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6.
Zur Geologie der Küsten des Cumberlandgolfes.

Bearbeitet von den Herren Prof. Dr. Steinmann in Freiburg und Prof. Dr. Bücking in Straßburg.


Frühere Polarexpeditionen haben trotz der relativen Dürftigkeit der gemachten Aufsammlungen für die zwischen Grönland und dem nordamerikanischen Festland gelegenen Inseln als ein außerordentlich wahrscheinliches Resultat ergeben, daß der geologische Bau derselben nicht wesentlich von demjenigen des östlichen Kanada und dem mancher Theile der Vereinigten Staaten abweicht. Azoische Bildungen, durch Gneiße oder Granite repräsentirt, nur selten von andern Gesteinen unterbrochen, wurden vielfach als die Unterlage fossilführender, paläozoischer Sedimente erkannt. Die Lagerung der letzteren dürfte als eine ziemlich ungestörte zu betrachten sein. Hierauf deutet wenigstens die außerordentlich weite Verbreitung einer und derselben Formationsabtheilung hin. Bereits im Jahre 1852 konnte Salter im Appendix zu Sutherlands: Journal of a voyage in Baffins Bay and Barrow Straits das Vorhandensein obersilurischer Schichten an den Küsten des Lancaster Sound, der Barrow Strait und des Wellington Channel konstatiren, während weiter im Westen auf Melville Island Ablagerungen gefunden waren, die vom genannten Autor als möglicherweise der Steinkohlenformation angehörig gedeutet werden. Südlich und östlich von dem eben erwähnten Verbreitungsgebiete des Obersilurs an den Küsten von Prince Regent Inlet dürften dagegen untersilurische Schichten neben krystallinen Gesteinen vorherrschen, was Salter aus dem Vorkommen von Maclurea und Receptaculites schloß, welche von König und Jameson (im Appendix zu Parrys Reisebeschreibung) mit obersilurischen Versteinerungen zusammen beschrieben, aber nicht von denselben getrennt waren. Der Fundpunkt der beiden erwähnten Fossilien ist Iklulik an der Nordost-Ecke der Melville-Halbinsel.

Die gelegentlich der Deutschen Nord-Polarexpedition durch Herrn Dr. Ambronn in der Umgebung der Station gesammelten krystallinen Gesteine, sowie die von demselben bei Kekkerten von den Eskimos erworbenen Versteinerungen, ferner die von Herrn Dr. Boas während seiner Reise in den Jahren 1883–84 in der Davis Strait und im Cumberland Sound gemachten Aufsammlungen tragen zur Bestätigung der Ansicht bei, daß in der Umgebung des Cumberland Golfes krystalline Gesteine, von untersilurischen Schichten bedeckt, weit verbreitet sind.

Was zunächst die geologische Beschaffenheit der nächsten Umgebung der Deutschen Polarstation im Kingua-Fjord anbetrifft, so wurden von Herrn Dr. Ambronn ausschließlich krystalline Gesteine in jener Gegend angetroffen, über deren Charakter nachstehende Mittheilungen des Herrn Professor Bücking in Straßburg Aufschluß geben:

Das Gestein, welches an der nördlichen Seite des Fjords ansteht, ist ein sehr fester flaseriger Biotitgneiß. Quarz und Feldspath sind gegenüber dem Biotit vorwaltend; auch erfüllt Quarz nicht selten bis 3 Millimeter dicke, parallel der Schieferfläche verlaufende Lagen. Bei der Zersetzung, welcher sowohl Orthoklas als Glimmer unterliegen, scheidet sich in reichlicher Menge Epidot aus, was auf eine Zufuhr von Kalk bei der Veränderung des Gesteins hindeutet. Plagioklas, welcher im Gegensatz zu dem stark saussüritisirten Orthoklas noch recht frisch ist, wurde als ein nur spärlicher Gemengtheil erkannt.

Andere Gesteine von der Nordseite des Fjords im Bachthale und ohne nähere Fundortsangabe sind sehr feste und frische Gneiße, und im Allgemeinen auch ärmer an Biotit als das vorher erwähnte Gestein. Der Feldspath, welcher meist eine hellgraue, theilweise auch eine dunkelfleischrothe Färbung besitzt, ist durchweg ein Orthoklas mit sehr deutlich ausgeprägter Mikroperthitstructur. Der Biotit ist dunkelbraun gefärbt. Als accessorische Gemengtheile finden sich in reichlicher Menge Magneteisen, Eisenkies und Magnetkies. Einzelne Varietäten des Gneißes, zumal an der Nordseite des Fjords, erweisen sich als Cordieritgneiß. Der Cordierit in ihnen ist zuweilen noch recht frisch, oft aber auch in Serpentin und Sillimanit ganz oder theilweise, umgewandelt. Verbogene Glimmerlamellen und Quarzkörner mit wellig verlaufenden Auslöschungsrichtungen sind häufig zu beobachtende Erscheinungen; sie deuten darauf hin, daß die Gesteine sehr starken mechanischen Einwirkungen ausgesetzt gewesen sind. In den Gneißen wechseln nicht selten mit glimmerreichen und feinkörnigen Lagen grobkörnige und glimmerarme. Die letzteren sind in Zusammensetzung und Korn so ähnlich den im Nachfolgenden erwähnten Graniten, daß es naheliegt, diese Granite als etwas mächtigere glimmerarme Einlagerungen im glimmerreichen Gneiß aufzufassen und für beide Gesteine eine gleiche Art der Entstehung anzunehmen.

Das auf der Höhe des Wimpelberges anstehende Gestein ist nach den vorliegenden Handstücken zu urtheilen, ein ziemlich grobkörniger Granitit. An einzelnen Stücken herrscht der Orthoklas, der zum Theil fleischroth, zum Theil licht röthlichgrau gefärbt erscheint, gegenüber dem Quarz vor, an anderen sind Quarz und Feldspath zu gleichen Theilen vorhanden. Nur in untergeordneter Menge betheiligt sich an der Zusammensetzung des Gesteins der Biotit, hier und da mit chloritischen Zersetzungsproducten vergesellschaftet, noch sparsamer eine dunkele Hornblende. Unter den accessorischen Gemengtheilen fällt der reichliche Eisenkies auf. Der hell röthlichgrau gefärbte Feldspath zeigt einen schwachen bläulichen Lichtschein, wie ihn in stärkerem Maße der Orthoklas des Syenits von Christiania besitzt, und erweist sich bei der mikroskopischen Untersuchung als ein sehr fein struirter Mikroperthit, dem in größerer oder geringerer Menge äußerst feine schwarze nadelförmige Kryställchen eingelagert sind. Nicht selten ist er am Rand der Krystallkörner von dem rothen, mehr zersetzten Orthoklas umhüllt.

Etwas feinkörniger ist eine Abart von Granit, welche am oberen Theile des Wimpelberges aufgenommen, nicht von anstehenden Felsen abgeschlagen, wurde. Das Handstück zeigt eine stark geglättete Oberfläche und enthält neben Orthoklas und Quarz und ganz zurücktretendem Biotit ziemlich reichlich rothen Granat in Körnern und deutlichen Krystallen.

An der südlichen Seite des Fjords und genau im Süden der Station, in einer kleinen Bucht bei der Refraktions-Mire, ist das Granitgestein sehr grobkörnig und besteht aus fleischrothem Orthoklas, schwach bläulichem Quarz und wenigem Biotit. Auch hier ist, wie bei dem zuerst erwähnten Granit, unter den accessorisch auftretenden Eisenerzen der Eisenkies am häufigsten. Die bläuliche Farbe und der eigentümliche bläuliche Lichtschein der Quarze scheint mit seinen nadelförmigen Interpositionen, welche sie, ebenso wie die Feldspathe, enthalten, in Zusammenhang zu stehen.

Ein Granit aus dem Thale nördlich vom Fjord ist ein sehr stark zersetzter ziemlich fein- und gleichförmiger Hornblendegranit. Die sehr dunkele Hornblende verhält sich hinsichtlich ihrer leichten Schmelzbarkeit ganz ähnlich dem Arfvedsonit.

In dem Schwemmgebiet des Baches, welcher neben der Station in den Fjord mündet, findet sich ein durch die dunkelfleischrothe Farbe des vorwaltenden Orthoklases ausgezeichneter Granit. Ein Trum von dichtem Pistazit durchzieht das gesammelte Geschiebe. Auch hier ist der Feldspath ein Mikroperthit; an den Rändern zeigt er hier und da eine mikropegmatitische Verwachsung mit Quarz. Untergeordnet ist neben dem Orthoklas auch etwas Plagioklas vorhanden. Dieser läßt an dem unregelmäßigen Verlauf der Zwillingslamellen, welche stark wellig gebogen erscheinen, und zuweilen mehrfach zerrissen sind, erkennen, daß auch dieses Gestein, ebenso wie die vorher erwähnten, einem starken Druck ausgesetzt gewesen ist, welcher eine Deformation der Gemengtheile veranlaßt hat. Von basischen Constituenten, welche gegenüber dem Quarz und Feldspath sehr zurücktreten, sind unzersetzte Theile nicht mehr vorhanden; nach verschiedenen Durchschnitten zu urtheilen, scheint Hornblende vorhanden gewesen zu sein; auf sie deutet auch der reichlich beobachtete secundäre Pistazit.

Ferner liegen, abgesehen von größeren derben Stücken von Orthoklas und Quarz, aus der Nähe der Station noch folgende, von Herrn Ambronn gesammelte Mineralien vor:

  1. Magneteisen, in großen Stücken, mit einer sehr vollkommenen Spaltbarkeit nach allen Flächen des Oktaeders.
  2. Kupferkies, in derben Massen.
  3. Apatit in undeutlichen Kristallen; 2 und 3 eingewachsen in Magneteisen.
  4. Granat, in großen abgerundeten Krystallen, bis zu 6 Centimeter im Durchmesser. Die Form läßt auf eine Begrenzung durch das Ikositetraëder 202 schließen.
  5. Sillimanit in parallel-faserigen und feinstengligen Massen, derben Granat umhüllend.
  6. Diallag von hellgrünlicher Farbe und starkem Glanz, in einem sehr kleinen grünen, an Gabbro erinnernden Geschiebe.

Ueber das von Herrn Dr. Boas gesammelte Material von krystallinischen Gesteinen ist zu bemerken:

A. Deutlich geschichteter Gneis; liegt vor von folgenden Lokalitäten:

1. Biotitgneiß mit abwechselnd glimmerreichen und glimmerarmen Lagen:

2. Hornblendegneiß von sehr wechselndem Korn, z. Th. sehr grobkörnig von Naujateling (69° 50' Br.).

B. Massig ausgebildet erscheinen Gesteine, welche sich nach den Handstücken nicht mit voller Sicherheit bestimmen lassen, von folgenden Orten:

C. Den Eindruck von echten Graniten machen folgende, ihrer mineralogischen Zusammensetzung nach als grobkörnige zweiglimmerige Granite zu bezeichnenden Gesteine:

Nach seiner mineralogischen Zusammensetzung wäre demnach das Gestein als ein feinkörniger Augitdiorit oder Dioritporphyrit zu bezeichnen; von den dioritischen Lamprophyren würde es sich durch höheren Kieselsäuregehalt und anscheinend abweichendes geologisches Alter unterscheiden.

Die von Herrn Boas gesammelten Mineralien sind folgende:

  1. Biotit, in 5 Centimeter großen Krystallen und in bis 15 Centimeter großen Spaltungsstücken, von Aliba Head und Naujateliug (sehr deutlich nahezu einaxig).
  2. Muskowit, bis 15 Centimeter große Spaltungsstücke, von hellbrauner Farbe; deutlicher Zonarbau. Scheinbarer Axenwinkel ca. 84°; von Naujateling.
  3. Quarzkrystalle mit Chloritüberzug aus einer Kluft im Gestein, Ende des Rettiling Fjord bei Kangia und bei Rettiling selbst; derber Quarz von Kekkerten.
  4. Magneteisen mit Kupferkies, von »Oberhalb Tininikdjua,« Nettiling Fjord.
  5. Magnetkies, derb und gemengt mit Magneteisen, Quarz, Biotit und Muskowit; Eskimo-Name Kautang; von Aliba Head, steil ausgerichtete Lagen, Hittketahhull, Salmon Fjord, Streichen NW–SO. Fallen 60°. –

Die eben gemachten Mittheilungen zeigen die ausgedehnte Verbreitung krystalliner Gesteine an der Ostküste der Cumberland-Halbinsel und im Cumberland Sound. In der Breite des letzteren scheinen die Silurschichten erst weiter im Westen zu beginnen, denn die zahlreichen zur Untersuchung vorliegenden Versteinerungen stammen sämmtlich vom Westende des Cumberland Sound; sie wurden z. T., wie schon erwähnt, von Herrn Dr. Ambronn von den Eskimos und den Angestellten einer schottischen Walstation erworben, welche sie vom Lake Kennedy hergebracht hatten, z. T. sammelte sie Herr Dr. Boas in der Nähe des genannten Sees bei Nettiling. Die Uebereinstimmung der Stücke der beiden Suiten ist eine so außerordentlich auffällige und der Erhaltungszustand der Reste ein so durchaus ähnlicher, daß sich ohne Weiteres annehmen läßt, daß sie alle denselben Schichten entstammen. Sie wurden offenbar an den Ufern des Lake Kennedy aufgelesen, denn sie sind durchweg abgerollt, aber doch z. T. sehr wohl erkennbar. Das Gestein ist ein graugrüner oder graugelblicher Kalkstein. Der Charakter der Fauna von Nettiling wird durch das Vorherrschen nachstehender Formen bedingt: Receptaculites, Heliolites, Monticulipora, Streptelasma, Orthis, Maclurea, Orthoceras, Cyrtoceras, Leperditia. Diese Gattungen bilden weitaus den größten Theil des gesammelten Materials, alle anderen Formen treten dagegen zurück.

Receptaculites occidentalis Salt. Diese für das obere Untersilur Kanadas bezeichnende Art findet sich in leidlich gut erhaltenen Bruchstücken sehr häufig bei Nettiling.

Monticulipora. Verschiedene Arten dieser Gattung, deren Maximalentwicklung bekanntlich in das Untersilur fällt, liegen in abgerollten Bruchstücken vor.

Heliolites dubius Schmdt. Eine bekannte untersilurische Art, sowie verwandte, bisher noch nicht beschriebene Formen dieser Gattung.

Halysites escharoides Lk. sp. In kleinen Bruchstücken (aus Unter- und Obersilur bekannt).

Syringopora sp. Vereinzelte Bruchstücke, bisher nur obersilurisch bekannt. Das einzige, möglicherweise auf Obersilur hinweisende Fossil.

Streptelasma corniculum Hall. Die bekannte untersilurische Art, welche in ganz Nordamerika verbreitet ist, kommt auch bei Nettiling außerordentlich häufig vor.

Schizocrinus nodosus Hall. Einzelne Stielglieder nebst anderen weniger sicher zu deutenden Crinoidenresten.

Nachstehende Brachiopoden stimmen sämmtlich mit Arten aus der Cincinnatigruppe der Vereinigten Staaten überein:

Orthis disparilis Conr., emacerata Hall (sehr häufig), insculpta Hall; Strophomena rhomboidalis var. stenuistriata Hall.

Unter den Gastropoden ist besonders die Gattung Maclurea hervorzuheben, da sie für das Untersilur leitend ist. Der abgerollte Zustand der Stücke läßt eine specifische Identifikation nicht zu. Murchisonia subfusiformis Hall (aus der Trentongruppe bekannt).

Cephalopoden treten sehr zahlreich auf, lassen sich aber nur generisch bestimmen. Sie gehören den Gattungen Orthoceras, Endoceras, Gonioceras und Cyrtoceras an.

Unter den Crustaceen herrschen wohlerhaltene Leperditien vor, welche sich als Leperditia fabulites Conr. (wie sie Jones 1881 Ann. a. Mag. Nat. Hist. V. Ser. Vol. VII pag. 342 abgegrenzt hat) bestimmen ließen. Sie ist im nordamerikanischen Untersilur überaus häufig und weit verbreitet und wird bei Jones von Neile Bay (Port Neill) im Prince Regent Inlet citirt, einer Gegend, von wo sonst nur obersilurische Fossilien bekannt geworden sind.

Trilobiten treten selten, aber in verhältnißmäßig großer Mannigfaltigkeit auf. Es fanden sich:

Encrinurus sp., dem untersilurischen E. multisegmentatus Portl., nahestehend, aber mit relativ breiterem und kürzerem Schwanzschilde.

Illaenus (Bumastes) cf. orbicaudatus Bill. Diese Art wurde von Billings ebenfalls aus dem Untersilur von Anticosti beschrieben.

Cheirurus (Sphaerocoryphe) cf. granulatus Ang. In einzelnen kugeligen Glabellen.

Sphaerexochus sp., vielleicht mit dem mangelhaft bekannten Sph. parvus Billings aus dem Untersilur Kanadas identisch.

Sehen wir von dem vereinzelten Vorkommen der Gattung Syringopora ab, so weisen sämmtliche bestimmbare Reste auf ein untersilurisches Alter der Ablagerung von Nettiling hin. Die Frage, ob obersilurische Schichten neben den untersilurischen entwickelt sind, läßt sich nach dem Vorkommen der erwähnten Korallengattung zwar nicht unbedingt verneinen; aber es scheint doch gewagt, bei dem sonst einheitlich untersilurischen Charakter der Fauna nach wenigen Bruchstücken einen Rückschluß auf das Vorhandensein des Obersilurs in jener Gegend zu machen, und wir können demnach als Resultat unserer Untersuchungen mit an Gewißheit grenzender Wahrscheinlichkeit die Behauptung aufstellen, daß das krystalline Gebirge, welches an den Küsten des Cumberland Sound, sowie an der Ostküste der Cumberland-Halbinsel an zahlreichen Punkten konstatirt werden konnte, gegen Westen zu in der Umgebung von Nettiling und des Lake Kennedy ausschließlich von untersilurischen Kalksteinen überlagert wird.


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