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VIII

Es war ein Festtagsmorgen. Auf den Feldern herrschte Oede und Stille. Von Menschen und Arbeitswerkzeugen war keine Spur; inmitten der gelben Stoppeln wuchsen Wiesenklee und allerhand Blumen, und wo die Erde frisch umgepflügt war, hüpften, Futter suchend, die Vögel ungehindert umher. Niemand scheuchte sie auf, niemand zertrat die Blumen. Auf der Straße jedoch und den Fußpfaden war ein ungewöhnlich reger Verkehr. Schaarenweise, einzeln und in Gruppen, zogen buntgekleidete Menschen dahin und ihre gelben, rothen, grünen und blauen Gewänder verliehen der Gegend einen heiteren Anstrich. In der Ferne erklang silberheller Glockenton. Er erklang bald stärker, bald schwächer, und strömte, über die blumenbedeckten Felder und die mit Menschen übersäeten Wege dahinfluthend, zum strahlenden Himmel empor. Dieser Glockenton kam von der Kirche aus Zawróæ, einem der beiden Punkte, welche von allerwärts sichtbar, über die Gegend zu herrschen schienen. Vor dem zweiten dieser Punkte, das heißt vor dem Hofthor von Górowo, hielt eine mit einem Paar kräftiger Braunen bespannte Britschka, aus der zwei Männer verschiedenen Alters mit fast gleicher Elasticität jedoch zu Boden sprangen.

»So, Herz, nun wären wir an Ort und Stelle. Wolltest den Palast sehen und hattest recht. Was kann man thun? Die Residenz ist schön und wer diese Gegend genau kennen lernen will, soll auch Górowo in der Nähe betrachten. Es ist immerhin der Mühe werth. O ja! Was kann man thun?«

Herr Romuald war sehr angeregt, sprach mit noch größerer Lebhaftigkeit und wandte sein amüsantes Sprichwort noch häufiger an als sonst. Auf seinen Neffen sah er mit lachenden, blitzenden Augen. Roman blieb neben der Britschka stehen.

»In Zawróæ läutet man zum Gottesdienst. Aber er beginnt noch nicht. Was kann man thun? Wir gelangen noch rechtzeitig zur Kirche. Nun, komm' schon, daß wir den Park und den Palast anschauen. Was kann man thun? Hast mir den Kopf damit gehörig warm gemacht, so komm' doch jetzt!«

Roman zögerte.

»Wie? So plötzlich? Ohne um Erlaubniß zu fragen?«

»Man darf, mein Herz! Ha, ha, ha, ha! Ich bürge Dir dafür, daß man hier alles besehen darf, ohne erst eine Bitte um Erlaubniß einzureichen.«

Er lachte ohne zu wissen warum, aber herzlich.

»Sieh Dir vorerst diese wunderbare Allee und die Staketen an. Phi, phi! Aehnliches findest Du nicht bald. Was kann man thun?«

Das wirklich schön gearbeitete, kostbare Eisengitter umgab einen weiten Raum, auf dem hinter einem lang sich dahinstreckenden Dickicht von Virginien und Akazien mächtige Baumstämme emporragten, deren Gipfel ineinander sich schlingend, ein wunderbares, grünes Laubdach bildeten. Leider wurde die Harmonie des großartigen Anblickes dadurch gestört, daß der Mörtel von den gemauerten Pfeilern sich abgebröckelt hatte und die rothen Ziegel, blutenden Wunden gleich, von weitem leuchteten.

Diesseits des Gitters, zu Füßen des Virginien- und Akaziendickichts, wucherte Unkraut in großer Menge. In einer Vertiefung des Weges hatte ein ausgetrockneter Sumpf einen Streifen dunkler Erde zurückgelassen. Hinter diesem Streifen zogen sich in weitem Kreise die Wirthschaftsgebäude hin und von der anderen Seite ragte das Thor des Palastes in die Höhe. Dieses Thor war ein architektonisches Meisterwerk, doch hing einer seiner Flügel schräg auf einer Angel, indessen der zweite, an dem hie und da verrostetes Metall blinkte, im Grase lag.

In diesem gastfreundlich geöffneten Thor stand Roman und blickte erstaunt um sich. Der riesengroße Hof war von einem Kranz von Bäumen umgeben, die eine wahrhaft fürstliche Pracht entfalteten. Rothtannen, Lärchen und Alpenföhren wuchsen da in unendlicher Menge und auf dem fast schwarzen Hintergrunde ihrer Nadeln zeichneten sich in zahllosen Formen und Schattirungen die Blätter eines Laubwaldes ab. Da sah man gleich Thurmspitzen in die Höhe ragende Gipfel, Bäume, die sich fächerartig ausbreiteten und andere, deren Zweige trauernd den Boden berührten. Kunst, Natur und mehrere Jahrhunderte hatten dieses Wunderwerk geschaffen, welches man staunend betrachtete, fast geblendet durch die Schönheit der Farben und Linien. An dem leichten, stilvoll gebauten Palaste rankten sich Zweige wilden Weines empor und dazwischen leuchteten die weißen Mauern, zahlreiche Fenster, stolze Basteien, Balcone und Erker, deren Gallerien und Balustraden von Feenhand gewirkten Spitzen glichen.

Von diesem mit vollendeter Kunst errichteten Palast und den prachtvollen Bäumen, die ihn umgaben, glitt das Auge zu Boden, und was es da erblickte, glich eher einer vernachlässigten Wiese, als dem Vorhofe eines Palastes. Kletten, Brennnesseln, Hasenklee, Wallwurz, Storchschnabel und Huflattich wuchsen hier in einer solchen Menge nebeneinander, wie man sie sonst nur an Orten findet, die von den Stätten, welche Menschen bewohnen, weit entfernt sind. Zu Füßen der Säulen, auf denen die gepflasterte Auffahrt ruhte, wucherten Disteln. Die vollkommene, nur durch Vogelgezwitscher unterbrochene Stille verlieh dem ganzen Bilde etwas Geheimnißvolles. Die Fenster des Palastes waren geschlossen.

»Wohnt hier niemand?« fragte Roman.

»Nun, das sieht man doch gleich, daß hier niemand wohnt,« erwiderte der Alte. »Doch was schadet uns das? Im Gegentheile. Um so ungestörter können wir uns alles ansehen. Komme in den Garten!«

»Und wo wohnt denn Olowiecki?«

»Komme hier herum, dieser Weg ist näher. Nein, diese prachtvollen Bäume! Wie das wächst! Wie es sich ausbreitet! Wunderbar! Aber solchen Boden wie in Górowo giebt es auch in der ganzen Gegend nicht. Bei uns in Darnówka ist er beiweitem nicht so gut. Ein Landwirth versteht das. Ich sage Dir, ein Paradies auf Erden. Nun, was kann man thun?«

»Nur muß es im Paradies wohl heiterer gewesen sein,« bemerkte Roman.

»Du findest es hier traurig?« fragte Darnowski erstaunt. »Warum denn? Für seinen Besitzer bietet Górowo nur Heiteres. Mehrere tausend Morgen eines üppigen, freigebigen, gütigen Bodens, Wald, Wasser, Wiesen, Mühlen, alles, wonach das Herz sich sehnt, und in der Mitte eines solchen Reiches diese herrschaftliche Residenz! Was kann man thun?«

Er hatte sich in Eifer hineingeredet und begann nun, neben seinem Neffen einherschreitend, demselben mit einer selbst bei ihm außergewöhnlichen Lebendigkeit die Eigenschaften und den Werth der Olowiecki'schen Güter zu schildern. Seine Stimme, von häufigem Lachen unterbrochen, klang in dem tiefen Schatten und dem absoluten, rings umher herrschenden Schweigen wie in einem Urwalde wieder. In dem Garten und dem Parke, den sie in allen Richtungen durchquerten, war überall dieselbe Pracht der Flora und dieselbe Vernachlässigung. Hin und wieder konnte man durch eine Spalte zwischen den Bäumen die weißen Mauern des Palastes schimmern sehen, an denen sich der wilde Wein in seiner herbstlichen, rothen Gewandung emporrankte. Auch einzelne Stämme umschlang er, und seine Blätter bedeckten den Rasen. Der Wind trug seinen Samen überall hin. Wind, Sonne und die Säfte der Erde thaten hier alles. Einst hatte auch menschliche Arbeit an dieser Stätte geschafft. Doch das war lange her. Jetzt herrschte tiefe Stille. Und diese Grabesruhe machte an einem Festtage, wo alles in der Umgegend geschmückt, lebhafter und fröhlicher war als sonst, einen eigenthümlichen Eindruck. Man fühlte sich in eine Einöde versetzt. Dort, wo die Wirthschaftsgebäude standen, mochte wohl Leben sein, doch wahrscheinlich war dasselbe nicht sehr rege, da auch nicht der geringste Laut einer menschlichen Thätigkeit hierher drang. Nur die Vögel zwitscherten, leise rauschte und klagte der Wind, und auf die Rasenplätze, welche von Maßliebchen besäet waren, schien die Sonne goldig hinab.

Roman nahm den Hut vom Kopfe und fuhr mit der Hand über seine gerunzelte Stirn:

»Fürchterlich traurig ist es hier, Onkel. Da habe ich mir Górowo doch ganz anders vorgestellt. Wo ist denn jetzt Herr Olowiecki?«

»Ja, mein Herz, wie soll ich denn das wissen?« entgegnete der alte Darnowski lächelnd. »Górowo kenne ich von altersher; was kann man thun? Und vor mehreren Monaten war ich mit Stephek hier, um mit dem Verwalter in Geschäften des jungen Wygrycz zu sprechen. Doch, richtig, Du weißt ja nicht wer Wygrycz ist! Ich wollte also nur sagen, daß wir damals so wie heute überall umherstreiften. Am Ende dieser Allee, wenn man um die Ecke biegt, bietet sich ein hübscher Anblick dar. So, da wäre er! Schön, wie? Solch ein Bild ist des Anschauens wohl werth! He? Was kann man thun?«

Das Bild, das sich ihren Augen darbot, war sehr eigenthümlich. Ein großer, runder Teich, dessen Oberfläche jedoch anstatt in krystallener Helle den Himmel mit seinen flockigen Wölkchen wiederzuspiegeln, unter einer Schicht von Schilf, Binsen und Wasserweiden fast vollständig verschwand. Nur hie und da leuchteten zwischen dem schimmernden Grün trübe, blaue, kreisrunde Wasseraugen. An den Ufern wuchsen Trauerweiden, knorrige Erlen und eine schlanke, italienische Pappel, auf deren Gipfel ein von seinen Insassen verlassenes Storchnest in die Höhe starrte. Ebenso leer wie dieses Nest war eine Laube, deren Bänke sich in faulendes, moderndes Holz verwandelt hatten.

Die beiden Darnowskis traten in die Laube. Die Luft daselbst war dumpf und schwül. In der Tiefe zwischen dem grünen Gezweig schimmerte eine weiße Marmorstatue. Dieselbe, einst ein wunderbares Kunstwerk, war gegenwärtig verstümmelt und es war nicht möglich zu erkennen, wen sie darstellen sollte. Doch der des Kopfes beraubte Rumpf war meisterhaft gemeißelt, und die Arme schienen wie zum Segnen emporgehoben.

Eine Oeffnung in der Laube gewährte einen Ausblick über die Stätte, die, von ihren Bewohnern verlassen, stumm zu klagen schien. Drinnen jedoch erhob ein namenloses, heiliges Wesen, das schön wie alles, was ein erhabener Gedanke begonnen, die Arme und segnete. – Den Moder und Schimmel, die Dämmerung und die nicht einmal von Vogelsang unterbrochene Stille segnete es.

Hastigen Schrittes hatte Roman die Laube verlassen und eilte auf eine Lichtung zu, die von wärmenden Sonnenstrahlen überfluthet war. Lachend suchte der alte Darnowski ihn einzuholen.

»Warte doch, Herz,« rief er, »lasse Deinen Freitag nicht im Stiche. Denn da wir auf einer menschenleeren Insel uns befinden, muß der Eine von uns Robinson, der Andere Freitag sein. Was kann man thun? Bleiben wir also hübsch beisammen, damit uns in dieser »Wacht« nicht etwa die – Wölfe auffressen. Uebrigens müssen wir uns, um den Ausflug zu vervollständigen, noch das Innere des Palastes ansehen.«

Seine Augen brannten gleich feurigen Kohlen, die Falten auf seiner Stirn waren in lebhafter Bewegung.

»Ist Olowiecki ruinirt?« fragte Roman.

»Aber wo denn, Herz, er ist sehr reich. Außer Górowo besitzt er noch mehrere Güter und viel Geld. Nach seinem Tode werden seine beiden Söhne noch in des Wortes vollster Bedeutung reich heißen können. Aber was geht das uns schließlich an? Was kann man thun? Da ist ja der Palast! Ich möchte, daß wir hineinsehen, nur sind alle Fenster mit Kreide verschmiert. Das ist zum Schutze gegen die Sonne. Nun, mir recht. Aber wir finden schon eine Möglichkeit hineinzuschauen.«

Während der Alte nach einem Ritze oder Oeffnung suchte, die das Hineinsehen ermöglichen sollten, stand Roman an einen Baum gelehnt und blickte, die Arme über der Brust kreuzend, stumm auf den Palast. Dieser Ort mußte entschieden ungesund sein. Roman fühlte, wie es ihm eiskalt über den Rücken lief; eine unsagbar schwere Last wälzte sich ihm auf die Brust. Gott! Diese fürchterliche Stille! Ihm graute davor.

Horch, es singt jemand! Vom Felde her vernahm man den Gesang einer Frauenstimme. Es war eine Bäuerin, die entweder zur Kirche oder ihren reifen Flachs zu besehen ging. Die einzelnen, hohen, immer sich wiederholenden Töne, die bis hierher drangen, machten einen kläglichen, primitiven Eindruck. Man wurde noch trauriger gestimmt. Das klang schon vollständig wie bei einem Begräbniß.

In diesem Augenblicke schaute der Kopf des alten Darnowski zwischen den Zweigen wilden Weines hervor, dessen Blätter auf seine kahle Stirn fielen.

»Komm her, Herz,« rief er, »hier ist ein Fenster, dessen Scheiben durchsichtig geblieben sind. Da können wir hineinsehen. Unsere Augen werden weder die Scheiben durchbrennen, noch die Farbe der Möbel verderben. Nicht? Was kann man thun?«

Eines der auf die Veranda hinausgehenden Fenster war – wahrscheinlich in Folge von Vergeßlichkeit – nicht mit Kreide verschmiert worden. Durch dasselbe konnte man zwei Zimmer vollständig und auch einen Theil der übrigen überblicken. Doch verlieh die in den Räumen herrschende Dämmerung den Gegenständen ein gespenstisches Aussehen. Die reichen Möbel waren in Unordnung auseinander geschoben oder bildeten stellenweise kleine Gruppen, als hätten sie aus Schreck oder Langeweile Gesellschaft gesucht. Eine an theueren Ketten über einem Tische hängende ovale Lampe sah aus wie ein Thränenkrug über einem Sarkophag. An einer der Wände unterschied man mit ziemlicher Deutlichkeit die Abbildung einer nackten Gestalt. Da der Rahmen des Bildes in dem Halbdunkel nicht sichtbar war, machte es den Eindruck, als ob die Gestalt mit einer pathetischen Geberde aus der Höhe hinunterschwebe.

An einer anderen Wand warf ein großer Spiegel das Bild einer weißgekleideten Frau zurück. Die im Hofe wachsenden Bäume bedeckten die weißen Scheiben mit schwarzen, düsteren Zeichnungen. Die Vergoldung der Zimmerdecken entfachte in den Spiegeln einzelne Funken, die bunten Scheiben einiger Fenster warfen kreisrunde, rothe und blaue Flecke auf das Parquet, dessen Mosaik von dunklen Schatten wie von Leichentüchern bedeckt war.

Die beiden Darnowskis schritten die unter ihren Füßen nachgebenden Stufen der Veranda hinab, und nachdem sie sich abermals durch Dickicht und Gesträuch hindurchgearbeitet hatten, befanden sie sich endlich wieder im Hofe, im hellen Sonnenlichte.

Roman war nachdenklich, traurig und sogar etwas blässer als sonst, Herr Romuald hingegen äußerst angeregt.

Er blieb im Thor stehen und ließ seinen Blick über die ganze Gegend schweifen.

»Du weißt gar nicht,« sagte er zu seinem Neffen, »was für Schätze in dieser Erde liegen. Der Boden wird sogar nicht schlecht bearbeitet. Natürlich. Er ist ja einträglich und Einkünfte verachtet man nicht. Und doch sage ich Dir, könnte viel mehr daraus gewonnen werden. Was kann man thun? Es ist nun einmal so und basta! Das Wieso? und Warum? verstehst Du nicht. Woher denn auch? Heute bist Du da, aber gestern warst Du nicht und morgen wirst Du wiederum fort sein. Was kann man thun? Die Verhältnisse sind Dir fremd, folglich liegt Dir auch nichts an alledem.«

»Aber Onkel,« unterbrach Roman mit gedämpfter Stimme, »wenn die kleine Bronia mich einen Australier nennt, so lasse ich das hingehen. Du jedoch –«

»Gott behüte mich,« fiel ihm Herr Romuald ins Wort, »daß ich Dir ein Unrecht hätte thun wollen. Habe ich doch Bronia für diesen kindischen Scherz gehörig ausgescholten. Wer wird denn daran zweifeln, daß Du ein Europäer bist. Zweifellos bist Du einer. Was kann man thun? Trotzdem jedoch –«

Er hielt inne, denn in diesem Augenblicke näherte sich den Sprechenden ein junger, schlanker Mann.

Es war dies einer der zahlreichen Beamten auf den Olowiecki'schen Gütern; er trug eine Kleidung, die, wenngleich aus ziemlich grobem Stoffe, nichtdestoweniger bereits einigen Anspruch auf Eleganz erhob, und mochte wohl im Begriffe gewesen sein, den Festtag zu einem Spaziergange zu benützen. Beim Anblicke des alten Darnowski jedoch trat er auf ihn zu und begrüßte ihn, indem er ihm respectvoll den Arm küßte. Herr Romuald drückte ihm herzlich die Hand.

»Sage einmal, Wladek,« begann er, nachdem ihre Unterredung sich mehrere Minuten um Gegenstände gedreht hatte, die Roman vollständig fremd waren, »weißt Du nicht, wo Herr Olowiecki jetzt ist? Stephan und ich haben ein Geschäft mit ihm. Was kann man thun? Es ist wegen der Mühle, die Boles Wygrycz in Pacht nehmen möchte. Wir möchten an Herrn Olowiecki schreiben, aber vor zwei Monaten noch war sein Aufenthaltsort niemandem bekannt. Wißt Ihr jetzt vielleicht etwas Näheres?«

»Freilich,« antwortete der Jüngling, »vor einigen Tagen war ein Brief vom Bevollmächtigten, bezüglich der Mühle –«

»Nun, und?«

»Der Bevollmächtigte schreibt an den hiesigen Verwalter, vor einem Monat sei Herr Olowiecki, nachdem er die heiße Zeit im Gebirge zugebracht, in Ostende eingetroffen. Dort wird er Seebäder nehmen und dann, wie alljährlich, zum Winteraufenthalte nach Paris fahren.«

»Aha,« sagte der alte Darnowski, »vom Gebirge ans Meer, von da nach Paris, während des ganzen Winters. Natürlich. Was kann man thun? Ich danke Dir, mein Herz, für die Nachricht. Werden sie die Mühle an Wygrycz verpachten – oder nicht?«

»Das weiß ich nicht, denn Herr Olowiecki hat dem Bevollmächtigten und Letzterer dem Verwalter nichts Entschiedenes geschrieben.«

»Von Pontius zu Pilatus,« bemerkte Darnowski, »und Pontius ist tausend Meilen weit entfernt. Nun, lebe wohl, Wladek,« schloß er, dem jungen Manne herzlich die Hand drückend, »und schreibe an Ignas, daß er seinen Hammer fleißig schwingen und tüchtig auf den Amboß loshauen soll. Jede Arbeit ist Gott wohlgefällig.«

Auf dem Wege zu der etwas abseits stehenden Britschka erklärte Herr Romuald:

»Dieser Boles Wygrycz ist der Sohn eines Arztes, dessen Du Dich vielleicht erinnerst.«

»Und wie gut erinnere ich mich seiner,« unterbrach ihn Roman, »er wohnte im Städtchen und pflegte häufig nach Darnówka zu kommen.«

»Ganz recht. Sein Sohn hat ein Polytechnikum beendet und ist gegenwärtig bei den Eltern zu Besuche. Nun kommt er zu Stephek und klagt: der Vater ist alt, die Mutter schwach und hinfällig, die Brüder klein; ohne ihn sei eine Existenz für die Familie nicht zu ermöglichen. »Ich möchte mich hier irgendwo in der Nähe niederlassen,« sagt er, »wenn ich auch Schwarzbrot essen müßte.« Was kann man thun? Stephan räth ihm, die Mühle in Pacht zu nehmen. Die Mühle ist groß, schön, aber vernachlässigt; ein Techniker könnte ein Kleinod aus ihr machen. Boles gefiel der Plan; was hilft das aber, wenn der Zutritt nicht ermöglicht ist?«

Roman war so in Sinnen versunken, daß er die Erzählung des Onkels kaum hörte. Immer wieder mußte er denken: »Eine von Gottes Gnaden leuchtende Lampe! Reichthum – die Achse, um welche die Welt sich dreht!«

»Ich wußte immer,« begann er, neben der Britschka stehend, »daß es in der Welt so zugeht. Aber Wissen und Sehen, das sind denn doch grundverschiedene Dinge. Man muß wirklich ein Schurke oder ein Wahnsinniger sein.«

Doch Herrn Romuald's rauhe Hand legte sich beschwichtigend auf Roman's Lippen.

»Still, Herz,« sagte der Alte, »still! Mit solchen Benennungen muß man sehr vorsichtig sein. Sind jene dort die einzigen, die nach einem bequemeren Leben streben? Alle thun es, nur jeder auf seine Weise. Was kann man thun? Ich verlange Brot, Du Pasteten, ein dritter Górowo; und wer Górowo besitzt, der sucht die Alpen auf, Ostende und Paris. Maß und Möglichkeit sind verschieden. Das Ding an sich jedoch – was kann man thun? – ist in allen Fällen dasselbe. Da giebt es keine Grenze.«

»Das ist wahr,« bestätigte Roman nach einer Weile. »Du hast recht, Onkel. Es giebt keine Grenze.«

Er sprach leise, denn eine große Last hatte sich auf seine Brust gewälzt. Sonderbar! Trotzdem er doch gar keine Schuld daran trug, daß er Górowo anders gefunden, als er sich dasselbe vorgestellt, war ihm zu Muthe, als habe er beigetragen zu dem Werke, das er so streng verdammte.

Sie stiegen auf die Britschka. Roman warf einen Seitenblick auf seinen Onkel. Herr Romuald war plötzlich verstummt; die Falten, die seine Wangen durchquerten, schienen noch tiefer; um die sonst gutmüthig lächelnden Lippen zog sich eine scharfe Schmerzenslinie, und gleich schweren Wolken hingen die Brauen über den Augenlidern.

Die Britschka fuhr jetzt eine schlecht gepflasterte Straße entlang, durch ein Dorf, dessen Bewohner fast alle zur Kirche gegangen waren. Auf den Höfen standen Pflüge, Eggen und Wagen mit zu Boden gesenkten Deichseln unthätig da; in den Gärten wuchs allerlei Gemüse, Flachs und Sonnenblumen; Kinder jeglichen Alters tummelten sich fröhlich im hellen Sonnenschein; andere saßen still auf den Schwellen der Hütten. Hunde in allen Farben und Größen bellten die Vorüberfahrenden an, Hennen gackerten, aus einigen Schlöten stieg bläulicher Rauch in die Höhe; hinter den Fenstern der Behausungen tauchte manchmal ein mit grauen Haaren bedeckter Kopf auf. Auch Blumen, bald in Töpfen wachsend, bald zu Sträußen gebunden, waren sichtbar.

Herr Romuald war wieder gesprächig geworden. Dieses Dorf hatte einst zu Zawróæ gehört. Der alte Rosnowski war ein menschlicher Herr gewesen und die Bauern hatten es hier gar nicht schlecht gehabt.

»Nichtsdestoweniger faulen die meisten Hütten und das ganze Dorf steht gleichsam in einem Sumpf. Es fehlt eben an der Cultur und dem Fortschritte, in deren Dienst Bohdan so gearbeitet hat, daß ihn das Fieber schüttelt und Swój vor Herzeleid heult. Aber das ist richtig und vernünftig. Denn sage mir nur, mein Herz, für wen soll man sich da anstrengen? Für Wesen, die wie Menschen aussehen, ohne solche zu sein? Denn Du wirst sie vielleicht bemerkt haben, die Kinder, die auf den Reisighaufen saßen, und jenes alte, gebückte, runzlige Weib, welches zwei Eimer Wasser auf den Schultern trug? Was kann man thun? Oder jenen stämmigen Bauer mit dem Kinde auf dem Arme? Das Kind lachte uns an und das Gesicht des Alten warf das Lächeln strahlend zurück. Wie gefällt Dir, mein Herz, dieser Abglanz eines Kinderlächelns auf Gesichtern, die unter ihrem zerrauften Haar ein fast wildes Aussehen haben? Mir kommt er vor wie ein in Wolken sich wiederspiegelnder Sonnenstrahl. Kindheit und Alter. Was kann man thun? Diese zwei Pole des menschlichen Lebens haben sie und dazwischen verschiedene durch Wolken scheinende Sonnenblicke. Auch einen Kirchhof haben sie. Siehst Du dort in dem gelben Sande den Wald von Kreuzen? Das ist ihr Kirchhof. Sie haben den Tod. Ganz wie Menschen. Aber damit ist auch die Aehnlichkeit zu Ende. Sie sind eben Anthropomorphen, das heißt die menschenähnlichsten Thiere, und als solche sitzen sie ewig in einem Sumpfe. Denn Menschen und obendrein sogenannt höher Stehende ringen und streben danach, daß ihr Leben ein besseres, bequemeres werde, indes in dem Sumpfe der Anthropomorphen höchstens einmal der barmherzige Gott ein kleines Blümchen erblühen läßt. Was kann man thun?«

Er sprach dies alles in eintönigem, gleichgiltigem Erzählertone und starrte unverwandt auf die Spitze seines Stockes, über dessen Knopf er beide Hände gefaltet hielt.

Roman war noch immer erregt und auch blässer als sonst. In seinen Augen leuchtete ein ungewöhnlicher Glanz und dies erhöhte seine Aehnlichkeit mit Herrn Romuald und Stephan, die Beide ungemein feurige Augen hatten.

Mehreremale schon hatte er etwas sagen wollen, doch bald war er durch sein eigenes Zögern, bald durch die Gesprächigkeit seines Gefährten daran verhindert worden.

Endlich begann er mit etwas unsicher klingender Stimme:

»Casio Domunt sagte mir, wenn sich ein Rechtsgelehrter in dieser Gegend niederließe, würde er sein Auskommen finden und auch einen Wirkungskreis, wo er nützlich sein könnte. Was meinst Du dazu, Onkel?«

Herr Romuald erhob das Haupt und streifte das Antlitz seines Neffen mit einem raschen, lebhaften Blick. Dann starrte er wieder auf seine Stockspitze und nachdem er eine Weile nachgedacht, antwortete er:

»Was die Nützlichkeit anbetrifft, so ist solche wohl vorhanden. Was kann man thun? Natürlich. Warum denn nicht? Das ist ja selbstverständlich. Stephek hat sogar diesbezüglich eine » idée fixe«. Habe ich noch nicht vergessen, was » idée fixe« bedeutet? Einen Sparren, nicht? Also, wie gesagt, Stephek hat eine » idée fixe«, über die ich sicherlich mit ihm nicht streiten werde. Aber was die Existenz anbetrifft, so weißt Du, Herz, was kann man thun?«

Er rückte sich auf seinem Sitze zurecht, sein Rücken schien sich noch mehr zu runden, noch starrer haftete sein Blick auf der Stockspitze. Endlich sagte er:

»Die Existenz, aufrichtig gestanden, wäre just nicht die angenehmste. Zwar brauchte, wer sich dazu entschließt, nicht wie ein Anthropomorphe im Schlamm zu stecken, aber Pasteten hätte er nicht einmal » au figuré«! Eine armselige Wohnung, der Fußboden aus Fichtenholz, die Zimmer niedrig, die Wände nur getüncht, und von Kunstgenüssen höchstens das Spiel eines Bauern auf der Harmonika und die Bilder, welche der Schöpfer auf die riesengroße »Natur« genannte Leinwand gemalt. Und außerdem Verdrießlichkeiten, Aergernisse, gar manches, was an die Plagen Aegyptens erinnert. Und wozu dies alles? Um einem Sparren Genüge zu thun? Nein, so dumm ist niemand. Jeder strebt nach einem besseren, bequemeren Leben. Das ist doch natürlich. Sehr natürlich. Und über die Natur, welche das ganze Thierreich geschaffen, kann sich der Mensch, wenngleich er auch kein Anthropomorphe, doch nur in den seltensten Fällen erheben. Was kann man thun? Nur sehr selten!«

Die Britschka blieb vor der Pforte des Friedhofes stehen, welcher die Kirche umgab.

»O!« rief Herr Romuald, »wir sind zu spät gekommen. Es ist schon nach der Procession.«

Und mit einer lebhaften Bewegung schwang er sich von dem Fuhrwerk hinab.

Durch die weit offen stehende Kirchthür strömte Chorgesang und Orgelspiel ins Freie. In dem hohen, kleinen Fenster des grauen Glockenthurmes tönte die Glocke; ihr Klöppel an die ehernen Wände schlagend, entsendete klare, reine, silberhelle, triumphirende Klänge in die Höhe. An der Kirchmauer prangten unter weitästigen Bäumen riesengroße, rothblühende Malven. In dem Schatten der Bäume standen Britschkas, Wagen und zahlreiche Pferde. Neben einem Vierspänner lag, zusammengekauert, ein gefleckter, zottiger Hund.

Der alte Darnowski bückte sich zu dem Thiere und rief:

»Swój!«

Der Hund hob, mit seinen klugen Augen den Sprechenden anblickend, den Kopf träge empor.

»Wo ist Dein Herr?«

Das Thier blinzelte und wandte den Kopf mit einer langsamen Bewegung zur Kirchthür.

»Aha! Nun ja! Natürlich. Wenn Du da bist, muß ja auch Dein Herr in der Nähe sein. Nicht wahr, Swój?«

Swój gähnte und antwortete dann kurzweg:

»Hau, hau!«

Es klang ganz deutlich wie: ja! ja!


 


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