Johann Karl August Musäus
Volksmärchen der Deutschen
Johann Karl August Musäus

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Fünfter Teil

Melechsala

Vater Gregor, des Namens der Neunte, auf St. Peters Stuhl, hatte in einer schlaflosen Nacht eine Inspiration, nicht vom Geiste der Weissagungen, sondern der politischen Schikane, dem deutschen Adler die Schwungfedern zu stutzen, damit er sich nicht über das stolze Rom erheben möchte. Kaum beleuchtete die Morgensonne den ehrwürdigen Vatikan, so klingelte schon Se. Heiligkeit dem aufwartenden Kämmerling, und befahl das Heilige Kollegium zusammen zu berufen, worauf Vater Gregor in pontificalibus eine feierliche Messe hielt, und nach deren Beendigung einen Kreuzzug proponierte, wozu alle Kardinäle, die die weisen Absichten desselben leicht errieten, und wohl merkten, wohin es mit der Heeresfahrt zur Ehre Gottes und dem gemeinsamen Wohl der werten Christenheit gemeinet sei, ihren Assent gern und willig erteilten.

Drauf zog ein schlauer Nuntius flugs hinab gen Neapel, wo Kaiser Friedrich von Schwabenland damals Hof hielt, der trug zwo Büchsen in seiner Reisetasche, die eine war gefüllt mit dem süßen Honigseim der Überredung, die andere mit Zunder, Stahl und Stein, damit den Bannstrahl anzuzünden, wofern der störrische Sohn dem Heiligen Vater nicht schuldige Parition leisten würde. Als der Legat zu Hofe kam, tat er die süße Büchse auf, und sparte nichts an der glatten Latwerge. Aber Kaiser Friedrich war ein feiner Züngler, dem widerte bald der Pillen Geschmack, der in der Süßigkeit verborgen lag; auch kneipte es ihm davon weidlich in den krausen Därmen: drum verschmähete er die betrügliche Leckerei und begehrte nichts mehr davon. Da tat der Legat die andere Büchse auf, und ließ einige Funken daraus sprühen, die den kaiserlichen Bart versengten, und auf der Haut wie Nesseln brannten. Daraus vermerkte der Kaiser, daß ihm des Heiligen Vaters Finger bald schwerer werden dürfte, als des Legaten Lenden waren; er legte sich also zum Zweck, bequemte sich zum Gehorsam, die Kriege des Herrn gegen die Ungläubigen im Orient zu führen, und betagte die Fürsten zur Heersfahrt ins Heilige Land. Die Fürsten taten das kaiserliche Gebot kund den Grafen, die Grafen entboten ihre Lehnsleute, die Ritter und Edeln; die Ritter rüsteten ihre Knappen und Knechte, saßen auf und versammleten sich jeder unter sein Panier.

Nächst der Bartholomäus-Nacht hat keine so viel Jammer und Not auf Erden gestiftet als die, welche Gottes Statthalter auf Erden durchwachte, um einen verderblichen Kreuzzug zu gebären. Ach wie viele heiße Tränen flossen, als Ritter und Knecht abdrückten, und ihr Liebchen gesegneten ! Eine herrliche Generation deutscher Heldensöhne verschmachtete in den Lenden der auswandernden Väter, wie der Keimtrieb wuchernder Pflanzen in den syrischen Wüsten, wenn der glühende Sirokko darüber wehet. Das Band von tausend glücklichen Ehen wurde gewaltsam zerrissen; zehntausend Bräute hingen traurig ihre Kränze, wie die Töchter Jerusalems, an die babylonischen Weiden, saßen da und weinten, und hunderttausend reizende Mädchen wuchsen dem Bräutigam vergebens entgegen, blüheten wie ein Rosengarten in einem einsamen Klosterzwinger, denn es war keine Hand da, die sie pflückte, und welkten ohne Genuß dahin. Unter den seufzenden Gattinnen, denen die schlaflose Nacht des Heiligen Vaters den trauten Ehgemahl von der Seite führte, waren auch Elisabeth die Heilige, vermählte Landgräfin in Thüringen, und Ottilia, vermählte Gräfin von Gleichen, welche zwar nicht im Geruch der Heiligkeit stund; aber in Absicht der Leibesgestalt und ihres tugendsamen Wandels, keiner ihrer Zeitgenossinnen nachstund.

Landgraf Ludwig, ein treuer Lehnsmann des Kaisers, ließ ein gemeines Aufgebot ins Land ergehen, daß sich seine Vasallen zu ihm sammlen und ihm ins Heerlager folgen sollten. Allein die mehresten suchten einen Vorwand, diese Fahrt in fremde Lande glimpflich von sich abzulehnen. Einen plagte das Zipperlein, den andern der Stein; dem waren seine Rosse gefallen, jenem die Rüstkammer aufgebrannt. Nur Graf Ernst von Gleichen, nebst einer kleinen Schar rüstiger Kämpen, die frank und ledig waren, und Lust hatten ein fernes Abenteuer zu bestehen, waffneten ihre Reisigen und Knechte, gehorchten dem Gebot des Landgrafen, und führten ihr Volk auf den Sammelplatz. Der Graf war seit zwei Jahren vermählt, und während dieses Zeitverlaufes hatte ihm seine liebreizende Gemahlin auch zwei Kinder zur Welt gebracht, ein Herrlein und ein Fräulein, die nach Beschaffenheit dieses rüstigen Weltalters, ohne Beihülfe der Kunst, so leicht und rasch waren geboren worden, wie der Tau aus der Morgenröte; ein drittes Pfand der Liebe trug sie noch unter dem Herzen, welches um der päpstlichen Nachtwache willen, der väterlichen Umarmung beim Eintritt in die Welt entbehren mußte. Ob sich Graf Ernst gleich stark machte wie ein Mann, so behauptete die Natur doch an ihm ihre Rechte, und er konnte die mächtigen Gefühle der Zärtlichkeit nicht verhehlen, als er beim Scheiden sich mit Gewalt seiner weinenden Gemahlin aus den Armen wand. Indem er mit stummen Schmerz sie verlassen wollte, drehete sie sich rasch nach dem Bettlein ihrer Kinder, riß das schlummernde Herrlein daraus hervor, drückt' es sanft an ihre mütterliche Brust, und reicht' es, mit beträntem Blick, dem Vater hin, um auch den väterlichen Abschiedskuß auf die unschuldsvolle Wange zu drücken. Ebenso tat sie mit dem Fräulein. Das griff dem Grafen gewaltsam ans Herz, die Lippen fingen ihm an zu beben, der Mund verzog sich sichtbar in die Breite, wobei er laut aufschluchzete, die Kinder an den stählernen Harnisch drückte, unter welchem ein sehr weiches empfindsames Herz schlug, sie aus dem Schlafe küßte, und nebst seiner hochgeliebten Gemahlin in den Schutz Gottes und aller Heiligen befahl. Wie er nun nebst seiner reisigen Schar den krummen Burgweg von der hohen Feste Gleichen herabzog, sahe ihm die Gräfin mit banger Wehmut nach, solange sein Panier, worein sie mit feiner Purpurseide das rote Kreuz gestickt hatte, noch vor ihrem Augen wehete.


Landgraf Ludwig war hocherfreut, da er den stattlichen Lehnsmann mit Rittern und Knappen, unter Vortragung des Kreuzpaniers herantraben sahe; aber wie er ihn ins Auge faßte, und den Trübsinn des Grafen wahrnahm, ward er zornig, denn er meinte, der Graf sei faul und grämisch über den Heereszug, und ihm nicht mit gutem Willen nachgezogen. Darum faltete sich seine Stirn, und die landgräfliche Nase schnaubte Unwillen. Graf Ernst aber hatte einen feinen pathognomischen Blick im Auge, und merkte bald aus, was seinen Herrn wurmte, deshalb trat er ihn kecklich an und eröffnete ihm die Ursache seines Mißmuts. Das war Öl zum Essig des Unwillens, der Landgraf erfaßte mit biedrer Traulichkeit die Hand seines Vasallen und sprach: »Ist's also, lieber Getreuer, wie Ihr saget, so drückt uns beide der Schuh an einem Ort, Liesbeth mein ehelich Gemahl hat mir auch beim Valet das Herz eingeflennt. Aber seid gutes Muts, indem wir kämpfen, werden unsre Weiber daheim beten, daß wir mit Glori und Ruhm zu ihnen zurückkehren.« So war's damals Sitte im Lande, wenn der Mann zu Felde zog, blieb die Hausfrau in ihrem Kämmerlein still und einsam, fastete und betete, und tat Gelübde ohn Unterlaß für seine glückliche Heimkehr. Dieser alte Brauch ist aber nicht allerwärts mehr landüblich, wie die jüngste Kreuzfahrt des deutschen Kriegsvolks ins ferne Abendland, durch den reichlichen Familienzuwachs während der Abwesenheit der peregrinierenden Ehegenossen, davon manchen Beweis vor Augen gestellet hat.

Die fromme Landgräfin empfand den Schmerz der Trennung von ihrem Gemahl ebenso lebhaft als ihre Schicksalsgenossin, die Gräfin von Gleichen. Ob ihr Herr der Landgraf gleich von etwas stürmischem Naturell war, so lebte sie doch mit ihm in vollkommenster Eintracht, und seine irdische Masse wurde von der Heiligkeit seiner frommen Betthälfte nach und nach dergestalt imbibiert, daß ihm sogar einige freigebige Geschichtschreiber, selbst den Namen des Heiligen beilegen, wiewohl dieser mehr für ein Ehrenwort als für eine Realität bei ihm gelten kann, wie bei uns noch heutzutage das Beiwort des Großen, des Hochwürdigsten, des Hocherfahrnen, oder des Hochgelahrten auch nur eine äußere Randverguldung öfters andeutet. Soviel ergibt sich aus allen Umständen, daß das erlauchte Ehepaar nicht immer in Ausübung der Werkheiligkeit harmonierte, und daß die Mächte des Himmels, in die daher entstehenden Ehedifferenzen sich zuweilen einmischen mußten, den Hausfrieden aufrecht zu erhalten, wie folgendes Beispiel zutage legt. Die fromme Landgräfin hatte zu großem Verdruß ihrer Höflinge und der genäschigen Edelknaben die Gewohnheit, die reichhaltigsten Schüsseln von der landgräflichen Tafel für hungrige Bettler, die ihre Burg unablässig belagerten, aufzusparen, und sich das Vergnügen zu machen, wenn der Hof abgetafelt hatte, diese verdienstliche Spende eigenhändig an die Armen auszuteilen. Das löbliche Küchamt führte nach höfischer Manier, vermöge welcher die Ersparnis im kleinen die Verschwendung im großen immer ausgleichen soll, darüber von Zeit zu Zeit so nachdrückliche Klage, als wenn die ganze Landgrafschaft Thüringen Gefahr lief, von diesen magern Gästen rein aufgezehret zu werden, und der Landgraf, der gern ökonomisierte, hielt diese Spende für ein so wichtiges Objekt, daß er seiner Gemahlin dieses christliche Liebeswerk, das eigentlich ihr frommes Steckenpferd war, alles Ernstes untersagte. Eines Tages konnte sie gleichwohl dem Triebe der Wohltätigkeit, und der Versuchung den ehelichen Gehorsam dadurch zu verletzen, nicht widerstehen. Sie winkte ihren Frauen, die eben abtrugen, einige unberührte Schüsseln und einige Laiblein Brot von Weizenmehl konterband zu machen. Alles das sammlete sie in ein Körbchen, und stahl sich damit durch das Felsenpförtchen aus der Burg heraus.

Aber die Laurer hatten das schon ausgekundschaftet und es dem Landgrafen verraten, welcher an allen Ausgängen des Schlosses fleißig aufpassen ließ. Da ihm nun angesagt wurde, seine Gemahlin sei wohlbeladen zum Seitenpförtchen hinausgeschlüpft, kam er stattlich über den Schloßhof dahergeschritten, und trat auf die Zugbrücke, gleichsam um freie Luft zu schöpfen. Ach! da hörte die fromme Landgräfin seine goldnen Sporen klirren. Alsbald befiel sie Furcht und Schrecken, daß ihr die Knie zitterten und sie nicht förder gehen konnte. Sie verbarg das Viktualienkörbchen, so gut als möglich, unter die Schürze, die bescheidene Decke der weiblichen Reize und Schalkheit. Aber so gegründete Privilegien dieses unverletzbare Asyl gegen Mautner und Zöllner haben mag, so ist es doch keine eherne Mauer für einen Ehemann: der Landgraf merkte Unrat, kam mit Eile herzu, seine bräunlichen Wangen rötete der Zorn, und die Kollerader trat mächtig an der Stirn hervor. »Weib«, sprach er mit raschem Ton, »was trägst du in dem Korbe, welchen du mir verbirgst? Ist's nicht der Abhub meiner Tafel, womit du das lose Gesindel der Lungerer und Bettler fütterst?« »Mit nichten, lieber Herr«, antwortete die fromme Landgräfin züchtiglich, aber gar beklommen, die in gegenwärtiger kritischen Lage, ihrer Heiligkeit unbeschadet, eine Notlügen für wohl erlaubt hielt, »es sind eitel Rosen, die ich in dem Burgzwinger gepflückt habe.« Wär der Landgraf unser Zeitgenoß gewesen, so hätte er seiner Dame auf ihr Ehrenwort glauben und von aller weitern Untersuchung abstehen müssen; doch so geschliffen war die rasche Vorwelt nicht. »Laß sehen was du trägst«, sprach der gebieterische Eheherr, und riß mit Ungestüm der Zagenden die Schürze weg. Das schwache Weib konnte sich gegen diese Gewalttätigkeit nur zurückweichend verteidigen. »Tut doch gemach, lieber Herr!« gegenredete sie, und errötete vor Scham, daß sie vor ihrem Hofgesinde auf einer Lügen sollte erfunden werden. – Aber o Wunder! o Wunder! das corpus delicti hatte sich wirklich in die schönsten aufblühenden Rosen verwandelt: aus den Semmeln waren weiße, aus den Schlackwürsten purpurfarbene, und aus den Eierkuchen waren gelbe Rosen worden. Mit freudigem Staunen nahm die heilige Frau diese wunderbare Metamorphose wahr, wußte nicht, ob sie ihren Augen glauben sollte, denn sie hatte selbst ihrem Schutzheiligen nicht die Politesse zugetrauet, zum Vorteil einer Dame ein Wunder zu bewirken, wenn's drauf ankommt einen strengen Ehemann zu düpieren, und eine weibliche Notlügen bei Ehren zu erhalten.

Dieser augenscheinliche Beweis der Unschuld besänftigte den erzürnten Löwen. Er wendete nun seine furchtbaren Blicke auf die bestürzten Hofschranzen, welche seiner Meinung nach die fromme Landgräfin unschuldig verleumdet hatten, schalt sie heftig aus, und tat einen teuren Schwur, den ersten Ohrenbläser, der seine tugendsame Gemahlin wieder bei ihm verunglimpfen würde, alsbald in das Verlies werfen, und darinne peinlich verschmachten zu lassen. Hierauf nahm er eine der Rosen und steckte sie zum Triumph der Unschuld auf den Hut, die Geschichte meldet aber nicht, ob er den folgenden Tag eine verwelkte Rose, oder eine Schlackwurst darauf fand, indes berichtet sie, daß die heilge Elisabeth, sobald ihr Herr mit dem Kuß des Friedens sie verlassen und sie sich vom ersten Schrecken erholt hatte, getrosten Mutes nach dem Anger, wo ihre Pfleglinge, die Lahmen und Blinden, die Nackenden und Hungrigen ihrer warteten, den Berg hinabgewandelt sei, dort ihre gewöhnlichen Spenden auszuteilen. –

Denn sie wußte wohl, daß die wundertätige Täuschung dort wieder verschwinden werde, wie denn auch wirklich geschah: da sie ihr Viktualienmagazin öffnete, fand sie keine Rosen mehr, wohl aber die nahrhaften Brocken darinne, die sie den höfischen Tellerleckern aus den Zähnen gerückt hatte.

Ob sie nun wohl, da ihr Herr ins Heilge Land zog, seiner strengen Aufsicht entlediget wurde, und freie Macht und Gewalt bekam, Liebeswerke im Geheim oder öffentlich, wie und wenn es ihr gefiel, auszuüben: so liebte sie doch den gebieterischen Ehgemahl so treu und aufrichtig, daß sie sich, ohne innigste Betrübnis, nicht von ihm scheiden konnte. Ach, es ahndete ihr wohl, daß sie ihn in diesem Erdenleben nicht wiedersehen würde. Und mit dem Genuß im Zukünftigen stund's auch gar mißlich. Dort behauptet eine kanonisierte Heilige einen so hohen Rang, daß alle übrigen verklärten Seelen gegen sie nur feiger Pöbel sind.

So hoch auch der Landgraf in dieser Unterwelt gestellet war: so war's doch noch immer die Frage, ob er in den Vorhöfen des Himmels würdig erfunden wurde, an den Teppich ihres Throns zu knieen, und die Augen gegen seine gewesene Bettgenossin aufheben zu dürfen. So viel Gelübde sie auch tat; so viel gute Werke sie ausübte; so viel ihre Vorbitte sonst bei allen Heiligen galt: so wenig vermochte ihr Kredit im Himmel, das Lebensziel ihres Gemahls auch nur um eine Spanne lang weiter hinauszurücken. Er starb auf dieser Heeresfahrt, in der besten Blüte des Lebens an einem bösen Fieber, zu Hidrunt, ehe er noch das ritterliche Verdienst sich erworben hatte, einen Sarazenen bis auf den Sattelknopf zu spalten. Als er sich zur Hinfahrt anschickte und es an dem war, daß er die Welt gesegnen sollte, berief er unter den umstehenden Dienern und Vasallen Graf Ernsten zu sich ans Sterbebett, ernennte ihn, an seiner Statt, zum Anführer des Häufleins der Kreuzfahrer, die ihm gefolget waren, und nahm einen Eid von ihm, nicht wieder heimzukehren, er habe denn dreimal gegen die Ungläubigen das Schwert gezückt. Hierauf empfing er vom Reisekapellan das heilige Viatikum, verordnete so viel Seelmessen, daß er und sein ganzes Gefolge daran genug gehabt hätte, mit Pomp in das himmlische Jerusalem einzuziehen, und verschied. Graf Ernst ließ den erbleichten Leichnam seines Herrn einbalsamieren, verschloß ihn in eine silberne Truhe, und schickte ihn der verwittibten Landgräfin zu, die um ihren Ehgemahl Leide trug, wie eine römische Kaiserin, denn sie legte die Trauerkleider nicht wieder ab, dieweil sie lebte.

Graf Ernst von Gleichen förderte die Wallfahrt so sehr er konnte, und gelangte mit den Seinigen glücklich im Heerlager bei Ptolemais an. Hier fand er freilich mehr eine theatralische Vorstellung des Krieges, als einen ernsthaften Feldzug. Denn wie auf unsern Schaubühnen, bei der Vorbildung eines Heerlagers, oder einer Feldschlacht, nur im Vordergrunde wenig Zelte ausgespannt sind, und eine kleine Zahl von Schauspielern miteinander Scharmützeln; in der Ferne aber viele gemalte Gezelte oder Geschwader die Illusion befördern, und das Auge täuschen, indem alles auf einen künstlichen Betrug der Sinnen abgesehen ist: so war auch die Kreuzarmee eine Mixtur von Fiktion und Realität. Von den zahlreichen Heldenscharen, die aus ihrem Vaterlande auswanderten, gelangte immer nur der kleinste Teil bis an die Grenzen des Landes, auf dessen Eroberung sie ausgingen. Die wenigsten fraß das Schwert der Sarazenen, diese Ungläubigen hatten mächtige Bundesgenossen, die sie dem feindlichen Heere weit über die Grenze entgegen schickten, und die wacker darunter aufräumten, ob sie gleich weder Lohn noch Dank für ihre guten Dienste erhielten. Das waren namentlich Hunger, Blöße, Fährlichkeit zu Land und Wasser und unter bösen Brüdern; Frost und Hitze, Pest und böse Beulen; auch das peinliche Heimweh fiel zuweilen wie ein schwerer Alp auf die stählernen Harnische, preßte sie wie geschmeidige Pappe zusammen, und spornte die Rosse zur flüchtigen Heimkehr. Unter diesen Umständen hatte Graf Ernst wenig Hoffnung, so eilfertig als er wohl wünschte seiner Zusage Gnüge zu tun, und sein ritterliches Schwert dreimal gegen die Sarazenen blitzen zu lassen, ehe er an den Rückzug ins Vaterland gedenken durfte. Drei Tagereisen rings ums Lager her, ließ sich kein arabischer Bogenschütze blicken, die Ohnmacht des Christenheeres lag hinter Bollwerk und Schanzen verborgen, und wagte sich nicht daraus hervor, den fernen Feind aufzusuchen, sondern harrete auf die zögernde Hülfe des schlummernden Papstes, der seit der schlaflosen Nacht, welche den Kreuzzug angesponnen hatte, einer ungestörten Ruhe genoß, und sich um den Erfolg des Heiligen Krieges wenig kümmerte.

In dieser Untätigkeit, die dem Heere der Christen ebenso unrühmlich war, als weiland die dem Heere der Griechen, vor dem blutigen doch mutigen Troja, wo der Held Achill mit seiner Bundesbrüderschaft so lange um ein Freudenmädchen maulte, trieb die christliche Ritterschaft im Lager groß Wohlleben und Kurzweil, die müßige Zeit zu töten und die Grillen zu verscheuchen; die Welschen mit Sang und Saitenspiel, wozu die leichtfüßigen Franzosen hüpften; die ernsten Hispanier mit dem Brettspiel; die Britten mit dem Hahnenkampf, die Deutschen mit Schwelgen und Zechgelagen. Graf Ernst, der an all diesem Zeitvertreib wenig Gefallen trug, erlustigte sich mit der Jagd, bekriegte die Füchse in der dürren Wüste, und verfolgte die schlauen Felsgemsen in den verbrannten Gebürgen. Die Ritter von seinem Gefolge scheueten die glühende Sonne am Tage, und die feuchte Nachtluft unter diesem fremden Himmel, und schlichen sich seitab, wenn ihr Herr aufsatteln ließ: daher pflegte ihm nur sein getreuer Schildknappe, der flinke Kurt genannt, und ein einzelner Reisige auf die Jagd zu folgen. Einsmals hatte ihn die Neigung, den Gemsen nachzuklettern, so weit geführt, daß die Sonne schon ins Mittelmeer tauchte, ehe er an den Rückzug gedachte, und so sehr er sich auch sputete, das Lager zu erreichen, so überfiel ihn doch die Nacht, eh er dahin gelangte. Eine Erscheinung trüglicher Irrlichter, welche er für die Wachtfeuer des Lagers hielt, entfernte ihn noch weiter davon. Da er seines Irrtums inne ward, beschloß er unter einem Feldbaume bis zu Tagesanbruch zu rasten. Der getreue Knappe bereitete seinem ermüdeten Herrn ein Lager von weichem Moos, der von der Hitze des Tages abgemattet einschlief, ehe er die Hand erhob, sich nach Gewohnheit mit dem heiligen Kreuz zu segnen. Aber dem flinken Kurt kam kein Schlaf in die Augen, er war von Natur so wachsam wie ein Nachtvogel, und wenn ihm auch das Talent der Wachsamkeit nicht wäre verliehen gewesen, so würde ihn die treue Sorgfalt für seinen Herrn munter erhalten haben. Die Nacht war, wie es dem Klima von Asien gewöhnlich ist, hell und klar, die Sterne funkelten im reinen Brilliantenlichte, und feierliche Stille, wie im Tale des Todes, herrschte in der weiten Einöde. Kein Lüftchen atmete, demungeachtet goß die nächtliche Kühlung Leben und Erquickung auf Pflanzen und Tiere. Aber um die dritte Nachtwache, da der Morgenstern den kommenden Tag verkündete, erhob sich ein Getöse in düsterer Ferne, gleich einem rauschenden Waldstrom, der sich über einen jähen Absturz herabwälzt. Der wachsame Knappe horchte hoch auf, und ging auch mit seinen übrigen Sinnen auf Kundschaft aus, da sein scharfes Auge den Schleier der nächtlichen Dämmerung zu durchdringen nicht vermogte. Er horchte und windete zugleich, wie ein Spürhund, denn ihn wehete ein Geruch an, wie der von wohlriechenden Kräutern und zerquetschten Grashalmen; auch schien das befremdende Getöse sich immer mehr zu nähern. Er legte das Ohr auf die Erde, und vernahm ein Trappeln wie von Rosses Hufen, welches ihn auf die Vermutung brachte, das wilde Heer ziehe vorüber, da überlief's ihn mit einem kalten Schauer und wandelte ihm große Furcht an. Er rüttelte deshalb seinen Herrn aus dem Schlafe, und dieser merkte bald, nachdem er sich ermuntert hatte, daß hier ein anderes als ein gespenstisches Abenteuer zu bestehen sei. Indem der Reisige die Pferde aufzäumte, ließ er sich in aller Eil waffnen.

Die dunkeln Schatten schwanden nun allgemach, und der herannahende Morgen färbte den Saum des östlichen Horizonts mit seinem Purpurlichte. Da sahe der Graf, was er geahndet hatte, einen Haufen Sarazenen heranziehen, alle wohlgerüstet zum Streit, um eine Beute von den Christen zu erjagen. Ihren Händen zu entfliehen war keine Möglichkeit, und der wirtbare Baum im weiten Blachfelde gab keinen Schutz, Roß und Mann dahinter zu verbergen. Zum Unglück war der große Gaul kein Hippogryph, sondern ein schwerbeleibter Friesländer, dem vermöge seiner Struktur, das wünschenswerte Talent, seinen Herrn auf den Fittichen der Winde davonzutragen, nicht verliehen war. Darum befahl der mannliche Held seine Seele in den Schutz Gottes und der Heilgen Jungfrau, und faßte den Entschluß ritterlich zu sterben. Er gebot seinen Dienern ihm zu folgen, und ihr Leben so teuer zu verkaufen, als sie könnten. Hierauf stach er den Friesländer wacker an und setzte mitten in das feindliche Geschwader, welches sich eines so plötzlichen Angriffs von einem einzelnen Ritter nicht versahe. Die Ungläubigen bestürzten und stoben auseinander, wie leichte Spreu, die der Wind zerstreuet. Da sie aber inne wurden, daß der Feind nicht stärker sei als drei Helme, wuchs ihnen der Mut, und es begann ein ungleiches Gefechte, wo die Tapferkeit der Menge unterlag. Der Graf tummelte sich indessen wacker auf dem Kampfplatz herum, die Spitze seiner Lanze blitzte Tod und Verderben auf die feindlichen Heerscharen, und wenn sie ihren Mann faßte, so flog er unwiderstehbar aus dem Sattel. –

Selbst den Anführer des sarazenischen Pulks, der grimmig auf ihn einrennte, streckte der mannfeste Arm des Grafen zu Boden, und durchstach ihn, da er sich wie ein Wurm im Sande wälzte, mit der sieggewohnten Lanze, wie der Ritter St. Georg den scheußlichen Lindwurm. Der flinke Kurt hielt sich nicht minder hurtig. Ob er wohl zum Angriff nicht taugte, so war er doch ein Meister im Nachhauen, und hieb alles in die Pfanne, was sich nicht zur Wehre setzte, wie ein Kunstrichter, der das wehrlose Gesindel der Krüppel und Lahmen abwürgt, die sich jetzt so dreuste auf die literarische Stechbahn wagen; und wann auch zuweilen ein matter Invalide, mit großem Grimm, wie ein erboster Pasquillanten- und Rezensentenjäger, aus entnervter Faust einen Stein gegen ihn schleuderte, so ließ er sich das nicht anfechten: denn er wußte wohl, daß seine eiserne Sturmhaube nebst dem Harnisch, einen mäßigen Wurf wohl ertragen konnte. Auch der Reisige tat sein Bestes, reine Bahn um sich her zu machen, und hielt dabei seines Herrn Rücken frei. Wie aber neun Bremsen das stärkste Pferd, vier Stiere der Kaffern einen afrikanischen Löwen, und gemeiner Sage nach, eine Mäuserotte einen Erzbischof überwältigen und bezwingen können, davon der Mäuseturm im Rhein, laut Hübnern, kundig Zeugnis gibt: so wurde der Graf von Gleichen, nach einem ritterlichen Gefechte, von der Zahl der Feinde auch endlich übermannet. Sein Arm ermüdete, die Lanze war zersplittert, das Schwert gestümpft, der Gaul strauchelte, auf dem mit Feindesblut getünchten Schlachtfelde. Des Ritters Fall war die Losung des Sieges, hundert rüstige Arme stürmten auf ihn ein, das Schwert ihm zu entringen, und seine Hand hatte zum Widerstande keine Kräfte mehr. Sobald der flinke Kurt den Ritter fallen sah, entfiel ihm auch der Mut und zugleich der Streithammer, mit dem er die Sarazenenschädel so meisterlich zerhämmert hatte. Er ergab sich auf Diskretion und bat flehentlich um Quartier. Der Reisige stund in dumpfen Hinbrüten da, verhielt sich leidend, und erwartete mit stierischer Gleichmütigkeit den Schlag einer Streitkolbe auf seine Sturmhaube, die ihn zu Boden stürzen würde.

Die Sarazenen waren indessen menschlichere Sieger, als die Überwundenen hoffen durften, sie begnügten sich die drei Kriegsgefangenen zu entwaffnen, ohne ihnen am Leibe Schaden noch Leid zu tun. Diese milde Schonung war eben keine Regung der Menschenliebe, sondern nur Kundschafterbarmherzigkeit: von einem erschlagenen Feinde ist nichts auszuforschen, und die Absicht der streifenden Horde war eigentlich, von dem Zustande des christlichen Heeres bei Ptolemais sichere Kundschaft einzuziehen. Nachdem die Gefangenen verhört waren, wurden ihnen, nach asiatischem Kriegsgebrauch, die Sklavenfesseln angelegt, und weil eben ein Schiff nach Alexandrien segelfertig lag, schickte sie der Bey von Asdod zum Soldan von Ägypten, um am Hofe ihre Aussage von der Beschaffenheit der christlichen Heeresmacht zu bestätigen. Das Gerücht von der Tapferkeit des wackern Franken war bereits vor seiner Ankunft, bis zu den Toren von Großkairo erschollen, und ein solcher streitbarer Kriegsgefangener hätte in der feindlichen Hauptstadt wohl eben die pompöse Aufnahme verdienet, welche der zwölfte April dem gallischen Seehelden in London erwarb, wo die frohe Königsstadt sich wetteifernd bemühete, dem Überwundenen die Ehre des brittischen Triumphs empfinden zu lassen; doch der muselmännische Eigendünkel läßt fremdem Verdienst keine Gerechtigkeit widerfahren. Graf Ernst wurde in dem Aufzuge eines Baugefangenen, mit schweren Ketten belastet, in den vergitterten Turm gesperrt, wo die Sklaven des Soldans pflegten aufbewahret zu werden. Hier hatte er Zeit und Muße, in langen peinlichen Nächten und einsamen traurigen Tagen das eherne Schicksal seines zukünftigen Lebens zu überdenken, und es gehörte ebensoviel Mut und Standhaftigkeit dazu, unter diesen Kontemplationen nicht zu erliegen, als sich mit einer ganzen Horde streifender Araber auf dem Schlachtfelde herumzutummeln. Oft schwebte das Bild seiner ehemaligen häuslichen Glückseligkeit ihm vor Augen, er dachte an seine holde Gemahlin und an die zarten Sprossen keuscher Liebe. Ach! wie verwünschte er die unglückliche Fehde der heiligen Kirche mit dem Gog und Magog in Orient, die ihn des glücklichen Loses seines Erdenlebens beraubt, und an unauflösliche Sklavenketten gefesselt hatte. In diesen Augenblicken war er der Verzweiflung nahe, und es fehlte wenig, daß seine Frömmigkeit an dieser Klippe der Anfechtung nicht scheiterte.

Zu Lebzeiten Graf Ernsts von Gleichen, trieb sich unter den Anekdotenjägern eine abenteuerliche Geschichte herum, von Herzog Heinrich dem Löwen, die damals, als eine bei Menschengedenken vorgefallene Begebenheit, im ganzen deutschen Reiche großen Glauben fand. Der Herzog, so erzählt die Volkssage, wurde auf seiner Wallfahrt über Meer ins Heilige Land, durch einen schweren Sturm an eine unbewohnte afrikanische Küste verschlagen, wo er von seinen Unglücksgenossen allein dem Schiffbruch entrann, und in der Höhle eines gastfreien Löwen Obdach und Zuflucht fand. Die Gutmütigkeit des grausamen Bewohners der Höhle hatte aber eigentlich nicht ihren Sitz im Herzen, sondern in der linken Hintertatze: er hatte sich auf der Jagd in den Lybischen Wüsten einen Dorn eingetreten, der ihm so viel Schmerzen machte, daß er sich weder regen noch bewegen konnte, und darüber seiner natürlichen Freßbegierde ganz vergaß. Nach gemachter Bekanntschaft und gewonnenem wechselseitigen Zutrauen, vertrat der Herzog bei dem König der Tiere die Stelle eines Äskulaps, und grub ihm mühsam den Dorn aus dem Fuße. Der Löwe wurde heil, und eingedenk der ihm von seinem Gast erwiesenen Wohltat, verpflegte er diesen aufs beste von seinem Raube, und war so freundlich und zutätig gegen ihn als ein Schoßhund.

Der Herzog wurde aber der kalten Küche seines vierfüßigen Wirtes gar bald überdrüssig, und sehnte sich nach den Fleischtöpfen seiner ehemaligen Hofküche: denn er wußte das ihm zugeteilte Wildpret nicht so niedlich zuzurichten, als vordem sein Mundkoch. Da überfiel ihn das Heimweh gar mächtig, und weil er keine Möglichkeit sahe, jemals in seine Erblande zurückzukehren, betrübte ihn das in der Seele also, daß er sichtbar verkümmerte wie ein wunder Hirsch. Da trat der Versucher mit der bekannten, an wüsten Örtern ihm gewöhnlichen Effronterie zu ihm, in Gestalt eines kleinen schwarzen Männleins, welches der Herzog beim ersten Anblick für einen Orang Utang hielt; es war aber unsers Herregotts Affe, der Satanas, leibhaftig, grinsete ihn an und sprach: »Herzog Heinrich, was jammerst du? So du mir vertrauest, will ich all deinem Kummer ein Ende machen und dich heimführen zu deinem Gemahl, daß du noch heut abend neben ihr im Schloß zu Braunschweig tafelst, denn es ist dort ein herrlich Abendmahl zugeschickt: sintemal sie mit einem andern hochzeitet, dieweil sie sich deines Lebens verziehen hat.«

Diese Depesche rollte wie ein Donnerschlag in des Herzogs Ohren, und schnitt ihm wie ein zweischneidiges Schwert durchs Herz. Wut brannte in seinen Augen wie Feuerflammen, und in seiner Brust tobte Verzweiflung. Will mir der Himmel nicht, dacht er in diesem kritischen Augenblicke, so mag die Hölle raten! Das war eine von den verfänglichen Situationen, welche der ausgelernte psychologische Tausendkünstler so meisterhaft zu nutzen weiß, wenn ihm die Werbung um eine Seele, auf die er lüstern ist, gelingen soll. Der Herzog legte, ohne sich lange zu bedenken, die güldnen Sporen an, gürtete das Schwert um die Lenden, und machte sich reisefertig, »Hurtig Gesell«, sprach er, »führe mich und diesen meinen getreuen Löwen gen Braunschweig, ehe noch der freche Buhl mein Bett besteigt.« »Wohl!« antwortete der Schwarzbart, »aber weißt du auch, welcher Lohn mir für die Überfracht gebührt?« »Fordere, was du willst«, sprach Herzog Heinrich, »es soll dir aufs Wort gewähret sein.« »Deine Seele auf Sicht bis in jene Welt«, antwortete Beelzebub. »Es sei! Schlag ein!« rief tobende Eifersucht aus Heinrichs Munde.

Sonach war der Kontrakt zwischen beiden Teilhabern in bester Form Rechtens geschlossen. Der höllische Weih verwandelte sich augenblicklich in einen Vogel Greif, faßte in eine Kralle den Herzog, in die andere den getreuen Löwen, –

und führte beide in einer Nacht, vom lybischen Gestade gen Braunschweig, die hochgebaute Stadt, auf der festen Erdscholle des Harzes, welche selbst die lügenhafte Prophezeihung des Zellerfelder Sehers zu erschüttern nicht gewagt hat, setzte seine Bürde wohlbehalten mitten auf dem Marktplatz ab, und verschwand, als eben der Wächter ins Horn stieß, um die Mitternachtstunde abzurufen, und ein verjährtes Brautlied aus der rauhen Mummenkehle zu karjöhlen. Der herzogliche Palast und die ganze Stadt flimmerte noch, wie der gestirnte Himmel, von der hochzeitlichen Beleuchtung, und auf allen Straßen war Lärm und Getöse des frohlockenden Volkes, das herzuströmte, die geschmückte Braut und den feierlichen Fackeltanz, der das Vermählungsfest beschließen sollte, zu begaffen. Der Aeronaut, der von seiner weiten Luftreise keine Ermüdung spürte, drängte sich mitten im Volksgetümmel durch den Eingang des Palastes, trat mit klingenden Sporen, unter Geleitschaft des getreuen Löwen, ins Tafelgemach, zückte das Schwert und sprach: »Heran wer treu bei Herzog Heinrich hält, und auf Verräter Fluch und Dolch!« Zugleich brüllte der Löwe, wie wenn sieben Donner ihre Stimme hören lassen, schüttelte die furchtbare Mähne, und reckte zornmütig den Schwanz zum Zeichen des Angriffs empor. Die Zinken und Posaunen verstummten, und ein grausendes Schlachtgetöse rauschte, von dem Gewühl im Brautsaal, zum gotischen Gewölbe hinauf, davon die Mauern dröhnten und die Schwellen bebten.

Der goldgelockte Hochzeiter und die bunte Schmetterlingsschar seiner Höflinge, fielen unter dem Schwert des Herzogs, wie die tausend Philister unter dem Eselskinnbacken, in der benervten Faust des Sohnes Manoah, und wer dem Schwerte entging, der lief dem Löwen in den Rachen, und wurde abgewürgt wie ein wehrloses Lamm. Nachdem der zudringliche Freier nebst der Gespanschaft seiner Edeln und Diener aufgerieben war, und Herzog Heinrich sein Hausrecht auf ebenso strenge Manier gebraucht hatte, wie ehedem der weise OdyssevsSo ist's jetzt Sitte im Lande, das Kind beim rechten Namen zu nennen, und keinen griechischen Namen mehr nach römischer Mundart zu verhunzen. gegen den Buhlerklub der keuschen Penelope, setzte er sich wohlgemut zu seiner Gemahlin an Tafel, die von dem Todesschrecken, das er ihr gemacht hatte, eben anfing sich wieder zu erholen. Indem er sich die Speisen seiner Mundköche wohl schmecken ließ, die nicht für ihn zugerichtet waren, warf er einen triumphierenden Blick auf die neue Eroberung, und sahe, daß sich die Herzogin in rätselhaften Tränen badete, welche ebensogut auf Verlust als Gewinn sich ausdeuten ließen. Indessen erklärte er sie, als ein Mann der zu leben wußte, lediglich zu seinem Vorteil, und verwies ihr nur, mit liebreichen Worten, die Übereilung ihres Herzens, worauf er von Stund an wieder in alle seine Rechte trat.

Diese sonderbare Geschichte hatte sich Graf Ernst auf dem Schoße seiner Amme gar oft erzählen lassen, nachher bei reiferm Alter die Wahrheit derselben, als ein heller Kopf, bezweifelt. In der traurigen Einöde des vergitterten Turms aber, bildete sich ihm das alles wohl möglich vor, und sein schwankender Ammenglaube gedieh beinahe zur Überzeugung. Ein Transite durch die Luft, schien ihm die leichteste Sache von der Welt zu sein, wenn der Geist der Finsternis in schauervoller Mitternacht seinen Fledermausfittich darzu herleihen wollte. Ungeachtet er vermöge seiner religiösen Grundsätze keinen Abend verabsäumte ein großes Kreuz vor sich zu schlagen, so regte sich doch ein geheimes Verlangen in seiner Seele, das nämliche Abenteuer zu bestehen, ob er gleich diesen Wunsch sich selbst nicht eingestund. Wenn indessen eine wandernde Maus zwischen der Vertäfelung der Wände zur Nachtzeit kraspelte, wähnte er flugs, der höllische Proteus signaliere seine dienstfertige Ankunft, und zuweilen brachte er schon in Gedanken den Frachtakkord mit ihm vorläufig in Richtigkeit. Allein außer der Illusion eines Traumes, die ihm die schwindelnde Luftreise ins deutsche Vaterland vorgaukelte, hatte der Graf von seinem Ammenglauben keinen Gewinn, als daß er mit diesem Gedankenspiel ein paar leere Stunden ausfüllete, und wie ein Romanenleser, sich in die Stelle des auftretenden Helden versetzte. Warum sich aber Meister Abaddon so untätig bewies, da es doch auf eine Seelenkaperei ankam, und nach allen Umständen die Entreprise gelingen mußte, davon läßt sich eine oder die andere triftige Ursache angeben. Entweder war der Schutzpatron des Grafen wachsamer als der, welchem Herzog Heinrich die Obhut seiner Seele anvertrauet hatte, und wehrte kräftig ab, daß der böse Feind keine Macht noch Gewalt an ihm finden konnte; oder dem Geiste, der in der Luft herrscht, war der Speditionshandel in diesem seinem Elemente dadurch verleidet, daß er von Herzog Heinrich, um die stipulierte Fracht, dennoch geprellt wurde. Denn da es mit ihm zum Abdrücken kam, hatte des Herzogs Seele so viel gute Werke auf ihrer Rechnung, daß die Zeche auf dem höllischen Kerbholz dadurch reichlich getilget wurde.

Während daß Graf Ernst, in romantischen Grillen, einen schwachen Schein von Hoffnung zur Erledigung aus dem düstern Gitterturme träumte, und auf wenig Augenblicke seines Kummers und Unmuts dabei vergaß, brachten die heimkehrenden Diener der harrenden Gräfin die Botschaft zurücke, ihr Herr sei aus dem Lager verschwunden, ohne daß sie zu sagen wußten, welches Abenteuer ihm zugestoßen sei. Einige mutmaßten, er sei der Raub eines Drachen oder Lindwurms worden; andere ein verpestetes Lüftlein habe ihn in den syrischen Wüsteneien angewehet und getötet; noch andere, er sei von einer arabischen Räuberbande geplündert und gemordet oder gefangen weggeführet worden. Darin kamen alle überein, daß er pro mortuo zu achten, und die Gräfin ihrer ehelichen Gelübde quitt und ledig sei. Sie beweinte ihren Herrn auch wirklich als einen Toten. Und als ihre verwaisten Kindlein in der Unbefangenheit ihres Herzens, sich der schwarzen Käpplein freueten, die ihnen Mama hatte machen lassen, den guten Vater, dessen Verlust sie noch nicht fühlten, darin zu betrauren: so jammerte es ihr in der Seele, und ihre Augen zerflossen in Tränen vor wehmutsvoller Betrübnis. Aber eine geheime Ahndung sagte ihr demungeachtet, der Graf sei noch am Leben. Sie erstickte diesen Gedanken, der ihr so wohl tat, auch keinesweges in ihrem Herzen: denn Hoffnung ist doch die kräftigste Stütze der Leidenden, und der süßeste Traum des Lebens. Um diese zu unterhalten, rüstete sie im Geheim einen treuen Diener aus, und schickte ihn auf Kundschaft über Meer ins Heilige Land. Der schwebte, wie der Rabe aus der Arche, über den Gewässern hin und her, und ließ weiter nichts von sich hören. Drauf sendete sie einen andern Boten aus, der kam nach sieben Jahren, nachdem er Land und Meer durchzogen hatte, wieder heim, ohne daß er das Ölblatt guter Hoffnung im Schnabel trug. Gleichwohl zweifelte die standhafte Frau im geringsten nicht, ihr Herr sei noch im Lande der Lebendigen anzutreffen, denn sie vertrauete fest darauf, ein so zärtlicher, getreuer Gatte, könne unmöglich aus der Welt geschieden sein, ohne bei dieser Katastrophe an sein Weib und seine Kindlein daheim zu gedenken, und ein Anzeichen seines Abschieds aus der Welt zu geben. Aber es hatte sich, seit dem Abzug des Grafen, im Schlosse nicht geeignet, weder in der Rüstkammer, durch Waffengeräusch; noch auf dem Söller, durch einen rollenden Balken; noch im Bettgemach, durch einen leisen Wandeltritt, oder durch einen herzhaften Stiefelgang. Auch hatte keine nächtliche Wehklage, von der hohen Giebelzinne des Palastes, ihre Nänie herabgetönet, noch das berüchtigte Vöglein Kreideweiß, seinen grausenvollen Totenruf hören lassen. Aus der Abwesenheit aller dieser Anzeichen von böser Bedeutung, schloß sie nach den Grundsätzen der weiblichen Vernunftlehre, die bei dem zarten Geschlechte, auch noch in unsern Tagen, lange nicht so sehr in Verfall geraten ist, als Vater Aristoteles' Organon bei dem männlichen, daß ihr vielgeliebter Ehgemahl noch lebe, und wir wissen, daß diese Konklusion ihre gute Richtigkeit hatte. Daher ließ sie sich den unfruchtbaren Erfolg der beiden ersten Entdeckungsreisen, deren Zweck ihr wichtiger war, als uns die Aufsuchung der südlichen Polarländer, keinesweges abschrecken, den dritten Apostel in alle Welt zu senden. Dieser war von träger Gemütsart, hatte sich das Sprüchlein wohl gemerkt: Zum Laufen hilft nicht schnell sein; darum hielt er bei jedem Wirtshaus an, und tat sich gütlich. Und da er es ungleich bequemer fand, die Leute, bei welchen er des Grafen wegen Nachfrage halten sollte, zu sich kommen zu lassen, als ihnen in der weiten Welt nachzuspüren und sie aufzusuchen: so stellte er sich an einen Posten, wo er alle Passanten aus dem Orient, mit der insolenten Forschbegierde eines Zöllners am Schlagbaume, examinieren konnte, das war der Hafen an der Wasserstadt Venedig. Dieser war damals gleichsam das allgemeine Tor, durch welches die Pilger und Kreuzfahrer aus dem Heiligen Lande, in ihre Heimat zurückkehrten. Ob der schlaue Mann das beste oder das schlechteste Mittel wählte, seiner aufhabenden Funktion Gnüge zu leisten, das wird sich in der Folge zeigen.


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