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I

Der Eisenbahnzug hielt an einer kleinen, inmitten weiter, wogender Felder liegenden Station. Einem der Coupés entstieg ein junger, elegant gekleideter Mann.

»Wollen der Herr nach Darnówka?« fragte mit tiefer Verbeugung ein Bauernbursche, der den Passagier erwartet zu haben schien.

Ein Zweifel war ausgeschlossen, denn der Zug, dem nur dieser eine Reisende entstiegen war, hatte sich bereits mit schrillem Pfeifen in Bewegung gesetzt.

Der Ankömmling wies auf mehrere elegante, messingbeschlagene Lederkoffer, und zehn Minuten später saß er auf dem Wagen, der von zwei kastanienbraunen, mäßig großen, feisten Pferdchen mit weißen, in die Stirn gekämmten Mähnen gezogen wurde.

Dieses Gefährte erinnerte ihn an längst vergangene Zeiten.

Ach, ja! Mit einem solchen war er nach den letzten, im Hause seines Onkels verlebten Ferien zur Bahn gebracht worden.

Zehn Jahre sind es her, und doch scheint es ihm nur ein Traum. Er hatte eben die Schüleruniform abgelegt und sollte nun die Universität beziehen. Aber am Tage seiner Abreise war die Freude über dieses Ereigniß spurlos verschwunden und mit Mühe nur unterdrückte der Neunzehnjährige die Thränen, die ihm der Abschied in die Augen trieb.

Und vielleicht war ihm dies nicht vollkommen gelungen. Es war aber auch gar zu traurig, dies alles verlassen zu müssen! Das Dorf, die goldene Freiheit des goldenen Sommers, und vor allem ein Paar große, graue Augen, deren trauriger, erstaunter Blick noch im letzten Augenblicke – der Wagen stand bereits vor dem Hause – den seinigen begegnet war. Doch, das sind wirklich dieselben Pferde und derselbe Kutscher!

»Höre, mein Freund, wie alt sind diese Pferde?«

Der Bursche wandte sich ein wenig um.

»Das eine, Herr, ist am heiligen Georg fünf Jahre alt geworden, das andere wird sechs zu Maria Himmelfahrt.«

Maria Himmelfahrt! Es ist nur der Name eines Feiertages. Warum scheint es dem Ankömmling, als ob er bei diesem Worte festliches Glockengeläut vernähme? Als umfange ihn herrlicher Blumenduft?

Also die Pferde sind nicht dieselben. Natürlich. Aber ähnlich sind sie.

Und der Kutscher?

»Dienst Du schon lange bei meinem Onkel?«

»Ich? Ihi! Immer. Ich bin ja in Darnówka geboren. Aber zu Maria Lichtmeß wird es zwei Jahre, daß ich Kutscher bin.«

Maria Lichtmeß! Aha! Der Schnee knistert unter den Schlittenkufen, sternenhell sind die Nächte, die Leute reden von Wölfen.

Also nicht derselbe Kutscher. Natürlich. Aber ähnlich ist er.

Aber die Felder, die sind schon sicherlich dieselben; eben, weit sich ausdehnend, mit gelben, im Lichte der untergehenden Sonne röthlich schimmernden Stoppeln, in deren Mitte dunkelblaue Kornblumen blühen und bald in Gruppen, bald einzeln Hagedorn, Berberisstauden, Haselnußsträucher und Feldrosen wachsen.

Der Wagen erreicht eine feuchte Wiese mit einem Weiher in der Mitte. Am Ufer des Weihers bemerkte Roman Störche. Eins, zwei, vier, fünf, zehn. Die einen stehen, die anderen schreiten gravitätisch auf und ab und sinnen. Wahrscheinlich denken sie an ihren Flug in weite Länder. Nicht lange mehr und sie fliegen davon!

»So wie ich! Auch ich bin davon geflogen und kehre jetzt heim – auf eine Weile. Und wenn ich abermals davonfliege, werde ich vielleicht nimmer wiederkehren!«

Wie oft war er früher auf dieser Wiese gewesen! Hatte sogar den Namen des Weihers gewußt! Jetzt erinnert er sich nur, daß hier des Abends zwei Musikkapellen concertiren: Frösche und Vögel, deren Namen er vergessen.

Bei dem Worte Musik fällt ihm der Circus ein, und die reizende Aurora, welche ihm eines Abends der dicke Millionär – Die Truppe war nach einjähriger Abwesenheit wieder gekommen, er hatte Aurora im Circus und auch außerhalb desselben gesehen.

Er war damals sehr mißgestimmt, suchte sich zu zerstreuen und zu betäuben. Plötzlich reiste er ab. Vielleicht war dies nicht richtig. Diese Aurora! In der Arena ist sie ein Vogel, ein Schmetterling, etwas nahezu Ueberirdisches; hinter den Coulissen – nun, daß sie –! Ein Scheusal!

Vom Walde wehte der Wind und der Ankömmling fühlte die Frische, die ihm von den Birken, Erlen, Espen und den klarblinkenden Thautropfen entgegenströmte.

Jenseits des Wäldchens sieht man ein Dorf, hinter demselben ein zweites und ein dichtes Gebüsch, aus dessen Mitte hohe, italienische Pappeln emporragen. An diesen Bäumen erkennt man die Nähe des Hofes.

»Darnówka?« wendet sich der Ankömmling fragend an den Kutscher.

»Ja, Herr,« lautet die Antwort, indes die Räder des rascher rollenden Wagens große Staubwolken aufwirbeln. Diesem Staub entsteigt ein Sand- und Lehmgeruch, ein heißer, trockener Athem, und gleich unsichtbaren, in einem Spinnengewebe summenden Fliegen, umschwirren den Ankömmling die Erinnerungen an einst Erlebtes. Wie? So können auch den Staubwolken eines Fahrweges Erinnerungen entsteigen?

In der Nähe des Hofes sieht man die Gestalt eines Mannes, der langsam hinter einem Pfluge einhergeht. Es ist dies weit und breit das erste Zeichen menschlichen Lebens. Aus der Entfernung hört man das Brüllen der Kühe, das Krähen der Hähne, regelmäßig sich wiederholende Axtschläge und lustige Lieder der Bauernburschen. Am Wege, in den Zweigen der Weiden- und Birnbäume zwitschern fröhliche Vögel. Sonst ist alles still.

Plötzlich wird diese Stille durch lautes Rufen unterbrochen.

»He, Martin, halt! Wie geht es Dir, Roman? Warte, mein Herz, das Stoppelfeld ist kein Teppich für Dich! Ich bin es schon gewohnt, ich komme zu Dir! Was kann man thun? Nun, willkommen, sei mir gegrüßt – was kann man thun – Du mein lieber, so lange nicht gesehener Junge!«

Den Pflug sammt den Pferden im Stiche lassend, eilte der graubärtige, kahle, alte Säemann auf den Jüngling zu und schloß ihn zärtlich in seine Arme. Nach einer Weile wandte er sich zum Kutscher.

»Gehe nach Hause, Martin, und sage Józiek, er solle Pflug und Pferde heimholen. Den Gast begleite ich selber.«

Und einen erstaunten Blick Roman's auffangend, fuhr er fort:

»Es wundert Dich, daß ich hinter dem Pfluge einhergehe? Ehemals that ich es nicht, das ist wahr. Aber siehst Du, Herz, ehemals war ich aus anderem Teig geknetet, aus so einem feinen Teig, weißt Du, mit Rosinen gespickt.«

»Wahrscheinlich ein hygienisches Mittel,« bemerkte Roman.

Der Alte lachte.

»Freilich, mein Junge, hygienisch, hast recht! Was kann man thun? Hygienisch leben ist sehr vernünftig. Doch wozu darüber reden! Also bist Du bei uns! Bist doch gekommen.«

Während die Beiden dem Hofe zuschritten, suchten sie einander auf möglichst unmerkliche Weise zu beobachten.

Romuald Darnowski hatte sich in den letzten zehn Jahren nicht sehr verändert. Der hohe Wuchs, die breiten Schultern, die kahle Stirn, das Feuer in den dunklen Augen und sogar der joviale, manchmal schlaue Ausdruck des großen, sonngebräunten, gerunzelten Antlitzes waren dieselben wie einst. In seinen derben, staubbedeckten Stiefeln mit den hohen Schäften, in dem Rock aus Hausleinwand machte er den Eindruck eines gesunden, kräftigen, fröhlichen Landmannes.

Trotz der geringen Veränderung, die mit dem Onkel vorgegangen, bemerkte Roman doch manches, was ihn erstaunte und beunruhigte.

Diese eigenhändige Arbeit, die grobe Kleidung, die harte, gebräunte Haut des Gesichtes und der Hände.

War der Onkel ruinirt? Und trotzdem er Besitzer von Darnówka, zur Verrichtung so niedriger Arbeit gezwungen? Indessen sah er nicht gedrückt aus, sondern unterhielt sich mit dem Neffen lebhaft und fröhlich.

»Also bist Du doch gekommen, mein Herz! Weißt Du was? Deinen Brief habe ich erhalten, die Pferde zur Station geschickt und nichtsdestoweniger – was kann man thun – glaubte ich nicht an Deine Ankunft. Immer wieder dachte ich – was kann man thun – er wird verhindert werden.«

»Ich bin wirklich schuldig,« begann Roman nicht ohne Verlegenheit, »sehr schuldig, und ich wundere mich nicht, lieber Onkel, wenn Dir Zweifel an meiner Anhänglichkeit aufstiegen.«

»Warum,« rief Darnowski, »warum schuldig, mein Herz? Weil Du selten geschrieben und seit sechs Jahren ganz geschwiegen hast? I, mein Herz, da kenne ich den Grund! Die Welt, Beziehungen, Vergnügen, Zerstreutheit, Beschäftigung, Carrière – force majeure, mein Herz. Denke ich noch die richtige Bedeutung des Wortes? Force majeure, die befehlende, die Hauptkraft, nicht wahr? Was kann man thun? Und was die Anhänglichkeit anbetrifft, so war sie wohl vorhanden, aber durch die force majeure unterdrückt. Was kann man thun? Man sieht ja, daß sie vorhanden war, sobald Du doch gekommen bist. Aber ich gratulire, mein Herz, ich gratulire! Du hast einen glänzenden Posten erhalten. Phi, phi! Was kann man thun? Du bist hoch gestiegen und wirst noch höher steigen. Schön, wunderschön! Aber der Wissenszweig, den Du erwählt, hat Dich an und für sich davor behütet, daß Du kein Pilz werden konntest.«

»Ein Pilz?« fragte Roman lächelnd.

»Freilich; so wie wir zum Beispiel. Was kann man thun? Wir sind gewöhnliche Pilze, die dort wachsen, wo der liebe Gott sie gesäet. Du fliegst wie ein vom Baume losgelöstes, freies, leichtes Blatt. Das ist viel angenehmer und hübscher.«

Er blieb stehen und einen etwas entfernten Punkt erblickend, rief er:

»Irus, Irus! Komme doch her, mein Herz, begrüße unseren Gast! Siehst Du, er ist doch gekommen!«

Und sich zu Roman wendend:

»Denn siehst Du, mein Herz, sie haben auch an Deinem Kommen gezweifelt. Stephan, Irene, Alle. »Wozu soll er kommen?« sagten sie. »Geschäftshalber ist es nicht nothwendig, auch hat er eine weite Reise vor sich.« »Irus! Was machst Du denn dort so lange? Komme doch her, Deinen Cousin zu begrüßen!«

Jenseits des Thores, in einem großen, durch einen niedrigen Zaun von dem Wege getrennten Gemüsegarten, erblickte Roman eine hochgewachsene, schlanke Frau, die er vorhin, da er gesenkten Blickes neben dem Onkel einherschritt, nicht bemerkt hatte. Sie war in ein helles Gewand gekleidet, hielt das Haupt ein wenig gesenkt und trug in der Hand einen ziemlich großen, mit allerhand Gemüse bis über den Rand gefüllten Korb.

Wie? Das ist sie? Sie? Dieselbe Irene, das einst so liebe und – geliebte Mädchen? Sie ist größer geworden und der dicke, ebenholzschwarze, seidenweich glänzende Zopf, der damals über ihre Schultern hinunter hing, ist jetzt am Hinterkopfe aufgenestelt.

Durch das Rufen des Oheims angespornt, beschleunigt sie den Schritt und steht nun vor den beiden sie erwartenden Männern. Langsam das Haupt emporhebend, reicht sie dem Gaste ihre freie Hand und ihr Antlitz wird von dem Halse bis zu den Haarwurzeln von einer flammenden, der Abendröthe gleichenden Glut überströmt.

Einen Augenblick sieht Roman in die grauen, unverwandt auf ihn gerichteten Pupillen, hält die Hand des Mädchens in der seinen; im nächsten Augenblicke jedoch ist Irene bereits auf dem Rückwege zum Garten begriffen.

Der alte Darnowski lachte.

»So wahr ich Gott liebe, das Mädel hat die Zunge im Munde vergessen. Was kann man thun? Nun, schließlich ist es kein Wunder. Nicht alle Tage wird uns hier der Anblick eines feinen Weltmannes und hohen Würdenträgers zutheil.«

»Du scherzest, Onkel,« erwiderte Roman und zögernd fügte er hinzu: »Die Baronin Lamoni sagte mir, Irene sei immer in Darnówka – ich wunderte mich darüber.«

»Warum, mein Herz?«

»Ich wunderte mich, daß – sie bisher nicht geheiratet hat.«

Ein frisches, gutmüthiges Lachen erklang als Antwort.

»Geheiratet? Aber wen denn? Vielleicht einen Hahn? Ha, ha, ha! Was kann man thun? Höchstens einen Hahn! Hier wird nicht geheiratet!«

»Warum, Onkel?«

Der Alte schien erstaunt.

»Das weißt Du nicht? Nun, wenn Du eine Zeit lang dableibst, wirst Du es schon erfahren.«

Er war ernst geworden.

»Doch das thut nichts, mein Herz! Wenn in einem Winkel des Erdballes keine Familien gegründet werden, so gründet man ihrer desto mehr in einem anderen. Die Menschheit leidet keine Einbuße.«

Jetzt war die Reihe des Lachens an Roman. Diese Art des Philosophirens war doch wirklich sehr eigenthümlich.

»Aber, lieber Onkel, das kann doch unmöglich ein Trost sein, angesichts der Thatsache, daß Irene's Schönheit und Eigenschaften – –«

»Was da, Schönheit!« unterbrach Darnowski. »Bist sehr gütig, sehr gütig. Denn wahrscheinlich bist Du doch in der Welt Schönheiten begegnet, mit denen unsere Irus einen Vergleich nicht aushalten würde. Was kann man thun? Und was die Eigenschaften anbetrifft, so sind sie – mit Verlaub zu melden – dumm! Wenn man eine Mitgift hat, dann ist es etwas anderes. Aber ohne Mitgift muß man auch Vorurtheile beiseite legen und einen festen Willen und Initiative besitzen. Was kann man thun? Vorurtheile hat sie, aber an festem Willen und an Initiative mangelt's. Sie hat Erzieherinnen gehabt, die Schule besucht, kann dasselbe, was alle Mädchen in der Welt, nun, warum versucht sie denn nicht ihr Glück? Und Gelegenheit gab es dazu. Was kann man thun? Eine glänzende Gelegenheit. Die Baronin wollte Irene mitnehmen, ihr ein bedeutendes Gehalt geben, sie in die große Welt einführen.«

»Ich weiß es,« schaltete Roman ein.

»Siehst Du, die Baronin hat es Dir erzählt. Nun sag' doch selber, ob das nicht eine Schrulle ist? Ein Mangel an Energie und Initiative? Sie wollte nicht. Nicht um die Welt. Da half kein Zureden. Eine Frau, die mehr als eine Million besitzt, die eitel Gold ist, steht vor ihr und bittet: »Komm' mit mir, ich führe Dich in die Welt, ich werde Dich schmücken, verheiraten!« Und sie, wie eine Elster: »Ha, ha, ha, hi, hi, hi! Nein, nein, nein, nein, nein, nein!« Und immer dasselbe! Nun, sag' selber, wie soll man das beurtheilen?«

»Aber, lieber Onkel, mir scheint, diese Handlungsweise verdient das günstigste Urtheil. Ist sie nicht ein Beweis, daß Irene das beste Herz unter der Sonne hat und Euch sehr zugethan ist?«

»Wirklich?« rief Darnowski erstaunt, »so faßt Du das auf? Das wundert mich, wundert mich sehr. Sie hätte doch Carrière machen können. Phi, Phi! Und welche Carrière! Und wollte nicht! Zog es vor, hier zu bleiben, ein Pilz, den niemand beachtet.«

»Aber warum denn niemand?« protestirte Roman abermals.

Diesmal antwortete der Alte nicht. In dem Blicke jedoch, mit dem er das Antlitz seines Neffen streifte, flimmerte und leuchtete etwas, während gleichzeitig ein strenger, schmerzlicher Zug sich um seine Lippen legte.

Sie betraten jetzt den runden Hofraum, in dessen Tiefe das Wohnhaus mit dem auf vier Pfeilern ruhenden Balcon im goldenen Lichte der Abendröthe erglänzte. Eine ältere, schmächtige Frau mit ergrauendem Haar und ein etwa zwölfjähriges Mädchen schritten den Ankommenden entgegen.

»Siehst Du, Paulinchen, er ist doch gekommen. Und Ihr wolltet an seine Ankunft nicht glauben. Ja, das Herz ist kein Diener, es hat ihn doch hergeführt, wahrscheinlich zum letztenmale! Nun, Roman, Du erinnerst Dich doch meiner Frau? Und das ist mein Jüngsterchen, Bronia! Bei Deiner letzten Anwesenheit war sie zwei oder drei Jahre alt. Leo ist älter als sie. Aber der ist heute Früh verreist, weil die Ferien schon zu Ende sind. Und Stephan denkst Du? Ihr seid ja Altersgenossen. Er ist Doctor irgend einer Wissenschaft. Jetzt ist er auf dem Felde und mäht Heu mit den Knechten. Doch wird er bald heimkommen. Mittlerweile, Paulinchen, kannst Du unserem Gaste Thee reichen.«

Die schmächtige Frau hob, Roman's Hand in ihren mageren, gelben Händen drückend, einen kläglichen Blick zu ihrem Gatten empor und sagte mit ängstlich klingender Stimme:

»Irene ist noch im Garten!«

»Aha! Und ohne Irus geht's nicht? Nun, was kann man thun? Komm', Herz, wir gehen zu Stephan. Er mäht hier in der Nähe. Denkst Du noch wie ihr Beide Euch hier zu Pferde tummeltet! Stephan hat sich auch verändert. Was kann man thun? Wirst schon sehen. Indessen werden die Frauen den Thee herrichten. Bronia kommt mit uns!«

Das Mädchen schob ihren Arm unter denjenigen des Vaters. Ihr zartes, junges Gesichtchen strahlte vor Vergnügen und lachend blickten ihre blauen Augen in die Welt. Ihr blondes Haar war in einen dicken, kurzen über die Schultern hinabhängenden Zopf geflochten; dies verhinderte jedoch zahlreiche goldigschimmernde Löckchen nicht, ihr übermüthig Stirn und Hals zu bedecken.

Sie gingen in den Garten und Roman empfand den Eindruck, als ob ein wohlbekanntes, doch lange nicht gesehenes Bild sich langsam vor seinen Augen entrolle. Aus der Entfernung vernahmen sie scharfe, rhythmisch sich wiederholende Klänge.

»Was ist das?« fragte Roman.

Darnowski, der soeben die Veränderungen beschrieb, die er und Irene im Garten vorgenommen und fernerhin vorzunehmen beabsichtigten, unterbrach seinen Bericht.

»Eine Sense, mein Herz. Ein Arbeiter schärft seine Sense.«

Roman bemerkte, daß Bronia ihn erstaunt und fragend anblickte. Doch schwieg sie.

Den Garten verlassend, gelangten sie auf eine Wiese, wo mehrere, entfernt voneinander, aber in Reih' und Glied stehende Männer ihre Sensen in regelmäßiger Bewegung über das hohe Gras gleiten ließen. Die letzten Strahlen der bereits untergegangenen Sonne warfen ein röthliches Licht auf die weißen Hemden der Mäher und die grünen Stoppeln zu ihren Füßen. Unter den Bäumen jedoch irrten schon die Schatten des Abends und über den Sträuchern erhob sich ein weißer Dunst, der nächtliche Athem sehr feuchter Gegenden.

Der alte Darnowski blieb an der Gartenthür stehen.

»Weiter gehen wir nicht. Die Wiese ist feucht, was kann man thun? Deine Beschuhung ist auf derartiges nicht eingerichtet. Stephan!« rief er, »komm' her, mein Herz! Es ist schon spät! Lass' die Arbeit liegen! Dein Cousin ist angekommen!«

Es hätte des Rufens nicht bedurft. Schon hatte einer der Mäher seine Sense auf die Erde geworfen und schritt nun auf Darnowski und Roman zu. Die Höhe des Wuchses und den kräftigen Gliederbau hatte er so wie die feurigen Augen von seinem Vater geerbt; doch war er bedeutend schmächtiger als jener, hatte eine dunkle Gesichtshaut und schwarze Haare und Brauen.

»Entschuldige,« sagte er, vor Roman stehen bleibend, »daß ich Dir die Hand nicht reiche. Sie ist seit mehreren Stunden im Feuer.«

»Der Arbeit! Ha, ha, ha!« lachte der Alte. »Was kann man thun? Im Feuer der Arbeit. Thut nichts! Wirst ihn umarmen und küssen, wenn Du Toilette gemacht hast. Jetzt komm' ins Haus mit uns.«

»Ich kann nicht, Vater. Erst in einer Viertelstunde. Ich komme zugleich mit den Anderen.«

Er schien unzufrieden und senkte, nachdem er Roman's Gestalt mit einem flüchtigen, aber durchdringenden Blicke gestreift, die Augen zur Erde. Auf seiner schöngewölbten, glatten Stirn glänzte der Schweiß in großen Tropfen.

Roman war erstaunt und enttäuscht. Auf das Zusammentreffen mit Stephan, mit dem ihn einst brüderliche Liebe verbunden, hatte er sich ganz besonders gefreut. Hatten sie doch zusammen gelernt, gestrebt, geschwärmt, geträumt! Diese Gleichgiltigkeit war sehr sonderbar.

»Also erst in einer Viertelstunde? Nun, meinethalben. Ich weiß schon, wenn Du eine Sache anfängst, läßt Du sie nicht los. Was kann man thun? Der Gast wird schon die Viertelstunde warten. Erinnerst Du Dich dieser Wiese, Roman?«

Er erinnerte sich ihrer nur wie im Traume. Doch fragte er den Onkel, ob er nicht wisse, wie der Weiher heiße, an dem man auf dem Herwege vorbei müsse?

»Freilich weiß ich es. Er ist ja nur drei Werst von Darnówka entfernt. Es ist der Hrodzicker Weiher, von Hrodziszcze, dem nächsten Dorfe so benannt.«

Richtig! Jetzt erinnerte sich auch Roman dessen. »Und die Vögel, die dort des Abends zugleich mit den Fröschen Concert geben?«

»Ach, Du meinst wahrscheinlich die Wachtelkönige –«

Ja, die meinte er.

In diesem Augenblicke bemerkte er wiederum Bronia's erstaunten, auf ihn gerichteten Blick. Um den Mund des Mädchens zuckte ein unterdrücktes Lachen.

»Was schaut mich die Kleine so verwundert an? Mir scheint gar, sie macht sich über mich lustig. Aber ein niedliches Mädel ist sie doch.«

Plötzlich erklang aus der Ferne lautes Lachen der Mäher, die ihre Arbeit bereits vollendet hatten. Stephan, der mit lebhafter Geberde zu ihnen sprach, lachte ebenfalls aus vollem Halse und wiederum in lautem Chor die Arbeiter. Der alte Darnowski, der mit Roman noch in der Gartenthür stand, hob die Hand zum Schnurrbart und zwirbelte an demselben herum.

Mehrere Minuten später saß Roman in dem kleinen Empfangszimmer allein mit der Tante. Sie war nicht amüsant; mit ihrer trübseligen Miene und der näselnden Sprache eher langweilig zu nennen. Auch schien sie ewig unzufrieden. Aber in ihren blaßblauen Augen lag ein Ausdruck sanfter Güte und plötzlich tauchte vor Roman die Erinnerung an lange, düstere Nächte auf, in denen diese Augen mit innigem Mitleid über ihn sich geneigt, diese langen, gelben Hände ihm Arznei eingeflößt hatten. Damals war er ein armes, verwaistes, krankes Kind gewesen, und die an seinem Bette wachende Frau hatte ihn der Krankheit und dem Tode entrissen. Diese Erinnerung brachte es wohl zu Wege, daß er die etwas entnervende Sprechweise der Tante mit großer Geduld ertrug, und daß ihm die Unterhaltung sogar ein gewisses Vergnügen gewährte. Auf Wunsch der Tante berichtete er manches über die Residenz, schilderte deren Vergnügungen, Schönheiten, Sitten.

»Ach, ach, ach! Ach, ach, ach!« seufzte die blasse Frau.

Doch in diesem Augenblicke brachte Bronia den Thee herein und sofort streichelte die Mutter lächelnd des Kindes rosige Wange. Bronia stellte den Thee auf den Tisch, kniete neben der Mutter nieder, drückte einen Kuß auf deren Hand und sprang dann lachend empor, um Zwieback zum Thee zu holen.

Frau Pauline wandte sich zu Roman.

»Und solche Mädchen hast Du viele in der Welt gesehen? O nein! Sicherlich nicht!«

Ein breites Lachen öffnete ihre schmalen, gelblichen Lippen, das blasse Blau ihrer Augen schien dunkler geworden. Doch gleich darauf seufzte sie wieder:

»Ach, ach, ach! Wie liebe ich das Theater! Ach, ach, ach! In meiner Jugend besuchte ich es manchmal. Jetzt komme ich seit langer Zeit nirgends mehr hin. Ach, ach, ach!«

Sie blickte durchs Fenster und rief mit schon ganz veränderter Stimme:

»Stephek kommt nach Hause! Bronia! Bronia!«

»Was wünschst Du, Mama?« erklang in der Thür die helle Stimme des Backfisches.

»Geh', bitte Irus, daß sie das Nachtmahl rascher aufträgt. Stephan muß hungrig sein und der Papa kommt auch schon aus der Scheune nach Hause.«

Roman sah durchs Fenster, wie Stephan über den Hof schritt, und nachdem er auf dem Balcon einige Worte mit Bronia, die ihm entgegenlief gewechselt, im Hause verschwand. Nach einer Weile erschien er im Empfangszimmer, begrüßte den Cousin mit einer etwas förmlichen Verbeugung, freundlich, doch ohne Spur von Herzlichkeit und ließ sich in einiger Entfernung von den Sprechenden, auf einen Sessel nieder. Auf dem durch das Fenster gebildeten, hellen Hintergrunde hob sich in der Dämmerung sein Profil mit den zu Boden blickenden Augen in strengen, fast harten Linien ab.

Während des Nachtmahles, welches im Speisezimmer eingenommen wurde, fielen Roman die Worte der Baronin ein: »Das alte Haus, die alten Möbel, die alten Sitten.« Hier war alles gerade so wie vor zehn Jahren. Doch konnte er nicht viel um sich schauen, da das Gespräch mit dem Onkel seine Aufmerksamkeit fesselte.

»Tausendfünfhundert Werst! Phi! Das Ende der Welt! Du fährst an das Ende der Welt, Roman, und hier wird Dich kein menschliches Auge mehr erblicken.«

»Warum, Onkel?« entgegnete Roman mit Lebhaftigkeit, »die Verkehrsmittel, die uns jetzt zu Gebote stehen, haben das Märchen der Siebenmeilenstiefel in Wirklichkeit umgewandelt. Dieser Stiefel aber bedienen sich vor allem Leute, die ein Stückchen Brot in der Welt suchen.«

Darnowski hielt mitten im Essen inne, und seinen Neffen erstaunt anblickend, rief er:

»Ein Stückchen Brot! Was Du nicht redest! Du beleidigst Dich und Deinesgleichen! Ein Stückchen Brot! Eine große Kunst! Ein Stückchen Brot kann jeder haben, der nicht ein Krüppel oder der letzte Narr ist. Ein Stückchen Brot hat auch wie es in der Bibel heißt: »Wer Holz sägt und Wasser trägt.« In den Städten, was kann man thun, näht man Stiefel und Kleider, wiegt Pfeffer und thut noch manches andere; auf dem Lande muß man pflügen, säen, dreschen, mahlen – und so hat man ein Stückchen Brot.«

»Ja, aber welches Brot?« wendete Roman ein.

»Das ist es eben! Welches Brot! Hast recht, mein Herz! Das war es, was ich sagen wollte. Ein Stückchen trockenen Brotes, im besten Falle mit mittelmäßiger Butter bestrichen. Keine große Kunst und keine große Klugheit. Was kann man thun? Das ist gut genug für einfache Leute, nicht aber für Menschen, die höher stehen. Diese verstehen die Bedürfnisse ihrer Zeit, kennen den Werth ihrer Person, die können sich mit trockenem Brote, sogar mit Butterbrot nicht begnügen. Sie streben höher, immer höher – ihr Ziel sind – Pasteten!«

Roman glaubte mißverstanden zu haben.

»Wonach streben sie, Onkel?« fragte er.

»Nach Pasteten,« wiederholte Darnowski ernst. »Doch ich meine dies selbstverständlich nur – nur – au figuré! Irus, habe ich noch nicht vergessen, was au figuré bedeutet? Wie?«

»Bildlich, Papachen!« erklang die schalkhafte Stimme des Backfisches, über dessen kindliche Züge ein heiteres Lächeln flog. Dasselbe Lächeln glitt über ein zweites Frauengesicht, das jedoch nicht wie dasjenige Bronia's, die Erinnerung an die Morgenröthe, sondern die an einen hellen wolkenlosen Sommertag hervorrief.

Doch Romuald Darnowski lächelte nicht, sondern fuhr mit Ernst und wachsendem Eifer zu sprechen fort:

»Pasteten – das ist bildlich ausgedrückt. Ich meine damit alle Erzeugnisse des menschlichen Verstandes, die man nicht entbehren kann, vorausgesetzt, daß man kein Bauer und kein Esel ist.

»Ich bin ein einfacher Mensch, und kann alle Bedürfnisse der Klugen dieser Welt nicht einmal aufzählen. Aber ich verstehe, daß ein höher stehender Mann mit dem Einsetzen seiner ganzen Kraft nach den sogenannten Pasteten strebt. Denn seinen ganzen Verstand, seine Energie in der Jagd nach einem Stückchen Brotes verbrauchen, das lohnt nicht der Mühe. Was kann man thun? Erst sitzt man jahrelang über den Büchern, dann arbeitet man auf allen Feldern mit allen Mitteln, mit seiner ganzen Kraft, doch nicht eines Stückchen Brotes halber? Was kann man thun? Man will steigen; immer höher, immer höher; immer zahlreicher und schöner sollen die Gegenstände, immer bedeutender und glänzender die Stellung werden, die man erobert – excelsior! Stephan, habe ich nicht vergessen, was excelsior heißt? Höher, höher –«

»Bis die Pasteten erreicht sind!« schloß Roman lachend, obgleich er eine unangenehme, peinliche Empfindung nicht unterdrücken konnte.

Doch Darnowski achtete der Unterbrechung nicht. Er hatte die letzten Sätze mit Eifer und überzeugender Kraft gesprochen; seine braunen Augen sprühten flammende Blitze, die Runzeln auf seiner Stirn waren in lebhafte Bewegung gerathen.

Seit mehreren Augenblicken schon warf Frau Pauline bald auf ihren Gast, bald auf ihren Gatten unruhige, besorgte Blicke. Endlich begann sie mit ihrer gewöhnlichen, kläglichen, etwas näselnden Stimme:

»Das ist doch aber sicher, daß, wenn es heute auch schwer fällt, Carrière zu machen, man nichtsdestoweniger danach streben muß. Sonst führt man, trotz der besten Erziehung, ein elendes Leben –«

Sie wollte weiter sprechen, doch fiel ihr, wie gewöhnlich etwas anderes ein; so schwieg sie denn, indem sie Stephan anblickte.

»Die hat wenigstens ihre Ansicht klar und deutlich ausgedrückt!« dachte Roman im Stillen und laut sagte er, nicht ohne einen Anflug von Gereiztheit:

»Sicherlich ist es heute eine Nothwendigkeit, Carrière zu machen – denn – was kann man thun?«

Er bemerkte, daß er unwillkürlich die Redewendung des Oheims gebraucht hatte und lächelte. Doch bald fuhr er fort:

»Dennoch, liebes Tantchen, wäre das Leben nicht viel werth und auch sehr traurig, wenn die Carrière das einzige Ziel desselben wäre.«

Erstaunt hob der alte Darnowski die Brauen in die Höhe.

»Nicht das einzige?« fragte er, seinen Neffen anblickend. »Ist ein anderes vorhanden?«

Roman antwortete nicht. In seinem Geiste klang die Frage wieder:

»Ist ein anderes vorhanden?«

Doch Darnowski fuhr fort:

»Vielleicht die Liebe – Ihr Jungen wiederholt in einem fort: ›Die Liebe! Die Liebe!‹ Sehr schön! Sich in eine verheiratete Frau, in eine Schauspielerin verlieben – was kann man thun? Am Ende sogar eine Braut zum Altare führen – sehr hübsch, sehr nett! Auch ein Ziel. Aber – was kann man thun? Es steckt in jenem wie ein Schubfach in einer Commode, wie ein Trüffel in einer Pastete. – Nun, Stephan, wie steht es heute mit unserer Pastete?« wandte er sich zu seinem Sohne, indem er gleichzeitig ein ziemlich primitiv zubereitetes Fleischgericht mit großem Appetit verzehrte. »Seid Ihr fertig mit dem Mähen? Das Barometer deutet auf Regen und schade wäre es doch, diese Trüffel einzubüßen!«

Das Lächeln, das bei des Alten Worten Stephan's düstere Züge zum erstenmale erhellte, ließ sein Antlitz frisch und heiter erscheinen.

»Ich bitte um Verzeihung, Papa,« sagte er, »das Heu ist keine Trüffel in unserer Pastete – es ist ein Stück Kuchen. Unsere Trüffeln sind anderer Art.«

Sie lachten und die Unterhaltung nahm nun – wirthschaftliche Gegenstände berührend – eine Wendung, an der Roman nicht theilnehmen konnte. Auch Irene und Bronia wurden in das Gespräch gezogen, da die Männer sich über Verschiedenes um Auskunft an sie wandten.

Dabei rötheten sich Irene's Wangen in köstlicher Frische und in ihren grauen, glänzenden Augen spiegelte sich das Lächeln ihrer zarten, rothen Lippen wieder. Roman konnte den Blick nicht von ihr wenden. Ein alter, alter, längst vergessener Traum schien zur Wirklichkeit geworden. Hübsch ist sie, hübscher als damals. Zu vollkommener Blüthe gereift und sonderbar ruhig. Diese große Ruhe, die Harmonie, die sich sowohl in ihrem Antlitze wie in ihren Bewegungen kundgab, bemerkte Roman mit Erstaunen. »Fühlt sie nicht,« fragte er sich im Stillen, »die ganze Traurigkeit und Gefahr ihrer Lage? Sie ist schon fünfundzwanzig Jahre alt geworden. Im Handumdrehen wird sie eine alte Jungfer sein. Warum?«

Roman's Gedankengang wurde durch Frau Pauline unterbrochen, die, des Gastes Stillschweigen bemerkend, sich mit der Frage an ihn wandte, ob er sich noch ihrer nächsten Nachbarn, der Rosnowskis, erinnere? Freilich, ganz vorzüglich; sowohl Bohdan wie Siegmund hatte er nicht vergessen. Nun berichtete die Tante, Bohdan weile seit einem Monate in ihrer Nähe.

»Wo wohnt er denn sonst?«

»In Murom, mein Herz,« mischte sich der alte Darnowski in das Gespräch. »Was kann man thun? Er ist Förster im Muromer Walde. – Ein kluger, tüchtiger, entschieden höher stehender Mensch. – Sein Gehalt ist sehr bedeutend – und er selber ist fast ein Würdenträger! – Was kann man thun?«

»Und Siegmund Rosnowski?«

»O, der ist auch ein höherer Mensch – natürlich – obgleich er – was kann man thun? – nicht so hoch gestiegen ist wie sein Bruder. – Er ist Bergarbeiter, gräbt dort etwas im Uralgebirge –«

Roman erwähnte, daß er Marcel Domunt gesehen und fragte nach dessen Bruder Casimir.

»Der ist vorläufig in Kaniówka. Ueber die Katastrophe, die ihn getroffen, wird er Dir wahrscheinlich selber Näheres mittheilen. Du wirst ihn doch sehen wollen?«

»Selbstverständlich.« Roman hatte mit ganz besonderer Freude an das Zusammentreffen mit den zwei liebsten Gefährten seiner Kinderjahre gedacht. »Hatten die Domunt'schen Mädchen nicht geheiratet?«

»Keine von ihnen – ach, ach, ach!« seufzte Frau Pauline. »Keine einzige! Wen hätten sie denn heiraten sollen?«

»Höchstens einen Hahn,« lachte mit lauter Stimme der alte Darnowski.

»Warum?«

Roman's Frage blieb unbeantwortet. Er erkundigte sich noch nach mehreren anderen Personen, als er plötzlich bemerkte, daß Bronia's Augen so wie vorhin im Garten, als er den Klang der geschärften Sensen nicht erkannt und nach dem Namen des Weihers und der Vögel gefragt hatte, mit belustigtem Erstaunen auf ihn gerichtet waren. Um den Mund, die Augen, die Wangen des Kindes zuckte es verrätherisch; nur mit Mühe unterdrückte die hübsche Kleine ein lautes Lachen, das jeden Augenblick auszubrechen drohte.

Roman amusirte dies.

»Die Kleine macht sich augenscheinlich über mich lustig,« dachte er. »Nun, bitte schön! Was mag ihr nur so lächerlich an mir vorkommen?«

»Bohdan Rosnowski hält an um die Hand von Irene,« drang es plötzlich in leisem Flüstertone an sein Ohr. Die Tante hatte die Gelegenheit, da das Gespräch wieder ins Rollen kam, benützt, um ihm dies unbemerkt zuzuraunen. »Ach, ach, ach! Wie wünsche ich das! – Solch eine Partie – das wäre ein Glück!« Und ihre mageren, gelben Hände faltend, fuhr sie ohne jeglichen Uebergang fort:

»Ach, ach, ach! Wie ich mich davor fürchte! So weit sollte sie fort! Das wäre für uns so traurig – ach! So schrecklich traurig!«

Roman hörte den letzten Ausruf nicht mehr.

»Also doch!« dachte er, Irene anblickend, »sie hat einen Freier! Das fügt sich glücklich! Es wäre doch gar zu schade, wenn –«

Gleichzeitig empfand er eine mit dumpfem Zorngefühle verbundene unerklärliche Traurigkeit.

»Ich bin schon bald so consequent wie die Tante,« dachte er, während Frau Pauline das Zeichen zum Aufheben der Tafel gab.

In dem mäßig großen, mit altmodischen Möbeln ausgestatteten Empfangszimmer war das Fenster weit offen. Die erfrischende Luft eines stillen, sternenhellen Augustabends strömte herein. In der Fenstervertiefung standen, leise plaudernd, Irene und Bronia. Roman näherte sich ihnen.

»Denkst Du, Cousine, wie lustig wir einst hier Walzer tanzten?«

Sie blickte ihn an mit ihren großen, grauen Augen und erwiderte ruhig:

»Ich denke es.«

»Hast Du viel getanzt seit jener Zeit?«

»Gar nicht.«

Er schien sehr erstaunt.

»Warum denn nicht?«

»Ich hatte keine Gelegenheit,« erwiderte sie mit ihrer gewöhnlichen Ruhe.

Roman's Gesichtszüge drückten noch größeres Erstaunen aus.

»Aber warum denn nicht?« wiederholte er. Da schlangen sich um Irene's hohe, schlanke Gestalt zwei weiche Kinderarme und ein zartes, rosiges, von goldigen Löckchen umrahmtes Gesicht barg sich an ihrer Brust. Länger konnte Bronia nicht an sich halten. Was sie den ganzen Abend über unterdrückt, gelangte nun zum Ausbruche und ein lautes, hellklingendes Lachen entrang sich ihrer Kehle.

Mit einem Satze war das Mädchen an der Thür; doch an der Schwelle wendete es sich nochmals um und rief, auf Roman weisend:

»Ein Australier!«

Im nächsten Augenblicke jedoch war sie über ihre eigene Dreistigkeit erschreckt, im Nebenzimmer verschwunden.


 


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