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2.

Manchmal ist alles Menschentum gesegnet; oftmals im Raum einer Stunde, oft einen ganzen Tag lang und seltener in der Zeitfülle eines Jahres unseres Daseins.

Was wir dann auch beginnen mögen, die Kraft und Würde des vollen Gelingens glüht aus allem, was wir schaffen, und jede Tat ist doppelt gesegnet.

Wir sehen mit den Augen, wir hören mit den Ohren, wir formen mit den Händen eines Gottes, wenn solche Segnung einmal den Willen in uns umfängt.

Ein Blinder würde ohne Führung nach Griechenland finden, um in der Berührung eines alten Bildwerkes seine Blindheit zu vergessen; ein Lahmer an einen Gesundquell kriechen können, wenn der auch tausend Meilen fern ist, und der Sturm Beethoven hob sich zu solch heiliger Zeit aus der Taubheit seiner Tage in die Harmonie des Unendlichen.

In solchen Zeiten kann der ärmste Lump ein Königreich gewinnen und der mächtigste Kronenträger ein Bettler werden, und alle beide können dabei unsäglich glücklich sein. Ich hatte einmal einen Kameraden, einen ausgemergelten Fabrikarbeiter, der erzählte mir, er hätte einmal tausend Kronen in der Lotterie gewonnen und diese Summe in einer Nacht Weibern und Wirten in die gierigen Pfoten geworfen. Als ich ihn fragte, ob ihn dieses hirnverbrannte Verschwenden nicht reue – damals fraß ich noch die landläufige Moral mit Löffeln – lachte er herzlich und gab mir zur Antwort:

»Was du nicht glaubst, leid hätt' mir soll'n sein um das bißl Geld! Herrgott, nein! Wenigstens hab' ich einmal eine Idee davon gekriegt, wie's dem lieben Gott in Frankreich geht.«

Und später, auf meinem Wege hierher, war mir noch solch ein weiser Mensch begegnet. Der hatte als einfacher Soldat die Militärkappe aufgesetzt bekommen, war Oberst, reich an Ehren und Geld geworden, aber sein Herz war das eines gemeinen Soldaten geblieben: jung, ewig verliebt und darum froh und gütig, und dies war das Werk einer blutarmen, aber frischen und lustigen Näherin gewesen, die vielleicht hundert Tage ihres kurzen, jungen Lebens dem tappigen, einfachen Soldaten wie ein Nichts hingegeben hatte. Und diese beiden, der Fabrikarbeiter mit der leichten Hand und der Oberst mit dem leichten Herzen, waren keine Narren, oder doch? Sie waren es. Denn die Seltenen mit der lebendigen Weisheit in sich nennen wir Narren und würden sie oft lieber hinter den festen Mauern des Irrenhauses wissen als einen vom bösen Verfolgungswahn Befallenen.

Die Minute, in der ich Elisabeth das erstemal erblickte, war der Beginn einer solchen wundergesegneten Zeit für mich.

Mein sonst schlackenbesätes, triebarmes Innere wurde fruchtbar, und viele Pläne und Gedanken wuchsen in mir zur freudigen Verwirklichung empor.

Alles in mir wurde schaffend.

Ich schrieb Gedichte, jeden Tag zwei, drei, und zwanzig, dreißig blieben ungeschrieben, indes hundert erlebt wurden, erlebt mit der ganzen brennenden Glut meiner sechsundzwanzig Jahre.

Alles um mich bekam Bewegung, ein Drängen zur Tat und Lebensbejahung regte sich mächtig in Seele und Hirn.

Nichts Totes mehr beherbergte die Erde; immer stärker und stärker fühlte ich etwas Gemeinsames mit allen Dingen um mich herum.

Und dazu die wachsende Glut der Sonne, die dem nahen Sommer entgegen schritt.

Diese Überfülle an Blumen, blühenden Bäumen, Sträuchern und helltönendem Vogelsang!

Und ich warf mich in das hohe, würzig duftende Gras, küßte den prangenden Kastanienbaum auf seine schwellende Rinde und suchte mit schüchternen Blicken das leuchtende Augenpaar Elisabeths.


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