Rudolf Presber
Von Ihr und Ihm
Rudolf Presber

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Heimfahrt

Eine laue Vorfrühlingsnacht. Die Laternen am Kurfürstendamm haben einen ganz zärtlichen Glanz. Von einem milden abendlichen Regen stehen noch Pfützchen auf den Fahrstraßen. Der Reitweg blinkt feucht. Ganz junges Grün atmet in den Vorgärten. In einer Tornische küssen sich zwei Verliebte. An einer Straßenecke tröstet ein Beamter der Wach- und Schließgesellschaft einen betrübten Betrunkenen, dem ein Schutzmann Frühlingslieder untersagt hat. Autos rasen vorbei. Und stinken.

Vor Nr. 527 c, dem merkwürdigen Haus, das einen gotischen Stil mit ionischen Säulen zu einigen sucht und in romanischen Rundbogenfriesen Netzwerk und Schnörkel des Rokoko sinnreich verwendet, halten blanke Autos und elegante Equipagen. Die Chauffeure erzählen herablassend den Kutschern Geschichten von diskreten Tiergartenfahrten und unerhörten Trinkgeldern. Nur der Diener des Grafen Bennigheim liest beim Schein der Wagenlaterne den »Reichsboten«.

Das gotisch-romanische Portal von Nr. 527 c wird aufgerissen. Er und Sie entsteigen dem Lift und treten an der geöffneten, übel nach Menschenschlaf riechenden Portierloge vorbei in die Vorfrühlingsatmosphäre der nächtlichen Straße.

Sie ist eine Frau an jenem Ende der Zwanzig, wo für andere die Dreißig bereits stark begonnen haben. Ihr Körper ist üppig, aber vom raffiniertesten Modeschneider geschickt verteilt. Unter dem pelzbesetzten Abendmantel trägt sie ein für alle Künste empfängliches Herz und den Familienschmuck der Wolf-Jacoby, die den letzten Teil ihres Namens englisch aussprechen, weil sie seit 1879 ein Zweiggeschäft in Neuyork haben. Ihre Hände sind so schön, daß die Ringe, die ihr ihre Mutter immerzu aus Italien mitbringt, nichts daran verderben können. Von ihrem Vater, dem Bankdirektor, der aus Liebe zur Kirchenmusik in Rom katholisch geworden ist, ohne sich den Hilfskomitees für die durch Pogrome geschädigten Glaubensgenossen zu entziehen, hat sie die langwimprigen, dunklen Schwärmeraugen, die sie mit verwirrender Treuherzigkeit aufschlagen kann.

Er ist Privatgelehrter, der abwechselnd über Florenz und über den Einfluß Holbeins auf die englische Kunst schreibt. Die Bücher erscheinen auf Büttenpapier in einem Verlag, an dem er finanziell beteiligt ist, was seinem Schwiegervater jährlich zwanzig- bis dreißigtausend Mark kostet. Seine Kleidung ist gewählt wie seine Rede, sein Blick bedeutend wie der Eindruck, den er auf Mitmenschen zu machen glaubt. Das Vermögen seiner Frau setzt ihn in den Stand, die meistgenannten Kunsthistoriker bei sich zu sehen und bei vortrefflichen Diners endlos über Holbein zu reden. Wenn er allein ist, saugt er die Anregung zu kritischen Arbeiten aus den teuersten Importen. Sein Stil ist so gepflegt wie sein Vollbart; und beide wirken seltsamerweise nicht männlich. Sonst spricht er sehr leise, um eindringlicher zu sein; jetzt aber ruft er laut nach dem Chauffeur.

Er: Friedrich – ah, da sind Sie! Gut. Fahren wir also nach Hause. Aber, bitte, nehmen Sie die Kurven etwas langsamer . . . Willst du nicht einsteigen, liebe Alix . . . Ja, und noch eins! Die Nacht ist so schön – fahren Sie durch den Tiergarten. In mäßigem Tempo, bitte.

Sie (schon im Wagen, huschelt sich in die Ecke, schließt ein wenig müde die Augen): Mein Gott, Felix, du wirst romantisch!

Er (zieht den Schlag zu und nimmt pedantisch neben ihr Platz): Nicht eigentlich romantisch, aber – ich hätte ein wenig mit dir zu plaudern.

Sie: Wenn du mit mir plauderst, sprichst du mit dir.

Er: Bei rein künstlerischen Themen mag mich dieser Vorwurf ein wenig treffen, liebe Alix. Ich antworte mir dann zuweilen selbst das, was du einwenden könntest. Ich tue das persönlich aus einem gewissen ästhetischen Formgefühl, um im Stil zu bleiben, verstehst du. Um unsere Unterhaltung auf der Höhe und in der Linie zu halten, die des Themas würdig ist. Heute aber – ja, hm. Du solltest den Schal etwas fester um den Ausschnitt nehmen.

Sie: Gott, wie besorgt du bist!

Er: Ich fange an.

Sie: Was soll das heißen?

Er: Ich fürchte, du bist erhitzt.

Sie: Ich habe doch gar nicht getanzt.

Er: Gegen deine Gewohnheit. Ich habe das wohl bemerkt. Du hast dich mit dem Professor Münsterburg in eine Nische zurückgezogen. Euer Gespräch schien fesselnd.

Sie: Wir sprachen von Kunst.

Er: Man spricht in guten Kreisen nie von etwas anderem.

Sie: Ich gratulierte ihm zu dem neuen Titel.

Er: Ich habe dich selten bei Gratulationen so erregt gesehen.

Sie: Es war heiß in der Ecke.

Er: Um so weniger eine Notwendigkeit, das Gespräch über Kunst gerade an der Zentralheizung zu führen. (Beobachtungspause.) Meine liebe Alix, wir leben nun schon zehn Jahre miteinander . . .

Sie: Diese Gleichzeitigkeit ist mein einziges Verdienst.

Er: Solche kleinen Gereiztheiten, die – verzeih mir das Wort – ein wenig orientalische Färbung haben – auch dein lieber Vater bevorzugt diese spitze Dialogführung, die seinen römischen Umgang mit Kardinälen nicht gerade erleichtern dürfte – ich wollte sagen: diese kleinen Gereiztheiten beweisen mir nur, daß mich mein kritisches Auge nicht getäuscht hat.

Sie: Mir scheint manchmal, lieber Felix, alle Dinge in der Welt sind überhaupt nur dazu da, deinem Scharfsinn diesen rühmlichen Beweis zu liefern.

Er: Ich möchte mich heute nicht gern auf rein dialektisches Gebiet locken lassen, liebes Herz. Mein Gefühl wünscht in dieser Stunde zu dir zu sprechen. Nicht mein Verstand.

Sie (richtet sich ein wenig in ihrer Wagenecke auf): Gefühl . . . liebes Herz . . .? Du bist doch nicht krank, lieber Felix? Hast du zu viel von der Gansleberpastete gegessen? Trüffeln bekommen dir nie.

Er: Es handelt sich nicht um mich und nicht um eine Pastete. Übrigens waren es Entenlebern. Und das Rezept dieser Sauce solltest du dir gelegentlich zu verschaffen suchen . . . Ich wollte zu dir sprechen wie – wie – nun, sagen wir: wie ein Vater zu seiner Tochter.

Sie: Wie der Bruder des Vaters.

Er: Wie meinst du?

Sie: Deine Beziehungen zu mir haben doch seit Jahren etwas Onkelhaftes!

Er: Es wäre möglich, daß gewisse Differenzierungen der Intelligenzen, der Reife und Lebensanschauungen in unserem Zusammenleben . . . (Er sieht erschreckt aus dem Fenster.) Oh, wir sind schon am Kanal! Ich bedaure, dies allgemeine Thema verlassen und zum Besonderen kommen zu müssen. Du lebst, meine liebe Alix – durch mich – in einer künstlerischen Atmosphäre, nicht wahr? Als ich dich heiratete, hing bei deinen lieben Eltern im Salon ein Bild von Nathanael Sichel, eine Photographie der Toteninsel, als Pendant Jung-Werners Abschied von Margarete in einem Rahmen von Seemuscheln, wenn ich nicht irre, und ein furchtbares Porträt deines lieben Vaters, das ihn mit dem eben erhaltenen Ritterkreuz von San Marino darstellte. Das war der künstlerische Schmuck deines Elternhauses, der durch einige Familiengruppenbilder, einen ausgestopften Dackel und den Kopf des Apollo in Biskuit kaum auf ein höheres Niveau gehoben wurde. Wenn du jetzt durch deine, durch unsere Räume gehst, so findest du im Eßzimmer einen Apostel von Uhde . . .

Sie: . . . und eine Kuh von Zügel.

Er: Im Salon einen holländischen Schnapsbruder von Israels, einen Seydlitz-Kürassier von Menzel, einen Droschkenkutscher von Skarbina, einen Ziegenhirten von Segantini, einen . . .

Sie: Hältst du Ort und Stunde für geeignet, einen Katalog der Bildergalerie zu entwerfen, die du dir von Papa im Laufe der Jahre hast schenken lassen?

Er: Ich wollte nur das veränderte Milieu kurz skizzieren.

Sie: Da ich das genau kenne, kommst du vielleicht ohne Umwege zum Thema.

Er: Mein Thema ist Münsterburg. Ja, der Professor. Du staunst vielleicht . . .

Sie: Nein.

Er: Um so besser. Ich mache dir keinen Vorwurf. Dein Sinn, deine Aufmerksamkeit ist – durch mich, ich weiß – auf künstlerische Dinge gerichtet. Von der Bewunderung für die Kunst zu der Bewunderung für die Künstler ist es nicht weit. Wir Männer nehmen die Künstler mit in Kauf um der Kunst willen; die Frauen interessieren sich für die Kunst und meinen immer die Künstler. Im Blute liegt dir eine gewisse Überschätzung äußerer Werte. Münsterburg ist »Professor« geworden. Er hat das wohl seiner »Andromeda« zu danken. Ich unterschätze die Qualitäten dieses Bildes nicht, obschon es von Rubens stark beeinflußt und das linke Bein verzeichnet ist. Der Erfolg, die neue Würde, die Medaille, die gefestigte Position haben seine Selbstsicherheit gesteigert. Während er sich früher zurückhielt – auch von dir – ist er jetzt lebhaft bemüht, auch in den Salons, auch bei Frauen Erfolge zu erzielen. Auch bei dir. Antworte gar nicht, liebe Alix . . . Wie?

Sie: Ich hatte nicht vor, zu antworten.

Er: Das ist lieb von dir. Dies Schweigen ehrt dich. Denn es ist ehrlich. Freilich, du kennst mein scharfes Auge. Du weißt, daß es in menschlichen Beziehungen keine Täuschungen für mich gibt. Ich sehe nicht, ich schaue. Ich schaue nicht, ich blicke hindurch. So etwas ist angeboren und kein Verdienst. Ich habe dieses ganze letzte Jahr beobachtet, wie der gute Münsterburg unserer lieben Freundin, der Baronin Braunfelsen, den Hof machte. Mehr als das: wie er seelisch, geistig, künstlerisch – von ihr Besitz ergriff. Und – du wirst keinen Gebrauch davon machen, so kann ich's aussprechen – sie ist seine Andromeda.

Sie: Nicht möglich – du glaubst . . .?

Er: Ich glaube? Mein liebes Kind, das ist der Segen und der Fluch unseres Schauens. Gewänder existieren nicht für uns. Deine, unsere liebe Freundin hat für diesen Mann getan, was in den großen Tagen der Renaissance viele edle und viele eitle Frauen gewagt haben. An die Felsen gekettet steht ihr Körper. Diese edle, doch schon fast etwas überreife Fülle, dieses Fleisch mit dem schillernden Elfenbeinton, diese wundervolle Buchtung der gefesselten Hüften, diese . . .

Sie: Das hast du gewußt . . . und . . .

Er: Der Unterton von Bewunderung schmeichelt mir in deinen Worten. Aber mein Verdienst ist gering. Es war klar für mich – seit Monaten klar und durch tausend unauffällige Dinge bewiesen –, daß diese beiden Menschen in einer seelischen Harmonie zusammenklangen, die nicht frei war von fleischlichem Verlangen und die ihren künstlerischen Ausdruck suchte.

Sie: Und dieser künstlerische Ausdruck ist –

Er: Diese Andromeda. Der er – vernünftiger- und taktvollerweise – einen indifferenten Kopf gab. Ich kenne die Künstler. Weiß, daß aus ihren Fehlern ihre Größe blüht. Erinnere mich zu Hause an dieses Wort, es ist gut und verwendbar. Ich will sagen: mit diesem Bilde hat er sich seiner Leidenschaft zu der Baronin entäußert. Sein Herz ist frei, sucht, fahndet, spürt. Heute abend hat er dich entdeckt.

Sie: Er kennt mich seit fünf Jahren.

Er: Die Entdeckung folgt stets der Bekanntschaft, sie geht ihr nie voraus. Mein Blick trügt nicht. Du sahst übrigens gut aus heute. Es war einer der Abende, an denen etwas Sieghaftes von dir ausstrahlt.

Sie: Ich hatte Zahnweh.

Er: Mir schien, er gab dir einen Zettel.

Sie: Ja, die Adresse eines Antiquitätenhändlers, der . . .

Er: Oh, ich weiß, du hast an meinen Geburtstagswunsch gedacht, eine gotische Truhe für die Briefe meiner bedeutenden Freunde . . .

Sie: Wir haben viel von der Truhe gesprochen.

Er: Wir sind gleich zu Hause. Es war eine schöne Fahrt, laß es auch eine seelisch gewinnbringende sein. Nur die Gefahr zeigen wollte ich dir. Nichts anderes. Mehr wie eine Gefahr würde es nicht. Denn mein Auge wacht, und meine Erfahrung schützt dich.

. . . Der Wagen hält. Die beiden steigen in ihre Wohnung.

An der Tür ihres Ankleidezimmers küßt er ihr die Hand und sieht sie lächelnd an:

Er: Deine Augen sind wirklich hübsch.

Sie: Aber die deinen sind scharfsichtig. Das ist viel mehr. Gute Nacht.

Er (geht stolz lächelnd in sein Schlafzimmer. Er fühlt, daß er ihr imponiert hat. Er lächelt noch während er das Glas Hunyadi-Janos trinkt, das zu seinen minder geschätzten, aber notwendigen Lebensgewohnheiten gehört).

Sie (hat in ihrem Ankleidezimmer das Licht angeknipst und die Türe verschlossen. Sie nimmt jetzt aus dem Ausschnitt ein zerknittertes Blatt, faltet es auseinander und liest die steilen, großen, ein wenig arroganten Schriftzüge Münsterburgs, die wie lauter schadhafte Staketenzäune aussehen).

Dies aber war der Brief, den Alice, genannt Alix Heiderich, geborene Wolf-Jacoby (sprich englisch) an diesem Abend dreimal las und dann verbrannte:

»Ja, teure Alix – es muß zu Ende sein! Meine Andromeda war das große, würdige Denkmal, das ich unserer Liebe errichtet habe. Dieser heißen, verzehrenden Flamme, die nun fünf Jahre so himmlisch mein Leben durchlodert, meine Kunst befeuert hat. Als freie, dankbare Menschen reichen wir uns die Hände, schauen uns ehrlich in die Augen und bewahren uns die große Freundschaft fürs Leben. Ich habe der Baronin gesagt, daß wir nicht mehr zu ihr kommen werden – nicht mehr zusammen, nicht mehr zur selben Stunde. Ich habe alle die Briefe verbrannt – es war keine kleine Aufgabe, zwei Stunden hab' ich am Ofen verbracht – und ich bitte dich, tue dasselbe mit den meinen! Auch die Studien zur Andromeda vernichte. Vielleicht könnte doch einmal einer, der die intimen Schönheiten deines Körpers kennt . . . Also du wirst sie vernichten. In unsere kleine Wohnung ist schon ein Apotheker eingezogen. Deine Brennschere ist liegen geblieben. Auch das Strumpfband mit dem silbernen Schloß hat sich gefunden. Der Apotheker hat es abgeliefert. Als ich zum letztenmal dort war, meine Teemaschine zu holen, spielte die Dame oben wieder den »Husarenritt«. Aber es roch nicht mehr nach deinem Heliotrop; es roch nach Apotheke . . . Ich werde immer dankbar sein und nie vergessen . . .

Max.«

*

Er (zieht sich zur selben Zeit, als dieser Brief in Flammen aufgeht, die seidene Steppdecke über die Brust, streicht sich noch einmal wohlgefällig den gepflegten Vollbart und murmelt): . . . denn erstens liebt sie mich . . . und zweitens ist er nicht ihr Genre . . . und drittens fürchtet sie meine Menschenkenntnis und meine Argusaugen.

 


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