Abbé Prévost d'Exiles
Geschichte der Donna Maria und andere Abenteuer
Abbé Prévost d'Exiles

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Interessante Begebenheit in den Bergwerken Schwedens

Jedermann hat wohl von den berühmten Bergwerken Schwedens sprechen hören, in welchen sich, wie man versichert, ebenso regelmässige Wohnungen wie auf der Oberfläche der Erde befinden, die von einer grossen Anzahl Familien bewohnt werden, die ihre Vorgesetzten, ihre Richter, ihre Häuser, ihre Märkte, ihre Kaufläden, ihre Prediger und Kirchen haben, in welchen endlich nichts von dem fehlt, was die friedlichste und gesittetste Menschengemeinschaft einrichtet. In Wahrheit aber sind ihre Bewohner hauptsächlich Verbrecher, die durch eine Zwangsarbeit, nachdem sie ihren Schandtaten zufolge dorthin verbannt zu werden verdient haben, der Welt zum Nutzen gereichen. Doch wie man niemals Leute zurückweist, welche freiwillig in Bergwerken beschäftigt zu werden wünschen, so gibt es auch hier eine Menge ehrlicher Menschen, welche Armut oder Unglück zu solch mühseliger Arbeit gezwungen hat; und die Strenge der Gerechtigkeit, die alle Welt ihre Pflicht zu erfüllen zwingt, sorgt dafür, dass die Verbrecher denen dort keine Schwierigkeiten in den Weg legen, die nicht ihresgleichen sind.

Ein sich in Schweden aufhaltender englischer Reisender, der sich mit der Erforschung von alledem beschäftigte, was Geologie angeht, wünschte diese unterirdischen Wohnräume mit eigenen Augen kennen zu lernen. Nachdem er sich hierzu die Erlaubnis des Königs erwirkt, nahm er einen der englischen Sprache mächtigen Führer und fuhr mit Hilfe eines Triebwerkes in das berühmteste Bergwerk ein. Wie erwartet, fand er dort zahlreiche Vereinigungen des einen und des anderen Geschlechtes, jedoch in einem weniger blühenden Zustande, als er es sich nach den üblichen Berichten vorgestellt hatte. Ueberall schaute er nur das entsetzlichste Elend. Der Kleidung, den Löchern, welche er als Häuser hatte bezeichnen hören, den Nahrungsmitteln, allem merkte man den Schauder eines so entsetzlichen Gefängnisses an. Auch waren Trübsal und Blässe auf allen Gesichtern gemalt, und selbst die Vorgesetzten schienen sich nicht wohl in ihrer Lage zu fühlen. Besonders starken Eindruck machte der Anblick einer ziemlich gemächlichen Wohnung auf den Engländer, welche man ihm als eine der vorzüglichsten des Bergwerkes bezeichnete. Es war die des lutherischen Geistlichen, der nichts gespart hatte, um sie so angenehm, wie es die Sachlage erlaubte, herzurichten. Dieser empfing den Reisenden dort artig, und da er die lateinische Sprache völlig beherrschte, begann er ihm auseinanderzusetzen, was er dank Beobachtungen und Aufschlüssen durch geologische Wegweiser hatte erforschen können.

Während sie sich noch unterhielten, trat ein Weib tränenden Auges in die Behausung und sprach, nachdem sie sich dem Prediger zu Füssen geworfen hatte, unter allen Anzeichen eines lebhaften Kummers einige Zeit mit ihm. Der Engländer verstand nichts von ihrer Sprache; fand die Frau aber so schön und jung, dass er überrascht war, ein so liebenswürdiges Geschöpf an diesem Orte zu erblicken, und konnte kaum das Ende ihres Gespräches abwarten, um dem Prediger sein Erstaunen hierüber kund zu tun. Man teilte ihm ihre Lebensgeschichte mit, die sich solcherart abgespielt hat:

Die junge Person war in Upsala als Kind einer reichen und vornehmen Familie geboren. Ihre Eltern hatten sie mit einem ihr an Rang gleichstehenden Manne verheiraten wollen, aber die Liebe, welche Anordnungen nicht immer achtet, hatte ihr Herz in heissem Gefühl für einen Abenteurer entflammt, welcher sich in gleicher Stadt niedergelassen und alle Künste hatte spielen lassen, um sie zu verführen. Ohne geizig zu sein, war dieser Mensch äusserst lüstern auf das Gut anderer. Er hatte beträchtliche Reichtümer, die zum grössten Teil durch Betrug und Diebstahl erworben waren, gesammelt; doch ging er verschwenderisch mit ihnen um, und man wunderte sich nur, wie er bei so übermässigem Aufwand, zu dem ihn sein Geschmack am Vergnügen fortwährend verführte, Hilfsquellen zu finden vermochte, um seine Verschwendung wieder wettzumachen. Niemand noch hatte den geringsten Verdacht auf die geheimen Mittel gehabt, welche ihn den Ueberfluss behaupten liessen, als er sich veranlasst sah, mit seiner Geliebten, nachdem er sie bestimmt hatte, das Elternhaus zu verlassen, um ihm zu folgen, aus den Augen der Oeffentlichkeit zu verschwinden, da er ihre einflussreiche Familie schonen musste. Diese Vorsorge verriet ihn.

Das Dorf, in welches er sich zurückzog, wurde der Sammelplatz einer grossen Diebshorde, die ihm, als ihrem Oberhaupte, treulich alles, was sie durch Gewalt oder List erbeutet hatte, zuführte. Der Teilung der Beute folgte ein üppiges Mahl, zu dem die junge Frau, anfänglich nur ausnahmsweise, zugelassen wurde; da es aber unmöglich war, dass die regelmässigen Besuche so vieler Fremder und die Reden, welche diesen in der Hitze des Weines entschlüpften, nicht einigen Argwohn in ihr entstehen liessen, glaubte sich ihr Gatte nur seines Geheimnisses versichert, wenn er es ihr aus freien Stücken eröffnete. Das liess sie erbeben. Vielleicht bereute sie das Elend, in das sie sich gestürzt hatte. Doch ihre wahnwitzige Neigung, die stets auf gleicher Höhe verharrte, machte sie bald der Schande ihrer Lage und dem gegenüber blind, was sie in der Zukunft für sie befürchten musste. Gefühllos beteiligte sie sich selber an den Plünderungen, indem sie das Teilen und Verhehlen der Diebsbeute auf sich nahm.

Es gibt in Schweden weniger rege Verbindungen zwischen bewohnten Orten als in Frankreich, da das Postwesen dort nicht so ausgebildet ist; und diese Tatsache liess die Diebe hoffen, dass sie in einem abgelegenen Dorfe, wennschon es nur mässig weit von Upsala entfernt war, sicher verweilen könnten, bis ihr Oberhaupt die Genehmigung der Heirat bei den Eltern seiner Frau durchgesetzt hätte. Indessen hatte es der Himmel gefügt, dass sie ohne ihr Wissen den für ihre Sicherheit gefährlichsten Zufluchtsort erwählt hatten. Dieser grenzte nämlich an eine Besitzung, welche dem Vater der jungen Dame gehörte, und der Zufall liess diesem einige Geschäfte zukommen, die ihn nach dort führten. Von seinen Bauern vernahm er, dass man seit einigen Wochen eine zahlreiche Gesellschaft in der Nachbarschaft bemerke. Die Umstände liessen einige Neugier in ihm entstehen. Er verfügte sich des Abends dorthin und die Lust, das Geheimnis zu ergründen, verstärkte noch der Anblick mehrerer Männer von übelstem Aussehen, welche dort nacheinander ankamen; er verschaffte sich in der Verwirrung ziemlich glücklich Zutritt, um seiner Tochter zu begegnen und sie wiederzuerkennen. Ueberraschung und Zorn liessen ihm nicht Mässigung genug, um bis zur Aufklärung stillzuschweigen. Unter lebhaftem Lärm hielt er seine Tochter an. Warf ihr bitter ihre Flucht vor und wünschte zu erfahren, mit wem sie sich hier befände und aus welchen Gründen sie sein Haus verlassen hätte. Ihr Gatte, der wahrlich nicht säumte, ihn zurechtzuweisen, hielt sich für verloren, wenn er keine Gewaltmassregeln ergriffe. Liess ihn durch seine Trabanten festnehmen, um Zeit zu gewinnen, mit ihnen über die Art zu entscheiden, in der sie ihr Vorteil, ihn zu behandeln, verpflichtete. Da sie keinen Augenblick zweifelten, dass ihre Ränke völlig aufgedeckt werden würden, war der grösste Teil der Verbrecher der Ansicht, man müsse sich seiner entledigen, und ohne die Bitten und Tränen der jungen Dame, welche schliesslich das Herz ihres Gatten rührten, würde dieser Plan obgesiegt haben. Sie war sich nichts weniger der Gefahr bewusst, die sie und die ganze Schar lief, und da sie keinen anderen Rettungsweg erdenken konnte, stimmte sie dem neuen Vorschlag bei, den einer der Genossen machte, den lästigen Vater so lange in einer Art Gefängnis festzusetzen, bis sie andere Massnahmen getroffen hätten. Dieser Vorschlag schien ihnen um so sicherer zu sein, als man ihm die Aussage, dass er allein gekommen sei und sich niemand bei ihm befinde, abgezwungen hatte. So hofften sie, dass es ihnen nicht an Zeit fehlen würde, ihre Entschlüsse behutsam auszuführen. Sie ahnten aber nicht, dass seine Leute auf dem benachbarten Besitztume waren. Diese beunruhigte das Ausbleiben ihres Herrn, und da sie nichts Gutes hinter den nächtlichen Versammlungen mutmassten, zu denen ihn, wie sie wussten, seine Neugier geführt hatte, rotteten sie die Bauern, die von ihm abhingen, zusammen und begaben sich bewaffnet nach dem Hause des Diebes. Ihr Kommen aber verbreitete Schrecken, was sie nur in ihrem Misstrauen bestärkte, und sie verharrten dort alle, indem sie unter Drohungen die Herausgabe ihres Herrn forderten. Als dieser ihre Stimmen vernahm, machte ihn das so kühn, die seinige zu erheben. Die erkannten sie und machten, als sie von ihm erfahren hatten, in welcher Weise man ihn behandelte, ohne weitere Beschlüsse zu fassen, einen Teil der Räuber nieder. Kaum vermochte es ihr Herr über sie, dass der Rest geschont wurde. Da er nur annehmen konnte, es mit einer Räuberbande zu tun zu haben, war er nicht weiter um des Blutes willen beunruhigt, welches seine Leute zu seiner Rache vergossen hatten. Von den fünfundzwanzig Räubern, welche die Bande gebildet hatten, waren nur siebzehn, ihr Hauptmann und seine Tochter einbegriffen, übriggeblieben. Auf der Stelle liess er sie in die Gefängnisse Upsalas führen, welches nur etwa zwei Meilen entfernt lag. Da er sich indessen nicht auf einen Anhieb der väterlichen Gefühle zu entschlagen vermochte, nahm er seine Tochter mit sich, um sie nicht der Schande einer öffentlichen Bestrafung preiszugeben. Sehr schlecht aber ging diese auf seine Absichten ein, denn, wohl voraussehend, dass ihr Gatte das Gefängnis nur verlassen würde, um seine Strafe anzutreten, achtete sie ihr Leben für nichts, wenn sie es ohne ihn verbringen sollte. Sie entzog sich der Gefangenschaft, in welcher sie bei ihrem Vater gehalten wurde, begab sich nach dem Staatsgefängnis und bat dort, bei den Unglücklichen festgesetzt zu werden, als deren Mitschuldige sie sich bekannte.

In ganz Schweden erregte ein so wunderlicher Edelmut Erstaunen. Die Bewunderung steigerte sich noch, als sie, von den Richtern, welche den Dieben bereits das Geständnis ihrer Verbrechen abgepresst hatten, befragt, mit einer Entschlossenheit und Geistesgegenwart antwortete, welche die in Verwirrung setzte. Sie unternahm es ihren Gatten durch eine Menge Gründe zu rechtfertigen, deren hauptsächlichster angeführt zu werden verdient. Unter der Regierung Karls XII. leistete ein dänischer Ueberläufer, der in schwedische Dienste getreten war, dem schwedischen Heere einen ausgezeichneten Dienst. Der König, welcher gute Taten nimmer unbelohnt liess, befahl, diesen tapferen Soldaten vor ihn zu führen, und fragte ihn, nachdem er ihn mit Lob überschüttet hatte, durch welche Art Anerkennung er belohnt zu werden wünsche. »Sie können mich,« erwiderte der unverschämterweise, »ohne dass es Sie etwas kostet, glücklich machen und meinen Neigungen Genüge leisten!«

Aufgefordert, sich genauer zu erklären, gestand er, der Grund, weshalb er sein Vaterland verlassen habe, sei seine Furcht vor einer Bestrafung gewesen, die er für mehrere Diebstähle verdient habe; seit frühester Jugend habe er unwiderstehlich alles, was ihm vor Augen gekommen sei, rauben müssen, ohne diesen Hang durch irgendwelche Ueberlegungen unterdrücken zu können. Auch jetzt bestehe er noch in all seiner Macht und er wisse sich keine andere Gnade zu erbitten, als die Erlaubnis, ungestraft in dem ganzen weiten Schweden stehlen zu dürfen; mit der Einschränkung jedoch, dass er es, ohne Gewalt anzuwenden, zu tun verspreche, und der billigen Gerechtigkeit überliefert werden wolle, wenn er sein Versprechen ausser acht lasse. Die junge Schwedin versicherte, es habe dem Könige Vergnügen bereitet, ihm genugzutun, er habe ihn selber Sendschreiben befördern lassen, welche ihn vor Bestrafung schützten. Und daraus folgerte sie, dass Diebstahl ohne Blutvergiessen, wie ihn ihr Gatte stets betrieben, in Schweden für kein Hauptverbrechen gehalten werden dürfe, oder dass er zum mindesten in dem Falle, wo sich eine Person ihres Ranges dabei beteiligt finde, die Nachsicht verdiene, zu der König Karl das Beispiel gegeben. Was sie angehe, der man niedrige Handlungen werde vorwerfen können, so glaube sie sich, sagte sie, durch die Verbindlichkeiten und Pflichten der Ehe gerechtfertigt. Sie habe ihren Gatten geliebt, ohne um den unseligen Beruf, dem er sich ergeben, zu wissen, und nach dessen Kenntnisnahme sei es nicht von ihr abhängig gewesen, ihm ihr Herz zu nehmen, welches er übrigens dank seiner liebenswerten Eigenschaften verdiene. Und alles, was sie habe tun müssen, seien Ermahnungen gewesen, sich eines für sie und ihn würdigeren Lebenswandels zu befleissigen; und das habe sie nimmer unterlassen.

Diese Einwände waren dem Gerichtshof von Upsala gegenüber zu schwach. Die Diebe wurden samt ihrem Oberhaupt zur Bergwerksarbeit verurteilt. Einzig die Hochachtung vor dem Vater bestimmte die Richter, die junge Dame davon auszunehmen. Man führte den Vorwand an, in ihrem Stande als Ehefrau sei sie in ein Verbrechen verwickelt worden, an dem sie wider ihren Willen teilgenommen habe. In diesem Wortlaute wurde das Urteil gefasst. Aber weder Vorstellungen noch Gewaltmassregeln vermochten sie dahin zu bringen, von ihrem Gatten zu lassen. Sie benutzte die ihr zugestandene Freiheit nur, um sich nach dem Eingange in die Minen zu verfügen, durch den ihr Gatte schon mit seinen Mitschuldigen hinabgestiegen war; und in einem Entschluss, der alles schon Vorgebrachte an Erstaunlichkeit überbot, wartete sie, als sie sah, dass man Schwierigkeiten machte, sie in den Beförderungskorb, dessen man sich zum Hinabsteigen bedient, aufzunehmen, bis jemand hinabgelassen wurde und benutzte diesen Augenblick, um sich längs dem Seile hinabgleiten zu lassen, wobei sie sich die Hände zerfetzte und tausendmal Gefahr lief, sich in einem ebenso tiefen wie ungleichmässigen und dunklen Loche den Kopf zu zerschlagen. Es hing von ihrem Vater ab, andere Massregeln zu treffen, um sich dem zu widersetzen; und obwohl die die Entführung anlangenden Gesetze in Schweden minder streng sind als in mehreren anderen nordischen Staaten, hätte er wenigstens eine Ehe, welche jeglicher Art von Ordnung Hohn sprach, für nichtig erklären lassen können. Da die Ehre seiner Tochter jedoch rettungslos verloren war, verdross es ihn nicht, sie an einem Ort vergraben zu wissen, welcher sich nicht viel von einem Grabe unterschied.

Wenn auch ihr Gatte dort mit den mühseligen Arbeiten, die ja seine Strafe ausmachten, beschäftigt wurde, ward sie doch von seiten der Bergwerksvorsteher und des Predigers mit viel Liebenswürdigkeit und Hochachtung behandelt. Und mehr noch ihre Aufführung als ihre Herkunft verdiente solche Auszeichnung. Sie duldete ihr Unglück, ohne sich von ihm niederschmettern zu lassen, und zog aus den Umständen ihrer Lage jeden Nutzen, der dem Vernichter ihrer Ehre und ihres Glücks zum Trost und zur Linderung gereichen mochte. Der dem Prediger abgestattete Besuch und die Tränen, welche der englische Reisende sie hatte vergiessen sehen, hatten ein neues Missgeschick ihres Gatten zum Anlass, der, nachdem er einen Streit mit etwelchen Minenarbeitern gehabt und diese sehr misshandelt hatte, Gefahr lief, auf das strengste bestraft zu werden. Die inständigen Bitten aber, welche der Reisende mit den ihrigen vereinte, erwirkten ihr die erbetene Gnade.

Nur eine Bemerkung sei erlaubt. Man muss wahrlich glauben, dass ein Weib solchen Charakters ein Vorbild für ihr Geschlecht würde abgegeben haben, wenn es das Glück gewollt, dass sie sich mit einem ehrenwerten Manne verbunden hätte. So wird unsere Liebe fast immer entscheidend für das Wesentliche unserer Aufführung, besonders für die der Frauen, weil sie selten in sich selbst die Kräfte finden, führerlos den Weg des Lasters oder der Tugend zu gehen.


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