J. E. Poritzky
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J. E. Poritzky

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VIII. Die Psychologie des Abenteurers.

– – Sünder im wirklich grossen Stil
Gibt's heutzutage nicht eben viel.
Dazu gehört noch mehr als im Kot zu waten; –
Denn ohne Kraft kein rechter Teufelsbraten.
Ibsen

Es gibt allerdings einen Typus, der die Gesellschaft aus Herzensgrund verachtet, und den sein Gewissen keineswegs peinigt, wenn er die Gesetze missachtet, die diese Gesellschaft zu ihrem Schutze aufgestellt hat. Es ist der Abenteurer. Es kann auch sein, dass er eine andere Art Gewissen hat. Er kennt die Menschen vielleicht nur zu gut und hält es innerhalb der konventionellen Grenzen der Gesellschaft nicht aus, weil er die gesellschaftlichen Lügen durchschaut hat und weil er zu – aufrichtig ist. Als nüchterner und vorurteilsloser Philosoph, der das Wesen der Gesellschaft erkannt hat, registriert er kühl die Tatsache ihrer ausgemachten Speichelleckerei und ihre gemeine und vom Gesetz begünstigte Anbetung der Höherstehenden und des Mammons. Er hat den Wunsch irgendwohin aus der Sphäre all dieser lästigen Bedingungen zu entfliehen, all den giftigen, kleinen Lügen zu entrinnen, die durch die Macht der Gewohnheit bereits Gesetzeskraft erlangt haben. Er will heraus aus dieser Sphäre krankhafter Eigenliebe, ideellen Sektierertums, allgemeiner Unaufrichtigkeit – mit einem Wort, aus all dieser nichtigen Nichtigkeit, die sein Gefühl abstumpft und seinen Verstand korrumpiert. Er vermag die Kultur nicht in grösseren Dosen zu sich zu nehmen, ohne von Zeit zu Zeit den lebhaften Drang zu empfinden, aus dem gesellschaftlichen Rahmen herauszutreten und sich von der allzu komplizierten Struktur und krankhaften Verfeinerung moderner Lebensweise zu erholen.

Ich kann mir denken, dass ein Gauner Philosoph genug wäre, sich für den ehrlichsten Menschen zu halten, denn er muss sich sagen, da die ganze Weltordnung das Recht des Stärkeren anerkennt, und da das Lügen, Ueberlisten, Uebervorteilen, Ausnützen, kurz, das Kämpfen von Rechts und Gesetzes wegen erlaubt ist, dass er der ethisch höhere Mensch ist, wenn er mit offenem Visier kämpft.

Aber es lohnt vielleicht diesen Typus sich etwas gründlicher anzusehen.

Eine alte Schwarte, liber vagatorum genannt, die nun seit just vierhundert Jahren in den Bibliotheken einstaubt, erzählt sehr viel Drolliges über die Abenteurer, »die meist aus Fraue Venus Berg kommen, und die schreckliche, schwarze Kunst verstehen«. Und gar mannigfaltig waren die Abstufungen dieser »Vagierer«, die durch recht feine Nüancen unterschieden wurden. Da gab es Grantner (Epilepsiesimulanten), Dützer, Schlepper (angebliche Priester), Zickessen (die ihre angebliche oder wirkliche Blindheit ausbeuteten), Platschier (die vor Kirchen sangen), Blickschlager (Kleiderbettler), Vopper (die Besessenheit heuchelten),Dallinger (die sich vor den Kirchen geisselten), Sönzengänger (im Krieg verarmte Edelleute), Kandierer (ausgeplünderte Kaufleute), Sündveyer (beschuldigten sich des Totschlages aus Notwehr und bettelten sich die angebliche Geldbusse zusammen), Bilträgerinnen (angeblich Schwangere), Dutzbetterinnen (Wöchnerinnen), Mumsen (angebliche Lollhardsbrüder), Veraner (getaufte Juden), Calmiarer (Pilgrime), Burkarte, Seffer und Schweiger (Gebrechliche, Kranke), Sefelgräber (angebliche Schatzgräber), Joner (Falschspieler), Sprengler (Krämer, die in Häuser liefen) und noch viele andere.

Dies Gesindel wuchs sich in Deutschland, besonders nach dem Dreissigjährigen Kriege, zu einer wahren Landplage aus. Viele Banden, die oft mehrere hundert Köpfe zählten, taten sich zusammen, um ganze Dörfer zu überfallen und grössere Kaufmannskarawanen zu plündern. Damals bildeten sich verschiedene »Begabungen« innerhalb dieser Vagabundenzünfte aus. Es gab Schrendefeger oder Stubenausräumer, die nachts die Häuser plünderten; Scheinsprenger oder Schranzierer, die am Tage raubten; Gschockgänger (Jahrmarktsdiebe), Bimuffer und Kissler (Taschendiebe), Kochemer (nächtliche Einbrecher), Staatsfelinger (Quacksalber), Freischupper (Falschspieler), Markediser (Falschwechsler), Reisser (Falschmünzer) – und da eine Gruppe stets die andere zu überflügeln suchte, entstand ein edler Wettstreit so vieler Talente, und die Begriffe der Diebesehre, Räuberehre usw. kamen auf. Wenn ein Dieb auf seine Ehre pochte, so sollte das nicht etwa heissen, dass Stehlen Ehrensache war – das war natürlich die Voraussetzung und schliesslich eine rein berufliche Angelegenheit! – sondern dass seine Ehre ihm nicht erlaubte, einen Genossen zu verraten, liegen zu lassen, das er hätte mitgehen heissen können, den Versuch zu unterlassen, aus dem Gefängnis auszubrechen usw.

Die miserable Polizei des frühen Mittelalters, dazu die Roheit und Stumpfheit der Bevölkerung, schuf ganz erschreckende Zustände. Die Unsicherheit der Person war ausserordentlich gross. Bei der geringfügigsten Ursache wurde das Messer gezückt. Wer in der Dunkelheit die Strassen betrat, tat es auf eigene Gefahr. Zwar wurde für die öffentlichen Schenken eine frühe Polizeistunde festgesetzt; aber das hatte nur zur Folge, dass der Skandal sich auf der Strasse fortsetzte.

Erst das sechzehnte Jahrhundert mit seiner erstarkenden Polizeigewalt und der Kirchenreformation brachte eine Besserung dieser elenden Zustände in den Städten mit sich. Jetzt hörten die Städte allmählich auf, Sammelpunkte des Gesindels zu sein. Das zog sich nun auf die Dörfer zurück, wo sich die abergläubischen, rohen Bauern mangels einer Polizei glänzend ausbeuten liessen. »Wenn diese Vagierer in ein Haus kommen, so fangen sie an zu sprechen: ›Hie kommt ein fahrender Schüler, der sieben freien Künste ein Meister, ein Beschwörer der Teufel gegen Hagel, Wetter und alles Unheil.‹ Danach machen sie etliche Charaktere, zwei oder drei Kreuze, und sprechen: ›Wo diese Worte gesprochen, da wird niemand erstochen; es trifft auch niemand ein Unglück‹, und vieles andere. Köstliche Worte. Da meinen denn die Bauern, es sei also, sind froh, dass sie kommen, und sprechen zu den Vagierern: ›Das und das ist mir begegnet, könnt ihr mir helfen?‹ Diese aber bejahen es und betrügen die Bauern.«

Zwischen diesen Vagierern und den Abenteurern macht selbst das Mittelalter einen gewissen Unterschied. Der Abenteurer wird unter die »Fahrenden Leute« gerechnet, was freilich nicht hindert, ihn ebenfalls zu verachten. Denn dem Mittelalter mit seiner eingeborenen Sesshaftigkeit und Bodenständigkeit, das nur deshalb so komische und märchenhafte Vorstellungen von anderen Ländern und Völkern hatte, weil es nie bestrebt war, fremde Verhältnisse kennen zu lernen, galt nur der als völlig frei und aller Ehren wert, der auf eigenem Grund und Boden sass. Die unstete Lebensweise, das beständige Hin- und Herziehen, liess deshalb in der öffentlichen Meinung ein günstiges Urteil über die Abenteurer nicht aufkommen, und der Ausdruck »Fahrende Leute« ist kein schmeichelhaftes Epitheton. Unter einem »fahrenden Schüler« versteht man einen Gauner, der bettelnd und stehlend von Stadt zu Stadt zieht; unter einem »fahrenden Fräulein« eine Dirne. Alle »fahrenden Leute«, Leute ohne festen Wohnsitz, sind von der Gesellschaft verfehmt und geniessen weder gesellschaftliche Rechte noch gesellschaftlichen Schutz.

Etwas anderes ist es freilich, dass der Abenteurer dieser Rechte und dieses Schutzes spottet.

Um zu verstehen, dass er sich allein als Freiwild glücklich fühlt, muss man wissen, wie verlockend und hinreissend für ihn dies freie Abenteurerleben ist; wie er es, und es ihn nicht mehr loslässt, wenn er einmal seinen Reiz gekostet. Er findet es wundervoll, sich frei zu sehen von jeder Pflicht, von all den kleinen und kleinlichen Fesseln und Schnüren, die das Wesen des Menschen niederhalten, solange er unter seinesgleichen lebt; frei von all den Jämmerlichkeiten, die sein Leben in dem Masse bedrücken, dass es ihm nicht mehr zur Lust, sondern zur Last wird. Als Abenteurer lebt er ausserhalb des lächerlichen Zwanges und fragt nicht viel nach der gemeinen Komödie der Konvention, der er sich nur fügt, wenn er sich einen Vorteil, eine Eroberung, eine Erhöhung der Lust davon verspricht. Wenn der Wolf unter die Lämmer geht, ist er schlau genug, sich für einen Abend in den Schafspelz zu kleiden.

Romantische Neugier treibt ihn in die fremden Länder; und er ist der Einzige, der noch zu reisen versteht. Die fernen Weiten locken ihn verheissungsvoll; der Hang, die Buntheit des Lebens auszukosten, jagt ihn von Ort zu Ort. Und um diese wilde Sehnsucht zu befriedigen, wird er lügen, betrügen, prellen, fälschen, stehlen, rauben und morden. Wenn er eine tiefere Natur wäre, was er nie ist, und nie sein kann – denn Tiefe verlangt Stille! – und wenn man ihn befragen würde, wonach er eigentlich rennt, und wofür er eigentlich sein Leben aufs Spiel setzt, würde er antworten müssen: Ich weiss es nicht. Er jagt einem Phantom nach und, wie wir alle, sucht er ein Glück, das es nicht gibt. Und diese krankhafte Sucht lässt ihn nirgends zu Hause sein; er kennt kein Heimatgefühl und hat nie Sehnsucht nach den Liebkosungen einer Mutter. Der Abenteurer wird sich nie zu der sentimentalen Rolle hergeben, den verlorenen Sohn zu spielen. Denn er ist kein Vagant, der sich während des Jahres mit zerrissenen Stiefeln durch die Lande schnorrt, um am Weihnachtsabend zu Hause »Heilige Nacht« zu singen und Gänsebraten zu essen. Er ist vielmehr ein Fürst ohne Land; ein Grandseigneur ohne Lakaien; die ersten Hotels betrachtet er als seine Schlösser und die Dummköpfe als seine Hofmarschälle, die ihm die Rechnung zahlen. Er hat tausend Talente, und seine Seele schillert wie ein Opal. Die Salons der ganzen Welt sind seine Harems, in denen er Pascha ist; denn seine Erfahrungen, seine Geistesgegenwart; sein blendendes Auftreten machen es ihm leicht, alle Frauen zu berücken. Er ist ein Wüstling aus Grundsatz, aus Not ein Zechpreller, aus Berufsgründen Falschspieler oder Fälscher, aus Lust ein Verschwender. Er wird hinter den Frauen her sein, wie der Fuchs hinter den Hühnern, und besonders reizen ihn die Frauen, die eine Gefahr, eine Blosstellung, einen Skandal zu fürchten haben. Dann wird Casanova zum Don Juan, dem es einen Genuss bereitet, die Frauen elend zu machen, wenn sie ihn lieben. Und der Abenteurer hat seine Ehre im Leibe, wie ein edler Spanier. Wehe, wer ihn beleidigt; seine Rache ist schrecklich und bleibt nie aus. Sein Stolz ist stets unter Waffen. Er ist mutig bis zur Tollkühnheit, phantastisch bis zum Aberwitz, vergnügungssüchtig wie ein Kind, ausgelassen wie ein Bube, unerschrocken und verwegen, als sei er stets in der Notwehr oder in Lebensgefahr. Er ist grossmütig wie ein satter Löwe und edelmütig, wenn ihn die Laune anfällt. Aus Protest gegen die Gesellschaft – diesen dunklen, geschlossenen Feind, den er hasst – wird er der Beschützer aller Elenden und Geknechteten, aller Erniedrigten und Beleidigten. Manchmal hat er ein Bedürfnis nach dem Eklat, das so instinktiv ist, wie des Marders Sucht nach Blut. Dann ist er nicht nur imstande, wie de Couvrays »Chevalier Faublas« vor den Augen des Gatten dessen Frau zu verführen oder, wie Casanova, während einer Hinrichtung sich der Dame zu bemächtigen, die zufällig vor ihm sich über das Fensterkreuz beugt, um ebenfalls der Hinrichtung zuzusehen, sondern nur das wahnsinnigste Unternehmen, das ihn möglicherweise Kopf und Kragen kosten kann, befriedigt dann seine Gier, um jeden Preis Aufsehen zu erregen.

Im Uebrigen ist er – wie wir gehört haben – ein Ehrenmann vom Wirbel bis zur Zehe. Und nichts ist verkehrter, als ihn mit gewöhnlichen Hochstaplern oder Vagabunden auf eine Stufe zu stellen. Zwischen diesen und dem Abenteurer entdeckt man zwar einige verwandte Züge; aber es ist eine dunkle, nur scheinbare Verwandtschaft, wie sie etwa zwischen Genies und Wahnsinnigen besteht.

Er speist gern sehr gut; denn der Zufall, sein zuverlässiger Gott, führt ihn zuweilen an die besten Tafeln. Aber wenn Ebbe in der Börse ist, nimmt er, ohne zu murren, ein trockenes Stück Brot für Braten und Wasser für Sekt. Und wenn es denn sein muss, spaziert er hocherhobenen Hauptes ins Zuchthaus, wie der dänische Minister Alberti, und noch mit kahlgeschorenem Sträflingskopf hypnotisiert er die Menge, die ihn ehrfurchtsvoll grüsst.

Heut hat er ein Vermögen, das ihm erlaubt, von den Renten zu leben, und er hat dementsprechend Bedürfnisse wie ein Kaiser; morgen ist er arm wie Lazarus, bescheiden wie Diogenes und stolz darauf, nichts zu haben und nichts zu sein. Wo ist das Geld hin? Vielleicht hat er es einem kleinen Mädchen, geschenkt, das seinen Schatz nicht ohne Mitgift heiraten kann, und das hat ihn gerührt; vielleicht hat er es im Spiel verloren; vielleicht haben es ihm einige flotte Damen aus der Tasche gelächelt; vielleicht hat er es einem armen Schelm gegeben, »der eilf lebendige Kinder hat«.

Er hat keine Zukunft; er lebt ganz und gar in der Gegenwart. Heute besitzt er Brillanten; morgen hat er nur noch die Pfandscheine dafür. Seine höchste Freude ist: die Ueberklugen ordentlich einzuseifen, und er hält es für seine Ehrenpflicht, die Dummen hineinzulegen und sie auszubeuten. Denn dazu sind sie auf der Welt. Er betrachtet sie sozusagen als ein Nahrungsmittel, das der liebe Gott direkt für ihn bestimmt hat. Wie die Nachtigall sorglos singt, wenn sie die armen Würmer gefressen hat, so pfeift er sich eins, wenn er die Dummen zugrunde gerichtet hat. Schliesslich – die Würmer sind ja wahrscheinlich auch nicht sehr erbaut von ihrem Los.

Er ist nie feige, denn er spielt immer ein gewagtes Spiel; spielt immer va banque und bietet sein Leben als Einsatz. Er, der sich selber gern maskiert, liebt es, den Dingen und Personen die Maske herunterzureissen. Gelingt es ihm gar, mit den allgemeinen Begriffen von Anstand, Sitte, Ehre, Ruhm seine Komödie aufzuführen, dann sind ihm alle ausgestandenen Gefahren reich bezahlt. Er kennt die tief in der menschlichen Gesellschaftsordnung begründete Ehrfurcht, die der gewöhnliche Sterbliche vor dem Adel empfindet; darum liebt er es, eine Krone über seinen Namenszug zu setzen: Graf Pellegrini oder Cagliostro, wie Guiseppe Balsamo sich nannte; Ritter von Seingalt, wie Casanova sich nennen liess! Fürst Lahovary, der eigentlich Georg Manolescu hiess. Er passt sich allen Verhältnissen und Situationen an; er gedeiht unter allen Himmelsstrichen; er kennt keine Akklimatisationskrankheiten. Er spricht alle Hauptsprachen der Erde, ist literarisch gut beschlagen und gibt sich wissenschaftlich keine Blössen. Im Gegenteil: er wird die Wissenschaft fördern, so gut er kann; wird den Nordpol entdecken, wenn man ihn gerade sucht; wird, wenn das Leben auf dem Mars diskutiert wird, Pflanzen beschaffen, die auf dem Mars blühen und wird Eier vorzeigen, die irgendein vorsintflutlicher Saurier in der Sahara gelegt haben soll. Schlüpfen dann anstatt Echsen Kücken aus, so ist er um eine witzige Ausrede nicht verlegen. Trotzdem darf man ihn jenen Lügnern gegenüber ehrlich nennen, die vorgeben nie zu lügen. Er lügt mit sehr viel Klugheit und Anstand; findet einen grosseh Genuss darin, der ganzen Welt etwas weiss zu machen, was er selbst nicht glaubt; ertappt, beruft er sich auf Plato, der Lügen und Dichten verwandte Künste nennt, und spricht seinem Urahn, Baron von Münchhausen, das schöne Wort nach: »Wenn ich sage ›wahrhaftig‹, so ist es nicht wahr, wenn ich aber sage ›auf Ehre‹, so ist es wahrhaftig wahr.«

Als Tischherr wird er seine Dame in Entzücken versetzen, denn er hat eine reiche Liebeserfahrung, die er klug zu nützen weiss. Seine Wünsche segeln auf raschen Wolken. Er täuscht vollendete Kultur vor. Niemand kann so unauffällig vornehm sein, wie er: Er ist stolz auf die dämonischen Flammen, die er künstlich in sich zu entfachen vermag. Manchmal bringt ihn sein Temperament in die Verlegenheit, einen Heiratsantrag machen zu müssen, aber er wickelt sich noch glücklich heraus, indem er sämtliche Familienmitglieder tüchtig einwickelt. Seine Ueberlegenheit ist verblüffend; sein Humor ist Geld wert. Wo es nötig ist, wird er weinen können, ohne sich einer Zwiebel zu bedienen. Dann schmückt sein Aug' ein Tränendiadem. Und manchmal wagt er es sogar mit einer Ohnmacht – wie Tilly, der Page der Königin Marie Antoinette – deren Erfolg dann seine Erwartung weit übersteigt. »Denn« – erzählt Tilly (die Stelle ist zu aufschlussreich, um sie zu übergehen) – »da die Dame nicht schellen durfte, aus Furcht, sich vor ihren Leuten zu kompromittieren, war sie bereit, mir selbst Hilfe zu leisten, und tat es mit der ängstlichsten Sorgfalt. Es ging so weit, dass sie schon anfing, mir die Brust zu lüften, als ich für gut fand, dem Spiele ein Ende zu machen, damit ihr Eifer nicht erkalten und in blosses Mitleid übergehen möchte. Ich schlug die Augen auf, einige Tränen kamen mir, ich weiss selbst nicht woher, zu Hilfe und vollendeten die Täuschung des pathetischen Auftritts. Fanden sie vielleicht ihre Quelle in der Mühe, die ich mir gab, sie zu vergiessen, oder waren sie eine natürliche Folge der Rolle, die ich zu spielen hatte, und der Ausdruck einer Rührung, die ich heuchelte? Genug, ich war in diesem Augenblicke der Schauspieler, der sein Talent aus seiner Seele schöpft und weint, weil der Dichter ihn weinen lässt.«

So hat der Abenteurer stets alle Sympathien für sich, und wenn er das Pech hat, der Polizei in die Hände zu fallen, wird es noch in seine Zelle Liebesbriefe regnen.

Heutigestags ist er nicht mehr, wie einst Casanova oder St. Germain, der Gast aller Könige, Fürsten und Künstler; er ist auf die Hotels angewiesen. Aber das moderne Hotelwesen hat ihn etwas ernsthafter gemacht; er muss alles darauf anlegen, durch ein gediegenes Auftreten das ganze Personal sicher zu machen, denn er wird, wenn ihm keine Gimpel auf seinen Leim gegangen sind, es wahrscheinlich vergessen, seine Zeche zu bezahlen.

Unter dem eleganten Smoking pocht ein romantisches Herz, und die würdige Miene verrät nicht, dass ihm schmächtig ist, wie dem Kätzlein. Bei seiner Intelligenz und Schlauheit, seiner Kühnheit und Formsicherheit, könnte er es auch auf normale Weise zu etwas bringen. Aber der nicht bezahlte Wein mundet ihm besser, und das erlistete, erbeutete Geld macht ihm ungleich grössere Freude.

Wie tief liegt in ihm das Gefühl der Kräfte, die er hat, und die Einbildung derer, die er nicht hat. Wie leicht ist es in seinen Augen zu gefallen. Welch ein ernsthaftes Geschäft ist für ihn das Bestreben, Geist und Verstand zu zeigen! Wie anstrengend das Bemühen, liebenswürdig zu sein. Alles um ihn her erscheint seinen Augen glanzvoll, eben weil er alles verdunkeln und überstrahlen will. Aber je höher er zu steigen gedenkt, desto tiefer fällt er: Wie hoch schätzt er, was er in späteren Jahren gering achten wird. Ein Wort verletzt ihn, ein Wort entzückt ihn. Er setzt alles auf die Karte des Zufalls. Der glückliche Erfolg scheint ihm der gerechte Lohn seiner Verdienste und das unfehlbare Resultat der wohlberechneten Entwürfe seiner Weisheit. Nichts erschüttert ihn so, als wenn seine Eigenliebe verletzt wird. Nichts hemmt seinen Lauf, als seine Eitelkeit; nichts tröstet ihn, als sein Stolz. Erfahren wie er ist, verlässt er sich nie auf Menschen und Handlungen. Nichts kann seinem Scharfsinn entgehen. Für ihn hat das Leben keine Schleier und keine Geheimnisse, sondern nur Reize. Er liebt das Leben, weil er da ist; er schätzt es, weil er sich anbetet. Zwar gibt es auch Zeiten, wo er die Welt verachtet; allein er verachtet sie nur, sobald er sie mit sich vergleicht; im nächsten Augenblick erblickt er sie wieder durch das zauberische Prisma und im Schmucke aller ihrer Farben.

Wenn an der Beobachtung der Dichter, dass jeder Mensch die Urform seiner spezifischen Art im Tierreich finden wird und dass wir alle in unserem inneren und äusseren Wesen irgendeinem Tiere ähnlich sind, etwas Wahres ist, dann ist der Abenteurer eine Mischung von Marder und Wiesel, von Fuchs und Kuckuck, und zuweilen auch von Esel. Wenn man ihn fragt, was ihn so reizt, seinem gefährlichen »Berufe« anzuhängen, so antwortet er wie der Dichter, wenn man ihn fragt, wozu er Gedichte macht: er weiss es nicht. Er folgt einem unbestimmten, aber unentrinnbaren Zwange.

Eine Frau kann in diesem Sinne nie zur Abenteurerin werden, ebensowenig, wie sie in den Krieg ziehen kann. Sie ist zu sehr durch ihr Weibtum gebunden. Wenn sie ihren Abenteurergelüsten folgt, kann sie höchstens die Geliebte eines adligen oder sehr reichen Lüstlings werden, wobei sie noch Gefahr läuft, aus der Lust am Gegensatz, sich wirklich in einen armen Teufel zu verlieben, d.h. also sich aus der Hand zu geben und sich zu verlieren. Oder sie kann Hetäre werden, also eines jener »fahrenden Fräulein", von denen ich schon gesprochen habe. Ist sie, um sich in der wirklichen Liebe zu verlieren, zu klug oder zu steril, und fehlt ihr, um als abenteuernde Dirne Erfolg zu haben, die notwendige Grazie, der Charme und die Toilette, so wird sie ihr abenteuerndes Dasein in ganz gewöhnlichen Betrügereien hinbringen.

Nie kann eine Frau, wie etwa ein Casanova, zum Abenteurer werden. Denn die Frauen haben alle ein bestimmtes Ziel: den Mann oder sein Vermögen oder seinen Ruf oder seine Liebe oder seine Hoffnungen. Die polnische Jüdin Therese Lachmann, spätere Geliebte des Klaviervirtuosen Hertz in Paris, des Lord Stanley in London, des Herzogs von Guiches, des Herzogs von Gramont, nachmalige Gattin des Marquis Aranjo de Paiva, dann Maitresse des Grafen Henkel von Donnersmarck und Besitzerin des schönsten Pariser Palais in den Champs Elysees, zugleich die Freundin von Theophile Gautier, Hippolyte Taine, Emile de Girardin, Arsaine Houssaye, Delacroix, Hohenlohe, Gambetta, usw., diese zielbewusste Streberin, die Liebe weder geben noch empfangen konnte, und für die der Mann nur das Mittel war, um ihren brennenden Durst nach Luxus zu stillen, – es liessen sich ihr leicht noch zahlreiche »historische« Beispiele anreihen – diese »grande dame«, die immerhin als der Typus dessen gelten kann, was man unter der Abenteurerin versteht, nimmt diesen Titel jedoch keineswegs für sich in Anspruch. Sie wählt nicht etwa einen besseren. Mit schöner Offenheit sagt sie vierundzwanzig Stunden nach der Trauung zu ihrem Gemahl, dem Marquis: »Mein Lieber, ich bin keine Frau für dich. Ich bin gesellschaftlich unmöglich, denn ich bin eine Hure.«

Frauen können nur am und durch den Mann ihr abenteuerndes Ziel verfolgen. Kurz, sie sind alles andere als Abenteurer, denn der Abenteurer hat nie ein bestimmtes Ziel. Er ist berauscht von einer Sehnsucht, der er keine Worte geben kann; er ist trunken vor Gier nach Glück. Er sucht und er braucht Abenteuer, wie ein Fisch Wasser braucht, wie ein Vogel Luft. Und wie der Vogel in der Luft fühlt er sich frei. Jede feststehende Grenze flösst ihm den Wunsch ein, sie zu überschreiten, und die heftigsten Leiden erduldet er, wenn man seinen freien Willen unterbindet. Das Abenteuer ist ihm keine Zerstreuung, sondern das Ziel selbst. Er zwingt das Abenteuer herbei; er wartet nicht erst darauf, bis es kommt. Denn es kommt nie. Seine Kunst ist, sich den Zufall gefügig zu machen, um an das Ziel zu kommen.

»Aber der Mensch darf trotz seiner Freiheit nicht glauben, dass er alles tun dürfe, was er wolle, denn er wird Sklave, wenn er sich durch die Macht der Leidenschaften zu Taten hinreissen lässt.« Welcher Moralist das sagt? Casanova. Allerdings erst mit sechzig Jahren.

Der Abenteurer sagt keineswegs: Erlaubt ist, was gefällt; sondern: Zur rechten Zeit ist alles erlaubt. Und er gehört zu den Leuten, denen alles erlaubt ist und denen alles gut steht.

Die Frage, warum ein so talentierter, schmiegsamer und immerhin ehrgeiziger Mensch keinen »ehrbaren« Beruf ergreift, heisst sein Wesen vollkommen missverstehen. Was soll er werden? Priester? Er will nicht heucheln und ist zu klug. Soldat? Der Beruf bringt zuviel Ungerechtigkeiten mit sich, und das empört ihn. Er mag auch seinen eigenen Willen nicht blindem Gehorsam unterwerfen. Kaufmann? Das steht ihm schlecht zu Gesicht, ist ihm zu klein, zu eng; seine Phantasie würde ihn täglich dem Bankrott entgegenführen. Künstler? Aber das ist er ja. Er ist ein Abenteurer, nichts als das; mit Leib und Seele Abenteurer, wie ein anderer Dichter ist oder Musiker.

Kann man ihn denn beurteilen? Man sieht immer nur seine vollbrachten Handlungen und nie den Willen, der sie auslöst. Wissen wir etwa, was er denkt? Vielleicht ist er nur deshalb eine so auffallende Erscheinung, weil der Rhythmus seines Blutes ein ganz anderer ist als der unsere. Denn das hat die moderne Physiologie ja nun zweifelsfrei gemacht: dass fast jedes Menschen Blut anders zirkuliert, und dass sich aus dieser Prämisse des Daseins alle Temperamentsunterschiede erklären. Folglich sollte man »blutsverwandt« diejenigen Menschen nennen, deren Blut den gleichen Rhythmus hat, und das also zur gleichen Willensbetätigung drängt. Das Blut allein macht ja nicht den Vater, hat schon Lessing bemerkt. Der dänische Minister Alberti, Graf Königsmarck, Manolescu, Graf de la Ramé, Margolin, Cook – um nur an die jüngsten Abenteurer zu erinnern – sie scheinen tatsächlich einerFamilie anzugehören.

Wenn aber niemand dafür bestraft oder auch nur gering geschätzt werden kann, weil er nicht sanguinisch, sondern phlegmatisch, nicht melancholisch, sondern cholerisch ist, wenn kurz und gut die moralische Qualität eines Menschen von vornherein durch die physische bestimmt ist, hat dann der Lüstling nicht recht, wenn er, zum »alten Wolf« geworden, Gott anfleht, er möge ihm ein hübsches, junges Mädchen in seinen Rachen führen? Unser Schiller, der in Dingen der Moral gewiss eine unantastbare Autorität ist, hat diese Frage bei derselben Wurzel angefasst. »Man hat das Erdreich des Vesuvs untersucht, sich die Entstehung seines Brandes zu erklären. Warum schenkt man einer moralischen Erscheinung weniger Aufmerksamkeit als einer physischen? Warum achtet man nicht in eben dem Grade auf die Beschaffenheit und Stellung der Dinge, welche einen solchen Menschen umgeben, bis der gesammelte Zunder in seinem Inwendigen Feuer fing?«

Und unser Dichter antwortet: »Den Träumer, der das Wunderbare liebt, reizt eben das Seltsame und Abenteuerliche einer solchen Erscheinung; der Freund der Wahrheit sucht eine Mutter zu diesen verlorenen Kindern. Er sucht sie in der unveränderlichen Struktur der menschlichen Seele und in den veränderlichen Bedingungen, welche sie von aussen bestimmten, und in diesen beiden findet er sie gewiss. Ihn überrascht es nun nicht mehr, in dem nämlichen Beete, wo sonst überall heilsame Kräuter blühen, auch den giftigen Schierling gedeihen zu sehen, Weisheit und Torheit, Laster und Tugend in einer Wiege beisammen zu finden. Wenn ich auch keinen der Vorteile hier in Anschlag bringe, welche die Seelenkunde aus einer solchen Behandlungsart der Geschichte zieht, so behält sie schon allein darum den Vorzug, weil sie den grausamen Hohn und die stolze Sicherheit ausrottet, womit gemeiniglich die ungeprüfte, aufrechtstehende Tugend auf die gefallene herunterblickt; weil sie den sanften Geist der Duldung verbreitet, ohne welchen kein Flüchtling zurückkehrt, keine Aussöhnung des Gesetzes mit seinem Beleidiger stattfindet, kein angestecktes Mitglied der Gesellschaft von dem gänzlichen Brande gerettet wird.«


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