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Siebentes Kapitel. Spannung

Winton blieb mit einem gewissen Gefühl der Befriedigung über sein Selbstmartyrium bis zum September in London. Es war das ganz unnötig, und konnte niemand etwas nützen – allein der Gedanke, aufs Land zu gehen und so zu thun, als ob er sich herrlich unterhalte, während alles in Beziehung auf seine zukünftigen Aussichten so unsicher blieb, war ihm unangenehm. Er vernachlässigte seine Freunde, lehnte alle Einladungen ab und fand ein ganz besonderes Vergnügen darin, sich so elend als möglich zu machen. Dann ergoß er seine Klagen über seine Einsamkeit und sein Elend in Briefen. Bogen auf Bogen füllte er damit und schickte das Päckchen nach Schloß Billings, von wo ihm die Herzogin sehr bald, nachdem dies begonnen hatte, ernste Vorstellungen machte. »Ein so eifriger Briefwechsel muß Verdacht erregen,« schrieb sie. »Um Janes willen bitte und beschwöre ich Sie, haben Sie etwas mehr Geduld!« – »Geduld! Was weiß sie davon!« sagte Winton, als er in der Hoffnung, darin vielleicht – wer konnte es wissen? – des Herzogs Zustimmung und Genehmigung zu finden, über den Brief herfiel und nun diesem enttäuschenden Verweis begegnete. Wie konnte sie, die sie Jane und alles, woran ihr etwas lag, bei sich hatte, wissen, wie ihm zu Mute war? Unter andern Umständen hätte der junge Mann vielleicht eine Ahnung gehabt, die Herzogin, obgleich Jane ihre Tochter war, wisse sehr wohl, was es heiße, Geduld üben zu müssen, allein für jetzt nahmen seine eigenen Angelegenheiten seinen Geist völlig in Anspruch. Einen großen Teil seiner Zeit verbrachte er in Wardour Street und andern verwandten Gegenden, auch war er bei zahlreichen Kunstversteigerungen anwesend und fand darin einen gewissen Trost, denn der Wunsch, etwas »aufzulesen«, was später ihr Wohnzimmer zieren könnte, verlieh selbst bric-à-brac einen gewissen Reiz, und er hatte dabei das Gefühl, daß er etwas für sie thue, obgleich er so völlig von ihr getrennt war. Jane selbst schrieb ihm ein süßes Briefchen. – »So lange wir von unsrer gegenseitigen Liebe so vollkommen überzeugt sind, wie jetzt, und einander vertrauen, was kann es da auf einen kleinen Aufschub ankommen?« – »Was weiß sie davon!« rief der arme Winton, als er ihre kleine, zarte Epistel küßte und doch in liebender Wut beinahe in Stücke riß. Das war sehr unvernünftig, denn natürlich wußte sie ebensoviel davon, wie er. Wenn zwei Liebende getrennt sind, dann nimmt man in der Regel nicht an, daß es die Dame ist, die die Trennung am wenigsten empfindet.

Und doch war dieser verzweifelte Ausruf mehr oder weniger gerechtfertigt, denn Janes vollkommener Glauben an ihn war so, wie er für einen Mann, der in der Welt gelebt hat, selten möglich ist. Er fühlte sich durchaus nicht so ganz sicher, daß sie nicht fähig sei, ihn aus reiner Sanftmut und Selbstopferungssucht – der verderblichen Lehre, die, wie er sich ärgerlich sagte, die Weiber mit der Muttermilch einsaugen – aufzugeben. Selbst die Herzogin, getäuscht durch das heitere Aeußere ihres Kindes, das nicht seufzte und klagte, sondern seinen ebenen täglichen Lebensweg mit mehr als gewöhnlicher Liebenswürdigkeit und Freudigkeit verfolgte, dachte manchmal so. Lady Jane war gegenüber diesen beiden zweifelsüchtigen Seelen im Vorteil. In ihr gab es keine Zweifel, sie kannte – was jene nicht kannten – die Zähigkeit, die in ihrem festen Charakter steckte, und die sie, da ihr alle gegenteiligen Erfahrungen abgingen, allen Menschen zuschrieb. Es kam ihr niemals im entferntesten in den Sinn, daß ein Mensch, Mann oder Weib, der einmal in einer wichtigen Sache einen Entschluß gefaßt, noch weniger einer, der sein Herz verschenkt hat, um uns der gefühlvollen Sprache zu bedienen, die sie, zwar errötend, aber in der Tiefe ihrer Abgeschlossenheit doch gern anwandte, überredet oder gezwungen werden könne, diesen Entschluß zu ändern. Vieles war wohl möglich, aber das nicht. Ueber diese Frage war sie nicht aufgeregt, weil sie ihr überhaupt gar nicht in den Sinn kam, weil es etwas Undenkbares war. Sich ändern! Aufgeben! Die einzige Wirkung, die eine solche Andeutung bei Lady Jane hervorbrachte, war ein humoristisch angehauchtes und vollkommen heiteres Lächeln. Aber Winton fehlte diese bewundernswerte Heiterkeit. Vielleicht war er selbst nicht so durch und durch standhaft, wie das unvergleichliche Geschöpf, das er liebte. Er quälte sich namenlos und meinte, man könne eben doch nicht wissen, in welcher Weise man auf sie einzuwirken suchen, was für Pflichten man ihr vorhalten würde. Es war ja allgemein bekannt, daß die Verhältnisse des Herzogs sehr zerrüttet waren. Wie nun, wenn gerade in dem Augenblick, wo er sich in der tiefsten Not und Verlegenheit befand, ein Mensch mit einem von den fabelhaften Vermögen, wovon man gelegentlich einmal hört, hervortrat und sich bereit erklärte, dem Vater um den Preis der Tochter zu helfen, wie das manchmal, selbst nicht nur in Romanen, vorkommen soll, würde Jans im stände sein, allen Ueberredungskünsten, deren man sich bedienen würde, Widerstand zu leisten? Mehr als einmal sprang Winton empor mit dem ungestümen Vorsatz, sofort zu seinen Sachwaltern zu laufen und sie zu beauftragen, dem Herzog den Mund mit einem Bündel Banknoten zu stopfen, damit er dem Millionär seiner Einbildung kein Gehör schenke. Und wenn er wieder zu Verstand kam, dann klammerte sich der Liebende an des Herzogs dünkelhaften Hochmut, der sich seine eigene Grube grub, nicht an den Glauben an Lady Janes Festigkeit unter solchen Umständen. Es war ihm ein Trost, daß Se. Durchlaucht viel zu stolz auf seinen Herzogstitel war, um die Annäherung eines einfachen Millionärs zu dulden.

Im September kehrte Lady Germaine von ihrem sechswöchentlichen Aufenthalt in Bad Homburg, den die Mode jener Tage für erschöpfte feine Damen zur Erholung von den Anstrengungen der Gesellschaftszeit vorschrieb, nach London zurück und hielt sich dort zwei Tage auf, um Einkäufe zu machen, ehe sie aufs Land ging. Eines Tages sah sie Winton an dem Laden vorübergehen, vor dessen Thür ihr Wagen hielt, und stürzte sich mit dem Eifer eines Forschungsreisenden in einem wilden Lande auf ihn. »Sie hier!« rief sie, »dann kommen Sie her und helfen Sie mir bei meinen Einkäufen. Ich habe seit einer Woche keine zwei zusammenhängenden Worte gesprochen, nicht einmal auf der Reise. Es ist ja kein Mensch hier. Ich kann gar nicht begreifen, wo die Leute hin sind. Sonst las man doch immer jemand unterwegs auf, aber diesmal niemand, keine Seele! – Na, also, wie steht die Sache?« fügte sie hinzu, nachdem sie, als der erste Sprudel ihrer persönlichen Klagen vorüber war, eine merkbare Pause gemacht hatte.

»Sehr schlecht,« entgegnete Winton seufzend.

»Papa will von nichts hören?« fragte Lady Germaine. »Das habe ich Ihnen vorausgesagt; Sie können nicht behaupten, daß Sie nicht gewarnt worden seien. Ich habe Sie darauf aufmerksam gemacht, daß er der unzugänglichste Mensch ist, und Sie in Ihrer heiligen Einfalt –«

»O, bitte,« versetzte Winton. »Ich weiß noch alles, was Sie mir gesagt haben, Sie haben mich gescholten, Sie haben eingestanden, daß Sie sich schuldig fühlten – –«

»Seien Sie gerecht. Ich habe niemals gesagt, daß ich mich schuldig fühle, sondern nur, daß Se. Durchlaucht mich dafür halten würde, und das ist ein himmelweiter Unterschied. Er will also nichts von Ihnen wissen, armer Junge? Das wußte ich aber von vornherein. Er hat einen wirklich großen Zug, und der besteht darin, daß er kein Auge für seinen eigenen Vorteil hat. Die meisten Leute würden Sie für eine sehr gute Partie für Jane ansehen –«

»Lästern Sie nicht,« antwortete Winton. »Ich stimme dem Herzog völlig bei, er hat so recht, als ein Mensch nur haben kann. Es gibt niemand, der gut genug für sie wäre – –«

»Ausgenommen – –«

»Niemand ausgenommen, den ich kenne. Ich bin nicht würdig, ihr die Schuhbänder zu lösen. O, Sie brauchen nicht zu denken, ich sei in dieser Hinsicht andrer Ansicht geworden.«

»Ich freue mich, Sie in so passender Gemütsverfassung zu finden – dann wird es also keinerlei Aufregungen, keine der in solchen Fällen gewöhnlichen Notmittelchen geben? Arme Lady Jane! Aber wenn die Dinge so liegen, ist alles weitere Reden unnütz. Und was thun Sie guter, demütiger junger Mann im September hier in der Stadt, wenn ich fragen darf? Sie sollten irgendwo auf der Jagd sein oder sich liebenswürdig machen.«

»Ich lasse mich bei allen Versteigerungen herumpuffen,« sagte Winton, »und versuche hie und da eine Kleinigkeit für ihre Zimmer in Winton aufzulesen. Was sind das für Notmittelchen, wovon Sie sprechen, liebe Lady Germaine? Es ist immer gut, wenn man so 'was weiß.«

Lady Germaine lachte. »Sie haben also doch nicht nachgegeben?« sagte sie. »Nun, ich habe Sie auch nicht für einen Mann gehalten, der sich so leicht fügt. Was hat er gesagt? War es endgültig? Hat er Ihnen die Thür gewiesen? Sie werden mich für hartherzig halten, weil ich lache, aber es hätte mir furchtbaren Spaß gemacht, wenn ich mich hätte irgendwo verstecken und Seiner Durchlaucht Gesicht sehen können, als Sie es wagten, mit ihm zu sprechen.«

»Diesen Schreck hat er noch nicht gehabt,« antwortete Winton nicht gerade angenehm berührt.

»Noch nicht ...! Wollen Sie damit sagen, daß Sie den Herzog noch gar nicht gefragt haben? Die Sachen liegen noch gerade so, wie damals, noch keinen Schritt weiter sind Sie gekommen?« fragte Lady Germaine mit einem Ausdruck der Verwunderung, die einen leisen Beigeschmack von Geringschätzung hatte.

»Sie wollen mich ja nicht sprechen lassen,« entgegnete Winton mit einer Stimme, die er von einem etwas kläglichen Ton nicht freizuhalten vermochte. »Meine Art, die Dinge zu behandeln, ist das wahrhaftig nicht, aber was soll ich machen? Ihre Mutter sagt ...«

»Sie haben also die Herzogin für sich gewonnen?«

»Ich denke, ja,« erwiderte der junge Mann. »Manchmal habe ich meine Zweifel, ob das gut oder schlimm ist. Sie will mir nicht erlauben, zu sprechen: sie sagt, sie wolle mich wissen lassen, wann der rechte Augenblick gekommen sei. Inzwischen ist mir das Leben unerträglich, wissen Sie. Ich werde meinen Mut à deux mains nehmen, und wenn ich hinuntergehe ...«

»Sie gehen dort hin – nach Billings?« rief Lady Germaine, und der Atem blieb ihr vor Erstaunen stehen.

»Am zehnten,« antwortete Winton seufzend, »aber ob das zu etwas führen wird oder nicht ...«

»Wenn die Herzogin die Sache selbst in die Hand nimmt! Reginald Winton, ich habe es Ihnen schon einmal gesagt, Sie sind ein Einfaltspinsel,« sagte Lady Germaine feierlich. »Und was kann das nützen, daß Sie hier umherlungern und mich fragen, was für Notmittelchen wir haben? Natürlich hat sie schon an all das gedacht. Er mag sein, was er will, die Herzogin ist jedenfalls eine verständige Frau. Richten Sie Winton neu ein? Haben Sie schon alle Ihre Vorbereitungen getroffen? An Ihrer Stelle würde ich alles in Bereitschaft setzen – bis auf die Fußbänkchen und Thürmatten hinab – und Dienerschaft annehmen und die Wagen in Ordnung bringen lassen. Sie können nicht eine Herzogstochter heiraten, ohne dafür zu sorgen, daß das Haus, wohin Sie sie bringen wollen, in Ordnung ist.«

»Sorgen – daran soll's nicht fehlen!« rief er, schüttelte aber dann wieder den Kopf. »Soweit sind wir aber noch lange nicht,« fügte er trübselig hinzu.

»Sie sind mir ein zuversichtlicher Liebhaber,« sagte Lady Germaine, »der über Herzöge spottete und sich für gut genug für die Höchste im Lande hielt. Sehen Sie denn nicht ein, daß bald etwas geschehen muß, wenn überhaupt etwas daraus werden soll? Solche Geschichten können nicht ewig in der Schwebe bleiben. Sie entwickeln sich rascher als ein gewöhnliches Drama. Wenn ich an Ihrer Stelle wäre, hielt ich meine Rosse gesattelt im Stalle und meine Ritter gewappnet, wie Walter Scott, wissen Sie.«

»Meinen Sie?« fragte Winton mit leuchtenden Blicken. »Wenn ich mir dächte, daß mir etwas so Gutes bevorstände ...«

»Bevorstände! O, was für Dickköpfe sind doch die Männer! Meinen Sie, die Herzogin ließe sich besiegen? O ja, mehr als einmal hat ihr Mann sie untergekriegt, sie hat klein beigegeben und ihn gewähren lassen müssen, das weiß ich sehr gut, aber jetzt, wo es sich um Jane handelt und sie sich auf eure Seite gestellt hat ...«

»Sie ist sehr gütig gewesen, ich hatte nicht das geringste Recht, so viel Güte zu erwarten, wie sie mir erzeigt hat, aber verpflichtet hat sie sich zu nichts,« entgegnete Winton mit erneuter Mutlosigkeit.

Lady Germaine, die ihre in vollem Gange befindlichen Einkäufe unterbrochen hatte, um dies Gespräch mit ihm in einer üppig ausgestatteten Ecke des großen Ladens zu führen, wo in dieser toten Zeit des Jahres alles still war und nur samtfüßige Gehilfen dann und wann geräuschlos vorbeihuschten, warf ihm nach diesen Worten einen Blick der Verachtung zu und erhob sich von ihrem Stuhl. »Für einen solchen Tropf hätte ich Sie aber wirklich nicht gehalten,« sagte sie, und ehe er ein Wort antworten konnte, trat sie zum nächsten Ladentisch, wo ein feiner Jüngling während der ganzen Zeit mit Ballen von Seide und andern Stoffen, die zur Besichtigung durch Ihre Herrlichkeit halb ausgerollt waren, gewartet hatte – und stürzte sich in das Geschäft. Der feine Jüngling hatte seine Langweile in keiner Weise verraten, er hatte bei seinen Waren gestanden, als ob es die natürlichste Sache von der Welt sei, sozusagen zwischen Lipp' und Kelchesrand eine halbe Stunde zu warten, aber er hatte seine Gedanken gehabt, und diese Gedanken waren nicht sehr freundlich für Lady Germaine. Höchst wahrscheinlich ist hier der Ursprung einer kurzen Mitteilung zu suchen, die sich in eine der in den höheren Gesellschaftskreisen sehr gelesenen Zeitungen in dieser langweiligen Zeit eingeschlichen hatte, und worüber sich die vornehmen Kreise auf dem Lande lebhaft die Köpfe zerbrachen, selbst in den Klubs wurde sie bemerkt. Wer mochte wohl die »Lady G.«, die das Echo im Laden von Allen und Lewisby geweckt hatte, sein? Hier zeigte sich der Vorteil eines unbefleckten Rufes. Weder die Klubs, noch die Gesellschaft auf dem Lande brachten jemals Lady Germaine mit einer solchen Möglichkeit in Verbindung, aber das wußte natürlich der feine Jüngling nicht.

»Weshalb bin ich ein Tropf?« fragte Winton, ihr folgend und von dem Gegenstand zu sehr in Anspruch genommen, um die Gegenwart des Ladengehilfen zu beachten.

»Wenn Ihnen ein noch stärkeres Wort einfällt, dann nehmen Sie das,« entgegnete Lady Germaine. »Ich kann Sie hier nicht schelten, obgleich ich's so furchtbar gern thäte. Zu nichts verpflichtet! O, Sie ... Was verlangen Sie denn? Etwas auf Pergament mit einem großen Siegel dran, wie 'ne päpstliche Bulle? Als ob nicht jedes Wort, das sie sagt, jeder Vorschlag, den sie macht, ein Versprechen wäre, und zwar das stärkste Versprechen, das man verlangen kann? Gehen Sie fort und lassen Sie mich die neuen Kleider für die Kinder in Ruhe aussuchen. Das ist viel leichter, als Ihnen etwas klar zu machen.«

Aber Winton ging nicht weg. Er neigte sich über ihren Stuhl und machte für den feinen Jüngling hinter dem Ladentisch den Verdacht zur Gewißheit. »Ist es Ihnen denn auch ernst mit dem, was Sie sagen,« fragte Winton, »daß ich alles in Bereitschaft setzen soll?«

»Machen sich diese beiden Farben nicht hübsch zusammen?« sagte Lady Germaine, mit gewandten Fingern einen Seiden- und einen Wollenstoff nebeneinander haltend und im Tone der tiefsten Ueberlegung. »Die Kinder haben rein gar nichts anzuziehen. Ich würde die Rosse im Stalle und die Ritter im Schlosse bereit halten, wenn ich an Ihrer Stelle wäre, und William von Deloraine müßte Tag und Nacht gewärtig sein, zu reiten.«

Dieser Rat war vielleicht nicht ganz so klar, als wünschenswert gewesen wäre, aber unter den obwaltenden Verhältnissen war es alles, was Lady Germaine sagen konnte, und er ließ Winton im Zwielicht des weichen Septemberabends mit federnden Schritten und einem Herzen nach Hause gehen, das so lebhaft nicht gepocht hatte, seit London ihm plötzlich durch die Abreise einer Familie wie vereinsamt erschienen war. Am Abend ging er durch sämtliche Zimmer seines Hauses und rechnete und überlegte. Es war ein reizendes Haus und er hatte es mit großer Befriedigung betrachtet, als vor nunmehr ein oder zwei Jahren seine Ausstattung beendet gewesen war. Aber jetzt, bei dem Gedanken, daß es jeden Augenblick (hatte sie das nicht gesagt?) für die Prinzessin, die Gattin bereit sein müsse – daß sein Glück ganz plötzlich über ihn kommen, sein Leben umgestaltet, sein Haus in ihr Haus verwandelt werden könne – wie erstaunlich war es, daß so vieles, von diesem Gesichtspunkt aus betrachtet, noch unvollständig war. Nein, alles war unvollständig. Es war trübselig – es war klein, es war alltäglich. Die Gesellschaftszimmer waren altmodisch, obgleich sie ihm noch gestern den Eindruck gemacht hatten, daß sie nicht ohne einen gewissen altertümlichen Reiz wären, – daß der Duft der guten alten Zeit ihnen Charakter verliehe. Der Speisesaal war schwerfällig und überladen, die Bibliothek zu dunkel, das Wohnzimmer – großer Gott! Es war ja gar kein Wohnzimmer vorhanden, worin eine Dame sich aufhalten konnte, sondern nur ein halbmöblierter, unwohnlicher Raum, frostig und ohne jeden Charakter. Der kalte Schweiß stieg ihm auf die Stirn, als er die Thür dieser leeren Stube öffnete. Er konnte kaum schlafen, weil er immer daran denken mußte. Wie, wenn sie früher bereit war, als sein Haus! Der Gedanke war unerträglich, und alles war kleinlich, schäbig, ohne Geschmack und ihrer unwürdig. Als er durch die Empfangszimmer am Grosvenor Square mit ihrer überladenen Vergoldung geschritten war und zu sich selbst gesagt hatte, daß sein Weib nicht mit solchem Flitterstaat umgeben werden solle, waren sie ihm gar nicht so schlimm erschienen. Alles, alles war seit jenem kurzen Augenblick des Vertrauens anders geworden. Mit nichts war er zufrieden. Er war am andern Morgen nicht sobald aus einem durch unruhige Träume von einem Chaos von Tapezierarbeiten gestörten Schlaf erwacht, als er ans Werk ging. Vielleicht war die Sache doch nicht gar so schlimm. Mit Hilfe einiger Sachverständigen und vielen Geldes läßt sich manches, wenn nicht alles in sehr kurzer Zeit erreichen. Sobald er die Arbeiten in Kensington in Gang gesetzt hatte, fuhr er nach seinem Landsitz und kam in seinem alten Herrenhaus zur großen Bestürzung seiner Haushälterin ohne vorherige Anmeldung an. Winton House bedurfte der Sachverständigen und des bric-à-brac noch mehr. Ja, noch viele andre Dinge fehlten hier, die sich nicht im Augenblick beschaffen ließen, und während der nächsten Woche war sein Leben so thätig, wie das des fleißigsten Handwerkers. An beiden Orten war die Aufregung der Dienerschaft und der mit dem Hause verkehrenden kleinen Geschäftsleute unbeschreiblich. Er sprach nicht von seiner bevorstehenden Verheiratung und doch war es die einzig mögliche Erklärung für die ganze Sache, oder er war rein von Sinnen, eine Vermutung, die ebenfalls auftauchte.

Dieser Anfall einer von der Hoffnung getragenen Thätigkeit half ihm über die noch übrigen Tage mit der Geschwindigkeit eines Traumes hinweg. Die Stunden jagten so leicht, wenn auch nicht so lustig dahin, als ob sie ihn seinem Hochzeitstag entgegentrügen. Aber als alles gethan war, was er thun konnte, und der Augenblick seines Besuches in Billings herankam, überfiel ihn der kalte Schatten der Zaghaftigkeit. Lady Germaines hübsche kleine Reden erschienen ihm als Unsinn, wenn er jetzt daran dachte. »Rascher als ein gewöhnliches Drama,« was wollte sie damit sagen? Konnte er sich auch nur einen Augenblick vorstellen, daß Jane, die Fürstin ihres eigenen Geschlechts sowohl wie seiner Liebe, das stolze und vollendete Weib seiner Träume, die Heldin eines gewöhnlichen Romans sein könne? Daß er einen solchen Gedanken auch nur für kurze Zeit gehegt hatte, entsetzte ihn, als er in seiner fieberischen Thätigkeit einen Augenblick innehielt und darüber nachzudenken begann, was sie eigentlich bedeuten solle. Das geschah aber erst auf dem Wege nach Billings, als jeder Pulsschlag seines Herzens von dem Gedanken erfüllt war, daß er sie wiedersehen, unter demselben Dache mit ihr leben solle und im Begriff sei, sein Schicksal zur Entscheidung zu bringen und alles zu gewinnen, oder – nein, nicht sie zu verlieren. Verlieren würde er Jane nicht, das sagte ihm seine plötzlich aufflammende Leidenschaft; ein solcher Schicksalsschlag war ausgeschlossen. Vater, Mutter und alle Mächte der Welt mochten thun, was sie wollten oder konnten, sie war und blieb die Seinige, und nie würde er sie aufgeben. So bewegten sich die Gedanken des von Sorgen erfüllten Liebenden im Kreise umher und kehrten an den Punkt zurück, von dem sie ausgegangen waren; und dann fand er, Lady Germaine sei so klug und gewandt, wie er immer geglaubt hatte. Es gab Auskunftsmittel – und die Herzogin war zu deren Anwendung so gewiß verpflichtet, als ob sie ihm Brief und Siegel dafür gegeben hätte. Auf die eine oder andre Weise mußte sein Besuch in Billings entscheidend werden. Mit der Aufregung, die den Soldaten erfüllt, wenn er dem Schlachtfeld zuzieht, aber auch mit der milderen Begeisterung der Liebe nahte er sich seinem Ziele. Was auch kommen mochte, so, wie er hinkam, konnte er diese unbekannte Festung, dies Schloß »Gefahrvoll«, nicht wieder verlassen.


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