Abbé Prévost d'Exiles
Geschichte der Donna Maria und andere Abenteuer
Abbé Prévost d'Exiles

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Abenteuer eines Einsiedlers

In einiger Entfernung von Spoleto in Italien findet man auf einem Gebirgszuge, der durch seine Lage vor allen Arten von Unbequemlichkeiten geschützt ist, eine grosse Anzahl Einsiedeleien, wo die Vorliebe für Einsamkeit eine Menge ehrbarer Männer versammelt hat. Jeder lebt dort für sich in einer Hütte, die man ihm angewiesen oder er sich selber gebaut hat. Ruhe und Unabhängigkeit sind dauernde Güter in diesem glücklichen Aufenthaltsorte. Man lebt dort von seiner Hände Arbeit und wünscht sich nur, was hinreicht, um leben zu können. Einige reiche Leute der Nachbarschaft haben dort eine Kirche erbauen lassen, und da es unter Einsiedlern immer einige Priester gibt, hat man weiter keine andere Hilfe zum göttlichen Dienst nötig. Er besteht in einer stillen Messe, welche jeden Tag zur gleichen Stunde stattfindet. Und weder andere gemeinsame Uebungen gibt's, noch Gesetze, die der Freiheit, deren sich ein jeglicher in seiner Hütte erfreut, hinderlich sind. Der zum Sprengel gehörige Prälat ist das einzige Oberhaupt, das man dort anerkennt; der aber mischt sich wenig in die Vorgänge an einem Orte, wo immer Unschuld und Freude herrschen.

Ein Spanier liess sich, nachdem er sich bescheiden dem Bischof vorgestellt hatte, an einem der einsamsten Plätze des Gebirges eine Einsiedelei bauen. Wiewohl er sie nicht in auffälliger Weise ausgeschmückt und nur einen mäßigen Raum für seinen Garten genommen hatte, bemerkte man doch, dass dort mehr Ueberfluss und Behaglichkeit als in den übrigen Hütten herrschte. Er hatte mehrere Landarbeiter beschäftigt, und da er sie reichlich abgelohnt, hatte man auch darauf geschlossen, dass ihn nicht Armut gezwungen habe, solch einen Zufluchtsort zu erwählen. Indessen besass niemand die Zudringlichkeit, seine Ansichten kennenzulernen, oder ihn gar nach seiner Geburt und seinen Vermögensumständen zu fragen. Er war wenig mitteilsam und erschien nur an den durch Vorschrift festgesetzten Tagen in der Messe; und sich hernach gleich in seine Einsamkeit zurückziehend, begnügte er sich damit, die höflich zu grüßen, welche ihm auf seinem Wege begegneten. Zufällig bemerkten einige Einsiedler, daß ein Mann zu Pferde allwöchentlich einen gefüllten Korb brachte, den er, nachdem er ihn ausgeleert, wieder zurücksandte. Da sie aber vermuteten, daß er Lebensmittel enthalte, so bildete das an einem Orte, wo es jedem freistand, sich nach seiner Wahl zu kleiden und ernähren, keinen Grund zu einer Klage. Er hatte dies Benehmen zwei Monate über eingehalten, ohne dem nächsten Einsiedler, der etwa zweihundert Schritte von ihm entfernt hauste, die geringste Lust, ihn kennenzulernen, zu bezeigen. Dieser war ein Veroneser Edelmann, der seiner Neigung für die Lebensweise, der er sich unterworfen hatte, der Zerrüttung seiner Vermögensverhältnisse zufolge nachging. Sanftheit seines Charakters und Macht der Gewohnheit hielten ihn mehr als Eifer seit einigen Jahren hier fest. Er hatte sich an seine Lage gewöhnt, und ebenso leicht seine Neugier wie andere Aeusserungen seiner Leidenschaft unterdrückend, liess er seinem Nachbar all die Freiheit, welche er für sich selber begehrte. Dank solcher Neigung würde er all seine Lebtage gegen eine Bekanntschaft, die man nicht zu wünschen schien, gleichgültig gewesen sein. Eines Tages jedoch, als er sich um die Abendzeit in seine Hütte zurückgezogen hatte, hörte er, wie man heftig an seine Türe klopfte. Nachdem er sie geöffnet, sah er zu seiner Überraschung ein Mädchen von etwa achtzehn oder zwanzig Jahren zu seinen Füssen fallen, die ihn mit Tränen im Auge beschwor, ihr zu folgen, um einem ehrenwerten Manne zu helfen, welchen sie sterbend glaube. Diese Bitte wurde so inständig und liebenswürdig vorgebracht, dass der Veroneser ebenso gerührt durch diese beiden Gründe wie vom Verlangen, seinem Nächsten das Leben zu retten, ihr ohne Zaudern alles, was in seiner Macht stand, anbot. Sie führte ihn in die Einsiedelei des Spaniers; und indem sie sich ihm nur durch ihre Tränen verständlich machte, wies sie auf den unglücklichen Einsiedler hin, der bewusstlos auf einigen Strohmatten, wo er niedergefallen war, ausgestreckt lag. Er hatte einen tödlichen Schlaganfall erlitten. Da Hilfe zu spät gekommen, hauchte er sein Leben einige Augenblicke danach aus.

Die Schmerzbezeigungen des jungen Mädchens erlaubten es dem Veroneser lange Zeit über nicht, sie zu fragen, welch andere Dienste er ihr leisten könne. Nachdem sie den Toten tausendmal umarmt hatte, sprach sie nur davon, ihr Leben auf die gewaltsamste und kürzeste Weise zu beendigen. Als sich schliesslich der Aufruhr ihres Schmerzes selber abzuschwächen begann, ergriff er den Augenblick, um ihr seine Teilnahme an ihrem Gram zu bezeugen. »Sie werden mich beklagenswert finden,« sprach sie zu ihm, »wenn Sie alle Umstände meines Unglücks vernommen haben. Hören Sie meine Geschichte:

Der Unglückliche, den Sie hier sehen, ist mein Gatte. Er betete mich an; aber auch ich liebte ihn mehr als mich selber. Ich bin in Rom einem Vater geboren worden, dessen Zärtlichkeit mir mehr Unheil verursacht hat, als es jemals sein Hass getan haben würde. Meinem Mann, der, ehe er mein Gatte ward, eine ansehnliche Stellung bei den spanischen Truppen innehatte, überkam eine so heftige Zuneigung zu mir, als er einige Wochen über in Rom sich aufzuhalten genötigt war, dass er es nicht verlassen konnte, ohne versichert zu sein, meine Hand zu erhalten; darum erbat er sie offen von meinem Vater. Ein Offizier, der im Begriffe stand, sich allen Gefahren des Krieges auszusetzen, war kein Gatte, wie man ihn für mich gewünscht hätte. Ich war die einzige Hoffnung meiner Eltern und zu sehr geliebt, um leicht fortgegeben zu werden. Indessen hatte sich die Liebe bereits meines Herzens bemächtigt. Ich war ebenso betrübt wie mein Geliebter über die Hinderung, die man unseren sehnlichen Wünschen entgegenstellte. Ermutigte ihn, sich nicht abschrecken zu lassen, denn da ich allzusehr mit meines Vaters Liebe rechnete, schmeichelte ich mir, dessen Weigerung ganz bestimmt besiegen zu können. Unglücklicherweise hub damals ein Zwist zwischen dem römischen und spanischen Hofe an. Alle Spanier hatten den Befehl erhalten, Rom zu meiden, und mein Geliebter war vielleicht der einzige, der es an Gehorsam fehlen liess. Er konnte mich nicht einen Augenblick aus seinem Gesichte verlieren. Seine Zärtlichkeit kostete ihm seine Stellung.

Er ward mir dadurch nur noch teurer. Doch welcher Anschein war vorhanden, dass mein Vater seine Einwilligung zu einer Ehe geben würde, welche dieser Unstern noch unvorteilhafter als vorher machte? Seine Strenge musste dadurch ja nur noch grösser werden. Er erfuhr, dass ich heimlich seine Besuche empfing und untersagte sie mir nicht nur mit aller Kraft des väterlichen Willens, sondern, nachdem er meinen Geliebten beiseite genommen hatte, erklärte er diesem, dass, wenn er nicht mich zu sehen verzichte, er sein ärgster Todfeind werden würde. Solch eine Drohung raubte uns nicht die Lust, uns vom selben Tage an weiter zu sehen. Wir erwogen alle Hoffnungen, die uns noch blieben. Es blieb uns nur noch zu fliehen übrig, und ich war schwach genug, meine Zustimmung dazu zu geben. Da indessen meines Geliebten Einkünfte nur aus seiner militärischen Beschäftigung geflossen waren und seine beständigen Ausgaben alle augenblicklichen Hilfsquellen erschöpft hatten, würden wir kaum die Kosten für die kleinste Reise haben aufbringen können. Ich wusste, an welchem Ort mein Vater sein Geld aufhob und führte meinen Geliebten dorthin, ohne ihn vorher in meinen Plan einzuweihen, und ihm einen Koffer weisend, in welchem ich eine sehr grosse Geldsumme vorzufinden sicher war, hub ich also zu ihm an: ›Schauen Sie her, wenn unser Glück um diesen Preis erkauft werden muss, so bestimmen Sie bitte hierüber!‹ Ohne zu zaudern entgegnete er, dass ich ihm teurer als sein Leben sei; aber um mir anzugehören, wolle er meiner auch würdig sein, er werde nimmer Hand an den Schatz legen, welchen ich ihm anbiete. Solch eine Handlung könne einzig und allein nur mir verziehen werden, die ausersehen sei, früher oder später einen Teil der väterlichen Habe zu besitzen. Und er wollte selbst nicht, dass sie vor seinen Augen geschehe. Ich weiss nicht, wozu mich diese edelmütige Antwort verleitet haben würde; aber im Augenblick, wo er zu reden aufhörte, erschien mein Vater, begleitet von mehreren Bedienten, im Gemach, fasste ihn bei der Hand, die er unglücklicherweise auf den Koffer stützte, und, seine Leute als Zeugen für die Lage anrufend, in der er ihn angetroffen, beschuldigte er ihn, ihm zugleich mit seiner Tochter auch sein Geld haben rauben zu wollen. Vergebens rief er die Gerechtigkeit des Himmels und der Leute an. Er wurde von den Dienern entwaffnet, und sie erhielten Befehl, ihn streng zu bewachen.

Ich blieb mit meinem Vater allein. Er überhäufte mich mit Vorwürfen. Da seine gewöhnliche Zärtlichkeit indessen bald wieder obsiegte, ging er zu Bitten und Liebkosungen über, um mich von einer Leidenschaft zu heilen, deren furchtbare Folgen er zu fürchten anfing. In meiner grossen Aufregung versprach ich ihm, einzig unter der Bedingung, dass er meinem Geliebten sofort die Freiheit zurückgäbe, unbedingten Gehorsam. Wiewohl ihm ein Versprechen solcher Art äusserst verdächtig erscheinen musste, gab er vor, mir fest zu glauben; er liess diesen sofort vor sich führen und befahl mir, in seiner Gegenwart dieselbe Sache zu wiederholen. Ich kam seinem Befehle nach, jedoch nur unter Schmerzensbezeigungen, welche meine Gefühle unbedingt klarlegen mussten. Tatsächlich erhielt mein Geliebter die Freiheit; aber kaum hatte er sich aus meinen Augen entfernt, als ich in die Kirche geführt ward, wo ich einen jungen Mann vorfand, der seit langem mir zu gefallen bestrebt war. Der Priester wurde gerufen und ohne mir einen Augenblick zur Sammlung meiner Geisteskräfte zu lassen, die mir in meinem Schrecken abhanden gekommen waren, wurde ich mit den üblichen Feierlichkeiten verheiratet.

Nichtsdestoweniger spürte mein Vater einen Rest Mitleid, der ihm nicht sofort zu verlangen gestattete, dass ich mich den Zärtlichkeiten eines so verhassten Gatten überliesse. Nachdem er alles angewendet hatte, um mich zu trösten, versicherte er mir, dass man mir Zeit gewähren würde, mich in das Schicksal, zu dem er mich verdammt, zu finden, und dass er, seine ganze Liebe zu mir wieder wachrufend, alles daran setzen würde, mich glücklich zu machen. Ich wollte es sein, jedoch nicht auf solche Weise, und war nur des Gedankens fähig, dass ich es auf Kosten meiner Tugend werden könnte. Die Unmöglichkeit, mich in zwei so grausamen, verzweiflungsvollen Lagen zu etwas Vernünftigem und Ehrbarem zu entschliessen, liess mich am selben Tage den Plan fassen, auf die Welt zu verzichten. Ich stahl mich aus meinem Vaterhause, um mich in ein Kloster zurückzuziehen, in dem ich bekannt war und in das man mir gern den Eintritt gestattete. Indem ich mich zu solchem Opfer entschloss, konnte ich mir die einzige Entschädigung, die mir zu wünschen übrigblieb, nicht versagen. Ich schrieb meinem Liebhaber, da mich ein fürchterlicher Zwang hindere, ihm anzugehören, hätte ich mich entschlossen, mich in einem Kloster zu begraben. Diese Nachricht versetzte ihn in Wut. Ohne noch zu wissen, was mir eben geschehen war, und meine Verzweiflung nur für eine Folge der Bestürzung haltend, eilte er nach dem Kloster. Zu meinem Unglück kam er gerade in dem Augenblicke dort an, wo mein Vater und der mir von ihm aufgedrängte Gatte beide auf die Kunde hin herbeieilten, die sie bereits von meiner Flucht erhalten hatten. Sie erblickten ihn und stürzten sich, da sie sich seine Pläne sehr wohl denken konnten, den Degen in der Hand, mit dem festen Vorsatze, sich seiner zu entledigen, auf ihn. Sein Mut bediente sie nur zu gut. Für eine leichte Verwundung, die man ihm am Arme beibrachte, versetzte er seinen Gegnern zwei tödliche Hiebe. Beide starben noch vor Tagesende.

Sie können sich denken, mit welchem Entsetzen ich diese furchtbare Nachricht vernahm. Sie bestärkte mich in dem Entschlusse, die Welt zu verlassen; da ich nimmer damit rechnen konnte, dass sich meines Vaters Mörder jemals vor mir zeigen würde, gab ich mich nur mit der Ausführung meines Vorhabens ab. Nichtsdestoweniger musste ich den inständigen Bitten meiner Verwandten nachgeben, welche meine Anwesenheit für notwendig erachteten, um über meine Erbschaft zu entscheiden. Sie zwangen mich, meine Zufluchtsstätte zu verlassen, und da sie sich um der Ehre willen nicht minder verpflichtet fühlten, meines Vaters Tod zu rächen, strengten sie in meinem Namen eine Klage an, um die Prozessverhandlungen einzuleiten. In meiner Niedergeschlagenheit dachte ich nicht weiter über solche Massregeln nach. Ich weiss nicht, worein mein Herz gewilligt haben würde, denn seine Gefühle hatten sich nicht geändert und Rache war wenig fähig, den Sieg über Liebe davonzutragen. Ich begriff wohl die Pflichten, die mir die Vernunft auferlegte; da aber solch ein Gedanke nur meine Verwirrung vermehren konnte, zumal er in Widerspruch mit meinen süssesten Neigungen stand, brachte ich einige Tage in einer so heftigen Erregung zu, dass mir der Gedanke an das Kloster mit allem Eifer, den ich bekundet, der Welt zu entsagen, abhanden kam.

In dieser Zeit nun erfuhr mein Geliebter, der anfangs nur sich vor dem Gerichte zu schützen bestrebt gewesen war, dass man den Prozess tatsächlich auf mein Ersuchen eingeleitet habe und dass ich ihm also an sein Leben wolle. Er ertrug diesen Gedanken nicht. Die Furcht vor der Gefahr, welche ihn bedrohte, vermochte ihn nicht zu hindern, gegen Abend zu mir zu kommen. Er warf sich mir zu Füssen, um mir sein Leben darzubringen, welches er keinen Augenblick behalten wollte, wenn es mir verhasst war, und warf mir meine Unbeständigkeit und Härte vor, beklagte sich, dass ich ihn mit der Ungerechtigkeit des Schicksals beschwert hätte, erneuerte mir seine Treue- und Zärtlichkeitsschwüre, kurz, er rührte mich so, dass er mir jede Kraft zu einer Antwort nahm. Ich war in solcher Verwirrung, als der Zufall meine Verwandten herführte, die ihn in der Stellung, die er noch einnahm, überraschten. Es ward ihnen nicht schwer, ihn festzunehmen, und, indem sie ihn in äusserster Härte mit Ketten belasteten, wollten sie ihn in das Staatsgefängnis führen.

Ich konnte dieses Schauspiel nicht ertragen. ›Haltet ein,‹ sprach ich zu ihnen, ›führt ihn nicht zum Tode, wenn ihr nicht auch meinen beschlossen habt!‹ Und da ich bemerkt zu haben glaubte, dass sie das Stillschweigen, welches ich einige Tage über hinsichtlich des Klosters beobachtete, bereits in Unruhe versetzte, beschloss ich sie da anzufassen, wo sie meines Ermessens empfindlich waren. ›Ich bekenne,‹ fuhr ich fort, ›dass er meinen Vater getötet hat; da ich jedoch willens bin, mich dem Klosterleben zu weihen, darf ich niemandes Tod wünschen. Schenkt mir sein Leben und seine Freiheit; ich verspreche, Euch all meine Habe als Belohnung dafür zu geben und gelobe beim Himmel, alsogleich die Welt zu verlassen!‹ Dieser Vorschlag liess sie liebenswürdiger werden. Sie stellten sich, als ob sie meinen Edelmut bewunderten und ihre Furcht, ich möchte meine Absichten ändern, liess sie mühelos auf meine Bitte eingehen, meine Schenkung auf der Stelle entgegenzunehmen. Diese wurde mit all den Formeln angefertigt, die sie unwiderruflich machen konnten. Sie trugen Sorge, meinen Geliebten aus meinen Augen zu entfernen, der mir mit bewundernswerter Seelengrösse das Opfer vorwarf, welches ich ihm mit meinem Vermögen brachte. Man bewachte ihn in einem Nachbarzimmer, und diese Vorsichtsmassregel nutzte ihnen um so mehr, als sie dazu diente, mich meinen Entschluss schneller ausführen zu lassen. Von der Schenkung, die ich ihnen mit meiner Erbschaft machte, schloss ich nur den Geldschrank aus, in dem, wie ich wusste, mein Vater eine beträchtliche Summe verwahrt hatte. Als Vorwand diente mir die Notwendigkeit, dem Kloster meine Mitgabe bezahlen und mir dort durch meine Freigebigkeit einige Achtung verschaffen zu müssen. Doch hatte ich einen anderen Plan.

Kaum war ihrer Habgier nach meinem Gute genuggetan, als sie, ohne sich drängen zu lassen, meinen Geliebten in Freiheit setzten, indem sie ihn einzig ermahnten, sich aus Rom zu entfernen, damit er sie der Verpflichtung, ihn zu verfolgen, entbinde. Die Freude, der sie sich überliessen, erlaubte ihnen nicht, länger bei mir zu verweilen. Alsobald sah ich meinen unglücklichen Geliebten erscheinen, der sich mir nur mit Entzücken näherte. ›Was haben Sie getan?‹ sprach er zu mir. ›Mein Leben ist Ihnen also teuer genug, um Sie auf alle Annehmlichkeiten des Ihrigen verzichten zu lassen? Ist es wahr, dass Sie mich nicht hassen? Aber womit beweisen Sie es mir? Geben Sie mir das Leben, um mich dazu zu verurteilen, Sie unglücklich zu sehen?‹ Tausend leidenschaftliche Dinge fügte er noch hinzu; doch meine Wonne, sie zu hören, hinderte mich nicht, ihn zu unterbrechen. ›Fliehen Sie,‹ hub ich zu ihm an, indem ich den Kopf fortwandte, ›nur die Flucht kann Ihnen Sicherheit gewähren. Ich habe Ihnen nichts geopfert, da mir mein Gut nichts mehr fruchten kann. Ich wähne nicht einmal,‹ fügte ich hinzu, indem ich auf den Koffer hinwies, ›dass diese Summe, die ich mir aufgespart habe, um sie Ihnen zu überlassen, Sie zu der geringsten Dankbarkeit verpflichten muss. Sie haben um meinetwillen alles verloren. Es ist billig, dass ich, ehe ich ins Kloster gehe, alle meine Schulden begleiche, und die der Zärtlichkeit und des Edelmutes sind die dringlichsten!‹ Ich bat ihn, den Koffer fortschaffen zu lassen, da mir von anderer Seite genügend Mittel zur Verfügung stünden, um mir den Eintritt ins Kloster zu ebnen, und mein letztes Lebewohl entgegenzunehmen. Was sage ich Ihnen? Mein Plan war gefasst; doch als ich mir schmeichelte, zu seiner Ausführung bereit zu sein, kannte ich die Macht der Liebe noch nicht. Die Vorwürfe und verständigen Bitten eines Mannes, den ich allein liebte, hatten mehr Macht als meine Entschlüsse. Er wusste mich zu überzeugen, dass Ehre und Pflicht sich nicht mehr unserem Glücke widersetzten. Hinsichtlich des Gelübdes, welches ich unbedachtsamerweise abgelegt hatte, zerstreute er meine Gewissensbisse, indem er mir vorschlug, irgendeinen abgelegenen Zufluchtsort zu wählen, wo wir völlig auf den Umgang mit der Welt verzichteten, um die Uebungen eines weisen und geregelten Lebens mit der Süsse einer rechtmässigen Ehe zu vereinigen. Ich gab zu diesem Vorschlage um so begieriger meine Einwilligung, weil er mir der Wohlanständigkeit, der Liebe und der Religion völlig genugzutun schien. Bei meinem geringen Streben nach Reichtum und meiner noch viel grösseren Gleichgültigkeit ihm gegenüber versprach ich mir mehr Ruhe und gar grösseres Vergnügen von der Einsamkeit, als von all den Auszeichnungen, auf die ich dank meiner Geburt und meiner Glücksumstände naturgemäss hätte hoffen müssen.

So stimmte ich, ohne um das betrübt zu sein, was ich meinen Verwandten eingehändigt hatte, zu, Rom unter der Führung meines Geliebten, auf seine Rechtlichkeit bauend, zu verlassen. Die mir bleibende Geldsumme reichte seines Erachtens hin, um uns vor Mangel zu schützen. Unsere erste Sorge war, den Himmel in unser Interesse zu rücken, indem wir unseren Bund durch die Feierlichkeiten der Kirche segnen liessen. Wir nahmen einen anderen Namen an, und nur nach einem unseren Plänen angemessenen Zufluchtsorte suchend, hörten wir bald von dem Gebirge von Spoleto und der Leichtigkeit reden, mit der sich dort jedermann niederlassen könne. Wiewohl man uns versicherte, dass die Freiheit dort als erstes Gesetz gälte, wagten wir nicht zu hoffen, dass eine unbekannte Frau leichtlich bei ihrem Ehemanne dort geduldet werden würde, und diese Schwierigkeit hätte uns mutlos gemacht, wenn wir nicht, um die Lage des Gebirges in Augenschein zu nehmen, selber hergekommen wären und erkannt hätten, dass ich mich mit ein wenig Klugheit und Sorgfalt der Neugier aller, die es bewohnen, entziehen könne. Mein Gatte befolgte zuerst alle üblichen Massnahmen und stellte sich dem Bischof unter dem einfachen Titel eines spanischen Offiziers vor, dem die Ermüdung im Waffendienst und der Ekel vor der Welt eine freie und einsame Zufluchtsstätte wünschenswert machten. Nachdem man seinen Plan gut befunden, brachte er einige Wochen damit zu, diese Einsiedelei zu bauen. Ich weilte in einem Nachbardorfe, von wo aus ich jede Nacht den Ort besuchte, der mir als Wohnung dienen sollte, und ohne daran zu denken, ihn auszuschmücken, ermahnte ich meinen Gatten, nichts zu sparen, um ihn bequem und angenehm zu machen. Wir hatten zwei treue Diener, Leute ohne Leidenschaft, wiewohl verschiedenen Geschlechts, welche entschlossen waren, ihr Glück mit unserem zu vereinigen. Wir schlugen ihnen vor, sich zu heiraten, um sie geeigneter für unsere Dienste zu sehen. Sie willigten darein, und da mein Gatte den Rest unseres Vermögens ziemlich günstig in Spoleto angelegt hatte, überliess er ihnen seine Nutzniessung unter der einzigen Bedingung, uns mit allem, wessen wir bedurften, zu versehen.

Bei dem mich bedrängenden Schmerze werden Sie nicht verlangen, dass ich Ihnen all das Glück ausmale, welches ich an Seiten eines Mannes ausgekostet habe, dessen Zärtlichkeit nimmer kälter zu werden vermochte und für den sich die meinige von Tag zu Tag steigerte. Weh, ich war ihm nicht teurer als Religion und Tugend! Die Geradheit seines Herzens, die Unschuld seiner Wünsche, seine Weltverachtung und Hoffnung auf die himmlischen Geister knüpften ihn fester an das Gebirge als seine Gefühle für mich! Wir waren zu glücklich auf der von Gott geschmückten Erde. Doch alles hat sich für seine unselige Gattin verändert. Nur der Tod kann die Verzweiflung, die mich durchstürmt, und all das Elend, das mich bedroht, von mir nehmen!«

Ihre Tränen und Klagen setzten von neuem mit demselben Ungestüm wie im ersten Augenblick ein. Der Veroneser, der nichts von der Härte seines Standes angenommen hatte, bot ihr höflich alle Dienste an, die sie von einem ehrenwerten Manne erwarten konnte; und sie bat ihn anfangs, einen Entschluss hinsichtlich der gegenwärtigen Umstände zu fassen. Er liess sie wissen, dass es ihr noch freistünde, ihr Erlebnis vor der Oeffentlichkeit zu verbergen und sich sogar zu entfernen, ohne bemerkt zu werden. Andererseits meinte er, dass es, wofern sie nur irgendwelche Vorliebe für die Einsamkeit hege, nicht unmöglich sei, die einmal eingeschlagene Lebensweise fortzusetzen. Er schlug ihr selbst Mittel und Wege dazu vor, indem er ihr versprach, ein unverbrüchliches Schweigen über ihr Geschlecht zu bewahren. Die Kirchengeschichte ist voll von solchen Beispielen, und wenn auch die Klugheit es nicht immer gestattet, eine Frau dazu zu veranlassen, sie nachzuahmen, so verbietet die der Religion schuldige Ehrfurcht doch, dass man sie verdammt. Die beiden Vorschläge des Einsiedlers waren um so vertrauenerweckender und ehrlicher, als er sich selber eingestand, dass die Annehmlichkeiten ihrer Nachbarschaft bereits starken Eindruck gemacht hätten, und dass, da er in keiner Weise zum Zölibat verpflichtet war, es als ein grosses Glück ansehen würde, in alle Rechte des verlorenen Ehemanns einzutreten. Dies wollte er sie sogar wissen lassen, indem er ihr unter anderen Worten und auf Umwegen vorschlug, die Vorliebe, die sie für die Einsamkeit hege, beizubehalten; Er bestrebte sich, sie die Notwendigkeit fühlen zu lassen, sich schnell über die beiden Wege zu entschliessen, die er ihr vorschlug, denn ihres Gatten Tod konnte nicht lange verborgen bleiben, und das Bekanntwerden ihres Abenteuers würde ihr alsofort die Freiheit in ihrer Wahl nehmen. Sie überzeugte sich von der Weisheit dieses Rats; doch da sie im Grunde ihres Herzens bereits einen Plan gefasst hatte, bat sie ihn nur um die Hilfe, der sie bedürfe, um ihre Diener zu benachrichtigen, dass sie zu ihr kämen. Nachdem sie ihm ihr Geheimnis bis zu ihrer Abreise anempfohlen hatte, gestand sie ihm, sie habe beschlossen, sich von Spoleto zu entfernen und in ein Kloster zu begeben, wenn sie ihrem Gatten die letzten Pflichten erwiesen. Vergebens bekämpfte er solchen Entschluss. Da er nichts fühlte, wessen er sich bei einer Eröffnung hätte schämen müssen, legte er ihr deutlich dar, in welcher Absicht er sie hier zurückhalten möchte, und bot ihr ohne Umschweife ein ebenso treues und reines Herz wie das an, welches sie besessen. Seine Anerbietungen rührten sie wenig. Sie blieb einige Tage in der Nachbarschaft, bis die Einsiedler ihrem Gatten ein ehrenvolles Begräbnis veranstaltet; und ihre Einsiedelei dem Veroneser überlassend, gab sie ihm die Erlaubnis, ihre Geschichte zu erzählen und reiste ohne eine andere Gefolgschaft wie die ihrer beiden Diener ab.


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