Karl von Perfall
Der kluge Pitter
Karl von Perfall

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Fünftes Kapitel

ten Holten sagte dem Freunde nichts von dem Atelierbesuch, den er bekommen hatte, obwohl Augusts Verhalten seines Erachtens einen Tadel verdient hätte, und dieser stellte sich entweder unwissend oder Mäxchen hatte ihm ihren Schritt verschwiegen. ten Holten bemerkte aber recht wohl, daß in die Freundschaft etwas Hemmendes gekommen war, daß August ihm etwas vorenthielt, was ihn doch zu beschäftigen schien. Endlich erzählte ihm dieser, daß sein Vater irgendwoher von jenem albernen Verlangen des Kohlenonkels bei seinem Auftrag erfahren habe, obwohl von der Sache nur gelegentlich im Kreise der jüngeren Künstler gesprochen worden sei.

»Jeder,« sagte er, »hat mir zugeredet, ich solle die Sache selbstverständlich machen, und ich hatte sie mir schon so zurechtgelegt, daß wenigstens ein ganz anständiges Familienbild daraus werden konnte. Ich habe die Leute inzwischen kennen gelernt; die Frau ist sehr stattlich, die Kinder sind auch ganz nett. Da kommt jetzt mein Vater mit den bissigsten Witzen, behauptet, ihm hätte man keinen solchen Antrag stellen dürfen, das sei eine Prostitution der Kunst und dergleichen mehr. Seit zwei Tagen redet er so, mittags und abends, bald klingt es wie höhnische Neckerei, bald wie zorniger Vorwurf. Das halte ich nicht mehr aus. Es nimmt mir alle Lust an der Arbeit. Aber ich lasse 67 mich nicht mehr wie ein dummer Junge behandeln. Da hören bei mir eben auch die Rücksichten auf. Mein mütterliches Erbteil kann ich verlangen, wann ich will. Dann packe ich auf, und er hat mich gesehen.«

ten Holten suchte ihn zu beruhigen, indem er selbst die Meinung aussprach, eine Trennung möchte wohl das beste sein, aber sie sollte sich in Frieden vollziehen.

»Weißt du was, wir gehen zusammen nach München,« sagte er.

»Ich hab' an Berlin gedacht,« antwortete August darauf. Dann wurde er plötzlich erregt und stieß wie klagend hervor:

»Ich kann nicht fort, ich muß hierbleiben.«

»Das ist kindisch,« sagte ten Holten verweisend. »Zur Gefühlsduselei darf man die Heimatliebe nicht machen.«

»Ich kann dir das nicht so sagen –« wehrte sich August.

»Dann ist dir nicht zu helfen,« entgegnete ten Holten. »Du weißt eben nicht, was du willst. Erst redest du von Berlin, und dann kannst du nicht fort von hier –«

»Ich brauche ja nicht gerade bei ihm zu wohnen,« sagte August jetzt. Hatte er am Ende den wahnwitzigen Gedanken, bei der Familie des Mäxchen Unterkunft zu nehmen?

»Besinne dich, was du tust,« mahnte ten Holten. »Ruiniere dich nicht durch eine Unüberlegtheit.«

»Zugrunde richtet mich höchstens mein Vater,« lautete Augusts Antwort. »Aber so weit sind wir noch nicht.«

ten Holten fuhr auf vierzehn Tage nach Hause. Er ging Settchen Westhöfer nicht aus dem Weg, was ja auch nicht lange möglich gewesen wäre. Sie trat ihm mit strahlender Freude im Gesicht entgegen, und er verhielt sich unbefangen freundschaftlich wie immer. Als sie aber Miene machte, ihm absichtlich in den Weg zu kommen, so 68 daß am Familientisch kleine Anzüglichkeiten und Neckereien fielen, da gab er ihr klar zu verstehen, daß Kirmes längst vorbei sei. Von da an lief sie ihm nicht mehr in die Wege, wenn sie sich aber zufällig trafen, sah sie ihn mit traurigen Augen an. Er fühlte ein leises Mitleid mit ihr. Aber mit Gewalt unterdrückte er solche Regungen. Ein Weib darf sich nicht in den Weg stellen, wenn ein Mann seine Zukunft formen will. Da muß es ausweichen oder sich beiseite schieben lassen. Die Kirmesepisode war erledigt.

Als er wieder nach Düsseldorf kam, erfuhr er die Verlobung von Hedwig Einhorn mit dem Fabrikanten Benthoff. Er mochte Benthoff, wie er ihn seitdem kennen gelernt hatte, ganz gut leiden. Er war ein anständiger, gesunder Kerl. Aber wie kam Hedwig Einhorn dazu, einen Menschen heiraten zu wollen, dem die Kunst nur eine Geschicklichkeit bedeutete? Das war seines Erachtens doch einigermaßen ungebildet. Also nahm sie ihn, weil er reich war. Sowas hätte er von ihr nicht gedacht. Er mußte sie aber beglückwünschen, und bei ihr traf er auch den Bräutigam.

Hedwig sprach ihn gleich lustig an: »Daß ich mir gerade einen solchen Kunstbarbaren zum Mann wähle, hätten Sie wohl nicht gedacht! Nicht wahr?«

Und Benthoff bemerkte dazu: »Wo Schwiegervater und Schwager Maler sind, wird doch wohl ein bißchen auf mich abfärben.«

ten Holten verhielt sich ganz feierlich und brach seinen Besuch bald wieder ab.

Tante Mila sagte nachher: »'s ist ein sonderbarer Mensch. Kein einziges Späßchen hat er gemacht, was doch so nahe lag.«

69 »'s ist ihm vielleicht wahrhaftig nicht recht, daß du mich heiraten willst,« meinte Benthoff zu seiner Braut.

Diese entgegnete: »Er glaubte wohl, den Stil eines Staatsbesuches wahren zu müssen.« Dabei erinnerte sie sich daran, daß sie selber, als sie Benthoffs Absichten zu ahnen begann, sich im stillen die Frage vorgelegt hatte, ob es gut wäre, einem solchen Manne die Hand zu reichen, der den Gewöhnungen ihres geistigen Lebens so gänzlich fern stand. Sie war selber keine phantastische Kunstschwärmerin, aber die Fühlung mit künstlerischen Dingen war der Malerstochter doch zu einem selbstverständlichen Bestandteil dessen geworden, was sie unter Bildung verstehen zu sollen glaubte. Mehr und mehr hatte sie aber die tüchtigen Gesinnungen des Mannes erkannt und seine nur anders gerichtete Klugheit schätzen gelernt. Mit der Zeit hatte er sie immer mehr als starke Persönlichkeit angezogen, an die sich ein Weib vertrauensvoll anschmiegen darf, und daraus war dann das Bedürfnis einer solchen Anlehnung geworden. Zweimal waren ihr Männer nähergetreten. Künstler waren beide gewesen. Des Vaters Art hatte sie zurückgeschreckt. Nahm sie den ersten Fall gelassen hin, so hatte ihr der zweite doch längere Zeit Schmerzen bereitet. Mochte der Vater sie auch besser behandeln als die beiden Brüder, die Freudlosigkeit des Heims trug sie doch auch widerwillig. Wohl bedurfte der Vater ihrer mehr als er erkennen ließ, aber sie hatte doch auch ein Recht zu leben. Die erste Jugend war schon vorbei, und sie sah es voraus, daß unter den gegebenen Umständen sie mit den Jahren auch grämlich werden würde. Diese Erwägungen ließen sie in dem tüchtigen, offenbar gütigen Mann erst recht den Führer in ein freundlicheres Dasein 70 erkennen. Als solchen liebte sie Benthoff jetzt innig. Ihr Bruder August sagte aber eines Tages zu ten Holten: »Das hat gerade noch gefehlt, daß Hedwig sich verlobte. Ich gönne es ihr ja. Aber meine Stellung im Hause wird jetzt ganz unhaltbar. Mit dem Vater allein zusammenleben – die Tante rechnet ja nicht – das wäre die Hölle.«

ten Holten sprach die Meinung aus, sein Vater würde, wenn er jetzt auf ihn allein angewiesen wäre, sich vielleicht zu einer Änderung seines Verhaltens veranlaßt sehen.

August antwortete darauf: »Viel schlimmer würde es, sage ich dir. Daß Hedwig heiratet, paßt ihm gar nicht, und an mir ließ' er dann erst recht seine üble Laune aus. Nein, nein. Hedwig hat für sich gesorgt, ich tue desgleichen. Tante Mila wird auch nicht mehr lange bei ihm bleiben. Dann sitzt er ganz allein da und kann die Wände anknurren.« Er stieß ein böses Lachen aus.

ten Holten schauderte. So ging es bei den »feinen« Leuten zu. Der heimatliche Familienkreis stand vor seinen Augen, und ihm war es, als sei er der Sohn des vornehmeren Hauses.

August Einhorn war auf einmal für die Freunde verschwunden. Auch ten Holten erhielt kein Lebenszeichen von ihm, aber er hatte keine Lust, ihm nachzuspüren, denn er ahnte Verwicklungen, in die er sich nicht einmischen durfte. Man hätte ihm höchstens die Tür gewiesen. Es war ja jetzt Hedwigs Bräutigam da, mochte der Ordnung im Hause schaffen.

Eines Tages erschien Benthoff in seinem Atelier. Er sollte helfen, August zur Vernunft zu bringen. Es hatte bei Einhorn eine furchtbare Szene gegeben. Der Vater hatte erfahren, August verkehre mit dem Maler Bornbeck 71 freundschaftlich in einer Weinstube. Darüber sei es zu einem Wortwechsel gekommen, bei dem August schließlich geäußert habe, die Freundschaft werde noch viel inniger werden, denn er habe die Absicht, Bornbecks Stieftochter zu heiraten.

»Hedwig war Zeugin der Szene,« fuhr Benthoff zu erzählen fort. »Als ihn der Vater nun fassungslos anstarrte, wiederholte August seine Absicht und forderte die Herausgabe seines Muttererbes. Da sprang der Vater auf ihn los und würgte den Sohn am Halse, bis es Hedwig und der Tante Mila gelang, August zu befreien, der dann aus dem Hause stürzte. Man rief mich gestern Morgen herbei, und ich fand August in der Wohnung des Herrn Bornbeck. Er erklärte mir, daß er nicht mehr ins väterliche Haus zurückkehre und weiterhin auch, daß er sofort die nötigen Schritte tun werde zu seiner Verehelichung mit Fräulein Stichacker. Ich sprach ihn zunächst in einem Wohnzimmer ohne Zeugen. Man hat uns aber wohl belauscht, denn eben als ich ihm Vorstellungen zu machen begonnen hatte, trat Herr Bornbeck ein, stellte sich sehr großartig vor mich hin und sagte: ›Herr Einhorn ist mir als Schwiegersohn durchaus willkommen. Wenn sein Vater dagegen Einwendungen zu machen hat, so mag er sich persönlich zu mir bemühen. Ich werde mich schon mit ihm auseinandersetzen. Ich bin Künstler wie er, ich bin aber auch Ritter des Eisernen Kreuzes. Das ist er meines Wissens nicht, also steht er mit mir nicht auf gleicher Höhe. Das bitte ich dabei zu beachten.‹ Darauf verneigte er sich wie ein alter Kavalier und verschwand. August wiederholte mir dann seine entschiedene Weigerung, ins väterliche Haus zurückzukehren. Er wollte sich eine Wohnung suchen und 72 ließ Hedwig durch mich bitten, seine Garderobe und sonstigen Sachen zunächst nach seinem Atelier in der Akademie zu senden. Der Vater ist ganz unfähig, irgend etwas zu unternehmen. Hedwig meint nun, Sie könnten uns in der tollen Sache mit Erfolg zu Hilfe kommen. Ich kann nämlich so eine Künstlerseele nicht richtig anfassen. Ich käme gleich mit ›du Lump‹ und dergleichen, was vielleicht doch nicht angezeigt wäre.«

Benthoff hatte die letzten Worte mit einem bitteren Spott gesprochen, der ten Holten ärgerte.

»Um die Künstlerseele handelt es sich zunächst gar nicht, obwohl die auch dabei zugrunde gehen kann,« antwortete er in einem barschen Ton. »Die moralische Mißhandlung, die August durch seinen Vater erlitten hat, ist an allem schuld. Sonst wäre eine Liebschaft herausgekommen und weiter nichts. Ein ›Lump‹ ist er nicht. Wenn Sie die Angelegenheit unter diesem sehr bequemen Gesichtspunkt auffassen, versündigt sich die Familie nur noch weiter an ihm.«

»Ich verstehe den Zusammenhang nicht recht,« sagte jetzt Benthoff, »warum er, wenn er mit seinem Vater entzweit ist, eine Person von zweifelhaftem Ruf heiraten muß. Nur um den Vater zu ärgern?«

»Diese Absicht mag wohl mit im Spiele sein,« antwortete ten Holten. »Im übrigen flüchtet er eben dahin, wo er die angenehmste Zuflucht zu finden hofft.«

»Ja, billigen Sie denn sein Verhalten?«

»Keineswegs, denn ich fürchte für seine Künstlerschaft, und wir Leute vom Lande halten das vierte Gebot heilig.«

»Dann werden Sie uns doch unterstützen wollen?«

»Ich will's versuchen, zweifle aber sehr an einem günstigen Ergebnis.«

73 »Hier kann er keinesfalls weiter bleiben. Schon wegen des Schwiegervaters, dieses Herrn Bornbeck, nicht.«

»Darum handelt es sich wohl vor allem?« fragte ten Holten spöttisch.

»Herr ten Holten,« entgegnete Benthoff, »meine Braut hat immer große Stücke auf Sie gehalten, und auch ich habe Sie schätzen gelernt. Es will mir aber scheinen, als ob Sie in einer gereizten Stimmung gegen uns seien.«

ten Holten antwortete: »Es hätte nicht so zu kommen brauchen. Den Freund werde ich wahrscheinlich verlieren, denn ich werde ihn scharf anfassen – – nicht Ihretwegen, nein, aus meiner moralischen Überzeugung. Es ist unwürdig von einem Mann, sein Schicksal von einer sinnlichen Leidenschaft abhängig zu machen. Aber ich habe für die Familie nicht viel übrig, die ihn in diese Leidenschaft hineingehetzt hat.«

»Hedwig hat doch keine Schuld? Sie sind ein Ehrenmann, Herr ten Holten. Helfen Sie uns, den Menschen zu retten. Wir denken nicht bloß an die gesellschaftlichen Unannehmlichkeiten, wie Sie meine Äußerung zu deuten scheinen. Freilich, die Familienehre ist auch keine untergeordnete Sache. Aber Hedwig liebt ihren Bruder und bangt um seine Zukunft.«

»Das klingt schon anders. Nur vom ›Lumpen‹ darf nicht die Rede sein, darf wenigstens die Familie nicht sprechen. Ich hätte auch ohnedem aus Freundschaft ein deutsches Wort mit ihm gesprochen. Aber ich fürchte –«

»Setzen Sie ihm nur kräftig zu. Von Ihnen nimmt er es eher an als von mir. Ich habe Vertrauen zu Ihnen, Herr ten Holten.«

Benthoff reichte ten Holten die Hand und sah ihn mit einem klaren, herzhaften Blick der blauen Augen an.

74 ten Holten beantwortete dies mit einer zögernden Augensprache, die Benthoff weiter veranlaßte zu sagen: »Wie es nun kommen mag, ich möchte gern, daß wir in freundschaftlicher Verbindung bleiben.«

ten Holten verneigte sich kaum merklich und geleitete den Besuch an die Tür. Als er allein war, besann er sich darauf, daß er August mehr in Schutz genommen habe, als es in seiner eigenen Meinung gelegen war. Aber dieser Benthoff hatte ihn zum Widerspruch gereizt. Mochte er ein noch so anständiger Kerl sein, es lag nun einmal etwas dazwischen, was sie nicht ganz zusammenkommen ließ. Peter suchte den Freund in seinem Atelier, das er infolge besonderer Vergünstigung noch in der Akademie hatte, auf, nicht als Sendbote der Familie, sondern aus eigenem Herzensbedürfnis. Unterwegs kam ihm ein ganz anderer Gesichtspunkt in den Sinn als jener, den er Benthoff gegenüber vertreten hatte.

»Dir ist's ja gar nicht in erster Linie um den Kampf mit deinem Vater zu tun,« sagte er ihm. »Da bist du viel zu schlapp dazu. Die Person hat dich in den Krallen, und ihretwegen machst du den Lärm. Dabei gerätst du von einem Übel in das andere, wahrscheinlich noch verhängnisvollere. So geh' doch nach Berlin und mache dich damit auch von dem Weibe los.«

Da mußte er aber erfahren, daß der Freund nicht nur bereits völlig von dem Mädchen in den glühendsten Sinnenrausch gebracht worden war, sondern daß auch andere Einflüsse erfolgreich am Werk waren.

»Ich weiß jetzt, was Familienleben ist,« rief August, »ich habe jetzt Menschen um mich, die mich anständig behandeln, denen ich etwas wert bin.«

75 »Und Herr Bornbeck?« warf ten Holten spöttisch ein.

»Laß den armen Mann in Frieden!« rief August darauf aus. »Ich werde ihn schon wieder auf den rechten Weg bringen. Ich kenne die Verhältnisse sehr genau. Man hat mir nichts verheimlicht. Das Leben spielt sich eben nicht immer so einfach bequem ab, wie bei tugendprotzigen Philistern.«

ten Holten sagte nun: »Mensch, du wirst dir doch nicht auch noch diese Familie auf den Hals laden? Wenn es nun einmal so weit ist, so gehe wenigstens mit deiner Liebsten nach Berlin.«

Da offenbarte ihm August, daß dies allerdings sein ursprünglicher Plan gewesen sei, daß sich aber die Geliebte entschieden geweigert habe, Düsseldorf zu verlassen.

»Sie hat recht,« setzte er hinzu, »sie braucht sich nicht irgendwo zu verstecken, sie soll nur den bösen Mäulern Trotz bieten. Ich werde sie dabei mannhaft unterstützen.«

»Aber,« wendete ten Holten ein, »du wirst doch nicht behaupten wollen, daß nur böse Mäuler –«

August unterbrach ihn: »Sie hat mir alles gebeichtet. Sie war leichtsinnig und hat sich üblem Scheine unvorsichtig ausgesetzt, aber sie ist nicht schlechter als manche andere, die mit stolzer Miene die Leute belügt.«

»Ich sehe wohl, daß da jetzt nichts mehr hilft,« sagte ten Holten traurig. »Aber es geht um unsere Freundschaft.«

August Einhorn sah einen Augenblick vor sich hin, dann sagte er gedämpft, die Augen ins Leere wendend: »Du kannst nicht verlangen, daß ich dir mein Lebensglück opfere.«

ten Holten rang eine kleine Weile mit sich, dann sagte er zornig: »Du bist ein Lump, August, und lügst dir 76 selber etwas vor, deine jämmerliche Schwachheit zu bemänteln. Ich bin fertig mit dir.«

Er verließ das Atelier, ohne daß August Einhorn etwas erwiderte. Draußen auf dem langgestreckten Korridor der Akademie, den er mit hallenden Schritten eilig durchmaß, fiel ihm erst ein, daß dasselbe Wort von seinen Lippen gekommen war, das er erst Benthoff verübelt hatte. Er konnte es nicht bereuen, denn ein tiefer Zorn hatte ihn gegen den ehemaligen Freund erfaßt und seine sentimentalen Redensarten, hinter denen eine liederliche Puppe und deren schlaue Mutter standen. Etwas Abscheuliches – zum erstenmal im Leben, aber mit der Macht eines starken Instinktes empfand er es – war ein Mann, der sich vergeudete. Die Vergeblichkeit seiner Vermittlung teilte er Benthoff schriftlich mit. Das Einhornsche Haus betrat er nicht mehr. Bei einer zufälligen Begegnung nach mehreren Wochen sprach ihn Benthoff deshalb an und bat ihn, den alten Herrn einmal aufzusuchen.

»Tun Sie es in Ihrem eigenen Interesse. Er meint nämlich, Sie hätten den Skandal verhindern können, aber nicht ernstlich gewollt.«

»Das kann Herr Einhorn halten, wie er will,« antwortete er darauf. »Ich habe August gegenüber sogar das Wort gebraucht, das ich vorher Ihnen verübelt hatte und kann sein Freund nicht mehr sein. Aber seines Vaters Freund will ich noch viel weniger sein.«

»Aber unser Freund werden Sie hoffentlich sein, wenn wir verheiratet sind,« sagte darauf Benthoff sehr herzlich.

»Vielleicht bleibe ich nicht mehr lange hier,« antwortete ten Holten darauf halblaut.

77 Benthoff fragte verwundert: »Sie wollen fort?«

»Nach München vielleicht,« lautete ten Holtens im selben Ton gegebene Antwort.

»Das hängt doch nicht mit der Sache Augusts zusammen?« fragte jetzt Benthoff.

Zum erstenmal hatte er jemandem verraten, daß der immer wieder in seinem Inneren auftauchende und dann wieder beiseite geschobene Gedanke an München neuerdings sich stärker in den Vordergrund gedrängt hatte. Nicht nur Augusts Freundschaft war verloren gegangen, sondern seinetwegen hatte er sich auch noch mit anderen Freunden entzweit. Der Fall wurde ja viel besprochen. Die einen sprachen Befürchtungen aus, die anderen gaben dem Vater die Schuld, dritte nahmen die Sache von der leichtesten Seite, meinten, Mäxchen sei wirklich ein Mädchen zum Verlieben, und unter Künstlern müsse man derlei doch anders beurteilen, als es die »vornehme Sippschaft« wohl tut. Bei solcher Gelegenheit hatte ten Holten in schroffster Form Augusts Verhalten mißbilligt. Er erntete schwere Vorwürfe für sein unkollegiales Verhalten, man stichelte auf seine neuerliche Stellung zu Kommerzienrat Hagenbach und sprach von »Schmuserei« mit den zahlungsfähigen Kreisen. Es fiel sogar das Wort »Gemeinheit«. Zwar kam wieder ein äußerer Ausgleich zustande, aber er fühlte sich nicht mehr wohl in dem bisherigen Freundeskreise und mußte sich um anderen Anschluß umsehen.

August Einhorn hielt Hochzeit, der einige seiner Freunde aus der Stammkneipe beiwohnten, und als das Paar von einer kurzen Reise zurückgekehrt war, konnte man die junge Frau, die in sehr eleganter Kleidung entzückend 78 aussah, täglich in Begleitung ihrer Mutter an den beliebtesten Punkten, wie Alleestraße und Königsallee, lustwandeln sehen. Maler Bornbeck ließ sich jetzt in besseren Weinstuben sehen, wo er sich ebenso bekneipte, wie früher in den Bierwirtschaften. Anulken ließ er sich aber nicht mehr, in verschiedenen Fällen wies er das in hochfahrendem Tone ab. Er sprach sehr viel von seiner Tochter und seinem Schwiegersohn, den er als ein Genie pries, über das man noch einmal staunen werde. Auch in die Stammkneipe kam er zuweilen mit dem Schwiegersohn. Dort scherzte er im herablassenden Ton des alten Meisters mit den jungen Leuten.

ten Holten wurde im Laufe des Winters mehrfach in Gesellschaften geladen und traf dort auch den alten Einhorn und Hedwig. Der alte Einhorn, der nicht gut aussah, wich ihm tunlichst aus, und wenn dies nicht anging, verhielt er sich sehr kühl gegen ihn. Hedwig und Benthoff waren dagegen immer sehr freundlich. Von August fiel dabei kein Wort, obwohl er zuweilen Hedwig von den Augen ablas, daß sie gerne gefragt hätte: »Haben Sie nichts von meinem Bruder gehört?« Er hätte auch nur sagen können, daß sie bei einer Begegnung stumme Grüße austauschten und im übrigen der eine den anderen als Luft betrachte. Allenfalls hätte er beifügen können, daß die junge Frau bei gelegentlichem Zusammentreffen auf der Straße ihm immer mit einem spöttischen Lächeln dreist in die Augen sehe. Er war sehr vergnügt in solchen Gesellschaften. Wenn man bei Tische saß, horchte die ganze Umgebung auf seine schnurrigen Bemerkungen, und Gelächter und Gekicher war immer aufs neue von dieser Stelle aus hörbar.

79 Hedwig Einhorn, die ihn mit Interesse beobachtete, glaubte mit der Zeit wahrzunehmen, daß er dabei nicht ohne Selbstgefälligkeit verfuhr und mit dem Gebrauch des Dialekts geradezu kokettierte. Sie machte Benthoff gelegentlich darauf aufmerksam, und dieser sagte: »Der kleine Mann ist ganz tüchtig, aber ein Streber ist er auch. Es bekommt ihm vielleicht gar nicht gut, daß er als Original behandelt wird.«

Hedwig hatte durch Benthoff von ten Holtens Absicht, Düsseldorf zu verlassen, erfahren, aber nie mit ihm darüber gesprochen in einer dunklen Furcht, es könnte im Zusammenhang damit die Rede auf ihren Bruder kommen. Da geschah es an einem solchen Gesellschaftsabend, als ten Holten besondere Erfolge zu haben schien, daß sie ihn gelegentlich ansprach:

»Sie werden ja immer mehr Hahn im Korbe.«

ten Holten antwortete darauf in heiterster Stimmung:

»De Burenjung un de Stadtlück. Dat is su en Thiater. Ich spell äwer jut. Nit wahr?«

Hedwig sah ihn scharf an und sagte: »So, meinen Sie das! Wenn Sie aber nach München gehen, wie ich höre, wird man Sie dort ja gar nicht verstehen. Bleiben Sie in Düsseldorf. Hier ist Ihr Feld.«

ten Holten sah sie komisch mißtrauisch an und erwiderte: »Ich kann mir's ja noch überlegen. De Strümp sin ja noch nich injepackt.«

Die Erinnerung an seinen Plan kam ihm aber gerade jetzt unangenehm, denn dieses Gesellschaftsleben gefiel ihm sehr gut. Was hatte er auch zu Benthoff schwatzen müssen.

Unmittelbar vor den Fastnachtstagen sollte die Hochzeit von Hedwig Einhorn und Benthoff stattfinden. 80 ten Holten bekam keine Einladung dazu, und Benthoff erklärte ihm dies damit, daß die Hochzeit nur im engsten Kreise stattfinden werde und seine Anwesenheit beim Vater die ohnehin nicht zu vermeidende Erinnerung an August, der natürlich fehle, noch eindringlicher machen würde, was man vermeiden möchte. »Sie werden das begreiflich finden,« meinte Benthoff.

Bald nach Schluß der Ausstellung hatte sich ein kleiner Kreis jüngerer Künstler zusammengetan, um, auf gewissen Erfahrungen der Ausstellungen fußend, eine Sondervereinigung zu gründen, die, unter sehr strengen Anforderungen an ihre Mitglieder, sich die Förderung höchster Kunstleistungen zum Ziele setzte, womit ein Gegengewicht gegen die schablonenhafte Selbstwiederholung mancher Künstler geschaffen werden sollte. An den vorbereitenden Sitzungen hatte sich ten Holten sehr eifrig beteiligt, und sein Wort hatte ein großes Gewicht bekommen, so daß ihm einige der Genossen seine Wahl zum Vorsitzenden der neuen Vereinigung in Aussicht stellten. Dieser Umstand ließ ihn im stillen daran denken, gegebenenfalls auf den Münchener Plan zu verzichten. Als es aber zur Entscheidung kam, wurde Herstall zum Vorsitzenden gewählt. Er empfand dies als schwere Kränkung. Er dachte daran, seine Stellungnahme gegen August Einhorn habe dabei eine Rolle gespielt. Es wurde ihm aber bedeutet, daß dies keineswegs der Fall sei. Man habe es nur für zweckmäßig gefunden, eine gesellschaftlich repräsentative Persönlichkeit an die Spitze zu stellen. Er habe sich zwar als Original in der Gesellschaft sehr beliebt gemacht, aber man meinte, gerade dieser Umstand sei der Sache nicht nützlich. ten Holten empfand dies als eine Demütigung, 81 die ihn zunächst völlig niederdrückte. Das Wort »Original« war ein Pfeil, der brennend im Busen saß. Das hieß doch nichts anderes mehr als »Hanswurst«. Als solcher galt er also den Herrschaften, mit dem komischen Bauernjungen hatten sie ihren Spaß getrieben? Das würde dann wohl so bleiben. Wie er sich auch als Künstler bewähren mochte, seine ländliche Herkunft würde ihn immer zum »Original« stempeln, das heißt, man würde seine Art immer nur mit lächelnder Duldsamkeit hinnehmen. Umgekehrt war's gemeint gewesen. Die Menschen reizten seinen Witz, sie sollten ihm zum Spaße dienen, spielen wollte er mit ihnen. So war sein Humor geartet, und er war gründlich mißverstanden worden. Zornig riß er den Pfeil aus der Wunde. Ihr sollt euch geirrt haben in Pitter ten Holten. Lenbach war als Sohn eines kleinstädtischen Maurermeisters nicht mehr gewesen, und die Bauernjungen Defregger und Stuck viel weniger. In München verstand man das anders. Da wurden aus solchen Leuten Fürsten der Kunst gemacht.

Als er daheim von seiner Absicht, nach München zu ziehen, sprach, war man sehr traurig, ihn so weit entfernt zu wissen, aber, wenn er es notwendig hielt für seine Zukunft, dann mußte man sich eben darein fügen. Noch bis zum Mai blieb er in der Heimat.

Bei seinem Abschiedsbesuche sagte ihm Kommerzienrat Hagenbach: »Ich hatte schon die Absicht, als ich vor einiger Zeit von Ihrem Plan hörte, Sie zu mir zu bitten, um Sie, wenn möglich, anderen Sinnes zu machen. Es ist ja immer höchst bedauerlich, wenn wir starke Talente ziehen lassen sollen. Ich habe aber davon Abstand genommen, weil Sie jedenfalls als ernster Mann die Sache 82 reiflich erwogen haben werden und es mir nicht zusteht, mich in Ihr Vertrauen zu drängen.« Das war sehr kühl, langsam bedächtig gesprochen, in ganz anderer Art, als die sonnig heitere Liebenswürdigkeit, die sonst dem Umgangston des alten Herrn eigen war.

Nicht ohne Befangenheit erklärte ten Holten, daß er bei seinen Beobachtungen auf der Ausstellung zu der Überzeugung gekommen sei, eben in München die richtigen Anregungen für seine Weiterentwicklung gewinnen zu können.

»Darüber kann ich natürlich nicht streiten,« fuhr Herr Hagenbach fort. »Aber ich meine, solche äußeren Anregungen spielen doch keine wesentliche Rolle für die künstlerische Entwicklung, sie ließen sich durch gelegentliche Reisen wohl ausreichend gewinnen. Das Wesentliche kommt doch aus der Persönlichkeit des Künstlers selbst. Ich will ja nicht an vollkommene Isolierung an irgendeinem kunstfremden Ort denken. Das könnte wohl vom Übel sein. Ich beklage aber die Tendenz nach den großen Mittelpunkten, durch die die Provinz geschädigt wird, während es immer noch fraglich ist, ob der Künstler auf dem neuen Boden Wurzel fassen kann. Sie kommen dort in ein ganz anderes künstlerisches Klima, und ich habe da doch manche Erfahrungen gemacht, daß das nicht jedem bekommt. München ist doch etwas anderes, ganz anderes, als Düsseldorf.«

ten Holten sagte jetzt mit verhaltenem Trotz: »Ich hoffe mich auch dort durchzusetzen. Manche Verhältnisse mögen wohl schwieriger sein, aber es herrschen dort auch freiere Gewöhnungen der Lebensweise. Das hat für mich, der vom Lande stammt, gewisse Vorteile. Hier wird 83 unsereiner leicht mißverstanden, wenn er sich gibt, wie er nun einmal geraten ist.«

Der Kommerzienrat sah ihn mit einem scharfen Seitenblick an und bemerkte: »Da scheint ja noch etwas anderes im Spiele zu sein, als die Frage der künstlerischen Entwicklung. Nun, ich wüßte wenigstens nicht, daß Ihnen in meinem Hause Anlaß zu einer Empfindlichkeit gegeben worden wäre.«

Das klang noch viel kühler als des Kommerzienrats bisherige Tonart. ten Holten benutzte den Anlaß, für die ihm erwiesene Gunst sich lebhaft zu bedanken. Herr Hagenbach wehrte mit zwei Verneigungen ab und sagte dann, ohne ten Holten anzusehen, leicht hingeworfen:

»Ein junger Mann, der eben in die Gesellschaft tritt, darf nicht gleich empfindlich werden, wenn er vielleicht da oder dort mißverstanden wird. Vielleicht mißversteht er selbst manches. Aber darüber zu sprechen hat ja keinen Zweck mehr.« Gegen ten Holten sich wendend, fuhr er fort:

»Ich wünsche Ihnen also alles Gute und daß sich Ihre Hoffnungen erfüllen mögen.«

Damit erhob er sich von seinem Sessel.

ten Holten bat noch um ferneres wohlwollendes Interesse und fragte nach der Frau Kommerzienrat. Herr Hagenbach schien die Bitte überhört zu haben und sagte nur:

»Meine Frau ist ausgefahren. Ich werde ihr mitteilen, daß Sie sich von ihr verabschieden wollten. Leben Sie wohl, Herr ten Holten.«

Ein ganz leichter Händedruck, und der Abschiedsbesuch war erledigt. 84

 


 


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