Abbé Prévost d'Exiles
Geschichte der Donna Maria und andere Abenteuer
Abbé Prévost d'Exiles

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Triumph einer Frau über einen Gegner ihres Geschlechts

Eine zärtliche, aber mit sehr herrischem Gemüt begabte Frau schrieb folgendermassen an ihren Liebhaber, auf dessen Antlitz sie ein Zeichen von Kummer bemerkt hatte: »Sie sind traurig, und ich weiss nicht weshalb. Etwa weil ich Herrin Ihres Herzens bin? Sagen Sie mir, worum es sich handelt. Ich will sehen, ob ich Ihnen gestatten kann, traurig zu sein; solange ich aber auf Ihre Antwort warte, verbiete ich es Ihnen, zu sein!«

Man fragt sich, soll ein Mann von Ehre und ein vernünftiger Mann, wie gross seine Leidenschaft auch ist, seiner Geliebten solche Herrschaft über sich einräumen und von ihr die Regelung seines Benehmens abhängen lassen? Diese Frage scheint wichtig genug, um sich mit ihr zu beschäftigen, und vor einiger Zeit geschah es, dass die grossen Geister Londons, und viele Leute eines Landes, wo die Nachgiebigkeit Frauen gegenüber keine Grenzen kennt, es nicht unterliessen, sich gegen sie zu erklären. Ihre hauptsächlichsten Gründe stützten sich auf den Wert des Mannes, der es ihm nicht erlaube, auf die Stellung des Oberen und Herrn, die ihm vom Schöpfer eingeräumt wurde, und auf die unumschränkte Notwendigkeit zu verzichten, welche für die Gesellschaft, will sagen, in gleicher Weise im Interesse der Frauen und Männer besteht, dass dasjenige der beiden Geschlechter, das von der Ordnung der Natur beauftragt ist, über die gemeinsame Sicherheit zu wachen, immer über das andere die unumschränkte Macht bewahrt; die eine so schwierige Sorge verlangt. Die Parteigänger der gegenteiligen Ansicht unterliessen es nicht, diese beiden Gründe türkische Schlussfolgerungen zu nennen, die zur Demütigung eines reizenden Geschlechts und zur Vernichtung der süssesten Vergnügungen führten. Die Zeitungen huben an, sich mit Schmähungen und ebensosehr mit Beweisen und Einwänden zu füllen, als der Zufall ein Abenteuer aufdeckte, das besonders den Hauptgegner der Frauen um sein Ansehen brachte, da es seine Unaufrichtigkeit vermuten liess.

Mylord L..., der grossen Anteil an diesem Streit genommen hatte, war auf dem Landbesitze eines seiner Freunde und sah sich eines Tages, Schlaflosigkeit zufolge, gezwungen, mit der Sonne, das heisst so früh aufzustehen, dass er niemanden fand, der seinen Eifer nachahmen wollte; um sich nicht der Langeweile auszusetzen, entschloss er sich, einen kleinen Spaziergang zu machen. Er kannte die Umgebung nur wenig, doch da er annahm, dass er sich an einem Orte, der nur einige Meilen fern von London liegt, nicht verirren könnte, überliess er sich unvermerkt dem Vergnügen, eines der schönsten Gebiete von Middlesex zu durchstreifen. Bekanntlich ist es eine der Eigentümlichkeiten Englands, zu allen Zeiten mit Grün bedeckt zu sein. Die Erde und Sträucher stritten sich um den Glanz dieser Farbe; und da alle Felder dort mit Hecken eingefriedigt sind, die nimmer des Blätterschmucks entbehren, hält man sie für ebenso viele Gärten, welche zu allen Jahreszeiten gleiche Lieblichkeit bewahren. Da es Mylord L... nicht unterliess, alle Richtungen einzuschlagen, wo er Oeffnungen sah, so entfernte er sich im Laufe einer Stunde sehr und merkte schliesslich, dass er denselben Weg nicht so leicht zurückfinden würde. Er lachte über seine Unklugheit. Als er indessen nach allen Seiten ausgeschaut hatte, bemerkte er in einiger Entfernung den Giebel eines Hauses. Er ging darauf zu, um seine Verwirrung sogleich zu beendigen. Er hielt es für eine Meierei und wollte sich dort einen Führer ausbitten. Doch bald unterschied er, dass es trotz der Einfachheit des Bauwerks irgendein Lusthaus sein müsse, und dass die einsame Lage seine Bewohner nicht gehindert habe, es mit aller Sorgfalt zu verschönern. Indessen sprach Sauberkeit und guter Geschmack dort mehr dafür als prunkvolle Ausstattung. Die Umgebung bestand nur aus Wiesen, so schön man sie sich nur vorstellen kann und die nur des Schmuckes der Natur bedürfen. Der Vorhof war eins der schönen Bowlinggreens, welche sich in England in aller Vollendung finden, sei es, weil das Gras dort an sich geeignet ist, sie zu bilden, sei es, weil die Engländer, die ihre Erfinder sind und einen anderen Gebrauch wie wir von ihnen machen, sich besser darauf verstehen, ihnen ein ständiges, sauberes Aussehen und die Frische zu geben, welche sie zu köstlichsten Spazierwegen macht. Der Hof war durch eine Mauer von dem Bowlinggreen getrennt und war nicht länger als die Fassade des Gebäudes, dessen ganzer Körper aus einem Pavillon bestand und durch zwei unregelmässige Kabinette verlängert wurde, die ihn auf jeder Seite abschlossen. An der Hoftür zeigten sich zwei lebende Lauben, deren Blattwerk von Blumen durchzogen wurde, und da sich daneben keine Stallung für Pferde und Wagen zeigte, musste man diesen Teil für die Gartenseite des Hauses halten. Der Lauf der Erzählung wird zeigen, woher man diese Beschreibung nahm. Mylord L... bewunderte einige Zeit über den schönen Ort, war nicht minder überrascht über die Stille, die er dort herrschen sah, und betrat eines der Kabinette am Tore, um sich hier einen Augenblick auszuruhen. Kaum hatte er dort Platz genommen, als er am Rande des Bowlinggreens eine junge Dame erblickte, die allein aus den Wiesen kam und sich dem Hause näherte. Man erwartet vielleicht eine Beschreibung ihrer Schönheit, die dergestalt war, dass man damit nicht so bald zu Ende kommen würde; doch es möge genügen, sie als eine der schönsten Frauen der Welt zu bezeichnen. Sie war mit mehr Nachlässigkeit als Einfachheit angezogen, denn ohne den mindesten Schmuck war ihre Kleidung kostbar und die Unordnung selbst, in der sie sich zeigte, gab ihr ein vornehmes Aussehen durch den geringen Wert, welchen sie auf Schmuck zu legen schien. Ihr Kopf war mit einem runden englischen Hute bedeckt, die, wie man wohl weiss, weder der Schönheit der Hautfarbe, noch den strahlenden Augen Abbruch tun. Sie trug in einem Korbe verschiedenerlei Blumen, die sie in den benachbarten Feldern gepflückt hatte, und da sie sich von niemanden gesehen glaubte, ging sie langsamen Schrittes, wie in einer tiefen Nachdenksamkeit versunken.

Die Bewunderung des englischen Edelmanns konnte sich nur steigern; er beschloss, sich in dem Kabinett verborgen zu halten, um sich ungezwungener solch eines schönen Bildes zu erfreuen. Sein Plan war, zu warten, bis die Dame eingetreten sei, und jemanden zu suchen, der ihm ihren Namen angeben könne. Die Ermüdung nach einem langen Spaziergange jedoch zwang sie selbst, sich bei der Ankunft an der Tür auszuruhen. Sie setzte sich in das zweite Kabinett, ohne zu bemerken, dass das andere besetzt sei. Nachdem sie sich einige Augenblicke an ihren Blumen erfreut hatte, kramte sie eine Stickerei hervor, die ebenfalls in ihrem Korbe lag, und begann mit ziemlicher Aufmerksamkeit daran zu arbeiten; doch plötzlich, scheinbar ganz von selber von neuen Gedanken erfasst, wurden ihre Hände unbeweglich, ohne ihre Arbeit sinken zu lassen, und sie überliess sich völlig ihrer Geistesabwesenheit. Eine Viertelstunde verstrich, ohne dass sie einen Augenblick von dem Gegenstande ihrer Nachdenksamkeit abliess. Endlich warf sie ihren Stoff in den Korb, spannte die Arme aus, wie man es tut, wenn man vom Schlaf erwacht, und hub mit leidenschaftlichem Tone an, einige Verse einer englischen Tragödie aufzusagen, deren Sinn solcher ist: »Dieser kleine Platz auf Erden hat mehr Reiz für mich, als meines Vaters ungeheure Staaten. Die Grenzen meiner Verlangen sind noch enger als die meiner Blicke. Man suche nicht das Glück draussen wenn man es in sich selber finden kann und in dem, was man ohne Teilung und Unruhen besitzt usw.Sie stehen in einer Tragödie, die Oroonoko heisst, welche um der Macht ihres Gefühls willen recht geschätzt wurde.

Mylord L... war ebenso erstaunt über das Gehörte, wie über alles, was er vernommen hatte, und vergass, dass ihn die geringste Bewegung verraten musste. Ein Geräusch, das er, ohne daran zu denken, verursachte, benachrichtigte die Dame, dass sie belauscht wurde, und führte sie sofort her, um zu erfahren von wem. Sie erblickte Mylord, der nicht so gestaltet war, um ihr Schrecken einzujagen; und ihn an manchen Zeichen als einen vornehmen Mann erkennend, nahm sie seine Entschuldigungen, sie unterbrochen zu haben, höflich auf. Die Unterhaltung spann sich durch die Schilderung seiner Unruhe fort, in der er sich auf dem Wege befunden habe, und der Verwirrung, in der er noch sei, weil er sich nicht wieder nach seinem Ausgangsorte zurückzufinden wisse. Sie war so höflich, ihm Erfrischungen anzubieten. Sie anzunehmen, liess er sich nicht drängen. Das Tor tat sich auf und alles, was er beim Eintreten erblickte, versicherte ihn der Ansicht, die er sich über diesen prächtigen Wohnort gebildet hatte. Der Hof war, seiner Abgrenzung und Verschönerung durch Grün zufolge, eine andere Art Garten. Mehrere Statuen vollendeten seine Zierde. Was das Innere des Hauses anlangte, so war nichts schöner angeordnet als die Verteilung der Gemächer und nichts sauberer und geschmackvoller als ihr Hausrat.

Nach einigen still gegebenen Befehlen zauderte man nicht, ihm ein ebenso köstliches Frühstück vorzusetzen, als ob es bereitgestanden hätte, um aufgetragen zu werden. Die sich zeigenden Dienstboten waren in nur kleiner Zahl vorhanden; es waren zwei Frauen und ein kleiner Mohr; doch liess ihr Aussehen und ihr Anzug nichts zu wünschen übrig. Die Unterhaltung drehte sich anfangs um die Vorzüge solch einer schönen Zurückgezogenheit und um den glücklichen Zufall, der eine so unvorhergesehene Frühstücksgesellschaft herbeigeführt hätte. Mylord L..., ebenso ehrfurchtsvoll wie erstaunt, wagte nicht, sich darüber auszulassen, was seine Bewunderung noch weit mehr reizte. Seine Gefährtin aber, die unschwer merkte, was in seinem Innern vor sich ging, und bereits beschlossen hatte, sich an seiner Ueberraschung und Neugier zu weiden, fing als erste von sich selber und der Lebensweise, die sie in dieser Zurückgezogenheit führte, zu sprechen an. Sie erklärte ihm, dass sie hier seit drei Jahren allein lebe, und sich ebenso glücklich wie am ersten Tage fühle. Mit Hilfe der Philosophie, welche ihr beständiges Studium bilde, habe sie sich von den Schwächen ihres Geschlechts freimachen und sich ein der Beneidung würdiges Los schaffen können; sie kenne nichts auf der Welt, was ihr die Verwirrungen der Furcht oder die Ungeduld der Wünsche zu bereiten vermöge; Lektüre, Spaziergänge, Malerei und Musik bildeten ihre Hauptbeschäftigungen und liessen ihr keinen freien, leeren Augenblick, der durch andere Vergnügungen ausgefüllt zu werden verlange; wenn er einen Teil des Tages mit ihr zu verbringen wünsche, würde er mit eigenen Augen sehen, wie sie ihre Zeit verbringe und welche Hilfe wider die Langeweile sie unaufhörlich um sich herum finde. Kurz, diese Rede, die all ihre Liebenswürdigkeit zeigte, welche den Hauptreiz ihrer Schönheit bildete, und die freimütige Art und Weise und die Freude, welche ihrem Benehmen die Genugtuung ihres Herzens aufprägte, machten solchen Eindruck auf den englischen Edelmann, dass er nicht im mindesten daran dachte, ihr Anerbieten, einen Teil des Tages mit ihr zu verbringen, zurückzuweisen, und auf der Stelle das Gelübde, sie nie in seinem Leben zu verlassen, abgelegt haben würde.

Man erhob sich; die Dame, um ihr Morgenkleid abzulegen, der Herr, um sie im Garten zu erwarten, wohin sie selbst ihn zu führen sich der Mühe unterzog. Er schaute, was seine Augen mehr als je befriedigte, die Schönheit der Gartenbeete, die Mannigfalt der Blumen, alle Ausschmückungen, die angewendet waren, um den Garten zu verschönern, die Laubengänge, deren schöne Verhältnisse sich mit der Frische und Sauberkeit um den Vorrang stritten. Indem er sich dort allein erging, dachte er über die ungewöhnliche Begegnung und die Folgen nach, die sie in ihm nach sich ziehen wollte. Sein Herz fühlte bereits, wie schwierig es sei, bei einem so reizenden Wesen ebenso ruhig und frei wie sie zu weilen. Doch war das nichts im Vergleich zu dem, was er empfand, als er sie in dem galantesten Gewande und mit allem geschmückt erscheinen sah, was ihre natürliche Schönheit noch heben konnte; er hielt sie weniger für eine Sterbliche als für die Göttin eines Ortes, den er bereits mit dem Olymp verglichen hatte. Sie bemerkte seine Verwirrung anscheinend nicht, und nachdem sie ihn zur Rückkehr in den Salon eingeladen, führte sie ihn in verschiedene Gemächer, wo sie ihn eine Sammlung der besten Bücher und eine Anzahl guter Gemälde sehen liess, deren mehrere von ihrer Hand waren. Darauf öffnete sie die Tür zu einem Nebensaal, und bat ihn, dort Platz zu nehmen, während sie zu seinem Vergnügen ein kleines Konzert zu geben begann, das aus einem Klavier, welches sie spielte, aus einer Violine, die ihr Mohr in leidlicher Weise handhabte, und zwei Singstimmen bestand, die ihre beiden Frauen übernahmen. Sie liess ihn tatsächlich die schönsten neapolitanischen und Mailänder Kompositionen hören. Ihre Frauen sangen mit sehr viel Sauberkeit und Schulung und sie selber sang einige Soli mit allem nur erdenklichen Geschmack und Anmut.

Das Entzücken hatte seinen Höhepunkt noch nicht erreicht. Es setzte sich in gleicher Weise beim Mittagmahle fort, das nicht leckerer sein und mitten in London nicht besser aufgetragen werden konnte; Mylord, der durch Gewöhnung vertrauter geworden war, beschwor seine Gefährtin, ihn über diese Fülle von Wunder aufzuklären, und ihn wenigstens wissen zu lassen, wem er solche Gunstbezeigungen zu danken habe. Einige Male glaubte er, ihr Gesicht schon gesehen zu haben. Als er besonders die Zeit, die sie in der Einsamkeit verbracht, mit der Erinnerung an das Erlebnis der Tochter des M... vor drei Jahren verglich, welche mit dem Haushofmeister ihres Vaters aus London verschwunden war, zweifelte er nicht, dass sie die Dame sei, welche ihrer Ehre und ihrem Glücke die Genugtuung ihres Herzens vorgezogen habe. Doch dachte er auch daran, dass er diese niemals so nahe gesehen hätte, und fürchtete, die, welche ihn mit so viel Güte behandelte, durch eine Mutmassung zu beleidigen, welche er nicht mit dem Schwung ihres Geistes und ihrer Gefühle in Einklang bringen konnte. Nichtsdestoweniger liess er einige Andeutungen fallen, deren Sinn sie seines Ermessens verstand. Sie errötete. Er drückte sich verständlicher aus; und als sie ihn von einem Haushofmeister und dessen Glück, der Tochter eines der ersten Edelleute Londons gefallen zu haben, sprechen hörte, erklärte sie das Abenteuer für eine schändliche Erfindung, beklagte sich über die Böswilligkeit der öffentlichen Meinung, die alles mit Hohn oder Verleumdung bewerfe, und brach plötzlich das Gespräch über diesen Gegenstand ab, als sie bemerkte, dass sie sich seinetwegen in einige Hitze geredet habe.

Mylord beeilte sich, ihr seine Entschuldigung zu sagen. Sie nahm sie huldvoll an, indem sie mit List seinen Argwohn zu zerstreuen suchte. Er entgegnete nichts, was darauf schliessen lassen konnte, dass er in ihm verharrte; denn in welcher Weise sich auch die Angelegenheit des Haushofmeisters gestaltet haben mochte, er blieb überzeugt, es mit der Heldin dieses Abenteuers zu tun zu haben.

Indessen hatte das Gespräch eine andere Wendung genommen. Da Mylord nichts Besseres zu erzählen wusste, als den Streit, welcher in London über die Herrschaft der Frauen entbrannt war, machte er den Eifer geltend, mit dem er für ihren Vorteil eingetreten und griff die Einwürfe ihres Hauptgegners auf das schärfste an. Als er ihn in seiner Schilderung namentlich angeführt, bemerkte er, dass dieser Name die Aufmerksamkeit der Dame errege und ihr Ueberraschung verursache. Sie ward begierig, die geringsten Umstande dieses Geschehnisses zu hören, und liess ihn alles wiederholen, was der an Angriffen wider ihr Geschlecht in den Schriften, die veröffentlicht worden waren, vorgebracht hatte. Und fragte ihn mehrere Male, ob es gewiss sei, dass sie von der von Mylord genannten Persönlichkeit herrührten. »Wie,« sagte sie mit einem Groll, den sie gar nicht einmal zu verbergen bestrebt war, »er hat behauptet, dass sich ein Mann nur voller Scham dem Willen einer Frau beugen dürfe? Er stellt uns als schwache, unvollkommene, leichtsinnige und launenhafte Geschöpfe hin, er behauptet, dass wir nur in Ketten gut sind zum Vergnügen und zur Freude der Männer, die uns gefangen halten? Er zweifelt, dass wir eine verständige Seele haben; dass, nachdem wir zur Fortpflanzung des Menschengeschlechts gedient, unser Los nur darin besteht, in dem Manneskörper wieder die Form der Rippe einzunehmen, aus der wir erschaffen worden sind? Er schlägt der Regierung vor, uns jede Art Verkehr untereinander zu verbieten, weil unsere Laster ansteckend sind, und wir, uns so gegenseitig verderbend, dessen weniger fähig unter dem Joche sind, unter dem wir geboren? Er ist es, der den lächerlichen Vergleich zwischen uns und den Tieren zog, die in der Gesellschaft von ihresgleichen zahm werden, während wir in unserer launenhafter und unbezähmbarer würden, woraus er schliesse, dass man uns soviel wie irgend möglich in der Einsamkeit halten muss, um uns sanfter und liebenswürdiger zu machen? Wie? Er ist es? Mylord C ...?« So liess sie sich tausendmal dasselbe versichern; und als sie nach allen empfangenen Bestätigungen nicht daran zweifeln durfte, entfuhr ihr voll Bitterkeit die Aussage, dass er es bereuen solle.

Mylord L ... dachte nicht im entferntesten daran, den Grund einer solchen Heftigkeit zu erraten und hielt ihn für das besondere Interesse, welches eine Frau an der Ehre ihres Geschlechtes nehmen muss. In der Lust ihr zu gefallen, wendete er all seinen Geist auf, um eine so reizende Zwiesamkeit hinzuziehen. Man schien ihm nur mit beständiger Zerstreutheit zuzuhören. Ihr entfuhren sogar einige Male Seufzer, und Mylord glaubte, den schönsten Augen der Welt Tränen entrinnen zu sehen. Diese Unterhaltung währte lange Zeit, wiewohl sie den einen Teil ziemlich ermüdete, während sie auf den anderen sehr belebend wirkte.

Im Augenblick, wo sie sich dessen am wenigsten gewärtig waren, sahen sie in den Hinterhof, dessen Türe auf die Fahrstrasse mündete, auf die auch vom Speisesaal aus, in dem sie noch weilten, zwei Fenster gingen, eine Kutsche einfahren, deren Glasfenster klar genug waren, um einen Mann darin erblicken zu können. Mylord erkannte alsobald C ..., denselben Frauengegner, in ihm, dessen Einwände er zu zerstören sich bemühte. Die Dame zeigte mehr Genugtuung als Unruhe. »Kennen Sie ihn?« fragte sie, indem sie ihn anschaute. »Sicherlich,« antwortete er ihr, »es ist C ..., mein Gegner, und der Ihres Geschlechtes!« »Nun wohl,« fuhr sie, ihn unterbrechend, fort, »ich bin entzückt, dass er eher ankommt, als ich erwartete. Sie sollen eine Szene erleben, die Sie sehr erfreuen wird. Folgen Sie mir schnell nach,« fügte sie hinzu; und indem sie ihn bei der Hand nahm, liess sie ihn in ein Anrichtezimmer, welches nur durch einen dünnen Verschlag vom Speisesaal getrennt war, eintreten. »Verlassen Sie es nicht eher,« sagte sie, »als bis ich Sie selber dazu auffordere, und verlieren Sie kein Wort von dem, was Sie hören sollen!« Er begann die Wahrheit teilweise zu ahnen und entgegnete boshaft, dass er einem Wesen wie ihr nimmer das Recht der Allgewalt streitig machen würde und ihr unbedingten Gehorsam schwöre.

Mylord C ... hatte seine Kutsche verlassen und kam, ohne sich damit aufzuhalten, Erkundigungen bei der Dienerschaft einzuziehen, wie ein Mensch, dem die Hausgelegenheit vertraut ist, geradeswegs in den Saal. Er fand dort nur die Dame vor, welche sich in einem Sessel niedergelassen hatte, den sie nicht verliess, als sie ihn erscheinen sah. Diese Kälte und die Miene, die er an ihr erblickte, verwirrten ihn ein wenig. Da er sie indessen mit mehr Sorgfalt geschmückt sah, als sie es alle Tage war, ergriff er die Gelegenheit, um ihr einige Höflichkeiten über die Erhöhung ihrer Reize zu sagen, die sie ihren natürlichen Vorzügen damit verliehen hatte. »Sie ermüden mich mit einer so faden Verbindlichkeit,« hub sie zu ihm in einem harten Tone an, »ich will Ihnen sagen, was ich denke: Ihre Anwesenheit ist mir lästig. Ohne meinen Befehl dazu empfangen zu haben, verbot ich Ihnen, hierherzukommen. Wenn Ihnen diese Bedingung nicht zusagt, so kommen Sie doch niemals wieder!« Sie erhob sich nach solchen Worten und trat auf ein Fenster zu, indem sie sich bestrebte, ihm den Rücken zuzuwenden.

Es würde zu langwierig sein, diese Szene in all den Farben zu schildern, die sie interessant machen könnten. Doch man malt die Umrisse eines Bildes nur, es zu vollenden überlässt man der Einbildungskraft der Leser. Man stelle sich eine erzürnte Frau vor, die keine Gründe hat, zu heucheln, dass sie es nicht sei, und die in der Absicht, einen Liebhaber zu demütigen, dessen Tyrannei sie zu fühlen beginnt, ihrem Groll eine sichere und verächtliche Miene zu geben bestrebt ist. Auf der anderen Seite einen verliebten, jedoch durch die Gefälligkeiten einer leidenschaftlichen Geliebten verwöhnten Mann, der sich als Gebieter zu fühlen Veranlassung hat und nun im Zweifel ist, wie er eine so gänzlich neue Sprache, die er anfangs für Spott hält, auslegen soll, und der dann bestrebt ist, sie mit Anmassung zu unterdrücken, als er auf diese Weise aber einen üblen Erfolg erzielt, um sich ein Herz zu erhalten, das er zu verlieren fürchtet, nachzugeben beschliesst, und sich wider seinen Willen Gebote auferlegt sieht, die er selber zu geben gewöhnt ist. Er ward so weit gebracht, dass er, um ihre Gunst wieder zu erlangen, sich verpflichtet sah, fussfällig um Gnade zu flehen; er brach sogar in Tränen aus, die ihm, vielleicht im gleichen Masse wie die Liebe, der Zorn abpresste. Alles, was er zu erlangen vermochte, war indessen nur die Hoffnung, von der Zukunft Besseres erwarten zu dürfen. Einem unbedingten Befehle zufolge sah er sich auf der Stelle nach London zurückzufahren und zu versprechen gezwungen, der Liebe ebensoviel Ehrfurcht und Unterwerfung entgegenzubringen wie beim Beginn seiner Leidenschaft.

Sobald er fortgefahren war, befreite die Dame Mylord L ... unverzüglich aus seinem Gefängnis. »Sie haben alles gehört,« sprach sie zu ihm, »urteilen Sie, ob Ihr Gegner so gefährlich ist, wie Sie es gedacht haben. Doch da ich ihn gezwungen, sich fortzubegeben, kann ich Sie wohl anständigerweise nicht länger hier zurückhalten. Uebrigens wird es auch Nacht und Sie haben mindestens eine Meile zurückzulegen. Gehen Sie. Ich will Ihnen einen Führer geben. Doch vergessen Sie,« fügte sie hinzu, »nichts von dem, was Sie eben gehört haben, und unterlassen Sie es nicht, es zur Ehre meines Geschlechts allsogleich der Oeffentlichkeit kundzutun. Verschweigen Sie einzig meinen Namen, wenn Sie ihn zu kennen glauben!« Sie nötigte ihn hartnäckig zu solchem Versprechen und trotz aller inständigen Bitten, seine Anwesenheit noch länger zu dulden, führte sie ihn vor das Tor, wo er eine Sänfte und zwei Träger fand, denen sie ihre Befehle schon gegeben hatte. Er bat um die Erlaubnis, sie wenigstens wiedersehen zu dürfen. »Ich werde Sie nimmer verjagen,« entgegnete sie, »wenn Sie die Höflichkeit in mein Haus zurückführt!«

Mit grossen Schritten setzten sich seine Träger in Bewegung. Die Dunkelheit der Nacht erlaubte ihm nicht, sich den Weg einzuprägen; er nahm sich aber vor, die beiden Leute für sich zu gewinnen, um auf alle Fälle den Namen der Dame und ihren Aufenthaltsort von ihnen zu erfahren. Als er im Schlosse, wohin sie ihn brachten, angelangt, war sein erster Gedanke, sie unter dem Vorwande, sie sollten sich ein wenig ausruhen, zum Hineinkommen zu veranlassen. Scheinbar willigten sie ein; doch während man sie mit Lichtern erwartete, verschwanden sie listig, und alle angewendeten Mühen, sie einzuholen, waren nutzlos.

Wiewohl Mylord verzweifelt war, sich also in seinen Massnahmen getäuscht zu sehen, tröstete er sich mit der Hoffnung, seinen Weg anderen Tages wiederzufinden. Seinen Freunden verheimlichte er sein Abenteuer. Und kaum strahlte die Sonne am Horizont, als er sich dem Glück und der Liebe anempfahl und den Weg einschlug, den er am Abend verfolgt zu haben glaubte. Anfangs wanderte er mit ziemlicher Sicherheit, aber die Aehnlichkeit der Wiesen und die zahllosen Wege, die sich auf allen Seiten abzweigten, vereitelten seine Pläne bald. Er verwendete einen Teil des Tages zu fruchtlosen Bemühungen, bis ihn Ermüdung und Hunger zwangen, von seinem Vorhaben abzustehen. Kaum fand er sich hinreichend zurecht, um seinen Weg wieder zurückzufinden. Indessen entdeckte er mit einem Manne aus der Gegend, den er die folgenden Tage mit sich genommen hatte, schliesslich das Ziel, nach welchem er strebte. Es war am vierten Tage. Wie gross war aber seine Ueberraschung, als er das Haus leer und »Zu vermieten« an der Tür geschrieben fand! Er traute seinen Augen nicht. Er pochte an hundert Stellen an, immer noch vermeinend, man möchte mit seiner Verwirrung und Mühe ein Spiel treiben. Der Bewohner einer Nachbarhütte, an den er sich zu wenden genötigt sah, nahm ihm all seine Zweifel. Von ihm erfuhr er, dass die gesuchte Dame, welche drei Jahre lang dies Landhaus bewohnt, und die man nur unter dem Namen Missis Anna gekannt habe, ihr Haus vor zwei Tagen verlassen hätte und man nicht wisse, wohin sie sich mit ihrem Hausrate gewendet.

In seinem Kummer, sich so listig getäuscht zu wissen, blieb ihm kein anderer Trost, wie sein Abenteuer in London zu veröffentlichen, indem er nichtsdestoweniger das Versprechen, welches er seiner Heldin gegeben hatte, sie nicht mit Namen zu nennen, innehielt. Weniger Schonung liess er dem Helden gegenüber obwalten, der durch diese Erzählung so gedemütigt wurde, dass man ihn einige Wochen über aus den Augen verlor und ihn dann auf die Behauptungen, die er vertreten hatte, verzichten sah. So triumphierte also die Partei der Frauen, und ihre Herrschaft wurde bestimmter denn je.

Die Weisesten meinten indessen nichtsdestoweniger, dass es der Ordnung und dem grösseren Nutzen der Welt entsprechender wäre, wenn sich alles anders verhalte. Da aber dies Uebel sehr alt, sehr schwierig zu heilen ist und überdies viele Männer so schwach sind, es angenehm zu finden, scheint es besser zu sein, nachzugeben, um so mehr, als man bei den Vergleichen, auf die sich das schöne Geschlecht immer einlässt, das übrige, ohne sich zu beklagen, ruhig erdulden kann.


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