J. E. Poritzky
Imago Mundi
J. E. Poritzky

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XV. Die Moral der Götter.

So wie die Völker sich bessern, bessern sich auch ihre Götter.
Lichtenberg

Es ist nicht weit her mit dieser Moral. Und wir haben nicht nötig, die Köpfe hängen zu lassen, wenn wir armen Staubgeborenen, die in allem bestrebt sind, es den Göttern gleich zu tun, ihnen in einigen Punkten noch nachstehen. Sie haben uns nichts voraus; nicht einmal die Unsterblichkeit. Denn auch das Göttliche in uns ist unsterblich. Was rühmt man ihnen nach? Dass sie alle Formen und Gestalten annehmen können? Auch hierin stehen wir ihnen gleich. Sind wir nicht in hundert Jahren Staub? Dann Pflanze? Es gibt keine einzige Daseinsform, die uns verschlossen wäre. Nur mit dem Unterschiede, dass unsere Verwandlungen jeweils Jahrhunderte währen. Aber auch hier hat der Mythus den Trost einer ausgleichenden Gerechtigkeit geschaffen, wenn er sagt, dass die irdischen Jahrhunderte nur Augenblicke seien in den Sphären der Götter. Was nur heissen kann, dass ihre Verwandlungen ebenso lange dauern, wie die unseren. Und schliesslich: wer kennt nicht jene irdischen Jupiter, die, sobald es sich um eine Frau handelt, sich ebenfalls in einen Ochsen verwandeln oder denen erst ein reichlicher Goldregen die Gunst einer schönen Nymphe verschafft?

Niemand zweifelt wohl daran, dass wir den Göttern in vielen Dingen überlegen sind. Und vergleicht man die Entstehungsgeschichte und die Geschichte der Götter, die Theogenien und die Mythologien mit unserer Ethik und unseren, ach, so umfangreichen Gesetzbüchern, so wird man bass erstaunt sein über die Fülle unserer moralischen und bürgerlichen Pflichten, gegenüber den kleinen Aufgaben, die die Götter hatten. Denn auch ihnen hatte ja das Fatum, – die höchste aller Instanzen – bestimmte Aufgaben und Schicksale zugewiesen. So viel steht jedoch fest: keiner der Götter hätte ohne Murren die Last menschlicher Pflichten auf sich genommen.

Ich habe überhaupt allmählich so meine leisen Zweifel bekommen an der Grossartigkeit der Götter und Recken. Du lieber Gott! Mit einer Hornhaut gepanzert, die unverwundbar macht, stellt schliesslich jeder Feigling seinen Siegfried. Wenn ich mich in den Fluten des Styx baden könnte, der gegen alle Wunden feit, und wenn Vulkan mir meine Waffen schmiedete, nähme ich es am Ende auch mit Hektor auf. Im Gigantenkampf nehmen die erhabenen Götter des Olymp Reissaus, fliehen nach Aegypten und verwandeln sich, um nicht erwischt zu werden, in Tiere und Pflanzen. In ruhigeren Zeiten hintergehen und betrügen sie sich nach allen Regeln der Kunst und treiben gemeine Schachergeschäfte. Sie sind rachsüchtig, grausam, lasterhaft, diebisch, verlogen und hilflos. Sie rauben und morden. Sie haben einen menschlichen Leib; ihr Körper ist mit einigen Ausnahmen (Hephästos, Eris) schön und stattlich, »wie es Göttern geziemt«. Sie führen Krieg und werden verwundet und ihr Blut fliesst rot. Auch unter den Göttern herrscht ein Kastengeist. Sie machen einen grossen Unterschied zwischen Göttern, Halbgöttern und göttlichen Helden. Sie haben Sinne und folglich haben sie ebenfalls Begierden wie wir, Lüste und Launen, Stimmungen und Verstimmungen. Sie sind blind (Pluto) und verkrüppelt (Vulkan). Sie essen Ambrosia und trinken Nektar, aber wenn die Sterblichen ihnen opfern, wollen sie auch von Fleisch und Wein ihren Anteil haben. Sie geniessen alle Sinnenfreuden wie wir. Sie haben Frauen und Männer, Kinder, Verwandte, einen Stammbaum – den göttlichen Gotha! – eine Geschichte, Kleider, Wohnungen. Jupiter selbst hat seine Stammesgeschichte, und das erste, was er tut, sobald er das Licht der Welt erblickt hat: er lacht seinen Vater aus. Die meisten der Götter halten sich mindestens eine illegitime Geliebte, der sie in irgendeinem verborgenen Idyll der Erde ein hübsches Heim eingerichtet haben. Sobald Jupiter es sich leisten kann, heiratet er seine Schwester, nimmt nebenher Methis zur Gemahlin, naht sich Antiope als Satyr, entführt Europen als Stier, betrügt Leda als Schwan, betört Kallisko in der Maske der Diana, befruchtet Danae als Goldregen und schleicht sich bei Alkmene als Amphitryon ein. Er bandelt mit Jo an und verwandelt sie in eine Kuh, um sie vor der Eifersucht Junos zu schützen, Latona schenkt ihm einen Sohn (Apollo); die Beziehungen zu Semele bleiben ebenfalls nicht ohne Folgen (Bacchus). Und das ist nur ein Teil der stattlichen Leporelloliste.

Was die Göttinnen betrifft, so hält sich manche von ihnen mehrere Liebhaber, herkulische oder schöne; der Geschmack ist sehr verschieden; aber in dem einen Punkt sind sie alle sterblich. Apollo und Hermes überraschen Ares auf dem Lager Aphroditens und, von Apollo befragt, ob Hermes wohl an Stelle von Ares sein möchte, antwortet der Götterbote: »Ach, möchte dies doch, weitschiessender Herrscher Apollo, geschehen! Dass Bande, dreimal so viele, unendliche, mich umschlängen, und ihr zusähet, ihr Götter und ihr Göttinnen alle, ich aber schliefe bei der goldenen Aphrodite und –« ich schliesse schnell das Zitat, denn es wird etwas zu lebendig. Ein andermal bietet sich Aphrodite dem Anchises an – kurz, sie macht sehr viele Götter glücklich. Es ist ein gutbegründetes Symbol, dass ihr Tempel in Korinth von tausend Freudenmädchen bedient wurde.

Bei dieser »göttlichen« Lebensführung mutet es nun drollig an, in den alten Mythen zu lesen: Als die Götter sahen, dass die Menschen ihre Zügellosigkeit und lasterhafte Bosheit bis aufs höchste getrieben hatten, beschlossen sie, dieselben zu vernichten.

Dass diese Götter endlich ihren Aristophanes und später ihren Lucian und noch später ihren Offenbach finden mussten, war ganz natürlich, denn welcher überlegene Geist konnte den Olymp anders sehen als komisch?

Sagt man nun, dass wir die Geschöpfe der Götter sind und dass wir den Göttern nacheifern sollen, so muss man gestehen, dass das sehr bedenkliche Vorbilder sind; abgesehen davon, dass wir ihnen längst ziemlich nahegekommen sind, wenn wir sie nicht gar schon längst übertroffen haben. Nimmt man aber an, dass die Götter uns nachgeahmt haben, so folgt zwingend, dass nicht die Götter den Menschen, sondern, dass der Mensch die Götter gemacht hat, dass sie unsere Geschöpfe sind, und uns also in keiner Beziehung als Muster vorgehalten werden können.

Tatsächlich hat der Mensch die Götter gemacht. Er sah die wirkenden Naturkräfte, die er sich nicht erklären konnte, und denen gegenüber er ohnmächtig war. Und die vergleichende Mythologie hat erwiesen, dass die mit den Mythen des Sanskrit verwandten griechischen Mythen, dass die nordischen, germanischen und alle anderen Mythen nichts anderes ausdrücken, als das Spiel der Naturkräfte. Ueber dem Menschen spannte sich das Firmament bis in die Unendlichkeit aus, azurblau, rabenschwarz, weiss, feuerrot, der Schauplatz kämpfenden Gewölks. Zu seinen Füssen breitete sich das Meer, bald in schaukelndem Schlafe, bald in wilden Sprüngen; es brachte ihm Segen; aber es verschlang auch seine Schiffe. Der Wind blies seine Segler zu anderen Gestaden, oder er wuchs wütend zum wilden Orkan, warf die Schiffe um, verheerte das Land und brachte mannigfache Plagen. Der Blitz äscherte seine Häuser ein, das Donnergetöse lehrte ihn die Furcht kennen. Siechtum brach seine Kräfte; der Tod verwandelte seine Lieben in stummes Fleisch. Der Regen machte die Erde fruchtbar. »Den reinen Himmel gelüstet es, die Erde zu durchdringen,« sagt Aphrodite bei Aeschylus, »und die Erde wird von Liebe ergriffen in dieser Ehe; der Regen, der vom erzeugenden Himmel fällt, befruchtet die Erde, und sie gebiert für die Sterblichen die Nahrung des Viehs und das Korn der Demeter.« Wenn aber der Himmel (Jupiter) mit der Erde (Kybela) in Zwietracht lag, ging die Saat nicht auf, die Flüsse trockneten aus, die Felder verbrannten und Mensch und Vieh litten Hunger und Not. Dann kamen die scheelen Götter: Pest, Raub, Mord und Tod. Aber durch Opfer und Gebet konnte man die Gunst der Götter erflehen. Sie waren käuflich, bestechlich, den gemeinsten Schmeicheleien zugänglich und an keinem irdischen Staat herrschte jemals ein solcher Nepotismus wie in ihren Himmeln. Wenn es einen Gott des Weines gab und der Wollust, der Dichtkunst und Musik, kurz, wenn man für jede sinnliche Leidenschaft und für jedes geistige und physische Bedürfnis einen Gott einsetzte – selbst der Deus crepitus stand hoch in Gunst! – so beging man ein gottgefälliges Werk, wenn man die Bacchanalien und Dionysien, die Saturnalien und Eleusinien und zahlreiche andere Feste feierte, die dann nichts als Ausbrüche animalischen Lebens sein konnten und in Rausch und Sinnentaumel endeten. Man lebte »wie die Götter im hohen Olymp«.

Dass diese Götter innerlich und äusserlich jeweils den Menschen glichen, war ganz selbstverständlich, denn der Mensch konnte die Götter immer nur nach seinem Ebenbilde formen. Die Thraker bildeten ihre Götter blauäugig und rothaarig; die Neger die ihren schwarz und stülpnasig; die Anthropophagen die ihren wild, grossmäulig, fratzenhaft, grotesk und fressgierig; die Griechen griechisch. Folglich könnten die Götter der Ochsen, wenn sie das Bedürfnis nach Göttern hätten, immer nur wieder Ochsen sein. Und wenn Esel und Gänse Gemälde und Statuen anfertigen könnten, würden sie die Götter als Esel und Gänse darstellen. »Die Frommen« – sagt Multatuli – »machen einen Gott, takeln ihn lächerlich auf, und wenn ich dann über diese Lächerlichkeit lache, sagen sie, dass ich etwas Heiliges antaste.«

Das steht also fest, dass die Macht und die Grösse der Götter immer gleichen Schritt hält mit dem Wachstum und dem Fortschritt der Menschen. Gott wächst mit dem Menschen. Als Kinder haben wir ihn uns als einen gutmütigen, alten Herrn vorgestellt, der dafür sorgte, dass wir immer unsere Lieblingsspeisen bekamen, und der so freundlich war, ein Auge zuzukneifen, wenn wir eine Lausbüberei begangen hatten. Als Pennäler haben wir unseren Gott verjagt, haben an Wotan gedacht und Thor, an Zeus und Apollo. Als Jünglinge haben wir ihn uns als Wolke vorgestellt, als das Firmament droben; er zerfloss uns ein wenig ins Unvorstellbare. Dann haben wir Spinoza gelesen ...

Und nun haben wir Gott in uns selber entdeckt; haben entdeckt, dass wir immer an unser eigenes Gewissen appellieren, wenn wir nach einem ausserirdischen Richter rufen, und dass es keine höhere Instanz gibt als den Ethos in uns selber. Wir haben alle unseren eigenen Gerichtshof in uns, sagt Kant. Alles andere aber sind Konventionen und Formen, im staatlichen oder gesellschaftlichen Leben errichtet, aber für den Einzelnen sind sie wesenlos und ohne tiefere Bedeutung.


 << zurück