Rudolf Presber
Von Ihr und Ihm
Rudolf Presber

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Korrespondenz

Er und der Freund (sitzen sich in seinem Arbeitszimmer gegenüber).

Er: Du rauchst keine Zigarette?

Der Freund: Danke. Ich bin zu erregt. Und dann – mir machen diese Ägypterinnen am frühen Morgen immer Kopfschmerz.

Er: Du bist erregt? Was sollte ich da erst sagen?

Der Freund: Ja, allerdings – ich muß gestehen, deine Ruhe ist mir unfaßlich. Gestern abend – ich hatte mich ordentlich gefürchtet vor dem Gang zu dir. Wer konnte annehmen, daß die kleine Hortense Trepatini – übrigens: Cordelie sagt, das Mädel heißt eigentlich Minna Mückebusch . . .

Er: Wird schon stimmen. Übrigens: Hortense hat mir gebeichtet, deine Cordelie Cavaluzzo heißt eigentlich Kathinka Muffelmann. Auch nicht sehr romantisch!

Der Freund: Also – da lügt Hortense. Bestimmt. Cordelie ist Venezianerin –

Er: Aus Pankow, ja. Aber das ist nun wirklich egal. Cordelie ist nicht aus Neapel über die Alpen gekommen – Hortense ist noch viel weniger in Venedig geboren. Ich finde das übrigens gräßlich gleichgültig. Die Hauptsache ist: sie schreiben beide kein orthographisches Deutsch. Womit noch nicht bewiesen ist, daß sie ein Wort in einer anderen Sprache – zum Beispiel Italienisch – richtig schreiben.

Der Freund: Da muß ich denn doch bitten, meine Cordelie schreibt durchaus orthographisch, wenn das gute Kind nicht gerade sehr in Erregung ist.

Er: Möglich. Das gute Kind ist aber immer in Erregung. Auch das ist unwichtig. Ein unorthographischer anonymer Brief verliert aber schon etwas von seinem Gift und seiner Schärfe, weil er nach rachsüchtigen Domestiken riecht. Nach rissigen Händen, die Pfannen und Toilettengefäße tragen.

Der Freund: Ich muß dich aufmerksam machen – ich tat das gestern abend schon, bin aber in meiner begreiflichen Verstörung vielleicht nicht genügend deutlich gewesen – muß dich auf eins aufmerksam machen. Der anonyme Brief, den Hortense, wütend über deinen Abbruch der Beziehungen, an deine Frau richten wollte, ist nicht durch seine Schreibart, wohl aber durch seinen Inhalt gefährlich. Das erbitterte Mädel gibt doch ganz bestimmte Details darin, die leicht nachzuprüfen sind. Sagt zum Beispiel – –

Er: Erlasse mir die Beispiele. Ich werd's ja lesen.

Der Freund: Ich staune ob deiner Seelenruhe: Du liebst im Grunde deine Frau. Ich sagte noch gestern zu Cordelie, als sie mir unter dem üblichen Siegel die Gemeinheit ihrer besten Freundin erzählte – natürlich in der Absicht, daß ich dich umgehend warnen soll – sagte zu Cordelie: »Wenn seine Ehe dadurch in die Brüche geht, bringt er das Mädel um.«

Er: Dieses werd' ich bleiben lassen. Erstens, weil – selbst die Zubilligung mildernder Umstände angenommen – eine ausreichende Portion Zuchthaus auf so was steht. Zweitens, weil ich damit keinen Gegenbeweis erbringe. Drittens, weil ich kein Blut sehen kann. Viertens, weil ich dann nicht mehr die Möglichkeit hätte, gelegentlich deiner kleinen Cordelie bei einem Souperchen mich dankbar zu erweisen für die Warnung.

Der Freund: Warnung – Warnung – ich fand's ja selbst sehr nett von ihr; aber ich sehe nicht recht ein, was die Warnung noch helfen kann. Gestern abend – als ich zu dir kam – hättest du noch alles retten können. Hortense verlangte ja nur . . .

Er: »Nur« – daß ich sie aufsuchte und wieder von vorn anfinge. Was wäre dabei gewonnen gewesen? Zeit vielleicht. Aber wenig Zeit. Ich konnte ihre Goldplomben nicht mehr sehen. Und die affektierte Art, mit der sie die Artischocken knabberte. Und immer wieder die Geschichte von ihrem Bruder, der im Sudan gefallen – ich wette, sie verwechselt, wenn man ihr ein bißchen zuredet, den Sudan mit dem Sultan . . . Nein, nein, nein! Schon besser so.

Der Freund: Was heißt »so«? Nun ist der anonyme Brief – Hortense hat es meiner Cordelie telephoniert – schon im Kasten. Mit der zweiten Post, die in einer halben Stunde kommt, wird . . .

Er (nickt): – wird ihn meine liebe Frau ausgeliefert bekommen. Ohne Zweifel. Oh, man kann sich in solchen Fällen auf die Pünktlichkeit der reichsdeutschen Post durchaus verlassen. Aber die Post, weißt du, ist unparteiisch. Auch in Ehesachen. Unser Briefträger zum Beispiel – übrigens heißt der Wackere Pachulke, ist ein mordsbraver Kerl und hat fünf lebende skrofulöse Kinder –

Der Freund: Ums Himmels willen, was geht dein Briefträger und seine sieben Kinder –

Er: Fünf, bitte. Nicht den Ereignissen vorgreifen! Du willst sagen: was meine Briefangelegenheit sie angeht. Die Kinder nichts. Der älteste ist erst sechs Jahre. Aber den Vater. Siehst du, dieser brave Beamte hat mir heute Morgen – mit der ersten Post – auch einen anonymen Brief gebracht. Pünktlich und ohne Skrupel. (Er zieht einen Brief heraus.)

Der Freund (die Aufschrift prüfend): Du, das ist doch die Hand von – von meiner Cordelie?

Er: Meinst du? Möglich. Aber siehst du: wenn du und ich ahnen oder wissen, von wem dieser Brief ist, so kann er doch – er trägt keine Unterschrift – für dritte Personen durchaus anonym sein. Zum Exempel für Lili.

Der Freund: Für – deine Frau? Ich verstehe gar nichts mehr.

Er: So furchtbar schwer ist das schließlich nicht zu verstehen. Ich habe gestern abend – als du mit deiner erfreulichen Botschaft dich verflüchtigt hattest – ein bißchen nachgedacht. Das Resultat dieser ungewohnten Übung war: ich telephonierte nach einer Autodroschke und fuhr in die Münchener Straße zu Cordelie.

Der Freund: Zu – zu meiner Cordelie?

Er: Ja. Das heißt, vorher kaufte ich noch rasch ein Dutzend sechsknöpfiger Dänenhandschuhe – ihre Nummer kenn' ich ja. Diese dezenten Kleidungsstücke tauschte ich dann gegen ein kleines Schriftstück ein, das wir zusammen dichteten, ich und das liebe Kind. Ein Briefchen – dieses.

Der Freund: Was denn – du und Cordelie?

Er: Ganz recht. Wir beide. Das adressierten wir dann –

Der Freund (betrachtet verblüfft das Kuvert): – an dich? Ja aber –

Er (lauscht nach dem Korridor): Verzeih, ich höre meine Frau draußen mit der Jungfer reden. Nun wird sie gleich hier sein. Nimm mir's nicht übel – aber ich habe nur eine knappe halbe Stunde Vorsprung. Vielleicht gehst du – ausnahmsweise – hier über die Hintertreppe. Es ist wirksamer, sie sieht dich jetzt nicht. (Er gibt ihm Hut und Stock und schiebt ihn mit sanfter Gewalt nach der Seitentür.)

Der Freund: Wenn ich ein Wort von dieser ganzen Sache verstehe, heiß ich Hans Pips.

Er: Der Name ist unschön, aber so wirst du in ein paar Stunden bestimmt heißen. Ich komme zu dir und erzähl' dir alles. Verzeih den formlosen Abschied – und geh mit allen Göttern!

Der Freund: Ich gehe, weil du – – aber ich habe den Eindruck . . .

Er (ihn sanft hinausschiebend): Um Gottes willen, hab keinen »Eindruck«! Sonst suchst du wieder den Ausdruck und – –

Der Freund (schon draußen): Wenn du dich nur nicht . . . (Das Weitere ist unverständlich, weil leise gesprochen. Auch kaum mehr für ihn bestimmt. Mehr für Lisette, das hübsche Stubenmädchen, das dem Freund in den Pelz hilft und dabei, wie immer, die Erfahrung macht, daß man sich gründlich den Mund abwischen muß, wenn man einem Herrn in den Pelz geholfen hat.)

Sie (semmelblonder, blauäugiger, weicher Typ, der auf dem Hintergrund kleiner Pfarrhäuser echt deutsch und anheimelnd wirkt, in diesen üppigen Räumen aber ein bißchen deplaciert scheint. Sie ist im bieder zu Hause geschneiderten Morgenrock, noch ein bißchen verschlafen): Du hast schon Besuch gehabt?

Er: Besuch – ich? Ach so, ja, Heinrich. Der rechnet doch nicht.

Sie: Ging er, weil ich kam?

Er: Warum nicht gar! (Er geht mit sorgenvoll gerunzelter Stirn umher.) Allerdings – er weiß, du schätzest ihn nicht sehr.

Sie: Mein Gott, er ist klug und gebildet und höflich. Aber weißt du, seine Frau tut mir leid. Er betrügt sie, ich weiß. Er hat ein Verhältnis und – –

Er (dicht vor ihr, legt ihr die Hände auf die Schultern): Lili – sag das noch einmal – bitte – sprich es noch einmal aus, dieses Wort.

Sie: Aber was denn –?

Er: »Verhältnis.«

Sie: Nun ja – ich habe gesagt: Verhältnis.

Er (sie stürmisch an sich pressend): Nein, es ist nicht möglich – – Unsinn, aber ich habe es ja auch nicht geglaubt – du, du, Gute, Reine, Edle . . . Wie herrlich fremd und unwahrscheinlich dies häßliche Wort von deinen Lippen kommt! . . . Der sollte das hören – oder die, denn nur Weiber, verzeih, du Andersartige, sind fähig, solch schamloses Zeug . . . Aber beruhige dich, nicht den Bruchteil eines Augenblicks hab' ich geglaubt, daß . . .

Sie: Was hast du denn? Um Gottes willen, bist du krank? . . . Du hast wieder Trüffelpüree gegessen, Liebster, gestern abend – das solltest du nicht! Und dann alle die Nachtsitzungen Dienstag, Donnerstag, Sonnabend vorige Woche.

Er: Kind, du bist der reinste Kalender.

Sie: Aber das kann dir doch nicht bekommen. Gib doch diese Schriftführerstelle im Klub auf, du ruinierst dich ja.

Er: Oh, dieses treue Auge – nein, nein, daß es so gemeine Menschen gibt!

Sie: Aber was denn? Hast du Ärger gehabt . . .

Er (nimmt mit großer Geste den Brief aus der Tasche und überreicht ihn ihr): Da – nimm und lies! Ich will kein Geheimnis vor dir haben. So schmutzig es ist.

Sie (entfaltet und liest): ». . . muß Sie warnen . . . Ihre Frau . . . kokette Komödiantin . . . an der Normaluhr . . . angeblich bei Wertheim . . .« Das ist – ich bin sprachlos – das soll ich . . .?

Er: Du.

Sie: Keine Unterschrift? Anonym.

Er: Natürlich. Schurken und Verleumder unterzeichnen nie.

Sie (liest): ». . . kaum daß Sie das Haus verlassen haben . . . geschlossene Autodroschke . . . Dienstag, Donnerstag, Sonnabend vorige Woche.« Also ich kann beschwören . . .

Er: Schwöre nicht! Wie unedel müßt' ich denken – wie unvornehm handeln, wenn ich auch nur eine Frage . . . Richtet sich solches Geschreibsel denn nicht für jeden anständigen Menschen von selbst?

Sie: Also ich finde keine Worte . . .

Er: Suche sie nicht! . . . Lili, ich mag Fehler haben – still, Kind, ich habe sie – einen hab ich nicht: ich bin nicht kleinlich, nicht mißtrauisch, nicht unedel.

Sie: Du bist –

Er: Sag mir's nicht. Denk es. Denk es immer. Lili, sieh, was ich tue! Dies ist meine Antwort an einen Ehrlosen – an eine Ehrlose – eine Frau ist's sicher. So – so. (Er zerreißt mit großer Geste das Schriftstück und wirft's in den Ofen.) Erledigt, vergessen – aus! – (Ganz harmlos, behaglich im Ton.) Und wie hast du geschlafen?

Sie: Gut. Das heißt, ich hab' dich kommen hören, Armer. Es war wieder sehr spät . . .

Er: Leider. Wir berieten lange. – Aber du siehst blaß aus. (Er klopft ihr die Wange.) Blaß – du solltest mal ein paar Tage aufs Land.

Sie (mit den Tränen kämpfend): Oh, was würde wohl erst dann für ein abscheulicher Brief kommen.

Er (groß): Du glaubst doch nicht, daß ich jemals – jemals noch ein Kuvert, das jene Handschrift zeigt, öffne? Nie – nie – nie! Luft für mich – schlechte Luft. Meine Hand soll verdorren, wenn . . .

Sie: Oh, deine liebe, schöne, männliche Hand. Aber – – du meinst, es werden noch mehr solch abscheuliche Briefe – –

Er: Sicher. Das ist eine Krankheit der Seele, die solche Menschen befällt. Eine ganze Gruppe – wie eine Epidemie. Sie müssen schreiben, verleumden, besudeln. Aber nichts mehr davon! Zieh dich an, wir wollen ein bißchen an die Luft, ja? Lili – hm, was ich sagen wollte. – Ich sah gestern einen äußerst schicken Hut in der Tauentzienstraße, Lili, wollen wir sehen, wie seine Pleureusen deinem Köpfchen stehen . . .

Sie: Gustav, du bist –

Er (schließt ihr sanft den Mund): Nicht – sag mir's nicht. Denk es, denk es immer . . .

Lisette (mit einem Brief auf einem Tablett): Die zweite Post.

Er (gleichmütig): Für mich –? Es wird der Statutenentwurf sein.

Lisette: Nein, für die gnädige Frau. (Sie übergibt den Brief und geht.)

Er: So. (Er geht an den Tisch und entzündet sorglos eine Zigarette.)

Sie (hat den Brief kopfschüttelnd betrachtet, geöffnet und liest. Staunen, Schrecken, Zweifel, Abscheu wechseln in ihrem Gesicht, das aber durch keine dieser Stimmungsnuancen intelligent wird.)

Er: (harmlos, freundlich): Nun – was Angenehmes? Hoffentlich keine Einladung? Ich wäre so gerne mal abends mit dir allein.

Sie (von dem Brief zu ihm, von ihm zu dem Brief sehend, zögernd, kämpfend, plötzlich mit starkem Entschluß): Kennst du – – kennst du irgend jemand – eine Dame vielleicht – die »Cordelie« heißt.

Er: Cornelie?

Sie: Cordelie – mit d.

Er: Cor–delie? wart mal. Cor . . . Eine Tante meiner Mutter hieß so, ja. Sie lebte in Insterburg und bekam mit sechzig Jahren noch die Masern. Ja, es war ein sehr seltener Fall. In medizinischen Zeitschriften wurde davon geschrieben. Sie hat ihr Vermögen einem Dienstbotenheim vermacht. Das war edel von der Tante, aber nicht sehr angenehm für uns. Aber wie kommst du auf die Tante?

Sie (freudig): Ich sprach – nicht von der Tante. (Beschämt.) Gusti, kannst du mir verzeihen? Mir, die ich eben erst – deine Großmut, deinen wahrhaft vornehmen Charakter, deinen – –

Er: Nicht – sag mir's nicht! Denk es, denk es immer.

Sie: Ja, das will ich. Und nun. Wo ist der Ofen? Sieh, so – und so. (Sie zerreißt den Brief und wirft ihn in das Feuer). Und dann – Gusti, Mann, Liebster –

Er: Du bist so erregt . . .

Sie: Aber nein – glücklich bin ich. Glücklich wie eine Braut.

Er: Das ist recht. – Stand was Unangenehmes in dem Brief?

Sie: Nein. Aber ich werde niemals mehr ein Kuvert öffnen, das diese Handschrift zeigt . . . Meine Hand soll verdorren, wenn . . .

Er: (unterbricht mit sanftem Tadel): Keine großen Worte, Kind. Handeln wir als tüchtige Menschen und –

Sie: Oh, wie recht du hast. Und wie einfach und groß du bist!

Er (bescheiden wehrend): Kind, Kind! Keine Hymnen singen. Denk sie, denk sie immer . . .

Sie: Du hast recht. Und jetzt zieh ich mich rasch um, und wir gehen in die Tauentzienstraße.

Er (zerstreut): Aha, in die Tauentzienstraße. Und was machen wir in der Tauentzienstraße?

Sie: Aber Gusti – du hast doch selber . . . der Hut – (Sie eilt ins Nebenzimmer.)

Er: Richtig, der Hut! (ihr nachsehend). In die – Tauentzienstraße? . . . Tja, nun ging ja alles ganz wunschgemäß. Bloß – (er kratzt sich den Kopf) daß mir gerade der dumme Hut einfallen mußte! Wenn wir bloß Cordelie nicht dort treffen. Sie wird spucken. Ich hatte ihn ihr fest versprochen.

 


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