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13.

Doktor Pohl war Sozialist, Künstler und Arzt. Er nahm in der Heilanstalt eine eigentümliche, vielumstrittene Stellung ein. Die einen liebten ihn abgöttisch, indes ihn die anderen haßten wie das höllische Feuer.

Warfen ihm die Gegner übermäßige Strenge, kleinliche Lust am Denunzieren gegenüber dem Direktor, heimtückisches Versteckspielen mit seinen und hinter seinen Worten vor, so lobten ihn seine Anhänger über den grünen Klee wegen seiner hervorragenden ärztlichen Kenntnisse, Menschenliebe und Freundlichkeit.

Er hatte einen dünnen, blassen Mund, auf dessen Lippenrändern ein immerwährendes Zucken lag, hellbraune Augen, die wie schüchterne, landfremde Vögelchen in seinem bleichen Kopfe saßen, den ein spärlicher, fransiger Dozentenbart schmückte, und der immer aus einer Wolke Gedanken zu ragen schien. Alle Bewegungen Doktor Pohls waren frauenhaft, waren von einer zarten Vorbedachtheit, die immer um Entschuldigung zu bitten schienen, daß sie sich in den Kreis der Tätigkeiten anderer zu drängen wagten.

Wenn er sprach, hatte man das Gefühl, als sei er nicht bei der Sache und erschaue ganz andere ferne Dinge, als seine Worte verkündeten. Die kamen leise aus seiner Brust, so wie Töne aus einem tiefen Brunnen, in den man Steine wirft.

Es ging die Sage, daß er reich sei, der finanziell bestsituierte Arzt der Heilanstalt, in der außer ihm noch fünf andere Ärzte Dienst machten. An seinem Äußeren aber merkte man ihm diesen Reichtum nicht an. Seine Kleidung war die eines sich mit Ach und Krach durch das Leben beißenden Menschen und trug nicht selten die Patina einiger Jahre.

Eine schwere Erkrankung der Lunge, von der er in seiner Studentenzeit heimgesucht wurde, hatte ihn viele Jahre lang durch die südlichen Länder geführt, von einem Kurort zum anderen, ohne ihm die Ruhe und Stärke zu gönnen, die er zum Vollenden seiner Studien gebraucht hätte. Erst zu einer Zeit, wo seine Studienkollegen schon längst in Amt und Würden saßen, hatte er mit Mühe und Not und Anspannung all seiner Willenskräfte seinen Doktor machen können.

Aber was ihm die Krankheit an Jahren und Erwerb genommen, das hatte sie ihm an tiefer Erkenntnis ihrer vielfältigen Formen zurückgegeben.

Nachdem er sein Spitaljahr absolviert hatte, ergriff er sofort die erste beste Gelegenheit, die sich ihm bot, um ausschließlich der Bekämpfung dieser furchtbaren Seuche zu leben, die auch ihm den schönsten Teil seiner frohen Jugend gestohlen hatte.

Er trat in die große Volksheilstätte für Lungenkranke als Arzt ein und war nun hier Tag und Nacht tätig, in den Krankenzimmern, im Laboratorium und in seiner kleinen Wohnstube, wie sonst keiner der anderen Ärzte, eifrig bemüht, Opfer um Opfer dem so sicher schreitenden Tode abzujagen.

Und so wie die Menschen liebte er die Tiere. Sie waren ihm vielleicht nach den Büchern und schönen Bildern seine einzige Freude. Denn von den Menschen wurde ihm selten eine reine Freude geschenkt. Wie alles, was ohne Lärm und buntgrelle Aufmachung in aller Stille seine Tat vollbringt, im schlichten Glauben, sie tun zu müssen, von der Vielheit verkannt und gelästert wird, so wurde auch Doktor Pohl nur von wenig Tiefsinnigen verstanden und gewürdigt, dagegen von vielen in den Morast ihres unlauteren Denkens gezogen und mit dem Schmutz ihrer unreinen Seelen besudelt.

Sein Sozialismus, der, ganz Gefühl, im Wesen eines modernisierten Altruismus aufging und der gewiß von einem dogmenfesten Vertreter der Partei als Ketzerei angesehen worden wäre, baute ihm um sein Menschentum eine Mauer, vor der die Mehrzahl der Patienten in scheuer Fremdheit vor dieser Güte oder in politischem Haß und Hochmut stand, die das Herz einsam ließen, das dahinter so opferfreudig und in hilfsbereiter Liebe ihnen entgegenschlug.

Einen harten Stand hatte Doktor Pohl auch seinen ärztlichen Kollegen gegenüber, und mancher von diesen benahm sich gegen den nur seiner Wissenschaft und den Kranken lebenden Berufsgenossen nicht edler, besser und taktvoller als der indolente Patient, der in dem sozialistischen Doktor nicht den Arzt, sondern nur den Angehörigen einer von ihm geächteten und angefeindeten Partei sah.

Sein sich keine Stunde Rast gönnendes Wirken, sein »fortwährend auf dem Posten stehen« wurde ihm von einigen Anstaltsärzten, die zumeist ihr Können nur als die Kenntnis eines Handwerks betrachteten, das wie jedes andere nur dazu da war, dem Menschen, der es ausübt, die ökonomische Daseinsberechtigung zu geben, als Kriecherei und Schöntuerei vor dem Direktor ausgelegt.

Von dieser Seite nun hatte Doktor Pohl die kleinlichsten Quälereien und ordinärsten Anrempelungen auszustehen, die um so weher taten und empfindlicher schmerzten, als sie von Leuten kamen und ausgingen, deren akademische Bildung doch eine ethische Abgeschliffenheit in den Formen des persönlichen Verkehrs voraussetzte.

Da er, der feinfühlige Mensch, dem alles Laute und unharmonisch Aufgeregte ein Greuel war, nur höchst selten auf diese ihm täglich angetanen Flegeleien reagierte, kam er in den Ruf der Feigheit und verlor dadurch an Einfluß auf jene Patienten, die in einem akademisch Graduierten noch immer eine Art vorbildlichen Halbgotts erblickten. Und deren gab es in der Volksheilstätte nicht wenige.

Trotz dieser vielfachen Unannehmlichkeiten verlor aber Doktor Pohl seine stille, anscheinend so lebensferne Heiterkeit nicht. Blieb sich gleich in der liebevollen und unparteilichen Behandlung aller Patienten, forschte weiter im Laboratorium mit dem sicheren Blicke eines Menschen, der genau seinen Weg und sein Ziel weiß, und ließ sich durch nichts in seinem entschlossenen Kampfe gegen eine der entsetzlichsten Feindinnen der Menschheit beirren.

Er war einer der innerlich Tapferen, deren unsichtbare Wunden brennender und tiefwirkender sind als die von Schwert und Blei und deren unsichtbares Heldentum die Moral des Ewigen ist.

Ich war, als ich die Heilanstalt aufsuchen mußte, von einem mit mir und Doktor Pohl befreundeten Studenten an diesen gewiesen worden. Er war durch einen Brief von meinem Eintreffen verständigt und brachte mir gleich zur Frühe des anderen Tages einen Strauß roter Nelken ans Bett.

Unser Verkehr nahm im Laufe der Wochen meines Aufenthalts in der Heilanstalt eine sehr freundschaftliche Form an. Er lieh mir Bücher, darunter den ganzen herrlichen Gottfried Keller, sprach mir mit seiner leise sonoren, so beruhigend wirkenden Stimme Trost zu, wenn ich vor Ungeduld und Mißmut schier verzagen wollte, ging mit mir spazieren, als ich es wagen durfte, das Bett zu verlassen, und nahm redlichen Anteil an allem, was mich an Leid und Freude in jener Zeit besuchen kam.

Meine Liebe und Anhänglichkeit für diesen echten, wahren Arzt hatte, wie man sich nach dem früher Geschilderten leicht denken kann, viele Anfechtungen zu bestehen. Aber ich ließ nicht von ihm, trotz der mannigfachen Anfeindungen, denen ich wegen meiner Treue ausgesetzt war.

Ich horchte nur auf mein unbestechliches Herz, und dieses sprach laut und deutlich:

»Dieser ist ein guter Mensch, sei ihm treu!«

Der Ausspruch eines im Sterben liegenden Leidensgenossen über Doktor Pohl schmiedete dann meine Treue in Stahl um.

Dies hatte folgende Bewandtnis: Im gleichen Schlafsaal mit mir lag der Disponent einer großen Wiener Handelsfirma schon monatelang an einer sehr schweren Pneumonie darnieder. Er war ein noch verhältnismäßig junger Mann – an die fünfunddreißig Jahre alt – Katholik und als solcher von einer bigotten Gläubigkeit. So schwer es ihm wurde und so nachteilig es auch für seinen gefährlichen Zustand war, schleppte er sich doch jeden Morgen vom zweiten Stockwerk in die zu ebener Erde gelegene kühle Kapelle hinab, um der üblichen Kapellenmesse beizuwohnen. Er war ein geistig beschränkter Mensch, glaubte alles bis auf das I-Pünktchen, was in den verschiedenen religiösen Traktätchen und klerikalen Zeitungen, die er sich in Mengen kommen ließ, stand, war voll des unduldsamsten Fanatismus und warf naturgemäß auf alles, was nicht seines finsteren Glaubens war – besonders auf Juden und Sozialdemokraten –, den Haß der abergläubischen Indolenz.

Da war es nun wohl nur zu gut zu verstehen, daß dieser arme verblendete Mensch auch Doktor Pohl, dem sozialistischen Arzte, nicht grün war und ewig an ihm und seiner Tätigkeit herumnörgelte. Dem Fasse wurde der Boden völlig ausgeschlagen, als ihm Doktor Pohl verbot, wegen seines immer schlechter werdenden Befindens noch weiter die Messe zu besuchen. Er sah in dem pflichtgetreuen Arzte nur noch einen gewissenlosen Schänder seiner heiligen Religion und flehte auf das Haupt des Ketzers den Zorn seines Gottes herab.

An einem heißen Nachmittag bekam nun dieser arme, sein Menschentum selbst begeifernde Patient einen Blutsturz nach dem anderen, nicht zuletzt eine Folge seines Nichthörens auf den wohlmeinenden Rat des Arztes. Man brachte den Sterbenden sogleich in den leerstehenden Spielsaal, damit sein Ende die anderen Kranken nicht aufrege. Dort lag er nun, den Tod erwartend, der, obzwar er schon an der Schwelle des Raumes stand, noch immer zögerte einzutreten. Tag und Nacht aber saß an dem Bette des Sterbenden Doktor Pohl, immer bereit, den von der Erde so schwer Abschiednehmenden zu beruhigen und seine letzten Stunden reich zu machen an empfangender Menschengüte.

Und es geschah etwas Unerwartetes.

Ich, der sozialdemokratische Parteigänger, wurde gebeten, den Sterbenden zu besuchen, er verlange sehr meine Gegenwart.

Ich folgte sofort dem Wunsche und trat in den zu einem Sterbegemach umgewandelten Spielsaal, durch dessen Fenster die Morgensonne in breitem Strome flutete.

Der sterbende Leidenskamerad winkte mich zu sich.

Sein Gesicht, das sonst immer einen verbissenen, mißtrauischen Ausdruck hatte, war von einer ruhigen Ergebenheit, und die Sonne, in deren Strahl es lag, gab ihm sogar ein heiter-zufriedenes Schauen in den erdmüden Blick.

Eine feuchte Hand faßte mich, zog mich mit letzter zwingender Kraft dicht an das Bett heran, und ich hörte, wie der blutleere Mund flüsterte:

»Bitt' … schön … sa–gen Sie dem … Doktor Pohl … er soll … mir verzeihen … Er … ist … der be–ste Mensch … den ich kennen lernte … Wenn alle … so wären … alle … Sozial–demokraten … Ich will … für ihn … beten!«

Am Abend dieses Tages starb er.

Ich glaube, seine letzte Stunde war freudiger, menschengläubiger, gottnäher und erlebnisreicher als sein ganzes Leben.

Oft ist es mir vorgekommen, als wäre die Welt im Besitz immer lauschender Ohren und ewig wachender Augen, die überall gegenwärtig sind und denen nicht der leiseste Laut und das unbedeutendste Geschehnis verloren geht.

Da nützt das undurchdringlichste Dunkel nichts. Ob man sich nun in die ödeste Wüste flüchtet oder auf die einsamste Felsenklippe mit seinem Geheimnis – diesem Weltohr und Auge entgeht man nicht, und einige Stunden später weiß es ein weiter Kreis um einen, was man gesprochen und welche Tat man vollbracht hat.

Vielleicht tragen alle Wesen und Dinge einen noch unentdeckten sechsten Sinn in sich, der wie eine photographische Platte oder eine Membrane die tag- und lärmfremdesten, verstecktesten Laute und Handlungen, die sich in seiner Nähe abspielen, aufnimmt und auf die uns bekannten Sinne weiterleitet, durch die sie dann zu einem allen verständlichen Ausdruck gebracht werden.

So geschah es wohl auch mit unserer heimlichen Versprechung im Schutze des einsamen Tannichts an jenem seligen Festabend.

Ohne daß wir uns sagen konnten, woher und wieso, wußte einige Tage später die ganze Heilanstalt von unserer Verlobung.

Die einen starrten uns Glückliche wie zwei seltsame Tiere an, die anderen erdrückten uns halb mit ihren Gratulationen, Ratschlägen und guten Wünschen.

Es überraschte mich deshalb auch nicht, daß mich Doktor Pohl, als ich – vielleicht eine Woche nach dem Festabend – an dem Ordinationszimmer, in dem er Dienst machte, vorbeiging, zu sich heranwinkte und mich bat, ihn noch am Nachmittag desselben Tages in seinem Zimmer zu besuchen; er hätte in Bezug auf mich und meine Braut mit mir zu reden.

Als ich zu der von Doktor Pohl angegebenen Stunde bei ihm eintrat, war er gerade damit beschäftigt, sein zahmes Murmeltierchen abzufüttern. Er kniete vor dem Käfig auf dem Fußboden und lockte mit zärtlichen Worten das lebende Pelzkügelchen von seiner warmen Schlafecke weg, stand dann auf, begrüßte mich und bat, nur einige Minuten Geduld zu haben, er müsse nur schnell seine Zwei- und Vierfüßler abfüttern. Diese bestanden außer dem schon erwähnten Nager, der »Dickbaucherl« hieß, noch aus einem Star, der fortwährend das »Lieber Augustin«-Lied pfiff, einem burzelbaumschlagenden Dackelweibchen namens »Sopherl« und einer Menge Finken, Stieglitze, Goldammern, und anderer Körnerfresser, die in einem beim Fenster stehenden großen Messingkäfig eine unglaubliche Töneverwirrung veranstalteten, in die der Star hineinpfiff, das Murmeltier hineingrunzte und das purzelbaumschlagende Dackelfrauchen hineinbellte.

Während der kurzen Zeit, in der ich mir einige neue Bücher und Bilder besah, fütterte Doktor Pohl seine kleine Menagerie ab. Bei dieser Beschäftigung sprach er mit jedem der Tiere, kraulte den zahmen und zutraulichen die Köpfchen und wies das eifersüchtige Dackelweibchen in die Schranken seiner Hundeerziehung zurück. Daneben erzählte er mir auch von diesem und jenem Tierchen drollige Episoden, so von einem Spatzen, den er vor einem Jahre gefangen und wieder ausgelassen hatte, nachdem er ihn mit einer unschädlichen Farbe zu einem äußerlichen Stieglitz gemacht hatte, und der ihm nach einigen Tagen wieder zugeflogen sei mit einem Zettelchen am Fuße, auf dem geschrieben stand:

A ang'strichener Spatz
Hat in mein' Häusel kan' Platz,
Flieg' wieder furt und sag' daham:
»I g'hör' net in 'n Käfig, i g'hör' auf an Bam.«

Oder von einem Gimpel, der wollte den Finken die verabreichten Mehlwürmer nicht gönnen und beschützte die Würmer, indem er sich auf sie setzte und mit mutigen Schnabelhieben die auf ihn einstürmenden Finken in die Flucht schlug.

Der letzte Napf frisches Wasser war verabreicht worden. Der ärztliche Vogelfreund wusch sich die Hände, warf seinen weißen Ärztekittel ab und lud mich ein, da ein ausnehmend schöner Spätnachmittag mit seinem Goldglanz auf der Welt lag, einen kleinen Spaziergang in den Wald zu tun.

An der Grenze des Anstaltsgebietes gürtelt ein wohlgepflegter Weg den Berg ein, der die Gebäude nach Süden zu schützt. Er ist in halber Höhe des Berges angelegt und bietet auf der einen Seite Ausschau auf die Landstraße, die, ein immerwährender Gruß der Ferne, aus dem wald- und wiesenreichen Talgrund herüberwinkt.

Wir schritten diesen Weg bis zu seiner höchsten Steigung hinan und setzten uns dort auf eine Bank.

Im Hinaufschreiten hatten wir kein Wort gesprochen; ich wegen meiner Kurzatmigkeit, der Doktor wieder tief in seine einsame Gedankenwelt hineingeraten.

Aber kaum, daß wir auf der Bank Platz genommen, packte mich mein Begleiter beim Arme, drückte diesen nervös fest und sprach wie aus einem plötzlichen Erwachen heraus:

»Genosse! Fräulein …« er nannte Elisabeth bei ihrem Familiennamen, »ist schwer leidend. Wissen Sie das?«

Und ohne von mir eine Antwort abzuwarten, fuhr er fort:

»Sie darf jahrelang nicht daran denken, einem Kinde das Leben zu schenken. Dies wäre in den nächsten Jahren gleichbedeutend mit ihrem sicheren Tode. Ich weiß aber auch, wie dieses echte, unverdorbene Weib nach dem Glück der Mutter die Hände ausstreckt, wie sehnsüchtig es nach dieser höchsten Gnade verlangt. Es verging in der letzten Zeit keine Untersuchung, bei der sie mich nicht fragte, ob sie fähig sei, Mutter zu werden. Ihr freimütiges Fragen machte es mir oft sehr schwer, sie mit einer Notlüge zu beruhigen, die mehr eine Bejahung als Verneinung war; aber ich wußte bestimmt, spräche ich hier die ungeschminkte Wahrheit aus, würde ich viel, unendlich viel an Gutem und Schönem in diesem herrlichen Weibe zerstören. Denn dieses Menschen Sehnsucht nach Mutterschaft ist nicht der hysterische Wunsch eines kranken Körpers, sondern das starke, wissende Verlangen einer gesunden Seele, mitzuwirken an dem großen Aufbau der Ewigkeit und die Mystik des Schaffens zu erleben. Lieber Freund, dieses Mädchen wird unendlich viel Glück in Ihr Dasein bringen, aber auch Ihre Seele mit unsäglichem Leid beschweren. Prüfen Sie sich noch einmal, ob Sie die Kraft in sich fühlen, die dazu nötig ist, um vielleicht die schrecklichste Enttäuschung im Leben einer echten Frau, die nicht mitgeht, sondern mitlebt, den Verzicht auf die Mutterschaft, mit Ihrer Liebe vergessen zu machen.

Warum ich Ihnen das sage?

Weil ich Sie davor warnen will, ein Allzuviel auf die geistige Liebe und Kameradschaft zu bauen, die ist ein gar schöner, romantischer, aber auch gefährlich schmaler Pfad, unter dem das Meer der Enttäuschungen und Ernüchterungen brütet, das unser Bestes, die Gläubigkeit zur Erde, erstickt. Euch beide möchte ich vor diesem Schicksal bewahrt wissen.

Nun muß ich gehen. Die Arbeit ruft mich in das Laboratorium. Bleiben Sie noch ein wenig hier und denken Sie über das, was ich Ihnen gesagt habe, nach. Ich bin des festen Glaubens, daß Sie mir recht geben und verzeihen werden, um der Wahrheit willen, die aus mir zu Ihnen sprach. Guten Abend!«

Wortlos gab ich dem Doktor die Hand – hörte seine Schritte im Walde hallen und das Aufstoßen seines Stockes mit der eisernen Zwinge.

Lange lauschte ich diesen Geräuschen aufmerksam nach, so, als wurden sie etwas überaus Wichtiges in meinem Leben bedeuten. Endlich waren sie verstummt, es war still um mich.

Ich hob den noch immer gesenkten Kopf.

Es ging dem Abend zu. Steinern war das Bild seiner Ruhe. Nichts regte sich. Ruhe tropfte von allen Bäumen.

Über der Straße drüben glühte ein Felsbruch unter der scheidenden Sonnenliebe auf. Ein starres, unbewegliches Feuer. Düster und trotz seines grellen Prunkes tot und ohne wirkendes Leben.

Darin konnte kein Sagenrecke sein Weltschwert schmieden und daraus kein fressender Brand über die schlafschweren Wälder lohen: leuchtend und weckend.

Sollte so unsere Zukunft werden?

Eine flammenleere Lohe, der schale Abglanz einer sinkenden Leidenschaft. Ohne Ausschau auf ein Werdendes, Neues, das uns die Ewigkeit ahnen läßt. Ein Dahindämmern und endliches Verlöschen, das man zuletzt noch dankbar erwartet als einzige Rettung vor dem Weltekel.

Ich mußte die Augen schließen. Diese fahle, tote Glut der mächtigen, steinnackten Felswand tat mir weh.

Ich senkte in einem Anfall verzweifelter Trauer den Blick, und als ich ihn wieder hob, lag der Fels schon im Schatten. Nur die Tannen auf seinem Scheitel waren noch rotgoldig überglänzt. Wie Fackeln streckten sie sich zum Himmel empor, dem Abendstern entgegen, dessen silberblaues Licht gleichmäßig, ruhig und doch, von immenser, starker, lebendiger Kraft kündend, das gelbe Leuchten der Tannenspitzen aufzufangen schien, denn zusehend erlosch auch dieses. Und über allem Erloschenen, Umdunkelten, zur Ruhe Gegangenen flammte in siegender Pracht das Leuchten des blauen Sternes.

Und ein großes Beruhigen kam über mich. Über allem körperlich Schweren und seelisch Dunklen, auf alles Sterbende und Welkende in uns sah ich das frohe, ewig kraftspendende Licht unserer Liebe leuchten.

Den Weg hinunter schritt ich mit leichter Seele und Lunge und sang mir ein Lied.

Mir, meiner Liebe und meinem Lebensmut.


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