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2.
Allgemeines über die Vegetation am Kingua-Fjord.

Von Dr. H. Ambronn, Privatdocent der Botanik in Leipzig.


Obwohl es mir nicht möglich ist, ein allgemeines Vegetationsbild des in Betracht kommenden Gebietes aus eigener Anschauung zu entwerfen, so will ich doch versuchen, auf Grund der zahlreichen persönlichen Mittheilungen und des vorliegenden Pflanzenmaterials eine kurze Schilderung der floristischen Verhältnisse zu geben.

Das ganze Küstengebiet, welches von den Expeditionsmitgliedern besucht werden konnte, besteht fast ausnahmslos aus schroff in das Meer abfallenden Felswänden; von einer Strandflora im gewöhnlichen Sinne des Wortes kann demnach kaum die Rede sein; nur in manchen tieferen Einschnitten finden sich Schwemmländer, aber meist von sehr geringer Ausdehnung, vor. Auf einem derselben befanden sich bekanntlich die Gebäude der Station; da dieses wohl das an Fläche bedeutendste war, wenigstens in dem in Betracht kommenden Bezirk, so können die daselbst beobachteten Vegetationsverhältnisse auch für die anderen ähnlichen Gebiete als maaßgebend angesehen werden. Die zunächst liegenden Höhen und deren Abhänge wurden naturgemäß am eingehendsten durchsucht und nach den den Pflanzen beigefügten Etiketten scheint überhaupt der größte Theil des überbrachten botanischen Materials von dem genannten Vorlande und den direkt angrenzenden Höhen herzustammen, denn Angaben, die auf andere Fundorte wie Seitenthäler, kleine Gebirgsseen hindeuten, finden sich nur bei verhältnismäßig wenigen Pflanzen vor. Leider ist eine nicht unbeträchtliche Zahl von Arten überhaupt ohne jede Bezeichnung von Fundort und Blüthezeit, wie sich aus der genaueren Aufzählung der einzelnen Formen ersehen läßt. Es rührt dies daher, daß die ganze Sammlung von verschiedenen Mitgliedern der Expedition zusammengetragen und dabei eine einheitliche Bezeichnungsweise nicht durchgeführt wurde.

Die Höhenunterschiede, welche in dem Gebiete in Betracht kommen, sind nur geringe, so daß hierdurch wesentliche klimatische Unterschiede nicht hervorgerufen werden können. Die im Umkreis von etwa 3 bis 4 Meilen von der Station vorhandenen Berge erheben sich nirgends über 300–350 Meter. Die einige Male erwähnten kleineren Gebirgsseen enthalten Süßwasser und werden von den aus dem Innern des Landes kommenden Schmelzwässern gespeist, sie liegen theilweise etwa 100–150 Meter über dem Meeresspiegel. Die Schwankungen ihres Niveaus sind nur sehr unbedeutende, da durch kleine Rinnsale, die theils direkt zum Meere – manche der Seen liegen nur einige hundert Meter von der Küste entfernt – theils nach Bachläufen gehen, jedes bedeutendere Steigen des Wasserstandes vermieden wird. Da außerdem die Gesammt-Niederschlagsmenge nur eine geringe ist (vergl. d. Meteorolog. Ergebnisse im Bd. I) und somit ein stärkeres Anschwellen der Bachläufe in kurzer Zeit überhaupt nicht eintritt, so kann – abgesehen von dem durch die starke Gezeitenströmung bedingtem Inundationsgebiete – von zeitweise überschwemmten und dann wieder trocken gelegten Landstrecken kaum die Rede sein. Moosige Stellen sind nur wenige vorhanden und sie finden sich wohl nur dort, wo die Schmelzwässer nicht den nöthigen Abfluß haben oder an Orten, wo Quellen auftreten. Jedenfalls ist eine derartige Beschaffenheit des Bodens nur auf enge Bezirke beschränkt und kann so unmöglich den Charakter der Flora bestimmen, wie dies in manchen anderen arktischen Gebieten der Fall ist.

Berücksichtigt man noch, daß bedeutendere Temperaturunterschiede zwischen dem Hügelgebiete und den Vorländern, wie schon gesagt, nicht vorhanden sein können, so erkennt man, daß die floristischen Verhältnisse in der nächsten Umgebung der Station im Wesentlichen nur zwei verschiedene Vegetationsbezirke darstellen, nämlich einerseits die Vegetation der Schwemmländer und die mit derselben die größte Aehnlichkeit zeigende an den Ufern jener kleinen Gebirgsseen, wo Feuchtigkeit, Bodenbeschaffenheit etc. ungefähr dieselben Bedingungen bieten; und andererseits die Flora der felsigen Bergabhänge. An diesen ist ähnlich wie auf den Gipfeln selbst der Humus nur von sehr geringer Mächtigkeit und auch Wasserzufuhr nur spärlich vorhanden, da größere Schneemengen wohl in einzelnen Schluchten sich finden, an den meisten anderen Orten dagegen fast ganz mangeln. Ist an und für sich die durchschnittliche Dicke der Schneedecke nur eine geringe, etwa 40–50 Centimeter, so fehlt sie naturgemäß an abschüssigen Partien, sowie an solchen, die den reichlich auftretenden stürmischen Winden ausgesetzt sind, nahezu gänzlich. Dafür finden sich allerdings in einzelnen Spalten und auch an manchen Orten der Schwemmländer, besonders in der Nähe der Bachufer, häufig genug mächtige Schneewehen, die auch im Sommer theilweise zurückbleiben.

Sieht man von den ebenerwähnten vegetationslosen Stellen ab und berücksichtigt außerdem, daß an ganz kahlen Felspartien, sowie auf dem Inundationsgebiete der Gezeitenströmung keine höheren Gewächse vorkommen, so kann man im Uebrigen sagen, daß die vorhandene Pflanzendecke eine ziemlich dichte ist. Außer den genannten Orten kommen ganz vegetationslose Strecken von größerer Ausdehnung wohl kaum vor, denn wenn auch die Gesammt-Niederschlagsmenge eine geringe ist, so ist doch überall genügend Feuchtigkeit vorhanden, um das Gedeihen von Pflanzen zu ermöglichen. Eine allzu große Trockenheit des Bodens, die selbst dem kümmerlichen Wachsthum der arktischen Pflanzen ein Ziel setzt, ist in dem Gebiete wohl nirgends anzutreffen. Wenn auf den Etiketten gelegentlich die Bezeichnungen »von ganz vegetationsloser Stelle« u. dergl. gegeben wurden, so kann dies natürlich nur bedeuten, daß an den betreffenden Orten, gewöhnlich Felspartien, nur einzelne Exemplare gefunden wurden, wobei die Sammler außerdem vorhandene Flechten- oder Moosrasen höchst wahrscheinlich öfters übersahen.

Ueber die Vertheilung der einzelnen Arten im Gebiete selbst lassen sich in Folge der mangelhaften Bezeichnungen nur allgemeine Andeutungen geben. An den Bergabhängen finden sich hauptsächlich Dryas integrifolia, Potentilla Vahliana, Saxifraga tricuspidata, Diapensia lapponica, Papaver nudicaule, Arctostaphylos alpina, Polygonum viviparum, außerdem aber auch nicht selten die sonst in sumpfigen Gegenden vorkommenden Vaccinium uliginosum und Ledum palustre. Auf dem Schwemmlande überwiegt Cassiope tetragona, ferner Empetrum nigrum, an trockenen Stellen Loiseleuria procumbens, Hierochloa, Carex, sowie andere Gräser und Cyperaceen, während Pedicularis hirsuta besonders an den Ufern der kleinen Seen sich vorfindet. Phyllodoce coerulea scheint ähnlich wie Ledum palustre ziemlich gleichmäßig an Abhängen und im Thale verbreitet zu sein.

Obwohl die Temperaturverhältnisse gerade dieses Theiles der Polargegenden – wenn wir allgemein das Baffinland in Betracht ziehen – außerordentlich ungünstig sind, so ist doch die Vegetation nicht so spärlich, als man von vornherein erwarten könnte. Nach den meteorologischen Ergebnissen ist speziell das Klima von Kingua als ein arktisch-kontinentales zu bezeichnen. Während der Beobachtungszeit ging das Thermometer zu mehreren Malen bedeutend unter den Gefrierpunkt des Quecksilbers herab, der tiefste Stand war -48 Grad Celsius. Daß unter diesen Umständen auch die Schneedecke, die überhaupt nur von geringer Dicke ist, keinen ausgiebigen Schutz für die Pflanzen bildet, ist leicht ersichtlich und es bleibt deshalb nur die Annahme übrig, daß jene Gewächse ohne Schaden solche starke Kälte aushalten können. Von Kjellmann Aus dem Leben der Polarpflanzen, in »Studien und Forschungen etc.« von Nordenskjöld. Deutsche Ausgabe. Leipzig 1885. ist bereits mehrfach darauf hingewiesen worden, daß die arktischen Pflanzen auch ohne weiteren Schutz lange Zeit hindurch bei sehr niedrigen Temperaturen lebensfähig bleiben, daß selbst zartere Organe wie Blüthenknospen, die im Sommer nicht mehr zum Aufblühen gelangten, im Verlaufe des langen arktischen Winters, während dessen die Temperatur auf unter -46 Grad zurückging, sich unversehrt erhielten und im darauf folgenden Sommer zur Entfaltung gelangten.

Erwägt man noch, daß auch die im Boden steckenden Wurzeln fast ebenso hohen Kältegraden ausgesetzt sind, so muß man für die arktischen Gewächse eine außerordentliche Widerstandsfähigkeit annehmen. Wodurch die letztere bedingt wird, darüber läßt sich vorerst nicht das Geringste aussagen. Mag auch bei einigen Formen eine reichere Behaarung oder ein resistenterer Bau der Vegetationsorgane sich bemerklich machen, so ist doch damit keineswegs ein spezifischer Charakter arktischer Pflanzen gegeben und derartige Schutzeinrichtungen können gegenüber den Einwirkungen des rauhen Klimas kaum in Betracht kommen. Auch giebt es ja eine ganze Reihe anderer hochnordischer Arten, denen ein dichteres Haarkleid oder ähnliche Schutzmittel gänzlich fehlen und die doch ebenso lebensfähig sind wie die übrigen.

Der langen Winterruhe folgt dann ein höchstens 2–3 Monate dauernder Sommer und diese kurze Zeit muß deshalb um so ausgiebiger von den Pflanzen benutzt werden, denn die allermeisten derselben vollenden in dieser Periode ihre Blüthezeit und Fruchtreife. Sobald der Boden durch die Einwirkung der Insolation etwas aufthaut, beginnt auch das Pflanzenleben sich zu regen. Da dieses Aufthauen nur bis in eine Tiefe von etwa 30–40 Centimeter geht, so ist von vornherein ein tieferes Eindringen der Wurzeln in den Boden ausgeschlossen. Es ist überhaupt das Wurzelsystem der arktischen Gewächse nur von geringen Dimensionen und der größte Theil der perennirenden Organe befindet sich jedenfalls über der Bodenoberfläche. Sehr bald schon, nachdem die Temperatur während mehrerer Stunden des Tages über dem Gefrierpunkt liegt, gegen Ende April und während des Mai, beginnt das Austreiben der Knospen, die dabei noch sehr häufig auftretenden Frosttage können die Weiterentwicklung wohl verzögern, bleiben aber sonst in der Regel ohne schädlichen Einfluß auf die Lebensfähigkeit der jungen Organe. Im Juni und Juli, oft auch schon eher, wie z. B. bei den Weiden, entfalten sich die Blüthen, und Ende Juli oder im Laufe des August finden sich an den meisten Gewächsen bereits reife Früchte. In manchen Fällen dürfte die Fruchtreife wohl auch erst im nächsten Sommer zur Vollendung gelangen. Einjährige Gewächse, die nur durch Samen ihre Erhaltung von Jahr zu Jahr ermöglichen können, gehören bekanntlich unter den arktischen Pflanzen zu den Seltenheiten. Bei den perennirenden Gewächsen kommt jedenfalls außer der Fortpflanzung durch Samen, die für einige wohl überhaupt als fraglich bezeichnet werden muß, ganz besonders die vegetative Vermehrung in Betracht. Aber auch diese ist nicht so ausgiebig vorhanden, als man erwarten könnte, und es wird deshalb in erster Linie die Erhaltung des Individuums angestrebt. Hauptsächlich sind es die Holzgewächse, welche in dieser Hinsicht merkwürdige Beispiele darbieten. Das Alter der kaum 10–20 Centimeter über den Boden sich erhebenden Sträucher ist in vielen Fällen ein sehr hohes, und dabei beträgt der Durchmesser solcher 20–30jährigen »Stämme« kaum einige Millimeter.

Ich will im Folgenden einige kurze Mittheilungen geben, die sich auf Alter und Dimensionen der in den Sammlungen von Baffinland vorhandenen Holzgewächse beziehen. Es ist dabei, wie ich ausdrücklich bemerke, nicht blos von dem Material der Nordexpedition die Rede, sondern es wurden zur Untersuchung auch verschiedentlich Exemplare aus der Boas'schen Sammlung benutzt. Eine nähere Zählung der Jahresringe ist nicht immer möglich, bei makroskopischer Betrachtung oder mit einer schwachen Lupe ist man nur in wenigen Fällen im Stande, die Unterschiede zwischen Herbst- und Frühjahrsholz zu erkennen. Es wird deshalb nöthig, das Mikroskop zu Hülfe zu nehmen, aber eine Untersuchung mit stärkerer Vergrößerung bringt gleichfalls Schwierigkeiten bei der Zählung der Ringe mit sich, da bei dieser Methode wiederum die scharfe Umgrenzung des Herbstholzes oft nur schwer zu erkennen ist. Am besten gelang es mir noch bei etwa 150facher Vergrößerung und schiefer stark abgeblendeter Beleuchtung annähernd sichere Zählungen vorzunehmen. Soweit es möglich war, wurden die gefundenen Zahlen mit den aus dem jährlichen Längenzuwachs sich ergebenden verglichen, doch ist die Bestimmung der Länge und Anzahl aufeinanderfolgender Jahrestriebe in einigen Fällen, wo die Achsen dicht mit alten Blättern überdeckt sind, wie bei Dryas und Arctostaphylos kaum möglich.

Den geringsten jährlichen Zuwachs sowohl in die Dicke wie in die Länge fand ich bei Salix herbacea. Jedes Jahr wird bei dieser Weide nur ein Blattpaar und gewöhnlich ein Blüthenkätzchen gebildet, die Länge des Jahrestriebes beträgt dabei nur wenige Millimeter, ein etwa 10jähriges Stämmchen hat kaum eine Höhe von 30 Millimeter. Ein 6jähriger Zweig zeigte auf dem Querschnitt einen größten Radius – die Stämme sind in der Regel stark excentrisch – von 0,12 Millimeter, so daß sich für den einzelnen Jahresring nur eine durchschnittliche Breite von etwa 0,02 Millimeter ergiebt. Ein alter Stamm besaß einen größten Radius von etwa 0,56 Millimeter, wonach man also auf ein Alter von 28–30 Jahre schließen könnte, wenn man die Annahme macht, daß die Breite der Jahresringe sich nicht wesentlich ändere. Diese Annahme wäre aber wohl kaum berechtigt, denn es ist bekannt, daß die Breite der Jahresringe von einer bestimmten Zeit an abnimmt. Man wird deshalb kaum fehl gehen, wenn man das Alter jenes Stämmchens auf etwa 40 Jahre schätzt, womit auch die Messung der Sproßachsen besser übereinstimmt. Geht man von dieser letzteren Messung aus und vergleicht damit den Querschnitt bei stärkerer Vergrößerung, so ergiebt sich allerdings, wie dies in ähnlicher Weise schon von G. Kraus II Deutsche Nordpolfahrt, II. Bd. Bemerk über Alter und Wachsthumsverh. ostgrönl. Holzgewächse. für Vaccinium uliginosum gefunden wurde, daß die späteren Jahresringe in der Regel nur aus einem Gefäße und einigen anderen Zellen in radialer Richtung bestehen.

Dieselbe geringe Ausdehnung der Jahrestriebe zeigt auch nach Kjellmann l. c. S. 484. die mit Salix herbacea ihrem Habitus nach fast ganz übereinstimmende S. polaris. Auch bei dieser erreichten die einzelnen Triebe nur eine Länge bis höchstens 5 Millimeter, doch wurden auch solche von nur 1 Millimeter beobachtet.

Während wir in Salix herbacea außerordentlich geringe Zuwachse konstatiren konnten, zeigt sich bei S. groenlandica gerade das Umgekehrte. Hier finden sich von allen untersuchten Holzgewächsen die breitesten Jahresringe und die längsten Triebe. Das untersuchte Exemplar hatte einen knorrigen niederliegenden Stamm, dessen größter Radius etwa 3 Millimeter betrug. Eine deutliche Unterscheidung von Jahresringen war an diesem Theile der Pflanze nicht möglich, im Vergleich mit dem sicherer zu ermittelnden Alter der Zweige kann man diesen Stamm auf etwa 10–12 Jahre schätzen, was immerhin für einen Jahresring etwa die Breite von 0,25 Millimeter ergeben würde. Wesentlich anders als dieser niederliegende Stamm verhalten sich die an demselben stehenden aufrechten schlanken Zweige. An ihnen sind die einzelnen Jahrestriebe durchschnittlich 10–15 Centimeter lang und die Jahresringe lassen sich auf den Querschnitten sehr deutlich auch schon makroskopisch erkennen. Der größere derselben war 3 Jahre alt und besaß einen Radius von 0,1 Millimeter, der älteste Jahresring war 0,22 Millimeter breit, der zweite 0,34 Millimeter, der dritte erreichte sogar eine Breite von 0,54 Millimeter. Hiermit stimmen auch die von Kraus l. c. S. 135. gefundenen Werthe für S. arctica Pall. überein; es erscheint demnach auch unter den sehr ungünstigen Temperaturverhältnissen noch ein ziemlich lebhaftes Wachsthum dieser Weidenformen stattzufinden, allerdings verhalten sich dabei offenbar die aufrechten Zweige etwas anders, als die niederliegenden älteren Stämme. Das erwähnte Exemplar aus der Sammlung der Nordexpedition trägt die Etikette »Erste Knospen schon Ende März, blühend im Mai«. Daraus geht hervor, daß die Vegetationsperiode dieser Weide schon sehr früh beginnt, und da während des ganzen Sommers eine größere Anzahl Blätter, etwa 6–10, gebildet werden, so kann bei der verhältnißmäßig langen Dauer des Wachsthums auch reichliches Material zum Aufbau der Jahrestriebe verwendet werden. Daß noch bedeutend stärkere Stämme dieser Weiden in Baffinland vorkommen, läßt sich aus einer mündlichen Mittheilung des Herrn Dr. Boas schließen; leider sind die von dem genannten Herrn gesammelten Stämme in Folge eines Schiffbruchs verloren gegangen.

Von Dryas integrifolia wurden einige Exemplare untersucht, doch stellte sich das Resultat nur bei einem derselben als sicher heraus, da die älteren Stammpartien meist nicht gut erhalten waren und andere Messungen aus den oben angegebenen Gründen nicht vorgenommen werden konnten. Die Jahresringe waren ziemlich deutlich zu erkennen, der Stamm war stark excentrisch, so daß der größte Radius 0,8 Millimeter, der kleinste dagegen nur 0,12 Millimeter betrug. Die Zählung der Ringe ergab ein Alter von etwa 22 Jahren.

Selbst wenn auch die Jahresringe wie bei dem eben erwähnten Exemplare ziemlich deutlich zu unterscheiden sind, so ist eine ganz sichere Angabe über das Alter doch nicht immer möglich, denn man kann wohl annehmen, daß bei den eigenthümlichen Wachsthumsverhältnissen der arktischen Holzgewächse die als Verdoppelung der Jahresringe bekannte Erscheinung nicht selten eintreten wird. Da auch häufig im Sommer noch längere Zeit hindurch kalte Witterung herrscht, so kommt das bereits eingeleitete Dickenwachsthum wieder zum Stillstand, um erst bei erneutem Eintritt höherer Temperaturen wieder seinen Fortgang zu nehmen. Es ist deshalb sehr leicht denkbar, daß derartige Einwirkungen sich auch im anatomischen Bau des Holzes durch bestimmte Grenzen bemerklich machen werden, und man darf deshalb nicht jede derartige Zone als einen vollendeten Jahresring auffassen. Es mögen aus diesem Grunde manche Angaben wohl etwas zu hoch ausfallen, und es ist die Vorsicht geboten, allzuschmale Zuwachszonen unberücksichtigt zu lassen, vor Allem aber die bei anderen Exemplaren gefundenen Durchschnittswerthe für die Breite der Jahresringe zu vergleichen. Immerhin wird es schwierig sein, in dieser Hinsicht Fehler zu vermeiden. Diese Bemerkungen gelten für alle noch zu besprechenden Holzgewächse.

Von Empetrum nigrum konnten zwei Exemplare untersucht werden. Beide zeigten, abweichend von der Kraus'schen Angabe, l. c. S. 134. sehr deutliche Jahresringe. Das ältere Exemplar hatte einen größten Radius von 1,4 Millimeter, einen kleinsten von 0,35 Millimeter, die Zählung der Jahresringe ergab ein Alter von etwa 16 Jahren. Das zweite war gleichfalls sehr excentrisch gewachsen; größter Radius 1,12 Millimeter, kleinster Radius 0,3 Millimeter, zeigte 12 Jahresringe.

Von Ericaceen, die den größten Theil der strauchartigen Gewächse bilden, wurden Arctostaphylos alpina, Loiseleuria procumbens, Cassiope tetragona, Phyllodoce coerulea, Ledum palustre und Vaccinium uliginosum untersucht.

Bei Arctostaphylos alpina waren Messungen der einzelnen Jahrestriebe nicht auszuführen, auch die Jahresringe konnten nur undeutlich unterschieden werden. Das Resultat ist deshalb ein sehr unsicheres.

An dem ältesten Exemplare hatte der Stamm am Grunde einen größten Radius von 1,4 Millimeter, die Zählung der Jahresringe ergab circa 16 Jahre. Ein kleineres, sehr excentrisches Exemplar zeigte einen größten Radius von 0,52 Millimeter, das Alter konnte auf 5 Jahre geschätzt werden, was mit dem obigen Resultat in Betreff der durchschnittlichen Jahresringbreite annähernd übereinstimmen würde.

Aehnlich waren die Verhältnisse bei Loiseleuria procumbens, nur konnte bei dieser Pflanze eine genauere Untersuchung aufeinanderfolgender Jahrestriebe vorgenommen werden. Bei zweijährigen Zweigen war der Radius des Holzringes durchschnittlich etwa 0,13 Millimeter. 4–5jährige Zweige zeigten einen solchen von 0,34 Millimeter und 7jährige 0,42 Millimeter. Der größte Radius des Holzcylinders bei dem ältesten Stamme betrug 1,6 Millimeter, wonach man unter Berücksichtigung, daß die Jahresringe später schmäler werden, das Alter auf nahezu 30 Jahre schätzen könnte.

Bei Cassiope tetragona war das Resultat gleichfalls unsicher, das Wachsthum dieser für die Flora des Gebietes charakteristischen Pflanze scheint ein lebhafteres als wie das der übrigen Ericaceen zu sein und sich mehr den Verhältnissen zu nähern, die wir bei Salix groenlandica fanden. Zweijährige Zweige, die Früchte vom vorigen Jahre trugen, hatten bereits einen Holzcylinder mit durchschnittlichem Radius von 0,2 Millimeter. Danach würden die älteren Stammpartien, deren Radius etwa 0,8 Millimeter betrug, nur auf ein Alter von etwa 4 bis 5 Jahren zu schätzen sein, eine Unterscheidung der Jahresringe ist nicht möglich und ich möchte deshalb kein besonderes Gewicht auf die letztere Schätzung legen. Soviel ist jedoch sicher, daß sowohl die Jahrestriebe bei dieser Pflanze eine ansehnlichere Länge, etwa 30 – 40 Millimeter durchschnittlich, als auch die Jahresringe eine bedeutendere Breite erreichen.

Bessere Resultate ergab die Untersuchung der übrigen Ericaceen. Bei Phyllodoce coerulea hatten die zweijährigen Zweige einen Holzcylinder, dessen Radius durchschnittlich 0,12 Millimeter betrug, dreijährige Zweige einen solchen von 0,18 Millimeter. Ein fünfjähriger Zweig zeigte als größten Radius 0,36 Millimeter und bei einem alten Stamme, auf dessen Querschnitt die Jahresringe ziemlich deutlich zu unterscheiden waren, betrug der größte Radius 1,8 Millimeter. Die Zählung ergab ein Alter von 28 – 30 Jahren.

Die Breite der einzelnen Jahresringe wechselte in der Weise, daß die ersten durchschnittlich 0,06 Millimeter, vom vierten bis sechsten Jahre etwa 0,1 Millimeter, der siebente sogar 0,12 Millimeter, die späteren dagegen wieder schmäler waren und vom zwölften an nicht mehr als höchstens 0,04 Millimeter Breite zeigten.

Am deutlichsten konnten die Jahresringe bei Ledum palustre erkannt werden. Die vier ersten hatten zusammen eine Breite von 0,32 Millimeter, der fünfte war 0,1 Millimeter breit und ein Stamm von 20 – 22 Jahren zeigte einen größten Radius von 1,95 Millimeter, so daß also an dieser Stelle sämmtliche Ringe die ansehnliche Breite von nahezu 0,1 Millimeter im Durchschnitt beibehielten, was wohl nur durch die sehr starke Excentricität erklärlich wird.

Von Vaccinium uliginosum wurden eine ganze Reihe von Zweigen verschiedenen Alters untersucht; zweijährige hatten einen Holzcylinder vom Radius 0,12 Millimeter, sechsjährige einen solchen von 0,28 Millimeter, zwölfjährige 0,48–0,5 Millimeter; der älteste untersuchte Stamm erreichte einen größten Radius von 1,04 Millimeter, und die Zählung der Jahresringe ergab ein Alter von 26–28 Jahren, so daß auch hier wieder die durchschnittliche Breite der Ringe mit der von Kraus bei noch bedeutend älteren Stämmen gefundenen (0,032–0,035) annähernd übereinstimmt.

An den Stammorganen von Diapensia lapponica konnte überhaupt keine Schätzung vorgenommen werden, da jede Jahrringbildung im Holzcylinder fehlte und auch die Messungen der Längenzuwachse äußerst unsicher waren.

Aus den angeführten Beispielen geht zur Genüge hervor, daß die einzelnen Zuwachszonen in den meisten Fällen eine außerordentlich geringe Breite haben und daß auch die Längenausdehnung der einzelnen Jahrestriebe eine sehr reducirte ist.

Wir haben es demnach, wie schon von Kraus, Kjellmann u. A. ganz richtig hervorgehoben worden ist, in den arktischen Sträuchern mit zwar vollkommen lebensfähigen, aber sehr kümmerlich entwickelten Individuen von verhältnißmäßig hohem Alter zu thun. Es beweist dieser Umstand wieder, wie durch langandauernde Erhaltung des Individuums – Kraus schätzt manche Weidenstämme auf 150 Jahre, einzelne Vaccinium-Sträucher auf über 90 Jahre – selbst bei den ungünstigsten Temperaturen der Bestand der Flora annähernd derselbe bleiben kann.

Das Vorstehende dürfte genügen, um dem Leser ein einigermaßen richtiges Bild von dem Pflanzenleben in der Umgebung der Station Kingua zu geben; freilich wäre manche Lücke noch auszufüllen, doch war der Verfasser, da ihm die eigene Anschauung fehlte, wie schon erwähnt wurde, ganz auf persönliche Mittheilungen angewiesen und diese konnten natürlich über mehrere in botanischer Hinsicht naheliegende Fragen keine Auskunft geben.

 

Zum Schlusse möge noch eine kurze Zusammenstellung der bis jetzt vorliegenden Ergebnisse, welche die Flora des Baffinlandes betreffen, gegeben werden. Wir können dabei die früheren Angaben von Roß und Inglefield wegen mancher Unsicherheiten vernachlässigen und wollen uns nur an die Berichte von Taylor und Kumlien, sowie an die beiden vorliegenden Sammlungen der Nordexpedition und des Dr. Boas halten. Die reichste Sammlung ist diejenige von Taylor, die Liste der von ihm an verschiedenen Orten des Cumberlandsundes und der Küstenpartien des Baffinlandes an der Davisstraße gefundenen Gefäßpflanzen umfaßt 136 Arten; die Zahl der von der Expedition gesammelten beläuft sich auf 38 Arten, die Boas'schen Sammlungen enthalten 44 Gefäßpflanzen, da sich in der ersteren Sammlung 12 Arten befinden, die bei Boas fehlen, nämlich: Chamaenerium latifolium, Empetrum nigrum,Pedicularis lapponica und hirsuta, Phyllodoce coerulea, Cassiope hypnoides, Loiseleuria procumbens, Arnica alpina, Oxyria digyna, Tofieldia borealis, Lycopodium annotinum, Lastrea fragrans, so beträgt die Gesammtzahl der durch beide Expeditionen aufgefundenen Gefäßpflanzen 56. Unter ihnen befinden sich 8, die in der Taylor'schen Liste nicht angegeben sind, nämlich: *Ranunculus lapponicus, Die mit * bezeichneten finden sich nur bei Boas. Loiseleuria procumbens, Arctostaphylos alpina, Pedicularis lapponica und *flammea, *Glyceria angustata, Lastrea fragrans, Lycopodium Selago. Rechnet man dazu noch 3 Arten, die von Kumlien angegeben wurden, in den anderen Sammlungen aber fehlen, so beträgt die Anzahl der bis jetzt von diesen Theilen des Baffinlandes bekannten Arten 147.

Von Interesse ist es, daß unter allen diesen Pflanzen keine einzige Art sich findet, die nach Lange für Südgrönland charakteristisch wäre. Dagegen sind 14 Arten darunter, die nach Lange nur in Nordgrönland vorkommen, und von diesen müssen 6 als amerikanische Typen aufgefaßt werden; von den als europäische Typen zu bezeichnenden Pflanzen Nordgrönlands ist bisher keine aus Baffinland gesammelt worden. Es kann demnach eine hervorstechende Aehnlichkeit zwischen der Flora unseres Gebietes und derjenigen Nordgrönlands nicht geleugnet werden. Da zugleich die von Lange Lange, Studier til Groenlands Flora. Kopenhagen 1880. als europäische Typen bezeichneten Gewächse ganz zu fehlen scheinen, so darf man wohl auf Grund des allerdings noch unvollständigen Materials das Baffinland in pflanzengeographischer Hinsicht als ein Zwischenglied zwischen dem arktischen Grönland und dem Norden Amerikas betrachten. Vergl. hierzu auch E. Warming, Neuere Beiträge zu Grönlands Flora, Engler's Jahrb., IX, wo gleichfalls der arktisch-amerikanische Charakter der Flora Nordgrönlands betont wird.

Daß die Annahme Hooker's, Outlines of the distribution of arctic plants; Transactions of Linnean society, vol. 23, 1861. nach welcher zwischen der Flora von Grönland und Nordamerika bedeutende Verschiedenheiten vorhanden seien und Grönland viel mehr europäische als amerikanische Typen enthalte, nicht haltbar ist, hat schon Lange l. c. S. 11. zur Genüge gezeigt, indem er nachwies, daß die Zahl der ersteren Pflanzen sogar niedriger ist als die der letzteren. Die in den vorliegenden Sammlungen enthaltenen Formen kommen sämmtlich auch in Grönland vor und auch fast alle von Taylor aufgeführten, mit etwa 2 oder 3 Ausnahmen, gehören gleichfalls der grönländischen Flora an, so daß gerade die Flora des Baffinlandes sich auf das Engste an diejenige Nordgrönlands anschließt. Die Meinung Hooker's, l. c. S. 267. daß sowohl Baffinbay als Davisstraße an ihren gegenüberliegenden Küsten verschiedene Floren besäßen, ist demnach durchaus nicht gerechtfertigt.


Nachschrift. Die vorliegende Skizze war im Manuscript bereits im Jahre 1885 abgeschlossen und es wurden, obwohl mehrere interessante Arbeiten unterdessen erschienen sind, keine Aenderungen im Texte vorgenommen. Nur einige Anmerkungen sind als Fußnoten eingefügt worden.


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