Rudolf Presber
Von Ihr und Ihm
Rudolf Presber

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Im Sand

Strand eines Ostseebades. Lang und schmal. Mittagshitze brütet auf tausend Strandkörben. Wie eine Kolonie plumper Riesenpilze ziehen sie sich am weißen Bande des Wassers hin. Farbige Halbkugeln quellen daraus, die Sonnenschirme der Damen. Hier und dort hängen ein Paar nackte Männerfüße mit melancholisch nach innen gebogener großer Zehe aus einem Korbe. Die Wälle der »Festungen« bröckeln in der Glut, und als feines Gerinnsel gleitet der Sand über die gelben Strandschuhe und weißen Hosen gelagerter Spießbürger, denen ein Strohhut überm Gesicht und ein aufgeklapptes Buch auf der seidengemusterten Leibbinde liegt. Die bunten Fähnchen und Wimpel hängen schlaff und unbewegt an schiefen Stöcken über unordentlicher menschlicher Faulheit. In den Hotels sind alle Fenster verhängt. Zuweilen flitzt das weiße Häubchen eines Zimmermädchens durch den Schlitz der Vorhänge, oder das Gold einer Portiermütze blitzt zwischen Koffern, Fahrplänen und Oleandern vom Eingang her.

Er und Sie klopfen mit flachen Holzschippen emsig den eben aufgeschütteten neuen Sandwall ihrer Burg fest.

Er ist ein achtjähriger, etwas blasser Junge. Schmalschultrig und mit den Merkmalen zu raschen Wachstums. Leinener Matrosenanzug. Unruhige dunkle Augen und kurze, breite Bubenhände. Er ist ganz beim Spiel und ganz beim Gespräch, beachtet die Vorübergehenden nicht und verliert nie das Gefühl, daß es eigentlich sehr nett von ihm, dem um ein Jahr älteren und dem männlichen, ist, allein mit diesem kleinen Mädchen zu bauen und zu konversieren.

Sie ist ein zierliches Blondinchen von sieben Jahren, schon mit dem Bewußtsein, daß ihr der breitrandige Strohhut gut steht; daß es eine Anmut der Geste gibt, und daß ihre gebräunten, nackten Beinchen Formen haben. Wenn Knaben oder jüngere Herren vorübergehen, hört sie mit der gröberen Arbeit auf und ordnet in gespielter Wichtigkeit mit spitzen Fingerchen irgendein Detail ihrer Toilette, als schäme sie sich ein wenig, sich so unordentlich den Blicken der Kenner zu präsentieren.

Er: Magst du dein neues Fräulein?

Sie: Nein, ich mag überhaupt keine Fräuleins! Mamas sind mir lieber.

Er: Ja, die sprechen nicht immerzu Französisch mit einem.

Sie: Aber Fräuleins haben nicht so viele Migräne. Da muß man immer still sein. Und soll Bücher ansehen. Und das sind immer dieselben Bücher. Gib mir mal deine Schippe, hier fällt Sand 'runter.

Er: Professors Franz sagt: er spuckt immer auf die Schippe, wenn's nicht hält. Dann hält's gleich, sagt er.

Sie: Och – Professors Franz! Ich soll nicht mit ihm spielen.

Er: Warum? Sein Vater macht Figuren aus Marmor, – so, weißt du, wie sie nichts anhaben und in den Gärten herumstehen. Und der Kaiser ist schon mal in seinem Atelier gewesen, sagt Tante Ida. Und Tante Ida weiß immer, wo der Kaiser gewesen ist, denn sie hat eine Hofdame zur Freundin.

Sie: Papa sagt, Figuren, die nichts anhaben, sind überhaupt nicht schön. Weil es gar nicht wahr ist, daß die Menschen nichts anhaben.

Er: So? Und die Mohren?

Sie: Das sind bloß halbe Menschen.

Er: Aber hier im Familienbad haben sie doch auch nicht viel an. Und sind keine Mohren.

Sie: O doch. Alle haben sie Anzüge an. Und die sind gestreift, weißt du. Und sobald etwas gestreift ist, ist's nicht unanständig.

Er: Aber dein Fräulein findet das Gestreifte auch unanständig. Gestern hat sie's gesagt. Weil's so fest anliegt, wenn's naß ist, hinten und vorn. Sie badet auch nie mit uns.

Sie: Nein. Und wenn sie sich abends auszieht, knipst sie immer erst das Licht aus, eh' . . . Paß auf, du zertrittst unsere Zugbrücke.

Er: Also, die hat gewiß krumme Beine.

Sie: Was? Die Zugbrücke hat . . .?

Er: Nein, dein Fräulein. Ich mag sie überhaupt nicht, weil sie einen Zwicker trägt. Und man weiß nie, wohin sie sieht. Wenn das eine Auge links ist, ist das andere schon rechts.

Sie: Mama sagt, so muß ein Fräulein sehen. Überallhin. Fast wie der liebe Gott.

Er: Ach geh, der sieht doch auch, wenn das Licht aus ist, und hat keine krummen Beine.

Sie: Glaubst du, daß der liebe Gott überhaupt Beine hat?

Er: Das weiß ich nicht. Aber Arme hat er, denn Papa sagt oft: Gottes Arm reicht weit. Professors Franz sagt, es gibt gar keinen Gott. Es gibt bloß Götter. Und die macht sein Vater in Marmor. Die haben alle Beine.

Sie: Ich weiß. Und die eine, die ist eine Frau von so einem Gott, weißt du . . . Sieh mal die Muschel, da ist eine Perle drin!

Er: Ach was, das ist bloß eine Warze von der Muschel. Das ist eklig. Unser Diener hat auch Warzen gehabt, und drum hat er immer Handschuh tragen müssen. Aber das wollt' er nicht im Sommer. Und jetzt ist er weg. Erzähl doch von der Frau von dem Gott!

Sie: Ja, denk mal, die war ausgestellt. Weißt du, so in einem Laden, wo die Leute hingehen, die so was kaufen. Und sogar in der Zeitung hat von ihr gestanden und von dem Professor.

Er: Wieso von dem Professor?

Sie: Der hat sie doch gemacht.

Er: Ach so, Franz sein Papa hat sie gemacht?

Sie: Ja. Und eines Tages – vorigen Sommer, nein, es war Herbst, es gab schon Bratäpfel – da hat mein Fräulein . . .

Er: Die mit dem Zwicker, die nicht gestreift baden will?

Sie: Aber nein, die andere. Die so schöne blonde Haare gehabt hat. Und gebadet hat sie immer mit uns. Und gespritzt hat sie sich mit Papa im Wasser. Bis Mama einmal zugesehen hat von der Brücke und hat gesagt: das schickt sich nicht.

Er: Ui! Läßt sich dein Papa das gefallen? Meiner nicht. Der spritzt, wenn er will. Und haben sie sich dann nicht mehr gespritzt?

Sie: Nein, dann haben sie sich nicht mehr gespritzt.

Er: Was war denn aber an dem Tag im Herbst?

Sie: Da hat das Fräulein dem Papa ein Blatt von einer Zeitung gegeben, und da waren Bilder drin. Und ein Bild war die Frau von dem Gott. Und das Fräulein war sehr aufgeregt und hat »du« zu Papa gesagt.

Er: Zu deinem Papa – »du«?

Sie: Ja, das hat sie oft getan, wenn sie aufgeregt war. Sie war so zerstreut, weißt du. Und dann haben sie Englisch gesprochen oder Amerikanisch.

Er: Amerikanisch –? Das gibt's doch gar nicht!

Sie: Doch gibt's! Sie haben's ja gesprochen. Immer haben sie's gesprochen, wenn sie miteinander gezankt haben.

Er: Das Fräulein – mit deinem Papa? Läßt sich dein Papa das gefallen? Meiner nicht. Der zankt allein, wenn er zankt.

Sie: Ach, mein Papa ist so gut. Manchmal hat er unser Fräulein auch gestreichelt, wenn sie geweint hat. Aber dann hat sie wieder Amerikanisch gesprochen und hat mich fortgeschickt, was holen.

Er: Hat sie's nicht leiden mögen, daß sie gestreichelt wird?

Sie: Das weiß ich nicht.

Er: Und was war mit der Frau von dem Gott auf dem Blatt von der Zeitung?

Sie: Das weiß ich doch nicht. Sie haben doch Amerikanisch gesprochen. Aber nachher hab' ich das Bild gesehen, wie Papa mit Mama gesprochen hat. Da war er sehr bös. Und sie hat geweint. Und ich hab' Schelte bekommen, weil ich ins Zimmer kam, ohne zu klopfen. Aber ich brauch' sonst nicht zu klopfen. Das braucht nur Fräulein. Und die hat's auch nicht immer getan. In Papa sein Zimmer ist sie ein paarmal gegangen, ohne anzuklopfen.

Er: Woher weißt du das?

Sie: Ich hab's doch gehört. Ich war doch . . . Papa sein Zimmer liegt doch neben . . . Nein, das kann ich nicht sagen. Das ist unanständig.

Er: Dann weiß ich's schon.

Sie: Du bist ungezogen. So was sagt man nicht.

Er: Ich hab's doch gar nicht gesagt. Nur gewußt hab' ich's.

Sie: So was weiß man auch nicht.

Er: Dafür kann man doch nichts, wenn man was weiß. Und du brauchst dich doch nicht zu schämen, daß du dort warst. Dafür kann man doch auch nichts. Bloß wenn man zu spät hingeht, ist's unanständig.

Sie: Pfui! Dazu bin ich doch zu groß.

Er: Und was ist denn gewesen mit dem Bild?

Sie: Ich bin doch aus der Tür geschickt worden.

Er: Aber du bist doch bei der Tür stehengeblieben.

Sie: Na ja.

Er: Und du hast doch große Ohren . . .

Sie: Also, bitte, ich hab' ganz kleine Ohren. Sehr schöne Ohren sogar. Meine Ohren sind genau wie meiner Mama ihre Ohren. Und der Professor, Franz sein Vater, hat einmal gesagt, Mama hat so schöne Ohren, wie er noch nie gesehen hat. Da war ich dabei.

Er: Also laß doch deine Ohren! Was hast du denn gehört an der Tür?

Sie: Papa ist böse gewesen und hat gesagt: Mama sieht dem Bilde so ähnlich.

Er: Im Gesicht.

Sie: Nein, sonst. Das Gesicht grad' nicht. Das Gesicht, hat Papa gesagt, hat der Professor jemand anderem weggenommen. Verstehst du das?

Er: Nein. Aber warum ist dein Papa bös, wenn deine Mama einer Frau von einem Gott ähnlich sieht?

Sie: Er hat gesagt . . . nein, das mag ich nicht sagen.

Er: Gott, mir kannst du's doch sagen. Ich sag's schon Franz nicht wieder. Ich mag ihn gar nicht. Er mogelt beim Murmelspielen. Und dann – er wäscht sich den Hals nicht. Bloß die Hände. Und nur morgens, nicht vor Tisch.

Sie: Bäh!

Er: Und warum ist dein Papa bös gewesen?

Sie: Er hat gesagt, das ist ein Skandal. Und er weiß alles, hat er gesagt. Und Mama hat geweint und hat gesagt, es wäre eine Gemeinheit, – wahrhaftig, das hat sie gesagt.

Er: Was wär' eine Gemeinheit?

Sie: Wieso was? Das weiß ich doch nicht. Und das Fräulein wäre an allem schuld, hat sie gesagt. Und es wäre überhaupt nur ihr Hals und ihre Schultern. Und das Fräulein wäre froh, wenn ihr Hals und ihre Schultern so in Marmor gemacht würden. Aber wer dem Fräulein seinen Hals und seine Schultern schön fände, der könne ja nichts in Marmor machen. Der könne bloß klatschen und verleumden. Und dann . . .

Er: Und dann?

Sie: Och, dann haben sie ganz leise weitergesprochen.

Er: Und was hast du durchs Schlüsselloch gesehen?

Sie: Pfui, ich guck' nie durch Schlüssellöcher. Das ist unanständig. Und dann ist auch das Fräulein aus dem Eßzimmer gekommen und hat mich am Haar ziehen wollen, weil ich durchs Schlüsselloch . . .

Er: Siehst du . . .

Sie: Aber es war doch gar nicht wahr. Und ich habe geschrien. Und hab' mit dem Fuß aufgestampft. Denn ich lass' mich nicht am Haar ziehen. Dann geht das Haar aus, und ich kann später auf den Bällen mit einer Glatze herumlaufen, wie Onkel Oskar, oder einen ganzen Haufen falscher Locken draufpappen, wie Tante Auguste. Denk dir . . .

Er: Ach, laß Tante Auguste! Papa sagt, die malt sich und geht deshalb nicht ins Wasser, weil sie sonst abfärbt. Was war dann, als dich das Fräulein am Haar zog?

Sie: Da kamen Mama und Papa aus dem Zimmer. Und waren sehr erschrocken. Und Papa sagte: »Nur keinen Skandal!« Und Mama sprach Amerikanisch mit dem Fräulein.

Er: Kann deine Mama auch Amerikanisch?

Sie: Mama kann alles. Der Professor hat mal gesagt: sie ist eine Fee.

Er: Wann hat er das gesagt?

Sie: Oh, schon lang. Jetzt kommt er gar nicht mehr. Und ich soll nicht mit Professors Franz spielen. Und wenn sie nicht morgen abreisten – gestern hat's mein Papa gesagt – dann reisten wir heute ab.

Er: Was denn, – heute reisen sie ab, der Professor und Franz? Gut, daß ich das weiß. Franz ist mir noch einen Groschen schuldig.

Sie: Den kriegst du nie zurück. Man soll überhaupt nichts ausleihen, sagt Mama.

Er: Der Franz hat doch versprochen . . .

Sie: Och – versprochen! Das ist schon was Rechts. Das Fräulein hat auch was versprochen, als sie wegging von uns, – ganz plötzlich, denk' dir, am Abend. Und ganz rotgeweint war sie, und die Koffer hat Mama ihr nachgeschickt am anderen Tag nach Italien, glaub' ich, oder nach Sibirien, – eins davon war's.

Er: Was hat denn das Fräulein versprochen?

Sie: Noch in der Korridortür hat sie sich umgedreht und hat gerufen, ganz laut, daß wir's alle gehört haben, wie sie's versprochen hat: »Sie sollen bald von mir hören!« Das hat sie gerufen.

Er: Und habt ihr denn nichts mehr von ihr gehört?

Sie: Nein. Oder doch. Kürzlich ist eine Dame gekommen und hat nach ihr gefragt bei Mama. Und die Dame hat gesagt, sie ist Witwe, – weil ihr Mann gestorben ist, weißt du – und sie will das Fräulein haben für ihre Kinder. Und das Fräulein hätte gesagt, sie solle nur bei Mama fragen, da werde sie Gutes hören von ihr.

Er: Und hat deine Mama Gutes gesagt von ihr?

Sie: Natürlich. Sie hat gesagt: »Oh, zu einer Witwe paßt das Fräulein sehr gut . . .« Aber du, guck bloß, aus dem Graben von der Burg von den Lehmanns da drüben – Papa sagt, es sind Piefkes – da kommt das Wasser aus.

Er: Ui, ja fein. Es hat den Damm gebrochen. Wie schmutzig das ist!

Sie: Es wird unsere feine Burg zerstören.

Er: Aber nein. Das tut nur am Anfang so wild. Das ist ja kein Meer. Das ist Brühe, die bloß Meer spielt. Das versickert schon im Sande. Sicher, so was versickert immer.

Sie (steigt auf den Wall, schürzt kokett die Röckchen und läßt das schmutzige Wasser vorbei): Etsch – Brühe, Brühe!

 


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