsflotte. Er lag unter einem zwischen den Bäumen ausgespannten Tuch auf dem Bauche und streckte seine Gigantenglieder so weit als möglich von sich; Heinrich Leflerus träumte unter einem andern Zeltdach von seinem kühlen Predigerhaus zu Ysselmünde; Georg van der Does aber saß wach und lebendig unter einer Palme neben dem am weitesten gegen das Schloß Pavaosa vorgeschobenen Posten und zeichnete auch hier Figuren in den Sand wie einst auf der Düne am Strande bei Scheveningen; daß auch er dann und wann ein Gähnen nicht unterdrückte, konnte ihm nicht zum Vorwurf gemacht werden. –

Um vier Uhr nachmittags unterfing sich Don Franzisko eines Ausfalls auf die seine Widerstandskraft allzu leichtsinnig verachtenden Niederländer. Er warf mehrere noch immer schlaftrunkene Vorwachten über den Haufen und richtete nicht geringen Schaden an, bis er von überlegener Macht zurückgetrieben wurde. Die der Stadt und dem Kastell zunächst gelegenen Pflanzungen gingen, teils von den Eigentümern selbst, teils von plündernden Streifpartien des Feindes angezündet, in Flammen auf. Von der Flotte schaffte man am Spätnachmittag Geschütz zu Lande; mit seinen Offizieren umschritt Mynheer van der Does die Stadt, um die zum Angriff geeigneten Stellen auszukundschaften; der einzige wirkliche Gewinn aber, den er außer der Besitznehmung des Strandes von diesem Tage zog, lag in den Unterhandlungen, welche er mit den aus den Bergen herabgestiegenen freien schwarzen Häuptlingen, den Todfeinden der Spanier, anknüpfte. Sie konnten ihm Volk stellen, das der Sonne besser gewachsen war als seine eigenen Leute, und mit sehr ernster Miene sah Don Franzisko Meneses, von seinen Mauern aus, diese dunkeln Gestalten unter den Haufen seiner Angreifer erscheinen. Er wußte besser als irgendein anderer, daß ihm solches nichts Gutes bedeute; er preßte die Lippen zusammen und blickte scheu über seine Schulter nach den Palmen- und Tamarindenwipfeln seines Gartens; seine Hand spielte einen Augenblick mit einem leisen Zittern am Griffe seines Dolches; dann aber hob er den Hut von der sorgen- und angstvollen Stirn und sprach:

»Der Wille Gottes wird immerdar geschehen; aber ich wollte doch, sie säße zu Madrid im Kloster und stickte Meßgewänder oder malte heilige Agnesen auf Pergamentblätter.«


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