Johann Karl August Musäus
Volksmärchen der Deutschen
Johann Karl August Musäus

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Frohen Mutes zog er an den Hof der Gräfin Richilde, warf sich wonnetrunken ihr zu Füßen, und als sie den herrlichen Mann erblickte, nach welchem ihr Herz so lang geseufzet hatte, fühlte sie darinnen unausredbares Entzücken und schwur dem Ritter von Stund an den Bund der Treue. Ihr Palast verwandelte sich in ein Ida und Paphos, denn die Göttin Cythere schien ihre Residenz dahin verlegt zu haben. In dem süßen Freudentaumel, unter den ausgesuchtesten Ergötzlichkeiten, entschwanden dem glücklichen Paare Tage und Jahre wie ein heiterer Morgentraum, und Gombald und Richilde beteureten einander oft, daß man in den Vorhöfen des Himmels nicht glücklicher sein könne als er und sie zusammen lebten; kein Wunsch war ihnen übrig als der, aeonenlang ihr wechselseitiges Glück zu genießen ohne Wandel. Allein das glückliche Paar besaß zu wenig Philosophie, um einzusehen, daß ein fortwährender Genuß des Vergnügens, eigentlich das Grab des Vergnügens ist, und daß diese Würze des Lebens in zu starken Dosen genommen, demselben allen Hochgeschmack und Anmut raubt. Unvermerkt erschlafft die Reizbarkeit der Organen für das Gefühl der Lebensfreuden, alle Ergötzlichkeiten gewinnen einen einförmigen Gang und die raffinierteste Abwechselung wird endlich auch ein fades Einerlei. Dame Richilde, nach ihrer veränderlichen Gemütsart, verspürte zuerst diese Unbequemlichkeiten, wurde launisch, herrisch, kalt und mitunter eifersüchtig. Der Herr Gemahl befand sich auch nicht mehr in der ehemaligen Lage der Behaglichkeit, ein gewisser Spleen drückte seine Seele, der Minneblick im Auge war erloschen, und das Gewissen, womit er ehedem heuchlerischen Scherz getrieben, fing nun an zu ernsten, es kam ihm der Skrupel ein, daß er seine erste Gemahlin gemordet habe; er gedachte derselben öfters mit Wehmut und vielen Lobsprüchen, und der Sage nach soll's nie gut Geblüt in der zwoten Ehe geben, wenn von der selgen Frau zu oft die Rede ist; es gab oft verschiedene Debatten mit der Dame Richilde, und er sagte ihr zuweilen gerade ins Angesicht, daß sie die Stifterin alles Unglücks sei.

»Wir können nicht ferner zusammen hausen«, sprach er einsmals nach einem Ehezwist zu seiner Gemahlin, »mein Gewissen drängt mich, meine Schuld zu versühnen, ich will gen Jerusalem wallfahrten zum Heiligen Grabe, und versuchen, ob ich dort die Ruhe meines Herzens wiederfinden kann.« Gesagt, getan! Richilde widersetzte sich diesem Vorschlag nur schwach, Graf Gombald rüstete sich zur Wallfahrt, machte sein Testament, nahm lauen Abschied und zog davon. – Eh ein Jahr verging kam Botschaft nach Brabant, daß der Graf in Syrien an der schwarzen Pest gestorben sei, ohne den Trost gehabt zu haben, am Heiligen Grabe seine Sünden abzubüßen. Die Gräfin empfing diese Zeitung mit großer Gleichmütigkeit, gleichwohl beobachtete sie äußerlich alle Regeln des Wohlstandes, sie wehklagte, weinte, hüllete sich in Boy und Flor, nach den Vorschriften der Etikette, ließ auch dem selgen Herrn ein prächtiges Zenotaphium errichten, an welchem weinende Genien mit ausgelöschten Fackeln und Tränenkrügen nicht fehlten. Inzwischen hat ein schlauer Menschenspäher längst bemerkt, daß junge Witwen geartet sind wie grünes Holz, welches an einem Ende brennt, wenn am andern das Wasser herausträufelt. Das Herz der Gräfin Richilde konnte nicht lange unbeschäftigt bleiben, die Trauer erhob ihre Reize so sehr, daß sich jedermann herzudrängte, die schöne Witwe zu sehen. Viel Glücksritter zogen an ihren Hof, ihr Heil zu versuchen und diese reiche Beute zu erhaschen, sie fand Anbeter und Bewunderer in Menge, und die Hofschmeichler waren, was das Lob ihrer Gestalt betraf, wieder vollkommen in Odem gesetzt. Das gefiel der eitlen Frau ungemein wohl, weil sie aber doch gern Gewißheit von der Sache zu haben und überzeugt zu sein wünschte, daß der Finger der Zeit in fünfzehn Jahren keinen ihrer Reize verwischt habe, ratfragte sie deshalb ihren Wahrheitsfreund den magischen Spiegel mit dem gewöhnlichen Spruche:

Spiegel blink, Spiegel blank,
Goldner Spiegel an der Wand,
Zeig mir an das schönste Weib in Brabant.

Schauer und Entsetzen befiel sie, als der seidne Vorhang aufrauschte und eine fremde Gestalt ihr ins Auge fiel, schön wie eine Huldgöttin, der liebenswürdigste weibliche Engel, voll sanfter Unschuld; aber das Bild hatte von ihr selbst keinen Zug. Es ist schwerlich zu entscheiden, ob hier zwischen Frag und Antwort nicht ein Mißverstand obwaltete, die Gräfin nahm das Wort Weib vielleicht in engerm Sinn, und verlangte zu wissen, ob sie unter den Frauen ihrer Provinz, mit Ausschluß junger aufblühender Mädchen, noch den Preis der Schönheit behaupte; der Genius des Spiegels aber gab dem Wort eine größere Ausdehnung und verstand darunter die ganze Flora des Geschlechts. Dem sei wie ihm wolle, die schöne Witwe geriet über die unerwartete Antwort auf ihre Frage in große Wut, und es fehlte wenig, daß sie den indiskreten Spiegel solches hätt entgelten lassen, und das hätte man ihr verzeihen müssen: denn für eine Dame, die kein anderes Talent als Schönheit empfangen hat, gibt es keine größere Kränkung, als die, wenn ihr der Wahrheitsfreund auf der Toilette den unwiederbringlichen Verlust des ganzen Wertes ihrer Existenz verkündet.

Dame Richilde untröstlich über die gemachte Entdeckung, faßte gegen die unschuldige Schöne, die sich im Besitz ihres prätendierten Eigentums befand, einen tödlichen Haß, sie prägte das liebliche Madonnengesicht genau sich ins Gedächtnis, und forschte mit großem Fleiß nach der Inhaberin desselben. Diese Entdeckung kostete wenig Mühe, sie erfuhr gar bald daß der Beschreibung nach ihre eigene Stieftochter Bianca, von ihr der Balg zubenannt, den Preis der Schönheit ihr abgewonnen habe. Alsbald gab ihr der Satan ins Herz, diese edle Pflanze, die dem Garten Eden zum Schmuck würde gedienet haben, zu vernichten. Die Grausame berief in dieser Absicht den Hofarzt Sambul zu sich, gab ihm einen gezuckerten Granatapfel, zählt' ihm funfzig Goldstücken in die Hand und sprach: »Richte mir diesen Apfel so zu, daß die eine Hälfte davon ganz unschädlich sei, die andere aber von Gift beschwängert werde, daß, wer davon geneußt, in wenig Stunden sterbe.« Der Jud strich sich freudig den Bart und das Geld in seinen Säckel, und verhieß zu tun, wie ihm die arge Frau geboten hatte. Er nahm eine spitze Nadel, grub damit drei Löchlein in den Apfel, ließ darein fließen einen scharfen Liquor, und nachdem die Gräfin den Apfel in Empfang genommen, stieg sie auf ihr Roß und trabete in Begleitung weniger Hofdiener zu ihrer Tochter Bianca hin, auf das abgelegne Schloß, wo das Fräulein hauste. Unterweges schickte sie einen reutenden Boten voraus, der ansagen sollt, daß die Gräfin Richilde im Anzuge sei, das Fräulein heimzusuchen und mit ihr über des Papas Verlust zu weinen.

Diese Botschaft brachte das ganze Schloß in Aufruhr, die feiste Dueña watschelte im Haus umher Trepp auf Trepp nieder, setzte alle Kehrbesem in Bewegung, ließ eilends aufputzen, die Spinnweben zerstören, die Gastzimmer schmücken und die Küche bereiten, schalt und trieb die trägen Mägde zu Fleiß und Arbeit an, lärmte und kommandierte mit lauter Stimme, wie ein Kaperkapitän, der einen Kauffahrer in der Ferne wittert; das Fräulein aber schmückte sich bescheiden, kleidete sich in die Farbe der Unschuld, und wie sie die Rosse antrappeln hörte, flog sie ihrer Mutter entgegen, empfing sie ehrerbietig und mit offenen Armen. Die Gräfin fand das Fräulein beim ersten Anblick siebenmal schöner als die Kopei, welche sie im Spiegel erblickt hatte, und dabei so klug, so verständig und so sittsam. Das engte ihr das Herz ein; aber die Schlange verbarg das Nattergift tief in ihrem Busen, tat falschfreundlich gegen sie, klagte über den hartherzigen Papa, der ihr so lang er lebte den holden Anblick des Fräuleins geweigert hätte, und verhieß von nun an mit treuer Mutterliebe sie zu umfahen. Bald darauf bereiteten die Zwerglein die Tafel und trugen ein herrlich Mahl auf. Beim Dessert ließ die Hofmeisterin das köstlichste Obst aus dem Schloßgarten aufsetzen, Richilde kostete davon, fand es dennoch nicht schmackhaft genug und forderte von einem Diener ihren Granatapfel, womit sie, wie sie sagte, jede Mahlzeit zu beschließen pflegte. Der Diener reicht' ihr solchen auf einem silbernen Teller dar, sie zerlegt' ihn gar zierlich und bot der schönen Bianca gleichsam zum Zeichen ihres Wohlwollens die Hälfte davon. Sobald der Apfel verzehrt war, saß die Mutter mit ihrem Hofgesinde wieder auf und ritt von dannen. Bald nach ihrem Abzug ward dem Fräulein weh ums Herz, die rosenfarbenen Wangen erbleichten, alle Glieder ihres zarten Leibes erbebten, die Nerven zuckten und hüpften, ihre liebevollen Äuglein brachen und schlummerten in den endlosen Todesschlaf hinüber.

Ach, was erhob sich für Jammer und Herzeleid innerhalb der Mauren des Palastes über das Hinscheiden der schönen Bianca, die wie eine hundertblätteriche Rose von einer räuberischen Hand in der schönsten Blüte gepflücket wurde, weil sie die Zierde des Gartens war. Die wohlbeleibte Dueña regnete Tränenströme wie ein aufgedunsener Schwamm, der durch einen heftigen Druck alle eingesogne Feuchtigkeit auf einmal von sich gibt. Die kunstreichen Zwerge aber zimmerten einen Sarg von Föhrenholz mit silbernen Schildern und Handhaben, und machten, um des Anblicks ihrer holden Gebieterin nicht auf einmal beraubt zu sein, ein Glasfenster darein, die Dirnen fertigten ein Sterbekleid von dem feinsten Brabanter Linnen, kleideten die Leiche darin, setzten die Keuschheitskrone, einen frischen Myrtenkranz, auf ihr Haupt, und brachten mit Trauergepränge den Sarg in die Schloßkapelle, wo der Pater Meßner das Seelamt hielt, und das Glöcklein vom Morgen bis zur späten Mitternachtsstunde dumpfen Sterbeklang tönte.

Indessen langte Donna Richilde wohlgemut in ihrer Heimat an. Das erste was sie tat war, daß sie ihre Frage an den Spiegel wiederholte und behend den Vorhang aufflattern ließ. Mit inniger Freude und der Miene des Triumphs erblickte sie ihre eigne Gestalt zwar wieder; aber auf der metallenen Oberfläche hatten sich hie und da große Rostflecken angesetzt, wodurch die helle Politur derselben, wie durch Blatternarben ein jungfräuliches Gesicht, entstellt war. Was schadet's, dachte die Gräfin bei sich selber, immer besser, daß sie auf dem Spiegel haften als auf meiner Haut, er ist dennoch zu gebrauchen und vergewissert mich wieder meines Eigentums. In Gefahr, ein Gut zu verlieren, lernt man gemeiniglich den Wert desselben erst schätzen. Die schöne Richilde hatte oft Jahre vorübergehen lassen, ohne den Spiegel über ihre Schönheit zu quästionieren, jetzt ließ sie keinen Tag vorbei. Sie genoß verschiedenemal das Vergnügen, ihrer Gestalt ein Götzenopfer zu bringen, wie sich aber eines Tages zu eben dieser Absicht der Vorhang hob, Wunder über Wunder! da schwebte im Spiegel ihren Augen wieder die Gestalt der reizenden Bianca vor. –

Bei diesem Anblick wandelte die eifersüchtige Frau eine Ohnmacht an, aber sie zog eilends ihr Riechfläschgen hervor und durch Hülfe des Hirschhorngeistes ging das Übel bald vorüber, sie sammelte alle Kräfte, um zu erforschen, ob sie ein falscher Wahn getäuscht habe, doch der Augenschein belehrte sie eines andern.

Sogleich brütete sie über einer neuen Bosheit. Sambul der Hofarzt wurde vorbeschieden, zu dem sprach die Gräfin mit zornmütiger Gebärde: »O du schändlicher Betrüger, schelmischer Jud! verachtest du also mein Gebot, daß du meiner spotten darfst? Hieß ich dir nicht einen Granatapfel also zurichten, daß sein Genuß töte, und du hast Lebenskraft und Balsam der Gesundheit hineingelegt? Das sollen mir dein Judasbart und deine Ohren entgelten.« Sambul der Arzt entsetzte sich ob dieser Rede seiner erzürnten Gebieterin, antwortet' und sprach: »Au weih mir! Wie geschieht mir? Weiß nicht, gestrenge Frau, wie ich Eure Ungnad verwirkt hab. Was Ihr mir befohlen, hab ich fleißig ausgerichtet; hat die Kunst falliert, so ist die Ursach davon, was ich nicht weiß.« Die Dame schien sich etwas zu besänftigen und fuhr fort: »Diesmal sei dir dein Fehl verziehen, doch mit dem Beding, daß du mir eine wohlriechende Seife bereitest, die das unfehlbar leiste, was der Granatapfel verfehlt hat.« Der Arzt verhieß sein Bestes zu tun, sie zählt' ihm wieder funfzig Goldstücken in seinen Säckel und entließ ihn. Nach Verlauf einiger Tage brachte der Arzt der Gräfin die mörderische Komposition, flugs staffierte sie ihre Amme, ein abgefeimtes Weib, als eine Krämerin mit kurzer War heraus, gab ihr feinen Zwirn, Nähnadeln, wohlriechende Pomade, Riechfläschgen und marmorierte Seifenkugeln mit rotem und blauen Geäder, in ihren Kasten, und hieß sie damit zu ihrer Tochter Bianca wandern, um ihr die Giftkugel in die Hand zu spielen, verhieß ihr dafür große Belohnung. Das feile Weib zog hin zu dem Fräulein, welches keinen Betrug ahndete und sich durch die arglistige Schwätzerin bereden ließ, die Seife, welche die Schönheit der Haut bis ins höchste Alter konservieren sollt, einzuhandeln, und ohne Vorwissen ihrer Dueña einen Versuch damit zu machen. –

Die arge Stiefmutter konsultierte indes den verrosteten Spiegel fleißig, vermutete aus der Beschaffenheit desselben, daß ihr Anschlag müsse geglückt sein: denn die Rostflecken hatten sich wie Salpeterfraß in einer Nacht über die ganze Spiegelfläche ausgebreitet, daß sich auf ihr Befragen nur ein trüber Schatten auf der matten Oberfläche darstellete, welchem keine Gestalt mehr abzugewinnen war. Der Verlust des Spiegels ging ihr zwar zu Herzen, doch glaubte sie dadurch den Ruhm, die erste Schönheit im Lande zu sein, nicht zu teuer bezahlt zu haben.

Eine Zeitlang genoß das eitle Weib mit geheimer Zufriedenheit dieses eingebildete Vergnügen, bis ein fremder Ritter an ihren Hof kam, der in dem Schloß der Gräfin Bianca unterweges eingesprochen, und sie nicht in der Gruft, sondern an der Toilette gefunden, und von ihrer Schönheit gerührt, sie zur Dame seines Herzens erkoren hatte. Weil er nun die Gräfin von Brabant gern erlustieren und sich vor ihr auf dem Turnierplatz zeigen wollte, doch nicht vermeinte, daß die Mutter auf die Tochter eifersüchtig sei, warf er bei einem Freudenmahl, von Weindunst erhitzt, seinen eisernen Handschuh auf den Tisch und sprach: wer das Fräulein Bianca vom Löwen nicht für die schönste Dame in Brabant erkläre, solle den Handschuh an sich nehmen, zum Zeichen, daß er tages darauf zu Schimpf oder Ernst eine Lanze mit ihm brechen wolle. Über diese Unbesonnenheit des Gaskoniers skandalisierte sich der ganze Hof höchlich, man schalt ihn insgeheim Meister Duns und Ritter Großbrot. Richilde erbleichte über die Novelle, daß Fräulein Bianca nochmals aufgelebt sei; die Ausforderung war ihr ein Dolchstich ins Herz; doch zwang sie sich zu einem huldreichen Lächeln und genehmigte die Partie, hoffend, daß die Ritter ihres Hofs sich um den Handschuh reißen würden. Wie aber keiner hervortrat, den Kampf anzunehmen, denn der Fremdling hatte ein keckes Ansehen, war fast nervich und von starken Knochen, machte sie gar ein trübselig Gesicht, daß männiglich Verdruß und Herzeleid ihr abmerken konnte. Das erbarmt' ihren getreuen Stallmeister, daß der den eisernen Handschuh aufnahm. Aber wie der Kampf des folgenden Tages begann, behielt der Gaskonier nach einem wackern Rennen den Sieg, und empfing den Ritterdank von der Gräfin Richilde, die vor Unmut zu sterben gedachte.

Vorerst ließ sie ihren Zorn an dem Arzt Sambul aus, er ward in den Turm geworfen, in Ketten geschlossen, und ohne weitern Verhör ließ ihm die gestrenge Frau den ehrwürdigen Bart Haar bei Haar ausraufen, und reinweg beide Ohren abschneiden. Nachdem der erste Sturm vorüber war, und die Grausame bedachte, daß ihre Tochter Bianca dennoch über sie triumphieren werde, wofern es ihr nicht gelingen sollte, sie durch List hinzurichten, denn das väterliche Testament hatt ihr alle Gewalt über die Tochter geraubt, so schrieb sie einen Brief an das Fräulein, so zärtlich, und freute sich ihrer Genesung so mütterlich, als ob ihr das Herz jedes Wort in die Feder diktiert hätte. Diesen Brief gab sie ihrer Vertrauten der Amme, ihn dem eingekerkerten Arzt zu bringen, benebst einen Zeddel, darauf stunden geschrieben diese Worte: Schleuß in diesen Brief Tod und Verderben ein, für die Hand, die ihn öffnet. Hüte dich, zum drittenmal mich zu täuschen, so lieb Dir Dein Leben ist. Sambul der Jud simulierte lang, was er tun sollte, und klimperte nachdenklich an dem Geschmeide, als bet er sein jüdisch Paternoster an den Ketten ab. Endlich schien die Liebe zum Leben, obgleich in einem traurigen Kerker, mit einem Kopf ohne Ohren und einem Kinn ohne Bart, alle andre Betrachtungen zu überwiegen und er verhieß zu gehorchen. Die Gräfin schickte den Brief durch einen reutenden Boten ab, der bei seiner Ankunft viel Grimassen machte, als enthalte der Brief Wunderdinge, auch wollt er nicht sagen, von wannen er gekommen sei. Das Fräulein begierig den Inhalt zu erfahren, löste behend das Siegel, las einige Zeilen, fiel auf den Sofa zurück, schloß die lichtvollen blauen Augen und verschied. Seit der Zeit erfuhr die mörderische Stiefmutter nichts mehr von ihrer Tochter, und ob sie gleich oft Kundschafter ausschickte, so brachten ihr diese keine andere Botschaft als daß das Fräulein aus ihrem Totenschlummer nicht mehr erwacht sei.

Also war die schöne Bianca durch die Ränke des häßlichen Weibes dreimal gestorben und dreimal begraben. Nachdem die getreuen Hofzwerge sie zum erstenmal beigesetzt hatten und die Seelmessen angeordnet waren, hielten sie nebst den weinenden Dirnen bei der Gruft fleißig Wacht, und schaueten durch das Fensterlein oft in den Sarg, des Anblicks ihrer teuren Gebieterin noch so lange zu genießen, bis die Verwesung ihre Gestalt vernichten würde. Aber mit Verwunderung wurden sie gewahr, daß sich nach einigen Tagen die bleichen Wangen mit einer sanften Röte überzogen, auf den erblaßten Lippen fing an der Purpur des Lebens wieder zu glühen, bald darauf schlug das Fräulein die Augen auf. Als das die aufwartenden Diener wahrnahmen, hoben sie freudig den Deckel vom Sarge, die schöne Bianca richtete sich auf und wunderte sich baß, da sie sich in einer Totengruft und ihre Bedienung um sich her in tiefer Trauer erblickte. Eilends verließ sie den grausenvollen Ort und zitterte wie die Eurydice mit wankendem Knie aus dem Schattenreiche zum erquickenden Tageslicht herauf.

Der Arzt Sambul war im Grunde ein frommer Israelite, der an keiner Büberei Gefallen trug, außer wenn die Prädilektion für die edlem Metalle sein enges Gewissen zuweilen ins Weite dehnte. Bei dem Granatapfel, welchen die Gräfin ihm darreichte, fiel ihm der Unglücksapfel aus dem Paradies ein, auch der goldne Apfel aus den Garten der Hesperiden, welcher drei Göttinnen entzweite und Ursach war, daß eine herrliche Königsstadt verwüstet wurde, und er dachte alsbald bei sich selbst, es sei genug an dem Unfug, welchen zwei Äpfel bereits in der Welt gestiftet hätten, der dritte solle die Äpfelschuld nicht mehren. Anstatt des Giftes, den er darin verbergen sollte, tingiert' er die Hälfte davon mit einer narkotischen Essenz, welche die Sinnen betäubte ohne den Leib zu zerstören. Ebenso verfuhr er das zweitemal mit der Seifenkugel, nur daß er die Portion des Mohnsafts mehrte, daher das Fräulein nicht zu der Zeit wie vorher erwachte, und die Zwerglein wähnten, sie sei und bleibe tot, trugen sie also abermals zu Grabe und hüteten solches mit großem Fleiße, bis sie zur Freude ihres Hofgesindes dennoch wieder erwachte. Der Schutzengel des Fräuleins sahe die Gefahr, in welcher das Leben seiner Pflegebefohlenen schwebte, als die Todesfurcht den Arzt entschlossen machte, das Bubenstück der Vergiftung wirklich zu begehen. Darum schlüpft' er unsichtbar ins Gefängnis, und begann mit der Seele des Juden einen heftigen Streit, die er nach langem Kampfe überwältigte und dem Überwundnen den Entschluß abnötigte, seiner Gewissenhaftigkeit den Hals ebenso standhaft aufzuopfern, als vorhin den Bart und beide Ohren. Vermöge seiner chimischen Kenntnisse quintessentierte er seinen einschläfernden Liquor in ein flüchtiges Salz, welches von der freien Luft alsbald aufgelöset und eingesogen wurde, damit bestrich er den Brief an die schöne Bianca, und als sie solchen las, empfing ihre ganze Atmosphäre eine betäubende Eigenschaft, indem sie den verfeinerten Magsamengeist einatmete. Die Wirkung davon war so gewaltsam, daß die Erstarrung des Körpers länger dauerte als vorher, und die ungeduldige Dueña an dem Wiederaufleben ihrer jungen Herrschaft gänzlich verzweifelte, und ihr zum drittenmal die Exequien halten ließ.

Als das Hofgesinde eben mit dieser traurigen Feierlichkeit beschäftiget war und das Trauergeläut unablässig tönte, kam ein junger Pilger angeschritten, ging in die Kapelle, knieete sich hin vor den Altar in der Frühmetten und verrichtete seine Andacht. Er hieß Gottfried von Ardenne, war ein Sohn Teutebald des Wütrichs, den die heilige Kirche seiner bösen Taten halber ausgestoßen und mit dem Bann beleget hatte, darunter er gestorben war, weshalb er von den Flammen des Fegfeuers wohl gepeiniget ward. Weil's ihm nun in der Glut viel zu heiß war, bat er den Engelpförtner flehentlich, ihn ein wenig hinaus ins Freie zu lassen, frische Luft zu schöpfen, und den Seinen kund zu tun, welche Qual er leide. Diese Bitte ward ihm auf sein Ehrenwort, sich zu rechter Zeit und Stunde wieder einzustellen, leicht zugestanden; denn in den damaligen Zeiten war gar schlechte Polizei in der Unterwelt, die Seelen schweiften scharenweise in die Oberwelt herauf, gaben ihren hinterlassenen Freunden nächtliche Besuche, und hatten Freiheit, mit ihnen nach Belieben zu kosen. Heutzutage sind sie dagegen unter strenger Klausur, dürfen nicht mehr so frank und frei herumtosen und spuken gehn, die Lebenden molestieren und zu fürchten machen. Teutebald nützte die Zeit seiner Beurlaubung aufs fleißigste, erschien seiner tugendsamen Wittib drei Nächte hintereinander, weckte sie aus dem süßen Schlafe, indem er ihre Hand mit der Spitze seines glühenden Fingers berührte und sprach: »Liebes Weib, habt Erbarmen mit Eurem abgeschiedenen Gemahl, den die Qualen der Vorhölle peinigen, versöhnet mich mit der heiligen Kirche und erlöset meine arme Seele, auf daß Euch auch dereinst Barmherzigkeit widerfahre.« Die Wittib nahm diese Worte zu Herzen, redete davon mit ihrem Sohn, gab ihm Juwelen und Geschmeide, und der biedere Jüngling nahm einen Pilgerstab in seine Hand und wallfahrtete barfuß nach Rom zum Papst, und erhielt Ablaß für seinen Vater unter dem Beding, auf dem Heimwege in jeder Kirche, wo er vorüberzöge, eine Messe zu hören. Er nahm einen großen Umweg, um viel heilige Örter zu besuchen, und so kam er auch durch Brabant.

Wie der fromme Pilger seinem Gelübde Gnüge geleistet und seiner Gewohnheit nach in den Armenstock eine milde Gabe geopfert hatte, frug er den Bruder Küster, warum die Kapelle schwarz behangen sei, und was das Castrum doloris bedeute? Dieser erzählt' ihm der Länge nach alles, was sich zugetragen hatte mit der schönen Bianca, durch die boshaften Ränke ihrer Stiefmutter. Darüber verwunderte sich Gottfried gar höchlich und sprach: »Ist's vergönnt den Leichnam des Fräuleins zu schauen, so führet mich zur Gruft. So Gott will, mag ich sie wohl wieder ins Leben rufen, wenn anders ihre Seele noch in ihr ist. Ich trag eine Reliquie vom Heiligen Vater verehrt bei mir, das ist ein Splitter vom Stab Elisä des Propheten, die zerstöret die Zauberei und widerstehet auch allen sonstigen Eingriffen in die Gerechtsame der Natur.« Der Küster rief eilends die wachsamen Zwerge herbei, und da sie hörten die Worte des Pilgers, freueten sie sich sehr, führten ihn hinab in die Gruft, und Gottfried ward entzückt über den Anblick des schönen alabasternen Bildes, welches er durchs Glasfenster im Sarg erblickte. Der Deckel wurde abgehoben, er hieß das leidtragende Gesinde hinausgehen bis auf die Zwerglein, brachte seine Reliquie hervor und legte sie auf das Herz der Erstorbenen, nach wenig Augenblicken verschwand die Erstarrung und Geist und Leben kehrte in den erblaßten Körper zurück. –

Das Fräulein verwunderte sich über den holden Fremdling, den sie neben sich erblickte, und die hocherfreuten Zwerge hielten den Wundermann für einen Engel vom Himmel. Gottfried sagte der Erwachten an, wer er sei, und die Ursache seiner Wallfahrt, und sie berichtete ihm dagegen ihre Schicksale und die Verfolgungen der grausamen Stiefmutter. »Ihr werdet«, sprach Gottfried, »den Nachstellungen der Giftspinne nicht entgehen, wofern Ihr nicht meinem Rate folgt. Verweilt noch eine Zeitlang in dieser Gruft, damit es nicht ruchbar werde, daß Ihr lebet, ich will meine Wallfahrt vollenden und bald wiederkommen, Euch nach Ardenne zu meiner Mutter zu führen, und so ich's enden mag, an Eurer Mörderin Euch rächen.« Der Rat gefiel der schönen Bianca wohl, der edle Pilger verließ sie und sprach draußen zu dem herzudringenden Gesinde mit verstellten Worten: »Der Leichnam eurer Herrschaft wird nimmer wieder erwarmen, die Quelle des Lebens ist versiegt, hin ist hin und tot ist tot.« Die treuen Zwerge aber, die um die Wahrheit wußten, hielten reinen Mund, versorgten ihr Fräulein insgeheim mit Speise und Trank, hüteten übrigens des Grabes wie vorhin, und harreten auf die Wiederkehr des frommen Pilgers.

Gottfried sputete sich, nach Ardenne zu gelangen, umarmte seine zärtliche Mutter, und weil er müde war von der Reise, legt' er sich zeitig zur Ruhe und schlief mit dem Gedanken an Fräulein Bianca flugs und fröhlich ein. Da erschien ihm sein Vater im Traum mit heiterm Angesicht, sprach, er sei aus dem Fegfeuer erlöset, erteilte dem frommen Sohn den Segen und verhieß ihm Glück zu seinem Vorhaben. Am frühen Morgen rüstete Gottfried sich ritterlich, nahm seine Reisigen zu sich, beurlaubte sich von der Mutter und saß auf. Wie er seine Reise nun bald vollendet hatte und in der Mitternachtsstunde das Totenglöcklein im Schloß der schönen Bianca tönen hörte, saß er ab, zog sein Pilgerkleid über den Harnisch und verrichtete seine Andacht in der Kapelle. Die spekulierenden Zwerge hatten nicht sobald den knieenden Pilger am Altar wahrgenommen, so liefen sie hinab in die Gruft, ihrer Gebieterin die gute neue Mär zu verkünden. Sie warf ihr Sterbegewand von sich, und sobald die Metten vorbei war und Meßner und Küster aus der frostigen Kirche nach dem warmen Bett eilten, stieg das reizende Mädchen herauf aus der Totengruft mit fröhlichem Herzklopfen, wie am Tage der letzten Posaune die Seligen aus der dunkeln Grabeshöhle zum Leben hervorgehen werden. Da sich aber das tugendsame Fräulein in den Armen eines jungen Mannes sahe, der sie davonführen wollte, kam sie Grausen und Entsetzen an und sie sprach mit verschämten Angesicht: »Bedenket, was Ihr tut, junger Mann, fraget Euer Herz, ob es aufrichtig oder ein Schalk ist, täuscht Ihr das Vertrauen das ich zu Euch hege, so wisset, daß Euch die Rache des Himmels verfolgen wird.« Der Ritter antwortete bescheidentlich: »Die Heilige Jungfrau sei Zeuge der Lauterkeit meiner Gesinnung, und der Fluch des Himmels treffe mich, wenn ein sträflicher Gedanke in meiner Seele ist.« –

Drauf schwang sich das Fräulein getrost aufs Roß, und Gottfried geleitete sie sicher nach Ardenne zu seiner Mutter, welche sie mit innigster Zärtlichkeit empfing und mit solcher Sorgfalt pflegte, als war sie ihre leibliche Tochter. Bald entwickelten sich die sanften sympathetischen Gefühle der Liebe in dem Herzen des jungen Ritters und der schönen Bianca, die Wünsche der guten Mutter und des ganzen Hofes vereinbarten sich, das schöne Bündnis des edlen Paares durch das heilige Sakrament der Ehe je eher je lieber versiegelt zu sehen. Aber Gottfried gedachte, daß er seiner Braut Rache gelobet hätte; mitten unter den Zubereitungen zum Beilager verließ er seine Residenz und zog nach Brabant zur Gräfin Richilde, die noch immer mit ihrer zwoten Wahl beschäftiget war und weil sie den Spiegel nicht mehr ratfragen konnte, damit nie zustande kam.

Sobald Gottfried von Ardenne am Hof erschien, zog seine schöne Gestalt die Augen der Gräfin auf sich, daß sie ihm vor allen Edlen den Vorzug gab. Er nennte sich den Ritter vom Grabe, und das war das einzige, was Dame Richilde an ihm auszusetzen fand; sie wünschte ihm einen gefälligern Beinamen, denn das Leben hatte für sie noch so viele Reize daß ihr der Gedanke vom Grabe immer schauderhaft auffiel. Inzwischen erklärte sie sich den Beinamen des Ardenners vom Heiligen Grabe, meinte, er sei irgend nach Jerusalem gewallfahrtet und sei Ritter vom Heiligen Grabe, und so ließ sie es ohne weitere Nachforschung dabei bewenden. Nachdem sie mit ihrem Herzen über die aufkeimende Leidenschaft Rücksprache genommen hatte, fand sie, daß unter der gesamten Ritterschaft, die darinne aus- und einzog, Ritter Gottfried prädominiere, deshalb legte sie's darauf an, ihn durch die verführerischen Netze der Koketterie zu bestricken. Durch die Kunst wußte sie die Reize der Jugend wieder aufzufrischen, die abgeblüheten zu verbergen, oder mit dem kunstreichen Gewebe der feinsten Brabanter Spitzen zu bedecken. Sie unterließ dabei nicht, ihrem Endymion die anlockendsten Avancen zu machen, und ihn auf alle Art zu reizen, bald in dem prunkvollen Gewand, das ehemals Dame Juno an einem Galatage im hohen Olympus selbst nicht reicher tragen konnte; bald im verführerischen Negligé einer leichtgeschürzten Grazie; bald bei einem tête-à-tête im Lustgarten, am Springbrunnen, wo marmorne Najaden aus ihren Urnen einen Silberstrom ins Bassin rauschen ließen; bald bei einer traulichen Promenade Hand in Hand, wenn der freundliche Mond sein falbes Licht durch die dunkeln Bogengänge des ernsten Taxus goß; bald in der schattichen Laube, wenn ihre melodische Hand dem horchsamen Ritter die weichsten Akkorde ins Herz zu lautenieren gedachte.

Mit scheinbarem Enthusiasmus umfaßte Gottfried einsmals bei einer solchen empfindsamen Entrevue der Gräfin Knie und sprach: »Laßt ab, holde Grausame, durch Euren mächtigen Zauber mein Herz zu zerreißen und schlafende Wünsche aufzuwecken, die mir das Hirn verwirren, Lieb ohne Hoffnung ist bittrer denn der Tod.« Sanft lächelnd hob ihn Richilde mit ihren schwanenweißen Armen auf und gegenredete mit süßer Suada also: »Armer Hoffnungsloser, was macht Euch mutlos? Seid Ihr so ungelehrig, die Sympathien der Liebe, die aus meinem Herzen Euch entgegenwallen, zu empfinden, oder darauf zu achten? Wenn Euch die Sprache des Herzens unverständlich ist, so nehmt das Geständnis der Liebe von meinem Munde. Was hindert uns, das Schicksal unsers Lebens auf ewig zu vereinbaren?« »Ach«, seufzete Gottfried, indem er Richildens sammetweiche Hand an die Lippen drückte, »Eure Güte entzückt mich; aber Ihr kennet nicht das Gelübde, welches mich bindet, keine Gemahlin als von der Hand meiner Mutter zu empfahen und diese gute Mutter auch nicht zu verlassen, bis ich die letzte Kindespflicht erfüllet und ihr die Augen zugedrückt habe. Könntet Ihr Euch entschließen, teure Gebieterin meines Herzens, Euer Hoflager zu verlassen und mir nach Ardenne zu folgen, so wär mein Los das glücklichste auf Erden.« Die Gräfin bedachte sich nicht lange, sie willigte in alles, was ihr Inamorato begehrte. Der Vorschlag, Brabant zu verlassen, behagte ihr im Grunde eben nicht, noch weniger die Schwiegermutter, die ihr eine lästige Zulage zu sein schien; allein die Liebe überwindet alles.

Mit großer Behendigkeit wurde der Brautzug veranstaltet, das Personale des glänzenden Gefolges ernennt, darunter auch der Hofarzt Sambul paradierte, ob ihm gleich der Bart und beide Ohren mangelten. Die schlaue Richilde hatte ihn der Banden entlediget, auch ihm huldreich die Ehre der ehemaligen Favoritenschaft wieder angedeihen lassen, denn sie gedachte sich seiner zu bedienen, die Schwiegermutter gelegentlich aus der Welt zu schaffen, um mit ihrem Gemahl nach Brabant zurückzukehren. Die ehrwürdige Matrone empfing ihren Sohn und die vermeintliche Schnur mit hofmäßiger Etikette, schien die getroffene Wahl des Ritters vom Grabe höchlich zu billigen, und es wurde alles fördersamst in Bereitschaft gesetzt, das Beilager zu vollziehen. Der feierliche Tag erschien, und Dame Richilde, geschmückt wie die Königin der Fayen, trat in den Saal, wo sie zur Trau geführet werden sollte, und wünschte, daß die Stunden Flügel hätten. Indes kam ein Edelknabe herbei und raunte mit bedenklicher Miene dem Bräutigam etwas ins Ohr, Gottfried schlug mit scheinbarem Entsetzen die Hände zusammen und sprach mit lauter Stimme: »Unglücklicher Jüngling, wer wird an deinem Ehrentage den Brautreihen mit dir anheben, da eine mörderische Hand deine Geliebte gemordet hat?« Hierauf wendete er sich zur Gräfin und sprach: »Wisset, schöne Richilde, daß ich zwölf Jungfrauen ausgesteuret habe, die mit mir zum Traualtare gehen sollten, und die Schönste darunter ist aus Eifersucht von einer unnatürlichen Mutter gemordet, sprecht, welche Rache diese Schandtat verdiene?« Richilde, unwillig über einen Zufall, der ihre Wünsche aufzuhalten oder doch die Freude des Tages zu mindern schien, sprach mit Unwillen: »O der schaudervollen Tat! Die grausame Mutter verdiente an der Gemordeten Stelle den Brautreihen mit dem unglücklichen Jüngling in glühenden eisernen Pantoffeln anzuheben, das würde Balsam für die Wunde seines Herzens sein, denn die Rache ist süß wie die Liebe.« »Ihr urteilet recht«, erwiderte Gottfried, »Amen, es geschehe also!« Der ganze Hof applaudierte der Gräfin wegen des gerechten Urteils, und die Witzlinge vermaßen sich hoch und teuer, die Königin aus dem Reich Arabia, die zu Salomon gewallfahrtet war, Weisheit zu holen, hätt es nicht besser sprechen mögen.

In dem Augenblicke flogen die hohen Flügeltüren des Nebengemachs auf, wo der Traualtar zugerichtet war, darin stund der weibliche Engel, Fräulein Bianca, mit herrlichem Brautschmuck angetan, sie stützte sich auf eine der zwölf Jungfrauen, als sie die fürchterliche Stiefmutter erblickte und schlug scheu die Augen nieder. –

Richildens Blut erstarrete in den Adern, wie vom Blitz gerührt sank sie zu Boden, ihre Sinnen umnebelten sich und sie lag starr im Hinbrüten. Aber die Riechfläschgen der Höflinge und Damen gossen einen so kräftigen Platzregen von Lavendelgeist über sie, daß sich wider Willen ihre Lebensgeister ermunterten. Darauf hielt der Ritter vom Grabe einen Sermon an sie, davon ihr jedes Wort durch die Seele schnitt, und führte die schöne Bianca zum Altar, wo der Bischof in pontificalibus das edle Paar zusammengab, nebst den zwölf ausgesteuerten Jungfrauen mit ihren Geliebten.

Wie die geistliche Zeremonie geendiget war, ging der gesamte Brautzug in den Tanzsaal. Die künstlichen Zwerge hatten indessen mit großer Behendigkeit ein Paar Pantoffeln von blankem Stahl geschmiedet, stunden am Kamin, schüreten Feuer an und glüheten die Tanzschuhe hochpurpurrot. Da trat hervor Gunzelin, der knochenfeste gaskonische Ritter, und forderte die Giftnatter zum Tanz auf, den Brautreihen mit ihr zu beginnen, und ob sie sich gleich diese Ehre höchlich verbat, so half doch kein Bitten noch Sträuben. Er umfaßte sie mit seinen kräftigen Armen, die Zwerglein schuheten ihr die glühenden Pantoffeln an, und Gunzelin schliff mit ihr einen so raschen Schleifer längs dem Saal hinab, daß der Erdboden rauchte und ihre zarten wohlgebratenen Füße kein Hühnerauge mehr quälte, dazu waldhornierten die Musikanten so herzhaft, daß alles Gewinsel und Wehklagen in die rauschende Musik verschlungen ward. Nach unendlichen Wirbeln und Kreisen, drehete der flinke Ritter die erhitzte Tänzerin, welche noch nie ein Schleifer so heiß gemacht hatte, zum Saal hinaus, die Stiegen hinab in einen wohlverwahrten Turm, wo die büßende Sünderin Zeit und Muße hatte, Pönitenz zu tun. Sambul der Arzt aber kochte flugs eine köstliche Salbe, welche die Schmerzen linderte und die Brandblasen heilte.

Gottfried von Ardenne und Bianca lebten in einer paradiesischen Ehe und belohnten reichlich den Arzt Sambul, der wider Gewohnheit seiner Kollegen nicht tötete wo er's durfte. Auch ward ihm sein Biedersinn oben im Himmel zum Segen angeschrieben; sein Geschlecht blühet noch in späten Enkelssöhnen, einer seiner Nachkommen, der Jud Samuel Sambul, steht hocherhaben wie eine Zeder im Hause Israel, dienet Seiner mauritanischen Majestät, dem König in Marokko, als erster Minister und lebet, einige Bastonaden auf die Fußsohlen abgerechnet, in Glück und Ehre bis auf diesen Tag.


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