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15.

Die silbernen Nächte waren in das Land gekommen.

Die Tage waren noch erfüllt von der gelben Glut der Sonne; wenn aber diese in das grüne Dunkel der fernen Waldberge sank und der Mond ruhig und gelassen in seiner vollen Scheibe über die Erde zog, krochen graue, feuchte Schwaden aus den Talgründen und legten sich wie schleierfeine Gespinste um Halm, Baum und Stein, so daß eine heimliche Kälte aus ihnen zu kommen schien.

Im großen Meierhof, der zur Heilanstalt gehörte, rollten die ausgedroschenen Getreidekörner unter die pustende Dampfdreschmaschine. Tag und Nacht, denn man mußte sich eilen.

Die Hände durften nicht rasten. Bauernhände sind ruhelos, und immer wartet ihrer nach harter Tat eine noch härtere.

Die Keuschen der armen Taglöhner und Häusler waren leer – wie ausgestorben. Keine Seele bangte oder freute sich tagsüber drinnen, und wenn nicht des Nachts hinter den niedrigen Fenstern ein Lichtschimmer zu sehen gewesen wäre, hätte man glauben können, eine mörderische Krankheit sei durch die schmale Gasse geschritten und hätte links und rechts alles Leben erwürgt. Ihre Einwohner standen jetzt alle im Dienste der Heilstätteverwaltung, Mann und Weib, Erwachsene und Kinder. Nur da und dort lag hinter einem verhängten Fenster ein kleines Kind und weinte jämmerlich in seiner Wiege die einsamen, mutterverlassenen Stunden ab.

Auf den Feldern war es öde, alle Frucht schon eingefahren. Selbst das letzte Heu lag schon wettergeschützt in den Scheunen. Höchstens daß der suchende Blick ein Pfluggespann aufgriff, das neue Schollen zur Aufnahme der Wintersaat warf.

Die Wälder, in denen im Sommer jedes Blatt vor heimlicher Wonne bebte, waren in dieser Zeit seltsam ruhig und lautarm geworden, so, als horchten alle Bäume und Tiere darin atemlos auf den noch in weiter Ferne hallenden Tritt des Winters und als hätten sie keine Lust mehr zum Rauschen, Singen und Zirpen. Schritt der Heger zur Zeit der stärksten Mondhelle zur Wildtränke, um die schußreifen Hirsche und Rehe zu zählen, und glänzte sein dunkles Kleid, überschüttet vom Mondlicht, wie bereift und beschneit zu mir herauf, der ich noch an dem Fenster stand und glücklich in die Weite sann, dann glaubte ich in ihm den Winter zu sehen, der für mich eine Hucke voll Segen und Erfüllung trug.

Hie und da gilbten schon in großen Strichen die Laubgehölze, und die fahlen Blätter zuckten wie blasse Zungen kranker Menschen aus dem noch grünen Leib des Waldes oder brachen wie flammende Fackeln hervor. Hoch oben in schwindelnder Höhe schaukelte der Habicht und freute sich königlich über die wie Glas durchsichtige Luft, die ihm so gut die fetten Feldmäuse sehen ließ, die in den blanken Stoppelfeldern nur noch mit größter Vorsicht ihr Versteckspiel abhalten konnten. In den Nächten, die dem Tag mit zäher Beharrlichkeit Minute um Minute stahlen, waren die Sterne noch einmal so groß wie sonst.

Bis zur zwölften Stunde blieben die Nächte oft noch warm wie ein junger Frauenleib, indes die Stunden nach Mitternacht der Sonne entgegenschauerten und die Gestirne vereiste Welten schienen.

Manchmal gab es aber auch Tage und Nächte ohne Sonne, ohne Frieden und silberleuchtende Sterne. Stürme ritten dann auf grauen Riesenpferden in tosendem Fall, brachen wütend in die Wälder ein, so daß die Bäume laut aufschrien in verwundeter Not. Wolke auf Wolke, schwarz und trägflügig wie die Krähen, die in tiefem, warnendem Fluge kreisten, türmte sich über Berg und Tal auf, und die Bauern schlugen Kreuz um Kreuz und murmelten uralte Kalenderregeln und Beschwörungssprüchlein. Ein Gewitter im Herbst ist bös; da sitzt der rote Hahn sprungfreudig in den Wolken und starrt in Gier auf die gefüllten Scheuern und Böden. Regnen konnte es jetzt so viel es nur wollte, es gab nichts mehr zu verderben; aber schändliches Blitzen und greuliches Donnern, das konnte der Bauer um diese Zeit nicht mehr brauchen.

Oft gab es auch schon starken Frühnebel. Der kroch aus verborgenen Berghöhlen in die Täler und ließ seinen riesigen Hauch über die Felder wehen. Dann blickte der Bauer besorgt auf die Flächen seiner Wintersaat.

Wenn der Frost zu früh kam!

In der Heilanstalt ging das einförmige Leben seinen Weg fort, unberührt von dem Wechsel in der Natur. Alte Patienten hatten die Pflege verlassen, neue waren gekommen. Aber so wie der gemeinsame Feind, die Tuberkulose, alle Standesunterschiede verwischte, alle Sonderinteressen des einzelnen hintanstellte, vergessen ließ und die grundverschiedenen Weltanschauungen und Klassengegensätze im Kampfe gegen sich vereinigt sah, so machte er auch die Neuangekommenen binnen wenigen Stunden zu Vertrauten ihrer engeren Umgebung und ließ keine langanhaltende Fremdheit bestehen.

Desgleichen wurden die, welche die Heilanstalt verließen, selbst von ihren besten Freunden darin bald vergessen. Die Menschen kamen und schwanden hier wie die Wellen. Die hundertste wußte nichts von der tausendsten. Hob einen Entlassenen einmal eine Frage aus der Versenkung der Vergessenheit wieder ins Bewußtsein der Zurückgebliebenen empor, staunte mancher insgeheim auf:

»Ach ja, den hab' ich ja auch gekannt, der war so und so, hat dies und jenes gesagt und getan.«

Und eine Scham schlich sich verstohlen in die Herzen, darüber, daß man einen vergessen konnte, mit dem man monatelang an einem Tische gesessen, in einem Saale geschlafen hatte, und zaghaft drängt es sich über die Lippen, das stereotype und doch so furchtbare und inhaltsschwere: Lebt er noch, was macht seine Lunge oder sein Kehlkopf? Und die Pendelschläge der Angst und des Schreckens vor Sterbestunde und Tod klopfen an die Herzwand, fängt das Ohr als Antwort auf, daß dieser und jener schon gestorben ist, mit dem man noch vor nicht langer Zeit Schach spielte, Zeitungen austauschte oder durch sonst ein Geschehen in näherem Verkehr stand.

Das Schicksal steht hinter dem Ängstlichen, tippt ihn auf die Schulter und raunt ihm zu:

»Aufgepaßt, bald wird die Reihe auch an dich kommen.

Dann quält sich mancher ab, um mit einem armseligen Witz und erlogenem Lachen das Grauen abzuschütteln, und wirft dem lauten Beifall zu, der es versteht, durch eine zynische Bemerkung das Menetekel von der Wand zu löschen.

Feinhals fuhr in den ersten Tagen des Oktobers in seine östliche Heimat, ungeheilt und mit der Gewißheit im Blute, daß der Schnee, der dort unten schon zu fallen begann, und der Frost, der aus den Sümpfen und meilenweiten Wäldern, die das heimatliche Dorf umgaben, hervorkroch, ihm nur wenige Monate Lebensfrist gönnen würden.

Und er konnte nicht länger in der Heilanstalt bleiben, auch nicht von hier aus noch einmal den Süden aufsuchen, denn seine armen Eltern und Geschwister hatten sich für seine schon Jahre dauernde Krankheit ausgeblutet und konnten nur noch eines tun: ihn bei sich zu Hause mit all der Liebe pflegen und in das Sterben geleiten, die bei dem jüdischen Volke wie eine köstliche, nie verwelkende Rose blüht.

Mir fiel der Abschied von diesem einsamen Juden schwer, aber ein starker Trost linderte den Schmerz des Scheidens.

Wenn ich Feinhals nicht mehr sehen sollte, wenn ihn der Tod gar bald von der Erde nahm, was tat es! Seine Persönlichkeit gab mir so viel von ihrer eigenen Schönheit und Kraft, die auf mich übergingen und nun in mir wirkten wie das Blut einer Mutter in ihrem Kinde.

Was sank mit ihm in das Grab?

Nichts als ein leeres Glas, aus dem andere, vor allem ich, neue Stärke tranken, mit dieser ihre Becher füllen, die sie wieder anderen zum Trunke reichen und so das wahre Dasein des toten Juden in die Ewigkeit tragen.

Im Banne solcher Gedanken begleitete ich Feinhals zur Bahn.

Jeder von uns beiden hatte ein leichtes Lächeln im Gesicht. Wir sprachen von den gewöhnlichsten Dingen. Erst als er schon auf dem Trittbrett seines Waggons stand, wurde sein Blick ernst; er legte mir die Hände auf die Schultern und sagte ganz, ganz leise:

»Gib Elisabeth die Heimat!«

Ein Händedruck, der wie ein Kuß war – der Zug knirschte über die Schienen.

Da wußte ich, daß Feinhals meine Elisabeth liebte, so liebte, wie nur ein Jude lieben kann, der die seelische Qual seines Volkes erkannt hat.

Eine Woche nach der Abreise meines Freundes verließen Elisabeth und ich die Heilanstalt.

An einem Sonntag nach der Predigt wurden wir in der kleinen Dorfkirche getraut. Die ganze Gemeinde wohnte der Einsegnung bei und betete zu ihrem Gotte für das junge Ehepaar, das vor dem lichtumfunkelten Hochaltar stand, von dem uralte Geheimnisse herabwehten.

Als wir vor dem Priester knieten, die Hände fest verschlungen, da lagen wir in Wirklichkeit vor dem heiligen Leben auf den Knien, das uns dieses hohe Glück schenkte. Die Erde selbst hörten wir mit dem Munde des alten Pfarrers reden, und seinen glaubensdunklen, geheimnisvollen Segenssprüchen legten wir den klaren Sinn des gegenwärtigen Erlebens bei.

Draußen vor der Kirche stand die Dorfjugend, noch überglüht und durchleuchtet von dem reinen Feuer kindlichen Gottglaubens, und reichte uns beim Heraustreten aus dem weihraucherfüllten Gewölbe die Blumen des Herbstes, Dalien und Astern.

Und dann ging es in unser Heim.

In unser Heim!

Das waren zwei Stuben und ein Küchenraum in einem Häuschen, um das sich ein großer, alter Obstgarten mit seinen Birnen-, Pflaumen- und Äpfelbäumen wie Wall, Mauer und Pfahlwerk um eine kleine Festung dehnte, bis in den Kreis der Wiesen, die zum Bergwald aufstiegen, hinter dem die Sonne aus dem Bette stieg und an unsere blanken Fenster klopfte.

Mit dem Rücken lehnte unser Schloßpark an das Ende des Dorfes an, das aus Gärten mit Scheunen und zu Boden geduckten Häuschen bestand, in welchen die Armen und Alten der Gemeinde hausten. Von denen kam kein Lärm herüber, auch von den Wiesen und Wäldern nicht, die unserem Hause in das Gesicht sahen, und so lebten wir, eingesponnen in die Wunder der spendenden Liebe, wie in einem Märchen und merkten kaum die Tage kommen und gehen.

An Besuchen empfingen wir nur den des Doktors Pohl. Er sauste mindestens alle Wochen einmal auf seinem Zweirad zu uns herunter und freute sich immer sehr, daß uns das freie Leben und die einsame Liebe so gut anschlug und wir ihn jedesmal bei seinem Kommen wie tagfrohe, leichtsinnige Kinder entgegenlachten.

Bei aller Freundschaft aber, die ich für den Doktor empfand, konnte ich doch eines leisen Unbehagens in seiner Gesellschaft nicht Herr werden und mußte stets bei seinem Anblick an die Unterredung im Walde und seine Warnung denken – die ich nicht befolgt hatte.

Alle zwei, drei Wochen kam ein Brief von Feinhals. Er schrieb nie von dem Stande seiner Krankheit, ließ keinen Satz als Spiegel seines körperlichen Befindens und Aussehens aus der Feder fließen, und nur seine Seele, seine schöne, lichte Seele kam mir aus jedem Worte nackt und keusch entgegen und flüsterte mir beim Lesen in das Ohr:

»Führst du Elisabeth der Heimat zu?«

Ich schrieb es ihm nicht, aber vielleicht klang es auch ihm hinter meinen Zeilen hervor, laut und verständlich seiner bangenden, liebenden Seele:

»Ja! Mein Weib schreitet der Heimat entgegen!«


Weihnacht!

Alles prunkte im weißen Schneekleid.

Die Welt war ein einzig großer, blendend prächtiger Diamant.

Der Frost, der wochenlang in den Wäldern sprungbereit gekauert hatte, war in einer Nacht wie ein Blitz über die Erde gekommen. Nun lag alles schwer atmend unter seinen scharfen Pranken.

Manchmal erhob sich auf Stunden ein Sturm. Der zerriß den Schnee wie Linnen und zerfetzte ihn in wehende Fahnen. Dann sah man bis ins Herz des Waldes, das aufschrie vor Schmerz.

Gleich darauf glänzte aber wieder der Frieden der Sonne oder der Sterne auf die Natur.

Weihnacht!

Die Erwachsenen wurden wieder Kinder. In manchem alten, sorgenverwitterten Bauerngesicht wollte sich eine heimliche Freude zwischen den Falten verstecken, und die meisten Menschen gingen daher mit einem Staunen über das inwendige Licht, das in diesen Tagen ganz plötzlich im Dämmer ihres dosigen Dahinlebens aufgeflammt war. Die Kinder schauten beim Schulgang in fröhlicher Unruhe und Erwartung immer in der Richtung zum Tannenwald hinauf, als müßte jetzt und jetzt ein Wunder geschehen und dort oben unzählige Christbaumkerzen zu leuchten beginnen.

Weihnacht!

Die knarrende Postkutsche, die täglich zweimal zwischen der nächsten Eisenbahnstation und unserem Dorfe hin und her schwankte, konnte kaum die gewaltige Paketlast befördern, in der viel Freude für groß und klein verpackt war.

Krückler, der eisgraue, riesenbeschnurrbartete Landbriefträger, meinte zu mir, daß er sich nur noch zur Rosenzeit im Frühjahr so plagen müsse wie jetzt zu Weihnachten herum. Freilich, ein klein wenig leichter ist schon das Rosenokulieren als das Packeltragen, aber dieses brächte ihm bald gerade so viel Freude, denn man käme sich da wie der Herrgott vor, der den Segen und den Frieden in die Häuser bringt, und die Kinder schauten ihn jetzt an, als wäre er der Knecht Ruprecht. Eines wär' schön, wenn's noch geben tät' zur Gnadenzeit: Rosen!

»Denken S' Ihna, gnä Herr, a gelbe Kaiserros'n mitt'n im Schnee, dös war' do fein!«

Und der alte Post- und Rosenknecht machte ein Gesicht wie ein verzückter Polizeihund.

In unserem Heime war seit einer Woche die Sorge eingezogen: die Sorge um das Befinden Elisabeths.

Sie hustete wieder, hatte vor jeder Speise ein Ekelempfinden und war oft von großer Schwäche befallen. Im Anfang glaubte ich an eine Verkühlung, als aber diese besorgniserregenden Zustände trotz der Bettruhe und Anwendung von Hausmitteln nicht verschwinden wollten, ja sogar tägliches Erbrechen hinzutrat, da wurde es mir zur Gewißheit, daß es das Werden der Frucht unserer Liebe war, das in Elisabeths heiligem Leibe an einem neuen Leben baute und im Ungestüm seines Schaffens diese bösen Störungen verursachte.

Eine wilde Angst kämpfte in mir mit zagem Hoffen. War meines Weibes Leben in Gefahr, oder würde vielleicht doch sein Körper die Kraft besitzen, ein Kind in seinem Schoße wachsen zu lassen und es der Erde zu schenken, ohne der Mutter den Tod zu bringen?

Tag und Nacht wachte ich am Bette meiner Frau, die allen meinen Besorgnissen nur mit einem mutigen Lächeln begegnete.

»Liebster«, sagte sie immer und immer wieder, »ob du wohl meine Seligkeit fassen kannst, die in der Gewißheit für mich liegt, uns ein Kind schenken zu dürfen. Die nächsten Weihnachten, o, die nächsten Weihnachten werden wir schon zu dritt unter dem Christbaum stehen. Wenn nur Doktor Pohl bald käme, daß ich es ganz sicher wüßte!«

Ja, wenn nur der Doktor käme!

Und er kam, und als er wieder fortging, war Elisabeth eine einzige helle Freudenflamme, indes in mir jeder Nerv aufschrie vor Schmerz und Daseinsjammer! Doktor Pohl hatte mein Weib untersucht und unsere Ahnung von ihrer Schwangerschaft bestätigt gefunden. Er ließ den Jubel Elisabeths ruhig über sich ergehen, gab ihr einige Verhaltungsmaßregeln und bat mich, ihn auf dem Heimweg zu begleiten.

Auf diesem teilte er mir mit, daß es nach ärztlichem Ermessen ganz ausgeschlossen sei, daß meine Frau die Schwangerschaft bis zum Schluß ertrüge. Eine schleunige Operation täte not, die Frucht müsse unbedingt entfernt werden. Sonst müßte ich für Elisabeth das Schlimmste befürchten.

Könnte ich niederschreiben, wie ich damals von der auf mich einstürmenden Qual und Verzweiflung gepeinigt wurde, wäre mir die Kraft verliehen worden, zu schildern, was die Seele empfand, als ich von Doktor Pohl weg mitten auf dem beschneiten Wiesenpfad einsam stand, nicht wissend, was kälter brenne, der Schnee, den mir der Wind in das Gesicht trieb, oder das Herz in seiner Not, so stände ich an der Seite jener Großen in der Literatur, die es vermochten, mit schmerzerkrampfter Seele das schöpferische Gehirn mit kalter Vernunft denken zu lassen. Aber ich bin nur ein einfacher Mensch, der nicht die Gnade besitzt, sein tiefstes Fühlen in Worte zu prägen, die dem Leser das Erleben des Dichters zu seinem eigenen Schicksal machen.

Wie ein Narr irrte ich in dem wüsten Schneegestöber herum. Schrie vor Verzweiflung zum Himmel auf, der gar kein Himmel war, sondern eine graue, riesige Last, die auf mir lag.

Mein Weib mußte sterben, wenn nicht, wenn … Wenn! Dieses teuflische Wort brannte sich in mein Gehirn ein wie ein glühender Stempel. Und ich wußte doch grausam bestimmt, daß es keine erlösende Antwort darauf gab.

Elisabeth die Leibesfrucht nehmen, hieße so viel, wie ihr das höchste Glück, die Freude zum Leben nehmen. Durfte ich das tun? Hatte ich dazu das Recht? Was half es, ihr den Körper zu retten, wenn man ihr dafür die Seele bis zum Tode verwundete! Aber war ich ihr denn gar nichts, konnte ihr meine Liebe nicht ersetzen, was ihr das Schicksal raubte? Sollte ich ihr nicht mehr gelten als das Kind?

Da klangen mir die Worte des fernen Feinhals in das Ohr:

»Die einzige Heimat des wahren Weibes ist ihre Mutterschaft!«

Im Waldinnern endete mein irres Wandern. An einen Baumstamm gelehnt, geschützt vor Sturm und Schneetreiben, umgeben von winterlicher Stille, horchte ich auf eine leise, süße Stimme, die aus dem wirren Dunkel meiner Dual und Not nach ihrer Heimat rief …

Der Weihnachtstag war schön und sonnig gewesen und so auch voll heimlichen Lichtes sein Abend.

Kaum daß hinter den höchsten Baumstämmen des Forstes die Abendröte mit ihren glühenden Augen verschwand, zündeten wir die Kerzen an unserem Tannenbäumchen an.

Elisabeth hatte durchaus nicht im Bette bleiben wollen. Nun saß sie neben mir auf dem kleinen Sofa, lehnte an meiner Brust und schaute mit glücklichen Augen auf den leuchtenden Baum.

»Du Lieber, du Guter,« sagte sie und schmiegte sich in meiste Arme, »denke an das nächste Jahr, was es uns dann an ehrlicher Freude bringen wird. Und nicht wahr, dann gibt es einen großen, großen Baum mit viel Lebkuchen darauf; weißt du, den essen ja die kleinen Fratzerln so gern.«

Sie schlief wie ein Kind mit lächelndem Gesicht in meinem Arme ein. Behutsam legte ich ihr Haupt auf das Sofakissen zurecht, löschte die Lichter, und das Zimmer versank im Dunkel.

Ich schlich mich zum Fenster und schaute in den Weihnachtsabend hinaus.

Der Himmel schimmerte in einer matten Türkisfarbe. In unfaßbarer Schönheit segelte ein zinnoberrotes Wölkchen in seinem Grunde dahin und durchglänzte mit seiner Glut die himmlische Weite, an deren Saum die Nacht stand. Schon spiegelte der Sirius sein bleiches Silberantlitz in der festgefrornen Schneefläche. In der Richtung zum Dorfe verklapperte der harte Schritt eines einsamen Menschen. Kein Hund bellte, kein Rind brüllte. Der Schrei des Hahnes war längst verklungen. Alles wartete mit seliger Sehnsucht auf den frohen Frieden dieser einzigen Nacht.

Hinter mir träumte mein Weib von unserem Kinde. Sie hatte es schon im Arme und lispelte im Schlafe:

»Mein Putzi, mein süßes, kleines Putzi …«

Ich schlich mich zum Schreibtisch und entnahm einer seiner Laden den Revolver.

Er war geladen.

Dann zündete ich eine einzige Weihnachtskerze an. Bei ihrem zuckenden Schein konnte ich genau die Lage von Elisabeths Körper wahrnehmen.

Ich beugte mich ganz dicht über sie.

Ruhig klopfte ihr Herz in ihrem Traumglück.

Ich konnte nicht fehlen …

Der Schuß krachte …

In meinem küssenden Atem verwehte meines Weibes letzter Lebenshauch.


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