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IX. Westwärts über den Eissaum von Grant-Land

In der Woche, die auf unsere Rückkehr zum Schiff folgte, war das Wetter sehr unangenehm. Während der ersten vierundzwanzig Stunden nach unsrer Ankunft erhob sich ein heftiger Südwind, der mit großem Ungestüm den Kanal hinaufstrich und anhaltend trübes Wetter mit sich brachte, heftige Böen, Schneegestöber und ein auffälliges Steigen der Temperatur zeichneten die nächsten Tage aus. Ich gratulierte mir selbst jeden Tag, daß wir gerade zur rechten Zeit angekommen waren. Der Sturm im Verein mit dem dauernd trüben Wetter hätte in unsrer Verfassung das Maß zum Überlaufen bringen können.

Ich rief meine Eskimos zusammen und sagte ihnen, sie hätten ihre Sache gut gemacht, jetzt könnten sie sich ausruhen, bis das Schiff nach Hause führe, und mit ihren Familien entweder in der Nähe des Schiffes bleiben, oder sich nach dem Hazen-See oder Fort Conger begeben.

Für mich und die anderen gab es noch wichtige Arbeit in den Wochen zu erledigen, bis die »Roosevelt« frei ward, und das Programm zu dieser Arbeit ergab sich von selbst.

Kapitän Bartlett sollte Lotungen im Robeson-Kanal vornehmen, Marvin so weit nördlich wie möglich von Hecla eine Lotleine auslaufen lassen. Der Doktor sollte die Zeit damit verbringen, wissenschaftliche Sammlungen anzulegen und einen Ausflug nach Conger machen, und ich wollte nach Westen gehen und den Versuch unternehmen, das unbekannte Gebiet auf der Küste von Grant-Land, das Stück zwischen Aldrichs und Sverdrups höchsten Punkten, zu erforschen. Es gab gerade genügend Hunde für dies Programm. Vierzig, der Rest von hundertundzwanzig, hatten die Frühjahrskampagne überlebt.

Der Gegensatz zwischen dem behaglichen Leben auf dem Schiff und den monatelangen Entbehrungen war so groß, daß es mir nicht möglich war, mehr als wenige Stunden hintereinander zu schlafen, und ich hatte auch einige Mühe damit, meinen Appetit in Zaum zu halten, was ich auf die Weise auszugleichen versuchte, daß ich häufig und nur leichte Sachen aß.

Meine Füße und Beine schwollen so an, daß es einen Neuling geängstigt hätte, aber da ich alles schon einmal erlebte, machte ich mir darüber seine Sorgen. Henson und besonders Clark regten sich dagegen sehr über dieses Anschwellen ihrer Füße auf.

Die Vorbereitungen für den Ausflug nach Westen machten mir wenig Mühe. Während des mechanischen Marsches längs der Küste von Grönland hatte ich ein vollständiges Verzeichnis der Vorräte, der Ausrüstungsstücke usw. ausgearbeitet, das ich mir dann im Lager immer kurz aufnotierte. Ich brauchte jetzt nur meine Anordnungen zu geben, daß dies oder jenes gemacht oder herbeigeschafft werden sollte.

Am Mittag des 2. Juni verließ ich die »Roosevelt« mit Marvin, dem Bootsmann Murphy, Koolotingwah, Egingwah, Ooblooyah, Tungwee, »Teddy« und Koodlooktoo mit sechs Schlitten und neununddreißig Hunden. Das Wetter war trübe, warm und drückend, und wir arbeiteten uns vier und eine halbe Stunde lang durch weichen, vier bis sechs Zoll tiefen Schnee, bis nach der Williams-Insel in der Black-Cliff-Bai. Hier wollten die Primuskochmaschinen, die ich zur Probe auf diese Expedition mitgenommen hatte, nicht brennen, und ich sandte Koodlooktoo zum Schiff zurück, um andere zu holen.

Mein neues, nur teilweise trockenes Zelt, das erst kürzlich wasserdicht gemacht worden war, befand sich in klebrigem und übelriechendem Zustande und beschmutzte Hände und Kleider und alles, was damit in Berührung kam. Ich war steif und kurzatmig, meine Glieder schmerzten und meine Füße waren geschwollen. Alles in allem eine ziemlich unangenehme »erste Nacht«.

Koodlooktoo kam ungefähr um 3 Uhr morgens zurück, und bald darauf brachen wir auf. Während unsres Aufenthaltes in diesem Lager war es neblig und bewölkt, doch klärte es unterwegs allmählich auf und die Sonne stieg höher. In der Nähe von Kap Creswell trafen wir den Kapitän und ich nahm einen seiner Leute und seine besten Hunde mit.

Er sagte mir, er hätte vorgehabt, der Spur wieder zu folgen, wenn er nicht meinen Brief bekommen hätte. Nach einem kurzen Aufenthalt setzte er seinen Weg zum Schiff fort und wir marschierten noch sechs und eine halbe Stunde durch weichen, ein bis zwei Fuß tiefen Schnee weiter, bis der Eisfuß westlich von View Point erreicht ward. Ich machte absichtlich an diesem Tag einen kurzen Morsch, weil ich von jetzt ab nachts zu marschieren gedachte. Tagsüber und abends das schönste Wetter!

Wir verließen den Lagerplatz kurz noch Mitternacht und kamen in sechs und einer halben Stunde über die Fielden-Halbinsel nach Hecla. Der Schnee war anfangs hart, dann sehr locker. Eine strahlende Nacht. Im ganzen siebzehn und eine halbe Stunde waren wir von Kap Sheridan nach Kap Hecla unterwegs.

Ich zitiere aus meinem Tagebuch:

Point Moß, 5. Juni. Ich konnte in dieser Nacht nur eine Stunde schlafen, denn ich war damit beschäftigt, die Instrumente für die Lotungen einer Besichtigung zu unterziehen, Marvins Ausrüstung und Vorräte auf ihre Vollständigkeit hin zu prüfen, Instruktionen für ihn zu schreiben, die Sachen, die vom Depot bei Hecla nach dem Schiff zurückgebracht werden sollten und die, die ich, um das Depot in Point Moß zu vervollständigen, mitnehmen wollte, auszuwählen, Instruktionen für den Kapitän zu hinterlassen und das, was in Hecla bleiben sollte, nachzusehen und in Ordnung zu bringen.

Marvin brach ungefähr um 10.30 abends mit den beiden Eskimos Koodlooktoo und Itookashoo auf, um einen Teil meiner Ladungen bis an das ebene Baieis westlich von Hecla zu bringen.

Als sie zurückkehrten, rüstete ich sie mit ihren Ladungen für das Schiff aus, brachte alles vom Eisfuß auf den Felsabhang des Kaps hinauf, schickte sie fort und brach selbst mit meinen Leuten ungefähr eine Stunde nach Mitternacht auf. Das schönste Wetter die ganze Zeit, klar und ruhig. Es gibt jetzt mehr Schnee als im März. Er ist fest genug, um die Hunde zu tragen, aber die Schlitten sinken meistens ein, und man braucht die ganze Zeit Schneeschuhe.

Genau heute vor drei Monaten verließ ich Hecla das letztemal. Es scheint eine Ewigkeit her zu sein, heute vor zwanzig Jahren überschritt ich den Polarkreis zum erstenmal.

In fünf und einer halben Stunde kamen wir bis nach Point Moß. Die ganze Tiefe des Clements-Markham-Inlet ist sichtbar. Passende Namen für die emporragenden Berge im Osten und Westen südlich des Inlet würden sein: Streifenberg (Streaked), Kamel (Camel), Sattel (Saddle) und Zwilling (Twin).

Hier bei Point Moß habe ich acht Stunden geschlafen und seit langem zum erstenmal Zeit gehabt, mir nach dem Frühstück ein wenig Ruhe zu gönnen, ehe wir weitermarschierten. Da es nicht unbedingt nötig ist, so sehr zu eilen, und ich nur für meine eigene kleine Abteilung zu sorgen habe, kann ich mir diese Annehmlichkeit sehr wohl gönnen. Ich werde dann meinen hier zurückgelassenen Proviant in Ordnung bringen, und wenn wir unser nächstes Lager aufschlagen, hoffe ich das Gefühl zu haben, daß ich wirklich für mein Unternehmen vorbereitet bin. –

Unser nächstes Lager westlich von Point Moß war auf der Höhe von Challenger Point. Der Marsch wurde bei schönem Wetter gemacht, und wir begegneten zum erstenmal den langen Wellenzügen der Eisfläche, die an das Aussehen der Prärie erinnern, was sich später als ein ständiger und charakteristischer Zug des Eissaumes erwies.

Mein Atem wurde besser, die Schwellung an den Beinen ging zurück, und ich fühlte, daß ich allmählich wieder in Ordnung kam. Als wir dahinzogen, beobachteten wir das Ufer scharf mit den Ferngläsern, um Moschusochsen zu entdecken, aber wir erblickten nichts. Erst kurz bevor wir lagerten, bemerkte ich einen dunklen Fleck unter Kap Columbia vor uns, der einem schlafenden Moschusochsen täuschend ähnlich sah. Der Schnee war auf diesem Lagerplatz drei Fuß tief.

Wir verließen das Lager bei Challenger Point um zehn Uhr nachts und steuerten gerade auf die Spitze von Kap Columbia zu, dabei das Ufer sehr sorgfältig mit den Gläsern untersuchend. Endlich erblickten wir den schwarzen Punkt vom vorhergehenden Tag wieder. (Es war ein Moschusochse, der auf einem kleinen Plateau weidete, und ich ging sogleich mit Koolootingwah und zwei Hunden hin und streckte das Tier mit einem Schuß nieder, ganz aus der Höhe machte ich vorher eine Anzahl photographischer Aufnahmen.

Von dem Plateau aus, auf dem wir den Moschusochsen fanden, sah man offenes Wasser, das sich längs der Kante des Eisfußes hinzog. Die Wellenzuge, die wir auf unserm Marsch von Point Moß überschritten hatten, nahmen sich von hier, als parallel zur Hauptkontur des Ufers sich hinziehende Erhebungen, sehr gut aus. Als die zwei andern Leute mit den Schlitten heraufkamen, erfuhr ich, daß sie die Wartezeit dazu verwendet hatten, noch vier Moschusochsen tiefer im Land ausfindig zu machen.

Von unserm Plateau aus betrachteten wir sie mit den Ferngläsern und sahen, daß es sechs waren. Wir pirschten uns heran, und ich erlegte fünf, einen Bullen, zwei Kühe, eine zwei Jahre alte Kuh und einen zweijährigen Bullen, mit fünf Schüssen. Ein Bulle hatte sich ehe wir hinkamen von den übrigen getrennt, ich verfolgte ihn aber nicht.

Die Kühe hatten einen weißeren Rücken als die Bullen, und einen schneeweißen Fleck zwischen den Hörnern. Wir häuteten die Tiere ab, zerlegten sie, fütterten die Hunde mit den Abfällen und brachten das Fleisch und die Felle dahin, wo ich den einzelnen Bullen erlegt hatte. Dann hielten wir eine große Mahlzeit. Zahlreiche Hasen, Strandläufer, Schneeammern und blaue Schmeißfliegen, auch mehrere Raupen wurden hier beobachtet. Wir lagerten auf dem bloßen trockenen Sand in der Nähe des Moschusochsen und empfanden das als eine große Wohltat nach dem blendenden Glanz des Eises. Eine Menge Wasser befand sich in der Nähe.

Wieder zitiere ich aus meinem Tagebuch:

Kap Nares, 8. Juni. Der heutige Tag hat einen Plan zur Ausführung gebracht, den ich seit letztem Herbst, fast seit die »Roosevelt« nach Kap Sheridan kam, in mir trug: die Errichtung einer Steinpyramide, die Hissung des Sternenbanners und die Niederlegung meines Berichtes und eines Stücks der Fahne auf dem Gipfel von Kap Columbia, dem nördlichsten Ende von Nordamerika.

Das Unterbringen des Fleisches in ein Depot und das Ausbreiten der Felle zum Trocknen in der Sonne nahm Zeit, und wir brachen erst um 10.30 am Nachmittag des 7. auf. Das schöne Wetter hielt an, obgleich eine frische Brise von Westen, schwere Wolken über dem Land im Südwesten und eine Wolkenbank im Norden einen Witterungswechsel wahrscheinlich machten.

Um 12.30 heute morgen ließ ich die Schlitten am Fuß des nördlichen der beiden Gipfel von Kap Columbia halten, und begann mit zwei Eskimos den Aufstieg; der dritte mußte zurückbleiben und auf die Hunde aufpassen.

siehe Bildunterschrift

Kapitän Bartlett bei Kap Hecla.

Der Gipfel ist ein steiler Kegel von losen Steinen, und obgleich nur 1800 Fuß hoch, nahm der Aufstieg doch zwei Stunden, in Anspruch. Ich bin sehr herunter, sogar mehr als ich dachte; ich habe keinen Atem und keine Kraft. Jeden Augenblick mußte ich stehen bleiben und ausruhen. Auf dem Gipfel angekommen, erbauten wir eine Steinpyramide, die fünf Fuß hoch war und einen Durchmesser von vier bis fünf Fuß hatte, und pflanzten obendrauf einen Eschenholzpfahl. Dann wurde meine Flagge gehißt, einige photographische Aufnahmen gemacht und schließlich ein Bericht und ein Stück der Flagge in einer Blechbüchse im Innern der Steinpyramide niedergelegt. Der Rückweg führte einen steilen, schneebedeckten Abhang hinunter, wobei wir mehr liefen als gingen, bis wir, wenn auch auf Kosten der Beine, im Laufschritt unten ankamen.

Das Wetter wurde jetzt immer drohender, und zwei- oder dreimal hüllte uns der Nebel für einen Augenblick vollständig ein.

Wir zogen weiter nach Westen und kamen nach Kap Nares, wo auf einem Sandfleck in der Nähe von zwei kegelförmigen Hügeln, ähnlich denen, die über die Eisdecke von Grönland emporragen, einige hundert Yards von dem Fuß der Klippen entfernt, gelagert ward. Wir fanden sehr viel Wasser in der Nähe. Der Wind war jetzt im Zunehmen begriffen, der Himmel umzog sich vollkommen, und alles deutete auf einen Sturm.

Um Mitternacht blies der Wind mit voller Stärke. Der Schnee wurde in horizontaler Richtung gegen das Zelt getrieben, das hin und her flatterte und laut ächzte.

Ungefähr um 3 Uhr in der Nacht des 9. legte sich der Sturm, aber ich hatte keine Lust, jetzt aufzubrechen und wieder anzufangen, am Tage zu marschieren, darum sandte ich Ooblooyah und Egingwah nach Kap Columbia zurück, um die Hunde zu füttern und den Rest des Moschusochsenfleisches herzuholen.

Während unsres Aufenthaltes schliefen wir hier beinahe andauernd und nutzten so die verlorene Zeit wieder aus. Mir war dieser Schlaf besonders willkommen. Seit meiner Rückkehr zum Schiff schlief ich sehr unregelmäßig und nicht sehr viel, infolge des plötzlichen Überganges von Schneehaus und Zelt zum Schiff; und seit wir diesmal aufgebrochen, hatte ich wenig geschlafen. Bei Kap Hecla und Point Moß war ich damit beschäftigt gewesen, alles in Ordnung zu bringen, dann kam die Jagd auf die Moschusochsen, und hier liefen die Eskimos die ganze Zeit aus und ein, aßen und trockneten ihre Kleider.

Jetzt sind sie satt und haben keine Gelegenheit, sich mit ihren Kleidern zu schaffen zu machen, darum sind sie im Zelt geblieben und haben geschlafen. Der Wind und der Schnee haben auch die Temperatur im Zelt niedrig genug gemacht, um einen behaglichen Schlaf zu ermöglichen. –

Meine zwei Leute kamen zu Mittag von Kap Columbia zurück, die Hunde erhielten so viel zu fressen, wie sie bewältigen konnten, und wir selbst hielten eine reichliche Mahlzeit, bestehend aus Moschusochsenfleisch und Tee. Dann legten wir uns nieder, da es so aussah, als ob das schlechte Wetter aufhören wollte und wir eine schöne Nacht haben würden.

siehe Bildunterschrift

Eskimozeichnungen.

Um 7 Uhr abends erwachte ich und sah, daß es noch schneite und stürmte.

Nachdem ich Kaffee gekocht, machten wir uns auf den Weg und erreichten bei heftigem nördlichen Schneesturm durch ungefähr sechs Zoll tiefen, weichen Schnee, der auf dem alten lag und beständig an Tiefe zunahm, schreitend, die Ward-Hunt-Insel. Da ich keine Neigung verspürte, mich damit anzustrengen, auf Schneeschuhen an der Spitze zu marschieren und den Kurs anzugeben, war es unmöglich, die Hunde geradeaus zu treiben, und wir kamen deshalb an der Außenseite der Insel statt an der Innenseite an.

Bald nachdem wir uns gelagert, fing es an aufzuklären, und im Laufe des Tages, während wir schliefen, schien die Sonne warm und hell. Das Land blieb allerdings in Wolken und Nebel eingehüllt, nur die nächstgelegenen Partien waren sichtbar.

Danach hatten wir eine schöne Nacht zum Marschieren, klar kühl und ruhig, und wir erreichten nach acht Stunden Kap Alexandra, »den Regenbogenhügel«.

Der neue leichte Schnee machte gute Schneeschuhbahn, war aber sehr schwer gangbar für die Hunde und Schlitten. Diese Schwierigkeit wurde noch durch die vielen hügeligen Wellenzüge vergrößert, die für den eigentümlichen Eisfuß, der sich hier findet, charakteristisch sind. Diese Wellenzüge sind von großen Dimensionen und erinnerten mich sehr an Teile der Eisdecke von Grönland. Wenn es nicht gewaltige Schneewehen sind, so weiß ich nicht, wie ich sie erklären soll. Bei der Ward-Hunt-Insel, hauptsächlich im westlichen Teil, sind sie besonders ausgeprägt, und hier vermischten sie sich mit Schneewehen, die sich im Schutz der Insel gebildet hatten. Auf diesem Marsch wäre man ohne Schneeschuhe bis an die Knie eingesunken.

Wir lagerten uns bei Kap Alexandra auf einem trockenen Sandfleck, in der Nähe einer Bodensenkung, die ein Flußbett zu sein schien.

Zwei Brandgänse flogen vorüber. Hier hatten wir ein vortreffliches Abendessen, bestehend aus Moschusochsenbeefsteaks, Speck, Tee und Schiffszwieback. Nach dem Essen sandte ich zwei Mann das Tal hinauf, um nach Moschusochsen, Renntieren und Hasen Umschau zu halten.

Meine beiden Leute kehrten noch vor Mittag mit drei Hasen zurück, die alle klein waren und sehr lange Ohren hatten. Es kam mir der Gedanke, es könnte vielleicht eine neue Spezies oder Varietät sein. Der Kopf des einen zeigte eine bräunliche Färbung. Ein Weibchen enthielt fünf Junge kurz vorm Wurf.

Meine Leute sahen im ganzen zwölf Hasen und entdeckten auch die Fährte eines großen Moschusochsen, die aus der Zeit vor dem letzten Schneefall herrühren mußte und nach Osten führte, ferner das Geweih eines Renntieres.

Ein schöner, warmer, sonniger Tag setzte uns instand, unsere Kleider und Gerätschaften, die alle vom letzten Schneefall naß waren, zu trocknen.

Bis hierhin hatte ich den Pemmikanvorrat, mit dem ich Point Moß verließ, noch nicht angegriffen, da das kleine, aus vier Büchsen bestehende Depot des Kapitäns für die Fütterung der Hunde bei Challenger Point ausreichte, und wir sie später mit dem Fleisch der bei Kap Columbia erlegten Moschusochsen füttern wollten. Ehe wir von Kap Alexandra aufbrachen, gab es Hasenragout zum Frühstück.

Von Kap Alexandra zogen wir in acht und einer Viertelstunde nach der Mc Clintock-Bai. Die Bahn durch den Neuschnee war schwer, und jedermann hatte Schneeschuhe an, wie gewöhnlich. Wir versuchten einen Richtweg über den Küstenvorsprung von Kap Alexandra nach Kap Discovery einzuschlagen, fanden aber die Böschung zu steil und den Schnee noch tiefer. Ich hatte keine Lust, an der Spitze auf Schneeschuhen Bahn zu machen, und so stiegen wir wieder herab und gingen um den Vorsprung herum. Wir lagerten ungefähr in der Mitte der Mc Clintock-Bai, die ganz anders aussieht wie auf der Karte. Der östliche Arm ist eine große tiefe Bucht, die sich ungefähr von Westen nach Süden (magnetisch) erstreckt, und der mittlere westliche Arm biegt sich mehr nach Westen, als verzeichnet ist.

Kap Discovery ist eine steile Masse mit einem kleinen Gletscher zwischen den beiden Armen der Bai. Weiter vorn befindet sich augenscheinlich ein großer Gletscher, nach dessen Vorland wir nun marschierten. Die ganze Bai mit ihren Verzweigungen ist ein von schwarzen Wällen umschlossener Einschnitt; ihre Ufer bestehen aus zusammenhängenden Felsketten, außer an dem Ende des mittleren und anscheinend am Ende des östlichen Armes.

Eine Expedition, die an dieser Küste vorbeikommt und die die Zeit dazu hat, sollte diese beiden Orte untersuchen, und wenn sie an Fleisch Mangel litte, müßte sie es erst recht, da man wahrscheinlich Moschusochsen dort finden wird. Die Nacht auf unserm Marsch war rauh, ein frischer Ostwind wehte und alles war in Nebel und Wolken gehüllt, bis es ungefähr um 4 Uhr morgens aufklärte und wir strahlenden Sonnenschein bekamen. Es sah jetzt aus, als ob der letzte Rest des neulichen Sturmes verschwunden wäre, aber das kann man in dieser Gegend nie mit Bestimmtheit sagen. Unser Lager war hier näher am Meereis, dessen Rand deutlich sichtbar war, als je, seit wir Kap Hecla verließen.

Ich war noch immer geneigt, zu glauben, daß die eigenartigen Eis- und Schneeformationen längs dieser Küste ihre Existenz dem Wind verdanken.

In dem Lager auf der Höhe der Mc Clintock-Bai folgte auf einen klaren, strahlenden Tag mit einer leichten östlichen Brise, an dem sich nur spät gegen Abend eine Nebelschicht bildete und die Gipfel des Landes verbarg, eine neblige Nacht für unsern Weitermarsch; aber lieber Nebel als strahlender Sonnenschein.

Wir marschierten in tiefem Schnee, bis die zunehmende Dichte des Nebels uns jeden Ausblick verwehrte, und lagerten darum am Gletscher bei Kap Fanshawe Martin.

Unsere kurzen Märsche, die reichliche Nahrung und die besondere Sorgfalt, die ich mir angedeihen ließ, hatten mein Befinden seit dem Verlassen des Schiffes wesentlich verbessert; die Schwellungen an meinen Füßen und Beinen waren zurückgegangen, und auf diesem Marsch wechselte ich mit den andern regelmäßig ab, den Schlitten auf Schneeschuhen vorauszueilen und Bahn zu machen. Es war ein achtstündiger Marsch, und wir waren vier, also kamen auf jeden zwei Stunden, bei stündlicher Ablösung. Ein Strandläufer flog über das Lager hin, und auf dem Marsche zogen eine Raubmöwe und sechs Brandgänse an uns vorüber. Gerade ehe wir das Lager erreichten, liefen Hasen auf dem steilen Ufer, und Koolootingwah machte sich auf und erlegte zwei. Er berichtete, daß er Moschusochsenfährten vom letzten Sommer gesehen habe.

Die mittlere Landspitze in der Mc Clintock-Bai ist anscheinend eine Insel, und die sog. »Dünen«, die in der Mc Clintock-Bai ihren Anfang nehmen, sind wirkliche Gletscher. Die Formation auf dieser Seite von Kap Alexandra ist anscheinend dieselbe wie auf der andern.

In diesem Lager waren wir sozusagen an der »Ecke« der Westküste, da Kap Fanshawe Martin auf derselben Breite wie Hecla, und das nächste Kap vor uns auf derselben Breite wie Joseph Henry liegt; dann biegt sich die Küste rascher nach Süden.

Ich hatte die Überzeugung, daß ich von hier aus Aldrichs »höchsten Punkt« in vier, möglicherweise in drei weiteren Märschen erreichen müßte.

Jenseits von Kap Fanshawe Martin war der Schnee tiefer als je, und dies in Verbindung mit Nebel und Schneeböen machte den Marsch nicht gerade angenehm. Wir kamen indessen ziemlich gut weiter, und wenn wir nur ein wenig Glück hatten, so mußte nach zwei bequemen Märschen Aldrichs »höchster Punkt« erreicht sein. Auf diesem Marsch habe ich viel länger Bahn gemacht, als mir eigentlich zukam, da meine Eskimos in dem Nebel keinen geraden Kurs einhalten konnten. Der Gletscher, an dem wir entlangzogen, hatte eine ausgesprochene Gezeitenspalte, die sich über seine Vorderseite hinzog; nach außen war das Eis zu einem großen abgerundeten Rücken zusammengeschoben, eine richtige Erdmoräne aus Eis. Es hatte stark den Anschein, als ob man an einer Küste, die nach Westen anstatt nach Norden gelegen wäre, völlig andere allgemeine Charakteristika finden würde.

Wir befanden uns jetzt in der Nelverton-Bai, dem letzten großen Einschnitte, der von Aldrich gekreuzt worden war, und der Schnee um unser Lager war so tief und schwierig, daß ich beschloß, gerade auf die Kante des Eisfußes loszumarschieren und ihr zu folgen.

siehe Bildunterschrift

Eine Probe des polaren Packeises.

Das schien mehrere Vorteile zu versprechen, einmal bessere Bahn, da der Schnee fast immer in den Buchten tiefer ist als außerhalb, und die Überflutung der Kante durch die Gezeiten Stellen mit guter Bahn schafft. Zweitens würden wir eine Linie haben, der wir in dem dichten Nebel folgen könnten. Drittens hatten wir die Möglichkeit, auf einen Bären zu stoßen, und viertens die Gewißheit, Wasser zu finden, was eine Ersparnis an Feuerung bedeutete.

Nachdem wir ungefähr vier Stunden gerade nach Westen marschiert waren und noch immer den Eisfuß nicht erreichten, wurde ich ärgerlich und beschloß, auf alle Fälle hinzugelangen, wie weit es auch sein mochte.

Wir waren die ganze Nacht (8½ Stunden) unterwegs, ehe wir ihn erreichten, entdeckten dann, daß es kein wirklicher Eisfuß war, sondern nur eine unregelmäßige Linie zwischen dem Eis der Bai und dem aufgebrochenen Eis außerhalb, ohne irgendwelche Gezeitenspalte. Wenige hundert Yards außerhalb war eine Rinne mit offenem Wasser, und eine Lotung mit einer 155 Faden langen Leine ergab noch keinen Grund. Zwei Stunden vom Lager entfernt, konnten wir an Kap Albert Edward vorbeisehen und erblickten eine Küste, die mir zunächst wie eine Insel aussah, sich aber später als ein fernes zusammenhängendes Land erwies. Meiner Meinung nach konnte es der nördliche Teil des Jesup-Landes sein.

Jedenfalls, ob es das Jesup-Land oder eine Fortsetzung der Küste von Grant-Land war, ich sah jetzt in unbekannte Gebiete hinein.

Die Nelverton-Bai ist voll von Gletschern, und einer von ihnen zeigt die üblichen charakteristischen Züge der Whale-Sund-Gletscher: senkrechte Vorderseite und Spalten.

Der Eissaum hat hier einen ausgeprägten Gletschercharakter, insofern seine Oberfläche wellenförmig ist und der über das Land hinausragende Teil langsam abfällt.

Ein Strandläufer flog während des Marsches an uns vorüber, und beim Loten sahen wir einen Seehund.

Die Nacht war im Gegensatz zu den vorhergehenden klar, ruhig und warm.

Ich ging fünf und eine halbe Stunde an der Spitze und machte Bahn. Als ich ins Lager kam, fühlte ich die Folgen. Ich war entschieden noch nicht richtig bei Kräften.

Am 16. Juni erreichten wir Aldrichs »höchsten Punkt«. Während wir schliefen, war es abwechselnd sonnig und neblig gewesen, aber schon am Eisfuß siegte der Nebel, und auf unserm Marsch wurden wir häufig in Nebel gehüllt.

Von unserm Lager am Eisfuß steuerte ich gerade auf die Landspitze jenseits von Kap Alfred Ernst los, und wir marschierten acht und eine Viertelstunde. Die Kante des Eises war noch sichtbar, aber nur weil wir uns jetzt über dem Wasserspiegel auf der wellenförmigen Oberfläche des Eissaumes befanden.

Längs der Kante des Eisfußes war Wasser und draußen im Westen anscheinend eine weite Wasserfläche.

Ein Strandläufer flog vorüber, als wir das Lager abbrachen.

Noch einen Tagemarsch über Aldrichs »höchsten Punkt« hinaus, und alles, was ich in seiner herrlichen, sonnenbeschienenen Wildheit vor mir liegen sah, war mein, mein durch das Recht der Entdeckung, es würde mir zuerkannt werden und sich mit meinem Namen verbinden, noch wenn Generationen nach meinem Tode vergangen sind.

Während unsres Aufenthaltes im Lager auf dem »höchsten Punkt« klärte es vollständig auf; als wir aufstanden, war nirgends eine Wolke oder eine Spur von Nebel zu sehen.

Das ferne Land, das ich für die nördliche Spitze von Jesup-Land gehalten hatte, erwies sich jetzt bei der klaren Luft als eine Fortsetzung der Küste von Grant-Land, die über einem langen Gletscher sichtbar wurde.

Ich schlug die Richtung nach diesem fernsten Punkt ein und behielt sie den ganzen Tag bei.

siehe Bildunterschrift

Lager an der »großen Rinne« 84° 38'.

Nach einem vierstündigen Marsch erblickte ich von einem der Eiswellenzüge aus ein Land, das noch weiter nach rechts (westlich) lag. Dieses Land hatte ich auf dem Marsch in der vorhergehenden Nacht gesehen, als wir an den Rand des Eises kamen; aber meine Eskimos glaubten, es wäre nur die Sonne, die auf große Eisflächen schien, und da es scheinbar seine Gestalt veränderte, war ich nach einiger Seit geneigt, ihnen beizustimmen. Jetzt war kein Zweifel, daß es Land war, und ich war fest davon überzeugt, daß es diesmal das Jesup-Land sein müsse.

Die Bahn war während des ganzen Marsches sehr schlecht und wurde immer schlimmer, da der Schnee tiefer lag als je.

Wenigstens seit wir das Schiff verließen, war in dieser Gegend kein starker Wind gewesen, denn was neulich an Schnee fiel, lag gerade so da, wie es heruntergekommen.

Die Oberfläche des Eissaumes war auf diesem Marsch von zahlreichen schmalen Wasserfurchen durchschnitten, die die großen Wellenzüge zu begrenzen schienen, und ich beobachtete einige Hügel und wirkliche Spalten.

Zwischen uns und dem fernen Kap, unserem Ziel, sahen wir noch einen langen flachen Gletscher mit seinem Ende weit hinausragen.

Zwei kleinere Gletscher neben unserm Lager zeigten alle Charakteristika eines wirklichen Gletschers: Seraks, Spalten und senkrechte Vorderflächen.

Ich zitiere aus meinem Tagebuch:

18. Juni. Fünfzehn Meilen in acht Stunden und fünfundvierzig Minuten abgeschritten, einschließlich fünfzig Minuten langer Unterbrechung für die Winkelmessungen. Meine eigene Geschwindigkeit von drei Meilen die Stunde, dann eine Rast von fünf Minuten für die Hunde lassen die Rechnung aufgehen.

Mein Gehirn ist von dem ewigen Schrittezählen des ganzen Tages stumpf geworden.

Das vorwärtskommen ist andauernd sehr schwer. Ich habe die ganzen fünfzehn Meilen abgeschritten; meine Leute sind auf Schneeschuhen neben ihren Schlitten hergegangen.

Ohne Schneeschuhe hätten wir nicht mehr als die Hälfte der Entfernung zurückgelegt, vielleicht nicht mehr als fünf Meilen. Einer der Hunde hatte ausgespielt und schleppte sich hinter dem Schlitten ins Lager, drei andere waren nahe daran.

Wir befinden uns jetzt in einer Gegend, die so aussieht, als ob es ein Moschusochsengebiet sein könnte, und ich muß mich aufmachen und es durchforschen, sobald ich etwas geschlafen habe, und das Wetter es zuläßt. Ich kann den Hunden nur eine knappe Ration Pemmikan geben, und das ist bei dieser schweren Bahn nicht genug für sie.

Die erste halbe Stunde des Marsches war es klar – im Lager hatten wir einen glänzenden Tag gehabt – dann zogen sich Wolken und Nebel zusammen, und der Wind wehte uns gerade ins Gesicht, so daß der letzte Teil des Marsches ausgesprochen trübe und kalt war und einen starken Gegensatz zum ersten bildete, wo ich im Flanellhemd marschiert war und mich dabei sehr behaglich gefühlt hatte.

Ungefähr um die Zeit des Lagerns fing es an zu schneien, und jetzt schneit und weht es ungestüm von Südwesten.

Wir haben heute den Kurs auf das entfernteste Kap gerichtet, und diese Linie als geodätische Basis benutzend, nahm ich Winkelmessungen nach verschiedenen Punkten der Küste vor.

Es ist recht unangenehm, daß der Tag, an dem ich meine fortlaufende Vermessung anfange, schlechter ist als die vorhergehenden, aber das ist so arktische Sitte.

Auf dem heutigen Marsch passierten wir den Eingang einer schwarzen von steilen Felsen umschlossenen Bai, die am Eingang acht bis zehn Meilen breit war und sich anscheinend mehrfach verzweigte. Mein Gebiet! –

siehe Bildunterschrift

Gestellt.

siehe Bildunterschrift

Erlegt.
Die Moschusochsenherde auf Nares-Land.


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