Wilhelm von Polenz
Thekla Lüdekind. Zweiter Band
Wilhelm von Polenz

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II.

Wernberg kam mit dem Nachtschnellzuge zurück. Er hatte seiner Frau geschrieben, sie möge nicht etwa aufbleiben, ihn zu erwarten. Frau Thekla gab also Befehl, daß im Eßzimmer ein Gedeck aufgelegt werde, und daß Karl heißes Wasser bereit halte, falls der gnädige Herr bei seiner Rückkehr noch Thee verlangen solle. Sie überzeugte sich, daß in Leos Schlafzimmer, von dem ihren durch den Baderaum getrennt, alles so sei, wie er es liebte. Dann begab sie sich zu Bett.

Mitten in der Nacht erwachte sie zu jener Art von Halbwachen, wo dem Geiste die Energie fehlt, den Körper zur Regsamkeit zu bewegen. Sie vernahm Schritte auf 19 dem Gange vor ihrer Thür. Das Gepäck wurde vorbeigeschleppt. Sie erkannte die Stimme ihres Gemahls, wie er Befehle erteilte, und das: »Unterthänigst Gutenacht!« des Dieners.

»Gott sei Dank, Leo ist zurück!« dachte sie, und war gleich darauf wieder eingeschlafen.

Am nächsten Morgen, als Hedwig bereits die Vorhänge zurückgezogen und ihrer Herrin die Tasse Thee, die sie im Bette zu trinken pflegte, gebracht hatte, hörte Frau Thekla an dem Strömen und Brausen des Wassers nebenan, daß Leo sich dusche. Dann donnerte es gegen die Thür mit:

»Guten Morgen! Wie geht's? Den Jungen habe ich schon gesehen!«

Nach einiger Zeit erschien Wernberg in der Thür, mit gerötetem Hals, Kopf und Schultern, bis unter die Arme in einen Bademantel gehüllt.

»Guten Morgen noch einmal! Beeile dich, mein Herz, daß ich dich beim Frühstück sprechen kann. Ich muß vormittags zum Minister! Gestern abend fand ich eine Note von ihm vor; er will mich sprechen. Mach' ein bißchen, hörst du!« Damit verschwand er von der Thür.

Seinem Wunsche gemäß, erhob sich Thekla. Sie war nicht ganz zufrieden mit dieser Begrüßung. Nachdem er eine ganze Woche weg gewesen war, hätte er doch etwas herzlicher sein können, sie mit einem Kusse wecken, was Netteres zu ihr sagen! Obgleich er heute zum Minister sollte, wäre das wohl noch kein Zeitraub gewesen! Aber er war nicht für »Gefühlsduseleien« eingenommen, wie er selbst sagte.

Als Thekla eine halbe Stunde darauf in's Eßzimmer trat, saß Leo am Tisch, fertig mit Frühstücken. Er war bei der Cigarre und in die Morgenzeitung vertieft. Über 20 dem gesteiften Hemde trug er eine bunte Pekesche, die noch aus seiner Korpsstudentenzeit stammte. Seine Figur hatte sich fast gar nicht verändert, da er sich, um nicht stark zu werden, einer gewissen Diät befleißigte. Seinem Gesichtsschnitt konnten die Jahre nicht viel anhaben. Nur grauer war er geworden; dagegen that er nichts, weil das Silber, wie er wußte, gut zu seinem broncefarbenen Teint stand.

Leo erhob sich, als er seine Frau eintreten sah, küßte ihr die Hand und ließ sich von ihr umarmen. Dann trat er ein wenig zurück, musterte sie, und sagte: »Du siehst famos aus, wie immer!«

Das Ehepaar setzte sich einander gegenüber an den Tisch.

»Ich war gestern abend in starker Versuchung zu dir hereinzukommen, mein Schatz,« meinte er vertraulich lächelnd. »Aber – es war schließlich vernünftiger. Meinst du nicht auch?«

Thekla errötete und bat: er möge ihr nun von seiner Mutter erzählen.

»Die gute Mama! Sie ist Gott sei dank rüstig soweit; läßt dich natürlich grüßen. Mancherlei Verdruß hat sie. Tessis Scheidung reißt sie mächtig herum. Ich glaube, seit vielen Jahren ist nichts in der Familie passiert, was ihr so gegen den Strich gegangen wäre!«

»Die Arme! Es muß für ihren Mutterstolz sehr hart sein.«

»Erstens das! Und dann kommen jetzt noch allerhand Schwierigkeiten dazu. Jedenfalls war es sehr gut, daß ich kam! Tessi hat den Kopf total verloren und war drauf und dran, sogar Mama aus der Contenance zu bringen.«

»Dann muß es allerdings schlimm sein!«

»Sobald Tessi von ihrem Manne spricht, ist es aus 21 mit Erziehung, Haltung und allem. Sie zittert am ganzen Leibe und gerät in Weinkrämpfe. Rasend eifersüchtig ist sie; man hat das früher gar nicht so gewußt. Denke dir, sie hat Nieden vor aller Welt Szenen gemacht, ihn geradezu blamiert, ihm Sottisen gesagt in Gesellschaft! Kurz es ist nicht mehr schön gewesen! Ganz Berlin spricht davon. Man lacht sie aus und giebt ihm Recht. Hätte sie sich zu beherrschen verstanden, würde es umgekehrt sein.«

»Und was soll denn nun werden?«

»Scheiden müssen sie sich lassen! Besser sie hätten es längst gethan, dann wäre der Eklat minder arg gewesen. Scheidung wegen Ehebruchs klingt niemals schön! Wenn's noch hieße: wegen unüberwindlicher Abneigung; aber das geht nun nicht mehr, Tessi hat zu laut gesprochen.«

»Was sagt deine Mutter dazu?«

»Sie nimmt natürlich Tessis Partei.«

»Das wird wohl jede Frau thun!«

»Ach, mein gutes Kind, moralische Entrüstung ist sehr schön! Man kommt nur im praktischen Leben nicht weit damit. Was Nieden gethan hat, ist nicht nett; ich bin der Letzte, ihn in Schutz zu nehmen! Aber die Schuld liegt auch hier auf beiden Seiten. Tessi hat immer was Rechthaberisches gehabt. Man sagt, sie sei von den dreien unserer Mutter am ähnlichsten; leider ist sie aber nicht so klug wie Mutter. Niemals hat sie sich in ihren Mann zu finden gewußt. Das hat ihn verdrossen und schließlich gelangweilt. Da hat er sich dann anderenorts schadlos gehalten. Die alte Geschichte! – Ich muß sagen, seitdem ich mit Nieden selbst gesprochen habe, sehe ich die Sache ganz anders an!« –

»Du mit Nieden gesprochen! – Wann denn?«

»In Berlin, vorgestern! Eine Nacht hin, die nächste 22 zurück – machte netto einen Tag in Berlin! Ursprünglich wollte ich mit ihm nur per Rechtsanwalt verhandeln; aber schließlich habe ich's doch persönlich abgemacht. Und das war besser so! Nieden ist au fond doch ein anständiger Kerl! Wir haben vernünftig gesprochen. Er war zu jeder Art Satisfaktion bereit, wenn ich's verlangt hätte. Aber wozu? – Noch größeren Skandal und für Tessi kein besseres Resultat. Nein, das hätte keinen Zweck gehabt! Nieden ist momentan ziemlich zerknirscht; sein Chef hat nämlich was von Strafversetzung verlauten lassen, und Majestät, dem die Sache zu Ohren gekommen ist, soll Wut schnauben. Kurzum, mein Nieden war kleinlaut, und ich hatte leichtes Arbeiten. Tessi hat den Gewinn davon; ich habe was ganz Nettes für sie herausgeschlagen.«

»Leo, wie soll man das verstehen?«

»Sehr einfach! Tessi will weiter leben. Nun hat sie doch so gut wie nichts, und Nieden ist reich. Ich habe ein Abkommen mit ihm getroffen, unbeschadet der gerichtlichen Abmachungen, wieviel er ihr in Zukunft Unterhalt gewähren soll. Ich kann nur soviel verraten: meine Schwester ist nicht schlecht gefahren dabei.«

»Wie furchtbar häßlich das alles ist! Hat deine Schwester das angenommen?«

»Gott sei Dank, so bethört ist Tessi doch nicht, daß sie einen klaren Vorteil ausschlüge. Es ist immer besser, solche Sachen werden unter Kavalieren abgemacht, als daß man sich sein Recht im Prozeßwege erstreitet. Ich bin sehr zufrieden mit dem, was ich erreicht habe. Aber, du machst ein so bedenkliches Gesicht, meine Maus!«

»Ich kann mich darein wirklich nicht finden, Leo!«

»Merkwürdig, daß euch Frauen der Sinn für Realitäten so völlig versagt ist! Hätte ich Tessi und meine Mutter gewähren lassen, dann wäre nichts dabei 23 herausgekommen als ein Familienskandal, und wer weiß, wie Tessi pekuniär abgeschnitten hätte!«

»Daß man bei einem solchen Falle an Geschäfte denken kann, ist mir unbegreiflich!«

»Mein gutes Kind, deine Denkweise macht dir alle Ehre. Als Frau hast du sogar die Pflicht, so zu denken.«

»In so wichtigen Fragen sollten, meine ich, Männer und Frauen dasselbe denken!«

»Um Gottes willen nicht moralisch, Thekla! Ich kann so was zum frühen Morgen gar nicht vertragen; und vollends nicht, wenn ich zum Minister soll! – Es wird übrigens Zeit, daß ich mich anziehe!«

* * *

Nicht lange nachdem Wernberg fort war, wurde Frau Thekla an's Telephon gerufen, das sich im Arbeitszimmer des Hausherrn befand. Leo sprach vom Ministerium aus zu ihr, teilte ihr mit: der Minister habe ihn eingeladen, zum Lunch zu bleiben. Er werde erst am späten Nachmittage wiederkommen, da er massenhafte Arbeit vorgefunden habe. Sie solle also mit dem Essen etwa von sechs Uhr ab auf ihn warten.

Thekla war es im Grunde recht, daß er nicht so bald wiederkam. Sie befand sich in keiner glücklichen Stimmung; das Gespräch vom Morgen wirkte nach.

Dann schoben sich andere Eindrücke dazwischen. Die Kinderfrau berichtete, daß Gerdchen etwas gehustet habe. Thekla bereitete eigenhändig den Thee für ihn, der schon so oft geholfen hatte. Mit der Köchin ward die Veränderung des Menus besprochen, welche durch Leos 24 Tagesplan nötig wurde. Schließlich fand sie, daß sie auch noch Blumen nötig habe für den Tisch. Sie ging daher in die Stadt.

Gegen Abend kleidete sich Thekla um. Wernberg liebte es, seine Frau, wenn spät gegessen wurde, in Toilette zu finden. Er selbst legte den Frack an, auch wenn sie ganz allein waren.

Man traf sich im Salon. Leo war in aufgeräumter Stimmung. Er bat Thekla um Entschuldigung, daß er ihr durch Verlegung des Essens Störung verursacht habe. Dann trat Gerd auf. Zu Ehren des Tages war ihm sein bestes Kleid angelegt worden. Die Kinderfrau ließ ihn das neueste Kunststück vormachen, militärisch zu grüßen und zu marschieren.

Der Tisch war festlicher als alltags. Thekla hatte eine prächtige pontische Azalie für das silberne Mittelstück besorgt; Leo wußte soetwas zu würdigen. Er erzählte noch immer von seinem Aufenthalt bei der Mutter. Die Scheidungsangelegenheit seiner Schwester berührte er nicht wieder.

Von Leos Mutter konnte Thekla nie genug hören. Man sah sich nicht allzu häufig. Auch jetzt war das Verhältnis der Excellenz zur Schwiegertochter kein geradezu herzliches zu nennen. Aber seitdem Gerd geboren, und die Wernbergsche Familie damit einen Stammhalter besaß, achtete die alte Dame Thekla anders als früher. Von der Zärtlichkeit, die sie als echte Großmutter für den Enkel empfand, fiel für die Gattin ihres Sohnes gelegentlich doch auch ein Brosämlein ab.

Dann kam Wernberg wieder auf seine Berliner Fahrt zu sprechen. Er hatte eine Menge unternommen dort an dem einen Tage. »Du weißt ja, wie es in Berlin ist, man sieht alle Welt und ist sofort wieder mitten drin!«

25 Leo Wernberg kannte Berlin gut. Er hatte einige Semester dort studiert und war später ein paar Jahre lang als Legationssekretär in der Reichshauptstadt gewesen. Auch jetzt noch gab er die Fühlung mit Berlin nicht ganz auf.

»Bin aber doch froh, daß wir nicht in Berlin sind. Thekla! Bleibt nun mal eine eigene Luft, die Berliner Luft! Ein Zusatz von Parvenuhaftigkeit und Protzentum ist immer drin zu verspüren. Merkwürdig, die anständigsten Menschen, wenn sie eine Zeit lang in Berlin gewesen sind, bekommen etwas Streberhaftes. Wer seine Ellenbogen dort nicht gebraucht, fällt einfach unter den Tisch. Da lobe ich mir unser Dorf hier! Bei uns geht alles in der guten altbewährten Weise: ancien régime! Das Streben lohnt sich gar nicht hier zu Lande, es sind ja alle Posten in festen Händen; wer nicht dazu gehört, kommt nicht rein! Nein, ich mag nicht nach Berlin, selbst wenn dort mal eine Vakanz entstehen sollte. Lieber der erste in meinem Dorfe, als – nun sagen wir mal: als der zehnte in diesem Millionennest!«

»Wäre denn irgend welche Aussicht, daß wir nach Berlin müßten, jemals?«

»Davon gesprochen ist schon worden! Unser alter Wendelsloh sitzt ja ziemlich fest im Sattel, aber er hat einen großen Fehler für einen Gesandten, er hört schwer; und dabei will er durchaus den Hellhörigen spielen! – Allzulange wird er's wohl nicht treiben, aber ich will sein Nachfolger nicht sein. Mir gefällt's hier. Unser Haus können wir auch nicht auf den Rücken nehmen und nach Berlin tragen. Wenn's auch manches Verlockende hat; der Kaiser, das Corps diplomatique, die größeren Verhältnisse; aber man hätte dort nicht den Einfluß, den man hier besitzt. Was würde man schließlich davon haben? Ein paar große Orden vielleicht! Dafür käme man hier aus allem 26 heraus. Ich will dieses Eisen trotzdem im Feuer behalten. Schon daß die Leute sich einbilden, ich erstrebte den Posten, ist was wert. Der Minister hat ordentlich Angst, daß er mich auf diese Weise verlieren könnte. Ich lasse ihn auf dieser falschen Fährte jagen. Er war übrigens heute wieder von einer fabelhaften Liebenswürdigkeit, der gute Minister! Er rührt mich! Bei einem Staatsmanne ist Gutmütigkeit ein Fehler, ein wirklich großer Fehler!«

So plauderte Wernberg. Thekla war nicht übermäßig aufmerksam. Bei ihr war das Interesse für die öffentlichen Angelegenheiten immer noch nicht erwacht, obgleich sie die Frau eines Staatsbeamten war. Sie freute sich, daß Leo in diesen Dingen aufging, daß er Anerkennung fand, daß er Gelegenheit hatte, seine Gaben zu verwerten. Aber persönlich hegte sie nicht den geringsten Ehrgeiz. Jedes neue Wort, das Gerdchen zu sagen imstande war, interessierte sie mehr, als die Vorgänge, von denen Leo solches Aufheben machte.

Heute hatte sie noch eine ganz andere Abziehung für ihre Gedanken. Leo wußte doch noch gar nichts von dem Gespräch, das sie neulich mit Arthur und ihrer Mutter gehabt hatte, wußte noch nichts von Arthurs Versetzung, von dem Entschlusse ihrer Mutter, wegzuziehen und was alles damit zusammenhing.

Beim Kaffee, den man im Salon nahm, fing sie davon an.

Sie erzählte, wie sehr sie sich freue, daß Arthur nun endlich befördert worden sei, erwartend, daß ihr Mann diese Freude teilen werde. Wernberg lächelte. »Ja, Schatz, denkst du denn, daß ich davon nichts gewußt habe?«

»Du hast's gewußt und mir nicht gesagt? Das finde ich nicht nett von dir, Leo!«

»Nicht bloß gewußt habe ich's, mein gutes Kind!« 27 sagte Wernberg mit Überlegenheit. »Ich habe es veranlaßt. Arthur kann sich bei mir für seine Beförderung bedanken.«

»Bei dir?«

»Arthur hat keinen Unternehmungsgeist. Im übrigen ist er ja ein ganz guter anständiger Kerl. Er muß mal raus hier, sonst versimpelt er vollständig! Ich habe ein Wort zu seinen Gunsten mit dem Ministerialrat gesprochen, der die Versetzungen macht.«

»Dann wärest du also an seiner Versetzung schuld? –«

»Thekla, in solchem Falle giebt es keine Wahl für einen Beamten. Man hat anzunehmen, was einem geboten wird. Die Stelle war gerade frei. Und, wie gesagt, ich kann es für Arthur nur gut finden, wenn er endlich von hier weg kommt!«

»Wenn Arthur ahnte, wie das zusammenhängt!«

»Laß ihn nur bei seinen Illusionen! Über das, was ich dir eben erzählt habe, brauchst du ihm nichts zu sagen, hörst du, Thekla. Er denkt womöglich sonst, daß ich ihn weggelobt habe! Daß ich ihm gerade heiße Thränen nachweinte, will ich nicht behaupten!«

»Und was das für mich bedeutet, danach fragst du gar nicht? – Nun habe ich niemanden von meiner Familie mehr hier, denn meine Mutter hat sich entschlossen, mit ihnen zu gehen.«

»Deine Mutter geht!« Er sprang dabei vom Stuhle auf. »Du hast ihr doch hoffentlich nicht abgeredet?«

»Leo!« –

»Liebes Kind! Ich habe ja alle mögliche Liebe und Verehrung für deine Mutter, aber – passons la dessus! Ich wünsche den Deinen alles Gute. Sie werden sich sicher in H . . . . viel besser befinden, als hier. Man ist dort anspruchsloser, schon weil kein Hof da ist. Auch ist mit 28 Arthurs Beförderung eine Gehaltserhöhung verbunden, das weißt du wohl? Und schließlich habe ich dafür gesorgt, daß ihm die Umzugskosten ersetzt werden, was sonst nicht üblich ist. Du kannst nicht klagen, Thekla, daß ich nichts für deine Familie thäte! Ich denke, sie werden nun endlich auskommen können, mit dem, was sie haben und nicht mehr dir auf der Tasche liegen. Es wäre wirklich die höchste Zeit, daß dieser unschöne Zustand aufhörte! Ich dächte, es müßte für Arthur selbst, wenn er nur etwas Ehrgefühl besitzt, bedrückend sein.«

»Ich kann dir versichern, Leo, er leidet schwer genug darunter! Aber nicht, daß er von mir die Unterstützung annehmen muß, bedrückt ihn, nein: daß er fürchten muß, von dir deshalb über die Achsel angesehen zu werden, ist das Peinliche für ihn. Er hat mir's selbst gestanden. Aber ich glaubte, ihm erwidern zu können, daß du ihm die Unterstützung gönntest!«

»Von gönnen oder nicht gönnen ist gar nicht die Rede. Der Fall liegt furchtbar einfach! Dein Bruder hat das Seine als Student verthan. Anstatt nun, was das Vernünftige gewesen wäre, ledig zu bleiben, oder, wenn durchaus geheiratet sein mußte, sich nach einem Mädchen mit Vermögen umzusehen, heiratet der Mensch seine Gymnasiastenliebe! Die dumme Partie, wie sie im Buche steht!«

»Und ich will dir sagen, daß es von Arthur die beste, anständigste That ist! Und wie es sich gelohnt hat, das sieht man; Arthur ist ein ganz anderer Mensch seitdem, glücklicher und besser!«

»Jawohl die Zustände sind ideal in der Familie deines Herrn Bruders! Die richtige deutsch-bürgerliche Ehe: jedes Jahr ein Kind und nichts zu beißen und zu brechen für die Würmer! Du kannst stolz sein, das zu Stande gebracht zu haben! Saubere Wirtschaft! Es kann einen ekeln! – 29 Aber er braucht ja für nichts zu sorgen, er hat ja eine reiche Schwester! Das hat er sich sehr klug eingerichtet, der gute Arthur! Er weiß die Citronen zu quetschen, das muß man ihm lassen! Und jetzt hat er also meine Abwesenheit benutzt, dich aufzusuchen . . . .«

»Der Bruder wird doch wohl noch das Recht haben, sich an seine Schwester zu wenden! –«

»Aber er hat kein Recht, hinter meinem Rücken geschäftliche Abmachungen mit dir zu treffen!«

»Aus freien Stücken habe ich versprochen, ihm den Zuschuß weiter zu gewähren.«

»Ich bin nicht dabei gewesen, daher ist alles, was ihr abgemacht habt, null und nichtig. Merke dir das!«

»Leo!« rief Thekla »Leo! . .«

Weiter brachte sie nichts heraus. Mit großen durchdringenden Augen, schmerzlich zuckenden Lippen, blickte sie ihn an, wie er erregt im Zimmer auf und abschritt.

»Du hast niemals gewußt, mit Geld umzugehen, und weißt es auch heute nicht! Genau wie dein sauberer Bruder bist du, leichtsinnig und verschwenderisch! Das steckt bei euch im Blute! Aber unverständige Kinder haben kein Recht, in Vermögenssachen Verpflichtungen einzugehen. Frage mich ein andermal gefälligst! Wofür bin ich dein Mann?«

Frau Thekla senkte das Haupt für einen Augenblick, dann stand sie auf und verließ ihn. Er rief ihr nach, aber umsonst.

Es war dunkel in ihrem Zimmer, sie trat an das Fenster neben dem Schreibtisch und lehnte die Stirn gegen die Scheibe. Nicht das erste Mal war es, daß sie hier mit bitteren Gefühlen stand.

Der Hals war ihr trocken und weh, das Blut hämmerte in ihren Schläfen. Wie die Gedanken flogen, keinen konnte 30 sie zu Ende denken. Einer gab immer wieder einem neuen Leben; wie ein Zug häßlicher Geschöpfe war es, die über den Weg krochen. Sie erschrak vor den Ausgeburten des eigenen Hirns und konnte sie doch nicht bannen.

Wie ein Gespenst stieg es vor ihr auf. Da drüben, das war sie: Thekla Lüdekind, die richtige, die echte Thekla, dort lag sie begraben, die bessere, die glücklichere Thekla! Da drüben stand ihr Haus! Denn das hier war ja gar nicht ihr Haus! Das hier war seines, von ihm erbaut, mit ihrem Gelde.

O, dieses schreckliche Geld! Wenn Tante Wanda das geahnt hätte! Warum hatte sie es ihr vermacht, gerade ihr? Viel glücklicher wäre sie gewesen ohnedem.

Ob er sie dann wohl geheiratet hätte? – Pfui, welch ein Gedanke! Wenn jemand anders gewagt hätte, soetwas auszusprechen!

Des Geldes wegen geheiratet! Welcher Hohn, wenn Tante Wandas Erbschaft dazu geführt hätte! –

Sie sah Tante Wandas bleiche Züge auf dem Sterbebette, hörte ihre matte Stimme, wie sie ihre Liebesgeschichte erzählte.

Und auch dieses Bild wurde abgelöst von anderen. Gabriel Bartusch, Reppiner. Wo mochten die jetzt sein? Der eine ein Verbrecher, der andere ein Jude! –

Und doch waren diese beiden nicht vielleicht besser, als der da drinnen? Wäre sie nicht glücklicher geworden? . . . . .

Nein, so ging es nicht weiter! Sie würde verrückt werden, wenn sie ihre Gedanken nicht zügelte! An etwas anderes wollte sie denken: etwas Gutes, Trostreiches.

Ja, Gerd ihr Junge! Gerdchen, ihr herziger, süßer Junge! Machte der in seiner Kindesunschuld nicht vieles gut? –

31 Den hatte sie doch von Leo! O, es waren Zeiten gewesen, wo sie sich geliebt hatten!

Und dabei so roh sein zu können! So der Liebe zu vergessen! So sich gehen zu lassen! – War das etwa sein wahres Gesicht, und das andere freundlichere, treuherzige, gute, das sie liebte, Maske?

Nein, nein, nein! Kein Mensch konnte so heucheln! Sie war toll, soetwas zu denken. Er war besser als das. Sie hatte tausend Beweise dafür. Er konnte zärtlich sein, weich und gut. Sie hatte Thränen in seinen Augen gesehen, Thränen der Rührung und des Mitleids, die sie ihm nie vergessen würde. Hatte ihn nicht die Angst um sie, als sie in Kindesnöten lag, zur Verzweiflung getrieben? hatte er nicht geweint vor Freude, als er zum ersten Male das Gesichtchen seines Sohnes erblickte? – Er war nicht herzlos. Er war kein Egoist! Sie that ihm großes Unrecht. Wie konnte man so von seinem eigenen Manne denken? O, sie war schlecht!

Thekla preßte die Stirn noch fester gegen die Scheibe und schloß die Augen.

Die Thür ging. Sie vernahm seinen Schritt im Zimmer, wie er gegen ein Möbel stieß im Dunklen. Sie rührte sich nicht. Er rief ihren Namen. Sie rührte sich nicht. Wie gebannt stand sie. Wenn er sie doch nicht sehen möchte! Eine furchtbare Angst schnürte ihr die Brust zusammen. Es war dunkel. Wenn es ihm beikommen sollte, jetzt zärtlich zu sein! Es hatte in seinem Rufe soetwas gelegen, das locken wollte. Das würde sie nicht ertragen! Sie würde schreien, um sich schlagen, die Dienstboten zu Hilfe rufen.

Aber er blieb ein paar Schritte von ihr stehen und sagte in einem Tone, der fast traurig klang: »Ich bin etwas weit gegangen, Thekla! Aber vergiß nicht, mir 32 geht so manches im Kopfe herum. Die Sache mit meiner Schwester – man hat schließlich auch seine Nerven. Und bedenke: ich habe an Gerd zu denken. Wenn ich das Unsere zusammenzuhalten suche, so ist das kein Unrecht. Auch kann ich sterben; und dann möchte ich doch wenigstens die Sicherheit haben, euch in gesicherten Verhältnissen zu wissen. Darum suche ich alles abzuwenden, was dein Vermögen vermindern könnte – siehst du! –«

Sie hörte seine Worte, sie sagte sich auch, daß das, was er vorbrachte, nicht unrichtig sei; aber sie fühlte sich nicht im geringsten überzeugt. Was er vorhin gesagt hatte, war seine Überzeugung gewesen, das hier war nur eine Erklärung. In der Erregung hatte er sich echter gezeigt, als jetzt, wo er sie versöhnen wollte.

Schrecklich, mit welch eisiger Ruhe sie das bei sich festzustellen vermochte!

Sie wandte sich um und sagte gelassen: es sei so dunkel hier, man wolle doch lieber in das andere Zimmer gehen.

Leo war erfreut, sie so gefaßt und, wie er glaubte, willig zu finden. Er streichelte ihr das Haar, als sie nebeneinander den Raum verließen.

»So, nun bist du wieder vernünftig, mein Herz!« Er lächelte sie an. »Ein Tyrann will ich nicht sein; das liegt ganz und gar nicht in meiner Natur! Wir wollen Arthur meinetwegen den Zuschuß weiterzahlen, ein Jahr – zwei Jahr. Später wird sich vielleicht ein Modus finden lassen, daß er nach und nach weniger bekommt, da sein Gehalt doch wächst. Du siehst, Thekla, ich bin nicht eigensinnig, lasse mit mir reden.«

Thekla sah ihn erstaunt an. Bildete er sich wirklich ein, daß es ihr darum zu thun sei? Wie schwer von Begriffen Männer doch sein konnten!

33 »Eigentlich könnten wir nun wieder gemütlich sein – was? Ein Streit darf wohl mal vorkommen! Um so netter ist dann die Versöhnung. Solche kleine Meinungsdifferenzen sind geradezu notwendig. Aber nur ordinäre Leute fahren sich deshalb in die Haare.«

Thekla blickte zu Boden. Nannte er das eine »kleine Meinungsdifferenz«?

 


 


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