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Achtes Kapitel. Der entscheidende Augenblick

Wie ein sieghafter Held zog übrigens Winton nicht in Billings ein. Es war noch eine Anzahl andrer Leute mit demselben Zuge angekommen, die in verschiedenen Wagen vor und nach ihm nach dem Hause befördert wurden. Der Weg war ziemlich weit, und er hatte Zeit, über alles nachzudenken und sich das bevorstehende Wiedersehen auszumalen. Winton wußte so gut wie irgend einer, was es heißt, aus einem Landsitze anzukommen – die Unruhe der Ankunft, die kleine Pause, wo niemand recht weiß, was er anfangen soll, die Befangenheit der Leute, die noch nie in dem betreffenden Hause waren, die taktvollen Versuche derjenigen, die schon da waren, nicht zu vertraut zu erscheinen, die Bemühungen der Wirte, ihre Aufmerksamkeit allen gleichmäßig zu teil werden zu lassen und niemand zu übersehen, waren Winton bekannt. Allein die eigentümliche Stellung, worin er sich befand, rief in ihm ein gewisses Gefühl der Ueberraschung und Enttäuschung, ja, halb und halb der Empfindlichkeit wach, die ein an Gesellschaft nicht gewöhnter Neuling fühlt, der vielleicht mit warmem, ihm persönlich geltendem Willkomm empfangen zu werden erwartet, und nun findet, daß er eines der am wenigsten beachteten Glieder einer großen Gesellschaft ist. Alle andern Leute der Gruppe schienen von größerer Wichtigkeit zu sein als Winton, und beinahe alle waren Stammgäste des Hauses, gewöhnt, Jahr für Jahr dort zu erscheinen, Leute, die der Herzog als ihm hinreichend gleichstehend und seiner Freundschaft würdig empfangen konnte. Eine solche Gesellschaft wird immer durch ein oder zwei Leute etwas bunt gemacht, die, an sich vollständige Nullen, entweder, wie die Statisten im Schauspiel eine Art von Hintergrund bilden, oder durch Unverschämtheit und Schmeichelei sich in die hervorragendste Stellung zu drängen suchen. Als Winton in der großen Halle stand, wo die Begrüßungen vor sich gingen, und darauf wartete, bis die Reihe an ihn käme, fühlte er, daß er zum Hintergrund gehörte. Er würde es nicht haben ertragen können, wenn sie dort anwesend gewesen wäre, sagte er sich später, für den Augenblick aber empfand er ihre Abwesenheit wie einen Schlag. Und was konnte die Herzogin ihm gegenüber mehr thun, als ihm die Hand schütteln, wie sie es allen andern Gästen that? Er meinte, sie habe ihm einen warnenden Blick zugeworfen – ein schwaches Lächeln, aber ohne Zweifel glaubte jedermann, Ihre Durchlaucht habe für ihn persönlich einen besonders freundlichen Blick gehabt. Nachdem die Damen nach ihren Zimmern geführt worden waren, blieb er noch einen Augenblick zurück. Einige von den hervorragenderen unter den Gästen kannte er und auch eine der Nullen, die sich sehr hervordrängte. Aber er konnte doch ein gewisses Gefühl der Entrüstung, daß sein Empfang ein ganz andrer hätte sein sollen, nicht unterdrücken, als er einem Diener die große Treppe hinan nach jenen entfernten Gegenden folgte, wo Junggesellen gewöhnlich untergebracht werden und wo ihm das Gefühl seiner Bedeutungslosigkeit erst recht klar ward. Er, der als der Sohn des Hauses hätte empfangen werden sollen; er, dem dessen strahlendstes Glied sein Geschick anvertraut hatte: er wurde auf demselben Fuße begrüßt, wie Mr. Rosenkranz, der deutsche Bibliothekar, oder jenes abgestandene Anhängsel des Klubs, das aus dem Besuchen von Landsitzen eine Art von Geschäft machte – das war eine bittere Pille für Winton. Er war nicht gewöhnt, als Ueberzähliger angesehen zu werden, und die Stellung gefiel ihm gar nicht. Um die Wahrheit zu sagen, stürmten während der ersten halben Stunde seines Aufenthalts im Schloß Billings seine Träume und Hoffnungen mit einer Bitterkeit und einem Bewußtsein der Lächerlichkeit auf ihn ein, daß er beinahe außer sich geriet. War er nicht ein Narr gewesen, daß er überhaupt Hoffnungen gehegt hatte? War die Art, womit Lady Germaine von der Herzogin Versprechen geredet hatte, nicht geradezu lächerlich gewesen? War die Herzogin nicht eine viel zu große Dame, um sich darum zu kümmern, was aus einem einfachen »Herrn so und so« wurde? Er fing an zu denken, er sei ein Narr gewesen, die Einladung überhaupt angenommen zu haben, ein Narr, es dahin kommen zu lassen, daß sein Herz und sein Leben auf diese Weise Schiffbruch litten, und ein doppelter Narr, ein alberner Dummkopf, sich mit Ausstattung und Möbeln zu befassen, als ob sein kleines Landhaus jemals mit ... Alle diese Gedanken zerstoben aber beim plötzlichen Oeffnen einer geschlossenen Thür, wodurch ein dunkler Gang zu seiner Rechten von der strahlenden Herrlichkeit des Sonnenuntergangs erfüllt wurde. Hierauf trat jemand heraus und stand einen Augenblick inmitten dieses Lichtmeers stille; dann hörte Winton seinen Namen rufen. Der Diener verschwand wie durch Zauberei, und er befand sich plötzlich in einem kleinen Wohnzimmer mit einem breiten Fenster, durch das das Abendlicht hereinströmte. Die Herzogin streckte ihm beide Hände entgegen, aber er sah sie kaum, denn hinter ihr, durch eine andre Thür eintretend, ein leichtes Erröten auf den weichen Wangen und ein feuchtes, goldenes Leuchten in den Augen – es war, als ob ihm eine Stimme aus dem glühenden Sonnenuntergang zugerufen hätte: »O du Kleingläubiger, weshalb zweifeltest du?«

Das Wiedersehen war indessen nur zu kurz – das Haus war sehr voll und die Stunde des Diners nahte. »Sie müssen gleich wieder fortgehen,« sagte die Herzogin, »aber ein erstes Wiedersehen unten, in Gegenwart so vieler fremder Augen, erschien mir zu gefährlich.«

»Also war es Vorsicht?« rief Winton.

»Nichts als Vorsicht – ist nicht jeder Schritt, den ich thue, mehr oder weniger von der Vorsicht geboten? – Aber Jane hätte es nicht ertragen können, und Sie ebensowenig. Ich habe Sie doch nicht hierher gebracht, um Sie zu Grunde zu richten, aber wir müssen immer furchtbar vorsichtig sein.«

»Vorsichtig sein!« rief Winton, »das wird unerträglich. Liebe Frau Herzogin, Sie werden es mir hoffentlich nicht zu schwer machen; diesmal muß ich sprechen und mein Schicksal erfahren. Wie kann ich diese Ungewißheit, dies fortwährende Aufschieben ertragen?«

Lady Jane legte ihre Hand leicht auf seinen Arm und streichelte ihn mit einer hübschen Bewegung, halb der Besänftigung, halb der Teilnahme. »Pazienza!« sagte sie leise, aber seine Ungeduld machte sie glücklich. Sie entsprach ihrem zarten Gefühl für das, was recht war.

»Würden Sie lieber das Schlimmste hören, Mr. Winton? Wollen Sie lieber ein endgültiges Nein hinnehmen, als eine längere Ungewißheit?«

»Nenn' ihn doch nicht Mr. Winton,« sagte Lady Jane halblaut.

Winton sah eine der Damen nach der andern mit einem fragenden Blick an, dem die Herzogin begegnete, ohne ihm auszuweichen, und den Lady Jane nicht verstand. Ihre Durchlaucht nickte ihm beinahe unmerklich zu, ihm immer voll ins Antlitz sehend. Ihre Augen schienen alles zu versprechen. »In diesem Falle,« entgegnete er, – »in diesem Falle – lieber die Abweisung; dann werden wir sehen, was weiter zu thun ist.«

Die Herzogin seufzte. »Ich glaube, es ist im Grunde das Verständigste,« sagte sie, »aber Sie können sich wohl denken, daß es mir nicht sehr angenehm sein kann. Nun gehen Sie, Sie müssen gehen, es ist Zeit zum Ankleiden. Kommen Sie morgen nach dem Frühstück wieder hierher, oder nachmittags – aber Sie dürfen nicht zu oft kommen. Und einstweilen Klugheit, Klugheit! Sie können gar nicht zu klug und vorsichtig sein. Wenn ihr euch verratet, kann ich die Verantwortung für die Folgen nicht übernehmen. Um Janes willen, vergessen Sie das nicht!«

Hierauf schoben sie ihn aus dem Zimmer, aus dem strahlenden Sonnenuntergang, worin sie wie verklärt gestanden, dessen weicher Glanz sie umschmeichelt, dessen goldene Strahlen ihre Augen überflutet hatten – und schlossen die Thür hinter ihm. Der dunkle Gang, worin er sich befand, erschien seinen geblendeten Augen fast schwarz. Glücklicherweise kam sein Führer sofort und geleitete ihn durch die Irrgänge des großen Hauses nach seinem Zimmer, wo er sich, so gut es gehen wollte, zu sammeln suchte. Winton war nur ein Mann wie der Rest seines Geschlechts. Er zerbrach sich den Kopf darüber, ob es den Frauen, mit der dem weiblichen Geschlecht angeborenen Bosheit, worüber jeder schon seit Urbeginn der Zeiten mehr oder weniger geistreiche Betrachtungen angestellt hat, ein besonderes Vergnügen mache, ihn in eine solche Lage gebracht zu haben. Ihnen ganz gewiß nicht, Jane nicht, die um eine Welt über derartige Scherze erhaben war – aber vielleicht die Herzogin, die – das konnte er sich wohl vorstellen – vielleicht nicht abgeneigt war, ihn für die Erhebung, die ihm durch ihrer Tochter Liebe zu teil geworden war, durch eine kleine Einbuße an seiner Würde, seiner Selbstachtung bezahlen zu lassen. Weil Jane ihn liebte, war sie bereit, alles für ihn zu thun, aber vielleicht fand sie eine gewisse schelmische Genugthuung in dem kleinen Schauspiel, das sie um ihn her in Scene setzte – die äußeren Vernachlässigungen, die wonnevolle Ueberraschung, das Wiederhinaussenden in die Dunkelheit und die bescheidene Region des zweiten Stocks. War das wirklich so? Mit halb belustigtem Aerger, einer Empfindung, daß man mit ihm spiele, kam er zu dem Schluß, es sei wirklich so. Sie war gütig, aber war es von der menschlichen Natur zu verlangen, daß sie den Verlust der Tochter ohne Schmerz, ohne den Versuch der Wiedervergeltung hinnehme? Und dann hatte vielleicht auch die Herzogin ein wenig das Gefühl, er gehöre nicht zu ihrer Kaste, sei ihrer Tochter nicht ebenbürtig – nicht genug, um deren Wahl geradezu Widerstand zu leisten, aber doch hinreichend, um dem allzu Glücklichen im Vorbeigehen einen kleinen Nadelstich zu versetzen. Thatsächlich hatte die Herzogin ihm gar keinen Nadelstich zugedacht, was Winton hätte klar erkennen müssen, wenn er nur ruhig genug gewesen wäre, die Dinge im richtigen Licht zu sehen. Er war in der gewöhnlichen Weise empfangen, in der herkömmlichen Art untergebracht worden. Sie hatte es für besser gehalten, nichts zu thun, was ihn von den andern Gästen unterschieden hätte, das war aber auch alles.

Der Abend war voll folternder und unterdrückter Erwartung, brachte aber doch auch dann und wann einen Augenblick des Glücks. Mit Ausnahme des deutschen Bibliothekars, des Anhängsels der Klubs und eines jungen Schriftstellers, der in der Mode und ein Schützling einer der in Billings zu Besuch befindlichen Familien war, gehörte die Gesellschaft durchweg viel vornehmeren Kreisen an, als Winton. Historische Namen umschwirrten ihn, als er sich, mit Lady Adela Grandmaison zu Tische setzte, der es eine große Erleichterung war, daß er und nicht einer der ältlichen Edelleute, die den Tisch zierten, ihr Partner geworden war. Lady Adela trug einen sacque, wie eine zierliche Dame des achtzehnten Jahrhunderts, war aber im stande, Haltungen anzunehmen, die an das vierzehnte erinnerten. Sie hatte durchaus nicht die Absicht, hochmütig gegen Winton zu sein, im Gegenteil, sie zog ihn ins Vertrauen. »Haben Sie jemals so viele große Tiere zusammen gesehen?« fragte sie trotz ihrer mittelalterlichen Haltung. »Machen sie Ihnen nicht furchtbare Angst? Ich bin so froh, daß ich jemand habe, mit dem ich mich zu sprechen getraue. Der Herzog ist wirklich zu gelungen, meinen Sie nicht? Wie ein alter König in der Pantomime. Es ist alles gerade so, wie im Theater. Er sagt: ›Mylord‹ – hören Sie? Genau wie auf der Bühne.«

»Das war wahrscheinlich Mode, als Seine Durchlaucht jung war,« entgegnete Winton, der den Tisch entlang nach dem Platze blickte, wo sich diese majestätische Persönlichkeit hinter der Reihe seiner Gäste zeigte. Ein kleines Zittern durchlief ihn, als er sich die erhabene Höhe des Mannes klar machte, dem er demnächst sein Anliegen vortragen sollte. »Vielleicht sind wir heutzutage ein bißchen gar zu frei und ungezwungen,« fügte er hinzu.

»Seien Sie kein Verräter an Ihrer eigenen Generation,« rief Lady Adela und setzte bedeutungsvoll hinzu: »Jane sieht hierher. Jane ist so süß – meinen Sie nicht auch, Mr. Winton?«

Winton begegnete den milden Augen der Geliebten und den scharfen dieser jungen Beobachterin im selben Augenblick, und das brachte, trotzdem daß er ein Mann von Welt war, ein Erröten in seine Wangen. Die ganze feine Gesellschaft und die reich geschmückte Tafel, die sich unter der Last des Silbers bog, die Blumen, die sie so anmutig machten, verschwommen vor seinen Augen, und nichts erschien ihm wirklich, als jenes zart gefärbte, innig strahlende Antlitz, das ihm die leuchtenden Augen zuwandte. Jane und Winton waren so gesetzt, daß sie, wenn auch nicht miteinander sprechen, so doch einander über den Tisch sehen konnten, freilich durch ein kleines Dickicht duftiger Farne und Blumen hindurch. Lady Jane war zu höflich und selbstlos, um ihren Tischherrn zu vernachlässigen oder die Pflicht, ihres Vaters Gäste zu unterhalten, zu vergessen. Aber dann und wann erhob sie doch die Augen und machte ihrem Herzen durch einen Blick durch den Blumenschleier Luft. Infolgedessen war Winton lange nicht so unterhaltend, als Lady Adela gehofft hatte.

Der nächste Morgen brachte einige Augenblicke süßer Erregung und Glücks inmitten eines Tages, der im übrigen ebenso war, wie andre Tage. Lady Jane stimmte vollständig mit Winton überein, daß es ihres Geliebten unwürdig sei, als Gast unter ihres Vaters Dach zu weilen, ohne diesen über den Zweck seines Besuches in Kenntnis zu setzen, und sie war überzeugt wie er, daß die Erklärung gemacht werden müsse, mochte daraus werden, was da wolle. Die Herzogin versuchte nicht, diese von erhabenen Grundsätzen gebotene Entscheidung zu bekämpfen – aber sie schüttelte den Kopf. »Ich habe nichts dagegen zu sagen, ihr werdet wohl recht haben. Früher oder später muß es geschehen,« sprach sie. »Nur eins – schieben Sie's bis zum letzten Tage Ihres Hierseins auf, denn das weiß ich ganz sicher, Sie können keine Nacht mehr in Billings bleiben.«

»Mama!« rief Lady Jane mit einer Wärme, die ihr die Thränen in die Augen steigen ließ, »mein Vater wird nichts sagen, was ein Ehrenmann nicht einem andern sagen kann.«

Wieder schüttelte die Herzogin das Haupt. »Wenn ein Mann den andern um die Hand seiner Tochter bittet und erhält einen abschlägigen Bescheid, dann erscheint es gewöhnlich – mag auch der eine der höflichste, der andre der geduldigste Mensch von der Welt sein – für beide Teile wünschenswert, ferner nicht unter demselben Dache zu weilen.«

»Ich werde deiner Mutter Rat folgen, Liebste,« sagte Winton; allein für einen sterblichen Menschen war es kaum möglich, sich nicht ein wenig verletzt zu fühlen, als ihm die Sache so mit dürren Worten vorgestellt wurde. Sein Aufenthalt sollte eine Woche dauern, und trotz des Glücks, das die Herzogin ihm dadurch verschafft hatte, daß sie ihm Einlaß in dies geweihte kleine Zimmer gewährte, das nie eines Fremden Fuß betrat, und dadurch, daß sie so viele Gelegenheiten als möglich zum Alleinsein mit Jane herbeiführte, verlebte er den Rest der Zeit mit einem gewissen Gefühl der Feindseligkeit gegen sie im Herzen, einem Gefühl, das indes durch und durch unvernünftig war. Er fing an zu zweifeln, daß sie ihm Erfolg wünsche, und ob sie wirklich so aufrichtig seine wahre Freundin sei, als sie zu sein vorgab. Ein Mann, der seinen Geist ganz von der herrschenden Anschauung betreffs der Vorliebe der Frauen für Intrigue und Geheimniskrämerei frei zu machen vermag, muß wirklich großherzig sein. Seine Ueberzeugung, daß eine offene, männliche Aussprache mit dem Herzog, der, mochte er auch noch so aufgeblasen und hochmütig sein, immerhin ein Ehrenmann war, wirksamer sein werde, als jedes halb auf Täuschung berechnete weibliche Handeln, gewann an Stärke. Und diese Ueberzeugung, worin sich zum Teil eine entrüstete Auflehnung – schnöder Undank und Unfreundlichkeit, was er freilich nicht wußte – gegen die Herzogin versteckte, machte ihn geneigt, das Haupt des Hauses für sich zu gewinnen und ihn im besten Licht zu sehen; ein Verfahren, das nicht ohne Einfluß aus den Herzog blieb, der mehr und mehr überzeugt ward, daß dieser bescheidene junge Bürgerliche, wenn auch keine Persönlichkeit von Bedeutung, doch ein Mann sei, der hervorragende Leute von gewöhnlichen zu unterscheiden und ihn und seine Ansichten zu würdigen wisse.

So zählte Winton, zwischen neuer Hoffnung und Mißtrauen schwankend, die Tage bis zu dem Augenblick, der sein Schicksal entscheiden sollte. Auch Lady Jane steckte er mit seiner Hoffnungsseligkeit an, denn sie war sehr bereit, zu glauben, daß von ihrem Vater nichts kommen könne, was nicht edel und ehrenhaft sei. Sie besprachen die Sache eifrig, aber mit mehr und mehr schwindender Besorgnis. Als sie die verständigen und bescheidenen Reden über seine untergeordnete Stellung, aber seine große Liebe hörte, die Winton halten wollte, schien es ihr, als ob kein Herz ihm Widerstand leisten könne. Die einfache Demut, die unter den so stark in ihr entwickelten Instinkten des Ranges den natürlichen Grundzug ihres Wesens bildete, war in glückseliger Verwunderung tief gerührt, daß all diese edle, reine Leidenschaft ihr, ihr allein gewidmet wurde. »Es ist unmöglich,« sagte sie, »wenn du so zu ihm sprichst, wie zu mir, Reginald – o, es ist ganz unmöglich, daß er widerstehen kann.«

»Es ist unmöglich, mein süßes Lieb,« entgegnete der junge Mann, »wenn er hört, daß du mich liebst.« So sprachen sie einander Mut zu und arbeiteten sich am Vorabend des verhängnisvollen Tages in eine wahrhaft begeisterte Zuversicht hinein. Die Beschränkung, die ihm die Herzogin in Beziehung auf seine Besuche in den Damenzimmern auferlegt hatte, war natürlich ziemlich vergeblich gewesen, und jeden Augenblick, den Winton den gesellschaftlichen Pflichten unten abringen konnte, verlebte er oben mit Lady Jane, wo sie ihre Hoffnungen besprachen und die Art, wie sich diese am besten verwirklichen ließen. In diesen traulichen Stunden verstohlener Süßigkeit besprachen sie alles: wie sich ihre Zukunft gestalten werde, was sie einander sein wollten, und immer kamen sie zu dem Augenblick zurück, der alles entscheiden sollte, und zwar mit einer immer wachsenden Ueberzeugung, daß des Herzogs Einwilligung erfolgen müsse, und daß sie sich auf keinen Fall durch diese erste Schwierigkeit einschüchtern lassen dürften. Das sei ganz unmöglich. Allein es kann nicht verschwiegen werden, daß Winton bei diesen Unterhaltungen selbst in Beziehung auf die Gestaltung der Zukunft gewissen Schwierigkeiten begegnete. Er konnte seiner Braut nicht begreiflich machen, daß hinsichtlich der äußeren Verhältnisse kein großes Opfer von ihr verlangt werde, und daß das Haus, in das er sie zu führen gedachte, kaum weniger glänzend eingerichtet sei, als ihr eigenes. Als er dies aussprach, lächelte ihn Lady Jane mit der himmlischen Dummheit an, die solchen Frauen eigen ist. Sie wünschte gar nicht, daß es so sein möchte, und sie glaubte ihm auch nicht. Sie hatte diese Frage längst endgültig bei sich entschieden, Arabellas berühmte Aufklärungen hatten diese Ansicht so befestigt, daß nichts sie erschüttern konnte. Es machte ihr Freude, sich das kleine Landhaus und die fremde Welt, die eines Landjunkers Gattin umgibt, auszumalen. Hätte er sie geradeswegs in einen Palast geführt, noch glänzender als Schloß Billings, dann wäre das für sie eine zwar sehr thörichte, aber nichtsdestoweniger sehr fühlbare Enttäuschung gewesen. Wenn er davon anfing, lenkte sie in ihrer ruhigen Art das Gespräch auf andre Dinge, besonders den Gegenstand, der sich nie erschöpfen ließ: den Herzog, und was er sagen würde. Sie wurden, wie erwähnt, sehr zuversichtlich, und doch – als Winton am Abend, der diesem wichtigen Tag vorausging, kam und ihr sagte, er habe um eine Unterredung bitten lassen, und sie sei ihm gewährt worden, verlor Lady Jane ihre hübsche Farbe, die immer so bereit war, zu kommen und zu schwinden, und ihren Atem, ja, beinahe ihre Fassung. »Nein,« sagte sie, »o, ich mache mir keine Sorge! Wenn du ihm das sagst, Reginald, kann er nicht widerstehen – ich bin nur etwas erregt, das ist man ja immer, wenn etwas zweifelhaft ist. Und dann der Gedanke, daß dies unser letzter Abend ist!«

»Wenn alles gut geht, wird dies nicht unser letzter Abend sein,« versetzte er. »Deine Mutter hat gesagt, ein Mann, der abgewiesen worden ist, könne nicht bleiben, aber selbst sie wird zugeben, daß ein Mann, der nicht abgewiesen worden ist, bleiben und glücklich sein darf. Ach, Jane! Stell dir nur 'mal das Glück vor, wenn uns erlaubt wird, einander anzugehören! Keine heimlichen Zusammenkünfte mehr, keine Furcht vor Entdeckung!«

Ein Seufzer des Glücks und der Erleichterung kam über ihre Lippen, und doch errötete sie tief. Der Gedanke, daß sie etwas thue, was nicht entdeckt werden dürfe, war ihr immer noch schmerzlich, obgleich sie sich im Drange der Verhältnisse gefügt hatte. Wintons Gewissen war nicht so zart, und seine Erregung machte ihn übertrieben zuversichtlich. Sache der Frau ist es, in solchem Falle Furcht zu haben, ebenso wie es ihre Sache ist, in Fällen des Zweifels zu ermutigen. »Vorausgesetzt,« sagte sie, »daß alles so geht, wie wir wünschen.«

Er ergriff ihre Hände, hielt sie fest, beugte sich vor und sah ihr tief in die Augen. »Angenommen,« sagte er langsam, »angenommen« – er war so erregt und seiner Sache so sicher, daß er sich gestatten konnte, etwas theatralisch zu sein, – »angenommen, es geht nicht so, wie wir wünschen, Jane – was dann?«

Lady Jane gab keine Antwort. Sie erwiderte seinen Blick, wobei ihre Hände die seinen fest umspannten, und stand vor ihm, ohne im geringsten zu wanken. Sie hatte dasselbe Gefühl, das sie in ihrer Jugend empfunden hatte, wenn sie sich einbildete, der Guillotine gegenüberzustehen. Sie war bereit, alle Leiden auf sich zu nehmen, die ihr bestimmt sein mochten, aber nachzugeben, nein, daran dachte sie nicht. Viel leichter würde es sein, zu sterben.

Die Herzogin hatte den Liebenden inzwischen ihren Willen gelassen. Sie waren undankbar, selbst unfreundlich, aber sie ertrug das mit der Geduld und Nachsicht, die langjährige Erfahrung sie gelehrt hatte. Fühlte sie auch einen kleinen Schmerz, als sie ihre Tochter küßte, wobei sie mit etwas Verwunderung sich das allgemeine Naturgesetz vergegenwärtigte, das das Weib noch mehr als den Mann dazu treibt, Vater und Mutter zu verlassen und dem Gatten anzuhängen, sagte sie doch nichts darüber; sie überließ sie sich selbst und ihren Hoffnungen. Sie sagte sich, sie würden selbst nur zu bald herausfinden, wie schwach das Rohr war, worauf sie sich stützten, und ihr Herz that ihr weh bei dem Gedanken an die Grundlosigkeit der Erwartungen, die Lady Jane so hübsche Farben und den Ausdruck so ungetrübten Glücks gaben. Es war besser, ihr noch einen glücklichen Abend, noch eine Nacht friedlichen Schlummers, noch ein hoffnungsvolles Erwachen zu gönnen.

Der Morgen des großen Tages dämmerte in einem feuchten Nebel herauf. Der Himmel war wie Blei, die Erde naß, dann und wann sielen schwere Regengüsse. Als Lady Jane ihre Augen dem trüben Tageslicht öffnete und, sobald sie völlig erwacht war, daran dachte, was heute geschehen solle, faltete sie ihre zarten Hände und sprach ein Gebet für ihn, für sich selbst und ganz besonders innig für ihren Vater, der heute gewissermaßen seine Probe bestand. In Lady Janes Augen war er nie etwas andres, als ein edler Vater gewesen. Sie hatte ihn noch nicht erkannt, da sie in dieser Hinsicht kaum ihrem Zeitalter angehörte und das, was ihr als der naturgemäße Zustand der Dinge geschildert wurde, ohne zu fragen, hinnahm, aber sie konnte das Gefühl nicht los werden, daß er seine Probe bestehen werde. Er konnte ihres Geliebten Werbung abweisen und ihr Herz brechen und sich trotzdem seines Kindes Achtung erhalten. Allein eine unbestimmte Furcht, er möchte nicht so handeln, war in ihre Seele geschlichen, sie wußte selbst nicht wie. Sie wartete mit einer Angst, die sie für den Augenblick nicht zu bannen vermochte. Wie gut war es, daß es regnete und man nicht ausgehen konnte. Dies eine Mal im Leben versäumte Lady Jane ihre Pflicht. Sie versteckte sich vor der kleinen Lady Adela, die sich so gern hatte ins Vertrauen ziehen lassen, und vor den andern Gästen, die angesichts der Hoffnungslosigkeit des Wetters an den Fenstern des großen Wohnzimmers gähnten, das nasse Gras und die trübselige Allee mit ihren triefenden Bäumen betrachteten und sich die Köpfe zerbrachen, wie sie die Zeit bis zum Frühstück totschlagen sollten. Anstatt zu helfen, dies Rätsel zu lösen, wie das ihre Pflicht gewesen wäre, versteckte sich Lady Jane vor ihnen und suchte die Abgeschlossenheit des Zimmers ihrer Mutter auf. Dort saß sie bei halb offener Thür und lauschte auf jeden Fußtritt. Obgleich die Herzogin wußte, daß das thörichte Liebespaar in gewisser Art von ihr abgefallen war und seine eigenen Wege ging, war sie doch sehr großmütig. Ohne ein Wort oder einen Blick des Vorwurfs gab sie ihre Beschäftigung auf, ging selbst zu den gelangweilten Gästen hinab und suchte sie zu unterhalten. Von allen Opfern, die sie ihnen brachte, war dies vielleicht dasjenige, das sie am meisten kostete. Etwa um elf Uhr fand sich Winton vor dem Zimmer des Herzogs ein. Es war ein schöner Raum voll Bücher, mit einem großen Fenster, das auf den Park ging, und mit einigen der besten von den Familienporträts geschmückt. Ueber dem Kamin hing ein Bild der Herzogin in ganzer Figur mit Lady Jane als kleinem Mädchen von acht oder neun Jahren an der Hand. Als Winton eintrat und sein Blick auf dies Bild fiel, schien es ihm, als ob ein vorwurfsvoller Ausdruck im Auge liege, und als ob Lady Janes Gesichtchen, fröhlich und süß, wie es immer gewesen war, eine gewisse erschreckte Neugier verrate und ihn hinter der Mutter hervor beobachte. Das große Fenster zeigte ein farbloses Tageslicht und eine von Feuchtigkeit erfüllte Luft. Bei seinem Eintritt erhob sich der Herzog sehr gnädig und wies auf einen Stuhl. Er kam von seinem Schreibtisch, der in einiger Entfernung stand, und setzte sich vor den Kamin, wie das ein Engländer so gern thut, selbst wenn kein Feuer darin brennt. »Ich hoffe,« begann der Herzog, »Sie haben mir etwas mitzuteilen, worin ich Ihnen dienen kann, Mr. Winton.« Einen Augenblick stieg etwas wie Entrüstung und Hohn in ihm empor. Ihm dienen! Als ob er nicht in einer besseren Lage und mehr geschickt sich selbst zu dienen gewesen wäre, als ein halbes Dutzend bankerotter Herzoge! Allein Winton dachte daran, daß dies Janes Vater sei. Er beherrschte sich, und in der That ließ ihn die Aufregung und Spannung seines Innern nur zu einer augenblicklichen Aufwallung kommen. »Allerdings,« erwiderte er, »erscheine ich vor Euer Durchlaucht als Bittender – –« aber hier ließen ihn Mut und Stimme im Stich.

»Sie brauchen sich nicht zu scheuen, ganz offen zu sprechen,« sagte der Herzog immer herablassender. »Leider gehöre ich zur Opposition, und mein Einfluß reicht nicht weit. Indessen, wenn ich Ihnen auf irgend eine Art nützlich sein kann – ich wüßte niemand, für den ich es lieber thäte.«

»Sie sind sehr gütig,« versetzte Winton. »In dieser Richtung möchte ich Ihnen jedoch nicht lästig fallen. Fürsprache suche ich nicht – wenigstens nicht in der Art. Ich darf wohl aussprechen, daß ich reich bin – nicht,« beeilte er sich hinzuzusetzen, »wie Sie es sind, aber für meine Stellung im Leben, sehr vermögend – beinahe mehr als vermögend.«

»Außerordentlich erfreut, das zu hören, Mr. Winton, aber das ist nur ein Grund mehr, weshalb Sie dem Vaterland dienen sollten. Gerade Leute, denen äußere Vorteile gleichgiltig sind, haben wir nötig. Es wird mich sehr freuen, Sie Lord Coningsby empfehlen zu können, oder –«

»Euer Durchlaucht wollen gütigst gestatten,« antwortete Winton, »ich wünsche nur Ihre Gunst zu gewinnen.«

Hier begann der Herzog in so alberner Art zu lachen und in selbstgefälliger Weise den Kopf zu schütteln, daß es menschlicher Kraft fast zu schwer wurde, ernsthaft zu bleiben, und auch Winton wäre dem lächerlichen Eindruck erlegen, wenn sein Geist nicht anderweit in Anspruch genommen gewesen wäre. »Aha, ich sehe,« sagte der Herzog, »Sie denken an die alte Geschichte wegen des Portefeuilles des Auswärtigen. Das war nur leeres Gerede, müssen Sie wissen. Ich habe nie geglaubt, daß etwas daraus werden würde. Aber,« fügte Seine Durchlaucht mit einem abermaligen Gelächter hinzu, »wenn wir wieder ans Ruder kommen – verlassen Sie sich daraus, Mr. Winton, nichts würde mir größere Freude machen – –«

Was sollte er sagen? Winton wußte ganz genau, daß er ebensoviel, wenn nicht mehr – denn das Leben lag noch vor ihm – Aussichten hatte, Minister des Auswärtigen zu werden, als der Herzog, und die durch dessen Irrtum angerichtete Verwirrung und die lächerliche Art der angebotenen Gunst setzten ihn in größere Verlegenheit, als sich in Worten ausdrücken läßt. »Sie sind sehr gütig,« stotterte er, kaum wissend, was er sagte. Dann nahm er all seinen Mut zusammen.

»Herr Herzog,« sprach er tapfer, »es ist ein weit kühneres Verlangen, das mich zu Ihnen führt. Was Sie mir antworten werden, wage ich nicht zu denken. Ich bin nicht gekommen, um Sie um Ihre Gönnerschaft oder eine Anstellung zu bitten, sondern um etwas weit Kostbareres. Ich komme – –« hier hielt er inne. Die würdevolle Ahnungslosigkeit und die gelassene Ueberlegenheit des Potentaten, dem er gegenüberstand, verwirrten ihn so, daß ihm die Worte versagten, und er stand da und starrte das unbewegliche Angesicht mit einer Art von erschreckter Verwunderung an, als er bedachte, daß es etwas gäbe, was so groß und doch so klein, so fähig, sich unglaublich lächerlich zu machen, und doch mächtig genug war, zwei Menschen aus Laune ins Unglück zu stürzen. Der Herzog veränderte seine Haltung ein wenig, steckte die rechte Hand in die Weste, und nahm die Stellung an, worin er sich früher hatte malen lassen. »Fahren Sie fort,« sagte er, den Bittenden wohlwollend ansehend und mit der andern Hand gnädig winkend, »fahren Sie fort.«

Ach, wie recht hatte die Herzogin gehabt, in welch unbegreiflichen Irrtum war der Liebende verfallen! Aber er konnte nicht mehr zurück. »Ich bin ihrer nicht würdig,« sagte er in tiefer Erregung. »Ich bin ein einfacher Bürgerlicher, und ich weiß, das ist ein schwerer Nachteil in Ihren Augen. Das einzige ist – und das ist nichts – ich kann wenigstens meiner Frau Zukunft sicher stellen und ihr alle Annehmlichkeiten des Lebens verschaffen.«

»Ihre Frau!« rief der Herzog in unaussprechlicher Ueberraschung. Wenn wirklich der Schimmer eines Verdachts in ihm aufstieg, erstickte er ihn mit der erhabenen Ueberlegenheit eines Höherstehenden. »Das ist ja äußerst interessant,« sagte er, »und beweist eine große Zuversicht auf meine Freundschaft, daß Sie mich in einer so zarten Angelegenheit in Ihr Vertrauen ziehen. Es freut mich, zu hören, daß Sie sich in so guten Verhältnissen befinden, indessen,« fügte er auflachend hinzu, »wenn Sie bedenken, wie unwahrscheinlich es ist, daß ich die zukünftige Mrs. Winton kennen ...« Verletzt von Ton und Worten, stieg dem jungen Mann das Blut vor Verlegenheit und Entrüstung heiß in die Wangen.

»Es ist Ihre Tochter,« sagte er, »die mir die Erlaubnis gegeben hat, mit Ihnen zu sprechen. Von Lady Jane rede ich. Sie können mich nicht für ihrer weniger würdig halten, als ich es selbst thue.«

»Lady Jane!« Der Herzog wurde bleich, er zog die Hand aus der Weste und starrte den kühnen Bewerber entrüstet an. Dann sammelte er sich mühsam und griff nach einem Lächeln, als ob es an der Wand gehangen hätte, und nahm es zitternd vor, wie eine Maske. »Aha! Ich sehe,« fügte er hinzu. »Sie glauben, sie könnte Ihnen helfen, ein gutes Wort für Sie einlegen, he?« Durch den Versuch, spaßhaft zu erscheinen, was so gar nicht in seiner Gewohnheit lag, verzog sich sein Gesicht krampfhaft. »Ja, ja! Ich sehe! Das meinen Sie,« sagte er.

Jetzt trat eine Pause ein, und die beiden Männer sahen einander in die Augen. Auf der einen Seite ein Monarch, dem die ganze Kraft der Revolution vereint gegenüberstand, die er verachtete, haßte, und doch mit tief versteckter Besorgnis betrachtete; auf der andern Seite die verkörperte Revolution, bleich vor stolzem Zorn und mit dem Bewußtsein ihrer Rechte, und doch nicht ohne Bedauern, einem schmerzlichen Mitleiden für den alten König, der entthront werden sollte – so standen sich die beiden Männer gegenüber. Das gegenseitige Anschauen dauerte nur wenige Augenblicke, und schien doch so lang. Dann drehte sich der Herzog auf dem Absatz herum mit einer Grimasse, die für ein Lachen gelten sollte. »Ich ziehe es vor,« sagte er, »daß Lady Jane nichts mit der Sache zu thun haben soll. Meine Geneigtheit, Ihnen gefällig zu sein, war rein persönlich. Die Damen meines Hauses sind Ihnen gewiß nicht weniger freundlich gesinnt, aber ich wünsche nicht, daß sie sich darein mischen – kurz und gut, Sie werden begreifen, daß wenn ich Ihnen auch in jeder Weise wohl will, ich Ihnen doch den Rat geben muß, sich in Beziehung auf Ihre Verheiratung ganz auf Ihre eigene Anziehungskraft zu verlassen. Ich kann meiner Tochter nicht gestatten, sich damit zu befassen.«

Während er sprach, war er umhergegangen, schließlich aber an seinen Platz zurückgekehrt, und nun sah er Winton mit einem gebieterischen Blick gerade in die Augen, wie ein Mann, der einen Bittenden einschüchtern will. Das war indes die am wenigsten Erfolg versprechende Art, jenen zu beeinflussen. Wintons Aufregung stieg auf eine solche Höhe, daß er seine Ruhe und Selbstbeherrschung wie durch Zauberei wiederfand.

»Ich fühle, daß ich mich schlecht ausgedrückt habe,« sagte er, »und dies ist eine Angelegenheit, wobei es kein Mißverständnis zwischen uns geben darf. Ich muß Sie bitten, mich einen Augenblick ruhig anzuhören.«

»Ruhig, mein guter Herr? Sie können doch kaum erwarten, daß Ihre Verheiratung, so wichtig sie auch für Sie sein mag, mich aufregen kann,« entgegnete Seine Durchlaucht scharf, wobei jeder Ton seine Worte Lügen strafte.

»Es kann auf der ganzen Welt nichts Aufregenderes – für uns beide geben,« versetzte Winton. »Herr Herzog, ich komme von Ihrer Tochter, von Jane!«

»Herrrr!« schrie der Herzog, aber die größte Zahl von r kann die Gewalt, die Wut dieses Ausbruchs nicht schildern, die Winton wie ein Geschoß sozusagen voll ins Gesicht traf. In augenblicklichem Schreck trat er einen Schritt zurück.

»Ich muß zu Ende kommen,« sagte er, etwas aus der Fassung gebracht. »Jane schickt mich zu Euer Durchlaucht. Ich liebe sie, und sie liebt mich. Sie hat mir versprochen, mein Weib werden zu wollen. Jane, Herr Herzog! – Um ihretwillen habe ich das Recht, gehört zu werden, um ihretwillen muß ich auf einer Antwort bestehen.«

Der Herzog besaß nicht mehr die Fähigkeit zu sprechen. Er war dunkelrot vor Wut und Erstaunen und dabei von einem wilden Schreck geschüttelt. Mechanisch griff er nach seinem Kragen, als ob er ersticken müsse. Zum Antworten versagte ihm die Stimme, aber er wies mit der Hand gebieterisch nach der Thür. Und auch Winton war in gewissem Grade von Entsetzen gepackt. Einen solchen Anfall blinder und hilfloser Wut hatte er nie zuvor gesehen. Er hatte davon gehört, daß Menschen vor Wut sterben können, und wenn das jetzt eintrat, that sich ein ewig unüberbrückbarer Abgrund zwischen ihm und Jane auf. Das war der Gedanke, der ihn in einer Angst, die er nicht verbergen konnte, einen Schritt zurückweichen ließ.

»Ich habe Sie überrascht,« sagte er. »Ich bitte um Verzeihung. Was ich thun kann, um den Schreck zu mildern – Ihren Wünschen entgegenzukommen – will ich thun.«

»Gehen Sie, Herr! – Gehen Sie, Herr!« stürmte der Herzog. »Das ist alles, was Sie thun können – gehen Sie! Dort ist die Thür!« Mit einer drohenden Gebärde wies er nach dem Ausgang. Er war außer sich. Schritt für Schritt folgte er Winton und zwang diesen, zurückzuweichen. Es ist wohl unnötig, zu sagen, daß auch des jungen Mannes Blut kochte. Sein Herz hämmerte gegen seine Brust und alle seine Pulse flogen. Allein als er die Hälfte der Entfernung nach der Thür, die seine einzige Antwort sein zu sollen schien, zurückgelegt hatte, blieb er nochmal stehen. »Vergessen Sie nicht,« sagte er, »daß ich noch keine Antwort habe – Sie geben mir keine Antwort. Ich werde das Zimmer und das Haus verlassen, wie Euer Durchlaucht befehlen, aber das ist keine Antwort ...«

»Gehen Sie, Herr!« schrie der Herzog und stampfte mit dem Fuße auf wie ein wütendes Fischweib. Er hatte noch Besinnung genug, sich zu zügeln, die Flut von Schimpfworten, die ihm auf den Lippen schwebte, zurückzudrängen, aber wie lange es ihm möglich gewesen wäre, sich diesen Zwang aufzuerlegen, vermag niemand zu sagen. Er riß die Thür mit einer Gewalt aus, daß die Wände zitterten. Diese Handlung schien ihn mehr oder weniger zu sich selbst zu bringen, und er fand endlich feine Stimme wieder. »Ich müßte Ihnen,« stieß er höhnisch hervor, »eigentlich für die Ehre danken, die Sie meinem armen Hause erwiesen haben,« und so trieb er, während sich seine beklemmte Brust durch ein explosionsartiges Stöhnen Luft machte, den erstaunten Werber gewissermaßen mit einem Windstoß heraus.

Winton befand sich auf dem Gang, und hinter ihm wurde die große Thür mit einem Krach zugeschmettert, der durch das ganze Haus dröhnte. Er empfand ein Erstaunen, das Worte nicht beschreiben können. Wie ein wilder Traum war alles an ihm vorübergegangen. Einen Augenblick blieb er stehen, um sich zu sammeln. Auch er war außer Atem, er war bis in die innerste Faser seines Wesens erregt, seine Schläfen hämmerten, sein Kopf war heiß, er meinte ersticken zu müssen. Mit der Herzogin, die er gleich darauf im Gange traf, konnte er nicht sprechen. »Es ist alles aus,« rief er ihr zu, als er an ihr vorüberging. Das einzige Gefühl, dessen er sich für den Augenblick bewußt wurde, war das verletzten Stolzes und erlittener Unbill.


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