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Fünfzehntes Kapitel.

Wasserstoff und Stickstoff.

Wir wenden uns nun zu den andern chemischen Elementen und fragen, wie sie sich in bezug auf den allgemeinen Kreislauf verhalten. Die Antwort darauf lautet im ganzen dahin, daß die Elemente welche sonst noch den Pflanzenkörper ausbauen, einen ganz ähnlichen Kreislauf durchmachen, wie wir ihn eben am Kohlenstoff beobachtet haben. Insofern besteht also eine große Ähnlichkeit zwischen dem Kohlenstoff und den anderen Elementen. In bezug auf die Energiefrage aber liegt die Sache ganz wesentlich anders. Hier stellt sich heraus, daß der Kohlenstoff (mit dem Sauerstoff) ganz vorwiegend der Träger der gesamten Energie des Pflanzen- und Tierlebens ist und daß die anderen Elemente, die sich noch am Aufbau des Körpers beteiligen, hierbei eine mehr sekundäre Rolle spielen, daß sie mehr die Eigenschaft und den Charakter von Maschinenhilfsmitteln, nicht aber von eigentlichen Energieträgern haben,

Wir betrachten die wichtigsten hier vorkommenden Elemente einzeln und wenden uns zunächst dem Wasserstoff zu, mit dem wir uns ja schon mehrfach beschäftigt haben.

Der Wasserstoff hat gleichfalls eine sehr bedeutende Verbrennungswärme, die auf gleiches Gewicht gerechnet, dem Werte der Verbrennungswärme des Kohlenstoffs überlegen ist. Für die Gewichtseinheit Sauerstoff gerechnet ist sie dagegen geringer als beim Kohlenstoff. Das rührt daher, daß sich ein Teil Wasserstoff mit acht Teilen Sauerstoff zu Wasser verbindet, während ein Teil Kohlenstoff nur 2.67 Teile Sauerstoff aufnimmt, um Kohlendioxyd zu bilden.

Nun stellt sich aber bezüglich der Zusammensetzung der organischen Stoffe heraus, daß in den Wasserstoffverbindungen gewöhnlich Sauerstoff gleichzeitig vorhanden ist und zwar vielfach in dem gleichen Verhältnis, wie sie gerade zu Wasser zusammentreten. Demgemäß darf man den Wasserstoff zunächst in diesen Verbindungen und angenähert auch in andern als bereits verbrannt betrachten. Das heißt mit andern Worten, der Wasserstoff kommt niemals als solcher mit seiner chemischen Energie in Frage, sondern das Wasser, das Verbrennungsprodukt des Wasserstoffs, stellt den wesentlichen Bestandteil der organischen Substanzen dar. Demgemäß wird auch niemals aus dem Wasser durch die Einwirkung des Lichtes in den Pflanzen der Sauerstoff abgeschieden, und etwa der Wasserstoff in Freiheit gesetzt, sondern dieser Scheidungsprozeß bezieht sich ausschließlich auf das Kohlendioxyd und die Abscheidung des Kohlenstoffes aus ihm. Mit dem Kohlenstoff aus dem Kohlendioxyd tritt dann das Wasser der Pflanze anscheinend mehr oder weniger unmittelbar in chemische Verbindung ein.

Es soll sofort hervorgehoben werden, daß diese Darstellung nur in ganz groben Umrißlinien den Tatbestand veranschaulicht. Es gibt noch eine große Menge von organischen Verbindungen, in welchen Sauerstoff und Wasserstoff in anderem Verhältnis vorhanden sind, als sie im Wasser vorkommen und demgemäß tritt auch etwas wie eine Reduktion oder Entsauerstoffung des Wassers bei den organischen Vorgängen ein. Wir wissen aber nichts darüber, ob diese Vorgänge unmittelbar erfolgen oder ob sie erst ein Ergebnis der Einwirkung der Kohlenstoffverbindungen auf das Wasser sind. So tun wir am besten, diese Frage ganz auszuscheiden, was wir dürfen, weil quantitativ jedenfalls die Energieumsätze, die am Wasserstoff haften, sehr viel geringer sind, als die am Kohlenstoff haftenden.

Von weiteren Elementen, die in den Pflanzen vorkommen, sind noch einige wenige zu nennen, weil sie zwar nicht für die Energiebilanz, wohl aber für den Pflanzenbau von der größten Bedeutung sind Hier ist zunächst her Stickstoff zu erwähnen, dann der Phosphor, das Kalium, der Schwefel sowie endlich das Eisen anzuführen. Alle diese Stoffe sind chemische Elemente und die meisten von ihnen pflegen auch dem Laien in elementarem Zustande bekannt zu sein. Wir wollen diese Elemente im einzelnen genauer besprechen.

Den Stickstoff kennen wir bereits. Er ist der Hauptbestandteil der atmosphärischen Luft, welche ein Gemenge, oder wissenschaftlich genauer gesagt, eine Lösung von Stickstoff und Sauerstoff ist. Der Sauerstoff beträgt ungefähr 19/100 des Raumes der Luft, während der Stickstoff 81/100 beträgt.

Es ist sehr bemerkenswert, daß diese Zusammensetzung der Luft fast völlig übereinstimmend gefunden wird, ob man die Luft im Norden oder Süden, am Lande oder über dem Meer, auf der Erdoberfläche oder in beliebigen Höhen untersucht. Denn wir wissen ja, daß einerseits nicht nur durch alles tierische Leben bis zum einfachsten einzelligen Organismus hinunter beständig Sauerstoff verbraucht und Kohlendioxyd erzeugt wird, sondern daß auch andererseits die Industrie in ihren verschiedenartigsten Formen enorme Mengen Sauerstoff verbraucht, um durch Verbrennung von Kohle die Energien verfügbar zu machen, deren sie für ihre mannigfaltigen Zwecke in so großer Menge bedarf. Umgekehrt wird allerdings durch die Pflanzen das der Luft mitgeteilte Kohlendioxid wieder in freien Sauerstoff umgewandelt. Diese Vorgänge finden aber natürlich nicht an derselben Stelle statt. Während z. B. die Städte als »Kohlendioxydpunkte« auf einer entsprechend ausgeführten Landkarte erscheinen würden, erweisen sich Wälder, Wiesen und Äcker als Sauerstoffgebiete. Daß schließlich alle diese Beeinflussungen die Zusammensetzung der Luft praktisch konstant lassen, beweist, daß sie sich im großen und ganzen gerade das Gleichgewicht halten. Die große Beweglichkeit der Luft und die Mannigfaltigkeit der Windströmungen bewirken ferner eine so wirksame Vermischung der Anteile verschiedener Zusammensetzung, daß das angegebene Resultat, die praktische Unveränderlichkeit, sich ganz wohl verstehen läßt,

Auch zeitlich zeigt sich die gleiche Unveränderlichkeit, wenigstens über die kurze Zeitspanne von etwa einem Jahrhundert, seit wir genaue Luftanalysen besitzen.

Der Stickstoff, wie er in der Luft als elementares Gas vorhanden ist, kommt für die chemischen Vorgänge im Tier und in der Pflanze nur verhältnismäßig wenig in Betracht. Man hat lange Zeit geglaubt, daß er überhaupt nicht fähig ist, in den Pflanzenkörper einzutreten. Denn der freie Stickstoff ist von den bisher erörterten Elementen dadurch sehr verschieden, daß er gern und dauernd in freiem oder elementarem Zustande zu existieren liebt und daß er nur mit besonderer List oder Gewalt dazu veranlaßt werden kann, in chemische Verbindungen überzugehen. Indessen hat sich doch durch die Forschungen der letzten Jahrzehnte herausgestellt, daß auch die Pflanzen, wenn auch nicht viele, solche List oder Gewalt zu entwickeln vermögen. Es gibt gewisse Pflanzenarten, von denen die Landwirte schon von jeher wissen, daß sie den Boden in bezug auf Stickstoff bereichern. Es sind das die Schmetterlingsblütler oder Leguminosen.

Die dahin gerichteten Forschungen haben sehr merkwürdige Verhältnisse ergeben. Die pflanzen selbst sind unfähig, den Stickstoff der Luft für ihre Zwecke zu binden. Sie werden aber dazu fähig sein, wenn sich an ihrer Wurzel gewisse kleine sehr einfache Lebewesen (Bakterien) ansiedeln, die dann eigentümliche und charakteristische Knöllchen hervorbringen. Diese Knöllchen stellen Maschinen dar, um den freien Stickstoff der Luft in chemische Verbindungen überzuführen, welche ihrerseits von der Pflanze aufgenommen und zum Aufbau ihres Körpers verwertet werden. Allerdings geschieht dieser Vorgang nicht gratis, denn in der Natur geschieht überhaupt nichts gratis. Um den Stickstoff in eine chemische Verbindung überzuführen, ist unbedingt nötig, daß, ein beträchtlicher Energieaufwand geschieht. Und dieser Energieaufwand wird in der gemeinsamen Wirtschaft (Symbiose) der höheren Pflanze und des Stickstoffbakteriums dadurch erzielt, daß dafür eine entsprechend große Menge organischer, kohlenstoffhaltiger Substanz einer Verbrennung unterzogen wird. Es ist gelungen auch im Laboratoriumsversuch diese Sache nachzumachen, d. h. solche Stickstoffbakterien in Reinkultur zu züchten und sie dazu zu veranlassen, den Luftstickstoff in chemische Verbindungen überzuführen, hierbei hat man beobachtet, daß eine sehr starke Oxydation kohlenstoffhaltiger organischer Substanz erforderlich ist, damit diese Bakterien gedeihen und die Stickstoffbindung ausführen können, wir haben also in dieser Oxydation das energetische Äquivalent der Überführung des freien Stickstoffs in den gebundenen zu erkennen. Überlegt man, daß diese kohlenstoffhaltigen Energielieferanten ihrerseits von der Umwandlung der Sonnenstrahlung herrühren, so kommt man zu dem Ergebnis, daß auch der freie Stickstoff durch das Sonnenlicht gebunden und dem Pflanzenkörper zugänglich gemacht wird. Nur ist die dazu erforderliche Maschinerie ein wenig verwickelter, da die Pflanze allein es nicht machen kann, sondern sich dazu mit dem Bakterium verbinden muß.

Fig. 6.

Was nun die Bedeutung des Stickstoffs für den Pflanzen- und Tierkörper anlangt, so muß diese sehr hoch eingeschätzt werden, Sie liegt aber, um das wiederhalt angewendete Bild auch hier zu benutzen, wesentlich auf der maschinentechnischen Seite. Der Stickstoff spielt in den Pflanzenverbindungen keine wesentliche Rolle als Energiesammler oder Energieträger, er spielt dagegen eine außerordentlich bedeutende Rolle als Regulator und Vermittler der einzelnen Vorgänge, wir erkennen dies daran, daß gerade die allerwichtigsten Teile der Körper, die Muskelsubstanz, die Substanz der Nerven und des Gehirns, also die eigentlich arbeitstätigen Anteile des Körpers der höheren Lebewesen sämtlich aus stickstoffhaltigen Substanzen aufgebaut sind, solche finden sich aber auch bei den niedrigsten Lebewesen, so daß das Leben ohne Stickstoff unmöglich erscheint. Diese stickstoffhaltigen Substanzen besitzen also Eigenschaften, welche gerade für die besonderen chemischen Vorgänge der Lebensbetätigung wesentlich sind, und deshalb pflegt man stickstoffhaltige Verbindungen ganz besonders als Träger dieser Lebensarbeit anzusehen.

Auch in den Pflanzen ist das ebenso. Diejenigen Teile der einzelnen Pflanzenzelle, an denen die Fortdauer und die Lebensbetätigung der Zelle besonders haftet, nämlich der Kern und das Protoplasma sind beide stickstoffhaltig und deshalb kann kein Organismus der Pflanze bestehen ohne bestimmte Stickstoffmengen, die seinem Körper organisch einverleibt sind. Da nun der Boden, das Wasser sowie die Luft verhältnismäßig wenig Stickstoffverbindungen enthalten, welche für die Pflanze verwertbar sind, so ist im allgemeinen die Menge der Pflanzen, die auf einer gegebenen Fläche zu wachsen vermögen, begrenzt durch den verfügbaren Stickstoff.

Es gibt nun in allem Regenwasser und zum Teil auch gasförmig in der Luft eine Verbindung von Stickstoff mit Wasserstoff, welche den Namen Ammoniak führt und von der eine wässerige Lösung unter dem Namen Salmiakgeist oder Ammoniakspiritus wohl bekannt ist. Dieses Ammoniak ist für sich ein gasförmiger Stoff, der sich leicht in Wasser auflöst und der aus Stickstoff und Wasserstoff besteht. Die Pflanzen sind fähig, ihre stickstoffhaltigen Substanzen mit Hilfe des Ammoniaks aufzubauen, allerdings nicht unmittelbar, sondern erst nachdem sie den Wasserstoff des Ammoniaks mit Sauerstoff verbunden oder zu Wasser oxydiert haben. Gleichzeitig wird der Stickstoff des Ammoniaks in eine Sauerstoffverbindung verwandelt, die Salpetersäure genannt wird. Die Salpetersäure vermag sich mit vielen anderen Elementen metallartiger Natur zu Salzen zu verbinden, welche Nitrate heißen und welche eine große Rolle in dem gesamten Pflanzenleben spielen.

Die Nitrate sind die eigentlich stickstoffhaltigen Nährmittel der Pflanze. Sie werden innerhalb der Pflanzenzellen bei Gelegenheit der Zerlegung des Kohlendioxyds in verwickelte Verbindungen mit dem Kohlenstoff übergeführt. Man kann daher die Menge der Pflanzen, die auf einer gegebenen Fläche wachsen können, bedeutend dadurch vermehren, daß man den Stickstoffgehalt des Bodens vermehrt. Man kennt das Verfahren von altersher als Düngen. Die Auswurfstoffe der Tiere, welche sämtlich mehr oder weniger reich an Stickstoffverbindungen sind, werden seit Menschengedenken zu diesem Zweck benutzt: Man bringt sie auf die Äcker und Wiesenflächen hinaus und beobachtet dementsprechend ein bedeutend günstigeres Wachstum der Pflanzen an den Stellen, an welche man solche stickstoffhaltigen Substanzen gebracht hat.

Nun ist aber die Stickstofflieferung, wie wir sie etwa durch Haustiere, durch die Zucht von Kühen, Schafen usw. gewinnen können, unverhältnismäßig viel geringer, als der Stickstoffbedarf des Bodens bei größtmöglichster Ausnutzung. Darum war es für die Landwirtschaft eine außerordentlich wichtige Entdeckung, als man um die Mitte des vorigen Jahrhunderts in Südamerika Lager von Nitraten fand, welche sich dort unter ganz ungewöhnlichen Bedingungen gebildet haben und welche seitdem als Chilisalpeter ausgebeutet, nach Europa verschifft und in ganz riesigen Mengen zur Düngung der Felder und Wiesen benutzt worden sind.

Seit einigen Jahren ist man dahinter gekommen, daß die Dauer der Nitratvorräte in Südamerika nicht mehr allzu groß sein wird. Die Meinungen sind darüber verschieden, ob sie noch 20 oder 40 oder 60 Jahre aushalten werden; jedenfalls scheinen aber auch die sanguinischsten Beurteiler der Verhältnisse nicht zu glauben, daß sie für ein Jahrhundert reichen werden. So ist es deshalb eine außerordentlich wichtige Angelegenheit für die Menschheit geworden, die Frage zu beantworten, woher man sonst genügenden gebundenen Stickstoff nicht nur für die Aufrechterhaltung, sondern für die notgedrungene Steigerung der Fruchtbarkeit unserer Felder hernehmen kann.

Die Aufgabe kann auf mannigfaltige Weise gelöst werden. Man kann erstens dafür sorgen, die enormen Mengen von gebundenem Stickstoff, welche in Gestalt von Abwässern in den großen Städten meist unbenutzt dem Meere zugeführt werden, aufzufangen, zu sammeln und für die Landwirtschaft zu verwenden. Man kann ferner daran denken, die ganz ungeheuren Mengen gebundenen Stickstoffs, welche in der Steinkohle und Braunkohle vorhanden sind und welche bei gewöhnlicher Verwendung dieser Stoffe im Ofen unbenutzt verloren gehen, da sie zersetzt werden und ihren Stickstoffgehalt in Gestalt von nicht mehr verbundenem, von elementarem Stickstoff in die Luft hinein senden, durch rationelle Leitung des Verbrennungsvorganges zu gewinnen. Schon gegenwärtig wird ein gewisser Bruchteil dieses Stickstoffs aufgesammelt, nämlich derjenige, der von den Kohlen herrührt, welche durch starkes Glühen in Leuchtgas und Koks verwandelt werden. Dabei gehen die flüchtigen Anteile der Steinkohle fort, Zu denen die Stickstoffverbindungen gehören, und der Stickstoffgehalt sammelt sich in Gestalt von Ammoniakwasser unter den Produkten der Destillation an. Es ist aber nur ein verhältnismäßig kleiner Teil der Steinkohle, welcher gegenwärtig in Koks übergeführt wird. Daher erscheint es durchaus rationell, daß man Künftig überhaupt gar keine rohe Steinkohle mehr verbrennt, sondern alle Kohle, sei es für Koks oder für gewöhnliche Heizzwecke bestimmte, zunächst einer Verkokung unterzieht, wobei der Stickstoff als Ammoniak (und außerdem eine große Anzahl wertvoller Nebenprodukte) gewonnen werden.

Ein solches Verfahren hätte noch den besonderen Vorzug, daß die Rauchplage der großen Städte im wesentlichen verschwinden würde. Koks verbrennt bekanntlich rauchlos, während die rohe Steinkohle einen mehr oder weniger starken Rauch entwickelt, wenn man durch Ortsstatut überhaupt verhindert, daß rohe Steinkohle in die Stadt hineingelangt, was durchaus ausführbar wäre, da man den Energiebedarf der Stadt in Gestalt von elektrischer Energie bestreiten kann, was gleichfalls durchaus ausführbar ist, so können wir eine Zukunft vor uns sehen, wo die Luftverschlechterung der großen Städte, unter der deren Bewohner gegenwärtig so außerordentlich leiden, im wesentlichen vermieden werden kann. Gleichzeitig würden unabsehbare Mengen von höchst wertvollem Stickstoff (das Kilogramm gebundener Stickstoff kostet ungefähr eine Mark) für die Landwirtschaft zugänglich gemacht werden können.

Aber diese Mittel sind nicht die einzigen, welche die moderne Technik und Wissenschaft gefunden hat, sondern sie hat es seit kurzer Frist erreicht, sogar den freien Stickstoff der Luft zu zwingen in chemische Verbindungen überzugehen. Dies ist natürlich wieder durch den jungen Zauberer Elektrizität gelungen. Schon vor 120 Jahren hatte ein Physiker und Chemiker namens Cavendish bemerkt, daß, wenn man elektrische Funken durch gewöhnliche Luft schlagen läßt, sich der Raum vermindert und gleichzeitig, wenn Wasser mit dieser elektrisierten Luft in Berührung steht, in dem Wasser sich Salpetersäure nachweisen laßt. Die Beobachtung war lange, lange Zeit ein bloßes wissenschaftliches Experiment gewesen, das an und für sich wohl interessant genug war, aber von dem man auch von ferne keine technische Anwendbarkeit vorauszusagen wagte. Erst in unserer Zeit, als die Stickstoffnot am Horizont erschien, hat alsbald der Scharfsinn der Forscher und der Techniker sich der alten Erscheinung bemächtigt und mit den ungeheuren Mengen elektrischer Energie, welche die moderne Technik uns zur Verfügung stellt, alsbald das Problem einer Massenherstellung von Nitraten aus gewöhnlicher atmosphärischer Luft bearbeitet und gelöst.

Da die Luft aus Stickstoff und Sauerstoff besteht, so sind ja die beiden Elemente bereits vorhanden, welche nötig sind, damit Nitrate entstehen, und die Aufgabe, die hier zu lösen war, kam insgesamt im wesentlichen auf das technische Problem hinaus, wie die geringen Mengen von Salpetersäure, die bei der Einwirkung des elektrischen Funkens auf die atmosphärische Luft entstehen, durch geeignete Einrichtungen der gesamten Apparatur erstens so zu vermehren und zweitens wie die so erhaltenen Substanzen in geeigneter Weise so zu sammeln und zu konzentrieren wären, daß ein wirtschaftlich vorteilhaftes Verfahren möglich würde. Derartige Luftsalpeteranlagen sind allerdings sehr böse Energiefresser. Denn der Prozeß geht höchst unvollkommen vor sich und verlangt außer dem normalen Bedarf noch Extraspesen an Energie, die nachher in nutzlose Wärme übergehen. Der Vorgang ist deshalb nur dort ausführbar, wo die Energie überaus billig ist, und man hat insbesondere die bis dahin fast wertlosen Arbeitsmengen der norwegischen Wasserfälle benutzt, um mit deren Hilfe aus der Luft Nitrate zu machen und solchen synthetischen oder Luftsalpeter für die Bedürfnisse der Landwirtschaft herzustellen. Gegenwärtig gibt es bereits eine ganze Anzahl verschiedenartiger Systeme, mit denen man arbeitet, und die, soviel den Außenstehenden erkennbar ist, gute wirtschaftliche Ergebnisse bringen. ^

Dies ganze Kapitel der künstlichen Bindung des Stickstoffes ist insofern außerordentlich lehrreich, als es uns zeigt, wie man gegenwärtig der Technik die wichtigen Probleme zu nennen, ja nur von ferne zu zeigen braucht, um sicher zu sein, daß sie (falls sie überhaupt sich im Gebiet des Menschenmöglichen befinden) über kurz oder lang nicht nur theoretisch, sondern auch wirtschaftlich zweckmäßig gelöst werden.

Was früher als ein unerwartetes Geschenk höherer Mächte angesehen wurde, nämlich eine wissenschaftliche große Entdeckung, kann gegenwärtig durch die Organisation der wissenschaftlichen Arbeit in systematischer Weise erzielt werden, ohne daß man auf einen ungewöhnlichen Genius zu warten braucht, der diese Entdeckung ausführt. Natürlich wäre es nicht möglich gewesen, einen solchen Zustand zu erreichen, wenn nicht die ausgezeichneten Forscher früherer Jahrhunderte den Acker des menschlichen Wissens so weit umgebrochen und bestellt hätten, daß er zur Erzielung regelmäßiger Früchte in Betrieb genommen werden konnte. Und ebenso natürlich ist es, daß es auch gegenwärtig noch oberhalb des Gebietes des geläufigen Wissens an den Grenzen menschlicher Kenntnis Probleme gibt, die nicht auf diese methodisch-organisatorische Weise gelöst werden können, sondern die nach wie vor einen Kopf von ungewöhnlicher Leistungsfähigkeit verlangen, um aus dem Traum in die Wirklichkeit übergeführt zu werden,

Aber es besteht doch gegenwärtig in unvergleichlich viel größerem Maße als früher die Tatsache, daß man eine Entdeckung, die Lösung eines bisher noch nicht gelösten Problems einfach in Auftrag geben kann, wie man ein Paar Stiefel in Auftrag gibt. Und ebenso wie bei den Stiefeln ist es auch nicht die Frage, ob das Problem gelöst ist, sondern die Frage ist nur, wann es gelöst wird, wieviel Zeit der Beauftragte zur Herstellung der neuen Stiefel oder zur Herstellung der neuen Entdeckung verbraucht. Nach den Erfahrungen im letzten halben Jahrhundert nimmt die hierzu erforderliche Zeit schnell ab. Während man am Anfang der Periode der Entwicklung der chemischen Industrie nicht selten mit zwanzigjähriger Arbeit zu rechnen hatte, bis ein Problem soweit gelöst war, daß das Verfahren wirtschaftlich und technisch glatt ging, so haben wir gegenwärtig Fortschritte ähnlicher Art zu verzeichnen, in welchen die Hälfte der Zeit, 10 Jahre, ja vielleicht sogar noch kürzere Zeit ausgereicht haben, um den gleichen Effekt zu erzielen. Die Menschheit paßt sich eben, wie so vielen andern Dingen, auch den Anforderungen des Erfindens an. Das Erfinden ist in unserer Zeit nicht mehr eine rätselhafte Gabe, die nur einzelnen wenigen zuteil wird, sondern sie ist ein technisches Verfahren, das gelehrt und gelernt werden kann, indem es mit Erfolg von denjenigen, die es durch besondere Begabung bei sich hoch entwickelt haben, auf andere von geringer Begabung übertragen wird.

 


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