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Onkel Peter

Eine Geschichte aus Holstein

»Die Männers taugen nix!« sagte Line und seufzte tief.

»Weshalb nicht?« fragte ich, und die Gefragte schüttelte den Kopf.

»Nee, Fräulein; taugen tun sie nix, und wenn ich Sie erzähle, wie mich das gegangen hat, denn fragen Sie auch nich mehr, warum alle Männers gleichemang slecht sind!«

Sie seufzte noch einmal, und dann fing sie wieder an, sich ihrer Beschäftigung zuzuwenden, die sie eben unterbrochen hatte, und die aus Bohnenschneiden bestand.

Line war unsere Köchin und eine Perle ihres Standes. Erstens liebte sie ihre Herrschaft; eine Gefühlsanstrengung, der sich die meisten Köchinnen heutzutage nicht mehr unterziehen; zweitens kochte sie gut, und dann war sie ehrlich. Bei so viel Lichtseiten kann der Schatten nicht ausbleiben: Line gehörte nicht zu den schönsten ihres Geschlechts – sie war häßlich, und sie war alt. Ihr Herz aber hatte sich die Wärme der Jugend bewahrt, und – man hat diese Erscheinung ja manchmal – vielleicht waren ihre Gefühle mit den Jahren noch glühender geworden: kurzum, in ihrer knochigen, hageren Gestalt pulsierte warmes Blut.

Jetzt legte sie das Bohnenmesser von neuem hin und stöhnte.

»Ja, wenn ich da an denken tu, was ich schon allens erlebt habe, Fräulein, und all die jungen Dinger kriegen Männers, und ich bleib sitzen, wo ich doch all das schöne Essen kochen kann: das is doch reinemang nich zu begreifen!«

Eben, gerade als ich in die Küche kam, war ein großer, vierschrötiger Mann weggegangen, der mit Line eine Unterredung gehabt hatte. Er sah nicht gerade nach einem Liebhaber aus; da aber Line merkwürdig verlegen und zerstreut war, hatte ich sie doch gefragt, was dieser Besuch bei ihr gewollt habe. Darauf war denn die Antwort erfolgt, daß die Männer alle nichts taugten. Nun war Line wieder an die Arbeit gegangen und schnippelte eifrig darauf los.

»Daß Onkel Peter noch einmal zu mich kommen mag, wo er mir doch so slecht mitgespielt hat, das is auch warrafftigen Gott nich zu verstehen. Das war nämlich Onkel Peter, der da eben aus die Küche ging. Kein richtigen Verwandten; ich nenn ihm abers Onkel, weil daß er den richtigen Onkel von die Swester von mein besten Freundin ihr Swager is. So gehört er doch in die Familie, und ich hab auch ehemals Vertrauen zu ihn gehabt, bloß daß er mir so anführte! Nu will er wieder mit mich anfangen; ich hab ihn abers gesagt, daß ich mich erst noch besinnen will!«

»Will dein Onkel Peter dich denn heiraten?« fragte ich, und Line sah mich erstaunt an.

»O nee, da denkt er nich an, und ich auch nich. Denn er hat all die zweite Frau, und die is ganz gesund. Nee, auf Onkel Peter hab ich auch niemalen gerechnet!«

»Was wollte er denn mit dir anfangen?« forschte ich weiter, und Line nahm ein neues Paket Bohnen aus dem Korbe, der neben ihr stand.

»Es is von wegen das Heiraten, Fräulein. Onkel Peter is ja Fuhrmann und fährt das ganze Jahr auf die Landstraße. Da kriegt er ordentlich Menschen zu sehen: heute is er in Heilgenhaben und morgen in Oldenburg und Lüttenburg. Und weil er so viel Männers und Mädchen sieht, so macht er ein klein Geschäft daraus, fürs Heiraten zu sorgen. Und das is ein ehrliche Sache. Lieber Gott, wenn ich hier in Plön sitze, denn kann ich doch nich wissen, daß in Heiligenhaben ein Mann is, der ein Frau sucht. Und wenn in Neustadt ein Deern is, und in Oldenburg ein Mann, und beide wollen heiraten, so können sie sich das nich von'n Himmel abkucken; da muß Onkel Peter zwischen, der ihnen zusammenbringt. Ein Mark pro Person kost das man für sein Bemühungen, und wenn es was wird, dann muß man noch ein Mark extra bezahlen!«

»Wenn Onkel Peter so gut für das Heiraten sorgt, weshalb willst du ihm denn auch nicht eine Mark geben?« fragte ich. »Du willst doch auch gern heiraten?«

Line seufzte herzbrechend.

»Das is es ja gerade, Fräulein. Ich hab ihn all fünfmal ne Mark gegeben, und nie und nimmer is es was geworden. Und bei das letzte Mal, da hat es mich so slecht gegangen; da läuft mich noch das Gräsen über, wenn ich da an denke!«

Ich hatte mich auf den Tisch vor Line gesetzt und sah sie so gespannt an, daß ihr melancholischer Gesichtsausdruck sich etwas milderte.

»For meinetwegen kann ich Sie das erzählen, Fräulein,« sagte sie, eifrig weiter schneidend. »Denn ein Mund voll Snack is for mir mein Lebtag ne gute Medizin gewesen und hat mich das Herz leichter gemacht. Abers auslachen dürfen Sie mich nich – das kann ich nich vertragen!«

Ich murmelte einige Worte, die wie ein Schwur klangen, und Line nickte.

»Ich weiß all. Nee, Sie lachen nich, und das is auch gut for Sie, weil ein jedes Mädchen doch gern heiraten will, und mits Lachen kann man sich sein Glück verderben. Besinnen kann ich mich da nich auf, abers ich muß ehedem doch auch was versehen haben, daß es mit mich und das Heiraten partuh nich glücken will. Mühe hab ich mich gegeben, daß es man so knackte, abers es half allens nich. Und Onkel Peter is auch gelungen gewesen. Einmal verzählt er mich was von ein Knecht, der in meine Jahrens is und eine Frau sucht. Da schreib ich denn ein Brief, ob er mich nich wollte, wo ich doch so tüchtig wär und auch was auf die Sparkasse hätt. Da schrieb er mich wieder, was mein Sparkassenbuch wär, das wollt er wohl nehmen, mir selbst abers wollt er nich auf zu. Was doch gar nich ein büschen freundlich war. Aber so sind die Männers.«

»Und was hat Onkel Peter denn nun so schlecht gemacht, daß du wieder mit ihm unzufrieden bist?« fragte ich, und Line schüttelte den Kopf.

»Oh, du mein himmlische Zeit! Wenn ich da an denke, denn könnt ich einen ganzen Tag weinen, bloß daß mich das nich mehr hilft. Abers vorn halben Jahr, als es passierte. Sie waren gerad nich hier, Fräulein, da hab ich mir gar nich wieder verholen können. Das war so in Oktobermonat, als Onkel Peter da zu mich kam und sagte, daß er ein Mann für mir wüßte. Ein richtigen guten Mann sollt es sein und von Gewerbe Schaseewärter in die Nähe von Neumünster, was ja bekanntlich ein schöne Gegend is. Onkel Peter sagt, daß Jochen Frey schon ziemlich lang auf sein Heiratsliste stand, weil daß er sich so langsam besinnen tat. Sein Frau war ihm nämlich tot geblieben, was ja auch ein Mallöhr is. Und gesehen hat Onkel Jochen Frey auch lang nich, weil daß er in die Gegend von Neumünster nix zu tun gehabt hat; abers daß er heiraten wollt, das wußt er ganz genau, und das war for mir natürlicheweise die Hauptsache. Ich gab denn auch an Onkel Peter eine Mark, und denn kaufte ich mich ein Traumbuch. Da stand ein, wenn man von'n Sarg träumte, denn bedeute das eine Verlobung. In die nächste Nacht träumte mich, daß ich von'n Heuwagen herabfiel, was mich sehr weh tat, abers ein Sarg war nich dabei. Und da las ich ins Wochenblatt eine Geschichte, wo in stand: Träume sind Schäume. Worauf ich mich vornahm, nich auf mein Traum zu achten, was ganz und gar verkehrt gewesen is, wie Fräulein das auch sehen werden. Onkel Peter hat mich versprochen, er wollt mal nach Neumünster fahren und sich nach Jochen Frey umsehen, abers ein ganze Woche hört ich nix von ihm. Na, das is ein lange Zeit, wenn man die Liebe ins Herz fühlt, und als ich nu mein freien Sonntag hatte, kriegt ich das mit die Unruhe. Denn Onkel Peter hat gesagt, er wüßt ein ganzen Berg Deerns, die Jochen Frey gern nähmen, was ich gewiß glaubte. Die meisten Mädchens sind ja so hinter die Männers her, daß es ein wahre Schande is. Wo das Wetter nu gut war, Sonnenschein und allens, dachte ich, es könnt nich schaden, wenn ich mir mal selbst nach Jochen Frey umsähe. Denn selbst is der Mann, und wenn Onkel auch in ganzen keinen slechten Gesmack hat, so is es doch auch gut, mal selbstens die Augen offen zu machen. So um die Kirchzeit bin ich denn die Schasee nach Neumünster entlang gegangen. Hatt mein dunkelblaues Kleid an, das mit'n Sampeinsatz, und mein Pallitoh, wo so große Knöpfens an sind. Mein Hut mit die dunkelroten Rosen auf is auch nich slecht, und alle Leute, die ich begegnet bin, haben nach mir gekuckt, was ich sie nicht verdenken kann. Denn wenn ich fein bin, mag ich mir selbst auch leiden.«

»Abers wie ich nu so for mir hingehe, denk ich daran, daß ich mir an den Schaseewärter auch nich wegsmeißen will. Das hatt ich nich nötig, wo ich achthunnert Mark auf die Sparkasse stehen hab und sechs Paar Tassen mit »Ich grattelier« auf und ein Gedeck mit zwölf Savjetten und sonsten noch viel Kram. Bei die Liebe muß auch noch die Vernunft sein, und daher sag ich mich noch allens vor, was Onkel Peter von Jochen Frey verzählt hatt. Das war ein Mann in die besten Jahrens, mit ein Kuh und ein Swein und drei Kindern. Ein Stück Weideland hatt er natürlicheweise auch und ein Garten. Na, das war denn ein ganz nette Stelle, wo ich hinkommen würde, und wenn ich mich auch dachte, daß wir zwei Sweine halten wollten, so könnt ich Jochen Frey das ja nahstens sagen. Denn mit zwei Sweinens kann man mehr anfangen, als mit einen, Fräulein, das is ganz gewiß. Und denn hat Onkel Peter auch noch gesagt, daß Jochen ein Platz auf'n Torfmoor hatt, wo er Torf stechen könnt – da dacht ich mich auch noch allerhand aus, was wir mit'n Torf anfangen wollten, und was wir für'n Preis nehmen konnten.«

»Bei diesen Gedanken ging das Gehn sehr schön, und ich merk das gar nich, daß ich all schon vier Stunden auf die Schasee nach Neumünster herumlauf. Das war nämlich ein tüchtigen Weg, bis daß ich nach Jochen Frey sein Haus kam, und wie ich mir ein büschen auf'n Schaseestein setz, um mir ein Momang zu verpusten, kommt aus'n Redder ein Mädchen anspaziert, das ich kennen tu. Ich hab mit sie mal zusammen in ein Haus gedient und konnte ihr nie ausstehn. Abers snacken mußt ich natürlicheweise auch mit sie.«

»Na, Nike,« sag ich, »wo kommst du denn her?«

»Von Hause!« sagt sie ganz snippsch, und denn steh ich auf, und wir gehn zusammen.

»Sie war hellschen fein. Ein rotes Kleid mit grünem Samp besetzt, ein Hut mit'n blauen Sperling auf, und übern Jackett hatt sie Krallen mit'n Bernsteinfloß. Nee, so was Prachtvolles hab ich lang nich gesehen! Fräulein, Ihr bestes Kleid is da gar nix gegen! Nike is nämlich ihr Lebtag so for die irdische Pracht gewesen, wornach ich ganz und gar nich verlangen tu, weil ich mein Gedanken bei der Sparkasse hab. Abers merken sollt sie doch, daß ich direktemang in'n Ehestand reinging, wenn ich auch kein Sperling auf'n Hut trug, und so sag ich denn so ganz verloren for mich hin, daß ich mich freuen tät.«

»Wo über freust du dir?« fragt Nike, und ich lach.

»Ja, wenn das man wüßtest, klein Deern!«

»Ich freu mich auch!« sagt sie ganz kurz. »Wo über denn?« mußt ich nu fragen, »weil ich doch glasig gern wissen wollt, was sie vor hatt.

Da kuckt sie mir so'n büschen höhnisch an.

»Ich freu mir, daß mein Hochzeit bald is!«

»Da mußt ich ein Augenblick stehn bleiben und Luft holen. Natürlicheweise freue ich mir, wenn alle Menschen auf die Welt es gut haben und ein Mann kriegen. Ich bin ein Christenmensch und weiß, was ich mich schuldig bin. Abers daß Rike nu auch grade Hochzeit machen will, das war so'n Gefühl, als hätt ich ein Slag vorn Kopp gekriegt. Merken lassen wollt ich mir abers nix und mach ein freundlich Gesicht, was mich ein büschen sauer ankam.«

»Willst denn jemand heiraten, Rike?« frag ich mit'n ganz sanfte Stimme, und da ich stehn bleib, is sie auch stehn geblieben und lacht.

»Ja, mein Line, wenn ich Hochzeit mach, denn muß da woll ein Person mehr bei sein!«

»Ich krieg auch einen Mann. In allernächster Zeit!« sag ich, und Nike nickt mich zu.

»Das freut mir, Line! Das wurde auch Zeit; abers was lange währt, das wird gut! Ich hab noch neulich zu mein Mutter gesagt: Paß auf, Mutter, die alte Line kriegt auch noch'n Mann! Da is kein Pott so schief, da paßt ein Deckel auf! Ich grattelier dich auch vielmals!«

»Wie sie so sprach, da stickte ich beinahe vor Dollheit, Fräulein; abers ich nahm mir zusammen. Denn Nike ihr Spitzigkeit war bloß Neid. Ihr Bräudgam hatte gewiß kein Kuh und kein Swein.«

»Wie sie so sagt, daß sie mich grattelierte, da grattelier ich sie auch, und sie sagte: Vielen Dank! und denn gingen wir weiter.«

»Nu hatte ich woll Lust, ihr nach ihren Bräudgam zu fragen, weil es ja sein konnte, daß er, wie Jochen Frey, in die Nähe von Neumünster wohnte. Abers da sie kein Wort von ihm sagte, wollte ich nich zeigen, daß ich mir was aus ihren Bräudgam machte. Kein einmal haben wir zusammen gesnackt, bis daß wir in die Nähe vons Schaseehaus kamen. Ich kannt es gleich, denn es war ganz, wie Onkel mich das beschrieben hatte. Ein rotes Dach hat es und zwei Bäum vor die Tür und ein Kuhstall an die eine Seite. Nu war es schon Nachmittag, und ich fühlt mir flau, weil daß ich doch gar kein Essen um mein gewöhnliche Zeit gekriegt hatt. Da kam auch so'n Art Rührung über mir, denn es war doch mein neue Heimat, das ich zun erstenmal seh, und ehe ichs mich versehe, laufen mich die blanken Tränens die Backen hendal. Rike sah es nich. Sie stand still und kuckte sich den Kuhstall an.«

»Da muß ein neues Dach auf!« sagte sie. Nu slug ich meine Augen da auch hin und sah, daß sie Recht hatte. Auf meinen und Jochen Frey seinen Kuhstall wollt ich abers doch nix kommen lassen.

»Ich find das Dach noch sehr gut,« meinte ich; »und ich find auch, um ander Leut ihr Kuhställe brauchst du dir nich zu kümmern!«

»Rike macht ein ganz dummes Gesicht, und ich will noch sagen, daß jederein vor sein eigen Tür fegen soll – da kommt mit einmal ein Einspänner von die andre Seite angefahren! Oh, du Herrjemineh!«

Line hatte in steigender Erregung gesprochen und immer schneller geschnitten. Jetzt ließ sie aber plötzlich das Messer fallen und lehnte sich in ihren Stuhl zurück.

»Nee, Fräulein, weiter kann und kann ich die Geschichte nich verzählen. Is mich unmöglich! Oh, was hab ich nahstens geweint. In meine Tränens hätt man ein paar Handtücher waschen können!«

Es dauerte mehrere Minuten, ehe die Köchin sich entschloß, weiter zu sprechen, und erst meine Versicherung, ich würde sehr weinen, wenn sie mir die Geschichte nicht zu Ende erzählte, bewog sie, ihre Seufzer zu unterbrechen und wieder zum Bohnenmesser zu greifen.

»Nee, Fräulein, um mich sollen Sie nich weinen. Da will ich kein Schuld zu haben, denn da wird noch oft Gelegenheit zu sein, daß Sie betrübt sind. Liebe Zeit, ich sollt das Leben nich kennen! Das wird Ihnen auch noch mal hart anfassen, abers wünschen will ich Sie, daß es nich so slimm wird wie mit mich. Das war rein zu doll, und ich hatt gleich die Ahnung von was Sweeren, als der alt Einspänner kam, und ich das Pferd gleich direktemang erkannte. Denn es war das Butterpeerd von den Meierhof, wo ich ehemalen gedient hatt. Ein Frauensperson, die ich auch ganz gut kenn, und die allein auf den Einspänner sitzt, hält den Wagen an, steigt ab und bindt das Peerd an'n Baum fest, was nu eigentlich nich nötig war. Denn das alt Krack mußt an die dreizigen Jahrens sein, was für'n Menschen ja noch furchtbar jung is, für'n Peerd abers nich mehr das beste Alter is. Und nun wollen Sie woll wissen, Fräulein, wer das Frauensmensch war, die auf den Einspänner gesessen hatt? Das war die Meiersch auf denselbigten Hof, wo ich einstens gedient hatt, und wo auch das Peerd her war. Sie war all ihr Lebtag wenigstens fufzehn Jahrens älter als ich gewesen, und hatt nu ein weißen Kapottenhut mit Liljen und Veilgen auf'n Kopp, und um ihr flatterte ein lila Kleid mit'n Sleppe.«

Ich steh und kuck ihr an, und Rike bleibt auch stehn, und die Meiersch wird uns gewahr und steuert auf uns zu.

»Nu, Deerns, wat hebbt jü hier to dohn?« fragt sie, und denn fällt sie das ein, daß sie fein sein will und hochdeutsch snacken muß. Und sie kriegt aus'n Wagenkasten ein Fächer raus und fächert sich, was warrafftig nobel aussah, wenn es in Oktobermonat auch ein büschen kalt fürs Fächern is.

»Nun, mein Line, sagt Meiersch nu zu mich, was führt dir denn in die Natur? Bist du nich in die Stadt bedienstet?«

»Ja, Meiersch, sag ich, ich dien in die Stadt, wo es mich soweit nich slecht geht, bloß daß jedwerein mal ein klein Veränderung haben muß!«

Sie nickt ein büschen von oben herab. »Na, denn geht man weiter, und ich wünsch euch einen pläsierlichen Tag!«

Da lacht Rike aus vollen Hals. »Vielen Dank, Meiersch; weiter geh ich abers nich. Ich steh auf die Liste und will mal zun Schaseewärter rein und mich die ganze Geschichte ankucken. Wenn er zu viele Kinners hat, denn will ich mir noch besinnen!«

Mich wurd es swarz vor Augen, und ich fang an zu bewern, gerad wie ich jetzt bewer; abers ich nehm mir zusammen, gerad wie ich mir jetzt zusammennehme, weil daß ich Fräulein allens zu Ende verzählen will.

»Rike,« sag ich, »auf wen sein Liste stehst du?«

»Auf Onkel Peter sein, natüllicheweise. Das is noch ein weitläufigen Verwandten von mir. Die Swester von sein Frau hat den Bruder von mein Kasine ihr Mann geheiratet, und ich nenn ihm Onkel. Er is Fuhrmann und besorgt das Heiraten für'n Mark à Person.

Ich will gerad sagen, daß ich doch noch näher mit Onkel Peter verwandt bin, und daß er mich eher mit'n Mann bedenken muß als Rike, da fängt die Meiersch auf einmal an ganz laut zu sprechen. Wir stehn alle drei vorn Schaseehaus, und ein Mann kommt aus die Haustür, der so'n büschen ängstlich aussieht. Er trat kurz mit'n rechten Bein, und sonsten schien er mich auch nich weiter hübsch. Denn was seine Nase sein sollte, das war ein klein feuerroten Punkt ins Gesicht, und Haare auf'n Kopp halt er auch nich mehr.

Die Meiersch is ganz snell auf ihn losgegangen.

»Sünd Sie der Schaseewärter Jochen Frey?« fragte sie.

Er nickt mit sein kahlen Kopp und macht den Mund offen, weil er gern was sagen will; sie slägt ihm abers mit die Hand auf'n Rücken.

»Na, denn is gut! Onkel Peter hat mir gebeten. Ihnen zu heiraten, und ich will es denn auch woll tun. Wo veel Kinner sind dor, und die Kuh is doch wohl frischmelkend, sonsten –«

Jochen Frey räuspert sich und halt den Kopp ganz auf die eine Seite. Nahstens hab ich gehört, daß er swerhörig war und deshalb nich allens verstand.

»Abers« – sagt er nu, und denn räuspert er sich noch einmal und hinkt ein büschen von die Meiersch weg. Die aber kriegt ihn beim Arm.

»Was hast du zu abern?« schreit sie. »Ick will di, und du willst mi! Laß mir ins Haus!«

»Abers« – sagt Jochen noch einmal, und sein Nase wird ordentlich weiß vor inwendigen Schrecken, »abers – dat geiht nich – mit den besten Willen geiht das nich!«

Er hat sich an die Wand von sein Haus gedrückt und fängt an ganz furchtbar zu switzen.

»Warum geiht dat nich?« fragt Meiersch. Sie is ganz rot ins Gesicht geworden und zieht ihre Handschens aus, was swer war, weil daß sie von weißen Glazeeleder waren. »Ich hab all lang mit Onkel Peter gesnackt, der mich Jochen Frey sein Adresse gab, als ein Mann, dem sein Sinn nach'n Ehestand gerichtet is. Fünf Meilen bin ich heutigen Tages gefahren, weil ich allens in Ordnung bringen wollt. Eher konnt ich nich kommen, weil daß wir so spät Erntebier hatten, und ich auch sonstens von ein Mann wußt, der mir vielleicht heiraten wollt. Da kam abers was zwischen, und das wurde nix. Nu abers will ich nich wie ein Narr hier stehn! Herein in die Stube, Jochen!«

Bei dieser langen Rede hatte sie sich endlich die Handschens von die Fingers gerissen und slenkert ihnen vor Jochen seine Nase rum, daß er anfängt zu zittern.

»O du liebe Zeit, sagt er, ich tät es ja gern. Ganz warrafftig, wenns denn nich anders sein kann, denn tät ich's; und nehmen Sie's man bloß nich übel, daß es nich angeht. Was mein Bruder sein Swiegervater is, der is schon einmal bei die Türken gewesen – mit'n Damper von Hamburg aus –, und der sagt mir all neulich, daß es bei die Leute angeht. Denken kann ich es mich ja nich so recht, daß viele Männers sich zwei oder drei Stück nehmen, weil daß es ja ein gräsigen Spektakel geben muß – verzählt is mich das abers, und wenn ich nu dor wohnte und –«

Meiersch wurd doll. »Jochen, halt dein Mund und laß mir ein. Ich will mich das Haus ankucken, und von die Türkens weiß ich rein gar nix. Bloß daß da türksche Pflaumens wachsen, die nich ümmer gut smecken!«

Und sie kriegt Jochen an die Schultern, und weil daß er kurz tritt und ein büschen swach auf die Beinen is und auch an'n ganzen Leibe bewert, so war sie direktemang in sein Haus gekommen, bloß daß Rike mit einmal ruft: »Oh, herrjeh, wer kuckt denn da aus'n Fenster? Das is ja mein beste Freundin von vergangen Jahr: das is ja Grete Sneider!«

»Das is min Fru!« sagt Jochen Frey, und Meiersch, die schon beim Türdrücker is, kehrt sich um:

»Din Fru? Was hast du mit'n Fru zu tun, wo du doch ein gottseligen Witwer sein sollst?«

»Es tut mich auch leid,« sagt Jochen und reibt sich sein Arm, den Meiersch vordem angefaßt hatt. Onkel Peter hat mir auf sein Liste gesetzt, ohn daß ich ihm darum bitten tat. Leid tut mich der kleine Irrtum wirklich und warrafftig, abers sie meinten ja alle, ich sollt mich doch snell ein Frau wieder nehmen, weil daß ich sonstens kein Ruh hätt. Das is auch wahr. Von den Mädgens sind an die Stücker vierzehn schon bei mich gewesen und haben mir besehen. Kein ein hat mir abers so gekniffen, wie mich das eben passiert is. Sie sind nu all Nummer fufzehn, und wenn diese beiden Mädgens auch noch –«

Er kuckte uns an, ich abers wurde stolz.

»Nee, Herr Frey, sag ich, da sind Sie doch ein büschen im Irrtum. Ich geh man bloß nach Neumünster spazieren, und ein Schaseewärter is kein Partie vor mir, wo ich doch in die Stadt bei Herrschaftens diene!«

»Bei mich is das gerade so!« ruft Rike. Ich bin hier man so ganz von selbstens vorbeigekommen und hab bei mich gedacht, daß ich mein Herrgott heut abend noch danken wollt, weil daß ich nich hink! Wenn ich hier ein klein büschen lange stehn blieb, denn is das bloß, weil ich mich den Kuhstall ansah. So'n schrecklichen Stall hab ich noch nie und nümmer gesehen, und ich dacht bei mich, daß Sie außer die Swerhörigkeit vielleicht auch noch ein büschen an die Augens litten, weil daß Sie so'n öffentliche Schande sonsten doch woll nich mit ansehen konnten!«

Jochen Frey lachte, und da sah er ganz nett aus.

»Is wahr?« sagte er. »In diese Zeit hab ich so viel Grobheiten gehört von all die Frauensminschen, die mir ansehen wollten, daß es mich auf'n paar mehr gar nich ankommen kann. Wer ein Sluck Kaffee haben will, der kann man zu mich eintreten, und ein Swager von mein Frau is auch in die Stube. Sein drütte Frau is letzthin gestorben, und er hat'n schönes Brot bei die Altona-Kieler Bahn. Hat Onkel Peter den noch nich auf sein Liste?«

»Fräulein, können Sie sich sowas denken? Die Meiersch ist warrafftig mit Jochen Frey in sein Haus gegangen, und wir haben ihr noch lachen gehört! Das kann man doch bloß tun, wenn man gar kein Herz mehr hat, was ja wohl mit'n Alter fortgeht. Rike abers und ich sind Arm in Arm auf der Schasee nach Neumünster gegangen. Versweigen will ich es nich, Fräulein, daß ich zuerst furchtbar weinte, und daß Rike das auch tat. Sie sagte noch, daß Grete Sneider ihre beste Freundin gewesen war, und daß sie ihr niemalen hätt leiden können. Sie hatt sich auch falsch benommen bei diese Geschichte, das is ganz gewiß.«

»Ja, Fräulein, mehr kann ich nich verzählen, und ich freu mir, daß ich nu zu Ende bin. Denn es war gar nich schön in Neumünster, und nahstens mußte Rike mit'n Eisenbahnzug zurück, und die Landpartie is mich teuer zu stehn gekommen. Rike ihre Korallenkette is man von Glas, und das Bernsteinsloß auch, und bei den blauen Sperling waren die Mottens all gewesen. Daher hatt sie ihm von die Putzmachersch billig gekriegt!«

Line atmete tief auf. Die Bohnen waren alle geschnitten, und sie hob die schwere Schüssel mitten auf den Tisch.

»So'n klein Snack tut doch wohl,« bemerkte sie. »Is mich grad, als wenn mein Herz ein büschen leichter geworden is, was natürlicheweise nich angehn kann – man denkt sich das abers!«

»Onkel Peter hat euch doch alle sehr angeführt,« meinte ich, »du solltest ihm nun nicht wieder glauben und ihm erst recht keine Mark geben.«

»O, ganz gewißlich nich!« rief Line eifrig. »Wo sollt ich so'n Unsinn tun, wo ich all so viel Ausgaben hatt – auch das Traumbuch, Fräulein! Mein Traum abers, der mit'n Heuwagen, wo ich herabfiel, war doch wahr, und das Wochenblatt sagt: Träume sind Schäume! So kann sich jedwerein irren, das Wochenblatt und Onkel Peter! Irren is menschlich, sagt er mich heute morgen noch, und wenn er lange nich nach Neumünster gekommen is, denn kann er warrafftig nich wissen, daß Jochen nich mehr auf sein Liste gehört. Heut nachmittag kommt er wieder, und da können Sie ganz gewiß sein – daß ich mir nich wieder so anführen lasse. Noch viel doller muß ich aufpassen, weil daß alle Männer nix taugen, und ich da nu so recht hintergekommen bin. Nee, ich geb ihm bloß ein Mark, wenn ich ganz gewiß bin, daß der Mann, den ich in'n Ehestand begleiten soll, nich hinkt und auch nich zu swerhörig is. Ein bessern Kuhstall muß da auch bei sein, und was ich würklich im Ernst mein: ein Frau darf er noch nich haben. Wenn ich da man aufpasse und mir nich leichtfertig anstelle, wenn ich was träume, denn wird Onkel Peter das woll noch mit mich glücken!«


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