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XIV

Stille Jahre und Weltlärm

 

1

Drei stille Jahre folgen. Ihre künstlerische Ernte ist für die Triebkraft eines Dürer nur gering und steht in starkem Gegensatz zu der Fruchtbarkeit der vergangenen Jahre und derer danach. Und noch etwas anderes fällt auf, wenn man sich ihnen nähert mit der frischen Erinnerung an das »Gebetbuch«: die merkwürdige Kälte, das Ausgeklügelte bei den meisten dieser Arbeiten. Wir nehmen als bezeichnendes Gemälde das Augsburger Marienbild mit der Jahreszahl 1516. Man möchte fast an eine Fälschung glauben, so taub im Ausdruck ist dieses Werk, so wenig aus dem innigen Gefühl heraus für unsere liebe Frau; selbst die vornehmen Damen aus der Venezianer Zeit sind eines reicheren Lebens voll. Aber eine Fälschung ist es nicht, die sorgsamste Prüfung hat die Echtheit anerkennen müssen. Zudem steht dieses Werk ja auch nicht allein. Eine große Aktfigur, zum »Selbstmord der Lukretia« hergerichtet (München), der Kopf einer »betenden Maria« (Berlin), so verschiedenes sie gegenständlich sagen, haben doch gemeinsam das Kalte und mühselig Erdachte. Was ging in Dürers Seele vor, das seine Arbeit eine so scharfe Wendung machen ließ?

Der andere in ihm, der Grübler und Gelehrte, hatte wieder einmal Macht gewonnen über den Künstler. Maximilian hatte Dürer für seine treuen Dienste mit einem Leibgeding von hundert Gulden jährlich bedacht, der Sorgen um das tägliche Brot war er enthoben, und so konnte er jener anderen Tätigkeit, der er im Drang der Arbeit durch Jahre hatte entsagen müssen, wieder Raum schaffen. Ein Werk wie die Augsburger Maria ist uns fremd und unverständlich für sich allein. Zeichnen wir ihm aber die Maße ein, aus denen es entstand (Justis vortreffliche Untersuchung über die »konstruierten Köpfe und Figuren« ist der Sache in allem einzelnen nachgegangen), dann ist es uns gewiß, daß die scheinbare Unfruchtbarkeit und Kälte der Jahre 1516 bis 18 nicht die Folge einer Brache ist, sondern daß die Kraft damals nur auf einem anderen Gebiete, dort aber mit allem Eifer tätig war.

Es ist etwas unendlich Rührendes um Dürers Bemühungen, der nordischen Sehnsucht nach reiner Gestalt durchaus auf diesem Wege Bahn zu schaffen. Er erkennt, »daß unsrer teutzschen Nation bei den itzigen Zeiten viel Moler der Lernung notdürftig wären. Denn sie mangeln der rechten Kunst und haben doch viel große Werk zu machen, dazu fast not wär, daß sie ihre Werk beßreten«. Über das bloß Sonderbare nordischer Wirklichkeitsdarstellung will er sich erheben zu allgemeiner Gültigkeit, zu dem, was in der Sprache der Bücher »das Typische« heißt, und was er selbst »das Schöne« nennt. Er hat über den Begriff der Schönheit nachgedacht wie nur je ein Weltweiser, und muß doch schließlich sehen, daß wir nichts wissen können. »Was die Schönheit sei, das weiß ich nit.« Wir sehen »in etlichen Dingen ein Ding für schön an, in eim andern wär es nit schön; schön und schöner ist uns nit leicht zu erkennen«. Nur wie er es sich selbst zurechtgelegt hat, kann er melden, und da will es ihm scheinen: »Was zu den menschlichen Zeiten van dem meinsten Theil schön gedachtt würd, des soll wir uns fleissen zu machen. Item der Mangel an eim idlichen Ding ist ein Gebrech. Dorum zu viel und zu wenig verderben alle Ding. Es ist eine große Vergleichung zu finden in ungeleichen Dingen. Aber daß man wiß, was unnütz sei, so ist Hinken unnütz und viel dergeleichen. Dorum is Hinken und desgleichen nit schön.«

Also: schön ist, was nicht häßlich ist; »so viel der Gebrechlichkeit ausgeschlossen würd, so viel beleibt das Schöne dest mehr im Werk.« Und weiter: in seinem Urteil hat sich der Künstler der Stimmenmehrheit der anderen zu fügen; »dann Viel merken mehr dann Einer. Wiewohl das auch möglich ist, daß etwan Einer mehr versteht dann ander Tausend, so geschieht es doch selten.«

Im Geiste einer solchen Stimmenmehrheits-Auffassung ist es, wenn Dürer den Künstlern den folgenden ernsten Rat gibt: »Man durchsucht oft zwei- oder dreuhundert Menschen, daß man kaum eins oder zwei schöner Ding an ihm findt, die zu brauchen sind. Dorum so thut not, willt du ein gut Bild machen, daß du van Etlichen das Haupt nehmest, van anderen die Brust, Arm, Bein, Hand und Füß, also durch alle Gliedmaß alle Art ersuchest. Dann van viel schöner Ding versammelt man etwas Guts, zu gleicher Weis wie das Hönig aus viel Blumen zusammengetragen würd.«

An Einzelheiten seiner Frühwerke ist zu merken, wie fest Dürer von diesem Auslesegedanken überzeugt war. Erfahrung und Selbsturteil ließen ihn dann mehr und mehr davon abkommen und schließlich auch den Gedanken als solchen preisgeben. Was er aber Zeit seines Lebens nicht verwarf, das ist der unbedingte Glaube an die Gültigkeit der Maße und Verhältnisse.

Beim Erlernen der Perspektive hatte Dürer es einsehen müssen, wie unerläßlich die Kenntnis dieser reinen Wissenschaft für eine gute Raumdarstellung sei. Er hatte Räumliches erst wie die anderen rein nach der Anschauung gegeben, und sah dann, welchen Irrtümern auch die beste, wissenschaftlich nicht geschulte Beobachtung noch unterworfen war. Ähnliche Fehler fürchtete er auch beim Darstellen des rein Gestaltlichen. Auch hier, meinte er, müsse es Gesetze geben, deren Kenntnis für den Künstler so unentbehrlich sei wie die der Sehpyramide bei Raumdarstellungen. Bei Jacobo war ihm die Einsicht blitzartig aufgegangen. Doch weder er noch Vitruv sagten Endgültiges. In Italien wußte er den Leonardo um ähnliches bemüht. Auch ihn vergebens. Das war kein Grund, zu zweifeln, daß die Gesetze sich doch finden müßten – ja, daß sie schon einmal gefunden waren. »Vor viel hundert Jahren sind etlich beruhmt Moler gewesen, als mit Namen der Phidias, Praxiteles, Abelles, Polteclus, Parchasias, Lisipus, Protogines und die anderen, unter denen etlich ihre Kunst beschrieben haben und zumal künstlich angezeigt, klar an Tag gebracht. Doch sind dieselben ihre löbliche Bücher uns bisher verborgen und vielleicht gar verloren ... Ich hab oft Schmerzen, daß ich der vorbestimmten Meister Kunstbücher beraubt muß sein.«

Über das bloß Sonderbare hinaus zum Allgemeingültigen sich zu erheben, war Dürers heißer Wunsch: es ist ihm gelungen in seiner Christusgestaltung, in seinen Aposteln, bei denen er schließlich alles Messen vergaß und sich nur auf das verließ, was ein inniges Erleben ihm sagte. Nicht gelungen ist es ihm bei den Mutter-Gottes-Bildern, soweit er mit Zirkel und Richtscheit das Gesetz ihrer Schönheit »herauszureißen« trachtete. Wie ein Daimonion verfolgt es ihn, und je stärker es ihn faßt, um so unheilvoller wirkt es hinüber in sein Schaffen. Am Schlusse seines Lebens hat es ihn so gut wie völlig brachgelegt. In den Jahren 1516 bis 18 scheint es mehrmals nahe daran. Starke Erlebnisse mußten kommen, die Hemmung aufzuheben. Das erstemal war es Italien und Venedig gewesen; im Jahre 1513, als wieder einmal das Zirkeln ihn nicht losließ, das Erlebnis der vom Schlag gerührten Mutter; nun in den Jahren 1518 und danach 1520 wurden die unseligen Kreise ihm zum Heile gestört durch zwei notwendige Reisen; nach Augsburg führte die eine, die andere in die Niederlande.

2

In Augsburg ging es laut her zu jener Zeit. Reichstag war angesagt. Maximilian zog ein, am ersten Augusttag, und mit ihm die hehre Sinnenfreude und Feiertagsstimmung, die kein Gewölk am Himmel litt. Großes sollte entschieden werden. Von Rom entsandte der Papst dem deutschen Kaiser Degen und Sturmhut zum Kriege gegen die Türken. Daraus nun freilich wurde nichts. Was Degen und Sturmhut! Rom schien der deutschen Christenheit ein schlimmeres Ärgernis als der Islam. Die Dinge da hinten in der Türkei hatten keine Zugkraft mehr; wenn Leo vermeinte, mit ihnen dem Reichstag Farbe zu geben, so ward seine Hoffnung schmählich enttäuscht. Trotzdem: die festliche Stimmung wurde kaum unterbrochen. Ihm Wichtigeres hatte der Kaiser im Sinn. Von den fünf Kurfürsten dachte er sich die Wahl seines Enkels, des spanischen Karl, zum deutschen König zu sichern. Wohl gab es auch da manchen Vorbehalt, aber ein bindendes Gelöbnis kam doch zustande, und Maximilian konnte zufrieden sein.

So war es im Sommer des Jahres. Anders kam es im Herbst, so gründlich anders, daß dieser denkwürdige Reichstag für uns ein Janushaupt trägt, das in zwei Welten schaut. Vom Norden her kam, der streitbare Mönch, dem Gaetaner Kardinal Rede und Antwort zu stehen. Wir sehen sie einander gegenüber, den vornehmen Herrn im Purpurmantel und den plumpen Deutschen, der für eine Sache um ihrer selbst willen stand. In seiner unbeugsamen Gradheit war er dem Gentiluomo der Kirche so zuwider, daß der die Herrschaft über sich selbst verlor und die deutsche » bestia« nicht mehr sehen wollte. Luthers Verhandeln mit Gaeta, und Luthers eilige Flucht, die Deutschland den verhängnisvollsten Scheiterhaufen ersparte, die sind es, die der Augsburger Tagung von 1518 Weltbedeutung geben. Doch als sich das begab, war Maximilian schon abgereist, und auch Dürer, der um seines Kaisers willen nach der Fuggerstadt gekommen war, war wieder in Nürnberg. So ist denn für uns der Augsburger Reichstag, wenn wir von ihm nur das sehen wollen, was Dürer sah, ohne düstere Schatten, und nur jenes andere Antlitz des Doppelkopfes, ein Antlitz voller »Frohlichkeit« nehmen wir wahr, das sich der alten Herrlichkeit zuneigte. –

Für seine besonderen Arbeiten war Dürer außer dem ständigen Leibgeding ein einmaliger Ehrensold von zweihundert Gulden zugesagt, aber noch immer nicht ausgezahlt worden. Dürer war wieder einmal »notig«, und so begleitete er die beiden Nürnberger Abgeordneten, den Ratsherrn Caspar Nützel und den Stadtschreiber Lazarus Spengler nach Augsburg, durch eine Aussprache mit Maximilian sein Geld zu erwirken. Es wurde ihm von neuem zugesagt, Martini 1519 sollte er es von der Nürnberger Stadtkasse namens des Kaisers erheben. Wichtiger als diese äußere Angelegenheit ist, daß Dürer durch die weltfrohe Stimmung um ihn her wieder herausgerissen wurde aus seinem Grüblerwahn. Die Erde hatte ihn wieder, und in einer Reihe herrlicher Werke konnte er seine Lebensarbeit weiterführen.

Gleich das erste, eine einfache Bildniszeichnung, mit Kohle ausgeführt, wird mit Recht von den besten Kennern Dürers großzügigsten Werken beigezählt. Dargestellt ist Maximilian. Von den Umständen, unter denen das fast lebensgroße Bild (jetzt in der Albertina) zur Aufnahme kam, heißt es in der Beischrift: »Das ist kaiser Maximilian, den hab ich Albrecht Dürer zu Awgsburg hoch oben awff der Pfalz in seim klein stüble kunterfett, do man tzalt 1518 am mandag nach Johannis tawffer« (28. Juni). Auch dieses gütig blickende und doch adlig stolze Antlitz ist ein geschichtliches Urteil und eine Richtigstellung gegen die Verkleinerer und Bespöttler Maximilians.

Die Sitzung des Kaisers kann nur kurz gewesen sein. Die Eile, mit der die kennzeichnenden Striche hingeworfen sind, die bloßen Andeutungen des Damastmusters auf dem Kragen beweisen das. Maximilian mochte damals nicht in der Stimmung zum Modellsitzen sein. Wie wohl ihm trotzdem die Gegenwart Albrecht Dürers tat, zeigt eine hübsche, durch Melanchthon verbürgte Erzählung. Der Kaiser entwarf ein Bild, das er von Dürer ausgeführt haben wollte. Er nahm die Kohle, aber es ging nicht recht, der Stift brach mehrmals ab. Da nimmt Dürer den Stift selbst in die Hand und bringt den Entwurf leicht zu Ende. Der Kaiser fragt erstaunt, wie es komme, daß die Kohle nun hielt. Dürer gibt zur Antwort: »Gnädigster Herr, ich möchte nicht, daß Euer Majestät so geschickt zeichnen könnte wie ich.« Melanchthon deutet die Antwort aus mit der Bemerkung » aliud est sceptrum, aliud plectrum«, dem einen das Szepter, dem anderen die Laute; ein Kaiser versteht sich aufs Regieren, ein Maler aufs Zeichnen.

Der Apostel Philippus (1526)

Dürer hat seines Kaisers auch nach dessen Tode immer treu gedacht. Nicht weniger als vier Werke hat er aus jener einzigen Zeichnung herausgeholt: zwei Gemälde (in Wien und Nürnberg) und zwei Holzschnitte. Auf dem Wiener Bild werden in einer Beischrift die Tugenden Maximilians in lateinischer Sprache gerühmt und mit dem Wunsche geschlossen: » Quem devs opt. max. in numerum vivencium referre velit«, möge ihn Gott der Allmächtige und Allgütige in die Schar der Seligen aufnehmen. Auf dem einen Holzschnitt, dem prächtiger ausgestatteten, heißt es: »Der Teur Fürst Kayser Maximilianus ist auff den XII. Tag des Jenners seins alters Im LIX. Jar seligklich von dyser Zeyt geschayden Anno domini 1519.«

Noch andere Bilder hat Dürer in Augsburg aufgenommen. Die wichtigsten sind nächst dem Kaiser die Kardinäle Lang von Wellenburg und Albrecht von Brandenburg. Das letztgenannte nahm er zur Vorlage eines Kupferstichs, den er im Jahre 1519 herausgab, um dieselbe Zeit, als auch die beiden holzgeschnittenen Kaiserbilder erschienen. Es sind die ersten Bildnisblätter für den Markt, ein Gebiet, das Dürer für Deutschland geschaffen und in den folgenden Jahren selbst so stark erweitert hat, daß eine ganze üppige Kunstgattung auf ihm gedeihen konnte. Auf eine Augsburger Anregung scheint auch nach der Art der Behandlung das Blatt mit der »Feldkanone« zurückzugehen. Neben einem Schuppen, vor dem eine Wache mit geschulterter Lanze auf und nieder geht, hat man die schwere »Büchse« aufgefahren; sie gehört zur Nürnberger Wehr, wie das Wappen am Laufende anzeigt. Eine Gruppe fremdartiger Besucher tritt unter militärischer Begleitung näher, und ein Ritter, den Arm auf dem Lauf, erklärt das Mordzeug, das in seiner stummen Bedrohlichkeit so scharf absticht gegen die dörflich stille Landschaft.

Das Blatt ist ein Eisen- oder Stahlstich, ausgeführt mit den Mitteln der Radierung, deren erste tastende Versuche damals begannen. Die Harnischmacher waren darauf gekommen, mit einer verdünnten Säure den Rüstungen Ziermuster einzuritzen, und einer der ihren, August Hopfer aus Augsburg, war dazu übergegangen, entsprechend behandelte Eisenplatten zu Bildzwecken auszunutzen, um mit ihnen dem Kupferstich einen Wettbewerb zu machen. Dürer hatte schon 1515 und 16 die Sache ausgeprobt, veranlaßt wahrscheinlich (bündig beweisen läßt es sich nicht) durch das Augsburger Verfahren. Er hatte es dann wiederaufgegeben. Daß er es nun 1518 noch einmal auf einem so umfangreichen Blatte wagt, macht eine Anregung durch Hopfers Werkstatt glaubhaft. –

Und wieder, wie immer, wenn die Schöpferkraft sich stärker in ihm regt, nähert Dürer sich dem Volk. Nach den frostig gemalten und gestochenen Marienbildern, die wie Pflichtarbeit anmuten, fühlt man wieder die alte Wärme vor dem stattlichen Holzschnitt »Maria unter Engeln«. Etwas gar feierlich sitzt sie ja da auf ihrem Thron unter der kostbaren Krone. Dürer hatte eben mit dem Formschnitt lange Jahre nur in höfischen Diensten gestanden. Aber wie luftig ist das Durcheinander der Engel! Das reicht fast hinan an die Traulichkeiten des Marienlebens. Ganz besonders liebevoll ist das Konzert zur Linken Marias durchgeführt. Ein ungezogener Engelbub, der einem kleinen Pfeifenbläser das Notenblatt vor der Nase wegzieht, macht dem Jesuskind so viel Vergnügen, daß es strampelt vor Ausgelassenheit.

Auch im Kupferstich lebt wieder die alte Frische auf. Ein Griff ins volle Menschenleben sind die »Marktbauern«. Eier und Geflügel haben sie aus ihrem Dorf zur Stadt gebracht. Der Alte scheint schlaftrunken von der frühen Morgenfahrt und dem ewigen Ausrufen, sie ein wenig belustigt über sein Bemühen, trotzdem forsch dazustehen. Dürer hat immer Sinn gehabt für das Drollige der ungeschlachten Bauern, nie aber hat seine Schilderung jener Städter-Überheblichkeit gedient, die sich in den Fastnachtsspielen in so roher Weise über den Dörfler hermachte, und die man sich erst in den Bauernkriegen abgewöhnen lernte. Dürers Verständnis für das niedere Volk, wie wir es kennen seit dem Marienleben, zeigt auch dieses Bildchen, das trotz seines leisen Spottes uns die Mühseligkeit der Kleinen mitfühlen läßt.

Das köstlichste Blatt Dürers aus jenen beiden Jahren aber ist der »heilige Antonius«. Weither ist er gewandert bis vor die Mauern einer hochgetürmten Stadt. Am Flußufer hält er Rast, stößt seinen Kreuzstab mit dem Glöckchen ins Gras und zieht ein Buch hervor: er will sich sammeln, ehe er unter die Menschen kommt. – Kluge Männer haben viel Schönes gesagt von den Freuden, die ein schönes Buch uns geben kann. Nie aber wurde das hohe Lied des Buches reiner angestimmt als in diesem kleinen Blatt. Wie lauscht der alte Einsiedelmann der stummen Rede seines Büchleins! Wie zärtlich umspannen es die Finger! Wie umfängt er es mit seiner ganzen Gestalt! Bis in die Zehenspitzen hinein ist er ganz Aufmerksamkeit. Wenn wir es nicht längst schon wüßten, dann erführen wir es hier, welch ein begeisterter Freund von Büchern Albrecht Dürer war.

3

Als kranker Mann schied Maximilian am 28. September 1518 von Augsburg. Eine seiner letzten Anordnungen war, daß er Martin Luther, dessen Ankunft in einigen Tagen erwartet wurde, der Milde des päpstlichen Sendboten empfahl. Beim Wegreiten wandte er sich noch einmal um und sprach die müden Worte: »Segne dich Gott, du liebes Augsburg, und alle frommen Bürger drinnen. Wohl haben wir manchen guten Mut in dir gehabt, nun werden wir dich nicht mehr wiedersehen.« Er hatte wahrgesprochen: in der Einsamkeit der Welser Burg in Oberösterreich ist er am 12. Januar 1519 gestorben. Mit ihm starb die alte Zeit. Für das ganze Deutschland kam nun eine Wende, wie sie der Augsburger Reichstag beim Nahen Luthers erfuhr: jenseits das alte Reich und seine Herrlichkeit, diesseits eine harte, düstere Zeit mit dem ehernen Gebot, sich neu sein Erbe zu erwerben.

Maximilian war tot: auch für Dürer war das eine Lockerung von alten Sicherheiten. Noch waren ihm die vom Kaiser zugesagten 200 Gulden nicht ausgezahlt. In einer Eingabe vom 24. April schickt er dem Rat die kaiserliche Anweisung und bittet: »Nun bin ich zu Eurer Ehrbarkeit ja der untertänigen hohen Zuversicht, dieselb werde mich als ihren gehorsamen Burger, der viel Zeit in Kaiserlicher Majestät als unser aller rechten Herrn Dienst und Arbeit und doch ohne große Belohnung zubracht und domit andern seinen Nutz und Vortheil merklich versaumt hat, günstlich bedenken und mir sölche zweihundert Gulden auf Kaiserlicher Majestät Geschäft und Quittung itzo folgen lassen.« Dürers Bitte wurde abgeschlagen. Nicht genug damit: sein jährliches Leibgeding stand in Frage. Der Rat war nicht sicher, daß Maximilians Nachfolger es anerkennen werde, und so war Dürer gezwungen, zur Einholung einer Bestätigung den neuen Herrn aufzusuchen. Man erwartete den Herrscher in den Niederlanden: Dürer entschloß sich, ihm entgegenzufahren. Das war die Veranlassung zu der berühmten niederländischen Reise, die dem Fünfzigjährigen noch einmal eine neue Jugend geben sollte.

Am 12. Juli 1520, einem Donnerstag, hielt der Reisewagen vor dem Haus am Tiergärtner Tor. Es war keine fröhliche Abfahrt, niemand von Dürers Freunden war zugegen. Eine Pest war ausgebrochen, und wer es irgend schaffen konnte, war mit den Seinen auf die Dörfer und weiter hinaus ins Land geflüchtet. Es war selbstverständlich, daß Dürer seine Frau nicht in der verpesteten Stadt zurücklassen konnte, und so nahm er sie und ihre Magd Susanne mit auf die Fahrt. Zum Gepäck kamen eine Menge Kunstsachen: mehrere Bilder, ganze Stöße von Kupferstichen und Holzschnitten, darunter auch solche ihm nahestehender Künstler wie Schäufelin und Hans Baldung Grien. Als Selbstverleger durfte Dürer die gute Gelegenheit nicht versäumen, unterwegs von seinen Sachen abzusetzen. Zudem waren die Arbeiten als Geschenke eine vortreffliche Einführung bei einflußreichen Herren.

War die Abfahrt trübe gewesen, so lag es schon über dem ersten Reiseziel, der Bischofstadt Bamberg, wie lautere Sonne. Mit bestem Erfolg versuchte Dürer die empfehlende Kraft seiner Geschenke. Er verehrte dem Bischof Georg, der ihn als einen Mann von Ruf mit allen Ehren empfing, »ein gemalt Marienbild, unserer Frauen Leben, ein Apocalypsin und für ein Gulden Kupferstück«. Da »löste« ihn der Bischof aus der Herberge, wo er »bei einem Gulden« verzehrt hatte, und gab ihm drei wichtige Empfehlungsschreiben und einen Zoll- und Freibrief mit auf den Weg. Der Zollbrief namentlich war eine sehr angenehme Sache. Wie ein Kehrreim geht es durch die ersten Seiten des Tagebuches, in dem Dürer seine großen und kleinen Erlebnisse verzeichnet und Haushalt führt: »Do wies ich mein Zollbrief, do ließ man mich frei.« Der Schlagbaum gehörte überall zum deutschen Landschaftsbild, und es war von hohem Wert, auf eine weite Strecke hinaus durch keinerlei Sperre belästigt zu sein.

Auch sonst hat Dürer kaum Anlaß, kleinlicher Scherereien zu gedenken, dagegen kann er mit freudigem Stolz feststellen, wieviel sein Ruhm in deutschen Landen gilt. Wohin er kommt, ist man beflissen, ihm den Willkommentrunk (den er nicht nur als Sinnbild gern entgegennimmt) in die Herberge zu senden. Schon in Bamberg waren die Maler so zu ihm gekommen. In Frankfurt, wo Heller wohnt, wiederholt es sich, ebenso in Mainz. »Item Peter Goldschmidt,« heißt so ein Reisevermerk, »hat mir zwo Flaschen Wein geschenkt. So hat mich Veit Farnpühler geladen, aber sein Wirt wollt keine Zahlung von ihm nehmen, sondern selbst mein Wirt sein. Und sie beweisten mir viel Ehr.«

Zu Schiffe geht es dann stromab nach Köln, wo ihm Hieronymus Fugger den Trunkgruß entbietet. »Auch hat mir Jan Chrosenpeck den Wein geschenkt. Auch hat mir mein Vetter Niclas den Wein geschenkt. Auch hat man uns ein Collation im Barfüßerkloster geben, und der ein Münch hat mir ein Fazalet geschenket ( fazzoletto, Taschentuch). Mehr hat mir Herr Johann Großerpecker 12 Maß des besten Weins geschenkt.«

Zu einem wahren Triumph aber steigert es sich, als Dürer nach einer langen Wagenfahrt von Köln aus endlich am 5. August in Antwerpen eintrifft, oder Antorff, wie es damals noch niederdeutsch hieß, dem Ziel seiner Reise und Standort aller weiteren Pläne. »Am Sonntag was auf Sankt Oswaldt-Tag da luden mich die Maler auf ihr Stuben mit meinem Weib und Magd und hätten alle Ding mit Silbergeschirr und andern köstlichen Gezier und überköstlich Essen. Es waren auch ihre Weiber alle do. Und do ich zu Tische geführt ward, do stund das Volk auf beeden Seuten, als führet man einen großen Herren. Es waren auch unter ihnen gar trefflich Personen von Namen, die sich all mit tiefen Neigen auf das Allerdemütigste gegen mir erzeugten. Und sie sagten, sie wollten alles das thun, als viel möglich, was sie weßten, das mir lieb wäre. Und als ich also bei verehrt saß, da kam der Herrn von Antorff Ratsbot mit zweien Knechten und schenket mir von der Herren von Antorff wegen 4 Kannen Wein, und ließen mir sagen, ich soll hiemit von ihnen verehrt sein und ihren guten Willen haben. Das sagte ich ihnen unterthänigen Dank und erbot meine unterthänige Dienst. Darnach kam Meister Peter, der Stadt Zimmermann, und schenket mir zwei Kannen Wein mit Erbietung seiner willigen Dienst. Also, daß wir lang fröhlich beieinander waren und spat in die Nacht da beleitten sie uns mit Windlichtern gar ehrlich heim und baten mich, ich sollt ihren guten Willen haben und annehmen und sollt machen, was ich wollt, darzu wollen sie mir all behülflich sein. Also dankte ich ihnen und legt mich schlafen.«

Hieronymus Holzschuher (1526) – Berlin, Kaiser Friedrich-Museum

Es waren dieselben Niederlande, in denen Dürers Vater einst von Stadt zu Stadt nach Arbeit gezogen war. Wie einen Fürsten empfing man den Sohn. Es hatte sich wahrlich manches geändert seither, und Dürer durfte sich sagen, daß es ihm allein zu verdanken war, wenn der deutsche Künstler, einst nur als »Schmarutzer« angesehen, nun als ein Herr gefeiert wurde.

In der Herberge des Jobst Plankfeldt nahm Dürer Wohnung. Er selbst tafelt mit dem Wirt zusammen im Zimmer unten, Weib und Magd führen droben gesondert Küche. Es gibt unendlich viel zu sehen; Gebäude, Festzüge, Gemälde, Merkwürdigkeiten. Wertvolle Bekanntschaften werden gemacht, wie mit Massys, Patinir, vor allem dem Erasmus, den er brieflich ja lange schon kannte. Noch immer ist der König nicht in Sicht, und Dürer schafft sich inzwischen allerlei Arbeit; Bildniszeichnungen namentlich, aber auch mit allem Fleiß durchgeführte Ölbilder. Von den mitgebrachten Blättern wird fleißig verkauft, vertauscht und verschenkt. Und was wird nicht alles aufgestapelt für daheim in Nürnberg! Der Geist der alten Kuriositätenkabinette scheint Fleisch und Blut geworden im Sammler Albrecht Dürer. Elfenbeindinge, Alabaster, Porzellane, indianische Nüsse, kalekuttische Schilde, Korallen, Pulverhörnlein, Tiergeweih, Schalen aus Ahornholz, Paternoster aus Zederbaum usw. usw. Es muß viel zu sehen gewesen sein im Haus am Tiergärtner Tor nach der Heimkehr aus Niederland.

Ein Kulturbild für sich ist es, wenn Dürer, der Sohn des alten Europa, staunend vor den Schätzen des neuentdeckten Mexiko steht, die für den König angekommen sind: »Auch Hab ich gesehen die Ding, die man dem König aus dem neuen gulden Land hat gebracht, ein ganz guldene Sonnen, einer ganzen Klafter breit, desgleichen ein ganz silbern Mond, auch also groß, desgleichen zwo Kammern voll derselbigen Rüstung, desgleichen von allerlei ihrer Waffen, Harnisch, Geschütz, wunderbarlich Wehr, seltsamer Kleidung, Bettgewand und allerlei wunderbarlicher Ding zu manniglichem Brauch, das so viel schöner anzusehen ist dann Wunderding. Diese Ding sind alle köstlich gewesen, daß man sie beschätzt um hunderttausend Gulden wert. Und ich Hab aber all mein Lebtag nichts gesehen, das mein Herz also erfreuet hat als diese Ding. Dann ich Hab darin gesehen wunderliche, künstliche Ding und Hab mich verwundert der subtilen Ingenia der Menschen in fremden Landen.«

*

Am 23. September hielt der König seinen Einzug in Antwerpen. Die Antorffer verstanden sich auf solche Sachen. Schon bei einem Umzug am Himmelfahrtstag hatte Dürer die verschwenderische Pracht solch einer Schaustellung bewundert. Ins Leben selbst sah er hier übertragen, was sein armer Kaiser nur auf dem Papier hatte träumen können. Beim Einholen des Königs war nun alles vollends übertrieben. Durch vierhundert Bogen bewegte sich der Zug, »ein jeglicher 40 Schuh lang, auf beiden Seiten der Gasse aufgemacht, hübsch geordnet, zweier Gaden (Stockwerke) hoch«. Alle Bogen waren »köstlich geziert mit Kammerspielen (Schaustellungen), groß Freudigkeit und schöne Jungfraubilder, dergleichen ich wenig gesehen hab«. Auf seine schönen Weiber war Antorff ganz besonders stolz, und mit einer gradezu orientalischen Weitherzigkeit stellte man die schönsten fast nackt zur Schau, nur von ganz dünnen, durchsichtigen Schleiern umflattert. Der König, erzählte Dürer später Melanchthon, habe sie keines Blickes gewürdigt, er aber als Maler habe sich schon ein bißchen dreister umsehen dürfen.

Bald danach fuhr König Karl wieder ab. Dürer hatte keine Gelegenheit gefunden, an ihn heranzukommen. Es blieb ihm nichts übrig, als ihm nach Aachen zu folgen, wo man sich zur Kaiserkrönung rüstete. Am 7. Oktober kam Dürer dort an. Es gab wieder viel zu sehen; »die proportionirten Säulen mit ihren guten Capitälen von Porphit grün und rot und Gossenstein, die Carolus von Rom (in Wirklichkeit war es Ravenna) dahin hat bringen lassen und do einflicken«; ferner »Kaiser Heinrichs Arm, unserer Frauen Hemd, Gürtel und ander Ding vom Heilthum«. Über alle Maßen herrlich war die Feier am 23. Oktober. Da »hat man König Karl zu Aach gekrönt, da hab ich gesehen alle herrliche Köstlichkeit, desgleichen Keiner, der bei uns lebt, köstlicher Ding gesehen hat«. Aber in all der Herrlichkeit hatte der Neugekrönte wieder keine Zeit für den Maler aus Nürnberg, und abermals muß Dürer seiner Bestätigungsurkunde nachreisen.

Endlich, in Köln ist es soweit, und Dürer kann am 12. November in sein Tagebuch vermerken: »Mir ist mein Confirmacia von dem Kaiser an mein Herrn von Nürnberg worden am Montag nach Martini, im 1520 Jahr, mit großer Mühe und Arbeit.« Von den zweihundert Gulden, die er außerdem haben sollte, ist nicht mehr die Rede. Er muß sich drein finden, wie er die vielen wertvollen Geschenke verschmerzen muß, durch die er sich langsam an sein Ziel herangearbeitet hatte. Die Hauptsache blieb, daß er sein Leibgeding nun sicher hatte auf Lebenszeit und er nicht mehr für die Zeit zu fürchten brauchte, da einem »abgeht am Gesicht und Freiheit der Hand«.

4

Zehn Tage danach war Dürer wieder in Antwerpen. Der geschäftliche Zweck seiner Reise war erreicht, aber bis zum Juli 1521 zog die Heimreise sich hin. Wir wollen hier nicht noch einmal das ganze Tagebuch in seiner Buntheit nacherzählen, die Fahrten kreuz und quer nach Mecheln, Brüssel, Brügge, Gent, Malcheren, die vielen Mahlzeiten tief in die Nacht hinein mit feierlichem Heimgeleit, die ehrenvollen Aufnahmen bei der Statthalterin Margarethe, dem König Christian von Dänemark, dem Kaiser selbst, der noch einmal zurückkam. Eins nur muß hervorgehoben werden als im höchsten Grade wesentlich: der Rat von Antwerpen bot ihm ein stattliches Haus zum Geschenk, dazu ein Jahresgehalt von 300 Gulden und die Zusicherung, jede Arbeit, die er dem Rate leisten würde, besonders zu vergüten. Mit Dürers eigenen Worten: »Desgleichen hat mir der Rat zu Antorff bei kurzer Zeit, als ich in Niederland war, alle Johr dreihundert Philippsgulden Besoldung geben, mich bei ihnen frei setzen, mit einem wohlerbauten Haus verehren und darzu alles das, so ich der Herrschaft machet, insunders bezahln willn.«

Diese einfache Tatsache ist wie eine Quersumme alles dessen, was das Vielerlei des Tagebuchs zu sagen hat. Dauernd heimisch werden konnte Dürer nicht in den Niederlanden. Sie redeten dort wohl eine der seinen verwandte Sprache, aber ihre Art zu denken und ihre Sitte waren seinem Wesen fremd.

Pracht und eitel Sinnenfreude sah Dürer, wo er hinkam. Die Kraft in alledem aber war nicht die strahlende Heiterkeit des sonnenfrohen Nordens. Etwas Schwüles, das unserer Art nicht taugt, lauerte darin. Die nackten Mädchen, die beim Einzuge Karls auf den Straßen allem Volk zur Schau gestellt wurden, sind dafür das rechte Sinnbild. Der Westen Europas hat sich bis tief in frühgeschichtliche Zeiten hinein (was man so das »Keltische« nennt) einer solchen verweichlichten Kultur willfährig erwiesen. Rassendurchsetzungen vom Süden her mögen den Boden bereitet haben. Das ist es gewesen, was in der Folge eine besondere belgische Kultur von der holländischen löste. Im 16. Jahrhundert geschah es, daß wir den belgischen Gau, germanisches Kernland vordem, verloren und in eine lateinische Provinz sich wandeln sahen.

Eine tiefer schürfende Geschichte der südniederländischen Kultur würde sich eingehend mit den »Kunstwerken des Augenblicks« beschäftigen müssen, für die bei kirchlichen wie weltlichen Festen so große Summen künstlerischer Kraft vergeudet wurden. Wir lesen bei Dürer von dem erwähnten Himmelfahrtsumzug Einzelheiten wie diese: »Do trugen 20 Personen die Jungfrau Maria mit dem Herrn Jesu auf das Köstlichst geziert, zu Ehren Gott dem Herrn. Und in diesen Umgang war gar viel freudenreichs Dings gemacht und gar köstlich zugerichtt. Dann do führet man viel Wagen, Spiel auf Schiffen und andern Bollwerk. Darunter was der Propheten Schaar und Ordnung, darnach das neu Testament, als: der englisch Gruß, die heiligen 3 König auf großen Kameelthieren und auf andern seltsamen Wundern reitend, gar artig zugerichtt, auch wie unser Frau in Ägypten fleucht, fast andächtig, und viel ander Ding, hie um kurz willen unterlassen. Auf die Letzt kam ein großer Drach, den führet S. Margareth mit ihren Jungfrauen an einer Gürtel, die was forder hübsch. Der folget nach S. Georg mit seinen Knechten, gar ein hübscher Kürisser (Ritter). Auch ritten in dieser Schaar, gar zierlich und auf das köstlichs bekleidet, Knaben und Mägdlein, auf mancherlei Landsitten zugerichtt, anstatt mancherlei Heiligen.« – Das sind Folgen von wohldurchgearbeiteten Bildern, die Unsummen von Schaffenskraft auf die Straße warfen und rückwirkend wiederum dem Schaffen daheim die Richtung wiesen.

Die Anregung zu derlei Festen, die bei weltlichen Gelegenheiten das Äußerste boten, kam aus Italien. Schon um die Mitte des 15. Jahrhunderts waren dort bestimmte Überlieferungen fest, nach denen bei Triumphzügen eine fahrende Gruppe mit allegorischen Weibern, der Fortuna etwa mit den sieben Tugenden, nicht fehlen durfte. So weit wie in Antwerpen gingen sie in Italien nicht, mindestens nicht in der Öffentlichkeit der Straße. An solchen Zügen übte sich die Kunst. Zur Vollendung kam es hier erst später in Peter Paul Rubens, dem Auserwählten der romanisch gewordenen Niederlande. Vergleichen wir ihn mit den zu Dürers Zeit lebenden Flamen,, Mabuse oder Ward van Orley, so scheinen deren Werke freilich noch zahm, ja herbe. Am Vergangenen müssen wir sie messen, um zu erkennen, wie sehr sie bereits auf Rubens gestimmt waren, wie stark im Laufe eines Jahrhunderts das Land des Hubert van Eyck schon romanisiert worden war.

Das dürfen wir niemals vergessen, wenn immer wieder von den »romanischen Anregungen« gesprochen wird, die sich Dürer und die Niederländer gleichermaßen aus Italien geholt hätten, und die das belgische Kunstleben noch immer dem deutschen hätte verwandt erscheinen lassen. Gewiß waren die Anregungen selbst einerlei Art. Aber in wie weltverschiedener Weise wurden sie benutzt! Bei Dürer über die großen Gemälde zu der gemessenen und starken Kunst der Erneuerung, bei den Niederländern über das Spiel mit Allegorien zu einer Sinnlichkeits-, nicht aber einer Sinnenkultur.

Die »vier Evangelisten« (1526) – München, Alte Pinakothek

So lagen die Dinge um 1520; das mußte der Deutsche als Künstler im tiefsten empfinden und sich klar sein, daß hier seines Bleibens nicht war. Schwelgerei und Taumel waren es, was die Kunst bei denen in Niederland auszulösen begann: in Dürer wirkte sie einen Ernst, der sich steigern sollte bis zum heiligen Zorn. Die stärkste Anregung war für Dürer nicht die lebende Malerei der Niederländer, deren er kaum gedenkt, sondern die versunkene Kunst der Eycks, von deren Genter Altar er sagt: »Das ist ein überköstlich, hochverständig Gemäl, und sonderlich die Eva, Maria und Gott Vater sind fast (= fest, sehr) gut.« Und stärker noch als alle Kunst wirkte auf ihn die in der Tiefe gärende Bewegung, die der deutschen Neugestaltung ein Ende zu bereiten drohte. Wenn sein niederländisches Tagebuch mit Recht als ein Zeugnis ersten Ranges für unser aller Kultur geachtet wird, dann ist es, weil sich in ihm jene ergreifenden Worte aufgezeichnet finden, die die Kunde von Luthers vermeintlicher Gefangennahme Dürer eingaben.


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