Wilhelm von Polenz
Thekla Lüdekind. Zweiter Band
Wilhelm von Polenz

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V.

Am nächsten Morgen wurde bei Wernbergs spät gefrühstückt, eine Folge der Gesellschaft vom Abend vorher. Leo war eben auf dem Sprunge auszugehen, als vom Fürsten Nikolaus ein Brief an ihn abgegeben wurde.

Der Fürst schrieb:

»Mein lieber Herr von Wernberg! Soeben erhalte ich ein Telegramm aus Köln, vom Zuge aus aufgegeben. Sie wissen ja wohl, wer Cecil Duret ist? Der witzigste aller Pariser! Er befindet sich auf der Fahrt nach Petersburg, und will seine Fahrt hier unterbrechen, um mich zu besuchen. Ich habe ihm vor Jahren einmal aus der Patsche geholfen, und dafür ist er mir für's Leben dankbar; der brave Kerl! – Warum ich Ihnen das schreibe? Weil ich Ihnen das Vergnügen verschaffen will, Cecil Duret zu hören. Ich bin eben dabei, noch ein paar andere Herrschaften einzuladen, für heut abend, denn morgen früh 182 muß er schon wieder fort; heute aber soll er uns noch die neuesten Pariser Couplets vortragen. Ich fordere nur ganz wenige und nur geschmackvolle Menschen auf. Den alten Wächtelhaus, Fräulein von Ziegrist, den französischen Konsul, den Grafen Moy, Sie und Ihre Frau Gemahlin; das macht einen kleinen erlesenen Kreis. Lasse eben mein Atelier herrichten dazu; denn ich vermute, daß Cecil in seinen berühmten politischen Couplets verkleidet auftreten wird. Eine Absage würde mich wirklich betrüben. Legen Sie mich Ihrer Frau Gemahlin zu Füßen! Ich hoffe, der reizende gestrige Abend ist meinen gütigen Wirten ebenso ausgezeichnet bekommen wie mir! Also auf Wiedersehen, heut abend um neun Uhr pünktlich! Ihr Nikolaus W.«

Mit diesem Briefe kam Leo zu Thekla geeilt, die sich noch im Schlafzimmer befand. »Lies mal, Herz! Was für eine reizende Überraschung! Gut, daß wir gerade heute abend nichts anderes vorhaben!«

Frau Thekla las den Brief durch. Leo fand, daß sie ungewöhnlich lange dazu brauche, und fragte ungeduldig: »Nichtwahr das ist nett? Über die Antwort kann ja kein Zweifel sein. Wir kommen mit größtem Vergnügen.«

»Leo!« sie sah ihren Mann eindringlich an. »Ich bitte dich nicht oft um etwas; verlange nicht, daß ich dazu gehe!«

»Was sind denn das wiedermal für kindische Schrullen? Mußt du mir denn jeden Spaß verderben? Cecil Duret! Du ahnst wahrscheinlich gar nicht, wer das ist! In Paris vergöttern sie ihn, und wir in Deutschland haben niemanden ihm an die Seite zu stellen. Ich freue mich kolossal darauf. Für mich, wie für dich, sage ich zu. Der Lakai wartet auf Antwort.«

»Leo!« rief ihm Thekla nach, als er zur Thür schritt. »Leo! Ich gehe auf keinen Fall. Höre doch erst!« – Er 183 machte nur eine ungeduldige Bewegung. Sie konnte ihm nicht folgen, da sie noch nicht fertig angekleidet war. Gleich darauf hörte sie, wie er dem Lakaien draußen zurief: er solle Seiner Durchlaucht ausrichten, sie würden pünktlich erscheinen.

Nun mußte sie also doch sprechen! Im Laufe der Nacht war Frau Thekla zu dem Entschlusse gekommen, einen Brief an Fürst Nikolaus zu schreiben. Sie hatte sich diesen Brief Wort für Wort im Geiste zurechtgelegt. Er sollte so sein, daß der Fürst, wenn er nur einen Funken von Ehrgefühl besaß, nicht mehr fähig sein würde, ihr unter die Augen zu treten.

Dieser Plan war zerstört worden dadurch, daß Leo die Einladung angenommen hatte.

»Hast du's wiedermal mit der Prüderie, meine Thekla?« fragte Wernberg lachend, als er zu ihr zurückkehrte. »Couplets! Pariser Couplets! – Nichtwahr, da möchte man sich gleich die Ohren verstopfen! Kind, du hast doch manchmal – verzeihe mir den Ausdruck – Anwandlungen, wie eine alte Jungfer! Was ist nur los seit gestern abend? Bist du nicht wohl?«

»Es geht mir nicht gut; aber das ist es nicht, was ich dir sagen wollte . . . . .«

»Doch nicht etwa – –« rief er, und wurde rot vom plötzlichen Schreck. »Das fehlte mir gerade!«

»Nein!« antwortete sie, unmutig über sein Mißverständnis in solchem Augenblicke. »Es betrifft den Fürsten.«

Wernberg blieb, denn er merkte ihrem Ton und Wesen nun doch den Ernst an.

»Fass' dich aber, bitte, möglichst kurz, mein Herz! Ich muß wirklich gehen!«

Frau Thekla vermochte nicht, ihren Mann anzusehen bei ihrem Geständnis; zu furchtbar dachte sie sich die Wirkung auf ihn.

184 »Ich wollte es dir nicht sagen, Leo; aber nun geht es nicht mehr anders. Der Fürst verfolgt mich mit seinen Anträgen!«

»Du bist nicht bei Troste!«

»Ich hätte nichts gesagt, wenn nicht diese Einladung gekommen wäre!«

»Ist irgend etwas Kompromittierendes vorgefallen?« fragte Leo mit zitternder Stimme, vor Erregung bleich.

»Er ist aufdringlich! Näher beschreiben kann ich's unmöglich.«

»Weißt du genau, daß du nicht zuviel siehst.«

»Nein, nein! Einfache Galanterie würde ich in Schranken zu halten wissen; damit würde ich dir nicht kommen, das kannst du mir glauben! – Aber, ich weiß mir keinen Rat mehr.«

Wernberg begann erregt im Zimmer hin und her zu gehen. »Ein Affront! – – Bedenkt er denn gar nicht . . . . Thekla, hast du auch recht gehört? Solltest du dich nicht täuschen?«

»In solchen Dingen täuscht man sich nicht!«

»Sag mir alles! Wie weit ist er gegangen? Ich muß es wissen! Hat er Briefe an dich gerichtet?«

»Nein!«

»Was hat er gesagt?«

»Die Worte kann ich nicht wiedergeben. Es war mehr sein ganzes Wesen!«

»Wo und wann ist's gewesen?«

»Neulich, als er uns eingeladen hatte, seine Wohnung anzusehen. Dort hat er zum ersten Male Äußerungen fallen lassen . . . . .«

»Aber Lilly war doch dabei!«

»Die hörte gerade nicht hin. Er schlug mir vor, daß er mich porträtieren wolle; ich sollte dazu in sein Atelier kommen.«

185 »Das konnte ein Scherz sein. Was weiter? War das alles?«

»Dann gestern abend, hier bei uns. Da erinnerte er mich an seinen damaligen Vorschlag, und – und wurde noch deutlicher.«

»Weiter ist nichts gewesen?«

»Nein!«

»Ich meine damit – es ist bei Worten geblieben?«

»Ja!«

»Gott sei Dank! – Hat irgend jemand etwas gemerkt? Glaubst du, daß man Verdacht schöpfen könnte, nach irgend einer Richtung?«

»Was geschehen ist, ist unter vier Augen geschehen.«

»Gott sei Dank! Vor allem jetzt nichts merken lassen, Thekla! Gar nicht dergleichen thun, verstehst du! – Ich bin mit deiner bisherigen Haltung zufrieden. Aber, bitte, verrate dich nicht nachträglich noch! Die Geschichte muß sehr fein zu Ende geführt werden, wenn wir den Eklat vermeiden wollen. In deinem Benehmen dem Fürsten gegenüber vor allem sei von höchster Vorsicht!« –

»Ja, Leo – meinst du denn, daß ich den jemals wiedersehen soll?«

»Wir können doch nicht mit einem Male alle Beziehungen abbrechen! Das hieße doch geradezu, den Leuten auf die Nase binden, was geschehen ist. Bedenke doch nur die Intimität, in der wir bisher gestanden haben, Thekla!«

»Um so schlimmer, um so schmachvoller! Ich will den Menschen nicht wiedersehen. Er ist mir widerwärtig!«

»Das ist moralische Entrüstung mein Kind, die nützt uns hier absolut nichts. Ruhig Blut behalten! Der Fall liegt nicht günstig für uns. Fürst ist nunmal Fürst! Man kann auch eine Durchlaucht fordern, und Niky wäre 186 der letzte, sich nicht zu stellen. Aber der Skandal, der Skandal! Ohne Ehrengericht würde es nicht abgehen. Dann wird der ganze Fall untersucht, vergiß das nicht. Sowas riskiert man nur im äußersten Notfalle! Du sagst selbst, es ist zwischen euch eigentlich zu weiter nichts gekommen, als zu Worten, die nicht korrekt waren.« –

»Nein Leo! Es war mehr!«

»Zum Teufel, so gieb mir Beweise! Laß mich was Greifbares haben! Ich kann nicht so in's Blaue hinein fordern. Fürst Nikolaus ist im stande und lacht mich aus. Er wird sagen, daß du ihn mißverstanden hättest; es sei harmlose Galanterie gewesen. Dann bin ich entwaffnet, und habe mich überdies lächerlich gemacht.«

»Wenn ein Herr zu einer Dame in diesem Tone spricht, mit diesen Blicken, dann ist das nicht harmlose Galanterie, Leo! Mehr kann ich nicht sagen, und mehr werde ich nicht sagen!«

Leo erbleichte. Er stand eine Weile mit gerunzelter Stirn und zusammengepreßten Lippen. »Gut, Thekla, wenn sich die Sache so verhält, dann ist's entschieden; dann weiß ich, was ich zu thun habe.«

»Was willst du thun?« fragte sie atemlos:

»Ich schicke ihm meine Zeugen. Nun ist das selbstverständlich!«

Thekla schwieg. Da sie vor seiner Entscheidung stand, sank ihr die Schwere dessen, was sie selbst herbeigeführt hatte, auf's Gemüt.

Er verließ das Zimmer. Thekla warf schnell ein Kleid über, folgte ihm ruhelos durch das Quartier, während er sich zum Ausgehen zurecht machte.

»Wo gehst du hin, Leo?«

»Zunächst auf's Ministerium. Das Weitere weiß ich noch nicht. Die Einladung für heute abend muß 187 natürlich abgesagt werden. Vielleicht kommt mir unterwegs ein Gedanke. Erst muß ich mich mal sammeln. Es ist keine Kleinigkeit, wahrhaftig, wenn einem so etwas über den Kopf kommt!«

Damit ging er. Am liebsten hätte ihn Thekla festgehalten, sich ihm in den Weg gestellt. Aber sie fühlte sich zu schwach; diese Angelegenheit war ihren Händen entglitten, nahm Verhältnisse an, vor denen sie ratlos stand.

Frau Thekla verbrachte eine Stunde qualvollster Unruhe. Warum hatte sie nur gesprochen? Sie verstand sich nicht, konnte sich nicht mehr der Gründe entsinnen, die sie gehabt.

War es nicht, als treibe sie ihren Mann in den Zweikampf? – Entsetzt stand sie vor dem, was sie angerichtet. Ihre Phantasie malte ihr blutige Bilder vor, die sie mit namenloser Angst erfüllten.

Das war nicht zu ertragen! Sie mußte das Geschehene rückgängig machen. Allerhand abenteuerliche Pläne, Ausgeburten ihrer Ratlosigkeit, schwirrten ihr durch den Sinn. Wie, wenn sie sich aufmachte, zum Fürsten Nikolaus ging, ihm auseinandersetzte, was er über sie gebracht habe, würde er nicht edelmütig genug sein – – – aber hier stockte sie schon. Was sie von seinem Edelmut zu erwarten habe, wußte sie doch wohl jetzt! Ein solcher Schritt mußte alles noch mehr verwirren.

Dann kam ihr der Gedanke an etwas viel näher Liegendes. Wenn sie sich zu Leo begab, mit ihm sprach, den Erregten beruhigte, andere Wege mit ihm beriet? – Vielleicht hatte er noch nichts unternommen, vielleicht war noch alles gut zu machen! Er hatte ja selbst gesagt, daß er im Zweifel sei, was er thun solle.

So legte sie denn in Hast Straßentoilette an, nahm 188 einen Wagen und ließ sich nach dem Ministerium fahren. Möglichst unbemerkt suchte sie an dem Portier und den sonstigen Bediensteten vorüber zu kommen, bis sie vor der Thür angelangt war, an der »Oberregierungsrat von Wernberg« stand. Sie klinkte, aber die Thür war verschlossen. Der Diener kam herbeigeeilt. Er kannte Thekla, da er manchmal Aktenstücke zur Wernbergschen Wohnung getragen hatte. »Der Herr Regierungsrat waren heute schon hier, sind aber vor kurzem wieder weggegangen.« Thekla fragte, ob er hinterlassen habe: wohin? Der Diener wußte darüber nichts Näheres.

Sie war zu spät gekommen. Vielleicht war das, was sie hatte verhindern wollen, bereits geschehen. Es blieb ihr nichts übrig, als nach Haus zurückzukehren.

Dort ging sie ratlos von Zimmer zu Zimmer, wohnte, um für ihre Gedanken Abziehung zu haben, dem Beschäftigungsunterricht bei, den Gerd gerade hatte. Bis sie es dort auch nicht mehr aushielt. Noch nie in ihrem Leben, so kam es ihr vor, hatte sie sich so jämmerlich zerfahren gefühlt.

Jetzt wurde die Korridorthür mit dem Drücker geöffnet. Das konnte nur Leo sein!

Sie flog ihm entgegen, ließ ihm gar nicht Zeit abzulegen, zog ihn in's Zimmer. Prüfend sah sie in sein Gesicht, wollte dort gleichsam lesen, was sich inzwischen ereignet haben könne.

Wernberg lächelte. Sie scheine ja in großer Aufregung, meinte er. Thekla erzählte ihm, welche Angst sie ausgestanden habe und daß sie vor seinem Bureau gewesen sei.

Er lachte hell heraus. »Die Mühe konntest du dir ersparen, Thekla! ›Es wird nichts so heiß gegessen, als es gekocht ist!‹ Inzwischen bin ich zu einer ganz anderen Auffassung des Falles gelangt.«

189 »O, das ist herrlich, Leo!« sie umarmte ihn stürmisch.

»Herz, laß mich nur zu Atem kommen! – Und weißt du, wem wir das verdanken?«

»Nein!«

»Lilly! Bei ihr bin ich gewesen. Sie ist doch ein großartiges Frauenzimmer!

»Du hast mit Lilly davon gesprochen?« –

»Ich sagte mir, daß ich in dieser Sache Frauenrat bedürfe; mit einem Manne kann man in solchen Dingen kaum vernünftig reden; da steht die Antwort von vornherein fest. Lilly ist klüger als zehn Männer!«

»Wie konntest du das thun, Leo?«

»Hast du Angst, sie könne schwatzen? Nein, da kennst du Lilly schlecht. Sie ist vorsichtig; außerdem habe ich ihr Versprechen. Sie will die Sache in die Hand nehmen.« –

»Leo, wie kommst du dazu, Lilly in unsere Angelegenheiten zu mischen? Lilly, gerade Lilly!«

»Jawohl, gerade Lilly. Sie ist deine Freundin. Sie kennt mich, und sie ist befreundet mit dem Fürsten; also wie geschaffen zum Vermitteln. Lilly hat mir gezeigt, was ich eigentlich von Anfang an vermutet habe, daß du aus einer Mücke einen Elephanten gemacht hast, mein gutes Kind! Lilly ist dabei gewesen, neulich im Atelier; sie sagt, daß sie euch keinen Augenblick verlassen hätte. Sie hat auch seine Aufforderung, dich zu porträtieren, mit angehört und gar nichts Schlimmes dabei gefunden. Ähnlich harmlos ist die Sache gestern abend wahrscheinlich auch gewesen. Lilly und ich waren nebenan, als er bei dir stand. Ein paar Minuten seid ihr überhaupt nur allein gewesen. Was kann da viel passiert sein? Wir sind der Ansicht, daß es Übertreibung ist von deiner Seite, resultierend aus krankhafter Empfindlichkeit. Lilly sagt, daß du schon als 190 Schulmädchen daran gelitten hättest, immer etwas zu sehen, wo garnichts war. Und das deckt sich nur mit meiner eigenen Erfahrung.«

»Leo!« – –

»Du wußtest ja nicht das geringste Gravierende anzuführen vorhin. Blicke, Ton – – was ist das? Fordert man darauf hin? Soll ich eine Staatsaffäre daraus machen, daß ein galanter Mann meiner Frau ein paar Komplimente gesagt hat? Du mein Gott, dann müßte jeder Ehemann mit der gespannten Pistole herumlaufen. Niky, wie er nun mal ist, weiß vielleicht nicht mal mehr heut früh, was er gestern geredet hat; er würde ganz verwundert sein, wenn ich ihm meinen Sekundanten schickte. Ich lasse gewiß nicht mit meiner Ehre scherzen, aber man will doch wissen, wofür man sich einsetzt. Für ein Nichts sich schlagen, wäre frivol!«

»O Gott, wie alles verdreht wird!«

»Ja, mein Kind, diese Geschichte hast du dir selbst eingebrockt. Wäre ich nicht auf den guten Gedanken gekommen, mich vorher mit Lilly zu beraten, so hätte ich meine Zeugen gewählt, und der Handel wäre im Rollen. Was herauskäme, wüßte man nicht; wahrscheinlich eine Blamage für uns. So wird Lilly die Sache in die Hand nehmen. Sie kennt den Fürsten in all seinen Eigenheiten und Schwächen; er hat großes Zutrauen zu ihr . . . . .«

»Und was, um Gotteswillen, will sie denn thun?«

»Sie wird ihm einen kleinen Wink geben heut abend, oder bei anderer passender Gelegenheit, daß er vorsichtig sein soll. Mit einem Worte: sie soll ihn warnen. Es ist schließlich harmloser, wenn das eine Dame thut, verstehst du! Als ob es von ihr ausginge, soll es aussehen.«

»Aber wozu denn diese gewundenen Wege? – Und 191 wofür denkst du denn, daß Lilly das thut? Denn sie thut nichts umsonst!«

»Als meine und deine Freundin thut sie es. Ich find' es sehr freundlich, sehr selbstlos von ihr, daß sie sich dazu angeboten hat.«

»Lilly und selbstlos! Im Trüben fischen will sie!«

»Du bist von jeher ungerecht gewesen gegen Lilly, hier bist du es doppelt. In vielem könntest du dir ein Beispiel an ihr nehmen. Aber dieses Thema will ich jetzt gar nicht behandeln; jetzt gilt es, unser weiteres Verhalten besprechen. Zunächst also: heut abend gehen wir zum Fürsten. Gott sei Dank, hatte ich noch nicht abgesagt!«

»So bitte ich dich, Leo, daß du jetzt absagst, wenigstens für mich; denn ich betrete die Wohnung dieses Mannes nicht wieder.«

»Du willst also durchaus und durchum einen Skandal? Was soll sich denn der Fürst denken? Und meinst du etwa, daß dein Fernbleiben unbemerkt von den anderen Gästen bleibt?«

»Ach, alle diese Rücksichten sind mir jetzt so furchtbar gleichgiltig!«

»Aber mir nicht! Ich will nicht unhöflich sein, noch will ich alle Rücksicht mit Füßen treten! Und ich werde es auch von dir nicht dulden! Hörst du! Wir gehen heute abend. Und jetzt, bitte, sei vernünftig, und leg dich ein wenig nieder, damit du nicht allzu übernächtig aussiehst. Um vier Uhr wecke ich dich, dann essen wir, nachher läßt du dich frisieren.«

Thekla schüttelte den Kopf. »Leo, ich kann einfach nicht! Soll ich dir denn das noch weiter auseinandersetzen?«

»Weil du zimperlich bist, weil du hysterisch bist! Weil du überhaupt nicht zurechnungsfähig bist!« rief er 192 mit von mühsam zurückgehaltener Wut bebender Stimme. »Lilly hat ganz recht mit allem, was sie von dir sagt!«

»Also von ihr holst du dir neuerdings das Urteil über deine Frau?«

»Komm mir noch mit Eifersucht! Weiter ist es doch nichts! Es paßt dir nicht, daß ich Lillys Freundschaftsdienst angenommen habe!« Er maß sie mit feindlichen Blicken.

»Da hast du recht, Leo! Das ist ein Grund mehr, warum ich heute abend nicht gehen werde.«

»Alberne Schrullen! – Kindisches Frauenzimmer! –« schrie er, jetzt völlig die Fassung verlierend. »Ich sehe gar nicht ein, warum ich hier noch lange parlamentieren soll! Du hast einfach zu gehorchen! Halb acht Uhr ist der Wagen bestellt. Ich bitte mir aus, daß du fertig bist; sonst werde ich dir zeigen, wer ich bin.«

Damit ging er und warf die Thür schallend hinter sich in's Schloß.

Frau Thekla stand wie erstarrt, als habe sie eine Vision gehabt. Welch ein Gesicht hatte sie gesehen! So konnte er aus der Rolle fallen! –

Und während sie noch saß und staunte, nach Fassung ringend, kam er wieder. Er sah ruhig aus, seine Haltung gesetzt, bewußt würdevoll. Er schien ihr zeigen zu wollen, daß er zwar alles Recht hätte, gekränkt zu sein, ihr aber als dem schwächeren Teile aus Großmut verzeihe.

Ersichtlich sich eines milderen Tones befleißigend sagte er: »Thekla, ich gehe jetzt in die Stadt, werde auswärts speisen. In einer Stunde bin ich wieder hier. Ruhe wird dir gut thun. Deine Nerven sind herunter. Ich hoffe, wenn ich wieder komme, hast du Vernunft angenommen. Lebewohl!«

Sie erwiderte nichts. Ohne ihn gefragt zu haben, 193 wohin er gehe, wußte sie, daß er seine Schritte nirgends anders hin lenke, als zu Lilly Ziegrist.

Sehr bittere Gefühle beschlichen sie. Lilly sein Evangelium! Lilly sein Orakel! O, welch eine Sittenrichterin! Die moralische, die keusche Lilly! –

Ihre Gedanken flogen zurück. Wie alles sich so wunderlich um und um kehrte im Leben, wie dabei doch in aller Verkehrtheit Konsequenz lag! – Lilly, die er einstmals verschmäht hatte, war jetzt seine Beraterin in Gewissensfragen. Wenn er mit seiner kindischen, zimperlichen, hysterischen Frau nicht mehr auskommen konnte, dann ging er zu Lilly Ziegrist.

Welch ein Hohn!

Schon manches Herzeleid war ihr von Leo angethan worden, immer und immer wieder hatte sie verziehen. Immer und immer wieder hatte sie sich selbst eingeredet, daß es nicht so bös gemeint sei, gehofft, daß alles noch gut werden könne; so hatte sie die Anklage beschwichtigt, ihr Herz bethört. Aber das hier war Erniedrigung, die man nicht verzieh.

Wie versank dagegen alles, was sie in letzter Zeit durchgemacht! Ja, wie verschwand davor selbst die Beleidigung, die ihr Fürst Nikolaus angethan hatte! Was war ihr der Fürst? Ein Fremder! Ein Mensch, dessen Thun und Treiben sie kalt ließ, der an ihrem Leben keinen Anteil hatte. Sie begriff es kaum noch, daß sie sich um seinetwillen hatte erregen können. In's Allerheiligste ihrer Gefühle hatte sie dieser Mann nicht treffen können, weil er ihrem Herzen nichts bedeutete; Leo aber hatte das gethan, indem er eine andere Frau zur Richterin über ihre Ehre setzte.

* * *

194 Es begann zu dämmern; Leo war noch nicht zurück. Hedwig erschien und meldete, daß die Friseuse da sei. Sie solle die Person wegschicken, befahl Thekla. Hedwig zögerte. »Ich gehe heut abend nicht aus, Hedwig!« das Mädchen warf einen verwunderten Blick auf die Herrin und ging, den Befehl auszurichten.

Nach einiger Zeit kam Wernberg; er trat, wie er war, mit Hut und Stock, in's Zimmer. »Noch nicht frisiert! Weißt du, wieviel Uhr es ist?«

»Ich habe die Friseuse weggeschickt!«

Er erwiderte nichts. Sie hörte ihn schwer atmen.

»Geh in's Schlafzimmer!« sagte er mit gepreßter Stimme. Er stand jetzt dicht vor ihr; sie sah in der Dunkelheit seine Augen funkeln.

»Was soll ich dort?«

»Dich umziehen! Ich werde Hedwig schicken, daß sie dich frisiert.«

»Da ich nicht ausgehe, brauche ich auch nicht Toilette zu machen.«

»In fünf Minuten sitzt du vor deinem Spiegel! Ich rate dir's im Guten!«

Er sah nach der Uhr, und ging dann aus dem Zimmer. Thekla blieb, wo sie war.

Sie hatte keine Angst. Ganz wunderlich klar und gefaßt war ihr zu Mute. Sie sah alles und hörte alles, mit verfeinerten Organen; was sie sonst geschreckt haben würde, vermehrte nur ihre Kälte.

Auf einmal hörte sie im Vorzimmer erregtes Sprechen; Leos und Hedwigs Stimmen. Kurze Rede und Gegenrede. Dann Weinen, das Zuschlagen einer Thür; darauf erschien der Hausherr wieder.

»Das ganze Haus ist in Rebellion!« schrie er. »Hetzt du die Dienstboten auf? Das Mädel weigert sich, dich zu 195 frisieren. Die gnädige Frau gehe heut abend nicht aus! So weit sind wir schon! Direkte Verweigerung des Gehorsams. Ich habe ihr gekündigt. Am ersten ist sie draußen. Wir wollen doch mal sehen!« –

»Du willst meine Hedwig fortschicken?«

»Jawohl, mein Kind! Bisher habe ich mich von der milden Seite gezeigt; ich kann auch andere Register ziehen!«

Er setzte sich ans's Fensterbrett, kreuzte die Arme, blickte sie höhnisch an.

Es war ihm gelungen, Thekla aus ihrer kühlen Gefaßtheit aufzujagen; der Streich hatte gesessen. Sie hing an ihrem Mädchen in Liebe, das wußte er, darum hatte er gekündigt. Was das für kleine, niedrige Mittel waren! Wie er sich in ihren Augen herabsetzte! Immer tiefer sank er, immer tiefer!

Er zog die Uhr. »Die fünf Minuten sind um!«

Thekla erwiderte nichts. Er wiederholte: »Die fünf Minuten sind um!«

Sie schüttelte den Kopf.

Seine Mienen verzogen sich zur Unkenntlichkeit. Jäh sprang er auf. »Soll ich dich an den Haaren rüberschleifen? –«

Thekla blieb ruhig stehen, wich nicht zurück, sah ihn nur groß an.

Er ließ die Hand, die er schon erhoben hatte, sinken. Mit geballten Fäusten, keuchend, stand er da. – Sie zu schlagen, wagte er nicht. – Stieß einen Fluch aus und stürmte aus dem Zimmer.

Frau Thekla blieb nicht lange allein. Erst kam der Diener mit der Lampe. Aus seiner Miene sprach dreiste Neugier; die Dienstboten machten sich auch schon ihren Vers auf die Vorgänge im Hause. Dann erschien die 196 Kinderfrau mit Gerd, der den Eltern »Gutenacht« sagen wollte.

Der Junge eilte auf die Mutter zu und warf sich ihr mit dem ganzen Leib in den Schoß. Er stand jetzt in dem Alter der stürmischen Liebkosungen.

»Mama!« rief er. »Ich habe Fräulein Anna geheiratet!« – Damit meinte er die junge Dame, die täglich kam, ihn zu unterrichten. – »Und Hedwig und Karl und die Kinka sind unsere Kinder.«

Die Kinderfrau, die er von Alters her »Kinka« nannte, meinte erläuternd: »Er redt jetzt immer solchen Unsinn von Heiraten. Wer ihm nur sowas in Kopp setzt? Ich nich!«

Die alte Person wußte, daß sie nicht mehr besonders fest im Sattel sitze. Man hatte sie nur noch zur Körperpflege behalten; Gerd war ihr längst über den Kopf gewachsen.

Frau Thekla richtete das kleine Haupt in ihrem Schoße mit zärtlicher Hand ein wenig auf, blickte Gerd in die Augen, tief und ernst. Forschend suchte sie in den kindlichen Zügen, schien die schlummernde Seele des jungen Menschenkindes ausfragen zu wollen: ›wer bist du? Was wächst mir in dir heran?‹

 


 


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