Abbé Prévost d'Exiles
Geschichte der Donna Maria und andere Abenteuer
Abbé Prévost d'Exiles

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Seltsame Abenteuer eines Spaniers auf der Insel Jamaika

Auf Jamaika gibt es einen gebirgigen Landstrich, den die Engländer niemals betreten hatten. Man hielt ihn für wüst, weil der Erdboden dort unfruchtbar zu sein schien und die Zugänge ausserordentlich schwierig waren. Er erstreckt sich etwa sieben Meilen im Umfang. Wird auf allen Seiten von einem Sumpf umgeben, der stets mit Wasser angefüllt ist, welcher Umstand vielleicht ebensoviel wie alles übrige dazu beigetragen hat, bis damals den Zugang zum Gebirge zu versperren. Doch finden sich auf der Seite des Meeres, das nur etwa zwei Meilen fern ist, einige trockene Landzungen, welche nicht leicht von der übrigen Fläche zu unterscheiden sind, da sie nicht weniger von Kräutern und Schilf bestanden werden als die kotigsten und feuchtesten Stellen. Die englische Kolonie war noch nicht so umfangreich, als dass sie sich über die ganze Insel ausgedehnt hätte, darum war es nicht überraschend, dass dieser unzugängliche Teil bislang unbeachtet geblieben war. Man hatte sich, wie es immer bei Niederlassungen solcher Art zu geschehen pflegt, an den gelegensten und fruchtbarsten Orten angesiedelt. Sicherheit und Vorteil bestimmen gewöhnlich diese Wahl.

Ein Negeraufstand bereitete den Engländern ungeheure Schwierigkeiten. Da das Uebel von Tag zu Tag schlimmer wurde, hatte man sich entschliessen müssen, einige Kompagnien von Soldaten, die man für genügend hielt die Hitze der Aufrührer zu dämpfen, von London abgehen zu lassen. Da sich jedoch die Bewohner von Port Royal den empfindlichsten Handstreichen ausgesetzt haben würden, wenn sie, um mit ihrer Verteidigung zu beginnen, die Ankunft dieser Hilfstruppen abgewartet hätten, liessen sie alle Leute die Waffen ergreifen, welche sie zu tragen fähig waren.

Die englischen Truppen Jamaikas waren in das Innere der Insel eingedrungen, um auf eine Schar Wilde Jagd zu machen, welche eine ihrer Plantagen bedrohte, und um einige Arbeiter zu schirmen, die beauftragt waren, am äussersten Ende des bebauten Landes eine Schanze aufzuwerfen. Obwohl der Feind an Zahl überlegen war, ergriff er bei ihrem Herannahen die Flucht. Dies genügte nicht, die Engländer zu beruhigen; denn da die Wilden sich ebenso leicht wieder zusammenrotten, wie sie sich zerstreuen, konnten dieselben Beunruhigungen alsobald wieder entstehen. Daher beschloss man, ihren anfänglichen Schrecken auszunutzen und sie so dringlich zu verfolgen, dass man eine bestimmte Anzahl von ihnen zu töten vermöchte, zumal man hoffte, ein wenig vergossenes Blut würde die Kühnheit, mit welcher sie sich jeden Augenblick zeigten, vermindern. Dieser Plan jedoch hatte nicht den von ihnen erwarteten Erfolg. Die Fliehenden entronnen mit grösserer Schnelligkeit, als man sie verfolgen konnte, und die Unkenntnis der Wege machte die Engländer besorgt, sich allzuweit mit ihnen einzulassen.

Die Verfolgung hatte fast einen vollen Tag gewährt, und einzig das Herannahen der Nacht war ein triftiger Grund, von ihr abzustehen. Sie befanden sich am Rande des Sumpfes, welcher dem bereits erwähnten Gebirge benachbart liegt. Der Ort war günstig und die Jahreszeit milde genug, um es zu erlauben dort die Nacht zuzubringen. Sie zogen den Aufenthalt hier einem langen und gefahrvollen Marsche, den man in der Dunkelheit hätte machen müssen, vor. Nachdem man die Umgegend auskundschaftet hatte, benutzten einige Leute den Rest des Tages, um nach dem Sumpfe hinabzusteigen; der Zufall liess sie auf eine der sehr trockenen Landzungen geraten und sie gelangten unvermerkt an den Fuss des Gebirges, von wo aus sie mit Wildbret beladen nach dem Lager zurückkehrten.

Die Nacht war sehr finster geworden und sie lagerten in aller Stille, als die durch ein aussergewöhnliches Schauspiel erschreckten Wachen den ganzen Trupp durch Lärm aufrüttelten. Die Gebirgsfläche war auf einmal wie in Flammen getaucht. Man schaute eine Unmenge Feuer, die zum Himmel emporloderten und deren Zahl sich von Augenblick zu Augenblick vermehrte. Obwohl die Entfernung nur gering war, vermochte man unmöglich die Ursache dieser Feuersbrunst zu entdecken, und niemand konnte sich denken, dass dies an einem Orte, den man stets für verlassen gehalten hatte, ein Werk von Menschenhand sei. Andererseits wusste man auf das genaueste, dass die Neger, deren Verfolgung man eben aufgegeben hatte, nach einer anderen Richtung geflohen waren. Die englischen Anführer, Mister Morton und Mister Aiglif, liessen es nichtsdestoweniger dabei bewenden, ihre Leute die Nacht unter Waffen bleiben zu lassen, und nahmen sich vor, am folgenden Morgen zu prüfen, welcher Art Gefahr sie zu befürchten hätten.

Während dieser Zeit beschlossen die Jäger, welche einige Stunden vorher den Sumpf durchquert hatten, zusammen auf demselben ihnen bereits bekannten Wege nach dort zurückzukehren. Da dieser Plan entgegen den Befehlen ihrer Vorgesetzten war, führten sie ihn heimlich aus. Einzig die Neugier bestimmte sie hierzu. Glücklicherweise fanden sie ihren Weg wieder, und nachdem sie bis an das Gebirge herangekommen waren, erkannten sie bald, dass die Flammen von den Wipfeln mehrerer hoher Bäume ausgingen, welche auf den Abhängen der Hügel zerstreut standen. Mut fehlte ihnen nicht. Sie stiegen im Zeitraum von einer Stunde, trotz der Schwierigkeiten eines Platzes von grösster Rauheit, mit vieler Mühe hinauf.

Von den fünfzehn Leuten, die sie waren, stürzten unglücklicherweise zwei und kamen, in die Tiefen des Gebirges herabrollend, ums Leben. Die anderen dreizehn aber liessen sich durch solches Unheil nicht abschrecken und gelangten zu dem Fusse einiger der ersten Bäume, deren Licht ihnen als Führer gedient hatte.

Sie glaubten der erwünschten Aufklärung nahe gekommen zu sein. Indessen erblickten sie nichts in der Nachbarschaft der Bäume, was zu der geringsten Mutmassung Anlass gegeben hätte; auch waren zu ihrem Verdruss die Bäume dieses Gebirgszugs nur auf den Wipfeln verästet und so konnten sie nicht mit Hilfe der Zweige auf sie hinaufklettern; auch vermochten sie am Fusse der Bäume die Flammen weniger gut zu sehen als aus der Entfernung, da diese das dichte Laubdach nicht durchdringen konnten. Den Aerger, den sie verspürten, einen solch anstrengenden Weg umsonst gemacht zu haben, veranlasste sie, eine Ladung aus ihren Gewehren abzufeuern, indem sie Bäume und Brände verwünschten. Sie zielten in das Blätterwerk, und einige ihrer Kugeln trafen so gut, dass sie eine schwere Masse zu ihren Füssen niederfallen liessen, in der sie alsogleich den Körper eines Negers erkannten.

Die Leser müssen bislang meinen, diese Erzählung habe ganz den Anstrich eines Märchens, doch vielleicht werden sie mit der Weise zufrieden sein, wie dieser Bericht die Dinge zur Wahrscheinlichkeit zurückführt. Angesichts der Leiche fühlten die dreizehn Abenteurer ihre Kühnheit sich verringern. Es war klar, dass dieser Mensch sich nicht allein im Gebirge befinden konnte, und dass nicht allein alle Bäume, auf denen man Feuer erblickte, wie dieser hier, einen Neger bargen, der es anfachte, sondern dass sich auch in der Nachbarschaft eine zahlreiche Schar der Wilden befinden müsste, die nicht ohne Absicht einen so seltsamen Entschluss gefasst haben konnten. Die Furcht, überrascht und von einer Ueberzahl überrannt zu werden, liess die Engländer an den Rückzug denken. Sie nahmen die Negerleiche einzig deshalb mit, um ihren Gefährten ihr Abenteuer glaubhaft zu machen. Die Mühen, den Fuss des Gebirges wieder zu erreichen, welche beim Abstieg zu überwinden waren, hatten sie so lange unterwegs zurückgehalten, dass es beinahe Tag wurde. Als sie nun ihren Marsch beschleunigen wollten, hörten sie das Geräusch von mehreren Leuten, die das Gebirge hinter ihnen herabkamen. Während sie erwogen, ob sie die Stirne bieten oder die Flucht ergreifen sollten, wurden sie durch den Anblick der kleinen Anzahl Feinde, von denen sie sich verfolgt glaubten, wieder beruhigt. Sie bestand aus nur drei Personen, deren Aussehen und Bewaffnung keine Feindseligkeit verkündeten; sie erhoben im Gegenteil die Arme, als ob sie um Schutz bitten wollten.

Unsere Engländer empfingen sie sehr leutselig. Sie erkannten sogleich an ihrer Sprache,Die Engländer, die in Amerika leben, lernen gewöhnlich Spanisch sprechen. dass es sich um drei Spanier handelte, und an ihren Freudenbezeigungen, dass sie Unglück ausgestanden hatten, von dem sie sieh befreit glaubten. Bart und Haar des einen der drei war von einer wunderbaren Weisse, die weniger das Alter als seine Qualen bewirkt haben mochte, denn er war kaum sechzig Jahre alt. Die beiden anderen waren sein Sohn und seine Tochter, die noch in der Blüte ihrer Jugend zu stehen schienen. Der Sohn hatte eine hochgewachsene Gestalt, aber seine Hautfarbe war so braun, dass er sich wenig von einem Neger unterschied. Das junge Mädchen war im Gegenteil sehr viel weisser, als es Spanier für gewöhnlich sind, und obwohl sie äusserst seltsam gekleidet war, schien sie von bezaubernder Schönheit zu sein. Die Engländer wünschten auf der Stelle genau mit ihrem Abenteuer bekanntgemacht zu werden, doch der Alte gab ihnen zu verstehen, wenn sie die Freiheit liebten, dürften sie keinen Augenblick zu ihrem Rückzuge verlieren. Er hörte voll Freude, dass sie durch ein starkes Aufgebot von Truppen unterstützt wären, und bat sie dringlich, ihn zu ihrem Anführer zu bringen. Er umarmte auf dem Wege unaufhörlich seine Kinder und bezeigte seinen Befreiern auf jede nur denkbare Weise seine Dankbarkeit.

Der Kolonel Morton, welcher die kleine englische Armee befehligte, war im Begriff, sein Lager abzubrechen, als man ihm meldete, dass dreizehn seiner Leute aus dem Gebirge zurückkämen. Die Freude, sie wiederzuhaben, liess ihn an keine Bestrafung denken. Sie statteten einen Bericht ab, den man ihnen kaum geglaubt haben würde, wenn sie nicht gleichzeitig Beweis dafür geliefert hätten. Jedermann wünschte mit Ungeduld den alten Spanier zu vernehmen, von dem die Aufklärung so vieler Wunder abhing, doch die allgemeine Erwartung wurde enttäuscht, da er den Anführer bat, ihm insgeheim einen Augenblick Gehör zu schenken. Folgende Rede hielt er ihm dann:

»Der traurige Zustand, in welchem ich mich befinde, soll mich nicht hindern, Ihnen einzugestehen, dass ich ein Mann von einigem Ansehen bin. Die beiden mich begleitenden Personen sind mein Sohn und meine Tochter. Trotz der lebhaften Dankbarkeit, zu der ich Ihnen wie meinen Befreiern verpflichtet bin, habe ich auf dem Wege erwogen, ob ich Ihnen alle Umstände meines Abenteuers auseinandersetzen soll. Seit ich frei bin, muss ich über sie erröten; doch liess die Härte meines Loses sie mich nicht vermeiden. Nichtsdestoweniger finde ich einen Mittelweg, der Ihrer Neugier Genüge tun wird; indem ich Ihnen meine traurigen Schicksale bekenne, werde ich Ihnen meinen Namen verheimlichen, um meine und meiner Kinder Ehre zu wahren.

Es mögen neun Jahre verflossen sein, seit mich ein Schiffbruch an die Küste dieser Insel warf. Ich war mit meiner Familie und dem grössten Teile meiner Habe aus Mexiko abgefahren und wollte nach Spanien zurückkehren, welches ich in meiner Jugend verlassen. Ein günstiger Wind hatte uns bis an den Ausgang des Golfes geführt, als wir von einem so furchtbaren Sturme überrascht wurden, dass alle Schifferkunst nichts gegen ihn vermochte. Der Lotse benachrichtigte mich, dass das Schiff sich überall mit Wasser gefüllt habe und nur noch die Schaluppe Sicherheit gewähre. Ich liess meine Reichtümer in Stich, um mein Weib und die sechs Kinder, die ich von ihr hatte, zu retten. Meine Diener trugen sie glücklich aus dem Schiff hinaus und ich stieg zu ihnen, ohne etwas anderes wie meine Matrosen und meinen Steuermann zu bedauern, die zweifelsohne in den Fluten umgekommen sind. Wir waren zu siebzehn in der Schaluppe und hatten einige Hoffnung, eine unbekannte Küste zu gewinnen, welche wir trotz der Finsternis zu entdecken vermeinten; doch das Meer trug unsere Last nicht lange. Ein neuer Ansturm der Wellen riss uns alle auf einmal in die Tiefe des Abgrunds. Meine Gattin kam dort mit vier meiner Kinder und acht unserer Diener um; mich sparte der Himmel für sehr viel längere Leiden auf. Es würde mir schwer fallen Ihnen zu sagen, durch welches Wunder ich aus den Fluten errettet wurde. Als ich wieder zu Bewusstsein kam, befand ich mich mit zweien meiner Kinder im Arm am Strande. Beide schauen Sie vor sich. Mein Sohn war zwölf Jahre alt und meine Tochter hatte das neunte eben vollendet. Ich hielt sie so an meine Brust gepresst, dass meine Arme mir nur mit Mühe gehorchten, als ich sie loslassen wollte. Vergebens suchten meine Augen ihre unglückliche Mutter und den Rest meiner armen Familie. Ich erinnere mich nicht mehr des Augenblicks, wo mich die Wucht der Wellen von dem trennte, welches mir das Teuerste war. Doch denke ich mir, dass die beiden Kinder, die ich rettete, mir am nächsten sassen und mich inmitten der Verwirrung und in äusserster Gefahr eine zärtliche Aufwallung nach ihnen greifen liess.

Ach, wenn ich den Himmel für meine Rettung segne, geschieht's nicht mit der Freude, die seine Wohltaten einem einflössen! Welchen Nutzen habe ich aus dem Wunder gezogen, das er an mir geschehen liess? Das Leben, welches er mir gelassen hat, lebe ich nur, um meine Verluste zu fühlen und um sie zu beweinen. Indessen hatte der Anblick der beiden Kinder, die mir blieben, die Kraft, meine Verzweiflung zu lindern. Stets hatte ich eine Vorliebe für sie gehabt. Ihre Tränen rührten mich und liessen mich daran denken, ihnen zu helfen. Als ich die Küste entlang eilte, um einige Fische zu suchen, die ihnen als Nahrung dienen konnten, bemerkte ich zwei im Wasser treibende Körper. In ihnen erkannte ich zwei meiner Diener. Sie schienen tot zu sein, aber ich unterliess doch keine Anstrengung um sie ans Ufer zu ziehen, und ich hatte die Genugtuung, sie beinahe zugleich die Augen aufschlagen zu sehen. Gerechter Himmel, es gefiel dir nicht, meiner Gattin und meinen teuren Kindern die gleiche Gunst zu gewähren! Mit welcher Glut forderte ich gleichwohl deine Güte heraus und wie viele Male wagte ich mir mit solcher Hoffnung zu schmeicheln!

Nachdem ich vierzehn Tage am Gestade zugebracht hatte, ohne es über mich zu vermögen, mich zu entfernen, stieg ich endlich, gefolgt von meinen beiden Leuten und meinen beiden Kindern, in die Berge. Wiewohl ich gar nicht wusste, in welchem Lande ich weilte, war mich doch noch nicht die geringste Furcht angekommen, es möchte wüst sein. So war ich, nachdem ich eine Strecke von mehreren Meilen zurückgelegt hatte, überrascht, auch nicht die Spur von einer menschlichen Niederlassung zu entdecken. Wir gelangten an den Rand dieses Sumpfes, wo es mir anfangs widerstrebte, etwas zu unternehmen, da ich nur einen sehr feuchten Boden und ihn auf der anderen Seite durch Berge eingesäumt sah. Dies letztere jedoch veranlasste mich, einen Uebergang zu suchen. Ich baute darauf, von dem Gipfel irgendeines Berges könnten wir in den benachbarten Ebenen Häuser und Bewohner erblicken. Mit vielen Mühen durchquerten wir den Sumpf. Die, welche wir aufwendeten, die Berge emporzusteigen, erschöpfte vollends unsere Kräfte. Als Nahrung blieb uns nur noch ein kleiner Bestand getrockneter Fische. Müdigkeit, Hunger, Trauer liessen mich tausendmal bedauern, dem tobenden Meere entronnen zu sein.

Nichts erblickten wir um uns, was uns hätte veranlassen können, die geringste Hoffnung zu schöpfen, und wir verbrachten den Ausgang des Tages in einer tödlichen Unruhe. Doch wie ich des Abends die Augen nach dem Innern des Gebirges wendete, schaute ich eine dünne Rauchwolke, die von keinem sehr weit entfernten Orte aufwirbeln musste. Wir beeilten uns diesem Hoffnungstrahl nachzugehen; das Geräusch, welches wir im Vorwärtsschreiten vernahmen, gestattete uns keinen Zweifel mehr, dass wir in der Nähe eines bewohnten Ortes seien. Tatsächlich waren es Leute, die dort hausten, aber so rohe und wilde, dass wir nur in unserem äussersten Unglück in der Begegnung mit ihnen ein Heil zu sehen vermochten. Sie waren erschreckt, als sie uns erblickten. Doch beruhigte sie unsere Unterwürfigkeit wie unsere kleine Zahl. In der Dunkelheit hatte ich nicht entdecken können, dass ihre Hütte nicht die einzige sei, wie ich anfänglich vermeint hatte; denn wenn ich mir gleich hätte denken können, dass ihrer auf der einen und anderen Seite so viele stünden, würde ich vielleicht erforscht haben, wem ich mich aussetzen wollte, indem ich mich in der Nacht genähert hätte, und die Klugheit würde mich veranlasst haben, uns erst am anderen Morgen vor ihnen zu zeigen. Ich hatte mich durch den Rauch täuschen lassen, den ich gesehen, und der meines Ermessens nur von einer einzigen Hütte aufsteigen konnte. Kurz, sei es Unglück oder Mangel an Einsicht, dieser unüberlegte Entschluss hatte den Fehl zur Folge, der mir heute Schande bereitet und den ich selbst nicht mehr mit der Notwendigkeit entschuldigen kann, die mich ihn begehen liess. Nur zehn oder zwölf Wilde waren in dieser ersten Hütte. Aber während ich mich bemühte, ihnen durch Zeichen klar zu machen, dass wir ihrer Hilfe bedurften, gingen einige fort, um ihre Nachbarn von unserem Kommen zu benachrichtigen. Im Nu waren wir von einer Menge dieser Wilden umgeben; und der Lärm, den man draussen machte, liess darauf schliessen, dass sie in noch viel grösserer Zahl dort seien. Sie taten uns keine Gewalt an, aber ihre Bewunderung machte sich in einer sehr zudringlichen Weise kund. Meine Tochter, die damals alle Anmut und Reize der Kindheit besass, zog besonders ihre Blicke auf sich. Ihr Kleid bestand aus einem Goldbrokat, welchem das Meerwasser keinen Schaden getan hatte, und ihr Kopfputz, der mit Diamanten geschmückt war, hob noch ihre natürliche Schönheit. Ich hielt sie an der Hand und sprach ihr Mut ein, als sie mir durch einige wilde Weiber entrissen wurde, ohne dass ich mich einem Tun, dessen ich mich am wenigsten versehen hatte, widersetzen konnte. Mich durchliefen in diesem Augenblick Gefühle, wie sie wohl nur von einem Vater empfunden werden können. Ohne mich zu besinnen, stürzte ich mich mitten in die Menge. Im Laufen warf ich sieben oder acht Wilde nieder. Holte meine Tochter ein und nahm sie in meine Arme. Niemand hinderte mich an meiner Bewegung. Ich glaubte im Gegenteil an dem Gemurmel aller Zuschauer zu merken, dass sie das Unterfangen ihrer Weiber verurteilten; vielleicht hatten diese nichts weiter geplant, wie ein Kind zu liebkosen, das sie liebenswert fanden. Doch väterliche Zärtlichkeit beruhigt sich so leicht nicht wieder. Meine Einbildungskraft malte mir alsbald alles aus, was ich für meine Tochter zu befürchten hätte, und in der Wallung solchen Gefühls fasste ich einen abscheulichen Plan, den ich ohne Säumen mit ebensoviel Glück wie Gottlosigkeit ausführte. Ich stellte meine Tochter mitten in den Kreis, den die Wilden bildeten, warf mich vor ihr auf die Knie und befahl meinem Sohn und meinen beiden Dienern ein Gleiches zu tun. Faltete meine Hände, neigte mein Gesicht zur Erde und stimmte ein langes Gespräch im Gebetston an, kurz, ich versäumte nichts von dem, was den Anschein einer wahrhaften Anbetung haben konnte, um meine Tochter als eine Gottheit hinzustellen. Da die natürlichen Regungen unter allen Menschen gleich sind, zweifelte ich nicht, dass die Wilden einen Gegenstand anbeteten; sie begriffen nun auf einmal, dass meine Feierlichkeiten eine Anbetung vorstellten, und ich schmeichelte mir ihnen eine diesem Glauben entsprechende Verehrung einzuflössen.

Mit Augen, die ihre Ueberraschung kündeten, sahen sie mich einige Zeit über an; aber ich bemerkte bald an ihrem Schweigen und ihren andächtigen Gebärden den Eindruck, welchen mein Kunstgriff auf sie gemacht hatte. Tatsächlich sah ich sie nach einem kurzen Gemurmel, durch das sie sich wahrscheinlich ihre Gedanken mitteilten, auf die Knie sinken und meiner Tochter dieselbe Ehrerbietung wie ich bezeigen, wie wenn sie das ihr eben zugefügte Unrecht wieder gutmachen wollten.

Dies ist das erste der Verbrechen, welches mich mein böses Geschick begehen liess. Ich habe Ihnen in der Hoffnung ein Geständnis davon abgelegt, dass der Himmel diese freiwillige Demütigung für einen Beweis meiner Reue ansehen möge.

Es war mir hinterdrein ein leichtes, die Wilden in dieser selben Meinung verharren zu lassen; und der zweite Vorteil, den ich daraus zog, war, dass sie mich nach meiner Tochter am meisten achteten und ehrten. Und diese Neigung hat bei ihnen seit fast neun Jahren nicht nachgelassen. Ich muss Ihnen auch bekennen, dass ich zur besseren Ausführung meines Unterfangens, vom ersten Augenblick an Sorge trug, meine Tochter keine Nahrung öffentlich zu sich nehmen zu lassen, und sie hat solches Gebot stets streng einhalten müssen; die Wilden, leicht zu täuschen, waren mühelos zu überzeugen, dass sie lebe, ohne Nahrung zu sich zu nehmen.

Als ich in der Folgezeit merkte, dass sie eine besondere Verehrung für Feuer hatten, benutzte ich solche Verblendung, um das Band zu befestigen, welches uns an sie knüpfte, indem ich manchmal ein grosses Feuer auf dem First der uns eingeräumten Hütte ansteckte. Sie ermangelten nicht zu glauben, dies sei ein Bündniszeichen zwischen ihrer alten und neuen Gottheit. Auch noch die seltsame Kleidung, die Sie an meiner Tochter schauen, erhielt sie von ihnen. Sie trugen jeden Tag Sorge, einen neuen Schmuck hinzuzufügen; und die Zartheit ihrer Gesichtsfarbe, die Sie nach einem neunjährigen Aufenthalt an einem solchen Ort, wie wir ihn verlassen haben, in Erstaunen setzen wird, verdankt sie ihrer beständigen Sorgfalt, sie vor den leichtesten Unannehmlichkeiten der Luft und der Jahreszeit zu schützen.

Ich will mich nicht mit der Beschreibung von Jener Sitten und Gebräuche aufhalten, die nichts Aussergewöhnliches an sich haben, und die Sie von anderen Wilden kennen. Ihr Stamm ist nicht sehr volkreich, welches mich glauben lässt, dass er nicht sehr alt ist, und dass seinen Gründer der Zufall wie mich in die Berge geführt hat. Einfältig wie sie sind, war es mir, auch als ich ihre Sprache erlernt hatte, nicht möglich mir die geringste Klarheit darüber zu verschaffen. Nicht besser wussten sie, ob ihr Land eine Insel, noch wie sein Name, noch von welcher Ausdehnung es sei; ich hörte vorhin zum erstenmal von Ihren Gefährten, dass ich auf Jamaika weile. Wenn Sie mich fragen, was mich so lange unter solchen Wilden zurückgehalten hat, so war es erstens die Unkenntnis dessen, was wir zu erhoffen hatten, wenn wir sie verliessen, und die Furcht, uns noch schrecklicheren Uebeln auszusetzen; zweitens aber würde es die Zartheit meiner Tochter nicht erlaubt haben, eine anstrengende Reise zu unternehmen, um ein unbestimmtes Ziel zu suchen. Ich war entschlossen wenigstens zu warten, bis sie zwanzig Jahre alt wäre. Soll ich noch einen anderen Grund hinzufügen, der uns vielleicht wünschen liess, Europa niemals wiederzusehen? Ich fürchte durch ein so schreckliches Bekenntnis der günstigen Gefühle verlustig zu gehen, die Ihnen unser Unglück einzuflössen vermochte; aber ich handle aus dem Beweggrund heraus, den ich Ihnen bereits angab.

Nachdem die Schönheit meiner Tochter sich mit den Jahren gesteigert hatte, bemerkte ich, als sie das zwölfte Jahr überschritten, dass sie eine grosse Anzahl der jungen Wilden mit anderen Augen anblickten, als sie es bis dahin getan hatten. Ich konnte mich nicht darin täuschen. Ihre Sorgfalt, ihre häufigen Besuche, gar die Eifersucht, die ich unter ihnen aufkommen sah, und mehrere blutige Fehden, die sich ihretwegen abspielten, liessen mich fürchten, dass eine rohe Leidenschaft ihre Ehrfurcht früher oder später ersticken würde. Damals dachte ich ernsthaft daran, den Ort zu verlassen. Doch um meinen Unglücksfällen die Krone aufzusetzen: ich wurde ernsthaft krank. Die Gefahr für meine Tochter deuchte mich sich dadurch äusserst vergrössert zu haben, denn wessen würde sie nicht gewärtig gewesen sein, wenn der Tod sie meiner Hilfe beraubt hätte? Ich glaubte mich gezwungen zu sehen sie zu verheiraten. Doch wehe, mit wem? Durfte ich eine Tochter, die ich mehr als mich selber liebte, einem elenden Wilden geben? Sollte ich sie einem meiner beiden Diener überlassen? Wie, die Tochter eines Mannes meines Ranges, die Gattin eines gemeinen Dienstboten werden? Dieser furchtbare Gedanke allein schon musste mich zur Grube bringen. Gedrängt von meinem Leiden und verstört in der Angst um meine Tochter, fasste ich den Entschluss, nachdem ich den Himmel unter strömenden Tränen angefleht, nachdem ich ihn zur Zeugenschaft für die grausame Notwendigkeit, in der ich verharrte, angerufen hatte, sie ihrem Bruder zu geben; so sehen Sie denn hier in ein und derselben Person Gattin und Schwester meines Sohnes.

Nicht so bald war meine Gesundheit wiederhergestellt, als ich meine Vermessenheit bitter bereute. Durfte ich so leicht all mein Vertrauen auf die Hilfe des Himmels verlieren, durfte ich ihn für weniger besorgt als mich halten, die Unschuld zu schirmen? Ich hatte nicht nur eine nicht wieder gutzumachende Sünde getan, sondern es lag nun auch nicht in meiner Macht, sie zu verhüten, denn meine Kinder nährten eine so heftige Leidenschaft eines für das andere, dass es mir unmöglich war, sie auf ihre Eigenschaft als Gatten verzichten zu lassen. Ich wundere mich manchmal über diese heisse Leidenschaft, die zurückzudämmen nicht mehr in meiner Gewalt stand. Dachte nach, ob die Natur empört sein könnte über einen Bund, der im Anbeginn der menschlichen Schöpfung notwendig gewesen sein muss; denn wäre es nicht so, verstünde man nicht, wie sich die Menschen hätten vermehren können. Aber ich bedurfte nicht langer Zeit, um mir wieder klar zu machen, dass, wie man auch die Vergangenheit deuten mag, dies heute göttlichen und menschlichen Gesetzen zufolge Sünde ist, ich also nicht unschuldig sein konnte. Wenn mir etwas als Entschuldigung gelten und mein Verbrechen in meinen Augen zu mildern vermochte, war es die Notwendigkeit unserer Lage, die nicht allzu verschieden von der der ersten Menschen war, denn ein unbesiegliches Gefühl des Stolzes erlaubte mir nicht, die Wilden und meine Diener als Menschen derselben Art wie mich anzusehen; infolgedessen war mein Sohn der einzige, welcher der Gatte seiner Schwester sein konnte, als mich die Sorge in einer grossen Krankheit zwang, sie einem von ihnen zu geben. Solcher Gedanke verringerte die Gewissensbisse ein wenig; aber er löschte auch meinen allernatürlichsten Wunsch, die Wilden zu verlassen, ganz aus, da ich diese Entschuldigung nur unter ihnen weilend aufrechterhalten konnte. Indessen gab es keine Rücksicht, welche mich heute nacht erwägen liess, ob ich die Gelegenheit ergreifen solle, uns wieder in Freiheit zu setzen. Ich hoffe einzig, dass Ehre und Religion Gründe von so grosser Stärke sind, meinen Sohn und meine Tochter einwilligen zu lassen, aufeinander zu verzichten. Und um damit zu beginnen, sie durch die Schande dazu anzufeuern, enthüllte ich in ihrer Gegenwart die volle Wahrheit unseres Abenteuers.

Es bleibt nur noch übrig, Ihnen das Ende unserer Sklaverei und die Ursache dieser Feuer mitzuteilen, welche Ihnen nach dem Berichte Ihrer Gefährten einigen Schrecken eingeflösst haben. Zwei Wilde, die gestern am Rande des Gebirgs jagten, bemerkten mehrere Ihrer Leute am Fusse der Berge und kehrten sehr entsetzt über solch Schauspiel nach Hause zurück. Sie verbreiteten ihre Angst in allen Hütten und es währte nicht lange, bis der Bericht davon zu mir kam. Ich merkte sofort, dass die Fremden, die sie gesehen, Europäer waren; es seien bekleidete Menschen, sagte man, wie ich es vor neun Jahren gewesen sei. All mein Blut floss bei solch süsser Nachricht schneller; ich dachte nicht mehr über den mir triftig erscheinenden Grund nach, warum ich fernerhin mich bei den Wilden aufhalten sollte. Würde auf der Stelle aufgebrochen sein, wenn das Nahen der Nacht mich nicht in Sorge versetzt hätte, dass wir uns in dem Sumpfe verirren könnten; gezwungen also bis zum anderen Morgen zu warten, wollte ich nichts unterlassen, was unsere Hoffnungen bekräftigen könnte. Es fiel mir bei, dass Sie sich vielleicht vor dem Tage entfernen möchten, daher überredete ich die Wilden zu ihrer Sicherheit alle die Feuer anzuzünden, die Sie auf den Bergen gesehen haben. Ausser dem Glauben, welchen sie in das Feuer als ihre Hauptgottheit setzen, wurde es mir leicht, ihnen einzureden, dass dies das einzige Mittel sei, Ihnen die Lust zu benehmen, sie anzugreifen. Sie beeilten sich in die Wipfel der Bäume zu klettern, um Ihnen Furcht einzujagen. Doch hegte ich im Gegenteil die Hoffnung, Ihre Neugier würde durch diese Brände erregt werden und Sie veranlassen, Ihren Abzug wenigstens bis zum Tage zu verschieben, um die Ursache hiervon zu erforschen. Ich war mit einem Haufen Wilder in einiger Entfernung, als ich die Büchsenschüsse hörte, die Ihre Leute im Gebirge abfeuerten. Sie erschreckten die Wilden tödlich, mich aber deuchten sie ein sicheres Zeichen für den glücklichen Wechsel meines Geschicks zu sein. Ich habe sie mit meinen Kindern verlassen, indem ich ihnen erklärte, ich wolle mich ihnen zuliebe der Gefahr aussetzen; war aber wohl versichert, sie niemals wiederzusehen und mich bald mit meinen Befreiern zu vereinigen, die ich wirklich am Rande des Sumpfes erblickt hatte!«

Diese Rede und die Dankbarkeitsbezeigung, von der sie begleitet war, riefen ein edelmütiges Mitleid in den Herzen der Engländer hervor. Sie standen von ihrem Vorhaben, aufzubrechen, nicht ab, da sie keine Ursache hatten, sich veranlasst zu sehen, die Wilden zu beunruhigen; doch auf Bitten der Spanier feuerten sie eine Salve ab, um die beiden Diener, die im Gebirge geblieben waren, zu benachrichtigen, wo sie ihren Herrn zu suchen hatten. Man sah sie bald hernach anlangen. Die Wilden waren nach ihrem Berichte sehr aufgeregt über das Geräusch gewesen, das sie gehört. Mister Morton schlug den Weg nach der englischen Kolonie ein, wo die Spanier auf das liebenswürdigste und hilfsbereiteste aufgenommen wurden, bis sie Gelegenheit fanden nach der Insel Sankt Dominika zu reisen.


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