Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Sechstes Kapitel. Die Kunst der Strategie

Die Gedanken der Herzogin waren indes viel ernsterer Art, und sie war es, die die bei weitem schwierigste Rolle zu spielen hatte.

Vor vier oder fünf Jahren, als Lady Jane in der ersten Blüte stand, würde ihre Mutter gar nicht an Reginald Winton als Gatten für ihr Kind gedacht haben. Sie würde, wie wohl kaum hervorgehoben zu werden braucht, einen zweiten Kranz von Erdbeerblättern vorgezogen oder selbst einen Grafen mit einem schönen Grundbesitz für eine passendere Verbindung gehalten haben. Aber als die Jahre dahingingen und sie erkannte, daß bei Janes unklarer Auffassung ihrer Stellung im Leben und der ihr nur zu wohl bekannten Thorheit ihres Vaters die Möglichkeit, daß sich überhaupt keine Verbindung für ihre Tochter finden werde, nicht ausgeschlossen sei, trat eine merkbare Aenderung in ihren Anschauungen ein. Daß Lady Jane immer Lady Jane Altamont bleiben solle, schien ihr durchaus nicht wünschenswert. Vollkommenes Glück hatte die Herzogin im Leben nicht erfahren, ihr Gatte hatte ihr unendliche Sorgen bereitet, ihr Sohn hatte keineswegs ihr Ideal verwirklicht, während ihre Tochter darüber hinausgegangen war und sie manchmal durch ihre Vorzüglichkeit ebensosehr geärgert hatte, wie Hungerford durch seine alltägliche Natur. Aber dennoch hielt sie es für besser, an der Spitze einer Familie Enttäuschungen zu erfahren, als sich in Einsamkeit zu verzehren. Und auch für ihre Tochter hielt sie das für besser, obgleich Lady Janes ganze Natur viel mehr für den jungfräulichen Stand paßte, als die mehr auf praktische Thätigkeit gerichtete ihrer Mutter. Ein weiterer, sehr dringender Grund war materieller Natur. Sie wußte, daß ein Krach kommen müsse. Der Herzog hatte sich nie im Leben etwas versagt, und daß er jetzt aus freien Stücken damit beginnen werde, war nicht sehr wahrscheinlich. Aber daß früher oder später einmal alles bezahlt werden müßte, daß die Zeit nicht ferne war, wo ihr durch künstliche Mittel gestütztes Vermögen zusammenbrechen und alle Welt erfahren würde, daß ihr Einkommen zu ihrem Unterhalt nicht ausreiche und sie mit Schulden belastet seien, die sie nicht bezahlen konnten, wußte sie sehr wohl. Und oft erschien es ihr wirklich so, als ob sie froh sein werde, wenn der Krach käme – wäre nicht Jane gewesen. Trotz ihres Verlangens, daß er kommen möchte und alles überstanden wäre, war sie entschlossen, mit all ihrer Kraft dagegen zu kämpfen und ihn abzuwenden, bis er Jane nicht mehr treffen könne. Und Winton, das fühlte sie, war gerade im rechten Augenblick in ihrem Gesichtskreis erschienen. Sie befand sich hinsichtlich Wintons Vermögen nicht im Irrtum, wie ihre Tochter. Sie wußte ganz genau, wie er gestellt war, und daß er, wenn auch nicht gerade eine glänzende Partie, immerhin gut genug für jedes Mädchen, auch das vornehmste, war, das kein nennenswertes eigenes Vermögen besaß. In Beziehung auf äußere Erscheinung, Benehmen und Charakter war er den meisten heiratsfähigen Männern in England vorzuziehen: er war in der That ein sehr beachtenswerter Freier, ein Mann, den Eltern (die im Besitz ihrer fünf Sinne waren), unmöglich übersehen konnten. Der Herzog war in dieser Hinsicht nicht im vollen Besitz seiner Sinne, aber die Herzogin sah nicht ein, weshalb sie die Zukunft ihrer Tochter durch diese teilweise Unzurechnungsfähigkeit ihres Gemahls verpfuschen lassen solle. Ihrem Eheherrn zu gehorchen, ist sehr schön für eine Frau, aber die Herzogin fand das Joch denn doch etwas drückend. Sie hatte ihm niemals entgegengearbeitet, ausgenommen zu seinem eigenen Besten. Die Folgen seiner Thorheiten hatte sie entsagungsvoll auf sich genommen, als sie erkannte, daß ihr die Macht fehle, sie einzudämmen. Jetzt aber nahm sie sich, beinahe erbittert, vor, daß sie Jane nicht ins Verderben stürzen lassen wolle. Er mochte sagen, was er wollte, dieser ausgezeichnete Gatte, dieser gute, liebenswürdige, wohlhabende Mann sollte nicht abgewiesen werden. Konnte sie den Herzog bewegen, Vernunft anzunehmen, um so besser, wenn nicht ... Häusliche Zwistigkeiten und Verletzungen dessen, was im Leben für schicklich gilt, liebte sie ebensowenig wie irgend jemand, und der Gedanke, sie könne möglicherweise gezwungen werden, sich in offenen Widerspruch mit ihrem Gatten zu setzen, machte sie unsäglich unglücklich.

Die Herzogin entwarf ihre Pläne mit großer und ängstlicher Sorgfalt. Sie lud Winton zu den wenigen noch stattfindenden Festlichkeiten nach Grosvenor Square ein und brachte ihn mit dem Herzog in Berührung, wobei sie dafür Sorge trug, ihn zu unterweisen, welche Gesprächsgegenstände diesem Herrn seines Geschickes wohlgefällig seien. Es war eine schwere Geduldsprobe, sowohl für Winton, als für Lady Jane, allein der Erfolg schien den Versuch zu rechtfertigen. Der Herzog bemerkte den geistreichen Bürgerlichen, der so bereit war, sich für Seiner Durchlaucht Lieblingsideen zu begeistern. Er ging sogar so weit, zu fragen: »Wer ist dieser Mr. Winton?« mit einem Interesse, das seiner Gemahlin Herzklopfen verursachte. Sie schilderte ihren Schützling mit einigen raschen Strichen und legte besonderen Nachdruck auf das Alter seiner Familie. »Ah, so!« meinte Seine Durchlaucht gleichgültig. Es machte ihm keinen Eindruck, ebenso wie es ihn kalt ließ, daß dieser junge Mann, dessen Familie schon so viele Jahrhunderte in ihrem Herrenhaus ansässig war, vor kurzem in den Besitz eines sehr großen Vermögens gelangt war. Weitere Fragen stellte er nicht, und als die Herzogin sagte, sie habe die Absicht, ihn im Herbst nach Billings einzuladen, gähnte er sogar. »O, ich habe nichts dagegen,« sagte Seine Durchlaucht, »es müssen ja wohl immer ein paar Nullen da sein, um die Ecken auszufüllen.« Das war nun allerdings nach dem früher gezeigten Interesse ein kalter Wasserstrahl für die Herzogin. Aber sie ließ sich dadurch nicht abschrecken. Sie brachte es zuwege, was einer großen Dame immer leicht ist, Winton sehr zahlreiche Einladungen in ihre vornehmen Kreise zu verschaffen und ihn so beständig aufs neue mit dem Herzog in Berührung zu bringen. Einige ihrer Freundinnen und Altersgenossinnen sahen ihr wohl in die Karten, aber sie ließ sich weder irre machen, noch ihr Spiel durchschauen. Nicht nur mußte sie alle diese Veranstaltungen treffen, um den Neugierigen Sand in die Augen zu streuen, sondern sie mußte sogar mit dem Manne, dessen Sache sie so eifrig zu fördern bestrebt war, einen beständigen Kampf führen. Ihm ging die Sache zu langsam; er wollte mehr von seiner Geliebten sehen, er wünschte die Verlobung der Welt zu verkündigen, mit einem Wort, er war unvernünftiger und schwerer zu behandeln, als es jemals ein Mann war, während sie beinahe übermenschliche Anstrengungen machte, um ihm zu helfen. Lady Jane sagte kein Wort, aber sie beobachtete ihrer Mutter Thun mit stiller Verwunderung und hielt sich allen diesen Ränken fern. Niemals sprach sie über die Sache. Alles geschah für Jane, aber Jane mißbilligte es und tadelte innerlich ihre Mutter. Das war für diese das Schmerzlichste, allein sie blieb trotzdem ihrem Vorsatz getreu, und einen andern Weg, ihren Zweck zu erreichen, gab es nicht. Als sie Winton nach Billings einlud, nahm dieser die Einladung in einer sehr sonderbaren Weise auf. Er wurde sehr rot, erhob sich und ging im Zimmer auf und ab.

»Wenn ich als Betrüger kommen soll, möchte ich lieber gar nicht kommen,« sagte er. »Wenn ich als Janes anerkannter Verlobter kommen darf –«

»Wie ist das möglich, Mr. Winton, es sei denn, ihr Vater gäbe seine Zustimmung?«

Winton antwortete darauf nur mit einem verdrießlichen: »Ich kann nicht mehr unter falschen Vorwänden kommen.«

»Sie sind sechsmal mit dem Herzog zusammengetroffen, und sind nicht mit der Bitte um die Hand seiner Tochter über ihn hergefallen. Nennen Sie das falsche Vorwände? Jakob diente sieben Jahre um Rahel.«

»O ja, das wollte ich auch thun, aber Jakob hatte die Sache zuerst mit ihrem Vater ins reine gebracht. Er trieb sich nicht bei ihm umher und gab vor, er sei nur dort, um Labans angenehme Unterhaltung zu genießen, und das ist ein gewaltiger Unterschied.«

»Ich glaube, er würde das auch ausgehalten haben, denn er hatte ein sehr handfestes Gewissen,« entgegnete die Herzogin lächelnd. »Ich versuche alles für Sie zu thun, was ich kann,« fügte sie hinzu, »wenn Sie damit nicht einverstanden sind, kann ich's nicht ändern.«

»Ich werde wohl einverstanden sein müssen, etwas andres wird mir wohl nicht übrig bleiben,« antwortete er, und das war die unfreundlichste Antwort, die sie jemals auf eine Einladung erhalten hatte, eine Einladung, die selten an eine so unbedeutende Persönlichkeit ergangen war. In Billings wurde Lady Germaines Grundsatz, Leute einzuladen, die sie unterhielten, nicht befolgt. Die Eingeladenen waren ohne Ausnahme die Träger sehr vornehmer und glänzender Namen, aber sie waren in der Regel nicht unterhaltend, und die Einladung war so schmeichelhaft für Winton, daß sie den Uneingeweihten ganz unverständlich war. Natürlich aber gab es eine ganze Menge Menschen, die noch besser wußten, als die Herzogin selbst, mit welcher Absicht die Einladung an ihn gerichtet worden war. Lady Hungerford zum Beispiel, die am Morgen davon gehört hatte, überraschte ihren Mann durch ein lautes Gelächter, als sie abends nach dem Diner mit ihm allein zusammensaß. Da nichts vorausgegangen war, was ihre Heiterkeit erklären konnte, und Hungerfords Gesellschaft an sich nicht danach angethan war, sie hervorzurufen, war er sehr erstaunt und verlangte alsbald zu wissen, worüber sie lache.

»O, nichts,« entgegnete sie. »Deine Mutter hat den jungen Winton – den Herrn, weißt du, der das hübsche Haus in Kensington hat – zur Jagd nach Billings eingeladen.«

»Ist das so furchtbar komisch?« fragte Lord Hungerford.

»Siehst du denn das nicht, du Dickkopf?« entgegnete seine Frau, die sich vielleicht einer weniger wählerischen Sprache bediente, als bei ihrer gegenwärtigen Stellung erforderlich gewesen wäre, »sie hat sich's in den Kopf gesetzt, daß er für Jane paßt, und sie bildet sich ein, sie könne deinen Vater zur Zustimmung bewegen, wenn sie den jungen Mann nach Billings bringt.«

»Für Jane!« rief Hungerford betroffen.

»Das ist deiner Mutter Plänchen. Aber worüber ich lachen muß, das ist, daß sie denkt, sie könne deinen Vater bewegen, seine Einwilligung zu geben.«

Hungerford schien jedoch nichts Erheiterndes in dem Gedanken zu finden. Er war etwas schwer von Begriffen, und es dauerte einige Zeit, ehe ihm die Sache klar wurde. »Für Jane!« sagte er wenigstes ein Halbes Dutzendmal im Laufe des Abends, und als er am folgenden Tage seine Mutter traf, brachte er die Angelegenheit sofort zur Sprache.

»Was habe ich da über Regy Winton gehört?« begann er. »Susan sagt mir, du hättest ihn für Jane in Aussicht genommen.«

»Susan ist ja sehr gut unterrichtet –« entgegnete die Herzogin, während das Rot der Entrüstung ihr in die Wangen stieg. »Aber du kennst doch wohl Jane gut genug, um zu wissen, daß ›jemand für sie in Aussicht zu nehmen‹, wenig nützen würde.«

»Das habe ich auch gedacht,« sagte Hungerford, mit großer Bereitwilligkeit in die ihm gelegte Schlinge gehend. »Aber es wäre gar nicht so übel,« fügte er hinzu, »wenn es dahin gebracht werden könnte. Er hat einen Haufen Geld, und es läßt sich nichts gegen ihn einwenden, auch ist Jane nicht mehr so ganz jung, weißt du.«

Das war freilich wahr, aber daß diese Frage zwischen ihrem Sohne und seiner Frau überhaupt besprochen wurde, brachte der Herzogin Blut in Wallung. »So neunmal weise wie Susan und du, Hungerford, bin ich nicht,« sagte sie mit seinem Spott. »Du wirst deiner Tochter Verheiratung ohne Zweifel tausendmal besser in die Wege leiten, als ich die der meinigen.«

»Was hat das damit zu thun?« fragte Hungerford überrascht. Aber als er fortging, fügte er hinzu: »Ich dächte, Regy Winton wäre ein sehr guter Mann für Jane.«

Die Herzogin war sehr ärgerlich und dachte nicht daran, ihren Sohn ins Vertrauen zu ziehen. Und doch fühlte sie sich in ihrem Gemüte durch seine freiwillig ausgesprochene Meinung beruhigt – und handelte von da an mit größerer Zuversicht. Sie waren alle sehr froh, von London wegzukommen, sobald es der Herzog für zulässig hielt, sich der Pflicht, die Regierung des Reiches und die Verfassung zu unterstützen, die ihn alljährlich nach der Stadt führte, zu entziehen. Sein Gesicht erhellte sich, als er die beschränkte Welt verließ, worin ein Herzog beinahe ein gewöhnlicher Mensch ist und es über sich ergehen lassen muß, daß ein einfaches Mitglied des Unterhauses für viel wichtiger gehalten wird, als er. Schon um deswillen, wenn nicht noch aus andern Gründen, zog er das Land vor. Dort hatte er Ellenbogenraum, und der ganze Bezirk verbeugte sich vor ihm. Schon während der Reise wurde er freundlicher, obgleich sie mit der Eisenbahn gemacht wurde, eine ganz unpassende Art zu reisen, wobei auf Standesunterschiede fast gar keine Rücksicht genommen wird. Große Zettel mit »Bestellt« waren an den Wagen des Herzogs geklebt, und doch mußte er es erleben, daß ein zügelloser Reisender, ein Wesen ohne Ehrfurcht oder Gefühl, wirklich die Hand an den Thürgriff legte und versuchte, den Wagen zu besteigen. Aber trotz dieses betrübenden Vorkommnisses machte sich beim Herzog der besänftigende Einfluß des Aus-der-Stadt-Gehens fühlbar. Und denken zu müssen, daß das Weib seines Herzens daraus in der arglistigen Weise Nutzen zu ziehen suchte, wie sie das that! Es war nicht gerade auf der Reise, aber am ersten Abend zu Hause, als das edle Paar, wie das seine Gewohnheit seit Menschengedenken gewesen war, nach dem Mahl am kühlen Abend einen Spaziergang im Schatten der Bäume machte, unter denen schon seine Ahnen gewandelt waren, und gerade als Seine Durchlaucht mit einem Seufzer der Befriedigung sich umgeschaut und der Meinung Ausdruck verliehen hatte, daß Bäume und Gebüsche doch besser als Backsteine und Mörtel seien, eine Bemerkung, die gewöhnlich an derselben Stelle, an demselben Tage jedes Jahres gemacht wurde – sagte die Herzogin: »Das ist sehr wahr« (was sie bei derselben Gelegenheit stets zu sagen pflegte), »und es gibt keine Bäume wie unsre. Ich hoffe, die Luft ihres Geburtsorts,« fügte die hinterlistige Frau hinzu, »wird Jane gut thun.«

»Jane! Fehlt Jane etwas?« fragte ihr erhabener Papa.

»Ich dachte bestimmt, du müßtest das bemerkt haben: wenn es Jane betrifft, bist du doch sonst immer so scharfsichtig. Mir kommt's vor, als ob sie etwas blaß aussähe, und sie hat eine Miene – wie soll ich sagen – als ob sie immer in Gedanken wäre.«

»Davon sehe ich nichts,« entgegnete der Herzog halb entrüstet, »und worüber soll sie wohl in Gedanken sein?« »Sie ist ja allerdings immer von der zärtlichsten Sorge umgeben gewesen, das ist wahr. Aber wir dürfen nicht vergessen, daß sie kein junges Mädchen mehr ist, und daß es allerhand Gedanken gibt, die einem in den Kopf kommen, und die nur schwer zu vermeiden sind.«

»Was für Gedanken? Eine junge Dame in Janes Stellung braucht keine irgendwie beunruhigenden Gedanken zu haben. Ich hoffe, daß selbst in diesen revolutionären Zeiten, wo alles in Trümmer stürzt, das Haus Billings noch fest genug steht.«

»Ja, ja, in dieser Beziehung kann es keine Zweifel geben – kann Jane keine Zweifel haben,« sagte die Herzogin, sich verbessernd. »Allein es gibt doch Fragen, die den Geist beschäftigen, wie du weißt. Wir leben in einer revolutionären Zeit, wie du ganz richtig sagst, und selbst junge Damen sind gegen den Geist der Zeit nicht gefeit. Außerdem, wenn du mir das auszusprechen gestattest, wenn ein Mädchen achtundzwanzig Jahre alt geworden ist, dann fängt es manchmal an zu fühlen, daß es nicht genug ist, seines Vaters Tochter zu sein – daß es in gewisser Art eine eigene Stellung haben möchte.«

»Willst du damit andeuten, daß Jane sich in Gedanken mit derartigen Dingen beschäftigt?« fragte der Herzog streng. »Meine Liebe, in Angelegenheiten, die deinen Wirkungskreis betreffen, habe ich großes Vertrauen zu dir ... Aber Jane, meine Tochter ...«

»Hoffentlich wirst du zugeben, daß sie ebensogut meine Tochter ist,« entgegnete die Herzogin mit einem halben Lachen und dem Aerger, der bei einer Frau nur natürlich ist, die gewöhnt ist, mit einem Mann zu thun zu haben, mit dem nichts anzufangen ist. Sie mußte über die beleidigende Geringschätzung, die in seinen Worten lag, lachen, wenn sie nicht etwas Schlimmeres thun wollte.

Der Herzog machte eine beschwichtigende Handbewegung. »Ja, ja,« sagte er im Tone eines Mannes, der einem unverständigen Kind nachgibt. »Freilich, in gewisser Art, wir wollen uns darüber nicht streiten. Aber ich bin sicher,« fügte er hinzu, »daß du zu klug bist, den Ansprüchen, die unser Geschlecht an uns stellt, Widerstand zu leisten. Jane ist nicht sowohl deine Tochter, oder selbst die meinige, als die Tochter des Geschlechts der Altamonts, und in dieser Eigenschaft, das wirst du zugeben, meine Liebe, werde ich sie wohl, so groß deine Ansprüche auf Achtung als ihre Mutter auch sein mögen, am besten verstehen.«

Die Bitterkeit, womit die Herzogin dieser Rede lauschte, kann man begreifen, aber es war keineswegs das erste Mal, daß sie diese Erfahrung machte, und sie ließ ihre Empfindungen nicht merken; im Gegenteil, sie benützte seine feierliche Eitelkeit mit einer Gewandtheit, welche die Forderungen, die ihre Lage an sie stellten, in ihr entwickelt hatten.

»Dann mußt du mir deine höhere Einsicht zu gute kommen lassen,« sagte sie ganz ruhig und ohne eine Spur von Spott in ihrem Tone. »Jetzt, wo du mehr Muße hast, Familienangelegenheiten deine Beachtung zu schenken, was man in der Stadt nicht von dir verlangen konnte – jetzt sag mir, was du denkst. Ich habe den Eindruck, daß sie anfängt, über die Zukunft nachzusinnen. Ich war schon ihre Mutter, als ich so alt war, wie sie. Sie ist sehr viel bewundert und umworben worden.«

»Natürlich,« entgegnete der Herzog mit einer erhabenen Handbewegung.

»Und ich habe das Gefühl, daß in ihrem Herzen eine Bevorzugung für jemand – eine Neigung vielleicht – empordämmert. Es würde eine schreckliche Entbehrung sein, wenn wir sie verlieren sollten. Indessen,« fuhr die Herzogin fort, »kann es doch wohl kaum in deiner Absicht liegen, sie am Heiraten hindern zu wollen.«

»Sie hindern zu wollen – du hast wirklich eine höchst sonderbare Art dich auszudrücken. Ich wünsche nichts aufrichtiger – wenn wir eine passende Verbindung finden.«

»Aber meinst du nicht,« rief die Herzogin, »daß wir vielleicht die Zeit etwas versäumen? Natürlich möchte ich mein Kind gern solange als möglich bei mir behalten, aber in ihrem eigenen Interesse – – Frauen sind im ganzen glücklicher, wenn sie heiraten, glaube ich,« schloß sie in etwas zweifelndem Ton.

»Mary! Natürlich sind sie glücklicher, wenn sie heiraten. Kann es darüber einen Zweifel geben? Man kann von einer unverheirateten Frau kaum sagen, daß sie lebt.«

»Ja, ich meine, man könnte doch darüber zweifelhaft sein,« entgegnete seine Gattin wieder mit dem halben Lachen, »und da ich zu den Verheirateten gehöre, wird man mir wohl das Recht meiner eigenen Meinung über die Frage zugestehen müssen. Und doch, in Beziehung auf Jane, möchte ich wohl wünschen, daß meine Tochter heiratete. In ihrer Stellung hieße unverheiratet bleiben wirklich soviel, als vom eigentlichen Leben ausgeschlossen zu sein.«

»Es ist nicht einen Augenblick daran zu denken! Eine alte Jungfer!« sagte der Herzog mit einem leichten Beben der Stimme, und er dachte an die schwache Einbiegung – keine Höhlung, kaum mehr als ein Grübchen, das aber doch kein Grübchen war – in Lady Janes Wange. »In Beziehung auf seine Kinder täuscht man sich selbst so leicht. Ich habe nicht das Gefühl, als ob ich älter wäre, als vor zwanzig Jahren, und deshalb bemerke ich auch keinen Unterschied bei ihr.«

»Hungerford ist schon recht alt,« antwortete die Herzogin. »Er ist in mancher Beziehung älter als du oder ich.«

»Ah, Hungerford! Was kann man vom Manne einer solchen Frau wohl erwartend« sagte der Herzog mit einem kleinen Schauder, und dann fügte er mit innerer Besorgnis, aber äußerer Lustigkeit hinzu (soweit Herzöge überhaupt lustig sein können), als ob ihre Ansicht ein ausgezeichneter Spaß sei: »Nebenbei bemerkt, Lady Hungerford wird wohl auch etwas über die Sache zu sagen haben; sie hat in der Regel etwas zu sagen.«

»Susan macht aus ihrer Ueberzeugung kein Hehl, daß Janes Aussichten vorüber sind,« entgegnete die Herzogin. »Sie hält sie für passée. Sie meint, soviel ich weiß, daß ein Geistlicher – dem wir die Pfründe von Billings geben könnten – jetzt für Jane das Wahrscheinlichste wäre.«

»Ein Geistlicher!« rief der Herzog mit Zorn und Entsetzen. Seine Frau lachte leise, aber unter dem Lachen versteckte sich Aerger. Wie es kam, daß Susans ungezogene Redereien immer zu den Ohren ihrer Schwiegereltern drangen, ist schwer zu sagen, aber es war der Fall, und sie hatten in der Regel die Wirkung, des Herzogs nur zu edles Blut in einer der Gesundheit sehr zuträglichen Weise zu erwärmen.

»Es ist sehr wohl bekannt, wie schwierig du bist,« sagte die Herzogin. »Ich glaube selbst nicht, daß der Geistliche sich so leicht heranwagen wird, aber wenn Jane eine Neigung hätte, würde ich mich meinerseits nur sehr schwer bereit finden lassen, ihr entgegenzutreten.«

»Jane wird keine Neigung haben, die nicht durch die Würdigkeit ihres Gegenstands gerechtfertigt ist,« rief Janes Vater. »Dafür ist sie doch zu sehr mein Kind. Sie wird es nie zugeben, daß ihr Herz ihren Rang vergißt. In der That, es wird mir sehr schwer, mir die Möglichkeit vorzustellen,« fuhr er mit Würde fort, »daß sie das, was du eine Bevorzugung für jemand nennst, empfinden könnte. Mir erschien sie immer so überlegen, so heiter, so –«

»Aber nicht kalt,« warf die Herzogin ein.

»Was du unter kalt verstehst, weiß ich nicht, ja, kalt, in meinem Sinne des Wortes, wie das ein jedes Mädchen sein sollte. Ich glaube, wenn ich sie nicht aus den Gedanken bringe – öder du, als meine Vertreterin – ist sie viel zu reinen Sinnes, zu erhaben, um überhaupt ans Heiraten zu denken.«

»Wenn sie in einem einsamen Turm eingesperrt wäre,« meinte die Herzogin. »Aber unglücklicherweise gibt es zu viele Dinge in der Welt, die diesen Gedanken ihr aufdrängen müssen, und wenn du wirklich wünschest, daß sie heiratet – –«

»Natürlich wünsche ich das,« antwortete der Herzog, beinahe ärgerlich, und dann fügte er hinzu: »Selbstverständlich standesgemäß.«

Später fragte sich die Herzogin, ob diese Art, die Aufmerksamkeit ihres Gemahls auf diese Angelegenheit zu lenken, klug gewesen sei. Sie hatte die Absicht gehabt sehr klug zu verfahren, aber ein Gespräch ist eins von den eigentümlichen Dingen, die ihre eigenen Wege gehen. Wir mögen uns noch so fest vorgenommen haben, was wir sagen wollen, es kommt uns ganz sicher irgend etwas in die Quere und lenkt es in andre Bahnen. So war es auch bei dieser Gelegenheit gegangen. Statt den Herzog auf den Gedanken vorzubereiten, daß er einen Bewerber um Janes Hand, der, wenn ihr auch an Rang nicht gleichstehend, doch zu ihrem Glück unentbehrlich sei, annehmen müsse, hatte sie nur eine nochmalige Versicherung seines Entschlusses hervorgelockt, daß niemand Jane heiraten solle, der an Rang unter ihr stehe. Mit Schaudern dachte sie daran, daß Winton voll Hoffnung und mit der Absicht ankommen werde, den Herzog durch Nachweis seines Vermögens und dessen, was er seiner zukünftigen Frau zusichern wolle, zufriedenzustellen. Der Herzog war einer der wenigen ins neunzehnte Jahrhundert hineingeratenen Leute, die für Geld gänzlich unzugänglich sind. Susan Hungerford – war gerade hinreichend, um jedem Widerwillen gegen diese Art, den Familienschatz zu füllen, einzuflößen. Vielleicht wäre es besser gewesen, nichts zu sagen, es Winton zu überlassen, den Herzog dadurch für sich zu gewinnen, daß er dessen Meinungen, wie bisher, achtungsvoll bewunderte. Von dem Gefühle des Mißlingens niedergedrückt, kehrte sie nach dem Schlosse zurück. Sie ihrerseits wäre gar nicht so abgeneigt gegen einen Geistlichen (vorausgesetzt, daß er nett war) gewesen, der sich mit ihrem Kind in dem hübschen Pfarrhaus, noch nicht eine Viertelmeile von den Parkthoren, eingerichtet hätte, so daß sie gewissermaßen beständig im Elternhause geblieben wäre. Es war aber kein Geistlicher zur Hand, und das kam also nicht in Frage. Lady Jane begrüßte sie mit einem halb schüchternen Blick, als sie ins Zimmer trat und die frische Abendluft mitbrachte. Sie mochte nicht fragen, ob zwischen ihren Eltern von ihr selbst die Rede gewesen sei, aber aus ihren Augen konnte sie diese Frage nicht verbannen. Die ganze Antwort der Herzogin bestand in einem Kuß und der Erkundigung, ob sie an dem köstlichen Abend nicht draußen gewesen sei. »Dies ist besser, als die Stadt,« meinte Ihre Durchlaucht. War es wirklich besser, als die Stadt? Zum erstenmal blieb Lady Jane mit einem leisen Seufzer die Antwort schuldig, und das Gefühl fand keinen Widerhall in ihr. Ja, auf dem Lande ist es schön, die Wälder und Felder und die Luft, worin man geboren ist, und die Stille der Natur – aber es gibt noch andre Dinge, die vielleicht selbst in dem räucherigen London, zwischen Backsteinen und Mörtel, wovon Seine Durchlaucht so geringschätzig gesprochen hatte, noch schöner sind. Von allen Leuten in der Welt war Lady Jane die letzte, die einen Ballsaal oder die ermattete, überhitzte Menschenmenge am Ende der Gesellschaftszeit vorgezogen hätte. Aber zum erstenmal in ihrem Leben dachte sie an diese gesellschaftlichen Vereinigungen mit einem Seufzer.


 << zurück weiter >>