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5.

Sommersonne, Sommerjubel zur Frühe des Tages, dem noch die köstliche Kühle der kurzen Nacht um die Stirn weht.

Alles, alles jauchzt: »Evviva das Leben!«

Das breite Tal ist ein Schiff, befrachtet mit Blumen, Blüten und Liebe. Wir Menschen sind die Passagiere auf diesem »Fürchtenit« des Sommers, die Vögel und Eichhörnchen die Matrosen. Und hört, was diese für frohe Gesellen sind! Ein jeder muß verliebt sein in die Sonne, denn es sind lauter Liebesstrophen, die singend und pfeifend von dem trunkenen Schiffe aus über das grüne und blühende Gewoge der Wälder, Wiesen und Gärten klingen.

An dem Wege zum nächsten Dorfe hinab ist ein Bildstöckel zu sehen. Es stellt den gekreuzigten Christus mit seiner armen, schmerzbeladenen Mutter zu Füßen dar. Flattern die grauen, sturmzerfetzten Fahnen des Herbstes über das schläfrige, müde Land, posaunen die Frühlingsstürme und künden Wassernot oder zieht der griesgrämige Winter recht fest seine graupige Zipfelmütze übers Ohr und bläst ein tüchtig Schneegestöber über Weg, Straße und Haus, dann schauen Christus und seine kniende Mutter recht wehmütig und traurig in die dürren Wiesen und schlafenden Wälder. Aber nicht so in den Tagen der hohen heiligen Sonnenfeste im Sommer. Seht nur einmal hin, wie der ganze Christus leuchtet und wie seine verhärmte Mutter lächeln kann. Die beiden möchten es gewiß in alle Welt hineinrufen, wie schön ihnen die Erde und das Leben erscheinen, und justament gerade da am schönsten, wo ein frommer Mensch sie hinstellen ließ, auf dem Wege zum Dorfe, am Rande blühender Wiesen, mit dem Blick in den Wald.

Ich gehe gemächlich bergauf durch den Wald.

Der Wald tönt leise – er redet.

Jedes seiner Blätter flüstert und die Küsse der Sonne auf die glücklichen Baumwipfel geben ein feines, fernes Geräusch über meinem Haupte. Spricht da nicht der grünbemooste Stein unter dem Efeubündel, hier die graue Blindschleiche, dort die grüngoldigschillernde Eidechse, das viele brummende, summende Käfer- und Fliegengesindel? Ja, alles um mich redet und gibt seine klare Stimme.

Und der Wald spricht:

»Gehe, Mensch, hinein in das schattenkühle Dunkel deiner Zukunft, in den Wald deiner Erfüllung. Bleibe nicht furchtsam auf der sonnenlichten Straße stehen, denn auch sie sinkt in Nacht und du hast den Schritt zu machen versäumt, der durch mich in eine hellere Ferne führt. Grüble nicht wie ein Denker der Stube, sondern nimm dir mit deinem Fuße das Land, dessen Boden voll Weisheit ist. Nehmen ist so selig wie Geben …«

Der Wald redet weiter und ich steige höher und höher in seine Wildnis.

Auf einmal sehe ich ob meinem Haupte blaue Weite, sonnendurchglänztes Himmelsland.

Auf der Höhe des Waldberges, inmitten einer größeren Lichtung stehend, bin ich der Sonne so nahe wie ein kleines Kind des Nachts dem Herzen der Mutter. Meine Füße ruhen auf Erde, auf schwellender, gebender Erde, und meine Hände greifen in die warme Luft und fassen selig Licht und Liebe. Wie ein Priester eines alten Lichtkultes stehe ich hier oben und bete jubelnd in die Landschaft:

Wie doch diese sonnschweren Tage voll Wachsen und Werden sind,
Ein spendender Gott küßt die Erde um diese Zeit.
Harfen tönen zwischen den Bäumen im Morgen-, Mittag- und Abendwind.
Und allenthalben blüht und wächst Ewigkeit.
Alle Sehnsucht ist Flamme und loht der Erfüllung entgegen.
Das ist ein Leuchten und Glühn durch den Tag und die Nacht.
Alle Dinge atmen Größe, Stärke und schassenden Segen.
Legst du das Ohr an die Erde, hörst du, das Weltherz lacht.

Den Weg, den ich gekommen, wandre ich wieder langsam zurück. Der gute Freund Wald redet so wie vorhin, wieder lausche ich andächtig auf sein Wort und nehme die tiefe Weisheit seiner uralten und doch so jungen Seele als etwas Neues, Gutes, Lichtspendendes in mir auf.

Links und rechts vor mir, auf dem dumpfgrünen Moosboden, der mit blaßvioletten Enziansternen bestickt ist, rollen funkelnde, blitzende Goldstücke in die Tausende dahin. Ich knie mich nieder, um diesen Reichtum zu sammeln, aber die schönen Goldstücke gleiten mir aus den haschenden Händen, denn sie bestehen aus keinem festen, münzegeprägten Metall, sondern die Sonne, die schon hoch über dem dichten Blättermeer des Waldes steht, drängt durch die schmalen, grünen Röhren im Laubgewölbe ihre Strahlentropfen, die nun zu Scheindukaten gemünzt, über die dunkle Moosdecke tanzen.

Ich richte mich lachend auf und schreite weiter. Das sanfte Zwielicht des Waldweges tut meinen sonnengeblendeten Augen wohl und läßt mich wie durch einen schönen Traum gehen.

Zu meiner linken Seite öffnet sich, vielleicht alle dreißig bis fünfzig Schritte, ein natürliches Fenster oder ein Torbogen in der sonst undurchsichtigen Laubwand, und ich gehe auf Augenblicke durch ein Lichtbad, indes sich meine Augen in das helle Grün ferner Wiesen und Auen verlieren. Manchmal bleibe ich auch stehen, um das silberne Blinken einer Schneekuppe zu betrachten, die an dem Rande des Horizonts ihr trotziges Haupt gegen den Himmel wirft.

Umfängt mich dann wieder das milde, kühle Dunkel des Weges, lausche ich einem Wässerlein, das irgendwo mit fragendem Laut zu Tale rinnt.

Der dämmerige Pfad durch den Forst lichtet sich allmählich, und bald verschwinden die Bäume auf der einen Seite des Weges ganz, und ich sehe den großen, braunroten Gebäudehaufen der Anstalt zu meinen Füßen. Über die Balkons, Fenster und Gesimse der schloßartigen Gebäude fließen die Strahlenfluten der Sonne in weißleuchtenden Kaskaden.

Eine Ruhebank, von turmhohen Föhren umstanden, bietet mir herrliche Ruhe. Ich nehme sie an wie eine freundliche Gabe, von Menschenhand gereicht, und bedanke mich sogar:

»Du liebe braune Bank, ich danke dir!«

Zu meinen Füßen breitet sich der mit grauglänzendem Kies bestreute und mit Zwergtannen und Buchsbaumhügeln bepflanzte Vorhof aus, dort haben die weiblichen Pfleglinge der Anstalt ihre Kur auf Liegestätten, die aus Stroh und Weidenholz geflochten sind.

Meine umherwandernden Augen suchen unter den hier ruhenden Mädchen und Frauen Elisabeth und entdecken sie. Dort schimmert ihr Haupt unter den schattenspendenden Zweigen einer Tanne.

Ohne daß es mir irgend jemand oder etwas verrät, weiß ich ganz bestimmt, daß Elisabeth jetzt an mich denkt; so wie ich an sie.

Weshalb, warum?

O, ich frage nicht! Wozu braucht eine glückliche Seele die Frage.

Hier bleibe ich sitzen, schaue hinunter auf Elisabeth, und die Stunden ziehen dahin wie die schönen, weißen Wölkchen auf der blauen Himmelsweite, die keinen Regen tragen und nur mit Sonnenglück befrachtet sind.


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