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Drittes Kapitel Ihr Geliebter

Wie es kam, daß eine Frau von solcher Welterfahrung, wie Lady Germaine, eine Bekanntschaft zwischen Lady Jane und Mr. Winton so weit kommen ließ, wird stets unerklärlich bleiben. Daß sie die beiden jungen Leute einander vorstellte, war natürlich nichts Ungewöhnliches, denn in der Gesellschaft gelten alle Herren für gleich, mag auch der eine nicht einen Pfennig in der Tasche haben, während sein nächster Nachbar Millionär ist, und Lady Jane war in ihrer hochsinnigen, mädchenhaften Weise so leutselig gegen jedermann, wie es eine Prinzessin sein sollte, sowohl gegen den Prediger, als auch gegen die Söhne des Predigers, gefährliche und bedenkliche junge Leute, die zur ständigen Beunruhigung besorgter Eltern heiratsfähiger Töchter auf dem Land in die Herrenhäuser eingeladen werden. Jane kannte weder Hochmut, noch Abgeschlossenheit. Sie stand ebenso hoch über dem jungen Gutsbesitzer als über dem jungen Hilfsprediger, und es lag nicht der geringste Grund vor, weshalb Mr. Winton, ein sehr anständiger, sich des besten Rufs erfreuender und in keinem Sinne des Wortes bedenklicher junger Mann der Herzogstochter nicht seine Ehrfurcht erweisen sollte Aber weiter hätte es nicht gehen dürfen. Sobald sie auch nur die geringste Möglichkeit wahrnahm, daß die Sache weiter gehen könne, war Lady Germaines Pflicht klar. Sie hätte mit aller Festigkeit sagen sollen: »Nicht in meinem Hause!« Allerdings konnte man nicht von ihr verlangen, daß sie das Aufkeimen einer gegenseitigen Neigung verhindere oder Mr. Winton abhalte, Lady Jane den Hof zu machen, oder diese, dessen Huldigungen anzunehmen. Aber was sie hätte thun können und thatsächlich hätte thun sollen, das war, daß sie offen sagte: »Sie mögen sich treffen, wo sie wollen, in meinem Hause darf es nicht sein.« Eine solche Handlungsweise war Pflicht gegen den Herzog. Aber es muß eingestanden werden, daß Lady Germaine sehr frei dachte – zu frei für eine Dame – und daß sie nicht zugab, überhaupt Pflichten gegen den Herzog zu haben. Er mochte an der Spitze der Gesellschaft der Grafschaft stehen, was kümmerte das Lady Germaine? Sie lachte über die Gesellschaft der Grafschaft und erklärte ganz offen, sie wolle ebenso gern mit den Pächtern wie mit den Gutsbesitzern verkehren, und der Herzog sei ein alter – die Feder des Geschichtsschreibers sträubt sich fast, die Worte aufzuzeichnen, deren sich die kühne Dame bediente – ein alter Fatzke. Das wagte sie zu sagen, und sie blieb am Leben. Der Herzog erfuhr nie, wie weit sie gegangen war, aber sie mißfiel ihm und er hielt sie für eine Person, die keine Ehrerbietung besaß. Wenn er gekonnt, hätte er gern dem vertrauten Verkehr seiner Tochter mit ihr Einhalt gethan. Allein die Herzogin sah nichts Bedenkliches darin. Ihre Durchlaucht meinte, ihre Tochter bedürfe der Aufmunterung, und selbst ein kleines Zuviel in dieser Richtung könne nichts schaden. Obschon Lady Germaines Kreis die Zerstreuung liebte, ließ sich im übrigen nichts dagegen einwenden, und Zerstreuung war vor allem das, was Lady Jane nötig hatte. Außerdem muß zu Gunsten Lady Germaines noch angeführt werden, daß die Herzogin selbst den Beziehungen zu Mr. Winton hätte ein Ende machen können, wenn sie gewollt hätte. Sie mußte sehen, was vorging, der arme Mr. Winton konnte seine Gefühle nicht verbergen, und was Lady Jane anlangt, so war ein gewisses Schwanken in ihrer vornehmen Zurückhaltung, ein gelegentliches kleines Zutagetreten inneren Glücks, ein gewisses Sehnen im Blick, eine Weichheit des Benehmens und des Gesichtsausdrucks zu bemerken, die das Auge einer Mutter kaum übersehen konnte. Sie war es, die hätte einschreiten sollen. Sie hätte ihrem eigenen Kind gegenüber ihr mütterliches Ansehen zur Geltung bringen oder Mr. Winton zu verstehen geben können, daß seine Annäherung nicht gern gesehen werde, aber sie that nichts dergleichen. Allem Anschein nach gefiel ihr selbst der Mann ganz gut. Sie unterhielt sich mit offenbarem Wohlgefallen mit ihm, fragte ihn um seine Meinung und sprach offen aus, er habe einen ausgezeichneten Geschmack. Wie kann man danach noch Lady Germaine einen Vorwurf machen? Sie stellte ihre Gesellschaften aus dem besten Material zusammen, das ihr zugänglich war: das war alles, was sie that. Sie hatte nette Leute gern und liebte ein lebhaftes Gespräch. Wenn Männer gut zu sprechen wußten und Leben ins Haus brachten, wenn die Zeit kam, der Einförmigkeit des Landlebens die Spitze zu bieten, dann fragte sie nicht viel danach, was deren Großväter gewesen waren, oder ob sie große Einkünfte oder Vermögen in Staatspapieren besaßen, oder wovon sie lebten. Lebhafte junge Rechtsgelehrte, Schriftsteller, Künstler, Leute, die, wie zu fürchten ist, von ihrer Schlauheit lebten, ganz zu schweigen von den jüngeren Söhnen, die die Plage der Gesellschaft sind, das waren die Männer, die in ihrem Hause aus und ein gingen und die dieses Haus, wie zugegeben werden muß, so bedenklich für Mütter, aber außerordentlich anregend, heiter und voll Leben machten und »Zug« hineinbrachten, und das war es gerade, was Lady Germaine gefiel. Und da sie gar kein Geheimnis daraus machte, daß dies ihre leitenden Grundsätze seien, so lagen die Gefahren, denen Erbprinzessinnen in ihrem Hause ausgesetzt waren, klar am Tage.

Es ist nun an der Zeit, von dem Liebhaber selbst zu sprechen, auf den wir bis jetzt nur andeutungsweise hingewiesen haben. Zunächst müssen wir sagen, daß an Mr. Winton nichts auszusetzen war. Er war weder arm, noch ein Roturier. Er war ein wohlerzogener junger Gentleman von sehr guter, wenn auch nicht vornehmer Familie. Auf dem Kontinent würde er zur petite noblesse gerechnet worden sein. Aber schließlich gehört doch nur ein Zuwachs an Vermögen dazu, um aus la petite la grande noblesse zu machen. Seine Herkunft konnte er ebensoweit herleiten wie ein Fürst (was sich übrigens von den meisten von uns sagen läßt), und seine Vorfahren reichten bis in die dunkelsten Zeiten zurück. Er hatte diese Vorfahren wenigstens in der Halle von Winton House hängen, und wie hätten sie wohl gemalt werden können, wenn sie nicht einst gelebt hätten? Das ist ein unanfechtbarer Beweis. Winton House war freilich nur ein kleines Besitztum, aber als sein Oheim in Indien starb und ihm das viele, viele Geld hinterließ, stand es sofort in Mr. Wintons Macht, sein Haus zu einem großen zu machen, wenn ihm das beliebt hätte, und daß er das alte Besitztum unberührt ließ, war von einem so reichen Manne Anhänglichkeit oder Familienstolz, oder schlimmsten Falls Absonderlichkeit, und man konnte daraus durchaus nicht auf Schäbigkeit der Gesinnung oder Geiz schließen. Dagegen hatte er ein sehr schönes Haus in der Stadt, und es unterlag gar keinem Zweifel, daß er ein sehr reicher Mann war, der alle seine Launen befriedigen konnte, wenn es ihm beliebte. Er wäre eine sehr gute Verbindung für Lady Germaines eigene Tochter gewesen, wenn sie das heiratsfähige Alter gehabt hätte, oder für Earl Binnys junge Damen, oder für beinahe jedes junge Mädchen der Grafschaft, Lady Jane stets ausgenommen. Daß der Herzog nichts von einem Schwiegersohn wissen wollte, dessen Rang oder wenigstens dessen Familie der seinigen nicht gleichstand, war allgemein bekannt, und die Gesellschaft war schon lange zu der Ansicht gelangt, es sei sehr unwahrscheinlich, daß Lady Jane überhaupt heiraten werde. Hätte sich Mr. Winton die Sachlage völlig klar gemacht, dann würde er sich vielleicht zurückgezogen haben, bevor, wie die Leute sagen, seine Gefühle zu tief eingewurzelt waren. Allein es steht zu besorgen, daß der Gedanke ihm nicht in den Sinn kam, ehe es unglücklicherweise zu spät war.

Reginald Winton war in der Weise ausgebildet worden, die allgemein für die beste gehalten wird, in einer öffentlichen Schule und in Oxford. Da das Besitztum zu geringfügig war, um zwei Leute zu ernähren, und seine Mutter damals noch lebte, hatte er anfänglich die Absicht gehabt, sich dem Rechtsstudium zu widmen. Allein ehe es so weit kam, fiel ihm das Vermögen seines Oheims, worauf er gar nicht gerechnet hatte, vom Himmel in den Schoß. Nun wurde die Fortsetzung seiner Studien natürlich nicht für notwendig gehalten. Nicht nur reich war er, sondern sehr reich, und besaß daneben alle Vorteile, die man hat, wenn man einst arm gewesen ist. Er hatte keine kostspieligen Gewohnheiten, er wettete nicht, hielt keine Rennpferde, spielte nicht, noch sammelte er anderseits Gemälde oder Merkwürdigkeiten oder kaufte kostbare Möbel (wenigstens nicht mehr, als vernünftig war). Voll Verstand, war er weder ein Schöngeist, noch übergelehrt, noch zu gescheit. Für einen Mann seines Vermögens war er hübsch genug. In den meisten angesehenen Familien, selbst vom Adel Englands, würde er freundlich aufgenommen worden sein, nur nicht im Hause der Altamonts. Das war die Tücke des Schicksals. Allein er that es nicht absichtlich, noch streckte er seine Hand nach so süßer Frucht aus, nur weil sie verboten war, wie das manche Leute wohl gethan haben würden. Er nahm Lady Germaine beiseite und bat sie, ihn der jungen Dame in Weiß vorzustellen, ohne eine Ahnung von deren Größe zu haben. Es war eine Zeit, wo die Damen viel Farben trugen, wo Blütenzweige sich um Kopf und Kleid rankten, wie um eine Hecke im Sommer. Lady Janes Kleid dagegen war von weißer, weicher Seide und selbst matt im Ton. Sie trug weder Zweig noch Blume, nur einige Perlen waren in ihr glattes Haar geflochten, das nicht gekräuselt war, wie es heutzutage Mode ist, sondern wie Atlas glänzte. Sie saß mit den Kindern des Hauses etwas von der übrigen Gesellschaft getrennt, und einem Manne, der nicht zu erkennen fähig war, daß dieser einfache Anzug von viel höherem Wert war, als viele der auffallenden Erzeugnisse der Schneiderkunst, die sie umgaben, schien sie ebenso sparsam, als anmutig gekleidet zu sein. »Wieviel geschmackvoller ist dies einfache Kleid, als all der Staat der andern!« sagte er. Er war der Meinung, es werde sich wohl herausstellen, daß sie des Pfarrers Töchterlein sei. Lady Germaine blickte ihn einen Augenblick mit der Geringschätzung an, die eine Dame naturgemäß empfindet, wenn ein Mann einen derartigen Mißgriff begeht. »Ihre Einfalt gefällt mir,« entgegnete sie mit einem feinen Spott, den er nicht empfand – und stellte ihn sofort Lady Jane Altamont vor. Wie Winton die Augen aufriß! Allein sich zurückzuziehen und damit anzuerkennen, daß die Herzogstochter über ihm stehe, dazu lag kein Grund vor. Im Gegenteil, er that sein Möglichstes, sich liebenswürdig zu machen, und von da an bis zum gegenwärtigen Augenblick, wo jedermann sehen konnte, daß die Sache zu einer Entscheidung kommen werde, hatte er es nie an der gleichen Anstrengung fehlen lassen. Es war das erste Mal – mit Ausnahme eines Antrags Lord Rushbrooks, der sich sehr vorsichtig genähert hatte – daß diese hochgeborene Jungfrau um ihrer selbst willen begehrt wurde. Die Erkenntnis, daß sie ein Weib sei, wie andre, hatte sich mit süßer Entzückung in ihr Herz geschlichen und sie alsbald von den goldnen Banden des Bewußtseins befreit, zu einem hohen Opfer berufen zu sein, wie sie solange geglaubt hatte: und als es ihr jetzt so schien, daß ihrem Leben Glück sowohl, als Pflichten beschieden, und daß alle seine Freuden und Hoffnungen ihr ebenso erreichbar seien, als andern, da überströmte das Schmelzen der Eiskruste, die sie bis dahin umgeben hatte, ihre weiche Seele mit einer Flut der zartesten Empfindungen. Sie war nicht leicht zu umwerben, denn nichts konnte von der Freiheit des Benehmens, die es heutzutage ganz natürlich erscheinen läßt, wenn ein junges Mädchen etwas entgegenkommend ist, verschiedener sein, als die fast scheue, aber doch immer anziehende Ruhe, womit Lady Jane seine Huldigungen hinnahm. Eine Wunderwelt that sich vor ihr auf, welche jungen Mädchen, die von der Wiege an mit der Liebe tändeln, ewig verschlossen bleibt. Liebe! Sie betrachtete sie mit scheuer Ehrfurcht, der sich gerührte und überraschte Dankbarkeit zugesellte. Sie war älter, als es junge Mädchen gewöhnlich sind, wenn ihnen diese Wunder zuerst enthüllt werden, und das trug nur dazu bei, jede Empfindung zu vertiefen. Winton ahnte nicht, konnte nicht ahnen, was in dieser zarten Seele vorging. Aber er empfand die köstliche, bescheidene Anmut, womit seine Annäherung hingenommen wurde, als etwas Neues. Er war nicht ohne an sich selbst gemachte Erfahrungen und wußte, was es heiße, »ermutigt« zu werden. Aber dies war ein zum erstenmal zur Handlung gewordenes Gedicht, ein Liebeswerben, so neu, so frisch, so wunderbar, so unfaßbar, wie noch nie zuvor jemand um Liebe geworben hatte. So trug der Strom seiner eigenen Empfindungen das Paar dahin, und wenn Winton niemals innegehalten und bedacht hatte, wie wohl der Herzog seine Werbung aufnehmen würde, so können wir mit noch größerer Bestimmtheit annehmen, daß Lady Jane diese wichtige Frage nie in Erwägung gezogen hatte. Sie wandelten dahin, ohne für etwas, das außerhalb ihres Elysiums lag, einen Gedanken übrig zu haben, ein Elysium, das, wie die meisten Elysien dieser Art, ein Narrenparadies war.

Es war Lady Germaine, die, wie sie die ganze Sache in Gang gebracht hatte, jetzt auch die Entscheidung herbeiführte. Er hatte sich ihr gegenüber nicht ausgesprochen – denn er war durch diese wachsende Leidenschaft wirklich zu sehr gehoben und fortgerissen worden, um sie profanen Augen zu enthüllen, aber er hatte sich bei einer gewissen Gelegenheit, wo von Lady Jane gesprochen worden war, so weit verraten, daß seine Wirtin jeden Schein der Unkenntnis fallen ließ und die Angelegenheit ganz offen besprach. »Reginald Winton,« begann sie beinahe feierlich, »wissen Sie, was Ihnen bevorsteht? Wie wollen Sie es anfangen, den Herzog von Billingsgate, dies große und gewaltige Tier, um die Hand seiner Tochter zu bitten? Es wundert mich, daß Sie nicht vor Angst in den Boden sinken.«

»Den Herzog von Billingsgate?« rief der junge Mann mit einem bangen Seufzer.

»Gewiß, aber daran haben Sie wohl nie gedacht?« fragte sie.

Er wurde blässer und blässer, während er sie ansah. »Wissen Sie wohl,« sagte er, »daß mir das bis diesen Augenblick niemals eingefallen ist? Aber was kümmert mich der Herzog von Billingsgate? Ich kümmere mich nur um sie, da Sie einmal davon sprechen, Lady Germaine.«

»Kindliche Unschuld! Bilden Sie sich etwa ein, daß ich das nicht schon seit zwei Monaten weiß? Wenn Sie etwas verheimlichen wollen, dann dürfen Sie nicht zu allen Fenstern Flaggen hinaushängen.«

»Habe ich Flaggen ausgehängt?« Er sah sie mit strahlenden Augen und abwechselnd errötend und erbleichend an. Es gefiel ihm ganz wohl, daß er sich in dieser Weise verraten und seiner Herzensdame Reize verkündet hatte, wie ein irrender Ritter. »Hoffentlich habe ich nichts gethan, was ihr unangenehm war,« fügte er mit plötzlichem Erschrecken hinzu. »Lady Germaine, Sie werden mein Geheimnis bewahren, bis ich mein Schicksal kenne.«

»O, was Ihr Geheimnis anlangt – – aber von wem wollen Sie Ihr Schicksal erfahren, wenn ich fragen darf?« sagte Lady Germaine.

Reginald errötete übers ganze Gesicht, wie ein junges Mädchen – oder vielmehr, er ward rot, wie ein Mann, halb verlegen, halb ärgerlich, während seine Blicke noch mehr leuchteten, als zuvor. Er holte tief Atem und machte dann eine wahrnehmbare Pause, wie es ein frommer Katholik thun würde, um sich zu bekreuzen, ehe er antwortete: »Von wem? Von ihr! Von wem sonst?« sagte er erregt und hoffnungsvoll.

Lady Germaine schüttelte den Kopf. »O heilige Einfalt!« rief sie, »o Sie Baby! Wenn es ein Wort gibt, das die äußerste Einfalt und Thorheit noch besser ausdrückt, dann möchte ich Sie so nennen. Sie! Das ist sehr schön, das ist so einfach. Aber was wollen Sie ihrem Vater sagen? – O Sie Einfaltspinsel! – ihrem Vater, darum handelt sich's!«

»Ich setze voraus, Lady Germaine,« erwiderte der Verliebte und nahm dabei eine Miene höherer Weisheit und erhabener Ruhe an, – »ich setze voraus, daß, wenn ich glücklich genug bin, sie zu überreden mich anzuhören – weiß der Himmel, ich bin dessen gar nicht so sicher – daß in diesem Falle mit ihrem Vater –«

»Leicht fertig zu werden sein würde, meinen Sie?« fragte sie mit spöttischer Nachsicht für seine Thorheit. Der junge Mann blickte sie mit der unbeschreiblich geistlosen Miene, einer Mischung äußerster Verblüffung und verletzter Eitelkeit, an, der kein Mann bei einer solchen Wendung entgeht, und machte ihr eine zustimmende Verbeugung. Aus ihrem Ton, ihrer Miene entnahm er, daß sie über den Erfolg seines ersten Schrittes nicht im Zweifel sei, und das versetzte ihn plötzlich in einen Zustand der Berauschung. Ein Vater! Was war ein Vater? Wenn sie ihn ermächtigte, mit ihrem Vater zu sprechen, war damit nicht alles gesagt?

»O, Sie Dummbart!« sagte Lady Germaine wieder, »Sie Ignorant! Sie sind so einfältig, daß ich mich über Sie lustig machen muß. Wissen Sie, was der Herzog von Billingsgate ist? Einfach der hochmütigste Mann in ganz England. Er bildet sich ein, daß niemand, der nicht königliches Blut in den Adern hat, gut genug für sein Kind sei.«

»Da hat er ganz recht! Ich bin genau derselben Ansicht,« entgegnete Winton; dann hielt er inne und warf einen Blick auf sie, worin trotz seines Ernstes und seiner Begeisterung etwas Komisches lag. »Indessen,« fügte er hinzu, »königliches Blut, das ist nicht immer der Inbegriff der Vollkommenheit, und dann –«

»Und dann –? Sie meinen selbstverständlich, daß Sie etwas zu bieten haben, das ein königlicher Prinz nicht besitzt?«

»Vielleicht,« erwiderte Winton wieder mit einer Art freundschaftlicher Herausforderung, und dann machte das Etwas, worin er sich einem königlichen Prinzen oder jedem andern Potentaten überlegen fühlte, seinen Blick weich, das Etwas, das einer Lady Jane würdig war, mochten auch alle vornehmen Väter der Welt ihr Schlimmstes gegen ihn thun. Durch alles das, was Lady Germaine gesagt hatte, war er durchaus nicht beunruhigt. Wahrscheinlich machte er es sich gar nicht klar. Schon während sie sprach, wanderten seine Gedanken. Sie besaß Herz genug, ihm zuzustimmen und einzusehen, daß Winton so empfand, wie ein wahrhaft Liebender empfinden muß, aber sie war daneben doch halb und halb geärgert und machte sich Sorgen, wie die Sache enden werde.

»Nun steigen Sie 'mal auf die Erde herab,« sagte sie, »und versuchen Sie einen Augenblick, sie aus dem Spiele zu lassen. Was wollen Sie dem Herzog sagen? Das möchte ich gern wissen.«

»Wie kann ich das wissen?« erwiderte Winton, »wie kann ich überhaupt darüber sprechen? Wenn ich das Glück haben soll, mit dem Herzog zu reden, nun, dann – hoffe ich, wird mir die Gelegenheit die rechten Worte in den Mund legen,« fügte er nach einer Pause hinzu. »Jetzt bin ich gar nicht im stande, daran zu denken, was ich sagen werde.«

Lady Germaine gab es seufzend auf, ihm Ratschläge zu erteilen. »Dann muß ich meine Hände in Unschuld waschen,« sagte sie mit einer Art von Verzweiflung; »ich weiß auch wirklich nicht, was ich für sie hätte thun können. Natürlich werde ich sehr getadelt werden. Der Herzog wird mich verantwortlich machen, aber, dem Himmel sei Dank, ich habe vom Herzog nichts zu fürchten, und ich weiß nicht, worüber man mir Vorwürfe machen könnte. Ihr habt euch in der gewöhnlichen Weise in meinem Hause getroffen. Ich habe nichts gethan, um Zusammenkünfte zu stande zu bringen. Niemals habe ich an etwas derartiges gedacht. Lady Jane hat die besten Partieen im Königreich ausgeschlagen: wie konnte ich noch daran denken, daß sie ihre Augen auf Sie richten werde?«

Obgleich Winton nur ausgesprochen hatte, was er wirklich dachte, als er sagte, der Herzog habe ganz recht, wenn er die Besten und Höchstgestellten für eben gut genug für sein Kind hielte, war es doch nur menschlich natürlich, daß er sich etwas verletzt fühlte, als er in so geringschätzigem, fast verachtungsvollem Tone von sich sprechen hörte. Um ihretwillen hätte er allerdings gewünscht, daß er ihr größere und bessere Gaben zu Füßen hätte legen können, aber so, wie er war, war er doch schließlich nicht so verachtungswert, wie Lady Germaine andeuten zu wollen schien. Er konnte es nicht unterlassen, etwas zu seiner Ehrenrettung zu thun.

»Ich vermag nicht einzusehen, wie man Ihnen Vorwürfe machen könnte,« sagte er, ziemlich kalt, »da Sie doch so gütig waren, mich für würdig zu halten, Ihr Haus zu besuchen. Das war vielleicht ein Mißgriff, aber ich wüßte nicht, daß ich etwas gethan hätte, was meine Freunde veranlassen könnte, mir ihr Haus zu verschließen.«

»Das ist wirklich wundervoll,« entgegnete Lady Germaine, »nun fangen Sie noch vor dem Herzog an. Aber ich will mich nicht aufregen, Sie werden wohl zur Vernunft kommen und mich um Verzeihung bitten, noch ehe eine halbe Stunde vergeht. Ich verzeihe Ihnen schon im voraus. Aber dennoch, lassen Sie sich zu Ihrem eigenen Besten raten, und überlegen Sie sich ein bißchen, was Sie dem Herzog sagen wollen, wenn Sie um seine Tochter anhalten. O ja, natürlich, es thut Ihnen leid, daß Sie unartig gegen mich gewesen sind – das weiß ich. Ja, ja, ich verzeihe Ihnen. Aber beachten Sie, was ich Ihnen gesagt habe.«

Im Verlaufe der nächsten vierundzwanzig Stunden kam Winton dieses Gespräch wiederholt in Erinnerung, aber sein Geist war von einer andern, viel wichtigeren Angelegenheit sehr in Anspruch genommen. Er dachte so viel an Lady Jane, daß er wenig Zeit für den Vater erübrigen konnte. Allerdings, er war nur ein Bürgerlicher von einer Familie, die keinen Anspruch auf die Bezeichnung »ausgezeichnet« erheben konnte; dafür hatte er aber das beruhigende Bewußtsein, sehr wohlhabend zu sein – und daß Herzogstöchter Bürgerliche geheiratet hatten, war schon öfter vorgekommen, ohne besonderes Aufsehen erregt zu haben. Der erste Schritt in der Angelegenheit machte ihm viel mehr Sorgen, als die späteren. Er mußte ausfindig machen, wohin Lady Jane ging, und es dann dahin bringen, an dieselben Orte eingeladen zu werden, denn die Saison stand auf ihrer Höhe, und alle Welt war in London. Die Herzogin stürzte sich nicht in den Strudel. Sie besuchte nur die besten Häuser, sie gab nur große, steife Gesellschaften, wie es der Herzog verlangte, und aus diesem Grunde war es viel schwieriger, dahin zu gehen, wo Lady Jane zu treffen war, als es mit den gewöhnlichen Lady Janes der Gesellschaft der Fall ist. Es nahm die ganze Zeit Mr. Wintons in Anspruch, diese Gelegenheiten zum Zusammentreffen herbeizuführen, und nach jeder nahm er sich vor, das nächste Mal sein Geschick zur Entscheidung zu bringen. Allein es ist erstaunlich, wie viel Zufälligkeiten oft die Ausführung eines solchen Entschlusses verhindern. Manchmal war es irgend ein langweiliger Mensch, der sie oder ihn nicht losließ, manchmal die Unmöglichkeit, ein Plätzchen zu finden, wo ein so ernstes Gespräch geführt werden konnte, oft verstimmte ihn die Frivolität der Gesellschaft, die ihn umgab, so, daß er nicht sprechen konnte, denn wer möchte wohl in seiner Erinnerung diesen wunderbarsten Augenblick des Lebens mit dem oberflächlichen Geplauder eines Ballsaales verknüpfen, wenn er es vermeiden kann? Und einmal, als alle sonstigen Umstände günstig waren, verließ ihn der Mut, und er wagte es nicht, sein Glück auf die Probe zu stellen. Wie konnte er inmitten dieser Ungewißheit darüber, wie die Tochter seine Werbung aufnehmen werde, an den Vater denken? Während dieser Zeit des Zögerns lud ihn die Herzogin einmal zum Diner ein, und als er seinen Platz in der Mitte der Tafel fand, weit entfernt von den Größen, die an beiden Enden glänzten, und von Lady Jane, die der Stern des Abends war, da fühlte Winton seine bescheidene Stellung und Bedeutungslosigkeit mehr, als je zuvor, und er empfand, wie der Zweifel mit kalter Hand an sein Herz rührte. Aber die Herzogin war auffallend liebenswürdig gegen ihn, und ein leuchtender Blick aus Janes weichen, in feuchtem Glanze schimmernden Augen, erhob ihn wieder in einen Himmel von Hoffnung. Am nächsten Morgen trafen sie sich zufällig im Park zu einer frühen Stunde, wo die feine Welt noch nicht im Freien war. Sie machte einen Spaziergang in Begleitung ihrer Zofe und erklärte mit sehr großer, ganz unnötiger Verlegenheit, daß sie die Bewegung des Landaufenthalts entbehre und deshalb etwas frische Luft schöpfen wolle. Die Folge war, daß das Mädchen fortgeschickt wurde, um einige kleine Besorgungen zu machen, und dann sah sich Lady Jane, zwar sehr ängstlich, aber doch mit einem gewissen schuldbewußten Glücksgefühl, mit ihrem Geliebten allein. Wußte sie nicht alles, was er ihr so lange schon zu sagen gewünscht hatte? Ein Wort genügte, um beiden klar zu machen, was sie sich seit Monaten schon ohne Worte zu wissen gethan hatten, aber obgleich sie sehr bald zu dieser Erklärung gelangten, so nahm es doch eine beträchtliche Zeit in Anspruch, die Einzelheiten zu entwirren – und die Wiederholungen und die Vergleiche, was sie und er bei dieser und jener Gelegenheit gemeint, gedacht und empfunden hatten, nahmen kein Ende. Die Stunde des Gabelfrühstücks war beinahe gekommen, als er sie nach Hause brachte, das Herz so von überschwenglichem Glück und Stolz erfüllt, daß er immer noch keinen Gedanken für den Herzog, oder Furcht vor dem hatte, was er sagen werde. Selbst nach der Trennung von der Geliebten konnte er seinen Geist nicht von der viel angenehmeren Beschäftigung mit ihr losreißen, um an den Herzog zu denken. Jane hatte ihn gebeten, zuerst mit ihrer Mutter sprechen zu dürfen, und daß er warten möge, bis er von ihnen gehört habe, ehe er weitere Schritte thue. Aber er sollte sie am Abend in einer Gesellschaft treffen, zu der er sich um ihretwillen eine Einladung verschafft hatte. Und kann man wohl erwarten, daß ein junger Liebender, der bis in die innersten Fasern seines Herzens in der Erinnerung an das eben gewonnene Glück und der Erwartung, diejenige, die er nun die Seinige nennen darf, am Abend wiederzusehen, bebte, seine Gedanken weniger wonnevollen Dingen zuwendet? Wie im Traume ging ihm der Tag dahin, alles wies auf den Augenblick hin, wo er sie wiedersehen sollte. Als er sie am Morgen getroffen hatte, erschien sie ihm fast furchtbar, eine Königin, die ihn auf ewig in die Verbannung schicken konnte. Wenn er sie wieder traf, würde er sein Weib in ihr sehen! Wunderbarer Gedanke! Die Seinige! Der Ort, wo sie sich wiedersahen, war eines der großen Londoner Häuser, wo alle Welt hinkommt; aber Winton sah nichts, als die weichen Augen, die nach ihm ausschauten. Wie trafen sich die Hände in einer für andre Leute scheinbar gewöhnlichen Begrüßung und erfaßten einander, als ob sie sich nie wieder trennen wollten! Sie sprachen nicht viel, und sie wagte es nicht einmal, außer dann und wann mit einem kurzen Blick, seinen Augen zu begegnen. Er fand kaum Gelegenheit, sie flüsternd zu fragen, was er thun solle, denn als er sich zu diesem Zwecke zu Lady Janes Ohr niederbeugte, legte ihm die Herzogin, die sehr ernst aussah, sich aber doch nicht geweigert hatte, ihm die Hand zu reichen, einen Finger auf den Arm.

»Mr. Winton,« sagte sie, »ich möchte Sie morgen um zwölf sprechen. Ich habe Ihnen etwas zu sagen.« Sie sah, wie gesagt, furchtbar ernst aus, schließlich aber erhellte ein Lächeln ihre Züge, das freilich von einem Kopfschütteln begleitet war. »Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll,« fügte sie hastig hinzu. »Es wird furchtbare Schwierigkeiten geben.«

Morgen um zwölf! Als er in der Nacht nach Haus ging, schien er auf Schwierigkeiten zu wandeln und sie mit seinen Füßen zu zermalmen. Aber mit dem Morgen kam ein Beben der Besorgnis über ihn.


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