Johann Karl August Musäus
Volksmärchen der Deutschen
Johann Karl August Musäus

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Um die Zeit, als sich der Wein färbte, und der herannahende Herbst die Äpfel an den Bäumen rötete, kräuselten sich die braunen Locken wieder, der Wandrer schnürte sein Reisebündel: seine Sinnen und Gedanken waren auf die Weserbrücke gerichtet, um den Freund aufzusuchen, der ihm, nach der Verheißung des nächtlichen Barbiers, Anweisung geben sollte, wie er sein Glück machen könnte. Indem er sich vom Wirt verabschiedete, zog dieser ein Pferd, mit Sattel und Zeug, aus dem Stalle, womit der Gutsherr aus Dankbarkeit ihn beschenkte, daß er sein Schloß wieder wohnbar gemacht hatte; auch ließ er ihm einen nachhaltigen Zehrpfennig reichen, und so kam Franz flink und wohlgemut in seine Vaterstadt wieder angeritten, wie er vor Jahresfrist daraus gezogen war. Er suchte sein altes Quartier im engen Gäßgen auf, hielt sich aber gar still und eingezogen, und forschte nur unter der Hand, wie's mit der schönen Meta stund, ob sie noch lebe, und unvermählt sei. Auf diese Frage erhielt er eine befriedigende Antwort, und begnügte sich vor der Hand daran: denn er wagte es nicht, ehe sein Schicksal entschieden wäre, ihr unter die Augen zu treten, oder seine Ankunft in Bremen ihr vermerken zu lassen.

Mit heißer Sehnsucht erwartete er die Tag- und Nachtgleiche, seine Ungeduld machte ihm bis dahin jeden Tag zu einem Jahre. Endlich erschien der langgewünschte Termin. Die Nacht vorher konnte er, vor Erwartung der Dinge, die da kommen sollten, kein Auge zutun; das Blut wallete und pochte in den Adern, wie im Schlosse Rummelsburg, da er des Besuchs von einem Poltergeiste sich versähe. Um den unbekannten Freund nicht zu verfehlen, stund er schon vor Tagesanbruch auf, und begab sich in der ersten Morgendämmerung auf die Weserbrücke, die noch leer und ledig von Passanten war. Er ging verschiedenemal einsam darauf hin und wider, mit einem Vorgefühl freudiger Ahndung, das den eigentlichen Genuß aller irdischen Glückseligkeit in sich faßt, denn nicht die erreichten Wünsche, sondern die unbezweifelte Hoffnung, sie zu erreichen, gewähret dem menschlichen Geiste das volle Maß des höchsten und innigsten Vergnügens. Er machte eine Menge Entwürfe, wie er sich im Besitz seines zu erwartenden Glücks, bei der geliebten Meta produzieren wollte; ob es ratsamer sei, sich ihr in vollem Glanze zu zeigen, oder nur im ersten Schimmer des Morgenlichtes, aus seiner bisherigen Dunkelheit hervorzugehen, und sie nach und nach die glückliche Veränderung seiner Lage wahrnehmen zu lassen. Die Neugierde tat bei dieser Gelegenheit tausend Fragen an den Verstand: Wer mag der Freund sein, der mir auf der Weserbrücke begegnen soll? Ob's wohl einer meiner alten Bekannten ist, bei denen ich, seit meinem Verfall, ganz vergessen bin? Wie wird er mir den Weg zum Glücke bahnen? Und wird dieser Weg kurz oder lang, bequem oder mühsam sein? Auf alles das wußte der Verstand, seines Sinnens und Spekulierens ungeachtet, keine Antwort.

Nach Verlauf einer Stunde, fing's an auf der Brücke lebhaft zu werden, es wurde darüber geritten, gefahren und gegangen, auch viel Kaufmannsgut hin und her gebracht. Die gewöhnliche Tagwache, von Bettlern und preßhaften Personen, besetzte nach und nach diesen zu ihrem Gewerbe wohlgelegnen Posten, um die Wohltätigkeit der Vorübergehenden in Kontribution zu setzen: an Armenanstalten und Arbeitshäuser hatte die weise Polizei damals noch nicht gedacht. Der erste von der zerfetzten Kohorte, der den Jovialischen Spaziergänger, welchem frohe Hoffnung aus den Augen lachte, um eine milde Gabe ansprach, war ein verabschiedeter Kriegsmann, der mit dem militärischen Ehrenzeichen eines hölzernen Stelzfußes versehen war, das ihm, als er weiland fürs Vaterland focht, zum Lohn seiner Tapferkeit verliehen wurde, mit der Gerechtsame, zu betteln wo er wollte, und der nun, als Physiognomist, das Studium der Menschenkunde auf der Weserbrücke mit so gutem Erfolg trieb, daß er selten eine Fehlbitte um ein Almosen tat. Auch diesmal irrte sich sein Beschauungsblick keinesweges, indem ihm Franz, in der Freudigkeit seines Herzens, einen blanken EngelgroschenEine Münze, die im Erzgebürge ausgeprägt wurde, aber überall im deutschen Reiche Kurs hatte, an Wert ungefähr vier Groschen. in den Hut warf.

Zur Zeit der ersten Morgenstunden, wo nur der arbeitsame Handwerker tätig ist, der vornehmere Städter aber noch der trägen Ruhe pfleget, erwartete er die Erscheinung des verheißenen Freundes eigentlich noch nicht: er suchte ihn nicht in den niedrigsten Volksklassen, und nahm daher von den Passanten nur wenig Notiz. Um die Stunde der Gerichtszeit aber, als die Proceres von Bremen, in stattlichen Amtskleidern, zu Rat fuhren, und um die Börsenzeit, war er ganz Auge und Ohr, spähete die Kommenden von ferne, und wenn ein rechtlicher Mann über die Brücke kam, geriet sein Blut in Bewegung, und er vermeinte an ihm den Schöpfer seines Glücks zu finden. Es verging indessen eine Stunde nach der andern, die Sonne rückte hoch herauf; bald machte die Mittagszeit einen Stillstand in den Geschäften; das Getümmel verlor sich, und der erwartete Freund zögerte noch immer mit seiner Ankunft. Franz promenierte jetzt ganz allein die Brücke auf und nieder, hatte keine andre Gesellschaft neben sich, als die Bettler, die sich ihre kalte Küche servierten, ohne den Platz zu verlassen. Er trug ebenfalls Bedenken dieses zu tun, und weil er nicht mit Lebensmitteln versehen war, kaufte er einiges Obst, und nahm sein Mittagsmahl ambulando ein.

Dem ganzen Klub, der auf der Weserbrücke tafelte, fiel der junge Mann auf, der vom frühen Morgen an bis an den Mittag hier gelauret hatte, ohne mit jemand Unterredung zu pflegen, oder ein Geschäft auszurichten. Sie hielten ihn für einen Müßiggänger, und ungeachtet sie alle seine Mildtätigkeit erfahren hatten, entging er ihrem Spotte doch nicht: sie nannten ihn scherzweise den Brückenvogt. Der Physiognomist mit dem Stelzfuße aber bemerkte, daß seine Miene nicht mehr so heiter war als in der Morgenstunde, er schien einer Sache ernstlich nachzudenken, hatte den Hut tief ins Gesichte gedrückt, seine Bewegung war langsam und bedächtlich, er nagte lange Zeit an einem Apfelkröbse, ohne daß er dieses selbst zu wissen schien. Aus dieser Beobachtung vermeinte der Menschenspäher Vorteil zu ziehen, darum setzte er sein natürliches und sein hölzernes Bein in Bewegung, begab sich an das andre Ende der Brücke, und lauerte dem Denker auf, um unter dem Anschein eines neuen Ankömmlings, ihn nochmals um eine Beisteuer anzugehen, und dieser Fund gelang ihm aufs beste. Der tiefsinnige Philosoph richtete keine Aufmerksamkeit auf den Bettler, griff mechanisch in die Tasche, und warf ihm ein Sechsgrotstück in den Hut, um seiner loszuwerden.

Nach der Mittagszeit kamen wieder tausend neue Gesichter zum Vorschein, der Harrende war nun des Verzugs seines unbekannten Freundes müde, demungeachtet hielt die Hoffnung noch immer seine Aufmerksamkeit gespannt; er trat jedem Vorübergehenden unter die Augen, hoffte, daß ihn einer freundschaftlich umarmen sollte; aber alle gingen kaltsinnig ihres Weges, die mehresten bemerkten ihn gar nicht, und wenige erwiderten seinen Gruß mit einem kleinen Kopfnicken. Die Sonne neigte sich bereits zum Untergange, die Schatten wurden länger, die Frequenz auf der Brücke nahm ab, und das Bettlerpikett zog nach und nach heim, in seine Kasernen auf der Mattenburg. Eine tiefe Schwermut überfiel den Hoffnungslosen, da er seine Erwartung getäuscht und die herrliche Aussicht, die er des Morgens vor Augen hatte, am Abend nun verschwinden sahe. Er geriet in eine Art mißmutiger Verzweiflung, war nahe dabei über Bord zu springen und sich von der Brücke herab in die Weser zu stürzen. Aber ein Gedanke an Meta hielt ihn zurück, und bewog ihn, dieses Vorhaben so lange aufzuschieben, bis er sie noch einmal gesehen hätte; er beschloß den folgenden Tag sie zu belauschen, wenn sie gehen würde Messe zu hören, zum letzten Mal aus ihrem reizenden Anblick Wonne zu trinken, und dann flugs die heiße Liebe in dem kalten Weserstrom auf ewig abzukühlen.

Indem er sich anschickte, die Brücke zu verlassen, begegnete ihm der verabschiedete Lanzknecht mit dem Stelzfuß, der mancherlei Spekulationen zum Zeitvertreib gemacht hatte, was des jungen Mannes Intent sei, daß er, vom frühen Morgen bis zum Abend, die Brücke bewacht hätte. Er hatte um seinetwillen länger als gewöhnlich verzogen, um ihn auszuharren. Weil er's ihm aber zu lange machte, reizte ihn die Neugierde, sich an ihn selbst zu wenden und ihn darum zu befragen. »Nichts vor ungut, lieber Herr«, redete er ihn an, »vergönnt mir eine Frage.« Franz, der eben nicht bei gesprächiger Laune war, und die Ansprache, die er von einem Freunde so sehnlich erwartet hatte, nun aus dem Munde eines Krüppels vernahm, antwortete etwas mürrisch: »Nun was ist's? Alter Graubart, rede!« »Wir zwei beide«, fuhr jener fort, »sind heut die ersten hier auf dieser Brücke gewesen, und sind nun auch die letzten. Was mich und andere meines Gelichters betrifft, uns führt der Beruf hierher, Almosen einzusammlen; aber Ihr seid doch, wahrlich! nicht von unsrer Gilde, und habt gleichwohl hier den ganzen Tag gelauret. Lieber, sagt mir, wenn's kein Geheimnis ist, welche Ursach bringt Euch hierher; oder welcher Stein liegt Euch auf dem Herzen, den Ihr hier abwälzen wolltet?« »Was kann's frommen, Alter«, sprach Franz launisch, »ob du weißt, wo mich der Schuh drückt; oder welch Anliegen ich auf dem Herzen habe, dich wird's wenig kümmern.« – »Herr, ich will Euch wohl, darum, daß Ihr Eure Hand gegen mich aufgetan, und mir zweimal Almosen gegeben habt, das Euch Gott belohne! Aber Euer Angesicht war am Abend nicht so heiter wie am Morgen, und das frißt mir 's Herz.« Diese gutmütige Teilnehmung des alten Kriegsknechtes gefiel dem Misanthropen, daß er nun das Gespräch gern unterhielt. »Ei nun«, antwortete er, »wenn dir daran gelegen ist, zu erfahren, warum ich mich hier die Langeweile habe plagen lassen, so wisse, daß ich einen Freund suchte, der mich hierher beschied, und nun vergeblich auf sich warten läßt.« »Mit Verlaub«, entgegnete der Stelzfuß, »daß ich frei reden mag, Euer Freund, sei er auch, wer er sei, ist 'n Schurke, daß er Euch so am Narrenseile führt. Tät er mir das, so sollt er, wahrlich! meine Krücken fühlen, wo er mir unter die Augen trät. War er verhindert Wort zu halten, sollt er es kund tun, und Euch nicht wie einen Knaben äffen.« »Ich kann ihm«, entschuldigte Franz, »sein Ausbleiben gleichwohl nicht verargen, er hat mir nichts versprochen; es war nur ein Traum, der mir verhieß, hier meinen Freund zu treffen.« Die Gespenstergeschichte war ihm zu erzählen zu weitläuftig, darum hüllte er sie in einen Traum. »Das ist ein andres«, sprach der Alte, »wenn Ihr auf Träume baut, so wundert's mich nicht, daß Euch Eure Hoffnung betrügt. Mich hat in meinem Leben viel tolles Zeug geträumet; aber ich bin nie ein solcher Tor gewesen, darauf zu achten. Hätt ich all die Schätze, die mir im Traume sind beschert gewesen, die Stadt Bremen wollt ich damit kaufen, wo sie feilgeboten würde. Aber ich habe nie an Träume geglaubt, auch weder Hand noch Fuß geregt, ihren Wert oder Unwert zu prüfen, ich wußte wohl, daß es vergebne Mühe damit sei. Ha! ich muß Euch ins Gesichte lachen, daß Ihr um eines leeren Traumes willen, einen schönen Lebenstag verschleudert, den Ihr, bei einem fröhlichen Gelag, besser zugebracht hättet.« – »Der Erfolg beweist, daß du recht hast, Alter, und daß Träume öfters trügen. Aber«, verteidigte sich Franz, »ich träumte so lebhaft und umständlich, vor länger als drei Monden, daß ich an eben diesem Tage und an diesem Orte einen Freund antreffen sollte, der mir Dinge von großer Wichtigkeit zu sagen habe, daß es wohl der Mühe lohnte, zu erfahren, ob der Traum zutreffen würde.« – »Oh«, versetzte der Stelzfuß, »niemand träumt lebhafter als ich! Einen Traum vergeß ich doch in meinem Leben nicht. Träumte mich, weiß nicht vor wie viel Jahren, mein Schutzengel stund an meinem Bette, in Gestalt eines Jünglings, mit goldgelockten Haaren, und zwei silberfarbenen Fittichen auf dem Rücken, und sprach zu mir: ›Berthold, vernimm die Worte meiner Rede, daß keins verloren gehe aus deinem Herzen. Es ist dir ein Schatz beschieden, den du heben sollst, um dir davon gütlich zu tun, die übrige Zeit deines Lebens. Morgen abend, wenn die Sonne zum Untergang sich neiget, nimm Schippe und Spaten auf deine Schulter, gehe aus von der Mattenburg, über die Tieber rechter Hand, nach der Balgenbrücke, an dem Johanniskloster hin, bis zum großen Roland. Dann nimm deinen Weg über den Domhof durch den Schüsselkorb, daß du gelangest außer der Stadt an einen Garten, der das Merkzeichen hat, daß eine Steige von vier steinernen Stufen von der Straße hinunter zu dessen Eingang führet. Harre hier abseits, im Verborgnen, bis die Mondssichel dir leuchtet: dann stemme dich mit Mannskraft gegen die leicht verwahrte Tür, die dir nur schwach widerstehen wird. Tritt getrost ein in den Garten, und wende dich nach dem Traubengeländer, das den Bogengang beschattet, hinter demselben linker Hand überragt ein hoher Apfelbaum das niedrige Gebüsch, tritt an den Stamm dieses Baums, das Angesicht gerade gegen den Mond gekehret, schaue drei Ellen breit vor dich auf die Erde, so wirst du zwei Zimtrosensträuche erblicken, dort schlage ein und grabe drei Spannen tief, bis du eine steinerne Platte findest, darunter liegt der Schatz begraben, in einer eisernen Truhe voll Gold und Geldeswert. Ob sie wohl schwer und unbehülflich ist, so scheue doch die Arbeit nicht, sie aus der Gruft zu heben, sie wird deiner Mühe wohl lohnen, wenn du den Schlüssel suchest, der unter der Truhe verwahrt ist.‹«

Vor Verwunderung starrte und staunte Franz den Träumer an, über das was er hörte, und würde seine Verwirrung nicht haben verbergen können, wo nicht die nächtliche Dämmerung ihm zustatten gekommen war. Er erkannte, aus allen angegebenen Merkzeichen, seinen eignen vom Vater ererbten Garten, der des guten Mannes Steckenpferd bei seinem Leben gewesen war; um deswillen aber dem Sohne nicht behagte, vermöge der Erfahrungsregel, daß selten Vater und Sohn in einer Lieblingsneigung, wenn sie kein Laster ist, sympathisieren; denn im letztern Fall fällt der Apfel, wie man spricht, selten weit vom Stamme. Vater Melchior hatte den Garten ganz in seinem eignen Geschmacke angelegt, so bunt und seltsam wie sein Urenkelssohn, der sein Elysium durch eine originelle Beschreibung verewiget hatIn Hirschfelds Gartenkalender vom Jahr 1783 auf der 126. u. f. S.. Er hatte zwar keine gemalte Menagerie darinne zur Schau ausgestellt; aber er unterhielt gleichwohl eine sehr zahlreiche daselbst, von springenden Rossen, geflügelten Löwen, Adlern, Greifen, Einhörnern und andern Wundertieren, allesamt von reinem Gold geprägt, die er aber für jedermanns Augen sorgfältig verhehlte, und unter die Erde verbarg. Dieses väterliche Tempe hatte der verschwenderische Sohn, zur Zeit seiner Wildfangsepoche, um ein Spottgeld verschleudert.

Jetzt wurde ihm der Stelzfuß auf einmal höchst interessant, da er merkte, daß eben dieser der Freund war, an den ihn das Nachtgespenst im Schlosse Rummelsburg adressiert hatte. Gern hätt er ihn umarmen, und im ersten Entzücken Freund und Vater nennen mögen; doch hielt er sich zurück und fand ratsamer, sich gegen ihn über die mitgeteilte Nachricht nicht weiter auszulassen. Darum sprach er: »Das laß ich mir einen umständlichen Traum sein! Aber, Alter, was tatest du am Morgen beim Erwachen? Befolgtest du nicht, wozu der Schutzengel dich anmahnte?« »Ei wie sollt ich«, antwortete der Träumer, »vergebne Arbeit tun? Es war ja nichts als ein leidiger Traum. Wenn mir mein Schutzengel erscheinen wollte, so hab ich der schlaflosen Nächte in meinem Leben gar viel gehabt, wo er mich wachend hätte finden können; aber er hat sich wohl nie sehr um mich bekümmert, sonst würde ich nicht, zu seiner Schande, auf diesem Stelzfuß hinken.« Franz zog sein letztes Silberstück hervor, das er bei sich trug. »Nimm«, sprach er, »alter Vater, diese Gabe noch von mir, zu einem Schoppen Wein für den Abendtrunk, dein Gespräch hat meine üble Laune verscheucht. Verabsäume nicht, dich fleißig auf dieser Brücke einzufinden, wir sprechen, hoff ich, uns hier wieder.« Der lahme Greis hatte seit langer Zeit kein so reiches Almosen eingeerntet, als an diesem Tag, er segnete dafür seinen Wohltäter, krückte sich in ein Wirtshaus und tat sich eine Güte; Franz aber eilte, von neuer Hoffnung belebt, seiner Wohnung im engen Gäßgen zu.

Am folgenden Tage setzte er alles in Bereitschaft, was zum Schatzgraben erforderlich ist. Die außerwesentlichen Requisita, Beschwörungsformeln, Zaubersegen, Zaubergürtel, hieroglyphische Charaktere und dergleichen mangelten ihm gänzlich; sie sind aber auch entbehrlich, wenn nur die drei Haupterfordernisse nicht fehlen, Schippe, Spaten, und vor allen Dingen der Schatz unter der Erde. Das nötige Arbeitszeug schaffte er kurz vor Sonnenuntergang an Ort und Stelle, und verbarg es einsweils in eine Hecke; was aber den Schatz selbst betraf, so hatte er den festen Glauben, daß der Geist im Schlosse, und der Freund auf der Brücke, an ihm nicht würden zu Lügnern werden. Mit sehnlichem Verlangen erwartete er nun den Aufgang des Mondes, und als dieser seine Silberhörner durchs Gebüsche streckte, gab er sich frisch an die Arbeit, beobachtete alles genau, was ihm der alte Invalid gelehret hatte, und hob den Schatz glücklich, ohne ein Abenteuer dabei zu bestehen; ohne daß ihn ein schwarzer Hund erschreckt, oder ein blaues Flämmlein dazu geleuchtet hätte.

Vater Melchior, der aus weiser Vorsicht diesen Notpfennig hier vergrub, hatte keinesweges die Absicht, seinem Sohne diesen beträchtlichen Teil der Erbschaft zu entziehen, der Verstoß lag nur darinne, daß Freund Hein auf eine andre Manier den Erblasser aus der Welt geleitete, als dieser vermutet hatte. Er war gänzlich überzeugt, daß er alt und lebenssatt, mit allen Formalitäten eines ordentlichen Krankenlagers, das Zeitliche gesegnen würde, wie ihm in der Jugend war prophezeiet worden. Da wollte er nun, wenn er nach Kirchengebrauch die Letzte Ölung empfangen hätte, seinen geliebten Sohn ans Sterbebette zu sich rufen, nachdem er alle Umstehenden zuvor entlassen hätte, ihm den väterlichen Segen erteilen, und zum Valet, den im Garten vergrabenen Schatz nachweisen. Es wäre auch alles in seiner Ordnung gegangen, wenn das Lebenslicht des guten Alten ausgelöscht wär wie ein brennendes Tocht, dem es an Öl gebricht; da es aber der Tod hinterlistigerweise auf einem Gastmahl ausputzte, so nahm er, wider Willen, sein Mammonsgeheimnis mit ins Grab, und es waren beinahe so viel glückliche Konkurrenzen erforderlich, ehe das verscharrte Patrimonium an den rechten Erben kam, als wenn es durch die Hand der Gerechtigkeit an die Behörde wäre befördert worden.

Mit unermeßlicher Freude nahm er die unförmlichen spanischen Matten in Empfang, die der eiserne Kasten, nebst einer großen Anzahl anderer Sorten von feinerm Gepräge, getreulich verwahret hatte. Nachdem der Taumel der ersten Wonnetrunkenheit etwas verraucht war, überlegte er, wie der Schatz unbemerkt und sicher ins enge Gäßgen zu transportieren sein möchte. Die Bürde war zu schwer, sie ohne Gehülfen fortzubringen, daher wachten mit dem Besitz des Reichtums auch alle damit verknüpfte Sorgen auf. Der neue Krösus wußte sich nicht anders zu raten, als sein Kapital einem hohlen Baume, der hinterm Garten auf einer Wiese stund, auf Treu und Glauben anzuvertrauen; den ausgeleerten Kasten vergrub er wieder in das Rosengebüsch, und ebnete den Platz so gut er konnte. In Zeit von drei Tagen, war der Schatz aus dem hohlen Baume wohlbehalten ins enge Gäßgen eingelotset, und nun glaubte der Inhaber, mit Ehren sein strenges Inkognito ablegen zu können. Er kleidete sich aufs beste, ließ die Vorbitte in der Kirche abstellen, und begehrte dagegen eine christliche Danksagung für einen Reisenden, bei der Wiederkehr in seine Vaterstadt, nach glücklicher Ausrichtung seiner Geschäfte. Er verbarg sich in der Kirche in einen Winkel, wo er unbemerkt die schöne Meta beobachten konnte, verwendete von ihr kein Auge, und trank aus ihrem Anblick alles das Entzücken, dessen Vorempfindung ihn von dem Hallorumsprunge, von der Weserbrücke, zurückhielt. Wie's an die Danksagung kam, blickte frohe Teilnehmung aus allen ihren Gesichtszügen, und die jungfräulichen Wangen glüheten vor Freude. Die gewöhnliche Begegnung auf dem Heimwege war so sprechend, daß sie auch dem dritten Mann, der darauf gemerket hätte, wäre verständlich gewesen.

Franz erschien nun wieder auf der Börse, fing ein Gewerbe an, das in wenig Wochen schon ins Große ging, und da sein Wohlstand täglich mehr in die Augen fiel, urteilte Freund Neidhard der Lästerzüngler, er müsse bei Einkassierung der alten Schulden mehr Glück als Verstand gehabt haben. Er mietete ein großes Haus, dem Roland gegenüber auf dem Markte, nahm Buchhalter und Handelsdiener an, und trieb seine Geschäfte unverdrossen. Da handhabte das leidige Völklein der Schmarotzer wieder fleißig die Klingel an der Tür, kamen zu Hauf und erdrückten ihn schier mit Freundschaftsversicherungen und Glückwünschen, zu erneuertem Wohlergehen; –

vermeinten ihn wieder, mit ihren räuberischen Klauen, zu erfassen. Aber er war durch Erfahrung klug worden, bezahlte sie mit ihrer eignen Münze, speiste ihre falsche Freundlichkeit mit glatten Worten ab, und ließ sie mit leerem Magen abziehen, welches souveräne Mittel, das lästige Geschmeiß der Gutschmecker und Schranzen zu vertreiben, die beabsichtete Wirkung tat, daß sie wegblieben.

In Bremen war der neu emporschwebende Franz das Märchen des Tages, die Fortune, die er auf eine unbegreifliche Art in der Fremde, wie man glaubte, gemacht hatte, war der Inhalt aller Gespräche auf Ehrengelagen, vor den Gerichtsschranken, und auf der Börse. Doch in dem Maße, wie der Ruf von seinem Glück und Wohlstand wuchs, nahm die Zufriedenheit und Gemütsruhe der schönen Meta ab. Der Freund in petto war, ihrer Meinung nach, jetzt wohl dazu qualifiziert, ein lautes Wort zu sprechen. Demungeachtet blieb seine Liebe noch immer stumm, und außer der Begegnung auf dem Kirchwege, ließ er nichts von sich hören. Selbst diese Art von Aufwartung wurde sparsamer, und dergleichen Adspekten deuteten nicht auf warme, sondern auf kalte Witterung in der Liebe. Die traurige Harpyie Celäno Eifersucht umflatterte, zur Nachtzeit, ihr Kämmerlein, und girrete, wenn der goldne Schlaf ihr kaum die blauen Augen zugedrückt hatte, manche bange Ahndung der Erwachenden ins Ohr. »Laß die süße Hoffnung schwinden, einen Unbeständigen zu fesseln, der als ein leichter Ball von jedem Winde umgetrieben wird. Er liebte dich und war dir treu, solang sein Glück dem deinigen die Waage hielt: nur gleich und gleich gesellet sich. Jetzt hebt ein günstger Los den Wankelmütigen weit über dich empor. Ach! nun verschmähet er die reinsten Triebe im dürftigen Gewand, da Prunk und Pracht, und Reichtum wieder um ihn braust, und buhlt, wer weiß um welche stolze Schöne, die ihn verstieß, als er im Staube lag, und mit Sirenenruf nun wieder zu sich lockt. Vielleicht hat ihn des Schmeichlers Stimme von dir abgewendet, der zu ihm mit verführerischen Worten sprach: Dir blüht der Garten Gottes in deiner Vaterstadt, Freund, du hast jetzt die Wahl von allen Mädchen, drum wähle mit Verstand, nicht mit den Augen nur. Es gibt der Mädchen viel, und viel der Väter, die heimlich auf dich lauren; dir weigert keiner seine Lieblingstochter. Nimm Glück und Ehre mit der Schönsten, auch Sippschaft und Vermögen hin. Die Ratsherrn-Würde kann dir nicht entgehen, wo der Gefreundschaft Stimme viel in der Stadt vermag.«

Diese Eingebungen der Eifersucht beunruhigten und quälten ihr Herz unablässig, sie musterte ihre schönen Zeitgenossinnen in Bremen durch, und maß den großen Abstand so vieler glänzenden Partien, gegen sich und ihre Verhältnisse, und da fiel das Resultat nicht für sie günstig aus. Die erste Nachricht von der Glücksveränderung ihres Geliebten, hatte sie im Geheim entzückt, nicht in der eigennützigen Absicht, Teilhaberin eines großen Vermögens zu werden, sondern um der guten Mutter Freude zu machen, die auf alles Erdenglück Verzicht getan, nachdem die Heurat mit dem Nachbar Hopfenkönig sich zerschlagen hatte. Jetzt wünschte Meta, der Himmel möchte die kirchliche Vorbitte nicht erhöret, und den Verrichtungen des Reisenden keinen so glücklichen Erfolg verliehen, sondern ihn vielmehr bei Salz und Brot erhalten haben, welches er gern mit ihr teilen würde. Die schöne Hälfte der Menschheit ist ganz und gar nicht geschickt, ein geheimes Anliegen zu verhehlen: Mutter Brigitta merkte bald den Trübsinn ihrer Tochter, und erriet auch, ohne eben eines Scharfblicks dazu benötiget zu sein, dessen Grund und Ursach vollkommen. Das Gerücht, von dem wieder aufgegangenen Glücksstern ihres ehemaligen Flachsspediteurs, der jetzt als ein Muster eines ordentlichen, verständigen und tätigen Handelsmannes gepriesen wurde, war ihr ebenso wenig, als die Gesinnung der holden Meta gegen ihn verborgen, und sie urteilte, wenn es mit seiner Liebe auf Ernst gemeinet sei, so wär's unnötig, so lange zu zaudern, ohne sich deutlich zu erklären. Doch zu Schonung ihrer Tochter erwähnte sie nie etwas davon; bis dieser endlich das Herz so voll war, daß sie die gute Mutter zur Vertrauten ihres Kummers machte, und ihr die wahre Ursache desselben offenbarte. Die kluge Frau erfuhr dadurch wenig mehr, als sie bereits schon wußte. Aber dieses freie Geständnis gab Gelegenheit, daß sich Mutter und Tochter gegeneinander, über diese Herzensangelegenheit expektorierten. Jene machte dieser diesfalls keine Vorwürfe weiter, sie glaubte, zu geschehenen Dingen müsse man das Beste reden; sie wendete vielmehr alle ihre Beredsamkeit an, die Niedergeschlagne zu trösten und anzumahnen, fehlgeschlagne Hoffnung mit standhaftem Mute zu ertragen.

In dieser Absicht buchstabierte sie ihr das sehr vernünftige moralische a-b-ab vor: »Kind, du hast a gesagt«, sprach sie, »nun muß du auch b sagen; du hast dein Glück verschmäht, da es dich suchte, nun mußt du dich auch drein ergeben, wenn es dir nicht wieder begegnet. Die Erfahrung hat mich gelehret, daß die zuversichtlichste Hoffnung am ersten trügt. Darum folge meinem Beispiel, entsage der schönen Gleisnerin, so wird sie deine Zufriedenheit nicht stören. Rechne nicht auf eine Verbesserung deines Schicksals, so wirst du dich mit deinem Zustande begnügen. Ehre die Spindel, die dich nährt, was kümmern dich Glück und Reichtum, wenn du ihrer entraten kannst?« Auf diese herzige Oration folgte eine rauschende Symphonie der Schnappweife und des Spinnrads, um die durch das Gespräch verlorne Zeit wieder beizubringen. Mutter Brigitta philosophierte in der Tat aus dem Herzen heraus: sie hatte den Plan ihres Lebens, nachdem sich die Anlage zu Wiederherstellung ihres ehemaligen Wohlstandes verschoben hatte, so vereinfacht, daß das Schicksal darin nichts mehr verwirren konnte; aber Meta war noch weit von diesem philosophischen Ruhepunkte entfernt. Daher wirkten diese Lehre, Vermahnung und Trost ganz anders, als sie gemeinet waren: die gewissenhafte Tochter betrachtete sich jetzt, als die Zerstörerin der süßen mütterlichen Hoffnung, und machte sich tausend Vorwürfe deswegen. Ob sie gleich den mütterlichen Heuratsplan nie adoptieret, und nur auf Salz und Brot in der zukünftigen Ehe gerechnet hatte: so waren ihre Küchenprojekte, nachdem sie von der wieder aufblühenden Handlung und dem Reichtum ihres Herzgespiels Kundschaft erhalten hatte, schon auf sechs Schüsseln gestiegen, und es war für sie ein entzückender Gedanke, durch ihre Wahl den Wunsch der guten Mutter dennoch zu realisieren, und sie wieder in den ehemaligen Wohlstand versetzt zu sehen.

Dieser schöne Traum verschwand nun allgemach, da Franz nichts mehr von sich hören ließ, dazu kam noch eine Sage, die in der ganzen Stadt umlief, er lasse sein Haus, zu seiner bevorstehenden Vermählung mit einer reichen Antwerperin, aufs herrlichste ausschmücken, und die Braut sei schon im Anzuge. Diese Hiobspost brachte das liebevolle Mädchen ganz aus der Fassung: sie sprach von Stund an dem Abtrünnigen das Verbannungsurteil aus ihrem Herzen, gelobte sich, nicht mehr an ihn zu gedenken, und netzte dabei den ausgezognen Faden mit Tränen. In einer der schwermutsvollen Stunden, wo sie dies Gelübde brach, und wider Willen an den Treulosen dachte, – denn sie hatte eben einen angelegten Rocken abgesponnen, und von der Mutter war ihr ehemals ein Sprüchlein gelehrt, zu Fleiß und Arbeit sie zu ermuntern, das lautete:

Spinn, Töchterlein, spinn,
der Freier sitzt drin!

An dieses Sprüchlein dachte sie, sooft sie einen Rocken aufgesponnen hatte, und dabei mußte ihr notwendig der Wankelmütige einfallen, – in einer solchen schwermutsvollen Stunde pochte ein Finger gar zierlich an die Tür. Mutter Brigitta sahe hinaus, da stund der Freier davor. – Und wer war's? – Wer anders, als Freund Franz aus dem engen Gäßchen? Er hatte sich mit einem prächtigen Feierkleide herausgeputzt, und seine wohlgekämmten lichtbraunen Locken dufteten Wohlgeruch. Dieser stattliche Aufzug ominierte allerdings eine andere Absicht, als ein Flachsnegoz; Mutter Brigitta bestürzte; sie wollte reden, aber die Worte versagten ihr. Meta erhob sich beklommen vom Sessel, glühete wie eine Purpurrose und schwieg. Franz aber war der Sprache mächtig, legte dem zärtlichen Adagio, das er ihr ehemals vorlauteniert hatte, nun einen schicklichen Text unter, und erklärte ihr seine stumme Liebe mit deutlichen Worten. Hierauf tat er um sie bei der Mutter feierliche Anwerbung, und legitimierte sich dadurch, daß die Zubereitungen in seinem Haus zum Empfange einer Braut, auf die reizvolle Meta wären gemeinet gewesen.

Die umständliche Frau wollte, nachdem sie ihre Sensationen wieder ins Gleichgewicht gestellet hatte, den Antrag, nach Gewohnheit, in achttägige Überlegung ziehen; ob ihr gleich die Freudentränen über die Wangen rollten, die auf kein Hindernis ihrerseits, sondern vielmehr auf beifällige Resolution deuteten. Franz war aber so dringend in seinem Gewerbe, daß sie zwischen dem mütterlichen Kostüm und dem Verlangen des Freiwerbers einen Mittelweg suchte, und die holde Meta bevollmächtigte, das Decisum in der Sache nach ihrem Gutbefinden zu fällen. In dem jungfräulichen Herzen hatte sich, seit Franzens Eintritt ins Zimmer, eine merkliche Revolution ereignet. Seine Erscheinung war der redendste Beweis seiner Unschuld, und da sich während der Unterredung deutlich ergab, daß der scheinbare Kaltsinn nichts anders als Eifer und Betriebsamkeit gewesen war, teils Handelsgeschäfte in Gang zu bringen, teils das Nötige zur bevorstehenden Eheverbindung zu veranstalten: so lag der geheimen Wiederaussöhnung kein Stein des Anstoßes im Wege. Sie verfuhr mit dem Verbanneten, wie Mutter Brigitta mit der außer Aktivität gesetzten Spinngerätschaft, oder der erstgeborne Sohn der Kirche mit einem exilierten Parlement, berief ihn mit Ehren in ihr hochklopfendes Herz zurück, und verlieh ihm darin alle vormalige Gerechtsame. Das entscheidende bilitteralische Wörtlein, das das Glück der Liebe bestätiget, gleitete mit unaussprechlicher Anmut von ihren sanften Lippen, daß der erhörte Liebhaber sich nicht enthalten konnte, solches mit einem feurigen Kusse aufzufangen.

Das zärtliche Paar hatte nun Zeit und Gelegenheit, alle Hieroglyphen ihrer geheimnisvollen Liebe zu entziffern und zu paraphrasieren, welches die angenehmste Unterhaltung gab, die jemals zwei Liebende miteinander gepflogen haben. Sie fanden, was sich unsre Exegeten wünschen sollten, daß sie den Grundtext immer richtig verstanden und interpretieret hatten, ohne jemals den wahren Sinn ihrer wechselseitigen Unterhandlungen zu verfehlen. Es kostete dem entzückten Bräutigam beinahe ebensoviel Überwindung, sich von der reizenden Braut zu scheiden, als an dem Tage, da er seinen Kreuzzug nach Antwerpen antrat. Er hatte aber noch einen notwendigen Gang zu tun, den er in Person zu verrichten sich nicht entbrechen wollte, daher wurd's endlich Zeit, sich zu beurlauben.

Dieser Gang war auf die Weserbrücke gerichtet, zum Freund Stelzfuß, der ihm noch unvergessen war, ob er gleich lange verzogen hatte, demselben Wort zu halten. So scharf der spähende Graukopf, seit der Entrevue mit dem freigebigen Pflastertreter, alle Passanten aufs physiognomische Korn genommen hatte, so wenig konnte er seiner doch wieder ansichtig werden, ob er ihm gleich einen anderweiten Besuch verheißen hatte. Seine Gestalt war ihm indessen noch nicht aus dem Gedächtnis verschwunden. Sobald er den schöngeputzten Mann von ferne erblickte, kam er auf ihn zu und bewillkommte ihn freundlich. Franz erwiderte des Alten Gruß, und sprach: »Freund, kannst du mit mir wohl einen Gang in die Neustadt tun, um ein Gewerbe auszurichten? Deine Mühe soll nicht unvergolten bleiben.« – »Warum das nicht?« antwortete der Altvater, »ob ich gleich ein hölzern Bein habe, so kann ich doch damit so rüstig schreiten, als der lahme Zwerg, der die Stadtflur umkrochen hatLaut einer alten Sage, verhieß eine benachbarte Gräfin den Bremern scherzweise so viel Land zu schenken, als ein Krüppel, der sie eben um ein Almosen bat, in einem Tage würde umkriechen können. Man hielt sie beim Wort, und der Krüppel kroch so gut, daß die Stadt die große Bürgerweide dadurch bekam. : denn der hölzerne Fuß, sollt Ihr wissen, hat die Eigenschaft, daß er niemals ermüdet. Aber verzieht noch kurze Zeit, bis das Grauröcklein vorüber ist, das zwischen Tag und Nacht nicht verfehlt, über die Brücke zu wandeln.« – »Was ist's mit dem Grauröcklein?« frug Franz, »laß mich wissen, welche Beschaffenheit es damit habe?« – »Das Grauröcklein bringt mir täglich einen Silbergroschen um die Abendzeit, weiß nicht von wannen. Es frommet auch nicht, jedem Dinge viel nachzugrübeln, drum laß ich's bleiben. Fällt mir bisweilen ein, das Grauröcklein sei gar der Teufel, der meine Seele mit dem Geld erkaufen wolle. Doch sei er's, oder sei er's nicht, was kümmmert's mich? Ich bin den Kauf nicht eingegangen, so kann er auch nicht gelten.« – »Ich denke wohl«, sprach Franz, mit lachendem Munde, »dem Grauröcklein läuft der Schalk hinterdrein. Folge du mir, der Silbergroschen soll dir drum nicht fehlen.«

Der Stelzfuß machte sich auf, hinkte seinem Geleitsmanne nach, und dieser führte ihn Straß auf Straß ab, in eine entlegne Gegend der Stadt nahe am Walle, blieb vor einem kleinen neuerbauten Hause stehen und klopfte an die Tür. Da solche aufgetan wurde, sprach er: »Freund, du hast mir einen heitern Abend im Leben gemacht, es ist billig, daß ich dir den Abend deines Lebens auch heiter mache. Dieses Haus, mit allem Zubehör, und dem Garten, worauf es stehet, ist dein Eigentum; Küch und Keller ist gefüllt, ein Aufwärter bestellt, dein zu pflegen, und den Silbergroschen obendrein wirst du jeden Mittag unter deinem Teller finden. Es soll dir daneben unverhalten bleiben, daß das Grauröcklein mein Diener ist, den ich sandte, dir täglich ein ehrliches Almosen zu reichen, bis ich diese Wohnung für dich zubereiten ließ. Willst du, so magst du mich für deinen guten Engel halten, weil's dein Schutzengel dir nicht zu Danke gemacht hat.«

Er führte den Alten drauf in seine Wohnung ein, wo der Tisch bereitet und alles zu seiner Bequemlichkeit und Leibespflege angeordnet war. Der Graukopf war von seinem Glück so überrascht, daß er's nicht fassen konnte. Es war ihm unbegreiflich, wie ein Reicher des Armen sich also erbarmen sollte, und es fehlte wenig, daß er nicht die ganze Begebenheit für Blendwerk hielt; Franz aber benahm ihm allen Zweifel. Ein Strom dankbarer Zähren floß von des Greises Angesicht, und sein Wohltäter begnügte sich daran, ohne abzuwarten, daß sich dieser von seiner Bestürzung erholte, um ihm mit Worten zu danken, schwand nach dieser ausgerichteten Engelbotschaft dem Altvater aus den Augen, wie die Engel pflegen, und überließ ihm, die Sache zu reimen wie er konnte.

Am folgenden Morgen war's in der Wohnung der lieblichen Braut wie Jahrmarkt. Franz schickte Kaufleute, Juwelier, Putzmacherinnen, Spitzenhändler, Schneider, Schuster und Nähterinnen zu ihr, teils allerlei Waren, teils ihre guten Dienste ihr anzubieten. Sie brachte den ganzen Tag damit zu, Stoffe, Spitzen und andere Erfordernisse zum Brautstaat auszuwählen, und sich das Maß zu neuen Kleidungsstücken nehmen zu lassen. Ihr niedlicher Fuß, der schöngestaltete Arm und die schlanke Taille, wurden so oft und so sorgfältig ausgemessen, als wenn ein kunstreicher Bildner das Modell zu einer Liebesgöttin von ihr hätte nehmen sollen. Der Bräutigam ging indessen, das Aufgebot zu bestellen, und ehe drei Wochen verliefen, führte er die Braut zum Altare, mit einer Feierlichkeit, die das glänzende Hochzeitgepränge des reichen Hopfenköniges verdunkelte. Mutter Brigitta genoß die Wonne, der tugendsamen Meta den Brautkranz aufzuschmücken, erreichte den Wunsch vollkommen, ihren Weibersommer bei gutem Wohlstand zu verleben, und sie verdiente diese Zufriedenheit, als eine Belohnung um einer lobenswürdigen Eigenschaft willen, die sie besaß: sie war die leidlichste Schwiegermutter, die jemals ist erfunden worden.



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