Wilhelm Raabe
Sankt Thomas
Wilhelm Raabe

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7.

Eine neue Rede des Herrn Heinrich Leflerus, Prädikanten von Ysselmünde

Mynheer van der Does, der Admiral der hochmögenden Generalstaaten, hatte einen schweren Schritt. Wo er den Fuß mit Nachdruck niedersetzte, da sah man lange den Abdruck; – eine tiefe Spur hinterließ er im Sande des Ufers von Sankt Thomas, als er aus der Schaluppe sprang. Es hatte sich seit dem Augenblicke die Umgebung der Stadt Pavaosa auf das schrecklichste verändert. Die Axt, der Spaten, das Feuer und das Geschütz hatten umgestürzt und aufgewühlt, versengt und zerschmettert; verkohlte Baumstümpfe und Balken, Aschenhaufen und frische oder vertrocknete Blutlachen bedeckten den Boden nach allen Richtungen, und je näher den Stadtmauern, desto ärger erschien die Verwüstung. Gezelt aller Art war außerhalb der Schußweite der spanischen Kanonen in einer ziemlich hastigen, liederlichen Art aufgeschlagen; allem, was von seiten der Belagerer ausgeführt war, sah man in unzweifelhaftester Weise den Grimm der Äquatorsonne an, unter deren Scheine die Arbeit geschah. Sämtliche eisernen und stählernen Schutzwaffen: Harnische, Helme, Sturmhauben, Eisenhandschuhe lagen in Haufen aufgetürmt vor den Zeltreihen oder hingen an den Pfosten und Bäumen: das niederländische Heer focht halbnackt, wie seine schwarzen Hülfsgenossen aus den Bergen, und so kam es auch heute aus den Gräben und von den Wällen von Pavaosa zurück.

Es kam zurück, wieder ohne das Banner Don Philipps III. mit sich zu tragen, es kam zurück in wild phantastischen, erschrecklichen Wogen, und Henricus Leflerus der Prädikant wandte sich entsetzt und schaudernd ob des Anblickes ab. Zwischen den Marschreihen der Niederländer tanzten und sprangen die Guineaneger, ihre wunderlichen Waffen schwingend oder sie mit ohrzerreißendem Geheul in die Luft schleudernd und wieder fangend; – taumelnd und keuchend, mit stieren, meinungslosen oder unheimlich fieberisch glänzenden Augen schleppten sich die Weißen vorwärts, und in jedem Augenblick stürzte einer aus ihren Reihen zu Boden, unfähig, den kurzen Weg zu den Zelten der glühenden Atmosphäre abzugewinnen. Sie hatten ihre Verwundeten und Toten zurückgelassen, wo sie gefallen waren, oder sie der Barmherzigkeit und Fürsorge der wilden Bundesgenossen anvertrauen müssen; sie hörten weder auf die Trompete noch das Befehlwort der Führer; und ohne den zwischen sie und die Stadt sich werfenden frischeren Rückhalt würde Don Franzisko Meneses kaum nötig gehabt haben, so sehr sich nach der Flotte von Coruña zu sehnen.

Auch die Befehlshaber hatten allen schwerem kriegerischen Schmuck von sich geworfen; sie trugen die Schärpen über der bloßen Brust; selbst die Wehrgehänge und die Degenscheiden hatten sie zurückgelassen, und jetzt stießen sie die nackten Schwerter in den Boden und hielten Kriegsrat im Schatten einer Tamarinde, auf einem Hügel, der zu diesen Beratungen ausgewählt worden war.

Auf die Schulter seines Neffen gestützt, stand der Admiral in der Mitte seiner Offiziere, leider ein ganz anderer Mann als bei seinem stolzen Auslaufen aus der Maas, ein ganz anderer Mann seit jenem ersten Eroberersprung auf den Strand von Sankt Thomas. Seine Riesengestalt war vielleicht am wenigsten geeignet, die tropische Sonne zu ertragen; er hatte viel Fleisch verloren, er schnappte nach Luft wie ein Schwertfisch auf der Düne nach Wasser, sein Blick war wie der seiner Krieger bald starr und wie schlaftrunken, bald übernatürlich aufgeregt und in die Irre schweifend. Jetzt sah er hinter sich, zurück nach der Stadt, und streckte die geballte Faust nach ihr aus.

»Zurück, zurück, zum siebentenmal zurück! Hölle und Teufel, hätte ich nicht selber die Peitsche gefühlt, ich würde es nicht glauben!« rief er. »Ihr Herren, ihr Herren, was ist das? sind wir behext? sind wir verzaubert? Welches alte Weib hat uns die Nestel geknüpft, daß wir uns so schmählich vergeblich die Köpfe an diesen Lehmwällen und Pfahlwerken zerstoßen? Siebenmal! siebenmal! Mynheer Storms van Wena, Ihr waret ja fast oben; was hat Euch so eilig wieder zu Boden gebracht?«

Mynheer Storms zuckte verdrossen die Achseln und sagte:

»Fragt einen andern darnach, Herr Admiral; übrigens glaube ich mit Euch, daß es uns angetan ist. Sie werden daheim ein schönes Lied auf uns machen, und sie haben das Recht dazu.«

»Wahr! wahr!« ging es, begleitet von einem dumpfen Geknurr, durch den Kreis tiefgekränkter Bullenbeißer, und sämtliche Hauptleute zu Land und zur See machten wie ihr Admiral eine Seitenbewegung, um einen bösen Blick auf die arme Stadt Pavaosa zu werfen.

»Ohne die Sonne hätten wir sie längst!« rief ein schwitzender Friese aus Hollum. »Gebt mir einen Amelandschen Dezembermorgen, und wir haben sie zum Mittagsbrod.«

»Ich danke Euch ganz gehorsamst für das Wort, Mynheer van Wendenkeerk«, sagte der Admiral mürrisch. »Vielleicht bemüht Ihr Euch aber wohl selber auf die Flotte, um bei Cornelius Lensen nachzufragen, ob er nicht zufälligerweise ein überzählig Schneegestöber im Raum verpackt habe. Wie viele Leute haben wir diesmal vor dem Nest gelassen?«

Jeder Führer überschlug seine Rotte, und man summierte.

»Das ist wieder eine schöne Rechnung!« seufzte Mynheer van der Does. »Nehmt das Fieber, den Palmwein und die vermaledeiten indianischen Weibsbilder dazu, und ihr werdet erfahren, daß in vierzehn Tagen das Faß ausgelaufen ist bis auf die Hefen. Die Herren im Haag und zu Amsterdam werden dem, welcher das Fazit heimbringt, ein sträfliches Gesicht schneiden.«

»Wahrlich, wahrlich«, mischte sich jetzt Heinrich Leflerus, der Prädikant von Ysselmünde, in den Rat. »Wahrlich, ihr Herren, gebt der Wahrheit die Ehre und bekennet und nehmet auf euch ein jeglicher sein Teil an der Schuld des Elends, auf daß der Herr seinen Zorn von euch wende. Wahrlich, der Herr hat euch Sieg und Ruhm und große Beute in die Hände gegeben auf den Kanarieninseln, aber der Übermut ist in euerer Brust aufgesprungen wie ein Geharnischter. ›Wer kann uns widerstehen?‹ habt ihr gejauchzet und seid von den Schiffen gestürzet wie zur Hochzeit. Nun sehet euch um, ob Christenmenschen und Kinder und Krieger des reinen Glaubens also vor dem Stuhl des Höchsten wandeln? Auf den Gräbern euerer Brüder und Landsleute tanzet ihr viehisch mit den schwarzen, üppigen Heidinnen, als ob keine niederländische Mutter euch gesäuget habe, kein fromm Eheweib, Jungfräulein oder Schwesterlein daheim in Tränen und Herzensbangen auf euch harre. Ich wandele durch die Gezelte, während ihr mit Speer und Bogen vor den Mauern Edom bedränget, und meine Seele erbebet in großem Grauen; denn es ist wie im Lager des Königs Sanherib von Assyrien, von dem geschrieben stehet: ›Und da sie sich des Morgens frühe aufmachten, siehe, da lag alles eitel tote Leichname!‹ – Ich wandele durch die Gezelte, und meine Gebeine erzittern – meine Brüder sterben, sie winden sich im Krampf und verscheiden mit Flüchen; sie haben Schaum vor dem Munde und sterben nach der Blasphemisten Art. Sehet um euch, sehet, welch ein Gewölk über euern Hütten! Der Engel, der über Sanherib blies, ist in dem Gewölk; ihr sehet ihn nicht, denn der Herr Gott hat euere Augen mit Blindheit geschlagen und euch in den Schwindel gestürzet; aber ich sehe ihn und ich rede zu euch: ihr habet den Boden, so ihr betretet, beflecket mit euerer Schande, euer Glück ist von euch gewichen, euere Paniere wenden sich rückwärts. Fallet nieder auf die Stirnen und streuet Asche auf die Häupter, tut Buße im Staube. Die Sonne Gottes hat euch verwirret; sehet, sie neiget sich wieder zum Untergange, in einem Stündlein wird es Nacht sein, der Herr will euern Sieg nicht; so gehet, gehet, gehet, windet auf die Anker und zerhauet die Seile, wendet euch, wendet euch vor dem Willen des Herrn, oder man wird sagen morgen in der Frühe: ›Siehe, alles eitel tote Leichname!‹«

Mit heftigem Geschrei unterbrachen die niederländischen Anführer und das Kriegsvolk, welches sich allmählich herzugedrängt hatte, den Unheilsprediger. Mit geballten Händen gingen der Admiral und Gerhard Storms auf ihn los; ein berauschter Matrose führte einen Stockschlag nach ihm. Hätten sich nicht Georg van der Does und der ehrliche Friese dazwischengeworfen, so würde höchstwahrscheinlich Herr Henricus nicht länger durch das Lager gewandelt sein.

»Stopft ihm den Mund« schrie man. »Die Insel aufgeben; Niemals! niemals! Werft den Unglücksvogel in eine Schaluppe und schickt ihn an Bord; sein Heulen und Krächzen und Psalmensingen hat uns schon zu lange das Lager verstört und den Spaß vertrieben.«

»Fort mit ihm«, rief der Admiral. »Wenn wir Viktoria schießen, mag er wieder hervorkriechen. Was meint ihr, ihr Herren, sollen wir es, grad jetzt dem Pfaffen zum Trotz, um Mitternacht noch einmal versuchen? sollen wir den Dons noch einmal das holländische Gebiß zeigen? Es ist ein alt Wort, daß man keinem Jäger beim Ausmarsch gut Glück wünschen soll, und ich vermein, Mynheer Leflerus hat das nicht getan, und wir könnten dessentwegen mit desto größerm Vertrauen die Fortuna versuchen. Wer geht um Mitternacht mit gen Pavaosa?«

Die Todkranken richteten sich ob des wahnwitzigen Geschreies, welches dieser Rede folgte, von ihrem Lager auf und dachten, die Stadt sei über, und riefen ihr Vivat mit schwacher Stimme mit. Wieder sank die Dunkelheit herab, und Georg van der Does brachte den gebeugten Prediger aus dem tobenden Heer in Sicherheit.


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