Johann Karl August Musäus
Volksmärchen der Deutschen
Johann Karl August Musäus

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Unter allen Kapereien zu Wasser und zu Lande, ist keine mißlicher und mit mehreren Schwürigkeiten verbunden, als dem Großherrn seine Favoritin aus den Armen wegzustehlen; einen solchen Meisterstreich kann nur die wildjährende Einbildungskraft eines W-z-ls träumen, und er kann auch nur einem Kakerlak gelingen. Das Beginnen des Graf Ernsts von Gleichen, des Soldans von Ägypten Tochter zu entführen, hatte indessen nicht weniger Schwürigkeiten, und weil doch beide Helden gewissermaßen in Konkurrenz kommen: so scheint das Wagestück des letztern ungleich dreuster, weil alles dabei einen natürlichen Gang nahm, und sich keine dienstfertige Fei ins Spiel mischte; gleichwohl lief der Erfolg des ähnlichen Unterfangens, bei dem einen so wie bei dem andern, nach Wunsch ab. Die Prinzessin füllte ihr Schmuckkästlein reichlich mit Juwelen an, vertauschte ihr königliches Gewand mit einem Kaftan, und schlüpfte eines Abends unter der Geleitschaft ihres Geliebten, seines getreuen Knappen und des dämischen Wasserträgers, unbemerkt aus dem Palaste zum Garten hinaus, um die weite Reise ins ferne Abendland anzutreten. –

Des Fräuleins Abwesenheit konnte nicht lange verborgen bleiben, ihr Frauenzimmer suchte sie, nach dem Sprüchwort, wie eine Stecknadel, und da man sie nicht fand, war die Bestürzung im Serail allgemein. Es war schon dies und das über die geheimen Audienzen des Bostangi gemunkelt worden, man reihete Vermutung und Tatsache aneinander, und daraus entstund freilich keine Perlenschnur, sondern die schauderhafte Entdeckung des eigentlichen Vorganges der Sache. Der Diwan der Damen konnte nicht umhin, höhern Orts davon Bericht zu erstatten. Der Vater Soldan, dem die tugendsame Melechsala, alles wohl erwogen, das Herzleid hätte ersparen können, landflüchtig zu werden, um die Emplette eines Heilgenscheins zu machen, gebärdete sich bei diesem Präadvis wie ein ergrimmter Löwe, der fürchterlich die braune Mähne schüttelt, wenn er durch das Getöse der Jagd und das Gebell der Hunde aus seinem Lager aufgeschreckt wird. Er schwur beim Barte des Propheten dem ganzen Serail den Untergang, wenn bei Sonnenaufgang die Prinzessin nicht wieder in der väterlichen Gewalt wäre. Die mameluckische Leibwache mußte aufsitzen, um auf den Landstraßen von Kairo, nach allen vier Himmelsgegenden, der Fliehenden nachzueilen, und tausend Ruder peitschten den breiten Rücken des Nils, um sie einzuholen, im Fall sie den Weg zu Wasser genommen hätte.

Bei solchen Anstalten war's unmöglich, dem weitreichenden Arm des Soldans zu entrinnen, wenn der Graf nicht das Geheimnis besaß, sich nebst seiner Reisegesellschaft zu verunsichtbaren; oder die Wundergabe, ganz Ägypten mit Blindheit zu schlagen. Allein von diesen Talenten war ihm keines verliehen. Nur der flinke Kurt hatte einige Maßregeln genommen, die in Ansehung des Effekts die Stelle der Wunder allenfalls vertreten konnten. Er verunsichtbarte die flüchtige Karawane, durch die Finsternis eines dunkeln Kellers, in dem Hause des großen Schweißtreibers Adullam. Dieser jüdische Hermes begnügte sich nicht daran, die Heilkunde mit gutem Fortgange zu treiben, sondern wucherte auch mit der Gabe, die er aus der Erbschaft seiner Väter empfangen hatte, und ehrte den Merkur in der Qualität eines Schutzpatrons der Ärzte, der Kaufleute und Diebe. Er trieb einen großen Spezerei- und Kräuterhandel mit den Venedigern, der ihm vielen Reichtum erworben hatte, und verschmähete kein Negoz, wobei etwas zu gewinnen war. Der treue Knappe hatte diesen ehrlichen Israeliten, der sich für Geld und Geldes wert zu jeder Tat bereit finden ließ, ohne ihre Moralität zu untersuchen, durch ein Kleinod aus dem Schmuckkästlein der Prinzessin gewonnen, die Spedition des Grafen, dessen Stand und Vorhaben ihm unverhohlen blieb, nebst dreien von seinen Dienern auf ein venedisches Schiff, das zu Alexandrien in Ladung gelegt hatte, zu übernehmen; doch blieb es ihm weislich verborgen, daß er die Tochter seines Herrn konterband machen, und heimlich aus dem Lande praktizieren sollte. Da er den zu versendenden Warentransport in Augenschein nahm, fiel ihm zwar die Gestalt des schönen Jünglings auf; doch dacht er nichts Arges dabei, und hielt ihn für den Pagen des Ritters. Bald darauf verbreitete sich das Gerücht über die Stadt, die Prinzessin Melechsala sei verschwunden: da gingen ihm die Augen auf, tödliches Schrecken bemächtigte sich seiner Sinnen, also daß ihm der graue Bart anfing zu beben und er hätte wohl gewünscht, mit diesem gefährlichen Handel unbeworren zu sein. Jetzt war's zu spät, seine eigene Sicherheit erforderte nun alle Schlauheit aufzubieten, das halsbrechende Geschäfte glücklich zu beendigen. Zuvörderst legte er seiner unterirdischen Hausgenossenschaft eine strenge Quarantäne auf, und nachdem die erste Nachforschung vorüber, die Hoffnung, die Prinzessin wieder ausfündig zu machen, ziemlich verschwunden, und der Eifer sie aufzusuchen erkaltet war, packte er die ganze Karawane säuberlich in vier Kräuterballen, lud sie auf ein Nilschiff, und schickte sie, nebst einem Frachtbrief unter Gottes Geleite, sicher und wohlbehalten nach Alexandrien, wo sie, sobald der Venediger die hohe See gewonnen hatte, des engen Gewahrsams in den KräutersäckenDie Erfindung in einem Sacke zu reisen, wurde zu Zeiten der Kreuzzüge mehrmals benutzt. Dietrich der Bedrängte Markgraf zu Meißen, kehrte unter eben diesem Inkognito aus Palästina in seine Erblande zurück, um den heimlichen Nachstellungen Kaiser Heinrich des Sechsten, der eine Absicht auf die ergiebigen freibergischen Bergwerke hatte, zu entgehen. samt und sonders entlediget wurden.

Ob in einem prächtigen Wolkenzuge, die himmlische Trabantengarde mit feurigem Schwert und Schild gerüstet, dem wogenden Schiffe folgte, das läßt sich, wegen ihrer Unsichtbarkeit, zwar nicht augenscheinlich dokumentieren: gleichwohl sind gewisse Anzeichen vorhanden, welche die Sache glaubhaft machen. –

Alle vier Winde des Himmels, schienen sich zu einer glücklichen Seereise vereiniget zu haben; die widrigen hielten den Atem zurück, und die günstigen bliesen so lustig in die Segel, daß das Schiff pfeilgeschwinde die sanftspielenden Wellen furchte. Als der freundliche Mond die wachsenden Silberhörner zum zweiten Male aus den Wolken hervorstreckte, lief der Venediger wohlgemut in dem Hafen seiner Vaterstadt ein.

Der wachsame Lauerer der Gräfin Ottilia befand sich noch immer daselbst, und ließ die fruchtlose Mühe vergebener Nachfrage sich nicht abschrecken, seine Diäten zu mehren und alle Passanten aus der Levante fleißig zu examinieren. Er befand sich gerade auf seinem Posten, da der Graf nebst der schönen Melechsala ans Land stieg. Er hatte die Physiognomie seines Herrn in so gutem Andenken, daß er sich vermaß, ihn unter tausend unbekannten Gesichtern herauszufinden. Indes machte ihn die fremde Tracht, und der Finger der Zeit, der in sieben Jahren an der Gestalt manches ändert, einige Augenblicke zweifelhaft. Um seiner Sache gewiß zu werden, nahete er sich zu dem Gefolge des fremden Ankömmlings, trat den getreuen Knappen an und frug:

»Kamerad, woher des Landes?«

Der flinke Kurt freuete sich, einen Landsmann anzutreffen, der ihn in seiner Muttersprache anredete, fand aber nicht für gut, einem Unbekannten Rede zu stehen, und antwortete kurzab: »Aus der See.«

»Wer ist der stattliche Junker, dem du folgst?«

»Mein Herr.«

»Aus welcher Gegend kommt ihr?«

»Von Sonnenaufgang.«

»Wo gedenket ihr hin?«

»Nach Sonnenniedergang.«

»In welche Provinz?«

»In unsre Heimat.«

»Wo ist die?«

»Hundert Meilwegs ins Land hinein.«

»Wie heißest du?«

»Spring ins Feld, grüßt mich die Welt. Ehrenwert heißt mein Schwert. Zeitvertreib namt sich mein Weib. Spät es tagt, ruft sie die Magd. Schlecht und recht, nennt sich der Knecht. Sausewind, tauft ich mein Kind. Knochenfaul, schelt ich den Gaul. Sporenklang, heißt sein Gang. Höllenschlund, lock ich den Hund. Wettermann, kräht mein Hahn. Hüpf im Stroh, heißt mein Floh. Nun kennst du mich mit Weib und Kind und all meinem Hausgesind.«

»Du scheinst mir ein loser Gesell zu sein.«

»Ich bin kein Gesell, denn ich treibe kein Handwerk.«

»Gib Bescheid auf eine Frage.«

»Laß sie hören.«

»Hast du neue Mär von Graf Ernsten von Gleichen, aus dem Orient?«

»Warum fragst du?« – »Darum.«

»Lirum, Larum! warum: darum?«

»Dieweil ich ausgesandt bin in alle Welt, von der Gräfin Ottilia seiner Gemahlin, ihr zu verkundschaften, ob ihr Herr noch am Leben und in welchem Winkel der Erde er zu finden sei.«

Diese Antwort setzte den flinken Kurt in einige Verwirrung, und stimmte ihn auf einen ganz andern Ton. »Harre, Landsmann«, sprach er, »vielleicht weiß der Junker Bescheid von der Sache.« Alsbald ging er zum Grafen, und raunte ihm die neue Zeitung ins Ohr, bei dem sich eine sehr komplizierte Empfindung darüber regte, woran Freude und Bestürzung gleichen Anteil hatte. Er merkte, daß ihn sein Traum, oder die Deutung desselben betrogen hatte, und daß ihm das Konzept, sich mit der schönen Reisegefährtin zu vermählen, leicht dürfte verrückt werden. Aus dem Stegreif wußte er nicht gleich, wie er sich bei diesem verwirrten Handel nehmen sollte, doch überwog das Verlangen, zu erfahren, wie es daheim in seinem Hause stünde, alle Bedenklichkeiten. Er winkte dem Emissarius, und erkannte in ihm seinen alten Hofdiener, der mit Freudentränen die Hand seines wiedergefundenen Herrn benetzte, und viel Worte machte, was die Gräfin für Jubel anheben würde, wenn sie die frohe Botschaft von der Rückkehr ihres geliebten Gemahls aus dem Heiligen Lande vernahm. Der Graf ließ sich von ihm in die Herberge geleiten, wo er die sonderbare Lage seines Herzens in Erwägung zog, und ernsthafte Betrachtungen darüber anstellte, welche Wendung der angesponnene Liebeshandel mit der schönen Sarazenin nehmen werde. Darauf wurde unverzüglich der lauersame Kundschafter an die Gräfin, mit einer Depesche, abgefertiget, welche einen getreuen Bericht von den Schicksalen des Grafen in der Sklaverei, und seiner Erledigung durch die Unterstützung der Tochter des Soldans von Ägypten abstattete; wie sie dem Grafen zuliebe Thron und Vaterland verlassen, unter der Bedingung, daß er sie heuraten sollte, welches er ihr auch, durch einen Traum irre geführt, verheißen habe. Dadurch suchte er seine Gemahlin nicht nur auf eine zweite Teilhaberin am gräflichen Ehebett vorzubereiten, sondern suchte auch unter Anführung vieler triftigen Gründe um ihre Einwilligung hierzu nach.

Frau Ottilia stand eben am Fenster, mit ihrem Witwenschleier angetan, als der Botschafter zum letzten Male den atemlosen Gaul anspornte, den steilen Burgweg heranzutraben. Ihr scharfes Auge erkannte ihn schon in der Ferne, und weil er auch kein Dreischrittseher war, deren es zu Zeiten der Kreuzzüge überhaupt nur wenige gab, so erkannte er die Gräfin gleichfalls, hob die Brieftasche hoch über sein Haupt, schwenkte sie wie eine Standarte zum Zeichen guter Botschaft, und sie verstund dieses Signal so gut, als wenn der Synthematograph von Hanau dabei im Spiel gewesen war. »Hast du ihn funden, den Mann meines Herzens?« rief sie dem Kommenden entgegen. »Wo weilt er, daß ich mich aufmache, ihm den Schweiß von der Stirn zu trocknen, und ihn rasten zu lassen in meinen treuen Armen, von der mühseligen Reise?« »Glück zu, gestrenge Frau«, antwortete der Briefträger, »Euer Gemahl ist wohlauf. Ich hab ihn funden in der Wasserstadt der Venediger, von wannen er mich mit diesem Brief unter seiner Hand und Siegel hat hergesandt, Euch seine Ankunft daselbst zu vermelden.« Die Gräfin konnte nicht eilig gnug den Brief des Siegels entledigen, und wie sie ihres Herrn Schriftzüge erblickte, war ihr das Odem des Lebens zum Leben. Dreimal drückte sie ihn an die klopfende Brust, und dreimal berührte sie ihn mit schmachtenden Lippen. Drauf strömte ein Platzregen von Freudentränen auf das entfaltete Pergament, wie sie zu lesen anhob; allein je weiter sie las, je sparsamer rannen ihre Zähren, und ehe die Lektüre noch beendiget war, versiegte die Tränenquelle ganz und gar.

Die Kontenta des Briefs konnten die gute Dame freilich nicht alle auf gleiche Weise interessieren; der von ihrem Eheherrn in Vorschlag gebrachte Partagetraktat seines Herzens, hatte nicht das Glück ihren Beifall zu erhalten. So sehr bei der heutigen Welt die Teilungssucht überhand genommen hat, daß geteilte Liebe und geteilte Provinzen das Abzeichen unsers Zeitalters worden sind: so wenig war jene im Geschmack der Vorwelt, wo jedes Herz seinen eignen Schlüssel hatte, und wo ein Kapital, der mehrere schloß, für einen schändlichen Diebsdietrich gehalten wurde. Die Intoleranz der Gräfin in Ansehung dieses Punktes, war wenigstens ein redender Beweis ihrer ungefärbten Liebe. »Ach, der verderbliche Kreuzzug!« rief sie aus, »ist die einzige Ursach all dieses Unheils! Ich habe der heilgen Kirche ein Brot geliehen, von welchem die Heiden gezehret haben, und empfange nun ein Bröcklein davon wieder.« Eine nächtliche Vision im Traum besänftigte indessen ihr Gemüt, und ihre ganze Denkungsart erhielt dadurch eine andere Richtung. Die Phantasie bildete ihr im Schlafe vor, es zögen zwei Pilger vom Heilgen Grabe den gekrümmten Burgweg herauf, und begehrten eine Nachtherberge, welche sie ihnen gutmütig verwilligte. Der eine schlug seine Nebelkappe auf, und sieh da, es war der Graf ihr Herr, den sie freundlich umhalsete und große Freude ob seiner Wiederkehr empfand. Die Kindlein traten herein, welche er in die väterlichen Arme schloß, sie herzte, und sich ihres Wachstums und Gedeihens freuete. Indes tat sein Gefährte die Reisetasche auf, zog daraus hervor goldne Ketten und herrliches Geschmeide von Edelsteinen, und hing sie den Kleinen um den Hals, die an diesen glänzenden Geschenken großen Gefallen trugen. Die Gräfin bewunderte selbst diese Freigebigkeit, und frug den verkappten Fremdling, wer er sei. Er antwortete: »Ich bin der Engel Raphael, der Geleitsmann der Liebenden, und habe deinen Gemahl aus fernen Landen wieder zu dir bracht.« Das Pilgerkleid verschwand, und es stund vor ihr eine glänzende Engelgestalt, mit einem himmelblauen Leibrock bekleidet, und zwei goldnen Flügeln an den Schultern. Sie erwachte darüber, und in Ermangelung einer ägyptischen Sibylle erklärte sie sich selbst den Traum so gut sie konnte, fand so viel Ähnlichkeit zwischen dem Engel Raphael und der Prinzessin Melechsala, daß sie nicht zweifelte, die letztere sei unter der Gestalt des erstern ihr im Traum vorgebildet worden; zugleich zog sie in Erwägung, daß ohne den Beistand derselben, ihr Gemahl schwerlich jemals der Sklaverei würde entronnen sein. Weil nun dem Eigentümer eines verlornen Gutes ziemet, mit dem ehrlichen Wiederbringer sich abzufinden, der es ganz für sich hätte behalten können: so fand sie keinen Anstand, zu williger Abtretung der Halbscheid ihrer ehelichen Gerechtsame sich zu entschließen. Unverzüglich wurde der, wegen seiner Wachsamkeit reichlich belohnte Hafenkapitän nach Welschland zurückbeordert, mit dem förmlichen Konsens der Gräfin für ihren Gemahl, das Kleeblatt seiner Ehe vollständig zu machen.

Es beruhete nur darauf, ob Vater Gregorius in Rom seine Benediktion zu dieser Matrimonialanomalie zu erteilen, und zugunsten des Grafen, durch einen Machtspruch, Form, Wesen und Gestalt des Ehesakraments umzuschmelzen geneigt sei. Die Wallfahrt ging deshalb von Venedig nach Rom, woselbst Fräulein Melechsala dem Koran feierlich entsagte und sich in den Schoß der Kirche begab. Der Heilige Vater bezeigte über diese geistliche Akquisition so viel Freude, als wenn das gesamte Reich des Antichrists zerstöret, oder dem römischen Stuhl unterwürfig gemacht worden wär, und ließ, nach der Taufhandlung, bei welcher Gelegenheit sie ihren sarazenischen Namen mit dem orthodoxem Namen Angelika verwechselte, ein pompöses Te-deum in der St. Peterskirche anstimmen. Diesen günstigen Adspekt vermeinte Graf Ernst zu seiner Absicht benutzen zu müssen, ehe die gute Laune des Papstes verdünstete. Er brachte sein Matrimonialpetitum unverzüglich bei der Behörde an: allein wie gebeten, abgeschlagen. Die Gewissenhaftigkeit des Inhabers von St. Peters Stuhl war so groß, daß er es für eine gröbere Ketzerei hielt, ein eheliches Kleeblatt, als den Tritheismus zu proponieren. Soviel scheinbare Gründe der Graf für sich anzuführen hatte, um eine Ausnahme von der gewöhnlichen Eheregel dadurch zu bewirken: so wenig vermochten sie den exemplarischen Papst zu bewegen, ein Auge seiner Gewissenhaftigkeit diesmal zuzudrücken, und die begehrte Dispensation zu erteilen, welches dem Grafen großen Kummer und Herzeleid machte. Sein schlauer Anwald, der flinke Kurt hatte indessen ein herrliches Expediens ausgedacht, wie sich sein Herr die schöne Neubekehrte könnte ehelich beilegen lassen, ohne daß der Papst oder die ganze werte Christenheit ein Wort dagegen einwenden dürften, nur wagte er nicht damit laut zu werden, aus Sorge, die Ungnade des Grafen damit zu verwirken. Endlich ersah er doch seine Gelegenheit und rückte mit der Sprache heraus. »Lieber Herr«, sprach er, »kümmert Euch nicht so sehr über des Papstes harten Sinn. Wenn ihm auf der einen Seite nichts abzugewinnen ist, so müßt Ihr ihm auf der andern beizukommen suchen: es geht ja mehr als ein Weg ins Holz. Wenn der Heilige Vater ein zu zartes Gewissen hat, Euch zu gestatten zwei Weiber zu nehmen, so ist's Euch auch vergönnet, ein zartes Gewissen zu haben, ob Ihr schon nur ein Laie seid. Das Gewissen ist ein Mantel, der jede Blöße deckt, und dabei noch die Bequemlichkeit hat, daß er sich leicht nach dem Winde drehen läßt; jetzt, da dieser Euch konträr ist, müßt Ihr den Mantel auf die andere Seite nehmen. Sehet zu, ob Ihr nicht mit der Gräfin Ottilia in einem verbotenen Grad verwandt seid, ist dem also, wie das leicht zu berechnen ist, wenn Ihr ein zartes Gewissen habt, so geb ich Euch gewonnen Spiel. Löset einen Scheidebrief, wer kann Euch dann wehren, das Fräulein zu heuraten?« Der Graf hatte den weisen Knappen so lange angehört, bis er den Sinn seiner Rede wohl begriffen hatte, drauf antwortete er mit zwei Worten kurz und deutlich: »Schurke, schweig!« In dem nämlichen Augenblick befand sich der flinke Kurt streckelang außerhalb der Tür, und suchte nach ein paar Zähnen umher, die ihm bei dieser schnellen Expedition abgegangen waren. –

»Ach der herrliche Zahn!« rief er von außen, »ist das Opfer worden meiner treuen Dienstbeflissenheit!« Dieser Zahnmonolog führte den Grafen natürlich auf die Zurückerinnerung an seinen Traum. »Ach der verwünschte Zahn!« rief er von innen voll Unmut aus, »den ich im Traum verlor, ist Stifter all meines Ungemachs!« Sein Herz schwankte zwischen Vorwürfen einer begangenen Untreue an seiner liebevollen Gemahlin, und einer verpönten Leidenschaft gegen die reizende Angelika, wie eine Glocke, die von beiden Seiten einen Laut gibt, wenn sie einmal in Bewegung gesetzt ist. Mehr als die auflodernde Liebesflamme, brannte und nagte ihn noch die Beule des Verdrusses, daß er die Unmöglichkeit vor Augen sahe, der Prinzessin Wort zu halten, und mit ihr das Ehebett zu beschreiten. Alle diese Unannehmlichkeiten führten ihn inzwischen auf den richtigen Erfahrungssatz, daß ein geteiltes Herz nicht eben die wünschenswerteste Sache sei, und daß es unter diesen Umständen einem Liebenden beinahe ebenso zu Mute sei, wie dem Esel Baldewein zwischen den beiden Heubündeln.

In dieser schwermütigen Lage, verlor er sein jovialisches Ansehen gänzlich, er glich einem Lebenssatten, den an einem trüben Tage die Atmosphäre drückt, daß ihm der Spleen die Seele aus dem Leibe preßt. Fräulein Angelika vermerkte, daß das Antlitz ihres Geliebten nicht mehr war wie gestern und ehegestern, das betrübte sie innigst und bewegte sie zu dem Entschluß, einen Versuch zu wagen, ob es ihr besser gelingen würde, wenn sie das Dispensationsnegoz in eigner Person betrieb. Sie verlangte bei dem gewissenhaften Gregor Gehör, und hatte nach vaterländischer Sitte ihr Gesicht dicht verschleiert. Kein römisches Auge hatte noch ihre Gestalt erblickt, ausgenommen der Priester, Johannes der Täufer, währender Amtsverrichtung. Der Papst empfing die neugeborne Tochter der Kirche mit aller gebührenden Achtung, bot ihr die Palme seiner rechten Hand, und nicht den parfümierten Pantoffel zu küssen dar. Die schöne Ausländerin hob den Schleier ein wenig, die segnende Hand mit den Lippen zu berühren, dann öffnete sie den Mund, und kleidete ihre Bitte in eine rührende Anrede. Doch diese Insinuation, durchs päpstliche Ohr, schien in der innern Organisation des Oberhauptes der Kirche keinen rechten Bescheid zu wissen, denn anstatt den Weg nach dem Herzen zu nehmen, ging sie zum andern Ohr wieder heraus. Vater Gregor expostulierte lange mit der reizenden Supplikantin, und vermeinte einen Ausweg zu finden, wie auf gewisse Art ihrem Verlangen, nach der Vereinigung mit einem Geliebten, Gnüge geschehen könnte, ohne daß die Kirchenordnung dabei ins Gedränge kam: er proponierte ihr einen Seelenbräutigam, wenn sie zu der kleinen Abänderung des Schleiers sich entschließen wollte, den sarazenischen mit dem klösterlichen zu verwechseln. Dieser Vorschlag erweckte bei der Prinzessin plötzlich einen solchen Schleierscheu, daß sie den ihrigen alsbald abriß, voller Verzweiflung vor den päpstlichen Fußschemel hinstürzte, und mit aufgehobnen Händen und tränenvollen Augen, den ehrwürdigen Vater beim heilgen Pantoffel beschwor, ihrem Herzen keine Gewalt anzutun, und sie zu nötigen es anderweit zu vergeben.

Der Anblick ihrer Schönheit war beredter als der Mund, setzte alle Anwesenden in Entzücken, und die Träne, die in dem himmlischen Auge perlte, fiel wie ein brennender Naphthatropfen dem Heiligen Vater aufs Herz, entzündete den kleinen Überrest von irdischem Zunder, der darinnen verborgen lag, und erwärmte es zum Wohlwollen gegen die Bittende. »Stehe auf, geliebte Tochter«, sprach er, »und weine nicht! Was im Himmel beschlossen ist, soll auf Erden an dir in Erfüllung gehen. In drei Tagen sollst du erfahren, ob deine erste Bitte an die heilige Kirche, von der huldreichen Mutter zu gewähren stehet oder nicht.« Drauf berief er eine Kongregation von allen Kasuisten in Rom zusammen, ließ jedem ein Laiblein Brot und eine Flasche Wein reichen, und sie in die Rotunda einsperren, mit der Verwarnung, daß keiner daraus sollte entlassen werden, bis die Quästion an einmütig von ihnen entschieden sei. Solange der Wein und die Semmeln vorhielten, gab's heftige Debatten, daß alle Heiligen, wenn sie wären beisammen in der Kirche gewesen, schwerlich so laut disputiert hätten. Das pro und contra wogete hin und her, wie das adriatische Meer, wenn der stürmische Südwind darüber wehet. Sobald aber der Magen anfing Worthalter in der Versammlung zu werden, war alles Ohr für ihn, und glücklicherweise schlug er sich auf die Partei des Grafen, der ein großes Gastmahl hatte zurichten lassen, die ganze kasuistische Klerisei damit zu bewirten, wenn das päpstliche Siegel von der Kirchtür würde abgelöset sein. Die Dispensationsbulle wurde in bester Form Rechtens, gegen die Gebühr, ausgefertiget, wobei die schöne Angelika einen tiefen Griff, wiewohl mit Freuden, in die Schätze Ägypti tat. Vater Gregor gab dem edlen Paar seinen Segen, und verabschiedete die Liebenden ehesam. Sie zögerten nicht, das Patrimonium Petri zu verlassen, um die Domäne des Grafen zu erreichen, um daselbst ihre Vermählung zu vollziehen.

Als diesseit der Alpen Graf Ernst wieder vaterländische Luft atmete, tat das ihm sanft und wohl ums Herz, er schwang sich auf seinen Neapolitaner, trabte, allein von dem damischen Reisigen begleitet frisch voran, und ließ das Fräulein, unter der Bedeckung des flinken Kurts, in kleinen Tagereisen gemachsam nachziehen.

Hoch klopfte ihm das Herz im Busen, da er in blauer Ferne die drei Gleichischen Schlösser erblickte, er gedachte die gutmütige Gräfin Ottilia unvermutet zu überraschen; aber das Gerücht von seiner Ankunft, war auf Adlersfittichen vor ihm hergeflogen; sie zog ihm mit Junker und Fräuleins entgegen und begegnete, einen Feldwegs von der Burg, ihrem Herrn in einer lustigen Aue, welche von dieser fröhlichen Zusammenkunft das Freudental heißt, bis auf diesen Tag. Der Empfang war auf beiden Seiten so traulich und zärtlich, als wenn an keinen Partagetraktat jemals wäre gedacht worden, –

denn Frau Ottilia war ein rechtes Muster einer frommen Gattin, die dem Ehegebot, daß ihr Wille des Mannes Willen sollte unterworfen sein, ohne Auslegung gehorchte. Wenn's ja in ihrem Herzen zuweilen einen kleinen Aufruhr gab, zog sie nicht flugs die Sturmglocke, sondern tat Tür und Fenster zu, daß kein sterblich Auge hineinschauen und sehen konnte, was drinnen vorging, dann lud sie die empörte Leidenschaft vor den Richterstuhl der Vernunft, nahm sie unter den Gehorsam der Klugheit gefangen, und legte sich eine freiwillige Buße auf.

Sie konnte es ihrem Herzen nicht vergeben, daß es über die Nebensonne, die an ihrem Ehehorizont glänzen sollte, gemurret hatte; um dafür zu büßen, ließ sie im Geheim eine dreischläfrige Bettsponde zurichten von starken föhrnen Stollen, mit der Farbe der Hoffnung überzogen, und einer rundgewölbten Decke, in Form eines Kirchhimmels, mit geflügelten bausbäckigen Engelsköpfen gezieret. Auf der seidnen Matratze, die zum Prunk über die Flaumenpolster ausgebreitet war, präsentierte sich in künstlicher Stickerei der Engel Raphael, wie er ihr im Traum erschienen war, nebst dem Grafen im Pilgerkleide. Dieser redende Beweis von der zuvorkommenden ehelichen Gefälligkeit seiner Gemahlin, rührte ihn in der Seele. Er hing an ihrem Halse und küßte sie außer Atem, beim Anblick dieser Anstalten, zur Vervollkommung seiner Ehefreuden. »Herrliches Weib!« rief er mit Entzücken aus, »dieser Liebestempel erhebt dich über Tausende deines Geschlechts, verkündet, als ein Ehrendenkmal, deinen Namen der Nachwelt, und solange noch ein Span von dieser Sponde übrig ist, werden die Männer ihren Gattinnen deine exemplarische Gefälligkeit anpreisen.« Nach wenig Tagen langte auch Fräulein Angelika glücklich an, und wurde wie eine Königsbraut, vom Grafen, in reicher Hofgala empfangen. Frau Ottilia kam ihr mit offenem Herzen und Armen entgegen, und führte sie, als die Mitgenossin aller ihrer Rechte, in das Residenzschloß ein. Der Zwitterbräutigam war unterdessen nach Erfurt zum Weihbischof gezogen, um die Trauung zu bestellen. Dieser fromme Prälat entsetzte sich ob diesem heterodoxen Anmuten nicht wenig, und ließ sich vermerken, daß er solch Ärgernis in seinem Kirchsprengel nicht gestatten werde. Allein da Graf Ernst die päpstliche Dispensation, unter dem Fischerring, im Original produzierte, war ihm das ein Siegel auf den Mund; doch gab seine bedenkliche Miene, und sein Kopfschütteln deutlich zu verstehen, der Obersteuermann des Schiffleins der christgläubigen Kirche habe, durch diese Vergünstigung, geflissentlich ein Loch in den Kiel desselben gebohrt, davon zu befahren stehe, daß es unter Wasser tauchen und zu Trümmern gehen werde.

Die Vermählung wurde mit Prunk und Pracht vollzogen, Frau Ottilia, welche die Stelle der Hochzeitmutter vertrat, hatte reichlich zugeschickt, und alle thüringische Grafen und Ritter kamen weit und breit zusammen, diese ungewöhnliche Hochzeitfeier mit begehen zu helfen. Ehe der Graf die schöne Braut zum Altare führte, tat sie ihr Schmuckkästlein auf, und verehrte ihm den ganzen Schatz der Juwelen, soviel ihr die Dispensationsspesen davon übriggelassen hatten, zum Heuratsgute, und er beleibzichtete sie dafür auf Ehrenstein zur Gegensteuer. Die keusche Myrte schlang sich, am Vermählungstage, um eine güldne Krone, welchen Hauptschmuck die Tochter des Soldans, als ein Dokument ihrer hohen Geburt, beibehielt auf ihre Lebenszeit, weshalb sie auch von den Untertanen nur die Königin genannt, und von ihrem Hofgesinde als eine Königin bedient und geehrt wurde.

Wer für fünfzig Guineen die teure Wollust erkauft hat, eine Nacht in Doktor Grahams himmlischen Bette in London zu rasten, nur der kann sich das Entzücken träumen, welches Graf Ernst von Gleichen empfand, als die dreischläfrige Bettsponde ihren elastischen Rumpf eröffnete, den Verlobten zweier Geliebten nebst seinem Komitat aufzunehmen. Nach so vielen kummervollen Nächten, drückte ein bescheidner Schlummer der Gräfin Ottilia, an der Seite ihres wiedergefundenen Eheherrn, bald die Augen zu, und verstattete ihm die unbeschränkte Freiheit, mit der zärtlichen Angelika, nach aller Bequemlichkeit, den Endreim auf Muschirumi zu suchen. Sieben Tage lang dauerte das hochzeitliche Wohlleben, und der Graf gestund, daß er dadurch reichlichen Ersatz für die sieben traurigen Jahre, die er im vergitterten Turm zu Großkairo zubringen mußte, erhalten habe, welches kein höfisches Kompliment zu sein scheint, das er seinen beiden getreuen Gattinnen machte, wenn anders der Erfahrungssatz richtig ist, daß ein einziger froher Tag, den bittern Gram und Harm eines trübseligen Jahres versüßet.

Nächst dem Grafen, befand sich bei diesem Wonnetaumel niemand besser, als sein getreuer Knappe, der flinke Kurt, der sich's bei reichbestellter Küch und Keller wohlsein ließ, und den Freudenbecher hurtig leerte, welcher unter dem Hofgesinde fleißig herumging, wobei der volle Tisch das Ohr spitzte, wenn er, sobald der Magen befriediget war, anfing seine Abenteuer auszuleeren. Da aber die gräfliche Ökonomie wieder in das gewöhnliche frugale Gleis trat, begehrte er Urlaub, nach Ordruff zu wandern, seine Hausfrau daselbst heimzusuchen, und ihr durch seine Heimkehr eine unvermutete Freude zu machen. Er hatte während der langen Abwesenheit seine Keuschheit aufs gewissenhafteste bewahret, und sehnte sich nun nach der billigen Belohnung eines so exemplarischen Wandels, durch den Genuß erneuerter Liebe. Die Phantasie malte ihm das Bild seiner tugendbelobten Rebekka mit den lebhaftesten Farben vor Augen, und je näher er den Mauern kam, die sie umschlossen, desto heller wurde dieses Kolorit. Er sahe sie mit allen den Reizen vor sich stehen, die ihn am Hochzeittage entzückt hatten; er sahe, wie das Übermaß von Freuden, über seine glückliche Ankunft, ihre Lebensgeister überwältigen und wie sie, mit stummer Betäubung, ihm in die Arme sinken werde.

Von diesem schönen Schattenspiel umgaukelt, gelangte er an das Tor seiner Vaterstadt, ohne es zu bemerken, bis der wachthabende Schildbürger den Schlagbaum vorzog, und den Fremdling auskundschaftete, wer er sei, was für Verrichtungen er in der Stadt habe, und ob er in friedlicher Absicht käme. Der flinke Kurt gab auf alles redlichen Bescheid, und trabte nun gemachsam, damit des Gauls Hufschlag seine Ankunft nicht zu früh verraten möchte, die Straße herauf. Er band das Pferd an den Pfortenring, und stahl sich ohne Geräusch in den Hof seiner Wohnung, wo ihn der alte wohlbekannte Kettenhund zuerst mit freudigem Gebell empfing. Doch wunderte er sich baß, als er zweier muntern vollwangigen Knaben, wie die Engel gestaltet am Betthimmel in der Gleichischen Burg, ansichtig wurde, die auf der Hausdiele herumsprangen. Ehe er Zeit hatte darüber zu spekulieren, trat die Hausfrau züchtiglich aus der Türe, zu sehen wer da sei. Ach, welch ein Abstand zwischen Ideal und Original! Der Zahn der Zeit hatte, in den sieben Jahren, unbarmherzig an ihren Reizen genagt; doch waren die Grundzüge der Physiognomie insoweit verschont geblieben, daß sie dem Auge des Kenners noch so kenntlich waren, wie das vormalige Gepräge einer verblichenen Münze. Die Freude des Wiedersehens verschleierte leicht die Mängel der Gestalt, und der Gedanke, daß der Gram über seine Abwesenheit, das glatte Gesicht des lieben Weibes also gefurchet habe, versetzte den gutmütigen Ehekonsorten in eine empfindsame Stimmung, er umhalsete sie mit großer Inbrunst und sprach: »Willkommen trautes Weib, vergiß all deines Herzeleids. Sieh da! ich lebe noch: du hast mich wieder!«

Die fromme Rebekka erwiderte diese Zärtlichkeit mit einem derben Rippenstoß, daß der flinke Kurt davon bis an die Wand taumelte, erhob groß Geschrei und rief dem Gesinde, als sei ihrer Keuschheit Gewalt geschehen, schalt und schmähete, und gebärdete ihrer als eine Höllenfurie. Der zärtliche Ehemann entschuldigte gleichwohl diesen unzärtlichen Empfang damit, daß er die Ursache davon der beleidigten Delikatesse seiner züchtigen Hausfrau, durch den dreusten Bewillkommungskuß zuschrieb, er meinte, er werde von ihr verkannt, erschöpfte seine Lunge, sie aus diesem scheinbaren Irrtum zu ziehen; allein er predigte tauben Ohren, und wurde bald belehrt, daß hier kein Mißverstand in der Sache obwalte. »Du schändlicher Gauch!« erhob sie ihre kreischende Stimme, »nachdem du dich sieben lange Jahre in der weiten Welt herumgetrieben und mit fremden Weibern gebuhlt hast, meinst du mein keusches Ehebett wieder zu beschreiten? Wir sind geschiedne Leute! Hab ich dich nicht an drei Kirchtüren öffentlich zitieren lassen, und bist du nicht deines ungehorsamlichen Ausbleibens halber für mausetot erklärt? Ist mir von der Obrigkeit gestattet worden, meinen Witwenstuhl zu verrücken, und den Burgermeister Wipprecht zu heuraten? Wir leben bereits ins sechste Jahr als Mann und Frau zusammen, und diese beiden Knaben sind ein Segen unserer Ehe. Da kommt der Störenfried, und will mein Haus verwirren! Wo du dich nicht stehenden Fußes fortpackst, soll dich der Magistrat stocken und pflöcken und an den Pranger stellen lassen, zum Exempel aller solcher Irrläufer, die ihre Weiber böslich verlassen.« Dieser Willkommen seiner weiland geliebten Ehehälfte, war dem flinken Kurt ein Dolchstoß ins Herz, die Galle ergoß sich, wie ein Wehr, ins Blut. »O du treulose Metze!« entgegnete er, »was hält mich, daß ich dir und deinen Wechselbälgen nicht augenblicks den Hals umdrehe? Gedenkest du also deiner Zusage, und des oft wiederholten Schwurs im traulichen Ehebett, daß dich der Tod nicht von mir scheiden sollte? Verhießest du mir nicht, ungefordert, wenn deine Seele gleich vom Mund auf gen Himmel führ und ich im Fegfeuer schmachtete, du wolltest vor der Himmelstür wieder umkehren und zu mir herabsteigen, mir kühle Luft zuzufächeln, bis ich aus den Flammen der Vorhölle erlöset wär? Daß dir doch die lügenhafte Zunge verschwatzte, du Galgenaas!«

Obgleich der Prima Donna von Ordruff eine geläufige Zunge verliehen war, die auch keinesweges auf die Verwünschung des ungestümen Eheprätendenten erschwarzte: so fand Dame Rebekka doch nicht gut, sich mit ihm in weitern Wortwechsel einzulassen, sondern gab dem Hausgesinde einen bedeutsamen Wink, –

worauf Knechte und Mägde über den flinken Kurt herfielen, und ihn brevi manu aus dem Hause warfen, bei welchem Aktus der häuslichen Jurisdiktion, sie selbst mit dem Kehrbesen, den verabschiedeten Ehegespan zur Tür hinausfächelte. Halb geradebrecht schwang er sich wieder aufs Roß, und flog spornstreichs die Straße hinab, die er so bedachtsam vor wenig Minuten herauf gezogen war.

Als sich auf dem Heimwege sein Blut anfing zu verkühlen, berechnete er Gewinn und Verlust und gab sich über den letztern zufrieden: denn er befand, daß er eigentlich nichts eingebüßet hatte als den Trost, in dem Zustande der Seele nach dem Tode, der Kühlung eines Sonnenwedels sich zu erfreuen. Er zog nimmer wieder nach Ordruff, sondern blieb auf dem Schlosse des Grafen von Gleichen seine Lebenszeit, und war ein Augenzeuge der unglaublichsten Begebenheit, daß zwei Damen sich in die Liebe eines Mannes teilten, ohne Zwist und Eifersucht, und sogar unter einem Betthimmel. Die schöne Sarazenin blieb kinderlos; liebte und pflegte jedoch die Kinder ihrer Mitgenossin als die ihrigen, und teilte mit ihr die Sorgen der Erziehung. Sie war von dem dreiblättrigen Kleeblatt dieser glücklichen Ehe das erste, welches im Herbste des Lebens dahin welkte, ihr folgte die Gräfin Ottilia, und der betrübte Witwer, dem's nun im Schlosse und in dem geräumigen Bett zu weit und einsam war, machte nach wenig Monaten den Beschluß. Die von den gräflichen Konsorten, bei Lebzeiten, festgesetzte Ordnung im Ehebett, erlitt auch nach dem Tode keine Veränderung Sie ruhen alle drei in einem Grabe, vor dem Gleichischen Altar in der Sankt Peterskirche zu Erfurt, auf dem Berge, allwo ihr Grabmal noch zu sehen ist, mit einem Steine bedeckt, auf dem die edle Bettgenossenschaft nach dem Leben abgebildet ist. Zur Rechten die Gräfin Ottilia, mit einem Spiegel in der Hand, dem Sinnbilde ihrer lobwürdigen Klugheit, zur Linken die Sarazenin mit einer Königskron geschmückt, und in der Mitte der Graf, auf sein Wappenschild, den gelöwten Leoparden sich lehnendEin Kupferstich von diesem Leichenstein, befindet sich in von Falkensteins analectis nordgaviensibus. . Die berühmte dreischläfrige Sponde wird noch im alten Schlosse, in der sogenannten Junkernkammer, als eine Reliquie aufbewahrt, und ein Span davon, statt des Blankscheits in dem Schnürleib getragen, soll die Kraft haben, alle Regungen von Eifersucht in dem weiblichen Herzen zu zerstören.


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