Wilhelm Raabe
Sankt Thomas
Wilhelm Raabe

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2.

Doña Camilla Drago

Im feuchtesten, frischesten Grün dehnte sich die weite flandrische Ebene, und der Regenbogen stand wie eine Brücke auf dem Lande; die Reiter und Rosse schüttelten die blitzenden Tropfen von sich, und die schweren friesischen Gäule vor der schwerfälligen, gewaltigen Kutsche, die von der streifenden Schar des Prinzen Moritz soeben angehalten worden war, trieften und schnoben wie eben dem Meer entstiegene Rosse Neptuns. In der Ferne hinter den grünen Hecken, die Wassergräben entlang, wurden noch Pistolenschüsse zwischen der fliehenden Bedeckung der spanischen Kutsche und den verfolgenden Reitern der Provinzen gewechselt; in dem Wagen selbst war aber die Stille des Grabes auf ein helles weibliches Jammer- und Hülfegeschrei gefolgt, und der zerzauste, pulvergeschwärzte Raufbold, welcher den Fang gemacht hatte und jetzt vorsichtig den Schlag öffnete, wußte durchaus nicht, was er mit diesem Haufen ohnmächtiger Frauenzimmer anzufangen habe. Weder er noch einer seiner lustigen Reiter führte ein Riechfläschchen in der Tasche oder im Sattelsack mit sich.

Mit einer sehr unhöflichen Redensart schob er den Hut vom rechten auf das linke Ohr und griff in das verwilderte Haar; aber er war doch kein übler Bursche; denn als die Genossen mit roheren Fäusten zugreifen wollten, um ihre Beute genauer zu untersuchen, tat er mit einem rauhen, aber ehrlichen »Halt da!« Einspruch. Und als sich aus den krampfhaft umschlingenden Armen der Dueña und der beiden Kammerzofen ein Jungfräulein, fast noch ein Kind, loswand und heftig in hispanischer Zunge auf ihn einredete, brummte er zwar ziemlich grob, daß er das Kauderwelsch nicht verstehe, aber er schlug doch zum zweitenmal die gieriger andringenden Hände seiner Reiter zurück und den Kutschenschlag zu, kletterte ächzend wieder auf den Gaul und kommandierte: »Marsch – zum Hauptquartier!«

Dieses »Hauptquartier« bedeutete den berühmten niederländischen Oberst Heraugière, den Eroberer von Breda, welcher sich von der ebenfalls eroberten, aber wieder aufgegebenen Stadt Huy an der Maas vor dem spanischen Feldzeugmeister La Motte zurückzog und augenblicklich in einer verwüsteten und geplünderten Mühle mit seinen Hauptleuten Kriegsrat hielt; und er sowohl wie mehrere seiner Offiziere verstanden nicht nur Spanisch, sondern auch Französisch. Aber alle, obwohl sie gewiß ebenso tapfere, abgehärtete Männer wie Signor Petruchio aus Verona waren und ebensooft wie er das Meer gleich wilden, schweißbedeckten Ebern wüten gesehen, ebensooft wie er in großer Feldschlacht Trompetenklang, Roßwiehern, Kriegsgeschrei gehört hatten, dachten nicht wie er von der Weiberzunge,

die halb nicht gibt so harten Schlag dem Ohr
als die Kastanie auf des Landmanns Herd;

sondern sie »entsetzten« sich sehr vor der Señora Rosamunda Bracamonte y Mugadas Criades, welche jetzt allmählich aus ihrer Ohnmacht erwacht war und sich mit außerordentlicher Zungenfertigkeit über ihre Gefangenschaft unter den Heiden beklagte. Sämtliche niederländische Herren zogen die Schultern zusammen und hielten die Hände vor die Ohren, und Heraugière fing an, seine Zähne sehen zu lassen, was immer ein böses Zeichen war, als das ebenfalls gefangene kleine Fräulein sich ins Mittel legte und ruhig und gefaßt im Kreise der grimmigen Geusenritter das Wort ergriff. Nachdem die heulende Dueña von einem Gefreiten aus des Müllers Stube abgeführt worden war, erfuhr man von dem Kinde, es sei die Tochter des hispanischen Obristen Don Alonzo Drago, habe bis jetzt in einem Nonnenkloster zu Lüttich gelebt und habe sich soeben auf dem Wege nach Brügge befunden, wo ihr Vater für den Grafen von Fuentes ein Regiment deutscher Hülfsvölker einübe.

»Da tut es mir recht leid, Doña Camilla, daß Euch das Schicksal meiner Streifschar in den Weg geführt hat«, sprach Heraugière höflicher, als es sonst seine Art war. »Unser Weg geht auf Herzogenbusch, und dorthin werden wir Euch samt Euern Damen mit uns führen müssen. Es ist nicht häufig, daß uns der Himmel eine so hübsche Geisel zum Geschenk macht; doch seid unbesorgt, ich werde schon neben Euerer Kutsche reiten, und im Fall uns der Herr von La Motte fürderhin unbelästigt läßt, sollt Ihr keine weitern Unbequemlichkeiten als die des rauhen Himmels und einiger Nachtmärsche zu befahren haben. Vorwärts, meine Herren, frisch zu Pferde, auf daß wir den Lüttichern und ihrem frommen Bischof aus dem Blutbann kommen!«

Und Heraugière war so gut wie sein Wort. Er hielt auch diesmal Ordnung unter seinen Leuten, wie damals im Raume jenes weltberühmten Torfschiffes, durch welches er Herrn Paul Antonio Lansavechia und dessen Italiener in Breda so sehr in Verwunderung setzte. Der Señora Rosamunda Bracamonte y Mugadas Criades geschah nicht das mindeste Leid. Nicht einer der niederländischen Reiter war durch den Krieg so abgehärtet worden, daß er es gewagt hätte, sich an den Reizen und der Tugend der guten Dame zu vergreifen, und die beiden jüngeren Kammerfrauen führten kein Reisejournal. Es war ein kühler Mai im Jahre 1595, aber die Träumerin in der Hängematte auf Sankt Thomas gedachte ihres unfreiwilligen Zuges durch das Bistum Lüttich und die Grafschaft Brabant, wie der Verschmachtende in der Wüste sich eines kühlen Quelles erinnert. –

Im Herzogenbusch endete für dieses Mal der Zug des tapfern Heraugière; er nahm höflich Abschied von der Tochter des Obersten Drago, der viel zu eifrig im Dienste des Grafen von Fuentes war, als daß man ihm sein Kind gegen die gewöhnliche Lösung zurückgeben durfte. Im Haag, an einem der langsam fließenden Kanäle, lag das Haus Mynheers van der Does, und ihm oder vielmehr seiner Gattin war die junge spanische Geisel vom Prinzen Moritz zur Pflege und Beaufsichtigung übergeben worden. Da schwimmen im Sommer die Enten auf den Kanälen, da hüpfen im Winter die Krähen auf dem Eise, da gehen auf den Wiesen die Störche spazieren zur Zeit der Frösche, und auf den Wiesen von Süd-Holland führte Mefrouw van der Does die Niña an der Hand und machte ihr die Gefangenschaft so leicht als möglich und hielt sie mütterlich wie ihr eigenes Kind. Mefrouw hatte ein eigenes Kind, aber das ließ sich nicht mehr an der Hand leiten wie das spanische »meisje«. Georg van der Does, der wilde Knabe, kam nur heim, wenn sein Schiff auf der Reede von Vlissingen oder Scheveningen kalfatert wurde oder irgendwo im Eise festlag. Die niederländische Jugend hatte nicht Zeit, stillzusitzen und Sitte und Anstand zu lernen, und der Leichtmatrose Georg war nicht besser als seine Genossen. Im Winter fünfundneunzig kam er aber auf Urlaub, saß neben dem väterlichen Kamin und gab seine hundert grausigen Historien vom Kampf Bord an Bord, vom Entern und Versenken des Feindes, vom Hängen der Piraten zum besten und war dem spanischen, hübschen Gaste gegenüber sehr blöde. Im Sommer sechsundneunzig kam er mit einem zerschlagenen Kopfe und wandelte, nachdem ihn die Señora Rosamunda Bracamonte einige Male am Ohr genommen, tüchtig zurechtgeschüttelt und zur Ordnung und Ruhe verwiesen hatte, recht sittsam, aber etwas weinerlich an ihrem Arm auf den grünen Wiesen zwischen den Störchen, den weißen und gelben Blumen. Unmutig und verdrossen horchte er den Erzählungen seiner Mutter von der Statthalterin Margareta, von der guten alten Zeit vor der Ankunft des Herzogs von Alba, von Wilhelm von Oranien, den Grafen Egmont und Hoorn und dem armen Prinzen Don Juan d'Austria; das spanische Fräulein war ihm schon der Dueña, Frau Rosamund, wegen ärgerlich – Doña Camilla Drago in ihrer Hängematte unter dem Äquator lächelt, als sie seiner gedenkt. – – – – – – – – – – – – – – – –

Zwei bunte Vögel kamen durch die dunkelblaue Luft und jagten einander im Spiel um die beiden Palmen im Garten des Schlosses Pavaosa. Doña Camilla sah durch halbgeschlossene Augenlider ihr prächtiges tropisches Gefieder in der Sonne schillern; die scharfen Stimmen verwundeten ihr Ohr. Sie flatterten schwatzend um die hohen Gipfel, sie kletterten an den Stämmen, und plötzlich schossen sie wieder von dannen, dem Guineameer zu, welches hier und dort durch das Gebüsch leuchtete. Doña Camilla Drago sah sie verschwinden und legte die Hand auf die vor allem Glanz und Farbenspiel schmerzenden Augen: sie dachte an den 24. Januar 1597 – an die Schlacht bei Turnhout, an das Grab ihres Vaters im tiefen Schnee des Nordens.

Unter dem Oberbefehl des Grafen von Varax zogen die Truppen des Erzherzogs Albert von Österreich aus den brabantischen Winterquartieren aus: Neapolitaner des Regiments Trevigo, Deutsche des Regiments Sulz, Albaneser unter Niccolo Basta, Spanier unter Don Juan de Gusman, Don Juan Cordua und Don Alonzo Drago, Wallonen zu Fuß unter Barlotte und Cozuel, Wallonen zu Pferde unter Grobbendonck. Bei Gertruidenberg sammelte der Prinz Moritz seine Streitkräfte, achttausend Mann zu Fuß und achthundert Reiter, und Robert Sidney führte ihm fünfhundert Engländer aus den Besatzungen von Vlissingen und Briel zu. Um Mitternacht zwischen dem 23. und 24. Januar kam der niederländische Heereszug bei Ravels an, und bei Tagesanbruch stieß er auf den Feind, der sich nach abgehaltenem Kriegsrat bereits auf dem Rückzuge nach Herenthals befand. Da erhub sich das grimmigste Treffen. Mit wildem Ungestüm warfen sich die Schotten unter Murray und die Seeländer unter De la Corde auf den Feind, mit bedächtiger Tapferkeit folgten die Engländer unter Sidney und dem Ritter Veere. Gar treffliche Arbeit machte die Reiterei unter der Anführung der Grafen von Hohenlohe und Solms auf der Thieltschen Heide, und mit dem Grafen Varax wurde Don Alonzo Drago gleich im Anfange der Schlacht erschossen. Um elf Uhr mittags lag die spanische Macht im Schnee zu Boden. Achtunddreißig Fahnen des Fußvolkes und Dragos Reiterstandarte sandten die Niederländer nach dem Haag; durch alle freien Provinzen läutete man ob der Siegesbotschaft die Glocken; mit großem Triumph wurde auch der Prinz Moritz von Oranien im Haag empfangen; – durch seine Vermittlung erhielt die Tochter Alonzo Dragos ihre Freiheit von den hochmögenden Generalstaaten. Die Trompeten, welche diese glorreiche Viktoria von Turnhout in den Gassen des Haags ausbliesen, durften nicht wie anderer Klang im Ohr und in der Seele Camillas verhallen. Sie schmetterten über Land und See, sie waren nach Jahren noch nicht verklungen und zitterten um die Palmenwipfel im Garten des Schlosses Pavaosa. –

Im Frühling des Jahres 1597 nahm Camilla Drago Abschied von Mynheer und Mefrouw van der Does, und dieses Mal kam Georg ausdrücklich dazu von Scheveningen herüber. Er war blöder als je und wußte weniger als je zu sagen, und als die Sänfte des spanischen Fräuleins um die Ecke verschwunden war, verschwand auch er wieder, ohne in gewohnter Weise von seiner betrübten Mutter Abschied zu nehmen. Bis die Abendkanone ihn auf sein Schiff zurückrief, saß er auf einer Düne am Strande und zeichnete mit seinem Dolche Figuren in den Sand. –

Es war ein weiter Weg von dem grünen Haag bis zu der verlorenen Insel Sankt Thomas im Meerbusen von Guinea. Bis Bergen op Zoom ritt die niederländische Bedeckung neben der Sänfte Camillas, dann wurde sie zum großen Entzücken der Señora Rosamunda von spanischen Reitern abgelöst. Von Brüssel zog die Nichte Don Franzisko Meneses' unter dem Schutz kaiserlicher und italienischer Truppen den Rhein entlang und durch Tirol gen Italien. Von Genua führte sie ein spanisches Schiff nach Barcelona; – im Herbste des Jahres achtundneunzig ankerte der Kapitän Giralto im Hafen von Sankt Thomas, und der Statthalter Philipps III. ließ auf allen Wällen die Geschütze zu Ehren seiner Nichte abbrennen und führte gravitätisch das müde Kind auf den glühenden Boden, der von nun an ihre Heimat sein sollte. An der Hand des Kapitäns Giralto schritt auch die Señora Rosamunda Bracamonte ans Land; ihre Erscheinung machte einen großen Eindruck auf die Besatzung, die Kolonisten und die nackten schwarzen Eingeborenen, welch letztere vor ihrer Stattlichkeit zu beiden Seiten des Weges die Stirnen in den heißen Sand drückten. –


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