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Viertes Kapitel. Eine Enttäuschung

Mit klopfendem Herzen begab sich Winton an jenem Morgen nach Grosvenor Square. Weder die vornehme Ruhe des Hauses, noch die großartige Zimmerflucht, durch die er zum Boudoir der Herzogin geleitet wurde, schüchterten ihn ein. Er besaß selbst ein schönes Haus, seine ganze Umgebung war schön, und er hatte durchaus nicht das Gefühl, daß Lady Jane in Beziehung aus Behaglichkeit oder Luxus Einbuße erleiden werde, wenn sie diese glänzenden Räume mit den seinen vertauschte. Um die Wahrheit zu sagen, hielt er die Vergoldung für etwas überladen, ganz davon zu schweigen, daß sie etwas verblaßt und in zweifelhaftem Geschmack gehalten war; indes das war die Schuld der Zeit, zu der sie ausgeführt worden war. So wenig beunruhigt fühlte er sich, daß er das alles bemerkte. Bisher hatte er diese Räume nur abends gesehen, wenn sie von einer glänzenden Gesellschaft erfüllt waren. Dann machten sie einen ganz andern Eindruck als jetzt, wo sie verlassen und schweigend in der ersten Morgenfrische dalagen, mit offenen Fenstern, herabgelassenen Vorhängen, und nicht ein Mensch darin sichtbar. Natürlich sah sich der Liebende, während er durch die Zimmer schritt, worin die Dame seines Herzens atmete, nach irgend einem Zeichen alltäglicher Beschäftigung um. Dort am Fenster stand ein kleiner Stuhl, ein Tischchen mit einer Arbeit, einige Bücher, eine einzelne Rose in einem Glas. Waren das ihre Sachen? Gern hätte er auf die bloße Möglichkeit hin die Rose genommen, wenn nicht die feierliche Persönlichkeit, die vor ihm herging, gewesen wäre. Da an der Wand hing ein Bild von ihr, aber natürlich ließ es ihr keine Gerechtigkeit widerfahren, es war wirklich eine ganz wertlose Kleckserei, wie jedermann sofort sehen konnte. So durchschritt er ein Zimmer nach dem andern, als ob er auf Luft wandle. Sein Herz schlug heftig, aber nicht vor Besorgnis, sondern in seliger Erwartung und vor Glück. Sie sollte eine bessere Wohnung haben als diese – Zimmer, die ganz besonders für sie geschmückt wären, Bilder andrer Art; ihr Heim sollte ihrer würdig sein, wenn eine irdische Wohnung überhaupt jemals einer so schönen Seele würdig sein konnte. Das ging ihm durch den Sinn, während er das Vorzimmer und die zwei großen Salons durchschritt. Gedanken sind so behende. Er überlegte sogar, wie er die Bilder hängen wollte, entschied mit Blitzesschnelle, was am besten für sie passen werde, und beschloß, daß ein Rafael – ja, ein Rafael mußte es sein – die Wand des Schreines schmücken solle, der seiner Heiligen im besondern gewidmet war, während er mit einem halb geringschätzigen Lächeln auf den Herzog von Billingsgate, K. G. Knight of the Garter, Ritter des Hosenbandordens. Anm. d. Uebers., in seiner Standesherrnuniform, auf der einen, und eine Herzoginwitwe in einem Turban auf der andern Seite blickte. Du lieber Himmel! Welch ein Gedanke, daß solche Pfuschereien Jane umgaben! Das sollte in dem neuen Heim anders werden. Gestern, ehe er wußte, wie sie seine Werbung aufnehmen werde, hatte sein Herz angstvoll geschlagen, aber jetzt! Nein, heute fühlte er nicht die geringste Besorgnis, nur ein ungeduldiges Verlangen, über die einleitenden Besprechungen hinwegzukommen, sie zu sehen und von ihr bestimmen zu lassen, wann die Hochzeit sein sollte. Ein Grund zum Warten lag nicht vor. Er war kein junger Rechtsanwalt, der auf ein gesichertes Einkommen warten mußte (was er gewesen wäre, wenn sich seine Lage durch den Onkel – Gott hab' ihn selig! – dessen Güte er erst jetzt vollständig würdigen lernte, nicht so vorteilhaft geändert hätte). Er war reich und bereit, morgen schon den Heiratsvertrag zu unterzeichnen. Bis zum Schluß der Saison, das war gerade lang genug, um eine hübsche, stille Landkirche ausfindig zu machen, die geschicktesten Handwerker Londons in sein Haus zu Winton zu schicken und es in ein kosiges Nestchen zu verwandeln, während er sich mit aller Kraft daran machte, das nötige bric-a-brac zu sammeln. Was war noch weiter erforderlich? Er hatte im Geiste alles geordnet, bis der Kammerdiener, geräuschlos eintretend, mit einer Stimme, die weich war wie Samt, Ihrer Durchlaucht meldete, daß Mr. Winton seine Aufwartung zu machen wünsche. Die Herzogin empfing ihn mit vornehmer Freundlichkeit. So schön wie Jane war sie gewiß nie gewesen, dachte er. In den meisten Fällen ist es schwierig, zu glauben, daß eine Frau von fünfzig so schön gewesen ist, wie ihre achtundzwanzigjährige Tochter; und in diesem Falle war es auch ganz wahr. Aber niemand konnte in Abrede stellen, daß sie ein Gesicht voll Verstand und feiner Empfindung habe. Heute sah es etwas sorgenvoll und sehr ernst aus. Winton war jedoch ganz bereit, einzuräumen, daß diese Dame verlieren müsse, wenn er gewinnen solle, und daß die Herzogin vielleicht nicht ganz so begierig war, ihre Tochter loszuwerden, wie Eltern sonst der allgemeinen Ansicht nach sein sollen.

»Nehmen Sie Platz, Mr. Winton,« hob sie an. Sie hatte sich nicht von ihrem Stuhl erhoben, der hinter einem mit Papieren bedeckten Schreibtisch stand, und über diese Schranke hinweg reichte sie ihm mit einem wohlwollenden, wenn auch etwas zurückhaltenden Lächeln die Hand. »Ich muß um Entschuldigung bitten,« fügte sie nach einer kurzen Pause hinzu, »daß ich Sie hierher bemüht habe.«

»O, bitte sehr, das versteht sich von selbst. Ich würde um Erlaubnis gebeten haben, den Herrn Herzog zu sprechen, wenn Sie nicht so gütig gewesen wären, mir diese Gelegenheit – zuerst zu geben. Ich hoffe, die Ehre, den Herrn Herzog zu sehen, wird mir nachher zu teil werden, wenn ich das Glück habe, Sie zufrieden zu stellen. Sie können mir glauben, daß ich an nichts denken kann, bis alles geordnet ist.«

»Alles geordnet?« sagte sie mit leisem Kopfschütteln. »Sie sind jung und zuversichtlich, Mr. Winton, Sie glauben, daß sich die Dinge so leicht ordnen lassen. Allein ich fürchte, es wird schwieriger sein, als Sie annehmen. Wissen Sie, es wäre mir sehr lieb gewesen, wenn Sie mich zu Rate gezogen hätten, ehe Sie mit Jane sprachen.«

»Warum?« fragte er, seine Augen mit erstauntem Blick auf sie richtend. »Ich weiß,« fügte er hierauf hinzu, »daß Lady Jane eine große Dame, eine Erbprinzessin ist. Ich selbst bin etwas demokratisch, aber ich erkenne an, daß sie alles verkörpert, was in hohem Range Schönes liegt. Man muß sich ihr nahen, wie einem gekrönten Haupt.«

»So doch wohl nicht,« entgegnete die Herzogin lächelnd.

»Mit aller Ehrfurcht, unter strengster Wahrung der Form,« fügte er hinzu, »aber andre zuerst zu fragen, ist nicht englische Art, wie Sie wissen. In ihr, nur in ihr sieht man den entscheidenden Richter.«

Die Herzogin fuhr fort den Kopf zu schütteln. »Das ist bei gewöhnlichen Mädchen alles ganz schön, aber Janes Stellung ist so besonders, Mr. Winton. Ich hoffe, Sie werden sich durch das, was ich Ihnen sagen muß, nicht verletzt fühlen. Hätten Sie mich gefragt, dann würde ich Ihnen geantwortet haben: Nein!«

»Nein?« wiederholte er verständnislos und sah sie an. Er war nicht im stande, sich klar zu machen, was sie meine.

»Ich würde Ihnen gesagt haben, thun Sie's nicht, Mr. Winton, um Ihrer selbst willen.«

Winton erhob sich in der Aufregung des Augenblicks und stand vor ihr, wie versteinert. »Thun Sie's nicht! sagten Sie? – – Verzeihen Sie, wenn ich Sie nicht gleich verstehe.«

»Ich meine, nachdem es unglücklicherweise dahin gekommen ist, daß Sie, ohne daß ich's hindern konnte, sich in Jane verliebt –«

»Unglücklicherweise?«

»Sie wiederholen stets nur meine Worte,« rief die Herzogin klagend. »Ja, unglücklicherweise – aber lassen Sie mich doch ausreden. Hätten Sie mit mir gesprochen, dann würde ich Ihnen gesagt haben: Suchen Sie, es zu überwinden, Mr. Winton, bringen Sie das arme Mädchen nicht dadurch um seine Ruhe, daß Sie's ihm sagen. Versuchen Sie, ob nicht eine kleine Reise nach Amerika oder Tigerjagden, oder Beschäftigung als Times-Berichterstatter oder irgend sonst etwas Aufregendes, wie es junge Leute heutzutage unternehmen, Ihnen Heilung bringe. Ich würde Ihnen gesagt haben, Sie kennen sie noch nicht lange, das Uebel kann noch nicht sehr tief sitzen. Ich sage Ihnen dies, um Ihnen zu zeigen, was mein Rat gewesen wäre, wenn Sie mich gefragt hätten, ehe Sie mit Jane sprachen.«

»Aber was kann es nützen, darüber zu reden, was wir in irgend einem angenommenen Falle gethan hätten?« entgegnen Winton. Er war aus seiner anfänglichen Verwirrung zu klarerem Verständnis erwacht und es fing an, unbestimmt in ihm zu dämmern, daß nicht alles so glatt gehen werde, wie er gedacht hatte. »Ich habe doch nun einmal mit ihr gesprochen,« fuhr er fort. »Sie machen mir furchtbare Angst, aber – es kann doch nichts nützen, zu überlegen, was Sie in einem gänzlich verschiedenen Falle gethan hätten.«

Die Herzogin seufzte und schüttelte den Kopf. »Das ist es, was Ihnen zu sagen ich für meine Pflicht hielt, angesichts all des Leids und der Verwirrung, die unausbleiblich folgen werden. Wissen Sie wohl, Mr. Winton, daß ihr Vater Sie niemals anhören wird – niemals!« sagte sie in einem plötzlich veränderten Ton.

Winton sank auf seinen Stuhl nieder und starrte sie mit ängstlichem Ausdruck an. »Ich wußte – man hat mir gesagt, der Herr Herzog sei nicht leicht zufriedenzustellen. Und mit vollkommenem Recht. Ich stimme Seiner Durchlaucht darin vollständig zu. Ich bin nicht halb gut genug für sie, aber,« fügte er nach einer kurzen Pause hinzu, »das ist überhaupt kein Mann. Wenn es einen Mann in der Welt gäbe, der ihrer würdig wäre, den würde weder der Herr Herzog, noch sonst jemand zu finden wissen, und,« fuhr er eindringlich fort, »es käme jetzt auch gar nicht mehr darauf an. Wenn man diesen Helden morgen entdeckte, sie würde ihn nicht mehr annehmen, denn – sie hat mich gewählt. Ich gebe zu, daß das zum Wunderbarsten gehört, was es in der Welt geben kann!« sagte der Liebende mit einem Entzücken, das ihm sehr gut stand. »Aber Sie werden finden, daß es wahr ist. Sie hat mich erwählt.«

»Es mag noch so wahr sein,« entgegnete die Herzogin, den Kopf immer heftiger schüttelnd, »aber der Herzog wird sich darum nicht viel kümmern. Auf moralische Vorzüglichkeit gibt er, fürchte ich, nicht viel. Es wäre schwer – das räume ich ein – jemand zu finden, der ebenso gut ist, wie Jane. Und wenn es gelänge, würde sich wahrscheinlich herausstellen, daß er ein armer alter Missionar oder eine ähnliche unmögliche Persönlichkeit ist. Allein ich fürchte, daß das nicht alles ist, woran ihr Vater denkt.«

»Dann sagen Sie mir, was es ist. Ich bin kein Prinz Wunderhold – aber die Wintons sind seit der Eroberung in Winton seßhaft, und ich bin sehr wohlhabend. Der Ehevertrag soll so aufgestellt werden – wie Sie es wünschen.«

»Versprechen Sie nicht zu viel,« antwortete die Herzogin, »denn Sie haben ohne Zweifel einen Familienanwalt, der ganz andrer Ansicht sein wird; ich hoffe in der That, daß Sie einen haben, wenn das die Art ist, wie Sie Geschäftssachen behandeln. Aber, leider, wird den Herzog, wie ich fürchte, selbst das nicht befriedigen.«

»Aber was, ins Himmels Namen, verlangt er denn! – Ich bitte tausendmal um Verzeihung, Frau Herzogin. Ich weiß nicht, was ich spreche. Allerdings, einen Titel habe ich nicht. Verlangt er das?«

»Ich kann Ihnen nicht sagen, was er verlangt,« antwortete die Herzogin etwas ungeduldig. »Der Herzog ist – nun, der Herzog ist eben ihr Vater, das ist alles, was ich sagen kann. Er wird Ihrem Antrage kein Gehör schenken – niemals. Das ist der Grund, warum ich Ihnen gesagt hätte, machen Sie ihn nicht. Rauben Sie dem armen Mädchen nicht die Ruhe.«

»Aber – –« rief Winton. Was er eigentlich sagen wollte, wußte er nicht – eine feierliche Verwahrung, das war alles, dessen er fähig war.

»Aber – –,« wiederholte die Herzogin. »Ja, Mr. Winton, es ist immer ein aber dabei. Ich will Ihnen offen gestehen, es thut mir im Grunde genommen gar nicht so leid, daß Sie mich nicht zuerst gefragt haben. Ich wäre gezwungen gewesen, Ihnen das zu antworten, was ich Ihnen eben gesagt habe. Da Sie aber die Sache selbst in die Hand genommen haben, bin ich ganz froh. Wenn's nach ihrem Vater ginge, würde Jane überhaupt nie heiraten können. Seien Sie nicht gleich so überschwenglich; Sie brauchen mir gar nicht so warm zu danken. Ich habe noch nichts für Sie gethan, und weiß nicht, was ich für Sie thun kann.«

»Alles!« entgegnete Winton. »Wenn Sie für uns sind, dann gibt's nichts, was gegen uns aufkommen kann. Des Herzogs Herz wird weich werden, er wird Vernunft annehmen.«

Ein zweifelndes Lächeln umspielte die Lippen der Gattin des Herzogs, die besser als irgend jemand wußte, inwieweit es möglich war, ihn der Stimme der Vernunft zugänglich zu machen. Aber sie erwiderte nichts; sie ließ den Liebenden reden. Mit der Ueberzeugung, die seinem Zeitalter eigen ist, fuhr er fort, daß alle diese mittelalterlichen Anschauungen veraltet seien, und väterliche Gewaltherrschaft der Vergangenheit angehöre.

»Grausame Väter,« meinte Winton, »gehören ins Mittelalter: ich fürchte mich nicht mehr vor ihnen, als vor dem Schloßgespenst. Der Herzog wird mit Recht denken, daß ich ein zu armseliger Wicht sei, um ihn um die Hand seiner Tochter zu bitten. Ich müßte ganz was andres sein – besser, schöner, gescheiter.«

»Sie sind gar nicht übel,« entgegnete die Herzogin mit einem gnädigen Lächeln.

Er erkannte diese Liebenswürdigkeit durch eine Verbeugung an,, und seine Befriedigung war groß – denn wer ließe sich nicht gern sagen, daß er »nicht übel« sei? Aber er fuhr fort: »Alles dies fühle ich ebensosehr, wie es Seine Durchlaucht nur fühlen kann. Zu meinen Gunsten spricht, daß Jane – –« ein tiefes Rot stieg in seine Wangen, als er sie so nannte, und ihre Mutter stutzte zwar etwas, erkannte aber sein Recht durch eine leichte Verbeugung an, die freilich etwas feierlich ausfiel – »daß Jane« – er wiederholte das liebe Wort – »an meiner untergeordneten Stellung keinen Anstoß nimmt – daß das liebe Mädchen zufrieden ist.« – Hier überwältigte ihn sein Glück, so daß seine Stimme klang, als ob Thränen sie erstickten. Die Herzogin beugte ihren Kopf.

»Das ist alles, wonach ich frage,« sagte sie.

»Wie könnte es anders sein?« rief der junge Mann. »Es ist ja auch alles. Ich habe an sich gar nichts, worauf ich meine Ansprüche stützen könnte, aber Jane – liebt mich! Es ist ja eigentlich viel zu schön, um wahr sein zu können, und doch ist es wahr. Dem Herzog wird es nicht gefallen, das wollen wir zugeben, aber, wenn er das sieht, und daß sie mich nicht aufgeben, sondern mir treubleiben wird – treu bis zum Tode – – Liebe Frau Herzogin, ich schätze Ihr Urteil über alles, aber in diesem Punkte muß man doch auch mit der Vernunft rechnen. Das Leben ist kein Drama. Wenn die Tochter fest bleibt, muß der Vater nachgeben.«

Er sprach diesen Glaubenssatz etwas erregt und beinahe in einem Tone aus, der keinen Widerspruch duldete, und dabei konnte er trotz aller Mühe ein schwaches Lächeln über die Standesvorurteile, woran selbst die so verständige Herzogin noch hing, nicht unterdrücken. Vielleicht ist eine große Dame in so erhabener Stellung mehr als andre geneigt zu glauben, daß die Geschichte und der Fortschritt der Anschauungen wenig oder gar keine Wirkung auf die Rasse haben und daß Herzöge und Väter jetzt noch ebenso sind, wie im fünfzehnten Jahrhundert. Er, dies schöne Erzeugnis des neunzehnten, war von der Richtigkeit seiner Anschauung so überzeugt, daß er nur lächelnde Duldung für die ihrige hatte. Andrerseits war die Herzogin noch duldsamer als selbst Winton. Seine Sicherheit war für sie ein klein wenig belustigend – sein bescheidener Widerspruch reizte ihre feine Empfänglichkeit für das Lächerliche, aber das wurde gemildert durch ihre Teilnahme für ihn, und durch ihr tiefes und zartes Interesse für den Mann, den Jane liebte. Sie war etwas erstaunt – und welche Mutter wäre das nicht gewesen? – daß Jane gerade diesen und keinen andern liebte, aber da dieser Umstand alle ihre Liebe für ihr zum Weibe gereiftes Kind wachrief, warf es auch einen verschönernden Glanz auf Janes Geliebten. Von seinem persönlichen Benehmen war sie im ganzen befriedigt. Nicht jeder Mann wird seine Empfindungen in einer Weise zeigen, die eine besorgte Mutter zufriedenstellt. Winton hatte jedoch einen guten Eindruck auf die Herzogin gemacht. Sein Ton und sein Blick, wenn er von ihrer Tochter sprach, gefielen ihr. Er war liebevoll genug, anbetend genug, ehrfurchtsvoll genug, um sie zufriedenzustellen, und wie viel wollte das sagen!

»Nun,« sagte sie, »wir wollen hoffen, daß Sie recht behalten, Mr. Winton. Sie kennen ohne Zweifel die Menschen und die menschliche Natur besser, als ich, die ich nur doppelt so alt bin, als Sie,« fügte sie mit einem leisen Lachen hinzu. »Jedenfalls wünsche ich von ganzem Herzen, daß Sie recht behalten mögen. Nur eins; jetzt mit dem Herzog zu sprechen, wäre nicht klug. Fahren Sie nicht auf – ich weiß, daß ich darin recht habe. In der Stadt ist er niemals so recht bei Laune, es gibt da zu vielerlei, was ihn verstimmt. Er sieht Leute befördert, die er dessen für nicht würdig hält, und andre übergangen; er meint, die Gesellschaft wäre aus Rand und Band, und kann den Gedanken nicht los werden, daß er oder vielmehr wir dazu berufen sind, sie wieder in Ordnung zu bringen.« Das alles sagte die Herzogin mit halbunterdrückten Seufzern zwischen den einzelnen Sätzen und doch nicht ohne Humor, der ihren Zügen einen freundlichen Ausdruck gab. »Auf dem Lande wird sich die Sache leichter machen. Wenn er jemals durch Liebe und Treue und solch' schöne Dinge überwunden werden kann, dann ist es in seinem eigenen Reiche, wo niemand ihm in die Quere kommt und alles nach seinem eigenen Willen geht.«

Und Winton? Mit jedem Wort, das die Herzogin sprach, wurde sein Gesicht länger. Was! Er, der mit der Absicht hierhergekommen war, Jane zu überreden, zu bestimmen, wann die Hochzeit stattfinden sollte, er sollte ohne ein Wort fortgehen – auf unbestimmte Zeit in Spannung gehalten werden, keinen Schritt weiter gekommen fein, als gestern? Sein ganzes Herz, sein Stolz und alles, was in ihm war, bäumte sich dagegen auf. Ein Gefühl der Schwäche überfiel ihn, es wurde ihm übel vor Aerger, Enttäuschung und Entmutigung. »Das heißt also,« sagte er, »unbestimmten Aufschub, endlose Spannung. Ich glaube, Sie wollen mich dahin bringen, Jane aufzugeben, Sie wollen das, was unser Leben ist, in uns ertöten.«

»Natürlich sind Sie ungerecht und undankbar,« sagte die Herzogin – »darauf war ich vorbereitet. Ich rate Ihnen zu Ihrem Besten. Der Herzog ist, glaube ich, in der Bibliothek. Er ist der Inbegriff der Höflichkeit; wenn Sie ihn um eine Unterredung bitten lassen, wird er Sie sofort empfangen, das weiß ich gewiß, aber in dem Falle werden Sie diese Schwelle nie wieder überschreiten. Sie werden von jedem Verkehr mit Jane abgeschnitten sein, und die ganze Geschichte ist ein für allemal vorbei. Ich kenne meinen Gemahl, er wird Ihnen keine Zeit lassen, ein Wort zu Ihren Gunsten zu sagen. Nun thun Sie, was Sie für am besten halten, Mr. Winton. Ich meine es gut mit Ihnen, und wenn Sie meinem Rate folgen, werde ich inzwischen alles für Sie thun, was in meinen Kräften steht.«

Der junge Mann lauschte diesen Worten mit einer Mischung von Aerger und Betrübnis. Als sie vom Herzog in seiner Bibliothek sprach, fing sein Herz an, heftig in seiner Brust zu hämmern. O ja, eine Entscheidung ließ sich wohl rasch herbeiführen. Augenscheinlich konnte er seine Antwort ohne weitere Spannung aus dem Fleck erhalten. Er starrte die Herzogin verständnislos an. Noch nie hatte er sich in einem solchen Zwiespalt befunden. Was würde Jane sagen, wenn er nachgab? Was würde sie sagen, wenn er auf seinem Willen bestand und Fehlschlag und Verbot des Verkehrs die Folgen seines Schrittes waren? Die Herzogin, das war offenbar, sprach nicht unüberlegt. Sie wußte, was sie sagte; sie meinte es gut mit ihm – zu gut, um ihn blindlings ins Verderben rennen zu lassen. Auf der andern Seite stand der Aufschub der Erfüllung aller seiner Hoffnungen, unerträglicher Stillstand und Ungewißheit, ein einfaches Auslöschen seiner Erwartungen. Er konnte weiter nichts thun, als die Herzogin anstarren, während sie sprach, und noch einige Zeit nachher. Was sollte er ihr antworten? Wie ruhig diese alten Leute auf der Höhe ihrer Erfahrungen thronen und halb lächelnd auf die Ungeduld und Aufregung der Jüngeren herabblicken! Was lag ihr daran, ob er – nein selbst ob Jane, die ihr natürlich viel näher stand – alle Qualen der Spannung erlitt? Sie würde wahrscheinlich lächeln und sagen, das Leben sei so lang, und auf einen oder zwei Monate komme es nicht an. Einen oder zwei Monate? Ihnen würde es wie ein oder zwei Jahrhunderte vorkommen! Einigemal war Winton fast entschlossen, sich nicht zum Schweigen bringen zu lassen; er wollte hingehen und es mit dem Herzog ins reine bringen, der doch schließlich Janes Vater war und sein Kind gewiß nicht unglücklich machen würde. Dann wieder, als sie ihm die unausbleiblichen, schlimmen Folgen klar machte, fehlte ihm der Mut. Hundertmal änderte er seinen Entschluß, während sie sprach, und als sie geendet hatte, starrte er sie noch immer mit stockendem Herzschlag an.

»Ich will nicht übereilt handeln,« sagte er endlich. »Ich füge mich lieber, als daß ich etwas aufs Spiel setze. Aber wie sollen wir die Verzögerung ertragen? Wie soll ich das aushalten? Und dann – es ist immerhin eine Täuschung. Ich weiß nicht, wie ich das fertig bringen werde. Meinen Sie, ich sollte sie während der ganzen Zeit nicht sehen – auf die Tigerjagd gehen, wie Sie so gütig waren vorzuschlagen?«

»Nun, schaden könnte das nichts,« meinte die Herzogin lächelnd, »allein ich habe es nicht für die nun eingetretenen Umstände vorgeschlagen. Ich sagte, wenn Sie zuerst mit mir gesprochen hätten – jetzt verlange ich nur, daß Sie einen Monat warten – vielleicht auch zwei« (dieser Zusatz, der anscheinend in gaieté de coeur gemacht wurde, mit einer gewissen angenehmen Befriedigung über den Grimm, den er in ihm erregen würde, rief einen unterdrückten Ausruf, ein Stöhnen des Opfers hervor), »oder vielleicht höchstens zwei,« wiederholte die Herzogin, »während die Tigerjagd mindestens sechs kosten würde. Aber, Mr. Winton, ich wiederhole, ich will Sie zu nichts zwingen. Dort ist dis Klingel, und der Herzog ist in der Bibliothek. Wenn Sie wollen, können Sie klingeln und ihn um eine Unterredung bitten lassen, er wird sie Ihnen nicht abschlagen.«

Winton erhob sich langsam und näherte sich der Klingel. Aber er hatte nicht den Mut, diesen letzten Schritt zu wagen. »Ich werde sie doch manchmal sehen dürfen?« fragte er, »aber es wird immer in gewisser Art eine Falschheit sein.«

»Ihre Mutter hat nichts dagegen, der Fall ist ein verzweifelter,« entgegnete die Herzogin, aber sie errötete dabei über ihre Sophistik. »Was er nicht weiß, macht ihm nicht heiß.«

»Es ist Täuschung,« sagte Winton, den Kopf schüttelnd, und machte wieder einen Schritt nach der Klingel. Dann wandte er sich um. »Wie oft darf ich sie sehen? Werden Sie's uns nicht zu schwer machen, wenn wir uns Ihrem Wunsche fügen?«

»Aber es ist Täuschung,« antwortete die Herzogin feierlich.

»Das weiß ich, und das empört mich. Aber, wie Sie sagen, was er nicht weiß, macht ihm nicht heiß.«

Die Herzogin lachte, wurde aber gleich wieder ernst. »Mr. Winton, ich habe das Gefühl, als ob ich meinen Gemahl hinterginge, allein unter den gegenwärtigen Umständen hat mein Kind die nächsten Ansprüche an mich. Janes Glück ist es, das auf dem Spiele steht. Ich will ein Zusammentreffen nicht hindern – ihr seid alt genug, um zu wissen, was ihr thut. Ich werde nichts thun, Jane den natürlichen Beruf des Weibes zu verschließen. Es ist vielleicht unrecht, aber es kann zu Gutem führen. Kommen Sie manchmal hierher, aber nicht zu oft, ich will die Verantwortung auf mich nehmen, und wenn wir nach Billings gehen, kann Lady Germaine Sie einladen, und dann können Sie Ihr Glück versuchen. Soviel in meiner Macht steht, will ich Ihnen den Weg zu ebnen suchen. Große Hoffnungen kann ich Ihnen aber nicht machen.«

»Und dann?« fragte Winton und wandte sich wieder mit einer Art von Verzweiflung der Klingel zu.

»Es ist genug, daß jeder Tag seine eigene Plage habe,« antwortete die Herzogin fromm.

Aber ach! Welch ein Unterschied, als er niedergeschlagen wieder durch die großen Empfangssalons schritt! Kein Wort, wann die Hochzeit stattfinden sollte. Keine Art von Verabredung, Beratung möglich. Als er kam, war ihm alles so nahe erschienen, so nahe, daß er es beinahe mit Händen greifen zu können meinte. Jetzt war alles in nebelhafte Ferne gerückt. Allerdings hatte er Jane gesehen, aber in Gegenwart ihrer Mutter, und sie hatte das auch sehr glücklich gemacht, während er nur halbbeglückt war. Sollte es immer so sein? Die Herzogin hatte sich freilich an ihrem Tische mit Schreiben beschäftigt und sich nicht um die beiden Liebenden gekümmert. Aber von dem, was er erhofft hatte, war es doch himmelweit verschieden gewesen. Als er fortging, bemerkte er weder die schlechten Gemälde noch die überladene Vergoldung. Das Haus kam ihm wie ein Gefängnis vor, düster und drückend. Lady Jane begleitete ihn durch die Zimmer. Sie schenkte ihm die Rose, die er bei seiner Ankunft zu stehlen beabsichtigt hatte, und teilte ihm mit, wohin sie während der nächsten Woche eingeladen war.

»Du wirst überall hingehen, wo wir hingehen,« sagte sie, und nannte ihn Reginald, mit einem Erröten und einem Tone so süß, daß er ihm bis ins innerste Herz drang. Allein trotzdem war seine Enttäuschung, wie er dachte, fast mehr, als er tragen könnte.


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