Karl von Perfall
Der kluge Pitter
Karl von Perfall

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Sechzehntes Kapitel

»Das muß man sagen, Weltleute sind diese Rheinländer. Ich habe bisher in Berlin keinen so interessanten, sozusagen gutgemischten Kreis gefunden, wie hier bei Hagenbach.«

»Dabei ist der Mann erst im dritten Jahre hier. Er weiß, was er will.«

259 »Sie glauben auch, daß er eine große Zukunft hat? Ich habe das schon mehrfach gehört.«

»Ob er sie in unserem Sinne, das heißt im Staatsdienst, anstrebt, scheint mir noch sehr zweifelhaft. Diese Herren Rheinländer drängen sich im allgemeinen nicht zur Staatskarriere, wenn sie so viel Privatvermögen haben wie er. Hilfsarbeiter im Reichsschatzamt mit Regierungsratstitel, von da aus kann er Generaldirektor irgendeines Finanz- oder Industrieverbandes werden. Liegt diesen Leuten viel besser. Er stammt übrigens aus einem Düsseldorfer Bankgeschäft.«

»Und die Frau?«

»Auch schwer reich, Hanauer Industrie. Der Generalstabsmajor ist ihr Bruder, Witwer, die Frau vor drei oder vier Jahren gestorben, war Tochter eines Mainzer Sekthauses.«

»Ja, ja, dieser Westen kann sich helfen. Aber, sagen Sie mal, bester Kollege – bei der Vorstellerei wird man ja nie klug darüber, mit wem man es zu tun hat – wer ist denn die schlanke Dame, famose Erscheinung, hat grauen Pelz an der Toilette – die reine Zigeunerkönigin?«

»Ach, Sie meinen Frau ten Holten, die Gattin des kleinen Malers, der so possierlich herumstolziert. Sie ist eine geborene Münchnerin. Er ist übrigens ein Künstler von Ruf, sehr in der Mode.«

»Hagenbach ist auch Kunstfreund?«

»Einigermaßen, wie's im modernen Berlin zum Stil gehört. Aber ten Holten und noch zwei Maler, die hier sind, stammen auch aus Düsseldorf oder waren wenigstens dort auf der Akademie. Hagenbach kultiviert die Landsmannschaft, man trifft immer Rheinländer im Hause. Wie ich vorhin sagte – der Generaldirektor!«

260 »Finanz ist auch vertreten?«

»Haben Sie das noch nicht bemerkt?«

»Aber natürlich höheren Ranges, keine Börsenjobber?«

»Na ja – wissen Sie, Berliner Gesellschaften sind entweder kastenmäßig abgeschlossen, daß auch kein Lüftchen aus anderen Regionen hereinweht oder – – Es geht hier mal nicht anders, entweder altpreußisch korrekt bis an die Wimpern oder modern weltstädtisch mit duldsamem Lächeln auf den Lippen.«

Das Gespräch wurde zwischen zwei Herren in einem der Salons an der Kantstraße geführt, in denen der Regierungsrat im Reichsschatzamt Dr. Hagenbach heute eine glänzende Abendgesellschaft versammelt hatte. Der eine war ein alter Kenner des Berliner Gesellschaftslebens, vortragender Rat im Kultusministerium, der andere ein erst vor kurzer Zeit aus dem Osten in das Ministerium des Innern berufener höherer Beamter.

ten Holten war in seinem Elemente. Er fühlte sich gerade im Hagenbachschen Hause heimisch, denn der Regierungsrat hatte selbst die geistige Beweglichkeit der Düsseldorfer, in der sich echt rheinisches Wesen mit künstlerischer Lebensfrische verband, und er war dem witzigen Maler sehr zugetan, viel mehr als den beiden anderen ehemaligen Düsseldorfern, die er auch aus landsmannschaftlichem Gefühle an sich gezogen hatte, den sehr anspruchsvollen Herstall und den sehr wortkargen, verschlossenen Einhorn. Noch immer spielte sich ten Holten gern als den urwüchsigen Sohn des Niederrheins auf aber er hatte in den sechs Jahren seines Berliner Aufenthalts in der Reichshauptstadt auch sehr viel von der besonderen Art des Berliner Witzes sich angeeignet, so daß 261 er, ganz abgesehen von seiner künstlerischen Stellung, auch als Gesellschafter eine sehr gesuchte Persönlichkeit in W. war, die nicht bloß als Dekoration diente. Mit der Kaffeetasse in der Hand trat er jetzt, nach dem Souper, bald an eine Gruppe von Herren, bald an eine solche von Damen heran und mischte seine scherzhaften Wendungen in das Gespräch. Wer ihn dabei genau beobachtete, fühlte schnell heraus, daß diese Scherze, so unmittelbar sie klangen, auf den Beifall der Umgebung berechnet waren, denn jedem folgte ein Blick der gekniffenen Augen von einem Zuhörer zum anderen. Er wurde nicht mehr belächelt wie vor Jahren in Düsseldorf als bäuerlicher Hanswurst, für Berlin W. war er wirklich das »köstliche Original« geworden. So entsprach es auch seinem künstlerischen Rang. Wenn ein solcher Meister des Impressionismus einmal Späße machte, dann war das doch originell, denn die anderen modernen Künstler entwickelten im persönlichen Verkehr wenig Humor. Dazu kam, daß er eben ten Holten hieß. Man wußte es zum Teil nicht, zum Teil schien man es nicht wissen zu wollen, daß er aus der Gegend von Wesel stammte. Es war etwas wie stillschweigende Verabredung der Kreise, in denen er verkehrte, daß er Holländer oder, wie es bei einem Maler besser klang, »Niederländer« sei. Ein durch besonders kostbaren Stil sich hervortuender Kunstschriftsteller pflegte ihn bei Besprechung seiner Bilder ausdrücklich »Pieter« ten Holten zu nennen. Bei einem Menschen aus der deutschen Provinz hätten die Berliner Damen seine Späßchen ja vielleicht auch bekrittelt. Aber ein Niederländer! Unter den Herren gab es freilich einige, die schmunzelnd meinten: 262 »Heute seift ten Holten wieder die Kundschaft ein.«

Major Flatten vom Generalstab stand vor Frau ten Holten, die der Herr aus dem Osten als Zigeunerkönigin bezeichnet hatte. Wie bei vielen Brünetten hatte auch bei ihr mit der Zeit die Gesichtsfarbe nachgedunkelt, der Körper war kräftiger geworden, aber in solchen Verhältnissen, daß die Gestalt doch durch ihre edle Schlankheit auffiel. An die Stelle der schelmischen Munterkeit war aber im Gesichtsausdruck ein würdevoller Ernst getreten, dem die feurigen dunklen Augen einen Reiz des Fremdartigen verliehen, der durch die Bezeichnung »Zigeunerkönigin« gut getroffen war, denn an Gestalten, wie man sie in Südungarn und Rumänien trifft, konnte Frau ten Holten in der Tat erinnern. Die kupferrote, durch Gelb in der Farbenwirkung gehobene, von mausgrauem Pelzwerk umrandete Toilette war für die Eigenart der Erscheinung gut gewählt.

Der Major, ein schlanker Herr mit dünnem Haar über der starken Stirn und energischem Ausdruck in dem gut geschnittenen Römergesicht, das ein schwarzer Schnurrbart modernisierte, sagte zu der schönen Frau: »Sehen Sie meine Schwester an, wie ihr ganzes Gesicht strahlt von Frohlaune. Sie kann nicht genug schwatzen und nicht genug Gesellschaft um sich haben. Mein Schwager paßt vortrefflich zu ihr, und beide sind in Berlin am richtigen Platz. Das hat Nerven von Stahl und kann sich nicht genug ausleben. Dabei hat Hagenbach doch in seinem Amt nicht wenig zu tun. Ich sage den beiden nur immer, mit den Jahren rächt sich sowas. Da kommen dann die Badereisen an die Reihe. Er ist ganz unvernünftig, dieser Berliner Gesellschaftsstil.«

263 »Ei, Herr Major,« sagte jetzt Frau ten Holten lächelnd, »ich wage es schon lange nicht mehr, vor Ihnen eine Meinung über Berlin zu äußern. Und jetzt kommen Sie selbst mit einer solchen, die nicht gerade nach Lob aussieht.«

»Ich hatte nie den Willen, als einseitiger Lobredner Berlins zu erscheinen,« antwortete der Major. »Nur die Schärfen glaubte ich zuweilen mildern zu sollen, die aus Ihren Urteilen klangen. Auch jetzt möchte ich bemerken, daß dieser Gesellschaftsstil noch nicht das Wesen Berlins erschöpft.«

»Da kommt wieder jenes andere Berlin, das Sie immer in Reserve haben,« bemerkte Frau ten Holten, »und das ich nicht kenne.«

Der Major sagte: »Das ist eben sehr bedauerlich, daß Sie es in der langen Zeit Ihres hiesigen Aufenthalts nicht kennen gelernt haben. Über die Schattenseiten des Gesellschaftslebens würden Sie dann mit ein wenig Ironie leicht hinwegkommen. Aber ich habe da ein Thema gedankenlos angeschnitten, das ich eigentlich in der Unterhaltung mit Ihnen ein für allemal vermeiden wollte. Wir reden da doch immer um eine ganz andere Frage herum, und Berlin muß den Namen hergeben.«

Er sah dabei Frau ten Holten eindringlich an.

Sie antwortete mit einem unruhigen Blicke. Der Major fuhr fort: »Freilich verdirbt es den Charakter, wenn jemand ganz in dem Treiben aufgeht, um es zu Spekulationen auszunützen. Dabei müssen höhere Lebenswerte verkümmern und nimmt schließlich das ganze Dasein eine schwindelhafte Färbung an. Es ist kein schönes Bild, das solche Leute bieten, die den Emporkömmling schon von weitem erkennen lassen, und ich begreife recht gut Ihren Widerwillen gegen solche Erscheinungen.«

264 Immer hatte er sie dabei scharf im Auge behalten. Sein Ton bekam eine geradezu zornige Färbung, als er endlich sagte: »Sie sind zu gut dazu, gnädige Frau, nur so nebenher als Staffage zu dienen, wie Taschenspieler und ähnliche Leute eine hübsche Person als Gehilfin für ihre Künste mit sich führen.«

»Herr Major!« rief Frau ten Holten erschrocken mit unterdrückter Stimme und wurde fast blaß. »So dürfen Sie nicht zu mir sprechen.«

»Ich kann nicht mehr an mich halten. Lange genug sehe ich's mit an, wie Sie seelisch leiden und verkümmern. Eine Frau wie Sie, der man sich am liebsten zu Füßen legen möchte wie ein treuer Hund!«

»Ich bitte Sie –« stieß Frau ten Holten mit wogender Brust hervor, ihre Miene krampfhaft beherrschend.

»Das nur will ich Ihnen sagen,« sprach der Major weiter mit kaum geöffneten Lippen in einem murmelnden Ton, »es gibt ein anderes Berlin, in dem Sie glücklich sein könnten. Quälen wir uns nicht länger. Es lohnt sich nicht für Sie, und ich kann's nicht mehr länger ansehen.«

Ein kurzer Blick, ein schmerzvoller Strahl aus den dunklen Augen traf ihn.

Der Maler Einhorn trat heran und sprach Gleichgültiges in einem müden, beinahe übellaunigen Ton. Eine kleine Gruppe bildete sich, aus der der Major sich still zurückzog. Schließlich kam ten Holten eilfertigen Schrittes heran und sagte laut mit heller Stimme: »Na, teure Gattin, muß mich doch mal nach deinem Befinden erkundigen. Wenn du mir abhanden kämst, hätte ich vier Kinder zu ernähren und wüßte nicht, wie man das machte. 265 Das gehört nämlich zu den vielen Sachen, die man auf der Akademie nicht lernen kann.«

Frau Julie hatte ein kaum merkbares Lächeln auf den Lippen.

»Ich sehe, August hat dich betreut,« fuhr ten Holten fort, »dann kann meine Seele ruhig sein.«

»Ich bin erst an die gnädige Frau herangetreten,« antwortete dieser trocken.

Das war ten Holtens Art, daß er nach einer solchen Abendgesellschaft noch eine geraume Zeit seiner Frau in aufgeregter Stimmung von diesen und jenen Eindrücken, von diesen und jenen Äußerungen, die er gehört hatte, vorschwatzte. Dabei sprach eine heiße Lebensfreudigkeit und ein hochgespanntes Selbstbewußtsein aus ihm. Er war ein glücklicher Mensch, der sich immer aufs neue in seinen Erfolgen sonnte. Diese ließ er sich freilich was kosten. Er arbeitete mit fieberhaftem Fleiß und scheute daneben keinen Weg, Verbindungen anzuknüpfen, die von Vorteil sein konnten, war es auch nur ein solcher für die persönliche Eitelkeit. Man verbrauchte sein Leben in Berlin, das war gewiß, aber er war ja aus gesundem, niederrheinischem Bauernblut und konnte der zehrenden Weltstadtluft besser widerstehen als so mancher andere, der früher oder später zusammenbrach. Diese Hetze des Gesellschaftslebens, die er nun schon seit Jahren mitmachte, schadete ihm gar nichts. Morgens um neun Uhr saß er schon wieder vor der Staffelei. Nachdem er sich ausgeplaudert hatte, ohne dabei von der Gattin eine engere Teilnahme zu beanspruchen, schlief er an deren Seite den gesunden Schlaf eines sorgenfreien Menschen. Getrunken hatte er nicht viel. Darin mußte er seit einiger 266 Zeit allerdings vorsichtig sein, denn er war etwas behäbig geworden, und wenn er dem Wein stärker zugesprochen hatte, schlief er unruhig, mit Atembeklemmungen. Da mochte wohl im Herzen etwas nicht ganz stimmen, aber der sommerliche Studienaufenthalt in Bayern würde das schon wieder zurechtflicken. Frau Julie lag die ganze Nacht mit wachen Augen an seiner Seite. So war also doch einmal gekommen, was sie schon seit langem mit einer Angst erwartet hatte, in der doch ein festentschlossenes Pflichtgefühl lag. Als Major Flatten vor zwei Jahren nach Berlin gekommen war und sie ihn im Hause seines Schwagers kennen gelernt hatte, war er ihr ganz allmählich nähergetreten. Die Art, wie er seiner verstorbenen Gattin nachtrauerte, weckte ihr Interesse für ihn. Es machte tiefen Eindruck auf sie, daß ein Mann, der auf den ersten Blick ein hartbefehlshaberisches Wesen, die streng gemessene Straffheit des preußischen Offiziers zur Schau trug, für den aller »Zivil« mindere Menschengattung zu sein schien, so warme, weiche Töne der Wehmut anschlagen konnte. Er selber schien dann froh zu sein, in ihr jemanden zu haben, mit dem er über die Verstorbene und den kleinen Knaben sprechen konnte, den sie ihm hinterlassen hatte. Das war ein Jahr hindurch in nicht allzuhäufigem Zusammentreffen zu einer ernsten Vertraulichkeit herangewachsen. Immer häufiger stellte sich der Major zu den Teestunden ein, in denen Frau Julie nach dem besonderen Willen des Gatten Freunde und Freundinnen empfing. Die Fälle mehrten sich, in denen er als verfrühter Gast geraume Zeit vor der eigentlichen Empfangsstunde erschien, und von der toten Frau war nicht mehr viel die Rede, bis Frau Julie 267 selber es zuweilen zweckmäßig fand, das Gespräch in diese Richtung zu lenken, wobei sie immer deutlicher erkennen mußte, daß des Majors Gefühlsäußerungen einen anderen Klang bekommen hatten. Seine Blicke belehrten sie deutlich über den Grund dieser Veränderung. Sie selbst war aber nicht mehr in der Lage, dem deutlichen Wandel seiner Gefühle eine überlegene Sicherheit des eigenen Verhaltens entgegenzustellen, denn dieser Mann brachte ihr etwas entgegen, was sie in ihrem Leben bitter vermißte; der Ton seiner Stimme wurde ihr zu einer Musik, die sie unwiderstehlich anzog, so unwiderstehlich, daß sie ihm manchmal am liebsten weinend um den Hals gefallen wäre. Was erst Mitleid gewesen war mit dem um verlorenes Liebesglück Trauernden, das wurde jetzt zur Erkenntnis, daß ihr da ein warmfühlendes, reichster Liebe fähiges Herz entgegenschlug, das einer Frau nur eine unendliche Fülle des Glückes bereiten konnte, jenes Glückes, das sie um so heißer begehrte, je leerer sie die eigene Ehe fühlen mußte. Tapfer hatte sie mit sich selber gerungen, sich törichter Empfindsamkeit angeklagt, denn Peter tat ihr nichts Böses, war ein guter, tüchtiger Mensch, und sie war Mutter von vier Kindern, der es wohl gar nicht mehr ziemte, nach schwärmerischen Verliebtheiten auszuschauen. Die Ehe ist nun einmal etwas ganz anderes, als sich ein von den Eltern verwöhntes, ahnungsloses Mädel vorstellt. Freilich hatte sie sich während jenes Jahres, das der Vater als Frist gesetzt hatte, wohl besonnen, aber gerade da Peter nicht mehr ins Haus kam, da sie nicht mehr so behaglich fröhlich mit ihm plaudern konnte, da hatte sie so recht deutlich herausgefunden, daß in seinem Humor, in seiner 268 behäbigen Sicherheit so viel Vertrauenerweckendes gelegen sei, daß ein solcher Mensch gewiß nach keiner Richtung sich etwas zu schulden kommen lassen, sondern seiner Frau die richtige zuversichtliche Lebensstütze, der gute Kamerad sein würde. Gescheit war er, fröhlich und brav. Was besseres konnte man doch von einem Ehemann nicht begehren? Schön war er nicht, aber daran lag ihr wirklich gar nichts, denn die schönen Männer sind eitel, launenhaft und wollen auch noch anderen Frauen gefallen. Derlei hatte sie schon gehört. Die Eltern trafen allerlei Anstalten, sie von Peter abzubringen, das merkte sie wohl. Jetzt, da sie allein war, jagte man sie von einer geselligen Gelegenheit in die andere und suchte ihre Frohnatur durch Zerstreuungen abzulenken von der Erinnerung an diesen ten Holten. Als er aber kam, da mußten die Eltern erkennen, daß ihre Bemühungen vergebens gewesen waren, und ließen sie mit ihrem Peter nach Berlin ziehen. Es gefiel ihr da erst sehr gut, und mit Lust stürzte sie sich in das weltstädtische Treiben. Zwei Jahre gingen die Dinge vortrefflich. Da kam das zweite Kind, und mit ihm gewann die Kinderstube erhöhte Bedeutung. Gleichzeitig hatten sich aber die gesellschaftlichen Verpflichtungen des Gatten erheblich vermehrt, und er hielt darauf, daß sie an deren eifriger Pflege teilnahm. Während er selbst sich in diesem Treiben, das in der Tat auch seinem künstlerischen Ruf große Vorteile brachte, ganz wohl befand, fühlte sie sich immer mehr in einen Zwiespalt mit ihren mütterlichen Gefühlen gebracht. Aber auch der Charakter mancher dieser gesellschaftlichen Beziehungen sagte ihr durchaus nicht zu. Es traten da Erscheinungen an sie heran, die sie als weltstädtische 269 Lebensformen hätte hinnehmen sollen, die aber ihr Feingefühl verletzten, und es verletzte sie erst recht, daß der Gatte, der ihr doch bisher als Mann von biederer Gesinnung und reinlichen Grundsätzen erschienen war, für diese Empfindungen gar kein Verständnis zeigte, sondern sich mit fröhlicher Ironie über solche Dinge hinwegsetzte und ihr zumutete, ein gleiches zu tun, weil derlei in einer Weltstadt eben in Kauf genommen werden müsse und sie doch kein kleines Kind mehr sei. Sie wurde verschlossen und nahm in solchen Gesellschaften eine Miene an, von der sie selber wußte, daß man sie als Hochmut auslegen konnte, wiewohl sich in ihr nur die Abwehr unzarter Berührungen ausdrückte. Mehr und mehr mißfiel ihr die Art, wie der Gatte sich eifervoll um die Gunst dieser Leute bemühte, und wo er eine Hebung seiner künstlerischen Stellung zu finden glaubte, sah sie etwas wie eine Preisgabe der künstlerischen Würde, die sie bei ihrem Vater gewohnt gewesen war. Noch zwei Kinder waren mit der Zeit hinzugekommen, und sie mußte ihre Mütterlichkeit hintansetzen, um sich als die schöne Frau des Malers ten Holten in den Salons von Berlin W. zur Schau zu stellen. Darum ging es, das fühlte sie wohl heraus. Wenn sie einmal den Versuch machte, sich dem zu entziehen, dann wurde der Gatte bitter und sprach von Engherzigkeit, die sich seinen Lebensinteressen hemmend in den Weg stelle, hatte gelegentlich auch spöttische Bemerkungen über beschränktes Münchnertum. Sonst war er ja sehr aufmerksam gegen sie, soweit er Zeit dazu fand. Er zeigte sogar nicht selten Verliebtheit und war offenbar stolz auf seine ebenso vornehme wie schöne Frau. Ihre stille Würde machte soviel Eindruck auf ihn, daß er auch bei verdrießlichen Äußerungen sich davor hütete, einen Ton 270 anzuschlagen, der rücksichtslos hätte genannt werden können. Sie hatte sich mit den Verhältnissen abgefunden in dem wehmütigen Gedanken, wie alles ganz anders gekommen wäre, hätten sie ihr Nest in München gebaut. Peter wäre ein vortrefflicher Gatte gewesen, nur dieses Berlin hatte ihm nicht gut getan. Aus solchen Voraussetzungen entwickelten sich die Beziehungen zu Major Flatten. Sie hatte sich so in Zucht gehalten in jedem Blick, im Ton jeden freundlichen Wortes, damit er nur ja nie eine Ahnung davon bekomme, daß er ihre nach warmen Gefühlstönen lechzende Seele getroffen hatte, wie die Saiten eines Instrumentes erklingen müssen, wenn sie berührt werden. Und sie vertraute auch, daß er die eigene Neigung, die sie deutlich erkannte, bezwingen würde, denn er war ein Ehrenmann. Jetzt war doch geschehen, was nicht hätte geschehen sollen, und bei diesem von Einhorn unterbrochenen Ausbruch einer heißen, kampfentschlossenen Leidenschaft würde es nicht bleiben. Gerade Einhorn mußte es sein, der arme Mensch, der sie auch schon lange mit schlecht verhehlter Verliebtheit umkreiste. Der konnte mit dem Scharfblicke der Eifersucht noch etwas merken, vielleicht schon gemerkt haben. Sein Dazwischentreten war möglicherweise kein Zufall gewesen. Flatten sprach noch einmal, daran war nicht zu zweifeln. Und wenn ein Mann, wie er, schon einmal so weit gegangen war, ließ er sich nicht mehr durch ein strenges Wort zurückweisen, dann strebte er weiter mit allen Mitteln, die ihm die Leidenschaft eingab. Sie fühlte es ja auch zu deutlich, daß sie das strenge Wort gar nicht finden würde. Eine Bitte um Schonung, nichts anderes würde aus ihrem bebenden Herzen kommen.

271 Zwei Tage später kam der Major, kam in seiner neuerdings beliebten Art als erheblich verfrühter Gast. Frau ten Holten fühlte, daß ihr die heiße Röte bei der Begrüßung in die Wangen stieg. Er küßte ihr mit langsamer Bewegung die Hand, heftete dann einen tiefen Blick auf sie und sagte: »Was soll nun werden, teuerste Freundin? Ich nehme nichts zurück von meinen kecken Worten. Weisen Sie mir die Türe oder sind Sie mit mir der Meinung, daß wir einander brauchen und nicht mehr länger an dem vorbeirennen können, was nun einmal unser Schicksal ist?«

Frau ten Holten war ganz blaß geworden, ihre auf eine Stuhllehne gestützte Hand zitterte. »Mein Schicksal stellt mich an die Seite meines Mannes, Herr Major, und zu meinen Kindern.«

»Das ist nicht das Schicksal, was Sie so nennen,« entgegnete der Major, »sondern das, was Sie zu unterdrücken suchen und was mir doch in diesem Augenblick deutlich erkennbar wird.«

»Ich will nicht schlecht werden,« stieß Frau Julie im Tone höchster Not hervor.

»Ich bin kein sittenloser Verführer,« antwortete der Major, und es klang auch wie der Ausdruck seelischer Not.

Frau Julie fühlte Erbarmen mit ihm, und aus ihrem Blicke sprach etwas wie zärtliche Beschwichtigung.

»Ich kann ja nicht mehr anders!« rief er stöhnend, und ehe sie ihm ausweichen kannte, hatte er sie an sich gezogen und bedeckte ihre Lippen mit Küssen.

Sie rang sich von ihm los, wich gegen ein Fenster zurück und bedeckte das Gesicht mit den Händen. Er näherte sich ihr sacht. Sie machte ihr Gesicht wieder frei und sprach leise: »Es wird ja gleich jemand kommen – und 272 es ist nicht recht von Ihnen. Lassen Sie mich doch in Ruhe – ich bitt' Sie recht sehr.«

»Arme Frau!« sagte der Major sanft. »Hätte ich Sie ruhig gewußt, so hätte ich Sie weiß Gott nicht aufgestört, sondern meine Wünsche begraben. Aber für uns beide gibt es keine Ruhe mehr. Wenn wir uns meiden, wird die Sehnsucht uns wieder zusammenführen, und wenn wir verkehren wie bisher, wird doch nur für kurze Frist aufgeschoben, was kommen muß. Wir können nicht mehr voneinander lassen. Ich hab's gewagt, weil ich in Ihren Augen gelesen habe, daß die Zeit gekommen war.«

Mit lebhafter Handbewegung entgegnete Frau Julie: »Ich werde keine Ehebrecherin, nie, nie!«

»Das ist das einzige, was Sie mir zu sagen haben?«

»Das einzige, was ich sagen darf,« antwortete sie mit abgewendetem Gesicht.

Es kamen andere Besucher. Der Major blieb nicht mehr lange. Er brach auf, als ten Holten, vom Atelier kommend, in die Gesellschaft trat und diese mit munterer Laune begrüßte. Nachdem die Teegäste verschwunden waren, sollte Frau Julie sich zu einer Abendgesellschaft umkleiden. Sie sagte zu dem Gatten: »Du mußt mich entschuldigen, Peter! Ich bin nicht wohl und will zu Hause bleiben.«

ten Holten sah seine Gattin an und meinte: »Ist's denn so schlimm? Es wäre mir sehr lieb, wenn du mitgingest. Hast dich ja eben beim Tee noch ganz gut unterhalten.«

»Es fiel mir schwer genug,« lautete Frau Juliens Antwort. »Jetzt kann ich aber wirklich nicht mehr, ich brauche Ruhe.«

273 »Na, dann muß ich also allein losschieben!« versetzte er. »'s wird wohl spät werden heute. Also gute Nacht! Und wenn dir nicht besser wird, dann schickst du morgen gleich zum Doktor. Du weißt, wir müssen in dieser Woche noch einmal ausgehen, zu Kommerzienrat Mandelbaum. Wenn du da nicht mitkönntest, wär's mir wirklich sehr unangenehm.«

Er ging, sich umzukleiden.

*

ten Holten kam etwas später zum Frühstück, als es seine sonstige Gewohnheit war. Frau Julie erwartete ihn am Kaffeetisch. Er gab ihr einen Morgenkuß auf die Wange und scherzte: »Hab' ein bißchen Kater erwischt. Jedesmal, wenn du nicht dabei bist, wird die Sache länglicher. Man läßt sich mitschleppen, und da ist dann kein Ende zu finden.«

Während er den Kaffee zu sich nahm, erzählte er in seiner gewohnten, vergnügt angeregten Art von dem Verlauf der Gesellschaft, von diesen und jenen Leuten und ihren Äußerungen. Frau Julie schenkte ihm ein, strich ihm Brötchen und hörte sein Geplauder an. Schließlich fragte er: »Übrigens, wie hast du geschlafen, Julchen? Siehst nicht gerade besonders aus.«

Jetzt sagte Frau Julie: »Ich habe mit dir zu sprechen, Peter.«

»Hat das nicht bis Mittag Zeit?« entgegnete ten Holten etwas stutzig. »Ich möchte nämlich bald an die Arbeit kommen, da ich ohnedies schon die Zeit verschlafen habe.«

»Ich bitte dich, mich gleich anzuhören,« lautete Frau Juliens Antwort.

274 ten Holten machte jetzt, da er die Miene seiner Frau sah, ein höchst verwundertes Gesicht und sagte: »Ja, was ist denn eigentlich los?«

»Ich möchte auf längere Zeit verreisen,« lautete Frau Juliens Antwort.

ten Holten wurde ganz verwirrt. »Willst du nach München zu deinen Eltern?« fragte er. »Aber warum so plötzlich? Erkläre mir doch –«

Frau Julie sprach gelassen, mit gesenktem Blick: »Du hast keine Zeit gehabt, zu beobachten, wie sich unsere Ehe in den letzten Jahren verändert hat. Bist auch ganz zufrieden gewesen.«

»Allerdings!« unterbrach sie der Gatte. »Aber das sieht ja aus, als ob du dich über etwas beklagen wolltest – – –«

»Nicht beklagen, ganz und gar nicht,« versetzte Frau Julie. »Anklagen muß ich mich vielmehr. Ich liebe einen anderen, Peter, und da muß ich auf eine Weile fort. Dann wird es wohl vergehen, und es ist wieder alles gut, wenn du mir verzeihen willst.« Dann weinte sie still vor sich hin.

ten Holten hatte sich von seinem Sitze erhoben, und seine Frau anstarrend, sagte er mit einer befremdenden Ruhe: »Aber Julie, was soll denn das heißen? Das kann doch nur Überspanntheit sein. Du bist mir doch nicht untreu geworden?«

Frau Julie wischte die Tränen aus den Augen und antwortete: »Damit es nicht dazu kommt, muß ich fort aus Berlin. Er liebt mich auch, und wir dürfen uns sobald nicht wiedersehen!«

ten Holten fand eine Weile keine Worte. Dann polterte er erregt heraus: »Das ist ein schönes Geständnis 275 einer Mutter von vier Kindern. Ich habe dich lieb, das hast du wissen müssen, und ich habe es dir wahrlich an nichts fehlen lassen. Sonst will es dir nicht in Berlin gefallen, aber bei derartigen Abenteuern, wie sie hier wohl Mode sind, bist du doch dabei. Wer ist denn der Hansnarr, der dir den Kopf verdreht hat? Ich will schon ein Wörtchen mit ihm reden. Romane oder Theaterstücke werden in meinem Hause nicht aufgeführt.«

»Sprich nicht so mit mir,« sagte jetzt Frau Julie mit sanft bittendem Klang. »Ich kann nichts dafür und will's wieder gut machen. Das mußt du mir nicht zu sehr erschweren. Ganz ohne Schuld daran bist du auch nicht. Wenn wir weniger in Gesellschaft und mehr für uns gelebt hätten, wäre es nicht dazu gekommen.«

»Ich hätte dich und mich von der Welt abschließen sollen, meinst du?« entgegnete ten Holten unwirsch. »Dazu brauchte ich allerdings nicht nach Berlin zu kommen. Ich möchte jetzt aber wirklich wissen, wem ich diese merkwürdige Szene zu danken habe.«

Frau Julie schöpfte tief Atem und sagte: »Ich habe den festen Entschluß, mich zu dir zurückzufinden, wenn du mir nur Zeit dazu läßt. Was soll da noch jemand störend zwischen uns stehen. Bitte, sei so großherzig und verzichte darauf.«

Ein Ausdruck von tiefem Leid lag auf der Miene der Frau, der ten Holten unheimlich berührte, als spräche eine Stimme in seinem Inneren: »Das hast du aus dem sonnig heiteren Kinde gemacht.«

Er wollte sich wehren, aber da flogen die Jahre in raschen Gedankenblitzen durch die Erinnerung, und er sah sich auf einer Veranda am Tegernsee. »Ich halte Sie für einen Egoisten,« sagte Frau Benthoff.

276 »Du willst also auf einige Zeit zu deinen Eltern?« fragte er seine Frau.

»Nein, nein,« entgegnete sie lebhaft. »Es soll doch alles unter uns bleiben, und da würde ich ausgefragt. Irgendwohin nach Tirol oder Oberitalien möchte ich.«

Mit einem leisen, wehmütigen Lächeln fügte sie hinzu: »Als Mädchen war es mir immer vom Vater versprochen, es ist aber nie dazu gekommen. Es wird mich zerstreuen, wenn jetzt ein alter Wunsch in Erfüllung geht.«

»Und du willst bald reisen?«

»Sobald als möglich. Und die Kinder darf ich mitnehmen? Es geht nicht gut anders.«

ten Holten schüttelte gedankenvoll den Kopf. Dann sagte er, die Frau dringlich ansehend: »Muß es denn wirklich sein, Julchen? Ist nicht die ganze Sache eine Überschwenglichkeit, in die du dich verrannt hast, und aus der du auch hier mit ein bißchen Willenskraft wieder herausfindest? Es ist ja sehr löblich von dir, daß du es so gewissenhaft nimmst. Aber es gibt doch dummes Gerede, wenn du so plötzlich verschwindest, ohne daß man bei irgend welchen Bekannten ein solches Vorhaben erwähnt hat.«

Frau Julie sah ihn sehr traurig an und sprach ganz leise: »Gerede möchte es eher geben, wenn ich bliebe.« Lauter und mit einem bitteren Klang fügte sie hinzu: »Es handelt sich doch zunächst um etwas anderes, als um das Gerede der Leute.«

»Ich verstehe dich nicht,« erwiderte ten Holten, neuerdings den Kopf schüttelnd. »Und du meinst, ich müsse mir dieses seltsame Benehmen einfach gefallen lassen?«

»Lieber Peter,« sagte Frau Julie darauf, »es geht um mein Seelenheil. Wenn du dir jetzt nicht die Mühe 277 gibst, dich um meinen Zustand zu kümmern und nur eine Unbequemlichkeit siehst, die ich dir bereite, dann lädst du eine große Verantwortung auf dich. Es tut mir leid, daß ich dein ahnungsloses Wohlbehagen störe, aber es kann so nicht weiter gehen. Wir müssen uns verständigen.«

ten Holten stellte sich, die Hände in den Hosentaschen, vor seine Frau und sagte grimmig: »Ich muß jetzt an die Arbeit. Du kannst dich nicht beklagen, daß ich dir gegenüber jemals den Tyrannen gespielt hätte. Aber daß ich so ohne weiteres auf die tolle Geschichte eingehe, darfst du doch nicht verlangen. Wir werden da noch ein Wörtchen miteinander reden müssen.«

Dann verließ er in straffer Haltung, mit vorgestreckter Brust, das Zimmer.

 


 


 << zurück weiter >>