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IX

Venedig

 

1

Hinter uns versinkt die deutsche Stadt mit Berg und Burg, mit Giebeln und Türmen; vor uns ersteht – nein: breitet sich aus Venedig. Die Stadt des Nordens war gebaut, hier diese ist gehöhlt. Wir kennen die andere Wesensart des Südens, und was sie bedingt hat. Auch in den engsten, verbautesten Gassen der alten deutschen Stadt ist jedes Haus für sich wie aus einer eigenen ihm innewohnenden Kraft emporgetrieben. Hier aber scheinen die Straßen ausgehöhlt aus der nämlichen Steinschicht und hinterher erst durchsetzt mit den Schächten ihrer Höfe und den Stollen ihrer Wohnanlagen. Kuppeln wölben sich über der endlosen Steinmasse. Zu stolzer Höhe steigen ihrer einige empor, doch auch sie beharren in der erdenschweren, gesättigten Ruhe der gesamten Siedelung.

Wir treiben auf gleitender Gondel durch die schweigenden Kanäle, die Werke im einzelnen zu sehen. Ein wirres Nebeneinander verschiedenster Formen scheint mancherlei Zungen zu sprechen, und es ist doch stets die gleiche Sprache. Handel und Reichtum haben Venedig werden lassen. Die Bogenhallen des Erdgeschosses sind dem Wasser zugewendet, stets gewärtig, entgegenzunehmen, was die Schiffe ihnen an Frachten zuführen. Darüber gelagert die Wohngeschosse. Buntes Marmorwerk sucht die starren Flächen zu beleben, aber alle Farbenpracht des fernen Ostens vermag ihnen doch keine Gliederung zu geben. Das Rahmenwerk der Türen und Fenster umspielen alle Stile der Welt, aber alle müssen sie sich dem besonderen Stil Venedigs fügen, der ihnen ohne Ausnahme Freistatt gewährt, und sie ohne Ausnahme sich untertan macht.

Wieder einmal können wir vom Kunstwerk Geschichte ablesen. Die wunderbare Kraft, das Fremdeste selbst, das ihr von außen zukommt, sich völlig anzuarten, ist wie der venezianischen Kunst so auch der venezianischen Politik zu eigen. Venedig teilt diese Fähigkeit mit allen anderen Inselstaaten, denen es gegeben ward, sich auf sich selbst zu stellen. Von Kreta und Mykene bis Japan und England ist es ewig dasselbe. Die gemeinsamen Züge besonders mit England sind überraschend. Venedig, charakterisiert es Herman Grimm, war, »als bestünde England heute nur aus Cypern, Gibraltar, Irland, Indien, Australien und Kanada, und als regierender Mittelpunkt dafür London, aber ohne England, die Stadt allein, mitten im Meere liegend«. Außer England wären Amerikas vereinigte Staaten zu nennen, die, wenngleich einen halben Weltteil füllend, doch bis zur Stunde sich ein Inseldasein im Ozean der Völker wahren konnten.

Alle nach Venedig Gelangenden sind voll des Lobes über die vermeintliche Freiheit, die ihnen der gastliche Staat dort bietet. Sie bestaunen den Reichtum, der von allen Weltrichtungen her wie von einem Riesenmagneten angezogen wird, und sich umsetzt in »Werke der Kultur«. Die Reichen scheinen zu wissen, was sie dem Staate schuldig sind. Nirgends wird der öffentlichen Wohltat mehr gewährt als hier. Und welch ein politisches Volk ist hier an der Arbeit! An der Spitze Männer, die schweigen können, die nichts für sich unrecht erstreben, für ihren Staat indessen jeder Handlung fähig sind. Die Masse ein Volk, das vom Hader der Parteien gewiß nicht frei ist, aber einig jederzeit gegen das Ausland.

Als Vormacht der Kultur wurde Venedig von den Damaligen bewundert. Was ist es, das in einem solchen Urteil als Kultur bewertet wird? Für Menschen der äußeren Form etwas Vollendetes, für uns, wenn wir zu Ende denken, nur ein blendender Schein. Der Edelmensch der romanischen Rasse, der Gentiluomo bildete seine besten Züge aus im Inselstaat Venedig. Doch in der Bildung solcher Züge verbrauchte er auch seine Kraft. Es blieb, wie bei Amerika, als ein Gespenst im Blute das schlimme Erbe jener Abenteurer, die als erste zusammentraten in der unnahbaren Siedlung, und es blieb der verkrämerte Geist, der adliger Gesinnung unzugänglich war und unaufhaltsam dem Verderben näher trieb.

*

Das beginnende 16. Jahrhundert sah die Macht des Inselstaates zu ihrer größten Wirkungsmöglichkeit gesteigert. Es wußte diese Macht nach besten Kräften auch gegen den deutschen Norden auszuspielen.

Um Deutschland zog sich wieder einmal der eherne Ring zusammen. Jene Einkreisungspolitik wurde wirksam, die noch jedem Erstarken deutsch-mitteleuropäischer Kultur gefolgt war. Im Städtewesen hatten wir damals den festesten Stützpunkt unserer Kultur: gegen das Städtewesen rückte es vor, von allen Seiten. Schon war 1361 mit der Zerstörung Wisbys ein wesentlicher Teil des Nordens, und 1494 mit dem Fall Nowgorods auch des Ostens verlorengegangen. Langsam regte sich nun auch der Süden, und von keiner Stätte aus wurde dem Deutschtum planmäßiger entgegengearbeitet als eben von Venedig; nicht mit kriegerischen Mitteln, sondern mit denen einer in allen Ränken wohlerfahrenen Politik.

Die Venezianer waren zu klug, um das Stromnetz des deutschen Handels, das auch sie zu ihrem Vorteil nutzen konnten, einfach abzuschnüren. Es genügte ihnen, daß der Stapelplatz zwischen Morgen- und Abendland, zwischen Nord und Süd seit den Kreuzzügen mehr und mehr den Donauländern genommen wurde und an Venedig kam. Sie ließen den deutschen Handel gewähren und unterstellten ihn nur einer immer strengeren Aufsicht. Das Kaufhaus der Deutschen, der Fondaco dei Tedeschi an der Rialtobrücke, war venezianisches Staatseigentum, von Beamten der Republik verwaltet und bewohnt. Nur an dieser Stelle, an der man sie stets in der Hand hatte, durften die deutschen Händler absteigen. Die Gondelführer hatten Weisung, sie nur dorthin zu bringen. Späher waren hinter ihnen her, jeden irgend verdächtigen Handel der Behörde zu melden. Es war das made-in-Germany-System der späteren Engländer, einfacher, weil auf einfachere Verhältnisse zugeschnitten, aber in seinen schlichten Mitteln auch unvergleichlich tiefer greifend.

Politische Machenschaften gingen Hand in Hand mit den geschilderten. Ein gutes Beispiel für ihre Art sind die Ränke, mit denen man von Venedig aus den für 1506 geplanten Romzug Maximilians zu hintertreiben wußte. Das sind indessen Dinge, die im einzelnen zu verfolgen zu weit führen würde. Auch die allgemeine Kunstentwicklung, die das Gotisch-Deutsche immer stärker unterdrückte und den Wandel des Ganzen klar erkennen läßt, mag nur angedeutet bleiben. Uns fesselt einzig die Sache Dürers. So eng umgrenzt sie ist, enthält sie gleichwohl die Anzeichen dessen, was sich damals in Venedig vorbereitete.

Wir wissen, daß es auch Dürer die sichere Art der Gentiluomini angetan hatte. Wir wissen ferner, was die Form ihm damals sein mußte, und wie er dieses Elementes nicht entraten konnte. Eine Gefahr lag für ihn in der venezianischen Art. Wie stark sie war, läßt uns die spätere Zutat der Großen Passion erkennen. Vier Jahre lang hat er mit dem Widerstreit gerungen, den der romanische Geist in seine Seele trug. Er ist auch dieser Gegensätze Herr geworden in jenem männlich festen Entschluß, der ihn dann die »große« Malerei trotz alles lockenden Ruhmes aufgeben ließ für lange Zeit.

Nicht Mangel an Aufträgen war es, was ihn bestimmte. Aufträge hätten sich schaffen lassen (von einem sehr gewinnreichen, den er »glatt abgeschlagen«, ist im 8. Brief an Heller die Rede). Die Frankfurter Altartafel wollte man »gleichsam mit Gewalt« von ihm haben und bot ihm fast das Dreifache des ursprünglichen Preises. Er konnte andere Tafeln dafür entwerfen und sich auf diese italienisierende Malerei festlegen. Wir hätten dann einen lateinischen Dürer oder einen deutschen Rubens in ihm bekommen, einen genialen Virtuosen, die Begeisterung aller derer, die auf den Satz eingeschworen sind »Kunst ist Form«. Das Schicksal hat es gut mit uns gemeint, als es Dürer diese Art Monumentalität verleidete. Die Gunst der international Vornehmen hat dadurch verloren, nicht aber die Liebe des deutschen Volks.

2

In der deutschen Kolonie war, als Dürer im Winter 1505 in Venedig ankam, lebhafter als sonst von Dingen der Kunst die Rede. Vor Jahresfrist war der Fondaco dei Tedeschi niedergebrannt. Ein erweiterter Neubau wurde beschlossen, und Ende Juni erklärte die Signoria sich nach langen Verhandlungen damit einverstanden, daß der Auftrag dem deutschen Baumeister Hieronymus zufiel. Bezeichnend war ihre Bedingung, daß an dem Neubau weder Marmor noch erhabene Arbeit verwendet werden dürfe. Die offenbare Absicht, dadurch das deutsche Ansehen zu schädigen, wußten die Kaufleute so zu umgehen, daß sie die Außenmauern ihres Hauses von Tizian und Giorgione mit Fresken ausmalen ließen; was weder Marmor noch erhabene Arbeit war – nur stattlicher als beides.

Dürers Mutter (1514) – Berliner Kupferstichkabinett

Doch außer dem Neubau der Kaufhalle wurde noch etwas anderes geplant. Zum Fondaco gehörte eine Kapelle, in die man bei dem feierlichen Anlaß eine Altartafel stiften wollte. Die Rosenkranzbrüderschaft unter den Deutschen war dafür, daß als Gegenstand das Fest der Rosenkränze mit der thronenden Maria inmitten zu wählen sei. Ihr Vorschlag ging durch, und nun war nur noch ein Künstler für die Arbeit zu bestimmen.

Es war gerade um die Zeit der Ankunft Dürers. Der Name des noch jugendlichen Künstlers war längst auch in Italien bekannt. Eben als Marienmaler hatte er hier einen besonderen Ruf durch die Nachstiche, mit denen der Kunstpirat Marcanton aus den bereits erschienenen Blättern des »Marienlebens« ungehörige Geschäfte machte. Einen besseren Künstler konnten die Deutschen nicht finden, und so hatte Dürer das Glück, schon kurz nach seiner Ankunft einen Auftrag zu bekommen, der reichlichen Gewinn versprach.

Ganze 110 Gulden rheinisch wollte man ihm geben. Dürer atmete auf. Die Unkosten würden noch keine fünf Gulden ausmachen, und einen Monat nach Ostern sollte die Tafel schon auf dem Altar stehen. Hinterher ward es ihm freilich klar, daß er sich in der Arbeitszeit ganz bedeutend verrechnet hatte, und ebenso, daß Nürnberger Preise und venezianische zweierlei Dinge seien. Die biederen Landsleute waren recht tüchtige Kaufmänner gewesen. Aber der Auftrag war nun einmal übernommen, und schließlich gab er ihm Gelegenheit, denen in Venedig zu zeigen, wer er war.

Es war das nötig, denn er hatte lange keinen leichten Stand unter den Fremden. Die jungen Maler von Venedig wollten ihm nicht wohl. Der Mann aus Nürnberg war ihnen gut genug, ihn auszunutzen. Aber daß er nun selbst nach Venedig kam und gar von seiner Arbeit etwas haben wollte, das war ein Eingriff in ihr verbrieftes Recht, war ein unlauterer Wettbewerbs gegen den sie geschlossen angingen. Die Losung wurde ausgegeben, im Stechen sei der Deutsche wohl ganz gut, aber seine Malerei sei nichts, mit den Farben wisse er nicht umzugehen. Sie nötigten ihn gar vor die Signoria und setzten es, nach dreimaliger Vorladung durch, daß er vier Gulden in ihre Innungskasse zahlen mußte.

Einer nur war in der fremden Gilde, der frei von aller Kleinlichkeit ihm gegenüber war: der greise, gütige, Giovanni Bellini. In seinem Verhalten zu Dürer ist, übertragen ins vornehm Venezianische, etwas von der überlegenen Weisheit des Wagnerschen Hans Sachs. Des Fremden »Lied und Weise, sie fand ich neu, doch nicht verwirrt; verließ er unsere Gleise, schritt er doch fest und unbeirrt«. Bellini sucht Dürer in seiner Werkstatt auf, bringt Edelleute mit, und sagt ihm in deren Gegenwart viel Artiges. Seine Anerkennung ist nicht nur platonisch. Er bittet Dürer, ihm etwas zu malen; nicht umsonst, sondern für gutes bares Geld.

Ganz besonderen Eindruck machte auf Bellini Dürers Feinmalerei. Bei einem Besuch, so erzählt es Camararius, erbat er sich von Dürer einen der Pinsel, mit denen er das feine Haar zu malen pflege. Dürer rafft zusammen, was an Pinseln grade umherliegt, und hält es Bellini hin: er möge sich auswählen, oder auch sie alle nehmen. Bellini glaubt sich falsch verstanden und erklärt noch einmal: einen der Pinsel für die feinen Haare. Aber Dürer versichert, daß er dafür keine anderen Pinsel nehme, und zum Beweis malt er vor Bellinis Augen eine Locke Frauenhaares. Der Alte ist starr. Hätte er's nicht selbst gesehen, so hätte er es nie geglaubt, erzählte er später den Leuten.

Nun, da ihn Bellini gesellschaftlich eingeführt hat, findet Dürer offene Wege. Fünf von den Bildern, die er aus Nürnberg mitnahm, hat er bis Ende Februar schon an den Mann gebracht. Die Maler mögen ihn noch immer nicht recht, aber die Edelleute finden trotzdem den Weg in seine Werkstatt. So stark ist oft der Andrang der Besucher, daß er sich verleugnen muß.

Als er endlich die Altartafel fertig hat, da ist auch sein Sieg vollständig. Dem Manne des Erfolges geben selbst die welschen Maler zu, daß er doch auch außer dem Stechen noch etwas verstehe. Sie haben »schöner Farbe« und »erhabner lieblicher Gemäl nie gesehen«, ist nun ihre Rede. Der Doge Leonardo Lardano und der Patriarch von Venedig, Herr Antonius Surianus, bemühen sich höchstselbst in die Werkstatt des Deutschen, das Bild in Augenschein zu nehmen, von dem so viel gesprochen wird.

Auch in Venedig ist Dürer nun ein gemachter Mann. Bildnisaufträge laufen ein. Mehr noch: man bemüht sich, die schätzenswerte Kraft im Land zu halten und bietet Dürer ein Jahresgehalt von 200 Dukaten an, falls er nur bliebe. Es war eine starke Versuchung. Dürer fühlte sich wohl in Venedigs vornehm gesellschaftlicher Umwelt. Die allgemeine Verehrung, die er als anerkannter Künstler überall fand, empfand er um so dankbarer, wenn er sie mit der niederen Schätzung in der Heimat verglich. Und dennoch blieb er fest. »O wie wird mich nach der Sonnen frieren! Hier bin ich ein Herr, daheim ein Schmarotzer.« Es hat ihn nicht hindern können, das stolze Herrendasein preiszugeben und wieder zurückzukehren in den Norden.

3

Das Rosenkranzbild, das Dürers venezianische Zeit beherrscht, führt heute ein zurückgezogenes Dasein im Prämonstratenserstift Strachow zu Prag. Es hat viel durchmachen müssen seit jenem September 1506, als es, ein Stolz des deutschen Namens, in die Bartholomäuskirche zu Venedig kam. Gegen Ende des 16. Jahrhunderts erwarb Kaiser Rudolf II. die Tafel um eine hohe Summe. Sie wurde sorgsam verpackt und von vier Männern auf den Schultern nach Prag getragen. Der Kaiser wollte es so, da er nicht das Bild den Erschütterungen einer Wagenfahrt aussetzen mochte. Als dann 1631 der Stadt Prag ein Überfall der Sachsen drohte, schaffte man das Bild, schlecht verpackt und in großer Eile nach Wien. In den Bestandaufnahmen wurde es seitdem als »ganz verdorben« und »ganz ruiniert« geführt. Zu allem Unglück geriet es 1662 einem unbedenklichen Ausbesserer unter die Hände. Die Prager erwarben es im Jahre 1792 um ganze 22 Dukaten und unterzogen es kurz nach 1840 abermals einer gründlichen Übermalung. So hat denn die Tafel nur noch den Wert einer mäßigen Übersetzung, die man mit alten Nachbildungen vergleichen muß, wie sie im Wiener Hofmuseum und in Sevenoaks sich finden.

Es war eine vielfältige Aufgabe, die Dürer zu bewältigen hatte. Beim Rosenkranzfest, einem Kult, der auf den heiligen Dominikus zurückgeht, werden von Maria die Häupter von Kirchen- und Weltfürsten mit Rosenkränzen bekrönt. Schon im 15. Jahrhundert hatte sich für die Darstellung eine gewisse Überlieferung gebildet. Inmitten die thronende Maria mit dem Kinde, über ihrem Haupt zwei schwebende Engel mit der Krone. Die zum heiligen Ordensfest Geladenen knien umher und empfangen ihre Auszeichnung persönlich aus den hohen Händen.

Schon das war eine Aufgabe, die dem deutschen Meister, der zur Innigkeit des Marienlebens herangereift war, Zwang antat. Dazu kam, daß die ersten der Kaufmannschaft, die ja ihr gutes Gelb dafür gaben, natürlich auch dabei sein wollten. Ein Regentenstück, wie wir es heute nennen würden, sollte in das Marienbild hineingearbeitet werden. Über ein Dutzend kranzhungriger Köpfe sollte aufs Bild. Maria, das Kind und der heilige Dominikus reichten da zur Dekorierung nicht aus. Ein ganzer Schwarm von Engeln, mit Kränzen beladen, mußte hier und dort hin flattern, damit ja ein jeder seiner Auszeichnung auch sicher war.

Wie nun hat Dürer es schließlich geschafft?

Sein erstes Abweichen vom Herkommen betrifft das Format. Aus dem gotisch hohen wird ein venezianisch breites Rechteck. Die bestimmende Mittelgruppe, zu einem gleichseitigen Dreieck geschlossen, bilden Mutter und Kind, zu ihren Füßen rechts der Papst und links der Kaiser (Bildnisse Julius II. und Maximilians). Die Lücke zwischen Kaiser und Papst wird ausgefüllt durch einen lautespielenden Engel, eine traumverlorene, holdselige Gestalt, in der Dürer vor der Kunst seines Gönners Bellini eine Verbeugung macht. Man kann es sich wohl denken, wie in der Farbe dieser Mittelgruppe eine ganz besondere Feierlichkeit und Pracht gewesen sein muß, wie es von den kostbaren Gewändern der Knienden anstieg zum Juwelengefunkel der Krone. Es wird schon mehr als Höflichkeit bedeutet haben, wenn die venezianischen Maler bekannten, »besser Farben nie gesehen« zu haben.

Und nun das andere: die vielen Bildnisse. Dürer geht in die Tiefe. In breiten, sich erweiternden Halbkreisen lagert er um die Mittelgruppe her die Masse der Knienden, und diese wiederum umschließt eine weite landschaftliche Szene, über die sich fern der Himmel wölbt. Bei der Gesamtanlage der apokalyptischen Blätter hatten wir die Empfindung eines unsichtbaren gotischen Doms. Hier aber wird aus Menschen und Engeln und Landschaften ein Kuppelbau herausentwickelt, der in seiner breiten Ruhe an San Marco gemahnt.

Dürer hat viel getan, um dem Grundgedanken das starr Schematische zu nehmen. Rechts und links ragen Bäume empor, zum Teil überschnitten. An den Stamm rechts hat er sich selbst hingestellt, angetan mit dem französischen Mantel und dem welschen Rock, auf die er so stolz war, zur Seite Freund Pirkheimer; sie beide ein starkes Gegengewicht gegen die konzentrischen Kreise der Knienden. Aber an dem venezianisch sich dehnenden Grund- und Aufriß wird damit nur wenig geändert. Diese Kuppelanlage ist ein Beweis, wie sehr Dürer sich schon damals gewöhnt hatte, venezianisch zu denken, und was wir verloren hätten, wenn er der Lockung der zweihundert Jahresdukaten erlag. Sehr wertvoll sind für uns eine Reihe von Studienblättern zu Einzelheiten. Elf Blättern lassen sich namhaft machen. Das schönste darunter ist das Bildnis des Baumeisters Hieronymus, der im Gemälde in der dritten Reihe kniet, nah am Rande rechts. Es ist eine Tuschpinselzeichnung auf blauem Grund, mit weißen Lichtern gehöht. Dürer hatte sich diese besondere Art der Zeichnung, in der er später so viel leistete, in Italien angewöhnt. Wir sehen das Antlitz eines schweigsamen Menschen von starker seelischer Spannung. Er scheint aus einer anderen Welt zu kommen als die bis zur Härte bestimmten Kaufmannsgesichter um ihn her, denen man wohl ansehen kann, daß sie sich in der Fremde durchzusetzen wissen.

Tanzendes Bauernpaar (1514)

Und dann ist zur Ergänzung noch ein Bild zu nennen, das heute im Berliner Museum hängt: Mutter und Kind mit dem Zeisig. Maria in Gedanken vor sich hinblickend, das Kind mit seinem Schnuller den Zeisig neckend, während der kleine Johannes in Begleitung eines Engelchens mit Maiblumen herankommt. Ein heller Farbenjubel geht von dem Bilde aus, aber venezianischen Augen mag es Mehr gesagt haben als uns. Dürer wird schon recht haben mit seinem Urteil über das Rosenkranzbild, »daß beßres Mariabild im Land nit sei,« und auch auf das bescheidenere Zeisiggemälde paßt noch sein Wort. Italien hatte damals wirklich nicht bessere Mariabilder, wohl aber hatte Deutschland solche, und Dürer selbst hatte sie gegeben. Seine kleinen Kupferstiche sind uns mehr, als uns selbst eine unverdorbene Rosenkranztafel sein könnte, und mehr auch als die Zeisigmadonna, die eine Dame, ja, eine Lady ist, nicht aber die stille deutsche Frau, die liebe Gottesmutter, die mit kindlicher Andacht zu verehren uns Albrecht Dürer gelehrt hat.

*

Ein Bild noch aus der Italienzeit darf hier nicht ausgelassen werden, obwohl sein Kunstwert für einen Dürer nur gering ist: Christus unter den Schriftgelehrten (Rom, Galerie Barberini). » Opus quinque dierum«, eine Arbeit von fünf Tagen heißt es auf dem Zettel, der einem der Gelehrten aus dem Buche heraushängt. Es ist eine spöttische Gegeninschrift zu der auf dem Rosenkranzbild, die besagt: » Exegit quinquemestris spatio Albertus Durer germanus 1506«, in fünf Monaten hat das der Deutsche Albrecht Dürer 1506 zu Ende geführt. Es klingt fast wie eine Wette Dürers, daß er die Geschichte von dem kleinen Jesus auf so einem italienischen Halbfigurenbild mit dunklem Hintergrund in ein paar Tagen fertig haben wollte. Die so verschiedenen Charaktere stehen gegeneinander wie schrille Mißklänge. Eine »Judenschule«. Jeder für sich ist meisterlich herausgearbeitet, und das beredte Spiel der Hände ist mit Recht noch stets bewundert worden.

Aber nicht das ist es, was das Bild bedeutend macht, sondern die unbestreitbare Tatsache, daß in ihm in die Welt des Albrecht Dürer ein Funke herüberschlägt aus der Welt des großen Leonardo. Diese Blitzlichtbeobachtung und diese gellende Art der Charakteristik pflegte Leonardo in Gelegenheitsarbeiten bis zur Leidenschaft. Dürer getraute sich wohl, es in diesen Dingen mit dem berühmten Italiener aufzunehmen. »Fünf Tage!« Das ist ihm durchaus geglückt, und einzelnes wurde so ernst genommen, daß zum Beispiel Lorenzo Lotto das Gesicht des Mannes links zwei Jahre später bei einer Heiligengestalt (Onophnus) bis ins letzte übernahm.

Weniger obenhin aber vernahm Dürer eine andere Kunde: Leonardo war einer von denen, die »aus der Maß« malen konnten. Gestalten und Gesichter, regelmäßige und verzerrte. Was in den Barbaritagen in Dürer lebendig geworden war, und was ihn seitdem bis an sein Lebensende nicht mehr verließ, wachte in Venedig von neuem auf. In Bologna sollte einer wohnen, der sich mit diesen Sachen ganz besonders beschäftigte. Die Mitteilung genügte Dürer, um ihn zu einem acht- bis zehntägigen Ausflug nach Bologna zu veranlassen. »Ich werde gen Bologna reiten um Kunst willen in heimlicher Perspektiva, die mich einer lehren will.« Wir wissen nicht sicher, wen er in Bologna aufgesucht hat (wahrscheinlich war es Luca Pacioli). Aber ein denkwürdiges Zeugnis bleibt die verschiedene Schätzung, die sich dort in dem Fünftagebild gegen die bloße Augenblicksbeobachtung aussprach, und hier in dem tiefen Ernst, mit dem er dem das Gesetzmäßige erforschenden Leonardo nachging. Es war ein Verhängnis für Dürer, daß es ihm nicht vergönnt war, mit Leonardo selbst Fühlung zu gewinnen, und sich begnügen mußte mit bloßen Barbari-Naturen.

4

Wir wollen uns nicht trennen von Venedig, ohne der zehn an Wilibald Pirkheimer gerichteten Briefe zu gedenken, denen wir die Kenntnis aller Einzelheiten von Dürers Italienreise verdanken. Ein Zufall hat sie uns erhalten. Die Hauptmasse, ihrer acht, wurde im 18. Jahrhundert in einer hohlen Wand des früher Imhoffschen Hauses in Nürnberg entdeckt. Wahrscheinlich hatte man sie dort während der Schrecknisse des Dreißigjährigen Krieges eingemauert. Die Briefe wirken wie jene hellenistischen Mumienbildnisse, die eine vergangene Kultur uns in eine dichtere Nähe bringen, als alle hohe Kunst es vermag. So lebendig hatte man Dürer nie vorher gesehen. Ganz gewiß war der Mann, der da so ungezwungen mit dem Freunde plaudern und oft derb wie ein Landsknecht scherzen konnte, nicht der versonnene Künstler, wie ihn die Romantiker sich dachten. Es war ein Mensch mit Knochen im Leibe und mit stoßbereiten Ellenbogen. Müssen wir aber darum das Charakterbild des Künstlers umwerten in das eines deutschen Filippino Lippi mit einer Art doppelter Buchführung, zu dem das Marienleben und die Feinmalerei nicht so recht passen?

Das hieße doch wohl Briefe schlecht lesen können! Ein Brief, der wirklich einer ist, sieht die Welt immer durch ein doppeltes Glas: durch die eigene Seele und durch die des Empfängers. Es ist ein Unterschied, wie Dürer an Pirkheimer, und wie er an die Krämernatur des Frankfurter Kaufherrn Jakob Heller schreibt; und Pirkheimer selbst redet er anders an im vertrauten Gespräch, und anders vor der Öffentlichkeit in einer Buchwidmung. Bei dem vollblütigen, bajuvarisch knorrigen Pirkheimer wäre ein rührseliger Briefstil übel am Platz gewesen. Die ganze Zeit vertrug dergleichen nicht, denn es war eine männliche Zeit, die einen Werther aus vollem Halse verlacht haben würde. Dürer schickte sich drein. Er wollte keiner sein, den die »Stube« – der Stammtisch würden wir sagen – zum besten haben könnte. Er weiß den Leuten zu dienen. Hätte er in früheren Jahren schon etwas von dieser Erfahrung gehabt, so würde er unter Wohlgemuts Knechten nicht so viel gelitten haben.

Das also müssen wir zunächst abziehen. Nur ganz selten finden sich Stellen wie »ich hab kein andern Freund auf Erden denn Euch«, »ich hab bei mir ein graues Haar gefunden, das ist mir vor lauter Armut gewachsen«, »ich meine, ich sei dazu geboren, daß ich übel Zeit soll haben«. Aber grade solche Stellen bringen Wesentliches, hier redet Dürer ohne Pirkheimer, von ihnen aus muß man auch anderes nehmen.

Sehr bemerkenswert ist nun, wie das Freundschaftsverhältnis zwischen Dürer und Pirkheimer in dieser Zeit sich entwickelt und den gesellschaftlichen Abstand mehr und mehr ausgleicht. Der erste Brief, vom 6. Januar 1506, steht noch ganz unter dem drückenden Gefühl der bei Pirkheimer aufgenommenen Verpflichtung. »Ich bitt Euch, habt Mitleid mit meiner Schuld, ich gedenk öfter daran denn Ihr.« Die Perlen und Steine, wie Pirkheimer sie wünsche, seien leider nicht preiswert zu bekommen, aber die Sache mit den Büchern sei geregelt. »Bedurft Ihr sunst etwas, das laßt mich wissen, das will ich Euch mit ganzen Fleiß ausrichten. Und wollt Gott, daß ich Euch großen Dienst kunnt tan, das wollt ich mit Freuden ausrichten.«

Der Ton der Pirkheimerschen Antwort muß der vornehmen Art dieses Mannes entsprochen haben. Im zweiten Brief, einen Monat danach, gibt Dürer sich schon viel ungezwungener. Er spricht ausführlich von seinen Erlebnissen, und wie er bedauert, Pirkheimer nicht da zu haben. Gegen Schluß wagt er gar ein paar kräftige Sticheleien auf Pirkheimers »Buhlschaften«, deren Namen rebusartig durch kleine Zeichnungen angedeutet werden.

In der nämlichen Art sind die folgenden vier Briefe, in den Monaten Februar bis April geschrieben. Geduldig werden alle Pirkheimerschen Aufträge erledigt, diesem selbst aber auch verschiedene Besorgungen für Nürnberg anvertraut. Dazwischen Berichte über den Fortgang der Arbeit und die Begebnisse in Venedig. Kleine Hecheleien gehen nebenher, aber Dürer gibt dem Freund Gelegenheit, ihm entsprechend zu antworten durch Wendungen wie »morgen ist gut beichten«, die andeuten, baß er das Beichten wohl nötig hatte.

Es folgt, vom 25. April bis zum 18. August reichend, eine längere Pause. Der Briefwechsel kann inzwischen nicht abgebrochen sein, nur fehlen uns leider die Stücke, die den allmählichen Übergang in die Stimmung der letzten vier Briefe erkennen lassen würden« Diese Briefe nun sind kulturgeschichtlich wie menschlich Zeugnisse vom höchsten Wert. Ein Freund schreibt da dem anderen. Er macht sich lustig über die Schwächen, aber in einer Art, die zugleich erziehen soll.

Die ewigen Aufträge mit Schmuck und ähnlichem »Narrenwerk« werden jetzt ganz anders behandelt. »Wenn Ihr mich allein ungeheit (ungeschoren) ließt mit den Ringen! Gefallens Euch nit, so brecht ihn den Kopf ab und werfts ins Scheißhaus, als der Peter Weisweber spricht. Was meint Ihr, daß mir an solchem Dreckwerk lieg?« Pirkheimer möchte Kranichfedern besorgt haben als Hutschmuck. Dürer kann keine auftreiben; aber Schwanenfedern von der Sorte, mit der man schreibt, die gibt's überall. »Wie, wenn Ihr ein Weil derselben auf die Hut stecket?!« Als Pirkheimer noch immer nicht locker läßt, heißt es im nächsten Brief ganz kurz: »Item, der Narrenfederle kann ich keins bekummen.«

Ganz besonders, schlecht trifft es Pirkheimer, wenn sr dem Freund, auf humanistische Art prahlerisch kommen will mit seinen großen Erfolgen als Diplomat und im Verkehr mit hohen Herren. Dürer redet ihn, ersterbend in erheuchelter Ehrfurcht, auf italienisch an (einem sehr zweifelhaften Italienisch, untermischt mit lateinischen Brocken): »Mächtigster, vornehmster Mann der Welt! Euer Diener und Sklave Albrecht Dürer entbeut seinen Gruß dem gewaltigen Herrn Willibald Pirkheimer.« O, er kann es sich wohl denken, daß ein Mann wie der Pirkheimer feinen Gegnern Eindruck macht. »Wann Ihr seht auch wild, und sunderlich im Heiltum (bei der Prozession), wann Ihr den Schritt hupferle gand.«

Pirkheimer hat sich dem Markgrafen gegenüber seines großen Gedächtnisses gerühmt, und daß er 100 Artikel frei vortragen könne. Dürer darauf: Der Markgraf wird kaum so viel Audienz geben können! »100 Artikel und jedlicher Artikel 100 Wort brauchen eben 9 Tag 7 Schtund 52 Minuten, ohn die suspiri (hörbares Atmen beim Sprechen), der hab ich noch nit gerechnet.« Dürer sieht ihn ordentlich vor dem Markgrafen stehen: »Tut eben, as wenn Ihr um die Rosenthalerin buhlt, also krümmt Ihr Euch.«

Immer wieder freilich gleicht Dürer die Dinge aus, indem er auch sich selbst zum besten hat. Ganz besonders mag Pirkheimer gelacht haben über einen mißglückten Versuch des berühmten Albrecht Dürer, auf seine reifen Tage noch – Tanzstunde zu nehmen. »Wißt auch, daß ich hätt fürgenommen, tanzen zu lehren (lernen) und ging 2 mol auf die Schul. Do mußt ich dem Meister 1 Dukaten geben, do kunnt mich kein Mensch mehr hinaufbringen.«

Zwischen Scherz und Ernst schwankt die Wagschale, wenn Dürer dem ruhmredigen Humanisten und Patrizier seine eigene Würde als Künstler entgegenstellt. Seine Tafel ist fertig: »Und wie Ihr Euch selbs wohlgefallt, also gib ich mir hiermit Euch zu verstehn, daß beßres Mariabild im Land nit sei. Wann all die Kunstler loben das, wie Euch die Herrschaft.« Pirkheimer spricht so viel von seinem Verkehr mit hohen Herrn: »Aber so Ihr so groß geacht daheim seid, werdt Ihr immer auf der Gassen mit ein armen Maler türfen reden, es wär Euch ein große Schand.« Es sind nur wenige Sätze, in denen Dürer so spricht, aber in ihnen steckt die ganze Kraft, die den handwerkernden Künstler des Mittelalters in Deutschland emporzuheben und ihn dem Gelehrten und dem Adligen gleichzustellen vermochte.

Dudelsackpfeifer (1514)


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