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II. Von Etah nach Kap Sheridan

siehe Bildunterschrift

Oomunui, der einzelstehende Gipfel am Eingang der North Star Bai, Wolstenholm-Sund.

Bald nach Mitternacht am 16. August verließ die »Roosevelt« Etah, schwajte aus dem Hafen heraus und verließ damit jede Verbindung mit der zivilisierten Welt. Unter den Decks war das Schiff mit Kohlen gefüllt, so daß sein Schandeck beinahe bis auf das Wasser hinunterging; auf Deck waren mehr als zweihundert Eskimohunde; und in der Back und oben auf dem vorderen und hinteren Deckshaus waren über fünfzig Eskimos, Männer, Frauen und Kinder, nebst ihren Habseligkeiten untergebracht.

Das schwere Packeis, das hinter der Littleton-Insel auf den Wogen des Smith-Sunds hinuntertrieb, gab mir Gelegenheit zu sehen, was das Schiff leisten konnte, und als wir uns in der Richtung auf Kap Sabine durchbohrten, erfüllte es meine Erwartungen völlig, obgleich es schwer geladen und seine Dampfkraft auf die Hälfte heruntergesetzt war. Der scharf überhängende Steven, obgleich meine Idee, war sogar für mich eine Offenbarung. So tief und schwer das Schiff auch war, so stieg es ohne ausgeprägte Erschütterung auf das sich ihm entgegenstellende Eis hinauf, ganz gleichgültig, wie ungünstig es darauf getrieben wurde, und spaltete es entweder durch den Anprall oder drängte es durch sein bloßes Gewicht beiseite.

Bartlett gehorchte meinem ersten Befehle, dem Schiff seine volle Geschwindigkeit zu geben, mit einiger Besorgnis, obgleich ich die Verantwortung auf mich nahm. Die Robbenfängerkapitäne sind immer sehr vorsichtig mit ihren Schiffen, wenn diese zum erstenmal mit Kohlen beladen ausfahren.

Nach Verlauf von ein oder zwei Stunden war er begeistert, sowohl über die Gemächlichkeit, mit der die gewaltigsten Stöße ertragen wurden, wie über die Leichtigkeit, mit der das Schiff sich gleich einem Walfischfänger durch die Durchfahrten drehte und wand.

siehe Bildunterschrift

Kohleneinnahme in Etah.

Aber es gab einige Felder von altem Eis, die ein tausendmal stärkeres Schiff als die »Roosevelt« nicht hätte bewältigen können, und wir wurden bald nach Südwesten abgelenkt. Erst ungefähr zehn Meilen von Kap Isabella entfernt, hielten wir es für ausführbar, uns wieder nach Norden vorwärts zu arbeiten.

Kap Sabine und der Payer-Hafen, die in den Jahren 1901 bis 1902 für sechzehn Monate mein Hauptquartier gewesen, waren von dichtem Packeis umgeben und ließen kein näherkommen zu. Wir bohrten uns nach Nordosten weiter, bis das Eis ein weiteres Vordringen nicht mehr zuließ; dann legten wir denselben Weg wieder zurück, arbeiteten uns in der Richtung der Bache-Halbinsel vorwärts und waren bis ungefähr in die Mitte der Buchanan-Bai gelangt, als wir am Fuß von Kap Albert durch große Eisschollen aufgehalten wurden, die den Weg in das offene Meer versperrten. Da das Eis weiter östlich günstiger zu sein schien, fuhren wir einen Teil unsres Weges wieder zurück und ich spähte sehr aufmerksam nach Kap Sabine und dem Payer-Hafen aus, denn ich wollte sehr ungern meine Operationsbasis dort aufgeben. Das war ein Teil meines Programmes, das ich dem Klub entworfen hatte, aber die Verhältnisse legten sich hier dazwischen. Indem sie einen Umweg nach Osten machte, gewann die »Roosevelt« bei der Bache-Halbinsel offenes Wasser. So kamen wir in die Bucht südlich von Victoria-Head auf der nordwestlichen Landspitze der Halbinsel und schafften ein Depot von Booten, Kohlen und Vorräten ans Land.

Der Wert dieses Ortes als die südliche Basis einer Expedition, die durch den Smith-Sund oder auf der amerikanischen Straße nach Norden strebt, hatte mir schon im Jahre 1898 eingeleuchtet. Bei jedem späteren Unternehmen sollte man ihm vor dem Payer-Hafen den Vorzug geben. Seine Vorteile sind: Angrenzen an ein wertvolles Jagdgebiet; Zugänglichkeit während jedes Monats im Jahr und sein weniger veränderliches und weniger stürmisches Klima.

siehe Bildunterschrift

Verladen von Walroßfleisch

Die Arbeit, das Depot an Land zu schaffen, nahm ungefähr zehn Stunden des 18. August in Anspruch, während diese Arbeit im Gange war, ging ich mit drei Eskimos in ein benachbartes Tal, das ich kannte, und erbeutete drei Moschusochsen, einen großen Bullen, eine Kuh und einen Jährling, von denen der letztere lebend an Bord gebracht wurde. Dieses Tier erregte das größte Interesse bei der Mannschaft und den »zartfüßigen« Mitgliedern der Expedition, und die Ankunft von beinahe achthundert Pfund schönen frischen Fleisches erweckte in jedermann ein sehr angenehmes Gefühl.

Bisher hatte die Sorge, meine Eskimos und die Hunde an Bord zu bringen, die Schiffsladung neu zu verstauen und gegen das Eis anzukämpfen, mir keine Zeit gelassen, über die Anforderungen der nächsten Stunde hinaus zu denken. Als ich jetzt auf den moosbedeckten Flächen neben dem murmelnden Strom dahinschritt, dessen ruhigere Strecken mit einer Eiskruste überzogen waren, und die frischen Spuren von Großwild und ein wenig später die zottigen schwarzen Gestalten der Moschusochsen sah mit den gesenkten Köpfen und den stampfenden Hufen, wie ich sie so gut kannte, da begann mein Puls schneller zu schlagen und ich fühlte, daß ich wieder in mein eigentliches Gebiet gekommen war.

Von der Bache-Halbinsel fuhren wir durch verstreutes Eis nach Hayes Point, mit dem schweren Packeis an der Steuerbordseite. Die Bedingungen waren anders als im Jahre 1898, wo die »Windward« fünf Tage lang vor der Einfahrt in die Prinzeß Marie-Bai kreuzte. Die Nacht war schön und ich konnte jeden wohlbekannten Felsen am Ufer von Kap d'Urville unterscheiden, wo die »Windward« im Jahr 1898–99 überwinterte. Als ich in die fernen Tiefen der Prinzeß Marie-Bai hinabsah, strömten viele Erinnerungen an Abenteuer mit Bären, Seehunden und Moschusochsen aus mich ein. Wir hatten in der Nähe von Hayes Point und Kap Frasier einige Schwierigkeiten mit dem Eis, wandten uns schließlich seitlich in die Maury-Bai und ankerten am Morgen des 19., um den großen Feldern sehr schweren Eises zu entgehen, die von einem frischen Nordwind rasch nach Süden getrieben wurden und mit wilder Heftigkeit gegen das eiserne Bollwerk von Kap John Sparrow krachten, unter dem wir lagen.

Indem wir das Eis aufmerksam beobachteten und jede Gelegenheit ausnutzten, preßten und arbeiteten wir uns nach der Scoresby-Bai durch, uns dicht am Ufer haltend, und von da nach der Richardson-Bai. Zweimal hatten wir beinahe Kap Joseph Goode erreicht, aber nur um durch die andringenden Eisfelder auf die Höhe von Kap Wilkes zurückgetrieben zu werden in die Nähe meines Weihnachts-Igloos vom Jahr 1898, wo ich auf jener unglücklichen Reise nach Fort Conger mitten im Winter, auf der ich meine beiden Füße erfror, Weihnachten verlebt und eine kleine Kiste von den Lieben zu Hause geöffnet hatte.

Die Rawlings-Bai war mit Packeis bedeckt, und das Eis an der Küste des Grinnell-Landes lag offenbar fest, auf der grönländischen Seite jedoch schien es weniger dicht zu sein. Die ganze Zeit über war das Wetter schön.

Das Aussehen des Eises nördlich auf der Seite von Grinnell-Land war so außerordentlich ungünstig, daß ich beschloß, die Überzeugung, die ich in den letzten vier Jahren meiner Tätigkeit in diesen Gegenden gewonnen hatte, auf die Probe zu stellen, nämlich, daß die Grönlandseite der Kennedy- und Robeson-Kanäle in der Regel der Schiffahrt günstigere Bedingungen bieten als die Grinnell-Landseite.

Fest überzeugt von der Tüchtigkeit der »Roosevelt« und entgegen allen sogenannten Gesetzen der arktischen Schiffahrt in diesen Gegenden, fuhren wir am Nachmittag des 21. nach Osten und wurden mitten in das dickste Packeis des Kanals hineingetrieben. Das Eis, auf das wir stießen, war sehr dick und schwer, und seine südlich gerichtete Drift riß uns unwiderstehlich mit herunter; trotzdem kamen wir gut nach Osten vorwärts, und nach einem harten und langwierigen Kampfe, während dem Bartlett und der Steuermann sich andauernd im Vordertakelwerk befanden und ich im Haupttakelwerk saß, gerieten wir endlich auf der Höhe von Kap Calhoun in lockeres Eis und begannen uns nach Norden in der Richtung der Crozier- und Franklin-Inseln vorwärts zu bohren. Die Durchfahrt zwischen der Franklin-Insel und Kap Constitution wurde probiert, erwies sich aber als unausführbar. Der größte Teil des Packeises des Kanals wurde dann dicht unter den senkrechten westlichen Klippen der Franklin-Insel bewältigt, Wir hatten dann leidlich gute Fahrt bis nach der Joe-Insel, nur unterbrochen von Wällen schweren aber ziemlich lockeren Eises.

Hier durch eine undurchdringliche Eismauer aufgehalten, wurde die »Roosevelt« an dem Eisfuß, der am südlichen Ende der Insel besonders imposant ist, festgemacht, und begleitet von Kapitän Bartlett erkletterte ich den Gipfel der Insel. Von dort aus sahen wir, daß der östliche Teil des Hall-Beckens bis zum Kap Lupton, anscheinend sogar bis zum Kap Sumner von Eis frei war. Im westlichen Teil des Beckens dagegen und soweit wir nach Norden und Süden an Grinnell-Land entlang sehen konnten, lag überall dickes, schweres Packeis.

Beim Rückgang der Flut lockerte sich die Spannung des Eises im Kanal am westlichen Ufer der Insel ein wenig; wir eilten nach der »Roosevelt« zurück, bezwangen durch eine mehrstündige harte Arbeit die Barriere, und mit einem heftigen und bitter kalten Nordwind im Gesicht, der einen ziemlich beträchtlichen Seegang aufwühlte und das Spritzwasser über unsern Bug schlagen ließ, fuhren wir nach Kap Lupton, das wir um Mitternacht des 22. erreichten. Während wir durch dies offene Wasser fuhren, ließen wir den Thank-God-Hafen, das Winterquartier von Halls »Polaris« zu unsrer Rechten, den Discovery-Hafen, das Winterquartier der »Discovery«, und Fort Conger zu unsrer Linken liegen.

Einige Meilen nördlich von Kap Lupton, als wir uns durch eine enge Eiszunge preßten, fegte eine plötzliche Wirbelströmung in dem tiefen Kanal das Eis in einer Weise zusammen, die ich nur mit dem plötzlichen Aufwirbeln von abgefallenen Blättern im Herbstwind vergleichen kann. Sie klemmte die »Roosevelt« zwischen die gewaltigen Schollen, preßte sie gegen den Eisfuß und rieb sie an dessen senkrechter Fläche mit einer Bewegung und einem Lärm, die einen unwillkürlich an einen Eisenbahnwagen erinnerten, der die Schienen verlassen hat und über die Schwellen dahin tost. Zu unserm Glück kam das Schiff in eine flache Vertiefung in der Eismauer zu liegen und wurde schnell mit jeder verwendbaren Leine festgemacht.

Der ganze Windstoß dauerte weniger als fünf Minuten, aber in dieser Zeit wurde das Steuergetriebe beinahe untauglich gemacht. Die Fütterung des Ruders war um den Ankerstock gedreht, die schweren eisernen Vorderbänder und das Triebwerk zerbrochen, die stählerne Ruderpinnenstange zertrümmert. Provisorische Ausbesserungen wurden vorgenommen, und sobald der Druck nachließ, fuhren wir weiter um Kap Sumner herum und an das feste Eis in der Newman-Bai unter Kap Brevoort, um unser beschädigtes Steuer zu reparieren und die Öffnung einer Rinne in dem Robeson-Kanal nach Kap Union oder Umgegend abzuwarten.

Das Wintereis lag noch unversehrt in der Bai, seine Oberfläche war eben und körnig. Die Wasserlachen darauf hatten sich wieder mit einer Eiskruste überzogen, die stark genug war, einen Mann zu tragen.

Sobald die Leinen festgemacht waren, ging ich ans Ufer und kletterte auf den Gipfel von Kap Brevoort. Der Kamm der nach Norden gerichteten Klippen beherrscht den ganzen nördlichen Zugang zum Robeson-Kanal vom Repulse-Hafen bis nach Kap Rawson hinüber und nach Süden die Grinnell-Land-Küste bis an die Lady Franklin-Bai. Die Küste von Grönland im Süden von Kap Sumner war durch dessen Klippen verborgen. Das Eis entlang der Grinnell-Land-Küste, in der Mitte des Kanals und nordwärts, war, so weit ich sehen konnte, dicht zusammengepackt. Das Fahrwasser, in dem wir nach Norden gekommen waren, blieb noch offen und die »Roosevelt« hätte sich ihren Weg dicht an der Küste von Grönland entlang bahnen können, nach dem Repulse-Hafen und möglicherweise nach Kap Bryant, wenn mein Ziel in dieser Richtung gelegen hätte. Kein Anzeichen einer Rinne oder einer Spalte im Eise des Kanals war zu sehen, vom Gipfel aus bemerkten wir eine Schar spielender Narwale dicht am Eisfuß zu unsern Füßen.

In der Newman-Bai blieben wir fünf Tage und besserten das Steuerruder aus, indem die Ketten der Ruderpinne durch Drahtseile ersetzt wurden, und kreuzten dann nach der Südseite der Bai, wo ich das Boot der »Polaris«, das Chester und Tyson von Halls Expedition im Jahre 1871 hier gelassen hatten, in Boat Camp an Bord nahm. Als dann das nördliche Eis die Bai anfüllte, wurden wir allmählich aus unsrer geschützten Lage hinter dem Boat Camp-Delta hinausgedrängt und mit jeder Flut weiter nach Kap Sumner hinausgetrieben, bisweilen die Küste streifend, wenn wir einer Eisscholle auswichen. Während dieser Seit füllte sich die Bai vollständig mit Eis, und der ganze nördliche Teil des Kanals war angefüllt mit fest zusammenhängendem Treibeis. Kapitän Bartlett und Marvin waren mehrmals oben auf dem Gipfel von Kap Sumner, um zu rekognoszieren, aber ohne befriedigendes Resultat.

Die Flut am Morgen des 28. machte uns wieder los, und ungeduldig wegen der Verzögerung und ermutigt durch das Benehmen der »Roosevelt« beim Kreuzen des Kanals bei Kap Calhoun ließen wir den Feuerrost reinigen, die Maschinen vollständig nachsehen, und um 4.30 nachmittags würde die »Roosevelt « zu einem zweiten Kampf mit dem Packeis hinausgetrieben, in dem zurzeit weder Tümpel noch Öffnungen zu sehen waren.

Gerade auf der Höhe des Vorgebirges von Sumner versetzte eine kurze Pressung zwischen zwei gewaltigen blauen Eisschollen, die die schnelle Strömung am Kap vorübertrieb, die »Roosevelt« für ein oder zwei Minuten in Schwingungen wie eine Violinsaite, ehe sie sich in die Höhe hob.

Dann arbeiteten wir uns hinaus und versuchten nach der westlichen Seite zu kreuzen, während sich das zusammenhängende Eis fast bis an unser Schandeck erstreckte und oft so hoch war, daß wir die Boote, die an den Deckshausdavits hingen, binnenbords schwingen mußten, damit sie nicht an den Eishügeln hängen blieben. Die Verzögerung und die Untätigkeit der letzten fünf Tage war unerträglich geworden.

Die »Roosevelt« focht wie ein Gladiator, wendete, drehte und arbeitete aus aller Kraft. So oft wir für einen Anlauf Raum hatten, warf sie sich mit ihrem ganzen Gewicht gegen die schweren Schollen und hob sich auf sie hinauf wie ein Steeplechaser, der ein Hindernis nimmt. Eine Erregung, eine Spannung, eine Kampfesfreude, die den Alltag ins Wesenlose zurücksinken ließen.

Der Anlauf, das Sammeln von Kraft und Geschwindigkeit, das Krachen, das Aufbäumen, das berstende Geräusch des Eises, wenn der stahlgepanzerte Steven es spaltete wie der Hammer des Steinmetzen Granit spaltet, oder es herunterdrückte, oder es nach rechts und links als herumwirbelnde Stücke zur Seite schleuderte, schließlich die heftige Erschütterung, das Zurückprallen und dann das Ausholen zu einem neuen Vordringen, waren herrlich.

Zu andern Zeiten mahlte die blaue Fläche einer ungeheuren Scholle, die bis an das Schandeck reichte, gegen beide Schiffsseiten, und das Schiff legte seinen Weg zollweise zurück, während das Gerüst unter dem Druck krachte, die großen Maschinen achter wie Nähmaschinen liefen und die zwölf Zoll breite Stahlwelle die Schraube mit den breiten Flügeln so lange herumwirbelte, bis ihre Kraft sich als ebenso unfehlbar wirksam erwies wie die Schwerkraft.

Zu solchen Zeiten verfolgte jedermann an Deck mit atemlosem Interesse unsere Bewegung, und als Bartlett und ich in der Takelage hingen, hörte ich ihn in der physischen Erregung, in die das ächzende Schiff ihn versetzte, zwischen den Zähnen murmeln: »Gib es ihnen, Teddy, gib es ihnen ordentlich!«

Mehr als einmal kam ein Heizer keuchend auf Deck, um frische Luft zu schnappen, beugte sich über die Schiffsseite und murmelte bei sich selbst: »Bei Gott, sie ist beinahe durch!« dann verschwand er wieder im Feuerraum mit dem Resultat, daß einen Augenblick später eine Extrasäule von schwarzem Rauch aus dem Schlot ausgespien wurde und die Schraube ein oder zwei Umdrehungen mehr machte.

Um Mitternacht war alles, was wir sagen konnten, daß wir der westlichen Seite näher waren als der östlichen, und daß wir stetig mit dem Packeis südwärts getrieben wurden. Ich führe aus meinem Tagebuch an: »Ein langsames und angreifendes Arbeiten. Die »Roosevelt« ist ein vorzüglicher Eiskämpfer, und wenn sie ihre volle Dampfkraft hätte, würde sie unwiderstehlich sein. Das Eis ist sehr schwer; breite Schollen, von denen einige mehrere Meilen im Durchmesser haben und deren Kanten klare Wälle von blauem Stahl sind. Ich werde froh sein, wenn wir durch sind.« In einem ihrer Kämpfe ließ die »Roosevelt« einen beträchtlichen Teil des Steven gerade unter der Gallionsfigur als Erinnerung auf dem Gipfel eines Eisberges zurück, den sie aus ihrer Bahn zu stoßen genötigt war. Bei einem andern Anprall wurde eine zwölf bis fünfzehn Fuß dicke Scholle mitten entzwei gespalten.

Bis zum 29. vier Uhr morgens näherten wir uns langsam und beständig der Grinnell-Landseite. Dann wurde während mehrerer Stunden nur ein geringer Fortschritt gemacht, dann wieder ein neuer Anlauf, der mit gelegentlichen Unterbrechungen bis vier Uhr nachmittags dauerte, wo wir nach 35½ stündiger unaufhörlicher Anstrengung und Arbeit in eine kleine Wasseröffnung unterhalb des nördlichen Endes der Wrangel-Bai hinausfuhren. Der Kampf war nur durch zähe Beharrlichkeit gewonnen worden. Ich glaube nicht, daß es ein anderes Schiff auf dem Wasser gibt, das diese Probe bestanden hätte.

Bartlett und ich gingen in unsere Zimmer, ermattet von der langen Anspannung. Ich schlief augenblicklich ein.

Es war der zweite Geburtstag eines Sohnes in der fernen Heimat, und in meinen Träumen sah ich das runde Gesicht mit den blauen Augen und der Krone von blondem Haar mir aus der wilden Masse von schwarzen Wolken zulächeln, die den Gipfel des Kaps, unter dem wir lagen, einhüllten. Gott segne dich, mein Junge!

Bald nachdem wir in die Wrangel-Bai gekommen waren und noch während ich schlief, kam ein Stück schweres Eis unter das Hinterschiff und drehte beinahe die Fütterung des Ruders ab. Die ganze Nacht verging mit provisorischer Ausbesserung des Schadens. Eine Anzahl Eskimos, die während der Nacht auf die Jagd gesandt waren, kehrten am vormittag des 30. mit elf Hasen und sechs Moschusochsen zurück.

Am späten Nachmittag machten wir einen mißglückten Versuch, nach der Lincoln-Bai zu gelangen, wurden jedoch durch schwere sich südlich bewegende Eisschollen zurückgetrieben, und um Mitternacht waren wir in der Wrangel-Bai, wo wir nach der Seite auswichen, um das treibende Eis zu vermeiden, während die ungeheuren Eisschollen an den Kaps vorüber mit Rennpferdgeschwindigkeit nach Süden trieben. Der Kanal und alle Gipfel am Lande lagen in schwarzem Nebel.

siehe Bildunterschrift

Das Hilfsschiff »Erik« im Hafen von Etah.

Den 31. verbrachten wir in der Bai und versuchten, den Eisschollen, die sich in der Bai und ringsumher hin und her bewegten, zu entgehen. Eine trübe Nacht mit Schneefall. Früh um 3.30 am 1. September wurde in Nebel und heftigem Schneesturm ein Vorstoß gemacht. Wir kamen bis zur Nordseite der Lincoln-Bai, wo das zusammenhängende Packeis uns wieder die Durchfahrt sperrte, und wir an der exponierten Fläche des Eisfußes anlegen mußten.

Wieder zitiere ich mein Tagebuch: »Ein wilder Morgen mit Schnee, der in horizontaler Richtung über das Deck fegt. Das Wasser wie Tinte, das Eis gespensterhaft weiß, und das Land unsichtbar, außer in unsrer unmittelbaren Nähe: wir stießen an der Backbordseite beinahe dagegen. Der Sommer ist zu Ende, der Winter hat begonnen.« Kaum hatten wir das Schiff am Eisfuß festgemacht, als das Eis die Bai vollständig anfüllte.

Nachts zur Zeit der Ebbe trieb viel Eis aus der Bai hinaus, immer an die Schiffsseiten stoßend, aber es bildete sich keine Rinne am Kap, und es war keine Möglichkeit, nach Norden zu gelangen.

Bei der Wiederkehr der Flut kam das Eis wieder mit Wucht herein, und die Ecke einer großen Scholle erfaßte das Heck, bog die Fütterung des Ruders nach der andern Seite herüber und stieß das Schiff vollständig ans Ufer. Hier hing es, bis Hochwasser eintrat, während ein schweres Eisstück gegen das Heck preßte und jeden Augenblick damit drohte, es so weit auf die Küste hinaufzudrängen, daß keine Möglichkeit mehr wäre, es wieder flott zu machen. Es war eine langsame und schwierige Arbeit, das mit seinem verbogenen Ruder fast unlenkbare Schiff durch das in Bewegung befindliche Eis an einen anscheinend weniger exponierten Ankerplatz weiter in die Bai hinauf zu bugsieren, während es die ganze Zeit schneite und stürmte. Hier wurde die Fütterung des Ruders wieder einigermaßen gerade gerichtet.

Früh am Morgen des 3. September preßte eine treibende Scholle die »Roosevelt« wieder ans Ufer, um hier bis zum nächsten Hochwasser hängen zu bleiben. Sie war kaum los, als eine andere Scholle sie nochmals fest und heftig ans Land preßte. Ich sehnte mich sehr danach, aus dieser gefährlichen und anstrengenden Lage herauszukommen, in der die rasche und tückische Bewegung des Eises eine beständige Drohung war, aber eine Rekognoszierung von einer Erhöhung in der Nähe der »Roosevelt« ergab, daß der Kanal nördlich von uns ganz mit festem Eise erfüllt war.

Kurz nach Mitternacht am 3. war die »Roosevelt« wieder flott. Eine südliche Brise sammelte etwas Wasser an der Einfahrt der Bai, und wir fuhren 3.30 morgens hinaus, wobei es uns glückte, vor das Delta des Schelterflusses zu gelangen, gerade südlich vom Kap Union, um dann zwischen einigen gestrandeten Eisbergen in ein natürliches Dock hineinzugeraten, hier hatte das Schiff ein Fuß tief Wasser unter dem Kiel. Als wir Anker warfen, war das lose Eis, durch das wir gekommen, der Schauplatz heftiger Eispressungen, die sich bis zu der Barriere von Kap Union erstreckten. Hier genossen wir einen schönen Tag mit einer Temperatur von einigen zwanzig Grad und hatten ein paar ruhige Stunden. Das Flußdelta im Norden und gestrandete Eisberge im Süden schützten uns vor den Angriffen der schweren Eisschollen, die wenige Yards von uns entfernt rasch vorbeizogen.

Die Eskimos, die hier nach Hasen ausgesandt waren, erlegten sechsunddreißig Stück. Wir lagen hier ungefähr fünfzehn Meilen vom Winterquartier der »Alert« entfernt, und eine glatte Fahrt von zwei oder drei Stunden würde uns instand gesetzt haben, den Rekord für Schiffe in dieser Gegend zu schlagen und uns den Sieg zu sichern.

siehe Bildunterschrift

Barriere bei Kap Collinson.

Der 5. September war ein denkwürdiger Tag, der in Wirklichkeit meinen Ängsten und Befürchtungen ein Ende machte. Um 3.30 morgens gingen wir unter Segel, nachdem sich das Schiff zuvor ungefähr eine Stunde gewendet und gedreht hatte, um aus diesem Winkel herauszukommen. Ein schmaler Wasserstreifen dicht an der Küste führte bis Kap Union, wo eine enge aber anscheinend dichte Barriere gegen das Kap preßte. Würde sie uns durchlassen? Als wir uns der Barriere näherten, erkannten wir, daß sie nur ungefähr eine Meile breit war, während sich das Wasser auf der anderen Seite bis noch Kap Rawson erstreckte. Ich behielt beide Wachen von Heizern bei und rief den Obermaschinisten vor seiner Wache heraus, denn es war klar, daß wir jetzt durchmußten. In wenigen Minuten war die »Roosevelt« mitten im dicksten Eis, stöhnend wie ein Motor, während der schwarze Rauch aus dem Fuchs strömte. Es gelang ihr, sich die Durchfahrt zu erzwingen. Kap Union wurde um 4.30 morgens passiert. Im Süden von Rawson erstreckte sich das Eis bis dicht an die Küste, aber weiter draußen war es lockerer. Wir machten einen langen Bogen nach Nordosten, mit dem Kapitän, dem Steuermann und mir in der Takelung. Das Eis trieb in großen, schweren Schollen und mit ungeheurer Geschwindigkeit zur Zeit der Flut in die Einfahrt des Kanals hinein. Der ängstlichen Minuten waren nicht wenige. Würden wir durchkommen können? einer ernstlichen Einklemmung entgehen?

Bald wurden wir der Alertspyramide am Floeberg-Strand ansichtig und konnten eine schmale Rinne Wasser sehen, die sich bis dicht an den Eisfuß erstreckte. Um sieben Uhr morgens wurde die »Roosevelt«, mit dem hereinkommenden Packeis um die Wette laufend, durch einen schmalen Meerstrom getrieben und sanft in eine Ausbuchtung vorn am Eisfuße unter dem äußersten Ende von Kap Sheridan geworfen. Da lag sie fest. Das Eis wurde schwer gegen die vordere Spitze des Kaps gepreßt und mahlte an ihm vorbei. Bevor unsere Leinen festgemacht waren, hatte das Eis uns eingeschlossen und schnell verschwand das offene Wasser hinter uns.

Wir waren jetzt ungefähr zwei Meilen nördlicher gekommen als seinerzeit die »Alert« und lagen an der freien Vorderseite des Eisfußes fest; der Bug der »Roosevelt« war fast genau nach Norden gerichtet. Ich fühlte, die Gefahren, die Zufälle der Reise waren vorbei. Das Schiff konnte zugrunde gehen, dadurch, daß es ans Ufer gepreßt wurde, denn unsere Lage war sehr exponiert, aber es war nicht anzunehmen, daß wir die Vorräte und die Ausrüstung verlieren könnten, und damit konnte der Rest des Programmes ausgeführt werden. Auch wenn das Schiff nicht weiterkam, so hatte es seine Pflicht getan und den Zweck seiner Existenz erfüllt.

In mein Gefühl der Erleichterung mischte sich ein Hauch der Befriedigung, daß wir in hartem Kampfe die schmalen, eiserfüllten Wasserstraßen überwunden hatten, die die amerikanische Route nach dem Pol bilden; daß wir unsere Vorgänger übertroffen und verwirklicht hatten, was ich dem Klub prophezeite, daß nämlich mit einem geeigneten Schiff die Erreichung einer Station auf der nördlichen Küste von Grant-Land fast jedes Jahr möglich wäre.

Vor der »Roosevelt« hatten nur zwei andere Schiffe, die »Polaris« und die »Alert«, diese Kanäle vollständig befahren; zwei andere, die »Discovery« und der »Proteus« waren in ihnen bis zum Discovery-Hafen vorgedrungen.

Unsere Bewegungsfreiheit und Fähigkeit, den Schutz des Landes zu verlassen und beliebig im Kanal durch das schwerste Eis hinüber und herüber zu kreuzen, waren auch erfreuliche Tatsachen.

Auf der Reise von Neuyork nach Etah hatten wir die Breitengrade der nördlichsten Teile von Nordamerika, Europa und Asien passiert und seit unsrer Abreise von Etah die Breitengrade der nördlichsten Teile von Spitzbergen und Franz Joseph-Land überschritten. Jetzt lagen nur die nördlichsten Punkte der beiden nördlichsten Länder der Welt, Kap Jesup und Kap Columbia, ein wenig über uns hinaus. Die nach Norden sich erstreckenden Finger der ganzen übrigen großen Welt lagen weit hinter uns unter dem eisbegrenzten südlichen Horizont. Wir waren tief in jenem kahlen gefrorenen Grenzland, das zwischen den bewohnten Ländern und dem Sternenraume liegt.


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