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Reise ins Kloster

»Morgen reisen wir ins Kloster!« sagte Vater eines Sommermorgens zu Jürgen und mir. Wir waren überrascht, aber wir sagten kein Wort, schon aus Furcht, daß wir uns, wenn wir dumme Fragen stellten, das Glück der Reise verscherzen könnten.

»Wo liegt denn das Kloster?« fragte ich nachher meinen Bruder.

Er lächelte überlegen: »Weißt du das nicht? In Holstein liegt es, und lauter alte Damen sind drin – furchtbar alt sind sie, kann ich dir sagen. Heinrich ist schon mal mit Papa dort gewesen, und er sagte, »er hätte nur lauter steinalte Damen gesehen, nur einen einzigen Mann und gar keine Kinder.«

»Gar keine Kinder?« wiederholte ich erschrocken. »Aber was sollen wir denn da?«

»Wir sind eingeladen. Mama hat es mir eben erzählt, daß uns Fräulein von Moldenwitt und Tante Emma eingeladen haben, etwas bei ihnen zum Besuch zu sein. Wir müssen uns aber gut betragen, sonst werden wir wieder fortgeschickt!«

»Bleibt denn Papa auch im Kloster?« fragte ich.

Jürgen schüttelte den Kopf. »Papa bringt uns hin und holt uns wieder ab!«

Es entstand eine nachdenkliche Pause, und dann lachten wir vergnügt. Papa war nicht immer gerade ein sehr bequemer Vater, man mußte ihm aufs Wort gehorchen. Im Damenkloster zu sein ohne ihn – diese Aussicht erschien uns also nicht gerade unangenehm.

Auch schon der Gedanke an die Reise stimmte uns freudig, und alle Welt nahm an unserem Vergnügen teil. Die älteren Brüder lachten zwar etwas beleidigend, als ich von Line, unserem Mädchen, verlangte, daß sie meine gesamte irdische Habe, meinen Winterhut und meinen dicken Paletot einpacken sollte. Sie sagten, »es wäre Juni, und da brauche man keine Wintersachen.« Ich meinte gekränkt, »die Klosterdamen sollten doch meinen neuen Hut sehen, der so wunderhübsch wäre.« Aber Line hielt es mit den Brüdern, betrachtete auch mißtrauisch eine halbgefüllte Flasche mit Tinte, die ich ihr ebenfalls hingestellt hatte.

»Ich muß doch an Mama schreiben!« rief ich eifrig, während Jürgen vier dicke alte Bücher in den Koffer warf.

»Gott in hohen Himmel,« was bringt der Jung mich da!« murrte Line. »Meint das Kind, in so'n Koffer geht allens!« »Ich will Blumen pflücken und pressen!« bedeutete sie Jürgen, aber auch seine Bücher wurden verachtet. »Blumens kannst auch hier pflücken; dazu geht man nich auf Reisen, um so'n Unsinn zu machen. Nun bringt mich man was Vernünftiges her, sonst werdet ihr nie und nimmer fertig, und dann fährt Papa ohne euch!«

Diese Drohung verfehlte ihre Wirkung nicht, und wir kamen allmählich zu der kummervollen Überzeugung, daß nicht alles, was wir so leidenschaftlich liebten, uns auf die Reise begleiten könne. Der Koffer war wirklich schrecklich klein – wie konnte nur der Sattler so kleine Koffer machen! Aber es half nichts, wir mußten uns in diesen Umstand fügen. Selbst der lebendige Laubfrosch, den mir Heinrich in einem Anfall von Rührung zum »Spielen« auf der Reise geschenkt hatte, mußte zu Hause bleiben, weil sein grünes Glas nicht mehr in den Koffer ging. Heinrich nahm sein Geschenk wieder, gab mir aber nun statt dessen vier weiße Mäuse, die ich in einem Pappkasten auf dem Schoße halten könnte. Eigentlich konnte ich Mäuse nicht leiden, aber da ich wußte, daß Heinrich Wert auf seinen Besitz legte, so wollte ich sie doch nicht zurückweisen. Jürgen nahm dann noch als Handgepäck eine Schachtel voll Grashüpfer mit, während uns Hans zur Reise einen Pferdezügel schenkte.

Am anderen Morgen hielt Heinrich früh vor der Tür, und wir waren sehr verschlafen. Ich war den letzten Abend spät ins Bett gekommen, weil ich bei mehreren Freunden lange Abschiedsbesuche gemacht habe. Auch hatte ich noch etliche Tränen vergossen über eine der vielen Enttäuschungen, die selbst ein Kinderleben nicht verschonen. Eine alte Freundin hatte mir als Reisegefährten einen zerbrochenen Käfig mit einem lebendigen Kanarienweibchen geschenkt. Es war ein liebes Tier, das nicht nur fortwährend piepste, es sollte auch in seinen Mußestunden mit großer Unverdrossenheit Eier legen. Man wird also begreifen, wie ich mich freute, einen solchen Schatz mein eigen zu nennen, und wie die verschiedensten Pläne mein Hirn durchkreuzten. Noch war ich nicht ganz entschieden, ob ich den Kanarienvogel für mich selbst zähmen oder ob ich ihn der Tante im Kloster mitbringen oder ob ich eine Hecke anlegen sollte; da kam das Schicksal in Gestalt zahlreicher Angehörigen und verbot mir die Annahme des Geschenks. Die Leute sagten nicht bloß, daß wir schon genug solch dummes Getier hätten, sie behaupteten auch, daß dieses alte Weibchen ein wertloser Besitz sei, mit dem man keine Hecke anlegen könne. Kurz, Heinrich mußte den Vogel seiner Besitzerin wiederbringen, und ich weinte sehr. Zugleich beschlichen mein Herz in betreff der weißen Mäuse so schlimme Ahnungen, daß ich beschloß, keinem Menschen etwas von ihnen zu sagen. Sie wurden mit einer Semmel in meine kleine Umhängetasche gepackt, und ich bohrte ein paar Löcher ins Leder, damit sie Luft bekommen könnten. Unter diesen Vorbereitungen war es sehr spät geworden, und so konnte man mich kaum erwecken, als die Reise nun vor sich gehen sollte. Der Abschied von den Meinen aber wurde Jürgen und mir sehr leicht; wir dachten nur an das bevorstehende Neue und fuhren, nachdem alle Müdigkeit abgeschüttelt war, seelenvergnügt davon. »Seid nur recht artig!« vermahnte uns Mutter noch, und wir lächelten mit großer Selbstgerechtigkeit. Wenn wir wollten, konnten wir unheimlich artig sein – die alten Damen sollten sich wundern! Großvater schenkte uns sogar noch Reisegeld, eine Gabe, die uns in Entzücken versetzte und die kühnsten Pläne in uns aufsteigen ließ.

Ehe wir uns aber noch darüber geeinigt hatten, was wir uns alles kaufen wollten, und ob man wohl an einem Tage für zwei Banktaler Bonbons essen könnte, ohne krank zu werden, waren wir schon am Sunde; Niels setzte uns über, und nun befanden wir uns in Holstein.

Dies war schon an und für sich ein so großes Ereignis, daß wir gegen unsere Gewohnheit ganz still wurden und unserem Vater folgten, der dem Fährhause zuschritt. Denn auch auf der holsteinischen Seite befand sich ein Fährhaus, das von einem Manne bewohnt war, der in dem Rufe unglaublicher Grobheit stand. Alle Reisenden, die unsere Insel besuchen wollten, empfing er mit den entsetzlichsten Vorwürfen über die Vermessenheit ihres Unternehmens. Auch sollte er sich mit Vorliebe den reisenden Damen in einem sehr wenig vorschriftsmäßigen Anzuge zeigen, besonders wenn sich die Post verspätete, und sie in der Nacht ankamen. Wir hatten in dieser Beziehung schon die interessantesten Geschichten von ihm gehört und hegten schon lange den leidenschaftlichen Wunsch, ihn kennen zu lernen. Da war es denn eine rechte Enttäuschung für uns. den Fährpächter in ganz anständiger Kleidung aus seinem Hause kommen und sogar den Hut vor unserem Vater abnehmen zu sehen. Und dieser Enttäuschung folgte sofort eine zweite: unser Vater hatte wohl Extrapost bestellt, sie war aber nicht da, und wir mußten warten. So etwas kam zu damaliger Zeit öfter vor, und die großen Leute hatten sich schon längst eine gewisse Resignation deshalb zugelegt. Vater zog also ein Buch aus seiner Reisetasche und setzte sich auf einen großen Stein am Wasser. Wir aber blickten sehnsüchtig hinüber nach unserer Heimatinsel. Auf dem blauen Wasser fuhr Niels mit einem großen Segelboote und »blinkerte« Dorsch; wir aber saßen auf dem Festlande und fühlten uns verlassen. Wir hatten zuerst das Fährhaus durchstreift, aber außer Tausenden von Fliegen nichts Sehenswertes gefunden, dann waren wir im Pferdestall gewesen, ohne auch da etwas Besonderes zu entdecken, und nun saßen wir am Wasser.

Jürgen sagte, »er hätte schon immer gesagt, daß er nicht mitreisen möchte: er wolle nicht ins Kloster, da sei es so langweilig; er wolle sein Taschentuch an die Flaggenstange binden, dann käme Niels und holte ihn.« Ich erwiderte, »dann wollte ich auch mit.« In diesem Augenblicke rief uns unser Vater. Er hatte einen großen Teller mit Butterbrot vor sich stehen, auch etliche Gläser voll Milch; dieser Anblick verbesserte unsere Stimmung, und als der Teller leer war, hatten wir schon wieder so viel Reisemut, daß wir in lautes Freudengeschrei ausbrachen, als sich die Extrapost endlich einstellte.

Sehr langsam ging es nun vorwärts, die Wege waren sandig, und der Wagen schaukelte beständig. Gottlob, daß es eine offene Halbchaise war, und so ging die Reise wenigstens ohne betrübende Zwischenfälle von statten. Nur daß wir heute nicht mehr ins Kloster kommen konnten, sondern unterwegs übernachten mußten, eine Nachricht, die uns sehr überraschend kam und uns mit mannigfachen Befürchtungen erfüllte.

»Gibt es wohl in Holstein Räuber?« fragten wir unseren Vater, der beim Beantworten unserer Fragen eine rührende Geduld an den Tag zu legen pflegte. Er verneinte entschieden; aber wir wurden doch sehr nachdenklich. Unser Großvater hatte als Student einmal ein Abenteuer mit Räubern in einem Wirtshause gehabt, und wenn er diese Geschichte erzählte, setzte er stets hinzu, man dürfe nie in einem fremden Wirtshause übernachten. Und nun sollten wir das heute tun! Jürgen und ich flüsterten viel miteinander, während sich Vater allerlei vom Kutscher erzählen ließ. Es gab eine Geschichte – wer hatte sie uns doch erzählt? – von einem Himmelbett, worin man, nachdem man eingeschlafen war, vom Betthimmel wie ein Pfannkuchen plattgedrückt wurde. Also für Himmelbetten dankten wir. Oder es kamen Diebe in das Schlafzimmer und nahmen einem alles weg, vielleicht sogar das Leben, wenn man aufwachte. Also man durfte nicht aufwachen; man mußte laut und tief atmen, am liebsten schnarchen, um die Menschen sicher zu machen. Wir übten uns also im Schnarchen, und dabei schliefen wir wirklich ein.

Als wir erwachten, hielten wir vor einem großen Hause. Die Sonne war im Untergehen, und wie uns der Hausknecht aus dem Wagen hob, sahen wir, noch schlaftrunken, auf die Straßen einer kleinen Stadt. Dann saßen wir plötzlich in einer kühlen, dunkeln Gaststube, sollten essen und mochten nicht, sondern blinzelten halb besinnungslos um uns.

Vater fand nicht viel Zeit, sich um uns zu bekümmern; er hatte zufällig einen Universitätsfreund getroffen, und beide Herren unterhielten sich lebhaft. Das Hausmädchen brachte mich zu Bette, während sich Jürgen energisch jede weibliche Hilfe verbat. Wir hatten zwei aneinanderstoßende Zimmer und glücklicherweise keine Himmelbetten. Als ich aber in den Kissen lag, wurde ich wieder vollständig wach. War es die ungewohnte Umgebung, das fremde Lager – kurz, alle Müdigkeit war von mir gewichen. Ich setzte mich im Bett aufrecht hin und suchte meine Gedanken zu sammeln. War ich wirklich fern von den anderen Brüdern, von der Insel, von zu Hause? Und als mir immer klarer wurde, daß ich mich in der Fremde befand, kam das bitterste Heimweh über mich, und das Gefühl eines solchen Leids, daß ich es noch heute empfinde.

Wie lange ich in die Kissen geschluchzt habe, weiß ich nicht; plötzlich aber öffnete sich die Tür, und Jürgen huschte herein. »Komm schnell!« rief er, »draußen vor der Tür spielen junge Katzen mit deinen Sonntagsstiefeln!«

In einer Sekunde war ich aus dem Bett und auf dem Vorplatz. Dort zerrten drei junge, halberwachsene Katzen seelenvergnügt an meinen Stiefeln, und die Katzenmutter saß auf der Bodentreppe und sah dem Treiben ihrer Kinder zu. Es war reizend – aber es waren doch meine Sonntagsstiefel, und ich stand ratlos vor der Notwendigkeit, mein bestes Eigentum möglichst zu schützen. Ich gönnte ja den Katzen ihr Vergnügen von Herzen, aber ich dachte auch an meine Mutter. Jürgen warf ihnen ein paar fürchterlich alte Pantoffeln hin, die er unter seinem Bett hervorgegraben hatte, aber die ließen sie liegen und bewiesen damit allerdings einen achtungswerten Geschmack – aber was sollte ich nun anfangen? Da durchzuckte mich ein rettender Gedanke: ich wollte ihnen eine weiße Maus opfern – nur eine, drei waren genug für die Tante. Sie lebten noch alle vier, vorhin erst hatte ich mich davon überzeugt, denn sie hatten nicht bloß die Semmel, sondern auch ein Stück Seife aufgefressen, das ich in die Tasche gesteckt hatte, Veilchenseife. Sie schienen ordentlich dick geworden zu sein, wie ich mich durch vorsichtiges Öffnen der Tasche überzeugt hatte. Die magerste von den vieren sollte also den Kätzchen überliefert werden. Zum Spielen natürlich; wenn sie dann schließlich verspeist wurde, schadete es auch nicht allzuviel.

Jürgen ging mit sehr viel Begeisterung auf meinen Plan ein, und weil er sich von mir an Großmut nicht übertreffen lassen wollte, holte er sein Grashüpferkästchen, um auch sein Teil zum Katzenvergnügen beizutragen. Aber Grashüpfer sind sehr unzuverlässig, sie waren alle verschwunden. Auf welche Weise sie ihre Flucht bewerkstelligt hatten, war uns ein Rätsel. Jürgen aber bemerkte ganz richtig, was verloren sei, das sei verloren, ich solle nur die Tasche mit den Mäusen holen. Dies geschah denn auch, Jürgen und ich knieten beide auf der matt erleuchteten Flur, die Katzen sprangen um uns herum, und wir versuchten, eine Maus aus der Tasche herauszuholen. Aber mir mochten sie nicht recht anfassen, und plötzlich geschah es, daß alle vier weißen Mäuse zwischen den Katzen herumliefen, daß die Katzenmutter beinahe einen Purzelbaum von der Bodentreppe schoß, um möglichst schnell zu ihnen zu kommen, und daß es eine große, interessante Jagd gab. Wir waren plötzlich mit unseren Stiefeln allein, und Jürgen meinte, wir sollten nur wieder zu Bett gehen.

Ich wußte nicht recht, wie ich meinen Verlust auffassen sollte, ob es besser wäre, zu weinen oder zu lachen. Da kamen Schritte die Treppe herauf, und wir huschten in unser Schlafzimmer, und als ich wieder im Bette war, schlief ich auch bald wieder und fuhr unwirsch in die Höhe, als Jürgen mich abermals rief. »Sieh doch auf und sieh aus dem Fenster! Sie werfen einen Betrunkenen aus der Tür, und er schimpft! Höre nur! aber der kann fluchen!«

So lagen wir denn aus dem weitgeöffneten Fenster hinaus und horchten mit Spannung auf den Monolog eines Arbeiters, dem die Tür gewiesen worden war. Spät konnte es noch nicht sein, denn es gingen noch Leute auf der Straße; wir meinten aber, es sei mindestens mitten in der Nacht, und kamen uns dabei ungemein interessant vor. Und alles, was der Arbeiter sagte, schien wunderhübsch zu sein, nur konnten wir leider den größten Teil seiner Rede nicht verstehen. –

Am anderen Morgen bestiegen wir wieder unseren Wagen, nachdem wir unsäglich viel Kaffee getrunken und Butterbrot dazu gegessen hatten. Ich war selig: der Wirt hatte mir eine junge Katze geschenkt.

»Das is ein kleinen Kater und ein feines Tier,« sagte er; »da wirst noch Spaß an haben! Und ein Mäusefresser! Was sein Mutter is, die is auch hinter die Mäusens her, wie nichts gutes. Heut ganz früh zog sie mit so'n weißen Diert herum, ich wußt gar nich, daß wir auch weiße Mäusens hatten! Na, das is denn ja auch einerlei: willst ihm haben, kannst ihm kriegen!«

Na, ob ich »ihm« haben wollte! Eilig nahm ich den kleinen, rot und schwarz getigerten Wollball an mich und erklärte, zeitlebens für ihn sorgen und ihn lieben zu wollen. Vater sah zwar etwas bedenklich aus, am liebsten hätte er wohl den Kater dankend abgelehnt; aber mein Jammer über das versagte Kanarienweibchen stand ihm vielleicht noch zu lebhaft vor der Seele. So durfte ich unbehelligt davonfahren, mein Geschenk auf dem Schoße.

Unterwegs entspann sich ein lebhafter Meinungsaustausch zwischen meinem Bruder und mir wegen eines Katernamens. Wir hatten eine Hauskatze, die auf den Namen »Miesch« hörte: so schlecht durfte dieses Tier nicht behandelt werden, die ganze biblische Geschichte, die großen und die kleinen Propheten boten ja reiches Namenmaterial für den Täufling. So beschloß ich denn, ihn Zephanja zu nennen, worüber Jürgen höhnisch lachte. Er war überhaupt etwas beleidigt, weil er keine Katze geschenkt bekommen hatte, und ich hatte nun unter seiner übeln Laune zu leiden. Er sagte, der Kater solle Garibaldi heißen; das wäre der hübscheste Name, den es gäbe. Zephanja wäre ein Jude gewesen, ein Jude aber dürfe nicht bei einem christlichen Kater Gevatter stehen. Da ich aber nie etwas von Garibaldi gehört hatte, und Jürgen auf meine Fragen nach ihm nur antwortete, Großvater habe manchmal von ihm vorgelesen, so widerstrebte ich diesem Namen heftig und äußerte mich über Garibaldi in einer Weise, die Jürgen in hohem Grade mißfiel. Ich schlug ihn, und er schlug mich wieder, dann weinten wir beide, und als sich Vater, der sich auf den Bock neben den Kutscher gesetzt hatte, ernsthaft nach uns umsah, trockneten wir unsere Tränen und zankten uns leise weiter. Ich warf Jürgen den Verlust meiner weißen Mäuse vor, und er sagte, ich wäre schuld, daß die Grashüpfer Reißaus genommen hätten, dann rief er plötzlich mit lauter Stimme nach Garibaldi, und ich nach Zephanja; denn der Kater war mein, und er sollte Zephanja heißen.

Aber Garibaldi alias Zephanja war nicht zu errufen. Er hatte unser kleines Handgemenge benutzt, auf Nimmerwiedersehen zu verschwinden. Wann er vom Wagen gesprungen, und wohin er gelaufen war, ist stets ein unaufgeklärtes Geheimnis geblieben. Jedenfalls war die ganze Streiterei gänzlich überflüssig gewesen, weil Vater nicht umkehren und Zephanja suchen lassen wollte; denn Zephanja sollte er in meiner Erinnerung heißen, das nahm ich mir vor, und nun hatte auch Jürgen nichts mehr gegen diesen Namen.

Die unerwartete Flucht des Katers gab dem Rest unserer Reise etwas abenteuerliches. Jeden Baum, an dem wir vorüberfuhren, sahen wir darauf an, ob etwa der Flüchtling darin säße – denn er konnte ja ebensogut vorwärts wie rückwärts geflohen sein, und Jürgen erzählte viele Geschichten von Flüchtlingen, die sich durch tausend Gefahren durchgeschlagen hatten. Auf diese Weise verging die Zeit sehr schnell, und als wir am Kloster ankamen, wunderten wir uns, daß es schon Mittag war.

Im Kloster wartete unser wieder eine Enttäuschung! Wir hatten natürlich angenommen, daß das »Kloster« ein Haus mit dicken Mauern und vielen kleinen Gängen sei. Nun befanden wir uns plötzlich in einem großen, schönen Garten. Überall blühten die Rosen und andere Blumen; zwischen Rasenflächen lagen alte und neue Häuser, und das Ganze sah aus wie ein Bild des Friedens und der Behaglichkeit.

Das Haus, vor dem unser Wagen hielt, war eins der ältesten des Klosters, so daß seine Bewohnerinnen vortrefflich hineinpaßten. Beide standen vor der Tür, als wir ausstiegen. Fräulein von Moldenwitt ziemlich mager und freundlich, Tante Emma ziemlich dick und sehr ernst. Mit einigen ermahnenden Worten nahmen sie uns in Empfang.

Ihr dürft bei Tante Emma nur immer »ja« sagen und sonst nichts antworten; dann hört sie am ersten auf! Mit diesem Rate hatten uns die älteren Brüder entlassen. Wir befolgten ihn andächtig und standen uns ganz gut dabei, denn da wir nur eine Antwort hatten, brauchten wir ihr ja auch nicht immer zuzuhören.

Es war ein über zweihundert Jahre altes Haus, das die beiden Damen bewohnten, und es hatte die sonderbarsten kleinen Stuben, winklige Treppen und Treppchen, einen weiten Bodenraum und einen köstlichen, halb zugewachsenen Garten, an dem ein breiter Graben vorüberfloß. Hier fingen wir gleich in der ersten Stunde nach unserer Ankunft so viele Grashüpfer, daß wir Sophie, die Köchin, um ein Gefäß ersuchen mußten, damit wir unsere Schätze unterbringen konnten.

Sophie war ein gutes Mädchen. Gleich zu Anfang unserer Bekanntschaft fragten wir sie natürlich nach ihrem Alter, und als sie uns lachend Aufklärung gegeben hatte, gingen wir in die beste Stube, wo Fräulein von Moldenwitt mit Tante Emma, Vater und einem Besuch saß, und erkundigten uns teilnehmend auch hier, wie alt die Damen wären. Fräulein von Moldenwitt erschrak sichtlich, lachte aber und sagte nichts, während Tante sehr rot wurde und einige ermahnende Worte an uns richtete, des Inhalts, daß man nach solchen Dingen nie fragen dürfe. Wir sagten »ja!« und flohen schleunigst wieder zu Sophien, die uns im ganzen freundlicher schien als die Damen im Wohnzimmer. Sie erzählte uns auch gleich, was wir heute essen würden, und wie viel Geschwister sie habe. Zweimal verlobt war sie auch schon gewesen, und letzte Weihnachten hatte sie ein schwarzes Kleid bekommen – alles Nachrichten, für die wir eine rege Teilnahme bekundeten. Denn auch unsere Mädchen waren sehr viel verlobt, und dann kam da doch nie was nach, wie sie sagten. Damit trösteten wir denn auch Sophien, die darauf erwiderte, daß eben jeder Mensch seine Drangsale habe, eine Bemerkung, der wir mit Überzeugung beistimmten.

Denn wenn wir's recht bedachten, wir hatten auch unsere Drangsale. Was sollten wir eigentlich im Kloster, da wir es doch so gut zu Hause hatten, wo die Kleinen so lustig krähten, und die Großen uns wohl manchmal pufften, uns aber niemals Reden hielten. Als Tante Emma nach einer Weile in die Küche kam, fand sie denn auch Jürgen und mich auf dem Holzkasten sitzen und weinen. Sophie aber hantierte am Herde herum und schluchzte mit uns um die Wette. Sie könnte keinen Menschen weinen sehen, erklärte sie; »und die kleinen nüdlichen Dingers auf'n Holzkasten, die haben so gräßliches Heimweh!«

Tante Emma hatte den Mund wieder voller Ermahnungen, aber diesesmal behielt sie sie doch für sich. Sie nahm die »kleinen Dingers«, wischte ihnen die Tränen ab und erzählte, daß es bald was gutes zu essen geben würde. Und bald saßen wir auch am reichgedeckten Tische, aßen alle möglichen Herrlichkeiten, tranken Bischof, und als die Abschiedsstunde für Vater schlug, ließen wir ihn gefaßten Mutes ziehen, obgleich wir ihm noch einmal zuflüsterten, er solle uns ja nicht zu lange hier lassen.

Wirklich hatten wir mit unseren Tränen den Heimwehtribut bezahlt. Wohl kamen hin und wieder noch Augenblicke, wo wir uns nach Hause sehnten; aber wir hatten doch zu viel neue Eindrücke in uns aufzunehmen, als daß wir nicht immer vollauf beschäftigt gewesen wären.

Fräulein von Moldenwitt war sehr gut gegen uns. Sie hatte einen Hund, der Kule hieß, und an den sie den größten Teil des Tages dachte, mit dem sie spazieren ging, und dessen Wohlbefinden sie beseligte. Wenn Kule schlief, dann saß sie allein in der besten Stube und las sich selbst die Zeitung vor, mit zitternder, etwas lachender Stimme und ohne jede Interpunktion. Abends suchte sie dann manchmal für uns das aus, was sie für unsere Gemüter für das unschädlichste hielt, nämlich das Vermischte. Auch unser Großvater pflegte uns, so lange wir denken konnten, etwas aus der Zeitung vorzulesen, meistens von Engländern und Franzosen: wir waren also an stilles Zuhören gewöhnt. Das »Vermischte« Fräulein von Moldenwitts gefiel uns aber bei weitem besser – besonders die Unglücksfälle. Ob dabei Feuer oder Wasser die Hauptrolle spielte, war uns ganz gleichgültig, wenn nur recht viele Menschen dabei ums Leben kamen. An den Vortrag der alten Klosterdame hatten wir uns bald gewöhnt, und sie fühlte sich geschmeichelt, daß wir ihr so andächtig zuhörten. Auf diese Weise bereicherte sich unser Wissen nach einer Richtung hin sehr, und wenn wir die Geschichten nachher wieder Sophien erzählten, so rief sie ein Oherrjeh! über das andere. Aber auch Kule gewährte uns Zeitvertreib. Er durfte, nach Fräulein von Moldenwitts Behauptung, nie gebadet, sondern nur gebürstet werden. Wir mußten nun täglich mit ihm spazieren gehen, und da warfen wir ihn jedesmal in den Bach, der das Kloster an einer Stelle durchschnitt. Seine Wasserangst, sein nachheriges Herumjagen und Fräulein von Moldenwitts Erstaunen, daß Kule wieder so geschwitzt habe, was er sonst nie tue, gewährten uns viel Vergnügen.

Sophie wußte um unser Geheimnis, aber sie verriet uns nicht, denn ihr war der Hund ein Greuel. »So'n altes Tier wird so gehöscht gepflegt. und is doch man ein alten Dorfteckel!« sagte sie. »Weiß nich mal ein Unterschied zu machen! Neulich hat er an ein Tag Komteß Anna ihr Kleid zerrissen und den Postboten ins Bein gebissen, und das will ein feinen Hund sein. Was mein ersten Bräutgam sein Swiegervater von die zweite Frau her war, der hat 'nen richtigen, feinen, echten Teckelhund gehabt! Oh was ein Tier! Der is jetzt bei die Baroneß Schilli, Julie. und der beißt bloß die Postbotens und die Schornsteinfegers, der weiß, was sich gehört; Kule abers is zu gemein zu so was! Hat neulich ein richtigen Baron die Hose zerrissen, wo man doch bei solchen Herrschaften nich mal sehen muß, daß sie eine Hose anhaben! Und nachher is gnä Fräulein bloß besorgt gewesen, ob Kule auch nicht ein Stück Hosenzeug versluckt hätte. Das is zu doll! Geht ihr man hin und laßt ihm ein büschen swimmen, das is gut für ihm!«

Auch sonst fanden wir Gelegenheit, allerhand zu tun, was uns unterhielt. Es hatte etwas sehr gemütliches, in dem großen Klostergarten umherzustreifen und eigentlich alles tun zu können, was man wollte. Jedes Haus lag für sich und hatte wieder seinen eigenen, abgeschlossenen Garten. Wir besuchten auch diese Privatgärten mit großer Unbefangenheit, ohne jemand um Erlaubnis zu fragen. Hin und wieder stießen wir dabei auf eine alte Dame, die uns erstaunt betrachtete, nach unserem Namen fragte, uns wohl auch etwas schenkte. Das war denn eine der vielen Klosterdamen gewesen, die wir niemals unterscheiden lernten. Einige waren Komtessen, andere Baronessen: noch andere gnä Fräuleins. Einige trugen braune, andere graue Strohhüte, sonst aber waren sie einander alle sehr ähnlich, und wir wußten nie, ob gestern Komteß Julie mit uns gesprochen hatte oder heute Baroneß Adeline.

Tante Emma tadelte uns sehr ob dieser Gedächtnisschwäche und hielt uns öfter eine längere Rede, in der sie uns auseinandersetzte, es sei eine große Ehre für uns, von diesen vornehmen Damen überhaupt freundlich behandelt zu werden. Wir sagten natürlich »ja« zu diesen Ermahnungen, Sophie aber stand auch hier wieder auf unserer Seite. »Mensch bleibt Mensch!« sagte sie, während sie kunstvoll ein Hähnchen spickte; »und Klosterdame bleibt Klosterdame. Bloß daß die einen ein Badienten haben und die andern keinen, das is der ganze Unterschied. Unser gnä Fräulein hat keinen Badienten, was den Dienst hier for mir sehr swer macht. Besonders im Winter. Denn es is nich gut, daß der Mensch allein sei; das hat unser Pastor auch gesagt, als vergangnen Jahr in unsre Klosterkirche 'ne Trauung war. Gott, wo war das schön! Christine, die Frau Prijörin ihr Kammerjumfer, mit'n Fremden aus Kiel! Ein feine Partie: ein Leichdornenoperatör und Zahnausreißer mit'n offnes Geschäft, und hatte noch gar kein einzige Frau vorher gehabt! Und Christine is doch gewiß in die Vierzigen gewesen. Aber wers Glück haben soll, der kriegts auch. Frau Prijörin hat die Braut sehr viel schöne Sachen geschenkt und nachher auch die Hochzeit ausgerichtet, und das ganze Kloster hat mit einmal von Christine gesprochen, was doch ne große Ehre war. Und der Bräutgam is auch dankbar gewesen und hat zu Frau Prijörin gesagt, wenn sie mal was an die Zähne oder die Füße hätt, so sollt sie man getrost zu ihn kommen. Er wollt allens gern besorgen und zum halben Preis; abers ich glaub nich, daß sie das annimmt. Sie is ordentlich stolz, und ihr Badienter auch, was ich gräsig von ihn finde, wo er doch nich mehr is als ich.«

Eines Tages rief mich Tante Emma, als ich gar keine Zeit hatte, ihrem Rufe Folge zu leisten. Ich baute nämlich gerade ein Kartenschloß für fünfundzwanzig frisch eingefangene Grashüpfer und konnte doch diese wichtige Beschäftigung nicht unterbrechen. Aber sie rief mich noch einmal, und als ich wieder bemerkte, sie müsse sich noch etwas gedulden, wurde Sophie geschickt, die mich bei der Hand nahm und sagte: »Komm man flink, die Ohlsch is bös!«

»Meine Grashüpfer laufen ja davon!« jammerte ich.

»Ach, steck die man in Tasche und denn dein Taschentuch über! So – nu komm man flink!«

In der besten Stube saß eine der Klosterdamen, und neben ihr Tante Emma. Die sah sehr böse aus, und meine Seele schrie nach Jürgen, der gerade im Nachbargarten die Kirschbäume untersuchte. Doch bewahrte ich äußerlich die nötige Unbefangenheit, denn mein Gewissen war in jeder Beziehung rein. Nun räusperte sich Tante Emma und begann in strengem Tone: »Bist du gestern in Baroneß Fridas Garten hineingeklettert?«

»Nein!« sagte ich.

»Hat Jürgen dort dem Gärtner einen Frosch an den Kopf geworfen?«

Ich schüttelte den Kopf.

»Und habt ihr beide Kirschen vom Spalier gestohlen?«

»Tante Emma, ergriff ich nun das Wort, die Geschichte ist nicht wahr. Ich bin nicht in den Garten hineingeklettert: neben der Tür ist ein Loch, da bin ich durchgekrochen, und Jürgen auch. Und es war kein Frosch, den Jürgen dem alten Manne an den Kopf geworfen hat, es war eine Kröte. Ganz gewiß, es war bloß eine Kröte mit gelben Flecken! und die Kirschen – die Kirschen waren furchtbar sauer, wir mochten sie gar nicht, es mußte eine sehr schlechte Sorte sein!«

Obgleich also meine Unschuld sonnenklar vor Augen lag, kam doch eine gewisse Bangigkeit über mich. Es ist auch zu schwer, es allen Leuten recht zu machen. So zog ich denn mein Taschentuch heraus und wischte mir die Augen, ein Umstand, den die Grashüpfer schon lange erwartet haben mußten, denn sie sprangen alle hinter meinem Taschentuche her; auf die Tischplatte, auf den Fußboden, auf das Sofa, so daß sich die Klosterdame mit großer Eilfertigkeit empfahl. Sie war mit einemmal gar nicht mehr neugierig, ob es ein Frosch oder eine Kröte gewesen wäre, die als Wurfgeschoß gedient hatte, und selbst Tante Emma überließ mir den Alleinbesitz der besten Stube und versparte ihre weiteren Bemerkungen auf später.

Bei dem Wiedereinfang der Grashüpfer half mir keine Menschenseele, ich bekam sie auch nicht alle wieder. Zwölf ganze und fünf halbe – mehr konnte ich trotz angestrengten Suchens nicht finden, und die fünf halben paßten nicht einmal zusammen. Fräulein von Moldenwitt aber wollte von nun an die Zeitung nicht mehr in der besten Stube lesen, und auch Kule ward der Zutritt verweigert; sein teures Leben hätte ja durch die Grashüpfer gefährdet werden können! So sagte Fräulein von Moldenwitt, die in ihrer Unschuld nicht ahnte, daß Kule die Bekanntschaft der Grashüpfer durch unsere Vermittelung schon in ausgiebigster Weise gemacht hatte.

Ich glaube, daß für den Besuch des fremden Gartens und auch für die Grashüpfer unser eine Strafe harrte; wenigstens redeten die beiden Damen viel zusammen und schüttelten dabei die Köpfe, während sie von Kindererziehung sprachen. Auch las uns Fräulein von Moldenwitt eine Reihe von Unglücksfällen vor, in denen unartige Kinder regelmäßig starben. Aus welcher Quelle sie diese Geschichten schöpfte, weiß ich nicht, wir fanden sie aber sehr nett und baten sie dringend, uns noch mehr der Art mitzuteilen, ein Verlangen, das sie mit Verlegenheit zu erfüllen schien.

Aber sie und Tante Emma konnten sich nicht über die Art unserer Bestrafung einigen, und so unterblieb sie denn, wie uns Sophie endlich mitteilte. Sie buk gerade einen Pudding, und wir »schmeckten« mit großer Beharrlichkeit, während sie nach ihrer Gewohnheit redselig meinte: »Was wahr is, muß wahr bleiben: ein paar Drivers Wildfänge. seid ihr, abers Jugend hat keine Tugend. Das hab ich auch zu gnä Fräulein gesagt, als sie mir um Rat fragte, was sie mit euch machen sollt. Gnä Fräulein, sag ich, lassen Sie die beiden man, wie sie sind, für anner Leute Kinder is man nich verantwortlich. Wenn man sie nun zum Beispiel hungern läßt, und sie denn krank werden, was denn? Oder einsperren? Du liebe Zeit – die stoßen mit'n Kopp an die Wände. Nee, gnä Fräulein, lassen Sie die Kinners man gewähren.« Dabei rührte sie triumphierend an der Fruchtsauce für den Pudding, während wir dieser interessanten Handlung mit Spannung zusahen.

Wir hatten die kleine Garten- und Grashüpfergeschichte bald wieder vergessen, und als Vater kam, uns abzuholen, tat uns der Abschied doch leid. Besonders Sophie verließen wir ungern, denn sie war sehr gut gegen uns gewesen und hatte uns mit allerhand Leckerbissen verwöhnt. Auch vom Klostergarten mit seinen Bäumen und Blumen, seiner Freiheit, seinem plätschernden Bach trennten wir uns schwer. Aber es mußte geschieden sein, und wir hielten es für unsere Pflicht, jeder Klosterdame, der wir am letzten Tage noch einmal begegneten, Lebewohl zu sagen. Auch sonst hatten wir einige Freunde erworben und wurden überall mit freundlichen Worten entlassen. Selbst die Baroneß, die uns verklagt hatte, schickte uns zum Abschiede noch ein Körbchen mit Kirschen, und als wir fortfuhren, stand Sophie weinend an der Haustür. Tante Emma hielt uns eine Rede, und Fräulein von Moldenwitt schenkte uns die letzte Zeitung mit einem prachtvollen Unglücksfall. Sie meinte, Papa solle uns die Geschichte unterwegs vorlesen, was er aber nicht tat. Wir hatten ja so viel zu erzählen, daß wir keine Zeit dazu fanden.

Da wir nicht denselben Weg nach dem Sunde zurückfuhren, kehrten wir auch nicht wieder in dem Wirtshause ein, wo wir übernachtet hatten, was wir sehr bedauerten, da uns Zephanjas Schicksal von neuem einfiel und plötzlich wieder sehr am Herzen lag. Als uns jedoch versichert wurde, Zephanja sei entweder tot oder lebe noch, fanden wir uns mit Fassung in die Unbestimmtheit seines Schicksals.

Zu Hause angekommen, hatten wir sehr viel zu berichten, so viel, daß uns manchmal Schweigen geboten wurde. Später sollten wir in der Privatstunde einen kleinen Aufsatz über unsere Reise ins Kloster machen. Da erklärten wir wie aus einem Munde, daß wir gar nichts mehr von dieser Reise wüßten, und daß wir auch gar nichts erlebt hätten, weder Feuer, noch Räuber, noch sonst einen Unglücksfall. Herr Sörensen sah auch endlich ein, daß wir von dieser Reise nichts erzählen konnten. Seit der Zeit sprachen wir nur mit Vorsicht von der Klosterreise; sie wurde für uns selbst immer geheimnisvoller, aber je mehr sie in die Vergangenheit rückte, desto schöner erschien sie uns. Nur in der Dämmerung sprachen wir zwei noch oft vom Kloster, von den Gärten und ihren Blumen, von Sophien und ihrer Küche, von Kule und den Grashüpfern, und wenn dann Jürgen und ich in ein nicht zu bannendes Gelächter ausbrachen, sagten die großen Brüder: »Nun hört nur die dummen Kleinen, die lachen wieder über gar nichts!« Aber wir wußten wohl, worüber wir lachten; wir sagten es nur nicht.


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