Karl von Perfall
Der kluge Pitter
Karl von Perfall

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Elftes Kapitel

Der Karneval neigte sich seinem Ende zu. In der Pilsener Bierstube sprach ein jüngerer Herr, ehemaliger Korpsstudent, von dem am nächsten Tage bevorstehenden Ballfeste seiner Korporation im Bayerischen Hof. Man unterhielt sich über diese Art von Bällen, und einer der anwesenden Herren bezeichnete sie als »Kälbermärkte«, weil sie ihrem innersten Wesen nach mehr den Zweck hätten, die jungen Mädchen den heiratsfähigen Philistern jüngerer Semester vorzuführen, als den aktiven Burschen Tanzgelegenheit zu schaffen. Da ten Holten äußerte, er habe diese Seite des Karnevals noch nicht kennen gelernt, bot sich jener Herr an, ihm noch am nächsten Vormittag eine Eintrittskarte zu verschaffen. Seine Neugier war dadurch wach geworden, daß man sagte, bei solchen 175 Gelegenheiten lerne man die Art des gebildeten Münchenertums und insbesondere die junger Mädchen dieser Kreise kennen, während die Künstlerfeste und erst recht das Redoutengetriebe davon gar kein Bild gäben, weshalb die Fremden auch kein richtiges Urteil über die Münchener bürgerliche Gesellschaft gewännen.

»Darum,« sagte jemand, »liest man auch in den Münchener Romanen, die von Norddeutschen verfaßt sind, immer nur von Malern und Kellnerinnen.«

ten Holten war sehr befriedigt von dem Ballfeste. Reizende, muntere junge Mädchen hatte er kennen gelernt, die vorzüglich tanzten und schalkhaft schwatzten, wobei der verfeinerte Dialekt mit den vollen Vokaltönen einen eigenartig schönen Klang abgab. Es fügte sich zufällig, daß ihm gerade zwei Künstlerkinder, die Töchter des angesehenen Porträtmalers Kindler, den meisten Eindruck machten. Namentlich das Bild der Jüngeren, ziemlich Schlanken, mit dem Teint einer Italienerin und kindlich fragenden braunen Augen, aus denen es zugleich manchmal aufleuchtete wie aus geheimer Feuerstätte, kehrte in seiner Erinnerung immer wieder. Dieses liebenswürdige Geschöpf, das sich so federleicht beim Tanz in den Arm legte, und dann wie eine Elfe über das Parkett schwebte, hatte ihm gesagt, daß es in den engeren berühmten Künstlerkreisen gar nicht verkehre.

»Papa will es nicht,« war ihre Wendung gewesen.

In der Pilsener Bierstube war dann die Rede davon gewesen, daß die Mädel des Professors Kindler einmal ein hübsches Stück Geld mitbekämen, denn er verdiene nicht nur sehr viel, sondern stamme zudem aus einer wohlhabenden Nürnberger Fabrikantenfamilie; auch die 176 Mutter dürfte als die Tochter eines berühmten verstorbenen Architekten nicht ohne Vermögen sein. Man sprach dann allerdings auch davon, daß der Anschluß an solche Familie nicht leicht sei. »Wenn Sie einen Besuch machen, werden Sie gleich als Mann mit Absichten aufgefaßt,« wurde ihm gesagt. Er war aber doch der Meinung geworden, in diesen Kreisen habe er künftighin sein Feld zu suchen. Das Herumwittern um prunkhaft sich zur Schau stellende Frauen gefiel ihm jetzt noch weniger als bisher. Mit Riederauer sprach er nicht weiter über die Sache. Der hatte auch nur gelächelt, als er von seinem Besuche des Studentenballes hörte, und spöttisch bemerkt: »Man kriegt ja so schon genug Kalbsbraten in München.«

Auch davon, wie sich die Dinge mit Fräulein Orster gestaltet hatten, schwieg er dem immer zu Anzüglichkeiten geneigten Freunde gegenüber. Die Sache war zu einer eigentümlichen Wendung gekommen. Die Orster war, wie sie es in Aussicht gestellt hatte, am nächsten Tage nach der scharfen Auseinandersetzung wieder zum Mittagessen erschienen, hatte dabei eine gekränkte Miene angenommen und ten Holtens erstes Wort abgewartet. Als dieser dann mit einer gleichgültigen Redensart über den Inhalt der Speisekarte in ihr die Meinung erweckte, er wolle auf diese Weise den Streit beiseite schieben, ging sie zum Angriffe über und spielte bald die beleidigte Dame, bald das empfindsame Weib. ten Holten wehrte sich mit trockenem Trotz, und man ging anscheinend unversöhnt auseinander. Am folgenden Tage fand man sich aber wieder am selben Tische; man verhielt sich beiderseits völlig stumm, kaum Grüße austauschend. In den nächsten Tagen zeigte es sich, daß keiner gesonnen war, seine 177 Gewohnheiten zu ändern und vom Tische zu weichen. Langsam kam doch wieder ein Gespräch zustande, und ohne daß noch Früheres berührt worden wäre, glitt man auch wieder in die kameradschaftliche Unterhaltung hinein, die sowohl von künstlerischen Interessen, wie von der Wahrnehmung mancher Gemeinsamkeiten der norddeutschen Herkunft genährt wurde. Unausgesprochen fühlten sich beide Teile jetzt sogar viel näher gerückt, da jener Dritte, der niemals mehr genannt wurde, verschwunden war. Fräulein Orster behielt zwar ihre kühle äußere Haltung bei, aber man trat sich doch durch den Austausch persönlicher Angelegenheiten, Absichten, Hoffnungen, Wünsche näher. Dabei nahm die Orster mit der Zeit einen gewissen erzieherisch beratenden Ton gegen ten Holten an, lächelte nachsichtig über dessen Derbheiten und Ungelenkheiten und brachte deutlich zum Ausdruck, daß sie ihn für einen sehr gescheiten Menschen halte, aber auch zugleich für einen recht unerfahrenen jungen Burschen. Man sah sich nur beim Mittagessen, und zweimal traf man sich bei Baron Wehrenburg, wo man sich aber auf einige Worte der Unterhaltung unter anderen Leuten beschränkte und durch nichts die nähere Bekanntschaft erkennen ließ. Für ten Holten war die Sache eine ganz behagliche Gewohnheit geworden; die Orster erschien ihm als eine anregende Person, deren sauberes Äußere, das Blondhaar, die weiße Haut, die feinen gepflegten Hände, ungefähr so sympathisch wirkten, wie wohl ein hübscher Blumenstrauß auf dem Tische. Die Geschichte mit dem Bilewirski, so dachte er, war eben so eine heikle Angelegenheit, wie sie wohl im Leben einer alleinstehenden Künstlerin vorkommen kann. Die Tugend 178 der Orster ging ihn weiter nichts an. Sie machte ja nicht Miene, etwas von ihm zu wollen, und der Bilewirski war doch ein unangenehmer Mensch gewesen. Er stand jetzt vor der Vollendung eines für die im Mai beginnende Ausstellung der Sezession bestimmten größeren Werkes, über das er öfter mit ihr sprach. Sie kannte Bilder von ihm aus dem Kunstverein. Er meinte aber, seine neueste Arbeit sei etwas ganz anderes, ein bedeutsamer Fortschritt. Sie zeigte sich sehr begierig, das Bild in einigen Wochen auf der Ausstellung zu sehen. Da kam er eines Tages in großer Erregung zu Tisch. Er hatte den letzten Pinselstrich gemacht, nicht mehr angerührt sollte das Bild werden. Voll Schöpferlust war er, und er schwelgte in kühnen Erwartungen. Die Orster hörte ihm gespannt, die Augen aufmerksam auf ihn gerichtet, zu. Endlich rang sich erst zögernd und dann plötzlich hervorgestoßen die Aufforderung von seinen Lippen: »Kommen Sie doch mit mir in mein Atelier und sehen Sie sich's an. Ich möchte wissen, wie es auf Sie wirkt, denn Sie haben Kunstverstand.« Die Orster senkte die Augenlider und spielte mit den Fingern auf der Tischdecke.

»Das wollen wir uns noch überlegen,« sagte sie.

»Gottverdammich, was ist da lang zu überlegen!« rief er. »Mein Bild sollen Sie anschauen, weiter nichts!«

Sie warf einen kurzen Blick auf ihn, lächelte und meinte dann: »Wenn Ihnen gar so viel daran liegt – na ja.«

»'s ist 'ne Dreckbude, mein Atelier,« sagte er dann vergnügt, »aber darauf kommt es doch nicht an. Es hat mich nur immer das Geld gereut, etwas anzuschaffen außer dem Notwendigsten.«

179 Die Orster sprach jetzt darüber, wie sich ohne große Kosten so ein Atelier ganz hübsch einrichten ließe.

»Wenn ich es gesehen habe,« meinte sie, »kann ich Ihnen vielleicht Vorschläge machen.«

Nach dem Essen geleitete er sie nach der Goethestraße und tat dies mit so eiligem Drange, daß sie ihn zweimal bitten mußte, seine Schritte zu verlangsamen.

Nichts war an Ausstattung im Atelier vorhanden, als der übliche rohe Tisch, eine Waschvorrichtung, aus Eisenständer und Blechgeschirr bestehend, und ein Ruhepolster mit verschossenem buntblumigen Bezug, das er einmal bei einem Althändler in der Nachbarschaft billig erstanden hatte. Die Orster hatte das mit einem flüchtigem Blick wahrgenommen. Dann stand sie lange vor dem Bilde, betrachtete abwechselnd das Bild und den Urheber, der gespannt, die Hände in den Jackentaschen, zur Seite stand, und sagte endlich langsam, im Tone entschiedener Überzeugung: »Das ist ein bedeutendes Werk, ein Meisterstück.«

Um ten Holtens Mund zuckte eine bewegliche Grimasse.

»'s kann sich sehen lassen, nicht wahr?« meinte er, trat dann vor und machte sich ans Erklären.

Die Orster fügte ihre eigenen Erklärungen daran, die immer aufs neue Anerkennendes brachten, und sagte endlich: »Vor einem solchen Meister komme ich mir ganz klein vor mit meiner Weisheit. Ich will ja nur meine Empfindungen ausdrücken, nachdem Sie mir einmal die Gelegenheit eines solchen Genusses geboten haben.«

ten Holten ließ sich vergnüglich loben und klopfte dann die Orster, die in Hut und Jacke dastand, zutraulich auf den Rücken.

180 »Machen Sie sich nicht so zimperlich,« sagte er dazu. »Sie verstehen was, Sie können ein Wort mitreden.«

Sie sah ihn mit einem erfreuten Lächeln an, und er sah in einem starren Funkeln ihrer Augen noch etwas anderes, was ihn antrieb, ihr das Kinn spielend zu streicheln und ihr dabei mit den Augen zuzunicken.

Sie schob seine Hand zurück und sagte, ein wenig errötend: »Immer hübsch sachlich bleiben, Herr ten Holten.«

Spielend klang es. Sie drehte sich gleich darauf um, besah den Raum und sagte dann: »Das ist Ihrer doch nicht würdig. Mit einem hübschen Teppich und englischen Rohrmöbeln läßt sich da was Anständiges machen. Ein paar Vasen oder Schalen gehören noch dazu, vielleicht auch noch ein Vorhang oder eine Wanddecke.«

»Und dies und das und mein Portemonnaie!« scherzte ten Holten. Er trat von rückwärts an sie heran und drehte sie mutwillig herum. Dabei kam ihr Hut in Unordnung. Sie lachte ihn an und wollte den Hut zurechtrücken. Er griff danach und zog ihn ihr ganz vom Kopfe. Sein Gesicht erhitzte sich.

»Was machen Sie denn?« rief die Orster. »Ich will doch jetzt gehen.«

Er faßte einen Knopf ihrer Jacke.

Sie sah ihn mit großen Augen an, und die Jacke öffnend, sagte sie gedämpft: »Lange kann ich aber nicht bleiben. Was haben Sie denn noch Schönes zu sehen?«

Er half ihr aus der Jacke, dann umfaßte er sie und küßte sie unterm Ohr auf den Hals. Sie wehrte sich, er hielt sie aber fest und küßte sie jetzt auch auf den Mund.

»En Freud will ich han!« sagte er heiser. »En lecker Mächen biste, und de Welt stell ich up'n Kopp!«

181 »So'n toller Junge!« murmelte sie und machte sich mit einem kräftigen Ruck los.

Dann setzte sie sich, hochatmend, auf das Ruhebett und sagte: »Ich sehe, es ist gefährlich, Ihre Bilder zu loben. Das mache ich nicht wieder.«

Dabei sah sie ihn aber mit lockenden Augen an. Als ten Holten darauf übermütig wurde, meinte sie freilich, der Scherz müsse jetzt ein Ende haben, aber selbst eine Gebärde des Zornes hemmte sein stürmisches Werben nicht, und als sie ihm endlich sagte: »Ich habe nicht vergessen, wie Sie mich beleidigt haben,« begleitete sie die Rede schon mit einer deutlichen Gebärde der Nachgiebigkeit.

ten Holten gab sich in der nächsten Zeit einem Sinnenrausche hin, der den Charakter bäuerlich derben Mutwillens an sich trug. Die Orster war ein prächtiges Weib echt niedersächsischen Schlages, formfrisch, mit weißer Haut und eine blühend gesunde Weiblichkeit ausstrahlend. Sie hatte das Atelier ten Holtens nach ihrem Geschmack mit lauschig behaglichen Winkeln eingerichtet, und wenn sie in den Abendstunden dorthin kam, überließ sie sich seinem ungebrochenen Burschentum, wie irgendein strammes Bauernmädchen seinem ländlichen Schatze. Ihre sonstige Damenhaftigkeit machte sich nur darin kenntlich, daß der Liebhaber sich an den Abendtee gewöhnte, den sie nebenher bereitete. Freilich beschlich sie manchmal eine gewisse Empfindlichkeit, und sie konnte eine schmollende Miene annehmen, wenn er allzu deutlich zu erkennen gab, daß der aus ihm kommende überschäumende Lebensdrang seine eigentliche Quelle gar nicht in den von ihr ausgehenden Zaubern hatte, sondern in einer Ekstase des 182 Selbstbewußtseins, die aus seinem Künstlertum stammte. Es kam gar nicht selten vor, daß er, sie liebkosend, zugleich in wildfreudigen Wendungen seine Schaffenslust äußerte oder die Kunstgenossen herausforderte. Als dann die Ausstellung herangekommen war und sein Werk in der Tat ein für eine landschaftliche Darstellung ungewöhnliches Aufsehen erregte, der Presse zu förmlichen Erörterungen Anlaß gab und nach acht Tagen zu gutem Preise verkauft war, änderte sich sein Verhalten gegen die Geliebte. An die Stelle des burschenhaften Übermutes trat ein gelassener Stolz. Er machte Miene, die Geliebte, gnädig tändelnd, mit herrischer Überlegenheit zu behandeln, so etwas wie Paschalaune zu zeigen. Die Orster ging auch auf diese Wendung ein und verstand sich seiner Laune unterzuordnen. Es war die Zeit gekommen, in der er sich wieder viel außerhalb der Stadt bewegte. Wenn er dann wieder einmal auf einige Tage in sein Atelier kam, fand er Blumen daselbst, wohl auch einmal einen kleinen Kunstgegenstand als Geschenk, sie besprach eifrig mit ihm die Studien, die er mitbrachte, huldigte ihm als Meister und faßte seine Sinne mit feineren Mitteln, als in der Zeit seines übermütigen Rausches. Das gefiel ihm. Als sie aber einmal an seiner Gewohnheit, mit den Freunden von der Pilsener Bierstube an heißen Tagen einen jener Bierkeller zu besuchen, die für das Münchener Sommerleben charakteristisch sind, als einer spießbürgerlichen Gewöhnung nörgelte, wies er sie schroff ab. Auch eine kleine Bemerkung über seine Freundschaft mit Riederauer, den sie von Baron Wehrenburg her kannte, wo dieser aber immer über sie hinwegsah, trug ihr eine unfreundliche Gegenäußerung ein.

183 In den letzten Tagen des Juli wurde ten Holten eines Morgens in seinem Atelier durch den Besuch seines alten Freundes August Einhorn aus Düsseldorf überrascht, der mit Schwester und Schwager gekommen war, einen Sommeraufenthalt am Tegernsee zu beziehen. Mit dieser Erklärung seines Hierseins verband er zugleich die dumpfen Tones gegebene Mitteilung, daß er mit seiner Frau in Scheidung liege. Er fügte hinzu: »Du wirst ja darin nur eine Bestätigung deiner früheren Ansichten sehen, aber ich sage dir, es fällt mir bitter schwer, und ich befinde mich in einem elenden Zustand, denn ich liebe meine Frau noch immer. Es wäre auch ganz anders gekommen, hätte ich sie für mich allein gehabt. Sie kann sich nicht von dem Anhang befreien, der sie in den Sumpf niederzieht, und ich kann das Treiben nicht mehr ertragen, das mich umgibt. Wenn ich das Heim meiner Schwester gesehen habe und dann wieder in die Räuberhöhle muß, die ich mein Heim nenne, mit der frech keifenden Schwiegermutter, mit dem Stiefvater, der vor dem Säuferwahnsinn steht und von mir Geld erpreßt, dann such' ich nach dem Strick, mit dem ich ein Ende mache. Ich kann nicht weiter gegen die Gemeinheit kämpfen, und ich kann mich auch nicht in sie fügen. Der Ekel brächte mich um. Sie sieht es wohl auch nicht gern, weint manchmal darüber, schilt aber ein andermal, daß ich empfindlich und ein Krakehler sei. Ich muß auch das Kind retten, das zugrunde ginge, wüchse es in solchen Verhältnissen auf. Ich will nicht untergehen in dem Schmutz. Da hätte mein Vater recht, der bei den Leuten von mir als von dem ›Lumpen‹ spricht, und ich müßte mich vor meinem Schwager Benthoff schämen, der mich bisher mit zuwartender Nachsicht 184 behandelt hat. Aber es ist schwer, ich meine, ich müßte daran verbluten.«

»Du tust mir leid,« sagte ten Holten, »aber es freut mich auf der anderen Seite, daß du zu einem entscheidenden Entschluß gekommen bist. Nur das Leben nicht vertrödeln, es ist so viel daraus zu machen, wenn man sich nicht von der rechten Spur abbringen läßt.«

Die letzten Worte hatte er mit dem Nachdruck einer freudigen Überzeugung gesprochen.

August Einhorn forderte ihn jetzt auf, mit ihm zu der Schwester und dem Schwager in das Hotel zu kommen und dort mit ihnen ein Frühstück einzunehmen. Sie hatten ihn zu der Einladung besonders beauftragt. Frau Hedwig mußte sich eine gewisse Schonung auferlegen, weil sie, wie Benthoff ten Holten mit lächelnder Befriedigung mitteilte, einem Familienereignis entgegensah. Infolgedessen hielt sich auch der Gatte etwas zurück, so daß ten Holten vielfach mit August Einhorn allein in der Stadt herumstreifte. Aber in die Sezessions-Ausstellung war auch das Ehepaar Benthoff mitgegangen, um ten Holtens Bild zu besehen, über das sowohl Frau Hedwig, wie namentlich auch August des Lobes voll war. ten Holten nahm auch die Mahlzeiten an verschiedenen Orten mit den Düsseldorfern ein. Am Abend des dritten Tages reisten diese nach Egern am Tegernsee ab.

Jeden Morgen hatte er flüchtig im Atelier nachgesehen, und als ihm gesagt wurde, die Orster habe nach ihm gefragt, hatte er für sie die kurze Mitteilung hinterlassen, es seien Düsseldorfer Bekannte von ihm da, die ihn in Anspruch nähmen. Bei seinem Wiedererscheinen am Mittagstisch empfing ihn die Geliebte mit der Miene der 185 tiefgekränkten Dame, und als er ihre Vorwürfe in burschikosem Ton mit dem Hinweis, daß er ja Bescheid für sie hinterlassen habe, zurückwies, hielt sie ihm eine sehr scharfe Strafpredigt über solch' gröbliche Verletzung der ihr gebührenden Rücksichten, wobei Andeutungen einflossen, als sei in ihren Beziehungen eine Herablassung von ihrer Seite gelegen. Da kam eine ganz böse Bewegung in ten Holtens Gesichtsmuskeln und er sagte: »Solche Späßchen unterlasse gefälligst und merke dir: wenn eine Lustbarkeit einen anderen Sinn bekommen soll, als ihr zukommt, dann überlege ich mir's, ob ich noch mittun werde. Ich kann nämlich die Farbe der Dinge ganz gut unterscheiden.«

Die Orster kniff die Lippen zu, ließ die Augen unruhig hin- und hergehen und sagte dann mit etwas erkünstelt klingendem, die Erregung schlecht verbergenden Spott: »Der Herrenmensch, ich verstehe! Das ist wohl die Schule des Herrn Riederauer? Aber, mein Lieber, dazu fehlt dir doch die Figur. Ich habe dich wohl zu sehr verwöhnt. Leute von unsicherer Bildung macht so etwas übermütig.«

»Dazu brauch' ich den Riederauer nich,« sagte jetzt ten Holten. »Dat han ich schon jewußt, eh' ich nach München jefahren bin, daß ihr enem us dem Pläsier en Riemen schnieden wollt, wenn man nit uppaßt. Wenn du hück Ovend küst, is et jut, wenn nich, dann auch. Adjüs.«

Damit stand er auf, schlüpfte in den Überzieher, nahm Hut und Stock und ging, kurz mit dem Kopf nickend, seiner Wege.

»Da bin ich, du niederrheinischer Dickkopp,« sagte die Orster, als sie am selben Abend ins Atelier trat. »Man kann dir ja nicht böse sein. Mit euch Künstlern muß man eben anders rechnen, als mit der übrigen Menschheit.«

186 Sie machte große Anstrengungen, den Pascha wieder in gute Laune zu bringen, indem sie sich seiner Auffassung ihres Verhältnisses als »Lustbarkeit« unterordnete. An einem der folgenden Tage trat sie mit dem ganz neuen Gedanken hervor, sie wolle sich in absehbarer Zeit in der Stadt Hannover niederlassen und dann ihrer Kunstübung einen ausgeprägt kaufmännischen Charakter in Gestalt eines selbständigen Geschäftes verleihen, während sie bisher immer für fremde Firmen geliefert habe. Hannover sei ein Platz mit vornehmem Publikum, und durch ihre Verwandtschaft würden ihr schnell fruchtbare Verbindungen eröffnet werden. ten Holten hörte ihre Ausführungen gelassen an und stellte nur einige Fragen über die praktischen Umstände eines solchen Unternehmens. Von nun an kamen häufig Wendungen in ihre Rede, wie »bei uns in Hannover« oder auch »wenn ich einmal wieder in Hannover bin«, die er ganz zu überhören schien. Als er glaubte, die Düsseldorfer Freunde hätten sich nun in ihrem Sommeraufenthalt am Tegernsee genügend eingelebt, entschloß er sich, eines Tages dort den mit ihnen verabredeten Besuch abzustatten. Er setzte die Orster davon in Kenntnis, und sie bemerkte heiter: »Diesmal werde ich also doch einer Benachrichtigung von den Entschlüssen des Herrn gewürdigt. Ich danke für die freundliche Rücksicht.«

»Er soll dein Herr sein, heißt's in der Bibel!« scherzte er dagegen.

»Bitte,« versetzte sie, »das gilt nur für Verheiratete und ist überdies eigentlich nur für die alten Juden bestimmt gewesen.«

Dann erkundigte sie sich näher nach der Art dieser Düsseldorfer Freunde. Als ten Holten ihr sehr kurze 187 Auskunft gegeben hatte, meinte sie: »Da ist wohl die Schwester des Jugendfreundes auch so etwas wie eine Jugendfreundin gewesen? Man kennt das ja. Aber ich bin nicht eifersüchtig.«

»Es ist eine Dame, die ich sehr hochschätze,« antwortete ten Holten in einem Ton, der die Orster zu vorsichtigem Schweigen veranlaßte.

Es waren entzückende Tage, die ten Holten am Tegernsee verbrachte. Zu seiner großen Befriedigung nahm er wahr, daß die Luftveränderung bereits günstig auf August Einhorns Gemütslage gewirkt zu haben schien. Er nahm an einer heiteren Unterhaltung Anteil, ruderte fleißig und mit sichtlicher Lust, und als die drei Herren eine kleine Tagestour in die Berge unternahmen, gab er seiner Naturfreudigkeit deutlichen Ausdruck. Manchmal kam es allerdings vor, daß er sich absonderte und dann eine Weile ins Brüten geriet. Sobald aber Benthoff darauf aufmerksam wurde, brachte er ihn mit freundlichem Zuruf wieder zum Anschluß. Neuerdings zeigte sich dieser Benthoff wieder als ein prächtiger Mensch, von dem eine kernhafte Mannheit ausstrahlte, die zu freundschaftlicher Annäherung geradezu zwang und so recht hineinpaßte in die Welt der bayrischen Berge, die ihm die Brust weitete und eine tief in der Seele gelegene Frohheit aus ihm herausholte. Es war fast rührend, als er gelegentlich sagte: »Mir ist hier köstlich wohl, ich bin ein ganz anderer Mensch. Es geht nicht anders, das Geschäft macht trocken, kurz angebunden, und man kommt viel zu wenig dazu, daran zu denken, daß man auch so etwas hat wie ein Gemütsleben. Es ist ein böser Haken des Daseins von meinesgleichen, daß wir so wenig dazu kommen, unser Inneres gelegentlich 188 auszulüften. Das habe ich aber immer erkannt und mir meine Frau darnach ausgesucht, damit in der Ehe wenigstens einige Stunden dafür herauskommen. Was hätte ich mit so einer der Kommerzienratstöchter getan, die als Frauen, wenn sie auch ganz nette Mädchen waren, sofort von den anderen angelernt werden, nur die Staatsdame zu spielen? Verkümmert, elend verkümmert wäre ich. Ich bin ein strammer Geschäftsmann, aber in dieser Richtung habe ich mich wohl gehütet, ein Geschäft machen zu wollen.«

Von Frau Hedwig wiederum ging gerade in ihrem jetzigen Zustand eine fröhliche Würde aus, die etwas Ehrfurchtgebietendes und doch auch Zutrauenerweckendes hatte.

»Ein ideales Menschenpaar ist es, deine Schwester und dein Schwager,« sagte ten Holten aus der Inbrunst einer Stimmung heraus, die ihn noch viel mächtiger im Rahmen der jetzigen Umwelt packte, als bei seinem letzten Düsseldorfer Besuche. Er fühlte sich in einem Dunstkreis geräuschlosen Glückes, sonniger Weltfreude, wie auf einer von München weit entfernten, paradiesischen Insel. Als da gelegentlich die Orster im Hintergrund, wie aus einer Ecke lugend, auftauchte, wies er die Störung zornig zurück.

August Einhorn antwortete auf seine Bemerkung: »Ja, es geht eine Macht des Vorbildlichen von ihnen aus, die ich an mir verspürt habe wie eine magnetische Kraft. So soll eine Ehe sein; eine glückliche Fügung hat hier ein Muster aufgestellt. Das war es eben. Das Bild dieser Musterehe hat mir das Zerrbild meiner eigenen als so grellen Gegensatz gezeigt, daß sie mir zum Wahnwitz wurde.«

Frau Hedwig fand Gelegenheit, mit ten Holten über Augusts Eheschicksal zu sprechen. Sie sagte: »Ich habe 189 mich sehr genau im Gewissen geprüft, ob ich nicht vielleicht jemandem ungerechtes Leid zufüge durch meine Einmischung, aber nachdem ich zu der Überzeugung gekommen war, daß hier unheilbare Zustände vorliegen, die nur Übel auf Übel erzeugen, nie aber eine bessere Wendung gewinnen können, da bin ich auf den Standpunkt meines Mannes gekommen, daß nichts schlimmer ist, als eine kranke Ehe, und daß da nur gründliche Eingriffe helfen.«

Als ten Holten darauf bemerkte, das Wesentliche sei das Vorbild ihrer eigenen Ehe gewesen, entgegnete sie: »Wir passen zueinander, mein Mann und ich, und das ist sein Verdienst. Er ist der Meister, der mich erst formen mußte für seine Auffassung der Ehe.«

»Sie haben sich eben formen lassen, und Augusts bitteres Los war, daß die Frau, die er heute noch liebt, sich nicht formen ließ.«

»August hätte es auch nie verstanden, sich eine Frau zu formen. Ganz so leicht ist das nicht, als manche Herren sich einbilden,« erwiderte Frau Hedwig lächelnd.

»Wirklich nicht?« fragte ten Holten mit scherzhaft spöttischer Miene.

Da wurde Frau Hedwig sehr ernst und sagte: »Es gehört sehr viel Herzenstakt, von feinempfindendem Gemüt geleitete Klugheit dazu. Den Herren spielen heißt nicht formen, und die Frau beherrschen bedeutet auch für den Mann selber noch lange nicht Eheglück.«

ten Holten wußte darauf nichts zu bemerken.

Als er wieder nach München fuhr, saß er mit Nachdenklichkeiten belastet da, und Entschlüsse gärten in ihm. Das eine war ihm klar, daß sein Leben noch unfertig sei und daß es doch an der Zeit wäre, hierin auch einen 190 sicheren Boden zu gewinnen, wie es ihm in der Ausübung seiner Kunst gelungen war.

 


 


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