Karl von Perfall
Der kluge Pitter
Karl von Perfall

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Zehntes Kapitel

Nach Neujahr sah ten Holten einem wichtigen Ereignisse mit erregter Spannung entgegen. Die große Kunsthandlung von Schulte in Berlin veranstaltete eine Sammelausstellung verschiedener seiner Werke. In München hatte er sich inzwischen eine anerkannte Stellung gemacht. Die Kunsthändler öffneten ihm bereitwillig ihre Salons, die Presse behandelte ihn mit Auszeichnung, und der Verkauf seiner Werke sicherte ihm bei regem Fleiß eine wohl auskömmliche Stellung. Jetzt galt es aber den Weg ins Weite; diese Berliner Ausstellung mußte ihm eine Stellung im Rahmen der großen deutschen Kunst schaffen. Ein entscheidendes Ereignis sah er in ihr, obwohl Riederauer sowohl wie Ruwer der Sache keine solche Bedeutung beilegen wollten, vielmehr Enttäuschungen möglich hielten. Dadurch hielten sie ihn auch von der Ausführung seiner Absicht zurück, selbst nach Berlin zu reisen. Als er sich nun begierig die verschiedenen Berliner Zeitungen verschaffte, da bekam er neben nörgelnden und von oben herab schulmeisternden Bemerkungen nur sehr kurze, kühle Anerkennungen zu lesen, die gar nicht näher auf sein künstlerisches Wesen eingingen, sondern ihn mit deutlicher Gleichgültigkeit als leidlich guten Münchener Maler behandelten. Die Bitterkeit dieser Erfahrung vergällte ihm die Stimmung für das beginnende Karnevalsgetriebe. Der schwüle Prunk übermütiger Schönheitsfreude, in dem diese und jene selbstbewußten Künstler mit verführerischem Frauenlächeln spielten und im Rausche von Brokat und Seide, bei wehenden Straußenfedern, entblößten Schultern, kühnen Blicken und wildem Gewirr lachender, scherzender 155 Stimmen Siegesfeste der Kunst gefeiert wurden, bei denen jeder Maler oder Bildhauer sich als Göttersohn fühlen sollte, dieser übermütige Rausch fand einen schmähsüchtig Nüchternen in ihm, der nur üble Komödie, Prahlerei, Leichtfertigkeit vor sich sah, und in dem sich sogar, zu eigener Beschämung, die giftig grämliche Stimme des Neides regte. Daneben fand er einen grimmigen Spaß darin, der Tischgenossin, Fräulein Orster, auf einmal lebhaft den Hof zu machen und den Polen damit zu ärgern. Diese nahm es sehr freundlich auf und zeigte eine eigene Art heimlich leiser Gegenwirkung in verstohlenen Blicken, kaum merklichen kleinen Koketterien der Bewegung, so daß er die Empfindung hatte, als käme ihr persönlicher Duft ihm näher als sonst. Er wäre in der Laune gewesen, Riederauers Rat befolgend, eine Liebschaft anzubändeln, nur um über die bitteren Stunden des Zweifels im einsamen Atelier wegzukommen. Da erschien dort eines Tages der ihm dem Namen nach wohlbekannte, in der ganzen deutschen Künstlerwelt hochangesehene Berliner Kunsthändler Meisenfänger, und der elegante, noch ziemlich junge Herr erklärte ihm, bei seiner Anwesenheit in München, sonstiger Geschäfte halber, habe er die Gelegenheit nicht versäumen wollen, seine Bekanntschaft zu machen. Die Ausstellung seiner Werke bei Schulte in Berlin habe sein höchstes Interesse erregt und ihm die Anknüpfung persönlicher Beziehungen nahegelegt.

ten Holten wies mit bitterem Lächeln auf die Haltung der Berliner Kritik hin. Meisenfänger zuckte, ebenfalls lächelnd, die Achseln und sagte: »Die Zeitungen! Ihre Ausstellung hat beim Publikum sehr lebhafte Aufmerksamkeit erregt, und bei der Kritik haben Sie sich auch sehr gut 156 eingeführt. Aber, bester Herr, Sie kennen eben Berliner Verhältnisse nicht. Wenn da ein neuer Name aus München kommt, schlägt man nicht gleich großen Lärm. Ja, wenn Sie Franzose, Däne oder sonst ein Ausländer wären. Da hätte man Sie vielleicht ›entdeckt‹ und große Artikel geschrieben. München – das können Sie nicht verlangen.«

Erstaunt fragte ten Holten: »Wie? München sollte so wenig bedeuten?«

»Die Konkurrenz bedeutet es, für die man doch nicht Reklame macht.«

»Aber die Kunstkritik –«

»Ist berlinerisch, hat das Interesse Berlins im Auge und mit vollem Recht. Berlin ist der Mittelpunkt Deutschlands und muß es immer mehr werden. Darum geht es auf allen Gebieten. Ausland ist keine Konkurrenz, dient im Gegenteil dazu, das Ansehen Berlins zu heben, muß also angelockt werden. Berlin könnte es ja auch allein nicht machen. Aber die Hilfe Münchens sucht man nicht dazu. Im Gegenteil.«

ten Holten lachte laut auf.

»So treibt man es dort mit der Kunst?« fragte er.

»Politik!« lautete die Antwort. »Man strebt eben in Berlin. Kommen Sie zu uns. Sie sind Rheinländer, nicht wahr? Also gehören Sie doch eher nach Berlin als nach München.«

»Berlin – nee!« sagte ten Holten kopfschüttelnd.

»Und ich sage Ihnen, wer etwas aus sich machen will, muß nach Berlin. Berlin und nur Berlin ist die deutsche Zukunft. München geht zurück, muß zurückgehen, kann sich auf die Dauer nicht halten gegen Berlin. Reizende Stadt, 157 schwärme dafür – aber, es nützt nichts, die Entwicklung läßt sich nicht aufhalten.«

ten Holten wendete ein, daß München nun einmal ein für die Kunst besonders geeigneter Boden sei, während sie in Berlin nur treibhausmäßig gehegt werden könne.

»Mag's ein Treibhaus sein!« rief Meisenfänger. »Es wächst aber alles in dem Treibhaus, was die Zeit braucht. Lassen Sie sich's gesagt sein, nur in Berlin wird die deutsche Kultur gemacht, und da sitzt man doch besser an der Quelle. Hier ist schon Ihr Name ein Hindernis. Man ist hier partikularistisch, nur bayrische, allenfalls österreichische Maler werden populär, man will hier auch nur von bayrischen Malern kaufen. Wenn Sie nun auch bayrische Motive malen, Sie heißen ten Holten und sind damit als Fremder gestempelt, wenn Sie fünfzig Jahre hier leben. In Berlin hat es einen Reiz, eben weil es ausländisch klingt.«

Der lebhaft redselige Herr wendete sich endlich zwei im Atelier stehenden Bildern zu, betrachtete jedes lange nach allen Kennermethoden, machte wohlwollend freundliche Bemerkungen dazu, fragte dann nach dem Preis, unterbot ten Holtens Forderung erheblich, ließ sich dann bei einem Bild zu einer Erhöhung seines Gebotes herbei, sträubte sich gegen ten Holtens äußerste Forderung und schloß endlich einen Handel ab. Als ten Holten darüber ein vergnügtes Gesicht zeigte, sagte er gönnerhaft: »Ich mach' Sie in Berlin, sollen sehen. Schulte ist nicht das Richtige für Sie. Halten Sie sich an mich. Und wenn wir mal ein bißchen das Terrain gebahnt haben, dann kommen Sie zu uns. Sie können was, das gehört dazu. Aber ›ten Holten‹ ist gut. Wir werden Berlin schon erobern, Herr ten Holten.«

158 Da hatte die Berliner Ausstellung also doch noch ein günstiges Ergebnis gehabt und zwar vielleicht, bei Meisenfängers Ansehen, sogar ein sehr folgenschweres. Das übte auf ten Holten nach den Tagen schwerster Verstimmung eine so starke Wirkung aus, daß er ganz gegen seine Gewohnheit, die ihn sonst nie über seine persönlichen Angelegenheiten sprechen ließ, beim Mittagessen den Tischgenossen von dem Handel und seinen möglichen Folgen freudig erzählte.

Bilewirskis Glückwunsch war kühl höflich und von einem leisen, beinahe spöttisch aussehendem Lächeln begleitet. Fräulein Orster zeigte sich aber teilnehmender und knüpfte ein Gespräch über die Freuden und Leiden des Künstlerberufes daran, in das sich Bilewirski auch hineinziehen ließ, und zwar vertrat er mit Bitterkeit die Meinung, das unentbehrliche kaufmännische Anhängsel sei ein widerlicher Umstand, der die edlere Erfolgsfreudigkeit vergifte. Er sprach den Gedanken aus, Künstler sollten eigentlich nur aus öffentlichen Mitteln mit Ehrengaben belohnt werden. Private könnten dann in gewissen öffentlichen Anstalten Kunstwerke kaufen. Der Künstler selber aber brauche nie zum Geschäftsmann zu werden. Fräulein Orster mußte den Gedanken als ganz unverträglich mit ihrem Kunstgewerbe ablehnen. ten Holten aber sagte: »Geldverdienen ist keine Schande, wenn es mit ehrlicher Arbeit geschieht, und ich sehe auch keine Erniedrigung der Kunst darin, wenn sie als Arbeit aufgefaßt wird, die ihren Lohn begehrt. 's ist freilich edlere Arbeit. Mein Brot, auf mich selbst gestellt, zu verdienen, noch dazu auf so edle Art, will mir auch besser gefallen, als mich aus öffentlichen Mitteln ernähren zu lassen.«

159 Bilewirski zuckte die Achseln und sagte: »Sie haben ja praktisch recht. Ich leide zuweilen an Schrullen des polnischen Edelmannes.«

»Ich bin auch aus gutem Hause,« sagte jetzt Fräulein Orster. »Aber es ist ein erfreulicher Fortschritt der Zeit, daß man auch den Kindern aus besseren Ständen gestattet, durch Arbeit Geld zu verdienen.«

Bilewirski sagte lächelnd: »Der deutsche Idealismus ist eine alte Mode geworden. Man anglisiert und amerikanisiert sich im Deutschen Reiche. Ich muß mir übrigens ja auch meinen Lebensunterhalt verdienen. Wir sind in diesem Sinne ja alle drei Arbeiter.«

»Und darauf wollen wir eins trinken!« rief ten Holten jetzt übermütig. »Ich darf infolge dieses freudigen Ereignisses die Herrschaften doch zu einem Glas Sekt einladen?«

Bilewirski lehnte lebhaft ab unter Hinweis auf seinen Gesundheitszustand. Er trank ja auch bei Tisch immer nur Sprudelwasser.

Fräulein Orster aber meinte heiter: »Ich möchte ganz gern, aber ich kann doch nicht mit Herrn ten Holten allein Sekt trinken. Herr von Bilewirski, ein Gläschen Sekt schadet Ihnen nichts, lassen Sie es wenigstens der Form halber vor sich hinstellen.«

Durch eine sehr tiefe Verneigung gab Bilewirski sein Einverständnis zu erkennen. ten Holten bestellte richtigen französischen Sekt, den die Kellnerin mit einem Lächeln, als helfe sie einen übermütigen Streich ausführen, heranschleppte. Bilewirski nippte zunächst nur an dem Glase, Fräulein Orster schien die Gelegenheit zu benutzen, um mit ihrer schönen Hand zu kokettieren, ten Holten leerte sein Glas in einem Zuge und neigte es gegen Fräulein 160 Orster, die mit einer lächelnden Kopfneigung dankte. Bilewirski folgte jetzt seinem Beispiel. Als ihm aber ten Holten wieder einschenken wollte, legte er neuerdings ganz entschieden Verwahrung ein. Nunmehr drohte Fräulein Orster: »Dann kokettiere ich mit Herrn ten Holten, wenn ich doch schon allein mit ihm trinken muß.«

»Das tun Sie ja ohnedies schon,« sagte Bilewirski in einem Ton, der es zweifelhaft erscheinen ließ, ob man es nur mit einem Scherz zu tun habe.

Die Orster sah ihn scharf an und entgegnete: »Rechnen Sie mich etwa zu solchen Damen, die wegen eines Glases Sekt mit einem Herrn kokettieren?«

»Sie sollten überhaupt nicht wissen, daß es solche Damen gibt,« versetzte Bilewirski hämisch.

»Na, Fräulein Orster ist doch kein Backfisch mehr,« mischte sich ten Holten ein.

»Allerdings nicht,« sagte die Orster, »und darum weiß ich auch, was ich zu tun habe.«

Bilewirski machte einen langen Zug aus seinem Glase.

»Nur nicht reizbar, liebes Fräulein,« sagte er dann in demselben neckenden Ton. »Ich habe ja gar nicht die Absicht, Ihnen das Vergnügen zu verderben. Noch weniger möchte ich Herrn ten Holtens Freundlichkeit mit einer Unart beantworten. Das wäre es doch, wenn ich mich jetzt mit Ihnen zanken würde. Auf Ihre Zukunft, verehrter Herr ten Holten!« Er hob das Glas, trank aus und ließ es geschehen, daß ihm ten Holten wieder einschenkte.

Die Orster machte sich jetzt wirklich daran, mit ten Holten zu kokettieren. Ihre Wangen waren etwas erhitzt, ihre sonst so kühlen, graublauen Augen zeigten einen Glanz 161 wie Sonnenblinken auf dem Wasser, und sie zeigte ständig die Zähne zwischen den lächelnden roten Lippen. Bilewirski hatte sich auf seinem Stuhl seitlich gedreht und beobachtete sie in dieser Stellung zwischen den Wölkchen, die er aus seiner Zigarette stieß. ten Holten scherzte und streute dabei Wendungen in niederrheinischem Platt ein, die Orster ermunterte ihn durch ihre Heiterkeit, die aber doch nie die guten Formen außer acht ließ. Als die Flasche ausgetrunken war, wollte Bilewirski eine neue zur Revanche bestellen und behauptete, als die beiden ihn daran zu hindern sich bemühten, unfreundlich: »Ich stehe zu Herrn ten Holten nicht in so vertraulichen Beziehungen, um mich von ihm traktieren zu lassen!« Er beruhigte sich erst, als dieser darauf hinwies, daß sich ja der Scherz nächstens auf seine Kosten wiederholen lasse.

Unmittelbar vor dem Speisehause trennten sich die drei voneinander. Bilewirski sah genau zu, als Fräulein Orster ten Holten die Hand mit heiterer Herzlichkeit schüttelte und lachend sagte: »Wenn ich heute nachmittag nichts Ordentliches schaffen kann, sind Sie schuld daran, Sie leichtsinniger Rheinländer!«

Bilewirski zog dann sehr förmlich vor ten Holten den Hut und sagte noch einmal: »Also auf Revanche, Herr ten Holten.«

ten Holten hatte des Abends gegen acht Uhr die Pilsener Bierstube betreten und sich am Stammtisch niedergelassen, als man ein Auto anfahren hörte und gleich darauf die Kellnerin meldete, man begehre ihn zu sprechen.

Sehr erstaunt begab er sich wieder in den Vorflur und stand vor einem etwa vierzehnjährigen Mädchen, 162 das ihm mit aufgeregt hastender Stimme meldete, es sei von Fräulein Orster geschickt, die dringend bitte, sogleich zu ihr zu kommen. Auf seine Frage nach der Ursache dieses ihm höchst wunderlichen Begehrens berichtete das Mädchen: »Einen Herrn, der bei dem Fräulein zu Besuch war, hat der Schlag getroffen. Man hat ihn schon fortgebracht, aber Sie sollen dem Fräulein helfen, weil Sie auch den Herrn gut gekannt haben, und weil man nicht weiß, an wen man sich sonst wenden soll, und weil das Fräulein halt so aufgeregt ist.«

ten Holten war von dieser Nachricht schwer betroffen. Trug er Schuld an Bilewirskis jähem Tod, war's das bißchen Sekt gewesen, das dem Herzkranken das Leben gekostet hatte? Wie kam die Orster aber dazu, zu ihm zu schicken? Was konnte denn er tun, und wie kam er in die ganze Sache? Er war ja doch den beiden ganz fremd, eine Tischbekanntschaft, weiter nichts. Gelegentlich einmal hatte er davon gesprochen, daß er häufig in der Pilsener Bierstube verkehre. Das hatte sich die Orster gemerkt, das war ihr bei diesem Anlaß bewußt geworden. Zufällig war er heute auch nicht gerade bei irgendeinem der vielen Karnevalsvergnügen, die jeden Tag da und dort stattfanden. Einmal hatte ihm auch die Orster gesagt, wo sie wohne. Er fragte jetzt, als er im Auto saß, das Mädchen. Dieses nannte die Schönfeldstraße. Damals, er erinnerte sich deutlich daran, war ihm eine ganz andere Straße genannt worden. Da lag die Sache mit Bilewirski doch wohl auch ganz anders, als sie ihm damals bei der Baronin Wehrenburg vorgelogen hatte.

Er traf, im Hause an der Schönfeldstraße angekommen, vor der offenstehenden Wohnungstür im dritten Stockwerk 163 eine kleine Gruppe weiblicher Wesen, von der sich eine ältere, wohlgekleidete Person mit der ganz gedämpften, fast geflüsterten Bemerkung loslöste: »Das Fräulein Orster erwartet Sie – zweite Tür links, wenn ich bitten darf,« und sich dann wieder zu den anderen gesellte. Das Mädchen, das ihn hergebracht hatte, eilte die Treppe zum vierten Stock hinauf.

Die Orster, die auf sein Klopfen leise geantwortet hatte, stürzte bei seinem Eintritt auf ihn zu und rief, seine beiden Arme fassend: »Da sind Sie ja! Gott sei Dank! Ich bin ganz verlassen, man läßt mich völlig im Stich.«

ten Holten warf unwillkürlich einen Blick über das von einer Petroleumlampe mäßig beleuchtete Zimmer, in dem alles wohlgeordnet erschien, und stellte dann die Frage: »Wie ist denn das gekommen? Das bißchen Sekt von heute mittag kann doch nicht die Ursache sein?«

»Setzen Sie sich,« sagte die Orster, auf das grüne Samtsofa weisend, in dumpfem Ton und glitt selber mit müder Bewegung in einen Fauteuil. Dann begann sie: »Ich muß mich Ihrer Ritterlichkeit anvertrauen. Die Umstände machen es mir nicht möglich, mich nach anderem Beistand umzusehen, und zugleich ist es eine Fügung, daß Ihnen, ohne eine Absicht, eine wesentliche Rolle bei dem traurigen Erlebnis zufällt.«

»Mir?« rief ten Holten mit einem Erstaunen, durch das etwas von Unwillen klang. »Da muß ich doch um näheren Aufschluß darüber bitten, ob denn wirklich das Unglück auf den Sektgenuß zurückzuführen ist.«

Das Fräulein machte eine leise beschwichtigende Gebärde und fuhr fort: »Bitte, hören Sie mich ruhig an. 164 Wohl ist der heutige Mittag die Ursache, aber in einem anderen Sinne, als dem einer unmittelbaren Wirkung des Sektes.«

Sie stockte und sagte dann, mit einem entschlossenen Blick ten Holten ansehend: »Herr von Bilewirski war eifersüchtig auf Sie.«

»Dazu habe ich keinen Anlaß gegeben,« sagte ten Holten schroff, und heiße Röte stieg in seinem Gesicht auf. »Ich habe keine Annäherung gesucht, sondern bin herangezogen worden.«

»Durch mich, das ist wahr,« versetzte die Orster. »Ich wollte dadurch einen falschen Schein vermeiden und habe so das Verhängnis heraufbeschworen. Als ich Sie im Wehrenburgschen Hause traf, waren meine Beziehungen zu Bilewirski in der Tat, wie ich es Ihnen gesagt habe, rein kameradschaftlicher Art, wenn ich auch recht wohl bemerkte, daß ihm andere Absichten nicht völlig fern lagen. Mit derartigem muß ja jedes alleinstehende Mädchen rechnen, wenn es mit einem Herrn irgendwie in näheren Verkehr tritt. Seit Sie unser Tischgenosse geworden waren, traten diese Absichten bei ihm aber deutlicher hervor. Er wollte mich von diesem Speisehause wegziehen, und ich hielt erst recht daran fest; denn ich glaubte in Ihnen unter Umständen etwas wie einen Rückhalt, eine Schutzwehr finden zu können. Er war schon früher zuweilen in meine Wohnung gekommen, aber ich hatte diese Besuche immer sehr vorsichtig behandelt. Jetzt drängte er sich mir auf, machte Erklärungen, es kam zu Szenen, in denen er mich durch die Art seiner Aufregung ängstigte. Endlich fand er mich einmal schwach. Aber ich sträubte mich entschieden dagegen, daraus nun, 165 wie er es wollte, ein Liebesverhältnis zu machen. Es kam zu Kämpfen und Szenen, er glaubte, meine Weigerung mit Ihnen in Zusammenhang bringen zu müssen, ich trotzte bald, bald hatte ich Mitleid mit ihm. Er fügte sich meinem Willen und wollte dann wieder seine Wünsche erzwingen. Heute nun hatte es ihn aufs höchste gereizt, daß ich Ihre Einladung nicht abgelehnt, sondern sehr vergnügt angenommen hatte. Er kam gegen abend zu mir, und wir hatten uns über eine Stunde herumgezankt, bis ich endlich, angesichts seiner Leidenschaftlichkeit, etwas davon sprach, daß er Rücksicht auf seine Gesundheit nehmen solle. Ich glaube, er hat das als Verhöhnung genommen. Er sah mich starr an, stieß einen heiseren Laut aus, richtete sich von seinem Sitz in die Höhe und fiel dann zu Boden.«

Zu Anfang ihrer Erzählung hatte Fräulein Orster erregter gesprochen, allmählich aber war sie ganz in ihre gewohnte Art der gelassen gedehnten Sprechweise gekommen.

»Ein armer Mensch!« sprach ten Holten vor sich hin.

»Ich habe ihm mehr gegeben, als ich durfte,« sagte die Orster leise. Dann stand sie mit lebhafter Bewegung auf und rief, die Hände an die Stirn drückend: »Und jetzt bin ich namenlos kompromittiert, wenn die Sache bekannt wird. Unmöglich, einfach unmöglich bin ich in meinen Kreisen. Mein Vater ist Oberlandesgerichtsrat, ein Bruder von mir ist Oberleutnant. Wenn die davon erfahren!«

»Wer sorgt denn für den Toten? Wissen Sie Bekannte von ihm, die zu benachrichtigen sind?« fragte ten Holten.

»Er hat mit gewissen Landsleuten verkehrt, weiter weiß ich nichts. Die Polizei wird alles besorgen, sie 166 war ja schon da. Aber mich sieht meine Wirtin wie eine Verbrecherin an. Ich kann hier nicht mehr bleiben. Ach, lieber Herr ten Holten, nehmen Sie sich doch meiner an. Ich packe meine nötigsten Sachen, und Sie bringen mich in ein Hotel, nicht wahr? Und daß ja nicht mein Name in den Zeitungen genannt wird, das besorgen Sie auch. Jetzt ist's wohl schon zu spät dazu, aber morgen früh. Nicht wahr, Sie helfen mir!«

Der Gegensatz zwischen der vorherigen Ruhe bei der Erzählung des Vorfalles und der jetzigen aufgeregten Besorgnis um die eigene Person mißfiel ten Holten in hohem Maße. Er sagte aber mit großer Höflichkeit: »Ich werde Sie zunächst nach einem Hotel bringen. Morgen werden wir das weitere sehen.«

»Ich werde es Ihnen nie vergessen,« sagte die Orster, »wenn Sie mir in meiner schweren Lage beistehen. Sie halten mich für kein schlechtes Mädchen, nicht wahr? Alle Künstlerinnen haben doch solche freundschaftlichen Beziehungen. Sein Zustand ist mir immer etwas unheimlich gewesen, aber man konnte doch so was nicht voraussehen, und ich hatte ja auch kein Liebesverhältnis mit ihm. Aus Mitleid, nur aus Mitleid, weil er so allein dastand, habe ich mich erweichen lassen. Warum können die Männer nicht anders mit uns verkehren? Ich war ihm so dankbar für alles, was er mir an Anregung, an Ratschlägen gegeben hat. Er war ja ein hervorragender Mensch. Aber ich will mit keinem Manne mehr etwas zu tun haben. Nie, nie wieder!«

So schwatzte sie, immer zwecklos dahin und dorthin im Zimmer laufend, bis ten Holten sagte: »Machen Sie sich jetzt zurecht, Fräulein. Mit dem Reden ist in der traurigen Sache doch nichts mehr getan.«

167 Während Fräulein Orster in ihrem Schlafzimmer eine Handtasche packte, kam die Vermieterin zu ten Holten herein, jammerte ihm etwas von dem schrecklichen Unglücksfalle vor und gab ihrem Bedauern für das liebe Fräulein Ausdruck, das in eine so fatale Lage gebracht worden sei. Dabei fühlte er sich von ihr mit forschenden Blicken betastet. Es gab noch eine kurze Wechselrede der Dame mit Fräulein Orster, und dann verließ er mit dieser das Haus, rief die nächste des Weges kommende Droschke an und nannte einen am Bahnhof gelegenen Gasthof. Im dunklen Wagen fand Fräulein Orster seine Hand, legte die ihre mit festem Druck darauf und sprach erneute Dankesworte. Es klang, als ob sie dabei weinte. Als er sich am Gasthof von ihr verabschiedet und versprochen hatte, am nächsten Tag zu früher Zeit nachzufragen, hatte er keine Lust mehr, in die Pilsener Bierstube zurückzukehren, wo er nur neugierige Fragen zu erwarten hatte. Er trat in eine am Weg gelegene Wirtschaft und dachte darüber nach, welche Wege ihm gegeben seien, mit dieser Angelegenheit, die ihn unversehens überfallen hatte, fertig zu werden, ohne in weitere Verwicklungen zu geraten. Gleich morgen früh mußte der Ritterdienst seinen Abschluß finden und dieses Fräulein Orster ein für allemal abgetan sein. Einen Augenblick dachte er daran, Riederauer zu Rat zu ziehen. Der hatte höchstens zynische Redensarten. Wozu auch? Es handelte sich ja um nichts weiter, als um eine Wirtshausbekanntschaft, die keinerlei Verpflichtungen auferlegte. Die Orster verkehrte freilich auch bei Wehrenburgs, und man traf sich doch wieder. Das schloß aber doch auch keine Folgen in sich. Eine verlogene Duckmäuserin war sie, diese die Vornehme spielende 168 Hannoveranerin. Der Sekt hatte bei der Sache gar nichts zu tun. An seiner Leidenschaft war der arme Teufel zugrunde gegangen. Eifersüchtig war er gewesen, das hatte man bemerken können. Und die Orster hatte ihn, ten Holten, dabei ausgenutzt, mißbraucht. Wie, das war nicht zu ergründen. Mochte also wirklich so etwas sein wie eine blonde Bestie. Morgen war der erste Schreck überwunden, da konnte sie dann weiter für sich selber sorgen, und er hatte sein Münchner Abenteuer gehabt. Es gelüstete ihn gar nicht nach weiteren. Das Arbeitsfieber war in ihm lebendig geworden durch den Berliner Verkauf. Er hatte keine Zeit, sich mit anderen Dingen abzugeben. Einen kranken Mann hatte die Liebe umgebracht. So was kann vorkommen. Und solche verlogenen Näscherinnen wird es unter den Münchner Kunstweibchen wahrscheinlich noch mehr geben. Deshalb braucht man auch nicht innezuhalten auf dem Weg, den man gehen will.

Als er am anderen Morgen Fräulein Orster aufsuchte, fand er sie, ganz frisch aussehend, im Frühstückszimmer ihres Gasthofes. Sie erzählte von einer ruhelos verbrachten Nacht und sprach von ihrem Entschluß, die ihr unerträglich gewordene Wohnung aufzugeben und heute noch in ganz anderer Gegend der Stadt eine neue zu suchen.

»Wenn ich im selben Viertel bleibe,« sagte sie, »verschleppt sich der Klatsch nur weiter. Wenn ich aber sofort aus der Gegend verschwinde, verliert sich die Spur, daß die Sache sich gerade bei mir ereignet hat; denn man rechnet ja doch nicht den Tag genau nach, wann es geschehen ist und wann ich verzogen bin.«

ten Holten gewann die Meinung, sie habe sich während der nächtlichen Ruhelosigkeit die Situation sehr klug 169 überlegt und nicht an bösen Träumen gelitten. Dann nahm sie eine sehr traurige Miene an und sprach den Wunsch aus, doch wenigstens einen Kranz zur Beerdigung schicken zu können. Daran anknüpfend klagte sie, daß sie überhaupt gar keine Schritte tun könne, um zu erfahren, was denn eigentlich mit der Leiche geschehe, wer vom Tode unterrichtet würde und ob dem Verstorbenen irgend jemand das letzte Geleit gebe. Es sei doch ein entsetzlicher Gedanke, daß er wie irgendein Verkommener nur nach polizeilicher Anordnung bestattet werden sollte.

ten Holten meinte allerdings, die Polizei würde Nachricht in seiner Wohnung und auch sonst Ermittlungen anstellen, um nähere Bekannte des Verstorbenen aufzufinden. Als er hinzufügte, sie selbst würde jedenfalls auch noch eine weitere Vorladung bekommen, wenn sie auch schon Angaben gemacht habe, fing sie heftig zu weinen an. Schließlich ließ er sich zu dem Angebot herbei, Erkundigungen darnach einzuziehen, ob für eine würdige Ordnung aller in Frage kommenden Erfordernisse Sorge getragen sei. Es handelte sich ja doch um einen Kunstgenossen.

Zunächst wurde ihm auf der Polizei der Bescheid gegeben, die russische Gesandtschaft sei von dem Vorfall in Kenntnis gesetzt, da der Verstorbene russischer Untertan war, und werde wohl das weitere veranlassen. Auf der russischen Gesandtschaft zeigte man sich über die Persönlichkeit des Verstorbenen sehr gut unterrichtet. Bilewirski war darnach nicht unvermögend, seine Beerdigung konnte also in würdiger Weise besorgt werden; überdies war sein bei Radom ansässiger Bruder telegraphisch benachrichtigt. Der Verstorbene hatte nur mit einigen wenigen jungen Landsleuten, 170 Medizinern und Studenten der technischen Hochschule gelegentlichen Verkehr im Kaffee Kaiserhof an der Schützenstraße gepflogen.

Das berichtete Peter Mittags Fräulein Orster in dem gewohnten Speisehaus, auch daß er einen Kranz in ihrem Auftrag besorgt habe. Das Fräulein war schon den ganzen Vormittag auf der Wohnungssuche gewesen, ohne etwas Passendes zu finden, und wollte sich jetzt einmal in der Gegend des Speisehauses umsehen.

ten Holten hatte erhöhtes Interesse an dem Verstorbenen gewonnen und opferte noch den Nachmittag zu Nachforschungen bei künstlerischen Organisationen und bei einigen für graphische Kunst maßgebenden Kunsthändlern. Man kannte dort wohl den Namen, aber irgendwelche näheren Auskünfte waren nicht zu gewinnen. In den Zeitungen stand die Nachricht zu lesen: ›In der Schönfeldstraße erlag gelegentlich eines Besuches bei einer befreundeten Dame der polnische Graphiker Kasimir von Bilewirski einem Schlaganfall. Der Verstorbene war 36 Jahre alt und vor einem Jahre von Paris hierher gezogen.«

Das war alles, was man in München von einem Künstler zu wissen schien, in dessen Schaffen ten Holten eine den Durchschnitt erheblich überragende Fähigkeit erkannt hatte. Am Abend traf er die jungen Polen im Kaiserhof, die ihm berichteten, Bilewirski habe sehr wenig über sich selbst gesprochen, sondern sich hauptsächlich mit großer Leidenschaft über moderne Zeit- und Kulturfragen geäußert. Es sei aber gewissen Äußerungen zu entnehmen gewesen, daß lebhafte künstlerische Beziehungen ihn mit Warschau und Krakau verbunden hätten. Sie verstünden nichts von Kunst und wüßten daher auch nichts Näheres darüber.

171 Ein kranker, einsamer Mensch war also dieser Bilewirski gewesen, dessen krank phantastische und faunisch lüsterne Blätter ten Holten deutlich in die Erinnerung kamen als Zeugnisse einer in wirren Bahnen schweifenden Seele, und dieser äußerlich und innerlich zerbrochene Mensch hatte sich mit seiner letzten Lebensgier an die Orster geklammert, an diese kalte Blondine mit dem starken Duft gesunden Fleisches. Warum hatte sie sich eingelassen mit ihm, den sie doch nicht lieben konnte? Da war etwas darin, was keinen guten Geruch hatte. Er ging widerwillig anderswohin zum Mittagessen, denn bei einem Zusammentreffen hätte er es vielleicht doch nicht vermeiden können, ihr etwas Unangenehmes zu sagen. Da erlebte er wieder die alten üblen Erfahrungen mit überfülltem Saale, schwerem Speisedunst, den auf der Karte als nicht mehr vorhanden gestrichenen Gerichten, die ihm gerade geschmeckt hätten. Am nächsten Tag bediente ihn am anderen Ort eine unfreundliche Kellnerin und saß ein Student an seinem Tisch mit schwarzer Seidenmütze auf dem verbundenen Kopf, der nach Jodoform stank. Auch am dritten Tage fand er sich von seinem Mittagsmahle nicht befriedigt. Am Nachmittag wohnte er der Beerdigung Bilewirskis bei, zu der auch er einen Kranz neben dem der Orster gestellt hatte. Die jungen Polen hatten einen dritten mitgebracht. Sechs Männer standen am Grabe: ten Holten, vier Polen und zwei Leute aus dem Hause, in dem er gewohnt hatte, der Hausmeister und ein Verwandter der Zimmervermieterin.

Am nächsten Tag betrat ten Holten wieder sein gewohntes Speisehaus an der Sonnenstraße. Er wollte der Orster schon beibringen, was er von ihr hielt, und ihr die Tischgenossenschaft verleiden. Sie saß 172 bereits da, als er kam, und sah ihn mit scheu fragenden Blicken an.

Er setzte sich zu ihr mit den Worten: »Gestern haben wir den Herrn von Bilewirski begraben. Prunkvoll war's gerade nicht.«

»Das läßt sich denken!« sagte sie darauf in ihrer gewohnten Redeweise. »Er war ja so einsam.«

»Geliebt haben Sie ihn wohl eigentlich nicht?« sagte darauf ten Holten mit einem Klang beabsichtigter Rücksichtslosigkeit und sah sie herausfordernd an.

Fräulein Orster wurde feuerrot und erwiderte: »Nachdem ich mich Ihnen so vertrauensvoll enthüllt habe, dürfen Sie mich doch nicht in diesem Ton befragen. Sie sind mir übel gesinnt, Herr ten Holten. Drei Tage haben Sie mich allein gelassen, wo ich des Beistandes so sehr bedurft hätte! O, ich dränge mich Ihnen nicht auf. Ich kann auch anderswohin essen gehen.«

»Nichts für ungut,« versetzte ten Holten wiederum beinahe barsch. »Der Mann, der mir im Leben nicht besonders sympathisch war, tut mir jetzt leid, und ich weiß nicht recht, wie ich Ihre Stellung zu ihm zu beurteilen habe.«

Jetzt reckte sich Fräulein Orster etwas und sagte: »Ich bin eine Dame, Herr ten Holten, und Sie sind ein noch sehr junger Mann. Die schreckliche Situation hat mich, wie mir jetzt scheinen will, zu übereiltem Vertrauen gedrängt.«

Jetzt wußte sich ten Holten nicht mehr zu helfen. Er fürchtete als Tölpel dazustehen, denn eine bessere Dame war die Orster ohne Zweifel, und er hatte eine heikle Angelegenheit doch wohl zu bäuerisch angefaßt. Er 173 erwiderte in nicht ganz sicherem Ton: »Ich meine eben nur, Sie haben ihn doch nicht zuletzt noch schlecht behandelt, nicht ein böses Spiel mit ihm getrieben?«

Sie sah ihn fest an, als sie sagte: »Es wird immer ein böses Spiel, so oder so, wenn ein Mann die Hand begehrlich nach uns ausstreckt.«

»Also –« begann ten Holten wieder,

»Also,« fiel die Orster ein, »setzt euch nicht so schnell bereit zu Gericht, ihr Herren, wenn es um derlei Dinge geht.«

»Ich meine nur, Fräulein – –«

»Lieber Herr ten Holten,« unterbrach die Orster wiederum, »ich hatte erklärlicherweise einigermaßen den Kopf verloren und habe Sie um Hilfe angerufen, obwohl wir uns ziemlich fremd sind. Jetzt haben Sie mich darauf aufmerksam gemacht, daß es Zeit ist, mit dem Geschehenen fertig zu werden. Ich danke Ihnen für Ihre liebenswürdigen Dienste, und im weiteren zweifle ich nicht an Ihrer ritterlichen Ehrenhaftigkeit; aber wir wollen diese Episode unseres Lebens zum Abschluß bringen. Das scheint ja auch Ihr Wunsch zu sein.«

So wäre nun die Entwickelung der Dinge gegeben gewesen, die sachlich ten Holtens Wünschen entsprochen hätte. Er war die Tischgenossin los. Aber die Art, wie das vor sich ging, war ihm doch auf einmal höchst peinlich. Da hatte ja diese gewandte Person mit einer ihn überrumpelnden Wendung das Heft in die Hand bekommen und ihn wegen ungeschickten Benehmens verabschiedet wie einen dummen Jungen. Und jetzt löffelte sie den Rest ihrer süßen Speise zusammen und stand auf. Er erhob sich auch, ihr in die Jacke zu helfen. Sie nahm es an und hauchte leise: »Danke«.

174 Da sperrte er ihr mit einer Bewegung den Weg und sagte: »Wir müssen uns doch noch aussprechen.«

Sie streifte ihn mit einem verschleierten Blick und erwiderte leicht hingeworfen, während sie die Jacke zuknöpfte: »Ganz überflüssig, Herr ten Holten.«

Jetzt bat er um eine weitere Rücksprache, um Mißverständnisse zu beseitigen.

»Wir werden uns ja doch öfter bei Baron Wehrenburg treffen«, schob er vor.

»Vielleicht komme ich morgen noch einmal,« antwortete sie darauf wieder absichtsvoll nachlässig. »Ich wohne ja jetzt in der Nähe, am Sendlingertorplatz.«

Sie nickte kurz und verschwand mit raschen Schritten.

 


 


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