Johann Karl August Musäus
Volksmärchen der Deutschen
Johann Karl August Musäus

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Ein ganzes Jahr besuchte die hochbetrübte Witwe das Monument Tag vor Tag, und überließ sich ganz den schwärmerischen Eingebungen ihres Herzens. Sie nährte noch immer eine geheime Hoffnung, daß die Liebe den Geist ihres Gemahls aus dem Schoß der Wonne auf einen Augenblick in die Unterwelt zurückführen würde, um durch ein Anzeichen, sie von seiner unwandelbaren Treue zu vergewissern. Jedesmal wiederholte sie die Totenklage um ihn an der Urne mit neuen Tränen zu beweinen. Dieses ausnehmende Beispiel der Liebestreue machte die ganze Nachbarschaft rege; alle Witwen, so weit das Gerücht von der treuen Jutta von Hallermünd erscholl, bequemten sich den bereits verziehenen Raub des Todes wohlstandshalber zu erneuern, und mancher längst vergessene Ehekonsort kam dadurch wieder in gutes Andenken. Selbst die Liebenden gingen an dem Mausoleum ihr schönes Bündnis ein, glaubten solches dadurch fester und feierlicher zu machen, und ganze Scharen Minnesinger und empfindsamer Mädchen versammleten sich an schönen mondhellen Abenden daselbst und sangen die Liebe Graf Heinrichs des Wackern und der treuen Jutta von Hallermünd. Von den hochgegipfelten Balsampappeln aber mischte die Nachtigall ihre zärtlichen Liebesklagen in diese melodischen Gesänge mit ein.

Gleichwohl scheinen die allegorischen Köpfe der Dichter und Bildner ihre Symbolen auf sichere Erfahrung gegründet zu haben, wenn sie mit Vorbedacht die Hoffnung auf einen Anker stützen, die Standhaftigkeit an eine Säule lehnen, und den gewaltsamen Leidenschaften die vollwangigen Sturmwinde, oder die aufgetürmten Meereswogen als Exponenten ihrer bildlichen Darstellungen zuordnen. Der hartnäckigste Sturm ermüdet endlich, und das wogende Meer gewinnt seine Spiegelfläche wieder. Gleichergestalt ebnet sich in der Seele der bewegsame Umtrieb der Ideen, und der lange Atemzug der Leidenschaften ermattet; die düstern Wolken verschwinden, der Horizont klärt sich wieder auf und die Adspekten deuten auf Sonnenschein und trockne Witterung. Nach Verlauf eines Jahres, erscholl die bange Totenklage der zärtlichen Jutta weder so laut noch so oft als vorher aus der Halle des Monuments; sie dispensierte sich von der täglichen Wallfahrt dahin, bei schlechtem Wetter, oder der entferntesten Ahndung eines rheumatischen Zufalls, oder einer andern Verhindernis, und wenn sie keinen Vorwand hatte ihrer Observanz auszuweichen, so ging sie so gleichmütig zum Grabmal, wie eine Nonne in die Metten, mehr aus Gewohnheit, als aus Antrieb einer gelobten Pflicht Gnüge zu leisten. Die Augen verweigerten ihr die Tränen, und die Brust das Stöhnen, und wenn sich ja noch ein erpreßter Seufzer davon losriß, so war's nur schwacher Nachhall des vormaligen Gefühls; oder wenn er unwillkürlicher Ausbruch einer Empfindung war, so hatte er doch keine Beziehung auf die Urne, und die getreue Jutta errötete, ihr Herz zu befragen, wohin er gemeinet sei. Sie stund indessen ganz von dem schwärmerischen Gedanken ab, den Geist ihres Gemahls durch eine Totenklage in die Körperwelt zurückzuzaubern, um ihm eine neue Bestätigung des geheimen Artikels ihrer Eheberedung abzufordern.

Kurz die gute Gräfin fand, nach genommener Rücksprache mit ihrem Herzen, was bei einer jungen Witwe eben kein ungewöhnlicher Fall ist, daß eine Veränderung damit vorgegangen sei, und der Planet unter dessen Einfluß es bisher gestanden, sich zum Untergange geneigt habe, indem ein anderer hoch am Horizont heranstieg, der seine anziehende Kraft daran äußerte. Der schwarzäugige Irwin hatte, ohne es zu wissen, diese Revolution bewirket. Obgleich seine Funktion eigentlich nur darin bestund, vor seiner Herrschaft herzugehen, wenn die Tür eines Gemachs aufzutun war, und ihr zu folgen, wenn sie sich die Schleppe nachtragen ließ, so hatte er seit dem Ableben seines Herrn, noch das Nebengeschäfte demselben wöchentlich einigemal zu parentieren, und er besaß eine Wohlredenheit, wenn er den Bericht von den letzten Stunden des Grafen der trauervollen Jutta wiederholen mußte, daß sie nie müde wurde ihn zu hören. Immer fiel ihm noch eine kleine Anekdote ein, deren er bisher sich nicht erinnert hatte, er ergänzte nicht nur den Bericht von dem, was der Graf zuletzt noch gesagt und getan, sondern auch was er in den Augenblicken, da die Seele von ihm schied, gedacht zu haben schien. Er kommentierte jede Bewegung, jede Miene des Sterbenden, die er beobachtet haben wollte, und wußte etwas Schmeichelhaftes für die Gräfin daraus zu folgern. Bald beteuerte er, aus seinen Augen gelesen zu haben, daß ihre reizende Gestalt, da schon Tod und Leben kämpfte, ihm noch vorgeschwebt habe; bald äußerte er den Wunsch, daß der entflohene Geist den unnachahmlichen Reiz ihrer edlen Schmerzen möchte beobachtet und das Wonnegefühl empfunden haben, ihre schönen Tränen ungesehen von den liebreizenden Wangen weggeküßt zu haben; bald pries er das Glück eines Ritters, von so holden Augen beweint zu werden, wenn er auf der Bahn der Ehre sein Leben verliere, und vermaß sich hoch, daß für eine einzige so köstliche Zähre sein eignes Leben dahin zu geben, er für Gewinn halten würde.

Anfangs, da der Schmerz noch neu war, achtete die Gräfin dieser Reden nicht viel, nachher fand sie gleichwohl ein unschuldiges Wohlgefallen daran, und endlich taten ihr diese Schmeicheleien so wohl, daß sie den Panegyristen durch die Erhöhung ihrer Reize, vermöge der Anordnung des Putzes, geflissentlich dazu aufzufordern schien. Ob sie gleich in der herben Totenklage den Schmerz herbeigerufen hatte, an ihrer Gestalt zu zehren, so war doch der verhaßte Zerstörer aller blühenden Reize zu bescheiden, ihr diesen traurigen Dienst zu leisten. Das schmachtende Augenpaar harmonierte so fein mit dem sanftrosigen Kolorit der Wangen, und des Busens wogender Schwanenglanz kontrastierte so lieblich mit dem schwarzen Trauerkleide, daß ein unwiderstehlicher Zauber ihre Wohlgestalt umfloß; denn nach dem Urteil der Kenner tut eine in Halbschatten gestellte Schönheit oft größere Wirkung, als wenn sie in vollem Lichte glänzt. Der lüsterne Irwin müßte keine Augen gehabt haben, oder kein Page gewesen sein, wenn er bei dem Anblick so vieler Reize unempfindlich geblieben wäre, er hatte den Schmetterlingsglauben jede Blume sei für ihn gewachsen; es galt ihm gleich, ob sie in einem umzäunten Lustgarten oder als eine Feldblume auf der Wiese blühete; vermöge seiner buntfarbigen Schwingen meinte er, sei es ihm vergönnt, sich über Zaun und Mauren zu heben. Die Ehrerbietung, die er seiner Gebieterin schuldig war, hielt seine Leidenschaft zwar in den Schranken seines Herzens eingekerkert, aber sein Erröten, wenn ihr Auge dem seinigen begegnete, das Streben, aus jedem Winke ihren Willen zu erraten, die Geflissenheit solchen zu erfüllen, und das Verlangen, wenn sie sich mit ihm unterhielt, ihr stets was Angenehmes zu sagen, veroffenbarten genugsam, diese ungewöhnliche Anhänglichkeit an seine Herrschaft habe eine andere Bewegursache als angelobte Pflicht, und die Gräfin erriet das Geheimnis ohne Mühe, vermöge des ihrem Geschlecht gewöhnlichen hermeneutischen Scharfsinnes in Herzensangelegenheiten. Diese Entdeckung mißbehagte ihr so wenig, daß sie die stumme Intrike, wobei es nie zu einer wörtlichen Explikation kam, zur unschuldigen Beschäftigung des Herzens, weil eine junge Witwe doch nicht immer wie eine Turteltaube um den verlornen Gatten girren und klagen kann, zu unterhalten suchte. Doch der genährte Funke fand in ihrem Herzen so viel Zunder, daß er bald zur lichten Flamme aufloderte. Der schlaue Irwin bemerkte mit geheimer Freude die zärtlichen Gesinnungen seiner Gebieterin, und was er vorher seiner Phantasie nicht erlaubt hatte ihm vorzuträumen, wurde jetzt eine ernsthafte Beschäftigung seiner Überlegung, und seine Pagendreustigkeit schmeichelte ihm mit der Hoffnung, dereinst wohl gar der Gemahl seiner Herrschaft zu werden. Das erste Gefühl der Liebe fachte diesen Gedanken so in seinem lüsternen Herzen auf, daß er sich zu einem Wagestück entschloß, sein Glück aufs höchste zu treiben.

Einsmals als er die Gräfin zum Monument begleitet, von den Gefühlen der Zärtlichkeit im allgemeinen lange mit ihr gekoset hatte, und aus ihren Blicken und Gebärden wohl verstund, was für eine Nutzanwendung sie von dieser philosophischen Abhandlung in ihren Gedanken machte, kam er mit einem schnellen Übergange auf das Thema, worauf er sich zubereitet hatte. »Edle Frau«, hub er seine Rede an, »auf der Welt hat der Mensch keine bleibende Stätte und alles Ding hat seine Zeit, das hab ich reiflich bei mir erwogen, darum begehr ich von Euch meinen ehrlichen Abschied, denn es bedünket mich Zeit zu sein, daß ich nun nach dem Beispiel meiner Ahnen zu Wehr und Waffen greife, sintemal ich die Kinderschuhe vertreten habe, und forthin es nicht mehr mir ziemen will, einer Dame die Schleppe nachzutragen.« »Ach guter Irwin«, gegenredete die Gräfin, »wie kommt dir so plötzlich zu Sinne, aus meinem Dienst zu scheiden? Hab ich dich nicht ehrlich als meinen Diener gehalten, und dir alle Lieb und Gunst bewiesen, die einer frommen Herrschaft gegen ihr Gesinde zustehet? Sag an, was irrt dich? Was treibt dich von mir zu ziehen?«

Irwin         

Ach mich quälet dies und das,
Drückt mich, weiß selbst nicht was,
Quält mich Seelenpein,
Enget das Herz mir ein,
Muß in die weite Welt,
Rasch über Tal über Feld,
Obschon sonst keinerwärts,
Wonach verlangt mein Herz,
Als hier in Hallermünd
Ich seh und find.«

Die Gräfin ließ sich die Qual des guten Irwin gar sehr zu Herzen gehen, ob sie gleich über seinen Zustand mehr Freude als Mitleiden empfand, sie wünschte nur eine deutlichere Erklärung von ihm, darum forschte sie weiter: »Was beunruhiget dein Gemüt? Ist's Durst nach Ehre und der Ritterwürde; oder Überdruß an der Einförmigkeit dieses Wittums; oder Kitzel jugendlichen Übermutes; oder ist ein Funke der betrüglichen Leidenschaft in deiner Brust entglommen, der dich bangt und quält? Sag's frei heraus, was für ein Sturm in deiner Seele braust?«

Er        

Ihr wollt es so, es sei!
Mich drückt die Liverei.
Hab lang genug gedient für Knecht,
Und sehne mich nach Herrenrecht.
Was hilft mir's daß die Rose blüht,
Und dort die edle Traube glüht?
Hab ich davon Nutz und Genuß,
Wenn ich sie sehn und missen muß?«

Die Gräfin begriff vollkommen den Sinn dieser Worte, und sahe wohl ein, welche Hoffnung und Wünsche Irwin in seinem Busen nährte, die er seiner Gebieterin in der Qualität eines Ganymeds deutlicher zu offenbaren sich scheuete. Sie wünschte diese Hoffnung zu unterhalten, ohne die Gesetze des Wohlstandes dabei zu übertreten, darum trug sie ihren Gebärden auf, das erste auszurichten, und ihrem Munde, das zweite zu bewirken. Sie schlug die Augen etwas verschämt zur Erde nieder, zupfte eine Bandschleife zurechte, und sprach mit sanftem Erröten: »Die Rose blüht und die Traube reifet, unbekümmert, welcher Busen strebt, sich mit jener zu schmücken, und welchem Gaum nach dieser lüstet. Ihnen genüget den Geruch zu erquicken und das Auge zu ergötzen, den Verständigen erfreuet ihr Anblick und er geht mit Entzücken vorüber. Der Unverständige streckt seine Hand aus, eine Traube zu erreichen, die er nicht erlangen kann, oder eine Rose zu pflücken, deren Dornen ihn verwunden.« Diese allegorische Sentenz aus dem Munde der schönen Witwe, enthielt für den raschen Irwin weniger Trost, als der pathognomische Ausdruck ihrer Gebärden. Der dreuste Page schwieg, er seufzete, sahe trübsinnig vor sich hin zur Erde, und seine Herrschaft war so gefällig, diese bedeutsame Pantomime nachzuahmen. Doch wenig Tage darauf war der Junker stattlich ausgerüstet, die Gräfin ließ ihn wehrhaft machen, er schwang sich auf das Leibroß seines erbleichten Herrn, und zog mit frohem Mute zur ersten Ritterfahrt davon.

Die Abwesenheit war seiner Herzensangelegenheit eher förderlich als nachteilig. Die Gräfin empfand bald Langeweile in ihrem einsamen Wittum, da der teilnehmende Zeuge ihrer Totenklage nicht mehr vorhanden war. Ihr Schmerz fand keine Nahrung mehr, ganz andere Gedanken beschäftigten jetzt ihre Seele, sie dachte mit Ernst darauf, den ehemals so fest verschlungnen Liebesknoten aufzulösen, und weil sie viel auf sinnbildliche Deutung hielt, so fiel ihr ein, zur angenehmen Zeitkürzung einen Versuch zu machen, ob die Sache möglich und tunlich sei. In einer einsamen Stunde öffnete sie das goldne Herz, welches sie im Busen trug, und nahm das darin verwahrte Dokument der Liebestreue heraus, besah es lange, den Gang des verborgenen Gewindes auszuspähen und die Fäden gemachsam auseinander zu wirren. Ihr kunstreicher Finger war so geschäftig bei dieser Arbeit, daß es ihr wirklich gelang, die äußern Schleifen zu lösen; aber dem innern Kern war durch alle Kunst und Mühe nichts abzugewinnen. Ihre Geduld ermüdete endlich, und um ihr Geschäfte doch nicht unvollendet zu lassen, nahm sie die wirksame Schere zu Hülfe, die ihr eben den Dienst tat, den das Schwert des großen Alexanders bei Auflösung des Gordischen Knotens geleistet hatte, und nun war gegen die Möglichkeit, einen fest verschlungenen Liebesknoten aufzulösen, nichts mehr einzuwenden.

Nach dem Begriff der guten Gräfin hätte ihr nun billig das Recht gebühret, alsbald einen neuen Knoten zu schürzen und in ihr goldnes Amulett zu verbergen, da der erste nicht mehr vorhanden war; doch ein beunruhigender Zweifel begegnete ihr recht zur ungelegensten Zeit, da sie eben im Begriff war die Hand ans Werk zu legen. Ein Liebesknoten, sprach sie zu sich selbst, ist doch eigentlich nur ein Sinnbild irdischer Verbindung, und ein solches Band ist leicht zu lösen, der Tod hat mit seiner Sichel das ja bereits schon getan, was die Schere nachgeahmt hat. Aber mit dem Gelübde für die andre Welt hat es vielleicht nicht gleiche Bewandtnis. Wie könnt ich mit einem geteilten Herzen eine Ewigkeit ausharren, unter immerwährenden Vorwürfen zweier Teilhaber, deren jeder zu dem Ganzen berechtiget zu sein glaubte? Diese Verlegenheit machte sie viel Tage lang mißmutig und traurig, und weil sie sich in einer solchen Gewissenssache nicht zu raten wußte, beschloß sie, einem ehrwürdigen Herrn, dem sie eine genauere Bekanntschaft mit himmlischen Dingen als sich selbst zutrauete, ihr Anliegen vorzutragen.

Der Probst zu Eldagsen stund in dem Rufe eines frommen und tiefgelehrten Mannes, der die spitzigsten Fragen, die intellektuelle Welt betreffend, mit scholastischer Weisheit aufzulösen wußte. Denn was ist spitziger als eine Nähnadel? Und gleichwohl wußte der seraphische Prälat zu sagen, wie viel himmlische Geister auf diesem Ruhpunkte Platz nehmen könnten. Warum sollte er nicht auch von den himmlischen Matrimonial-Gerechtsamen Auskunft geben können ? Die Gräfin ließ anspannen, und fuhr mit geängstigtem Herzen zu dem weisen Prälaten. »Ehrwürdiger Herr!« sprach sie, »mich treibt ein sonderbar Anliegen zu Euch, welches ich Euch wohl eröffnen möchte, so Ihr mir Rat und Belehrung erteilen wollet!« Der Probst zu Eldagsen war bei aller philosophischen Grübelei dem schönen Geschlecht nicht abhold, und tröstete gern die Damen, die sich in ihren Kümmernissen an ihn wendeten, insonderheit wenn sie jung und schön waren. »Was beunruhiget Euer edles Herz, tugendsame Frau?« frug er. »Offenbart mir Euren geheimen Kummer, daß ich Euch mit himmlischen Trost erquicke.« »Ein unbedachtsames Gelübde«, antwortete sie, »das mir die Liebe abgezwungen hat, macht mir Kummer: ich habe verheißen, das Band der Ehe mit meinem Gemahl, jenseit des Grabes zu erneuern, und es zu bestätigen ewiglich. Aber ist ein junges Weib im Lenz des Lebens wohl Meisterin ihres Herzens? Soll ich meine Jugendzeit als Witwe einsam vertrauren, um einer Hoffnung entgegen zu harren, von der ich nicht weiß, ob sie zu gewähren stehet? Belehret mich, ehrwürdiger Pater, ob die Liebenden sich einst wieder in Liebe begegnen, oder ob alles was auf Erden gebunden ist, in jenem Leben frei und ledig sei?« »Freilich! Freilich!« erwiderte der korpulente Probst, »ist alle irdische Verbindung in Edens Gefilden aufgehoben, das versteht sich! Wie kann davon noch die Frage sein? Wisset Ihr nicht, edle Frau, daß man dort oben nicht wird freien noch sich freien lassen? Wie könnte auch der Ehestand im Schoß der Wonne stattfinden, da er ist ein Wehestand; denn die glücklichsten der Ehen haben laut Zeugnis der Erfahrung gleichwohl ihr böses Ehestündlein; wie paßte sich aber Ehezwist und Mißmut zu den Wohnungen des Friedens? Euer Bündnis hat der Tod zerrissen, Ihr seid so frei und ledig als das Vöglein in den Lüften, oder das Rehe in den Wäldern, das den Netzen des Jägers entronnen ist. Wenn Ihr aber Euer Gewissen mit einer unbedachtsamen Gelübde beschweret habt, so ist auch dafür Rat: Der heiligen Kirche ist gegeben die Gewalt, Euch davon zu entbinden. Bedenket mein armes Kloster, so will ich Euch Dispensation vom Bischof verschaffen, so viel Ihr bedürfet, ein neues Bündnis einzugehen, ohne daß Euch die Sünde soll behalten werden, weder in diesem noch in jenem Leben.«

Die gewissenhafte Jutta war nun nach Wunsche belehrt, daß die Eheberedung mit ihrem verstorbenen Herrn nichts weiter als eine zärtliche Grille gewesen sei; ihr ganzes System von der verklärten Liebe war umgeformt. Sie beruhigte ihr Gewissen in Ansehung der voreiligen Gelobung, machte den Handel mit dem Prälaten richtig, bedachte sein armes Kloster, und wurde darauf von ihm zu einer reich mit Silber besetzten Tafel geführet, so leichten und frohen Mutes als ein entfesselter Sklav, dem unvermutet die Ketten abgenommen werden, und der nun den Reiz der Freiheit wieder schmeckt. Der Wunsch ihres Herzens war nur, daß der schöne Irwin von seiner Ritterfahrt bald wieder heimkehren möchte, um mit ihm den Bund der Liebe zu schließen, doch nicht über die Grenzen dieses Erdenlebens hinaus, damit wieder eintretenden Falls keine Dispensation weiter nötig sei. Der flinke Ritter verzog nur allzulange mit seiner Wiederkehr, und die Sehnsucht goß immer mehr Öl in die Flammen der Liebe.

Eine der dornichsten Fragen, worüber in der Schule der Liebe pro und contra gestritten wird, ist die, ob die erste oder die zweite Liebe stärker und mächtiger sei. Geradezu läßt sich das Problem schwerlich entscheiden; aber es ist ein richtiger Erfahrungssatz, daß eine junge rasche Witwe, welche mit dem Gefühl der Zärtlichkeit bereits bekannt ist, bei der zweiten Wahl stets brünstiger und feuriger liebt als bei der ersten im dämischen Noviziat der Liebe. Die zärtliche Jutta wußte ihre Leidenschaft so wenig zu mäßigen, daß sie sogar das bescheidene Gewand der Sittsamkeit und scheuen Zurückhaltung, welches vormals die Gesetze des Wohlstandes dem schönen Geschlecht aufbürdeten, abzulegen kein Bedenken trug.

»Ach Irwin, Augentrost!« seufzete sie laut und offenbar; »ach Irwin, Herzgespiel! Ach Irwin, Löschebrand! Wie lange weilest du im Waffenfelde ? Die Traube glühet dir, die Rose blühet dir und winket zum Genuß. Du Lüftgen, das so sanft um meinen Busen spielt, eil meinem Ritter nach, und weh den Duft von meiner Zärtlichkeit in sein bepanzert Herz, daß er des Kampfs vergißt, und nach dem Siege ringt, den Liebestreue krönt.«

Ob das Lüftgen so gefällig war die Botschaft auszurichten; oder ob der junge Ritter aus eigner Bewegung den Heimweg nahm, daran liegt wenig, gnug ehe man sich's versah, war Ritter Irwin da, und mit ihm kehrte die laute Freude wieder nach Hallermünd zurück, die seit dem großen Balle aus der Residenz verbannet war. Die Gräfin legte die Trauerkleider ab, und empfing den stattlichen Ritter nicht als ihren vormaligen Diener, sondern als einen Herrn. Sie stellte ihm zu Ehren ein großes Gastmahl an, und ließ ihm den Becher kredenzen, den er ihr noch vor kurzer Zeit selbst kredenzt hatte. Darüber machten die weisen Damen aus der Nachbarschaft mancherlei Glossen, und die Scharfsinnigen errieten, was sie immer wollen vorher gesehen haben, wenn sich die Sache von selbst veroffenbaret, daß sich zwischen der Gräfin und dem feinen Ritter eine Liebe entsponnen habe, welche der Altar bestätigen würde. Zwar hätten sie noch vor kurzem hundert gegen eins gewettet, daß die treue Jutta sich nicht wieder vermählen würde; aber nun hätten sie die Wette gern umgekehrt, wenn jemand zu finden gewesen war, der sie hätte eingehen mögen. Indem die vier umliegenden Grafschaften die Lehre von der Möglichkeit und Wirklichkeit einer zweiten Liebe der Gräfin von Hallermünd mit metaphysischen Tiefsinn erörterten, war Ritter Irwin darauf bedacht, sich seiner Liebesbeute zu versichern, und dadurch der ganzen Kontrovers ein Ende zu machen. Er wagte auf dem Fittig der Liebe den kühnen Flug, sich zu seiner vormaligen Herrschaft zu erheben, und ungescheut um sie zu werben. Die wankelmütige Jutta hatte den ersten Schritt bereits getan ihrer Gelübde sich zu entschlagen, der zweite kostete ihr weniger, auch ihres Standes zu vergessen und eine Staffel von der Ehrenbühne des Ranges abwärts zu steigen, das Urteil der großen Welt zu verschmähen, und den Trieben ihres Herzens nachzugeben. Sie kam dem Glücklichen auf halbem Weg herablassend entgegen, erhörte seine Wünsche und schloß mit ihm den zärtlichen Liebesverein, welchem nichts mangelte als die priesterliche Benediktion, die der gefällige Probst zu Eldagsen den Verlobten zu erteilen bereit und willig war. Alles Nasenrümpfen der gräflichen Sippschaft war nun vergebliche Grimasse, die Anstalten zum Beilager wurden mit großem Pomp gemacht, und die reiche Braut beeiferte sich, an ihrem zweiten Hochzeitfeste durch Pracht und Glanz das zu ersetzen, was ihm an Würde gebrach.

Ungefähr einen Mondenwechsel vor Vollziehung dieser Feierlichkeit, lustwandelte die schöne Braut am Arm ihres geliebten Ritters eines Abends noch ganz spät in dem Lustgarten, um ihn zu belehren, daß für ihn die Rose blühe und die Traube reife. Unter dem Geflüster traulicher Gespräche hatte das liebende Paar nicht acht auf den Weg den sie genommen hatten, der Zufall führte sie unvermerkt in die Gegend des Monuments, das in einsamer Stille ganz verlassen stund, da es die Gräfin seit langer Zeit nicht mehr besuchte. Der Mond beleuchtete die Vorderseite desselben mit vollem Lichte, und die schauerliche Mitternachtstunde machte diesen Anblick recht feierlich. Von ungefähr hob die Neuverlobte die Augen auf, ihr Blick traf auf die Bildsäule oben auf dem Dom des Grabmals. Da kam's ihr vor, als wenn der kalte Marmor Leben und Wärme empfing wie das Meisterstück Pygmalions, welches der Enthusiasmus des Künstlers beseelte. Das Standbild schien sich zu regen, es erhob die rechte Hand und bildete den Ausdruck einer Warnung oder Drohung vor. Ein banger Schauer durchbebte das Herz der Bundbrüchigen bei diesem Wundergesicht, sie schreckte zurück, tat einen lauten Schrei und verbarg ihr Haupt in des Ritters Busen. –

Irwin bestürzte, wußte nicht was diese ängstliche Gebärdung veranlaßte. »Woher das Zagen und Beben Eurer zarten Glieder geliebte Gräfin?« redete er sie an; »fürchtet nichts, Ihr seid in meinen Armen, die Euch für aller Gefahr schützen, solange dieses Herz in meinem Busen schlägt.« »Ach Irwin trauter Ritter«, lispelte die Erschrockene mit zagender Stimme, »sehet Ihr nicht, wie das Standbild auf dem Grabmal fürchterlich winket, und mit aufgehobener Rechte mich bedroht? Hinweg von diesem grausenvollen Orte, wo mich Schrecken des Todes umringen!« Dem verliebten Ritter kam diese Vision jetzt sehr ungelegen, darum bemühete er sich solche alsbald wegzuräsonieren. »Ist's nicht mehr als dieses Gaukelspiel der Phantasie«, sprach er, »was Euch beunruhiget, so lasset Euren Kummer schwinden. Ein schwankender Schatten der hohen Ulme, welche ein Lüftchen gebeuget, und der bleiche Strahl des einfallenden Mondenlichtes, hat Euer Auge getäuschet, und aus dieser Mischung des Schatten und Lichtes hat Eure schöpferische Imagination ein Schreckbild zusammengebauet, welches der melancholische Eindruck der Mitternachtstunde vollendet hat.« »Mit nichten!« versetzte die Gräfin; »mein Auge hat mich nicht betrogen; die Bildsäule hat sich gereget und mich bedräuet meiner Gelübde eingedenk zu sein. Ach Irwin, lieber Irwin! ich kann und darf die Deinige nicht werden!« Diese Rede fiel wie ein erstickender Schwaden auf Irwins Herz, benahm ihm Leben und Atem und das Wort erstarb auf seiner Zunge. Er simulierte die ganze Nacht, wie er der schönen Jutta den chimärischen Gedanken entreißen möchte, und da er mit seinem Sinnen und Forschen nicht fand was er suchte, saß er früh auf und ritt zum klugen Manne, dem weisen Probst zu Eldagsen, sich dieses kritischen Umstands halber Rats zu erholen, denn er wußte selbst eigentlich nicht was er von der sonderbaren Vision, auf deren Zuverlässigkeit die Gräfin beharrete, denken sollte. Er trug ihm sein bängliches Anliegen vor, und der Probst, als der hellste Kopf seiner Zeit, urteilte davon gar vernünftig, daß die Erscheinung nichts als Betrug der Sinnen sei, machte sich auf und zog mit nach Hallermünd zur Gräfin, sie zufrieden zu stellen. »Kümmert Euch nicht, edle Frau, um die Toten«, sagt' er ihr; »die Toten kümmern sich ja auch nicht um die Lebendigen. Mit dem Tode hört alle Verbindung auf, welche die Liebe auf Erden geschlossen hat. Ich bin gewiß, wenn anders Euer Gemahl aus den Fenstern des Himmels auf Euch herabschauen kann, daß es ihn freuen wird, die Tränen Eurer Zärtlichkeit versiegt zu sehen, er wird sogar die Wahl Eures Herzens billigen und Euer Bündnis segnen.« Diese Hypothese eines so aufgeklärten Kopfes über die Denkungsart der Verklärten, verschlang das Ideal der zärtlichen Schwärmerei so schnell und leicht, wie eine der magern Kühe des Pharao eine von den fetten. Die unterbrochenen Zubereitungen zum Beilager erhielten wieder ihren Fortgang, und noch an dem nämlichen Tage wurde das Brautkleid gewählt und in Arbeit genommen.

Gleichwohl verbreitete sich das Gerücht immer mehr, es gehe bei dem Monument nicht mit rechten Dingen zu, das Heiligtum der Liebenden würde durch mancherlei Spukereien entweihet. Manch zärtlich Paar das sich dort eine geheime Zusammenkunft gab, wurde von panischem Schrecken befallen und verscheucht. Es rauschte im Gebüsche, es tosete in der Halle, zuweilen hüpfte ein blaues Flämmlein zwischen den dichtbelaubten Tränenweiden gleich einem Irrlicht hin und her, und oft wandelte ein langer weißer Schatten um das Monument herum. Eine Bande Harfner und Minnesinger, die gekommen waren, das Lied der Liebestreue nach Gewohnheit ertönen zu lassen, wurde mit einem nachdrücklichen Steinhagel bewillkommt und in die Flucht getrieben, und eine helle Feuerflamme brach aus der Grotte hervor, als wenn ein Volkan seinen fürchterlichen Schlund darunter eröffnet hätte, der einen glühenden Lavastrom ausgöß. Ganz Hallermünd wußte von diesen Spukgeschichten zu erzählen, aber bei Hofe hatte die Starkgeisterei auf einmal so überhand genommen, daß man diese Sagen für eitel Geschwätz und Märchen hielt. Die Höflinge trieben nur ihren Spott damit, oder wenn sie offenbare Tatsachen geradezu nicht leugnen konnten, vernünftelten sie doch alles aus natürlichen Ursachen herbei, obgleich keiner es wagte nach Sonnenuntergang in den schauervollen Lustgarten einen Fuß zu setzen.

Der Tag der zur Vermählung angesetzt war brach nun heran, es war einer der längsten des Sommers, demungeachtet reichte er kaum zu, die Braut mit alle den köstlichen Reizen zu schmücken, welche an Hoffesten die Eurhythmie der schönen einfachen Natur zu verdrängen pflegen. Die nächtlichen Schatten bedeckten bereits Täler und Wälder, und tausend flimmernde Wachskerzen beleuchteten das Schloß, da die schöngeschmückte Jutta mit allem Pracht der Üppigkeit hervorging, um sich von dem entzückten Irwin an den Altar zur Trau führen zu lassen, wo der dienstfertige Probst zu Eldagsen in pontificalibus ihrer schon lange wartete. Die hohe Burg ertönte von lautem Freudengetümmel, denn die Gräfin war bedacht gewesen durch reiche Spenden sich von ihrem Hofgesinde eitel freundliche Gesichter zu erkaufen, um in keiner Miene einen Vorwurf über die zweite Heurat zu lesen. Der stolze Brautzug wälzete sich langsam feierlich über den mit Blumen bestreuten Schloßhof zur Kapelle hin. –

Aber hoch auf dem Dache derselben saß eine ächzende Wehklage, und wimmerte ihren Unglücksruf aus hohler Kehle hervor. Die Hofhunde erhoben dazu ein fürchterliches Geheul, und die nachbarliche Eule antwortete dieser grausenden Intonation aus dem düstern Winkel eines alten Turms. Da winkte der Hochzeiter den Pfeifern, daß sie vom Söller mit Zinken und Posaunen bliesen, damit die Gräfin nicht das Miaulen der Wehklage und das kreuschende Eulengeschrei vernehmen möchte.

Die Trauung wurde nach den Verordnungen der heiligen Kirche vollzogen; aber o Wunder! auf dem Rückwege vom Altar nach dem Speisesaal, verlosch plötzlich die hochzeitliche Fackel, mit welcher der Silberpage als Hymenäus den Neuvermählten vorleuchtete, über welches sonderbare Ereignis die Schwachen mancherlei sorgsame Spekulationen zu äußern sich nicht entbrechen konnten, obgleich die Starken nicht ermangelten alles aus natürlichen Ursachen zu erklären.

Bis zur schauerlichen Mitternachtstunde wurde in aller Fröhlichkeit bankettieret. Kaum aber hatte der Schloßwächter die zwölfte Stunde abgerufen, so erhob sich plötzlich im Schlosse ein fürchterliches Getöse, gleich dem Brausen eines heftigen Windes; es rasselte an den Fenstern, die Mauern und Wände erbebten, daß die Gläser auf der Tafel klirreten, die Balken krachten, es schlug mit den Türen auf und zu. Die Wachskerzen brannten so dunkel als Totenlichter, dagegen erhellete ein ungewöhnlicher Schimmer wie eine schnellauflodernde Flamme das Vorgemach, welches alle die zur Tafel saßen in Schrecken und Verwunderung setzte. Alle Gäste saßen da in stummer Bestürzung, und keiner hatte das Herz dieses ungewöhnliche Meteor aus natürlichen Ursachen zu erklären.

Plötzlich erhob die Gräfin ihre Stimme und rief mit ängstlicher Gebärde: »Hilf Gott welch ein Gesicht! Ach mein Gemahl der Graf kommt, sich zu rächen!« Als sie das gesagt hatte, sank sie auf dem Stuhl zurück, schloß die schönen Augen zu und gab kein Zeichen des Lebens mehr von sich. Groß war das Herzeleid in Hallermünd, da die Trauer so schnell mit der hochzeitlichen Freude wechselte. Ritter Irwin stund wie versteint vor Bestürzung da, unbewegsamer als das marmorne Standbild auf dem Monumente. Die Ärzte wurden herbeigerufen die Erblaßte wieder ins Leben zu bringen, aber ihre Kunst und Mühe war vergebens. Denn obgleich der entseelte Körper vierundzwanzig Stunden lang seine natürliche Wärme behielt, wie es geschehen soll bei denen, die in einer Verzückung gestorben, vom Alp erdrückt, oder von einem Gespenste sind erwürget worden: so war die Seele doch bereits entflohen und auf dem Wege nach der Ewigkeit. Die Kunst der Ärzte begnügte sich, den schönen Leichnam der Verwesung zu entreißen, den sie aufs fleißigste einbalsamierten, und insonderheit das Herz, das sie in der Urne unter der Halle des Grabmals verwahrten. Und so wurden die Herzen die im Leben untrennbare Einigung sich gelobt hatten, im Tode dennoch miteinander vereinbaret. Ob aber die Seelen in jener Welt den auf Erden zerrütteten Liebesbund erneuert, und sich wieder so vereinbaret haben als ihre Herzen in der Urne, davon ist bis jetzt noch keine avthentische Nachricht in diese Unterwelt gelanget.


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