Johann Karl August Musäus
Volksmärchen der Deutschen
Johann Karl August Musäus

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Um ihren Triumph aufs höchste zu treiben, gab sie im Frauen-Zimmer eines Tages ein großes Mahl, und als bei Sang und Saitenspiel, die Heiterkeit des Gastgebotes aufs höchste gestiegen war, traten ihre Gespielinnen zu ihr und sprachen: »Liebe, gib dem Feste einen Namen, daß wir uns des frohen Tages dabei in der Zukunft erinnern.« Sie antwortete: »Euch kommt es zu, das Fest mit einem Namen zu krönen, so Ihr es würdig achtet, seiner in der Zukunft zu gedenken.« Als aber die frohen Scharen der Gäste in sie drangen, daß sie sich nicht entbrechen konnte, ihrem Verlangen zu willfahren, nennte sie es aus Übermut, Graf Ulrichs Kettenfeier.

In der Liebe ist der Zeitgeschmack so wenig perennierend, als in jedem andern Dinge. Im letzten Viertel unsers Jahrhunderts, war Graf Ulrich mit den Schwermutsgefühlen, mit dem stillen Gram und abgehärmten Wangen an seinem Platz gewesen, keine weichgeschaffne weibliche Seele hätte ihm widerstehen können, das Mitleid würde ihm zum Hebel gedient haben, eine Herzensangelegenheit damit in Gang zu bringen. Allein zu seiner Zeit, kam er mit dieser Empfindelei um viele Jahrhunderte zu früh, und endete damit nichts, als daß er sich den Spöttereien seiner Zeitgenossen preisgab. Der schlichte Menschenverstand sagte ihm so oft, daß er auf diesem Wege seinen Zweck nicht erreichen würde, daß er endlich dem guten Ratgeber Gehör gab, nicht mehr öffentlich den seufzenden Schäfer machte, wieder Leben und Tätigkeit gewann, und den Versuch machte, die unbezwingliche Schöne mit ihren eignen Waffen zu bekämpfen.

»Eitelkeit«, sprach er, »ist der anziehende und zurückstoßende Pol dieses Magneten; aus Eitelkeit begünstiget und verstößt die Stolze ihre Buhler, darum will ich diese Leidenschaft also nähren, daß sie laut im Herzen die Stimme erheben und für mich das Wort reden soll.« Er trat alsbald wieder in seine alte Laufbahn ein, machte wie vorher der spröden Prinzessin den Hof, kam allen ihren Wünschen zuvor, und bestürmte sie mit Opfern, die der weiblichen Eitelkeit zu schmeicheln pflegen. Ein reicher Augsburger, der aus Alexandria über Meer kam, bot der Kaiserin ein herrliches Kleinod zu Kauf an, das sie von sich wies, weil's ihr zu teuer war. Graf Ulrich handelte es an sich, verschrieb seine halbe Grafschaft dafür, und machte seiner Herzgebieterin ein Geschenk damit. Sie nahm das Juwel an, heftete damit, bei einer Hofgala, den Schleier auf die blonden Flechten ihres seidenen Haares, erregte bei allen Putzschwestern am Hofe Herzdrücken und Krämpfe, äugelte dem Ausspender freundlich zu, verwahrte darauf ihre Trophäe in dem Schmuckkästlein, und in wenig Tagen war der Graf und sein Kleinod vergessen. Er ließ sich gleichwohl nicht irre machen, fuhr fort, durch neue Geschenke die alten bei ihr wieder ins Andenken zu bringen, und alles aufzutreiben, ihren eitlen Sinn zu vergnügen. Dieser Aufwand nötigte ihn, die andre Hälfte seiner Grafschaft gleichfalls zu verpfänden, daß ihm davon nichts übrig blieb als Wappen und Titel, worauf kein Wuchrer etwas leihen wollte. Indessen fiel seine übermäßige Verschwendung täglich mehr in die Augen, weshalb die Kaiserin ihn selbst darüber zur Rede stellte, und ihn abmahnte, sein väterliches Erbgut nicht so unweislich zu vergeuden.

Da offenbarte ihr der Graf sein Anliegen und sprach: »Allergnädigste Frau, Euch ist meine Liebschaft unverborgen, Lukrezia die zarte Dirn hat mir das Herz gestohlen, daß ich ohne sie nicht leben mag. Aber wie sie's mit mir treibt, wie sie mich mit trüglicher Minne neckt, davon weiß Euer ganzer Hof zu sagen. Möchte mir wohl schier die Geduld darüber ausreißen, dennoch kann ich nicht von ihr ablassen. All mein Hab und Gut hab ich daran gesetzt, ihre Gunst zu erlangen; aber ihr Herz ist mir verschlossen, wie der Freudenhimmel einer abgeschiedenen Seele unter dem Kirchenbann, ob mir ihr Auge gleich oftmals Minneglück vorlügt. Darum begehr ich von Euch, daß Ihr, wo sie keine rechtliche Einrede hat, meine Hand zu verschmähen, sie mir zum ehelichen Gemahl beileget.« Die Kaiserin verhieß, die Werbung für ihn bei dem Fräulein zu übernehmen, und sie zu überreden, seine Liebestreue nicht länger auf die Probe zu stellen, sondern mit reiner Gegenliebe zu belohnen.

Ehe sie noch Zeit gewann, bei der stolzen Lukrezia sich für ihn zu verwenden, begehrte Graf Ruprecht mit dem Höcker bei ihr Gehör, und redete also: »Huldreichste Kaiserin, eine Jungfrau aus Eurem Gefolge, die keusche Lukrezia, hat meinen Augen gefallen, und mir ihr Herz zugewandt, darum komm ich, um Vergünstigung zu bitten, sie als meine Braut heimzuführen, und nach der Ordnung der christlichen Kirche mich mir ihr zu vermählen, so Ihr anders Gefallen traget, ihre Hand in die meinige zu legen, und die edle Jungfrau von Euch zu lassen.« – Ihr' Hoheit war begierig zu vernehmen, was der Graf für Ansprüche an ein Herz habe, das bereits eines andern Eigentum sei, und war sehr unwillig, da sie vernahm, daß ihre Favoritin mit zwei Edeln des Hofes, zu gleicher Zeit, ein Liebesverständnis unterhalten habe, welches zu damaliger Zeit ein verpönter Handel war, woraus nichts minder, als ein Zweikampf auf Leben und Tod zu befahren stund, denn in dergleichen Fällen pflegte kein Nebenbuhler dem andern, seine vermeinte Gerechtsame ohne Blutvergießen zu zedieren. Doch beruhigte sie sich einigermaßen, da beide Parteien sie zur Oberschiedsrichterin in der Sache erwählet hatten, und zu vermuten stund, daß sie ihrer Entscheidung sich mit pflichtschuldigstem Gehorsam unterwerfen würden.

Sie berief das Fräulein zu sich in ihr heimlich Gemach, und ließ sie mit harten Worten an: »Du Balg«, sprach sie, »welche Verwirrung stiftest du am Hofe, mit deiner frevelhaften Minne? Die Junker sind all wild auf dich, laufen mich mit Lamenten und Bitten an, dich von mir zur Ehe zu begehren, weil sie nicht wissen, wie sie mit dir dran sind. Du ziehst jeden stählernen Helm an dich, wie ein Magnet das Eisen, treibst dein leichtfertiges Spiel mit Ritter und Knappen, und verschmähest doch das Gelübde ihrer Huldigung. Ziemt es einer sittsamen Jungfrau, mit zwei Parten zu gleicher Zeit zu liebäugeln, und sie am Narrenseil zu führen? Ins Angesicht ihnen zu liebkosen, ihre Hoffnung zu ermuntern, und hinterm Rücken ihnen den Gecken zu stechen? – Das mag dir nicht ungenossen ausgehen. Einer von den beiden ehrsamen Gesellen soll dir zuteil werden, Graf Ulrich mit dem Bühel, oder Graf Ruprecht mit dem Höcker. Flugs wähle, bei Vermeidung meiner Ungnade.«

Lukrezia erbleichte, da ihre Frau, die Kaiserin, also ihre Liebeleien rügte, und ihr den Text so scharf las. Sie hatte nicht vermutet, daß diese kleinen Buschkleppereien der Liebe, vor der höchsten Instanz im Heiligen Römischen Reiche würden gerichtet werden. Darum tat sie der strengen Domina einen demütigen Fußfall, benetzte ihre Hand mit milden Zähren, und nachdem sie sich von ihrer Bestürzung erholet hatte, redete sie also: »Zürnet nicht, großmächtige Frau, wenn mein geringer Reiz Euren Hof verunruhiget; ich wasche meine Hände in Unschuld. Ist's nicht überall der Höflinge Art, daß sie den jungen Dirnen frei ins Auge sehen? Wie kann ich's ihnen wehren? Aber ich habe sie mit nichten zu Hoffnungen ermuntert, die ihnen den Besitz meines Herzens verhießen. Dieses ist noch mein freies Eigentum, damit nach meinem Willen zu schalten. Darum wollet Ihr Eure demütige Magd verschonen, ihr durch Zwang und Geheiß einen Gemahl aufzudringen, dem das Herz widerstehet.«

»Deine Worte sind in den Wind geredet«, antwortete die Kaiserin, »du sollst mich mit deiner Ausrede nicht eintreiben, daß ich andres Sinnes werde. Ich weiß wohl, daß du aus deinen Basiliskenaugen, der Liebe süßes Gift in das Herz der Grafen und Edeln meines Hofs ergossen hast, nun magst du die Minneschuld abbüßen, und selbst die Fesseln tragen, womit du die Buhlen gebunden hast: denn ich will mein Haupt nicht eher sanfte legen, bis ich dich habe unter die Haube gebracht.«

Als die gedemütigte Lukrezia den großen Ernst der Kaiserin sahe, wagte sie keinen Widerspruch weiter, um sie nicht noch mehr zum Zorne zu reizen, sondern sann auf eine List, um durch diese Falltür zu entrinnen. »Huldreiche Gebieterin«, sprach sie, »Euer Befehl ist für mich das eilfte Gebot, dem ich so gut Gehorsam schuldig bin, als den übrigen zehen. Ich ergebe mich in Euren Willen, nur erlasset mir die Wahl unter den beiden Ehewerbern. Sie sind mir beide wert, und ich mag keinen erzürnen. Darum vergönnet, daß ich ihnen eine Bedingung vorlege, unter welcher ich den, der solcher Gnüge leistet, zum ehelichen Gemahl anzunehmen mich nicht weigern will; wofern Ihr mir bei Kaiserwort und Ehre verheißet, daß ich meiner Zusage quitt und ledig sei, wenn sie nicht, durch deren Erfüllung, zum Ritterdank meine Hand verdienen wollen.«

Die Kaiserin war mit dieser scheinbaren Unterwürfigkeit der schlauen Lukrezia wohl zufrieden, und billigte den Vorschlag, durch eine Aufgabe die Liebhaber zu hetzen, ihre Standhaftigkeit zu prüfen, und dem Würdigsten als eine Siegesbeute sich zu ergeben. Sie gestund ihr, bei Kaiserwort und Ehren, die Bedingung zu und sprach: »Sage an, um welchen Preis der wackerste der beiden Sponsen dein Herz verdienen soll.« Das Fräulein erwiderte lächelnd: »Um keinen andern Preis, als um den, daß sie Bühel und Höcker ablegen, die sie zur Schau tragen. Mögen sie zusehen, wie sie sich der Bürden entledigen. Ich begehre mit keinem Ehewerber den Ring zu wechseln, der nicht sei gerad wie eine Kerze, und schlank wie eine Tanne. Euer Kaiserwort und Ehre sichern mich, daß weder Bühel noch Höcker die Braut heimführen werde, bis der Bräutigam des Tadels ledig ist.«

»O du arglistige Schlange!« sprach die zornmütige Fürstin, »hebe dich weg aus meinen Augen, du hast mein Kaiserwort mir trüglich abgelockt, doch darf ich's nicht zurücke nehmen, weil ich es geredet habe.« Sie wendete mit Unwillen ihr den Rücken zu, daß sie also überlistet war, und mußte der schlauen Lukrezia das Spiel gewonnen geben. Beiläufig wurde sie dadurch belehrt, daß ihr eben nicht die glücklichsten Talente verliehen waren, in Liebesangelegenheiten eine Unterhändlerin abzugeben, doch tröstete sie sich leicht damit, daß die Inhaberin eines Throns jene entbehren könnte. Sie ließ beiden Prätendenten den schlechten Erfolg ihrer guten Dienste wissend machen, und Graf Ulrich war über diese traurige Botschaft untröstlich. Insonderheit fand er es kränkend, daß die stolze Lukrezia solchen Mutwillen trieb, und ihm gleichsam sein Leibesgebrechen vorwarf, dessen er sich nicht mehr bewußt war, weil ihn niemand bei Hofe daran erinnert hatte. »Konnte die freche Dirne«, sprach er, »keinen glimpflichern Vorwand finden, mich ehrlich, wie den großen Haufen ihrer Anbeter zu verabschieden, nachdem sie mich rein ausgeplündert hat? Mußte sie gerade durch die Bedingung, die es mir unmöglich macht, den Besitz ihres Herzens zu erlangen, das meinige noch mit einem giftigen Natterstich verwunden? Hab ich es wohl um sie verdient, daß sie mich als einen Verworfenen mit den Füßen von sich stößt?«

Voll Scham und Verzweiflung verließ er das Hoflager, ohne Abschied zu nehmen, wie ein Ambassadeur, wenn ein naher Friedensbruch bevorstehet, und politische Klüglinge weissagten, aus dieser plötzlichen Verschwindung, der Übermütigen des Grafen strenge Rache. Sie aber kümmerte das wenig, sie saß wie eine lauersame Spinne, im Mittelpunkt ihres luftigen Gewebes, in stolzer Ruhe, und hoffte, daß bald wieder eine herumschwirrende Mücke an einem ihrer ausgespannten Fäden zucken, und ihr zur neuen Beute heimfallen würde. Graf Ruprecht mit dem Höcker hatte sich zum Sittenspiegel das Sprüchlein dienen lassen: Gebrannt Kind lernt das Feuer scheuen, er ging ihr aus dem Garne, ehe er seine Grafschaft in ihr Schmuckkästlein deponiert hatte, und sie ließ ihn davonflattern, ohne ihm die Schwingen auszuraufen. Eigennutz war nicht ihre Leidenschaft. Bei einem goldnen Eierschatze im Hinterhalte, und im blühenden Lenz des Lebens, wär er auch die seltsamste denkbare Verirrung des Geistes gewesen. Nicht der Besitz der Güter, sondern die Aufopferung des Grafen machte ihr Freude, daher konnte sie den bösen Leumund des Gerüchtes, und die Vorwürfe der Kaiserin nicht ertragen, die ihr täglich vorhielt, daß sie den Grafen zugrunde gerichtet habe. Darum faßte sie den Entschluß, des ungerechten Mammons sich auf eine Art zu entledigen, die der Eitelkeit dennoch schmeichelte, und ihren Ruf auf eine vorteilhafte Art ausbreitete. Sie stiftete ein adliches Jungfrauenkloster, auf dem Rammelsberg bei Goslar, und dotierte dieses so reichlich, als Madame Maintenon, mit König Ludwigs Spesen, das Fräuleinstift Sanct Cyr, ihr geistliches Elysium, in der religiösen Epoke ihres Lebens. Ein solches Denkmal der Andacht war damals vermögend, einer Laïs den Geruch der Heiligkeit zu erwerben. Die milde Stifterin wurde als ein Muster der Tugend und Frömmigkeit gepriesen, und alle Flecken und Narben ihres sittlichen Charakters waren dadurch vor den Augen der Welt verschwunden. Selbst die Kaiserin verzieh es, daß sie ihrem Günstling so übel mitgespielt hatte, da sie inne ward, zu welcher Absicht die fromme Räuberin den Gewinn ihrer Freibeuterei anwendete, und um den verarmten Grafen einigermaßen zu entschädigen, wirkte sie einen Panisbrief vom Kaiser für ihn aus, den sie ihm nachschicken wollte, sobald der Ort seines Aufenthalts ihr kund würde.

Indessen zog Graf Ulrich über Berg und Tal, hatte die trügliche Minne abgelobt und abgeschworen, und weil er im Zeitlichen kein Glück mehr zu machen vermutete, wandelte ihn ein plötzlicher Überdruß der Welt an, er schlug sich zur Partei der Malkontenten unter den Weltkindern, und wurde Sinnes, zum Heil seiner Seele, eine Wallfahrt zum Heiligen Grabe zu tun, und nach seiner Rückkehr, sich in ein Kloster zu verschließen. Ehe er aber die Grenze des deutschen Vaterlandes überschritt, hatte er noch einen schweren Strauß von Dämon Amor auszuhalten, der ihn wie einen Besessenen marterte, wenn er die alte Wohnung zu verlassen exorzisiert wird. Das Bild der stolzen Lukrezia drängte sich, bei aller Mühe es auszulöschen, seiner Phantasie von neuem unwiderstehlich auf, und folgte überall seinen Schritten, wie ein Plagegeist. Die Vernunft befahl dem Willen, die Undankbare zu hassen; aber der störrische Subaltern lehnte sich gegen seine Gebieterin auf, und versagte ihr den Gehorsam. Die Abwesenheit goß, bei jedem Schritte der weitern Entfernung, ein Tröpflein Öl ins Feuer der Liebe, daß diese nimmer verlöschte, die schöne Natter war des Ritters Gedankenspiel, auf dem Wege der traurigen Wanderschaft. Oft stund er in der Versuchung, zu den Fleischtöpfen Aegypti umzukehren, und nicht in dem Gelobten Lande, sondern in Goslar das Heil seiner Seelen zu suchen. Mit gefoltertem Herzen, das unter dem Kampfe zwischen Welt und Himmel erlag, setzte er seine Reise fort; aber wie ein Schiff, das mit konträrem Winde segelt.

In diesem qualenvollen Zustande, streifte er in den tirolischen Gebürgen herum, und hatte beinahe die welsche Grenze, unfern von Roveredo erreicht, als er sich in einem Walde verirrte, ohne eine Herberge anzutreffen, wo er übernachten konnte. Er band sein Pferd an einen Baum, und legte sich daneben ins Gras, denn er war sehr ermüdet; minder von den Beschwerlichkeiten der Reise, als von dem innern Seelenkampfe. Der Tröster in Beschwerden, der güldne Schlaf drückte ihm bald die Augen zu, und machte ihn auf einige Zeit seines Ungemachs vergessen. Da schüttelte ihn plötzlich eine kalte Hand, wie die Hand des Todes, und erweckte ihn aus seinem tiefen Schlummer. Als er erwachte, fiel ihm die Gestalt eines hagern alten Weibes ins Gesichte, die sich über ihn herbeugte, und ihm mit einer Handlaterne unter die Augen leuchtete. –

Bei diesem unerwarteten Anblick, überlief ihn die Haut mit einem kalten Schauer, er meinte, er sähe ein Gespenst. Doch verließ ihn seine Herzhaftigkeit nicht ganz, er raffte sich auf und sprach: »Weib, wer bist du, und warum unterfängst du dich, meine Ruhe zu stören?« Die Alte antwortete: »Ich bin die Kräuterfrau der Signora Dottorena aus Padua, die hier auf ihrer Meierei lebt, und mich ausgesandt hat, ihr Kräuter und Wurzeln zu suchen von großer Kraft und Wirkung, wofern sie in der Mitternachtstunde gegraben werden. Ich fand Euch auf meinem Wege, und hielt Euch für einen Erschlagenen, der unter die Mörder gefallen war. Darum rüttelt und schüttelt ich Euch baß, um zu sehen, ob noch Leben in Euch sei.« Durch diese Rede hatte sich der Graf, vom ersten Schrecken, wieder erholet und frug: »Ist die Wohnung deiner Gebieterin fern von hier?« Die Alte erwiderte: »Ihr Landhaus liegt dort allernächst im Grunde, ich komme eben davon her. So Ihr eine Nachtherberge von ihr begehret, wird sie Euch solche nicht versagen. Aber hütet Euch, das Gastrecht zu verletzen: sie hat eine liebreizende Tochter, die dem Mannsvolk nicht abhold ist, und mit funkelnden Augen den Fremdlingen ins Herz siehet. Die Mutter bewahret ihre Keuschheit, wie ein Heiligtum. Sofern sie bemerken würde, daß ein unbescheidener Gast der Signora Ughella zu tief in die Augen sähe, verzauberte sie ihn auf der Stelle; denn sie ist eine mächtige Frau, welcher die Kräfte der Natur, und die unsichtbaren Geister unter dem Himmel zu Gebote stehen.«

Der Reisige achtete wenig auf diese Rede, er trachtete nur nach einem guten, gastfreundlichen Bette, um der nötigen Ruhe zu pflegen, und ließ sich um das übrige unbekümmert. Er zäumte ungesäumt sein Pferd auf, und war bereit, der hagern Wegweiserin zu folgen. Sie geleitete ihn, durch Büsche und Gesträuche, in ein angenehmes Tal hinab, durch welches ein rascher Bergstrom brauste. Auf einem, mit hohen Ulmenbäumen bepflanzten Wege, gelangte der ermüdete Pilger, indem er sein Pferd am Zügel führte, an die Gartenwand des Landhauses, welches vom aufgehenden Monde beleuchtet, schon in der Entfernung einen reizenden Anblick gewährte. Die Alte öffnete eine Hintertür, durch welche der Ankömmling in einen wohlangelegten Lustgarten gelangte, in dem die plätschernden Gewässer der Springbrunnen die schwüle Abendluft erfrischten. Auf einer Terrasse des Gartens lustwandelten einige Damen, diese angenehme Kühlung, und den Anblick des freundlichen Mondes, in der wolkenfreien Sommernacht zu genüßen. Die Alte erkannte darunter die Signora Dottorena und introduzierte bei ihr den fremden Gast, –

welchen die Eigentümerin des Landhauses, da sie an seiner Rüstung sahe, daß er nicht gemeinen Standes war, mit Anständigkeit empfing. Sie führte ihn in ihre Wohnung ein, und ließ eine niedliche Abendmahlzeit nebst allerlei Erfrischungen auftragen.

Beim hellen Schimmer der Wachskerzen hatte der Graf Gelegenheit, seine Wirtin, nebst ihrer Hausgenossenschaft, während der Mahlzeit mit aller Bequemlichkeit zu betrachten. Sie war eine Frau von mittlerm Alter und edler Physiognomie. Aus ihren braunen Augen sahe Klugheit und Würde hervor, und ihr welscher Mund öffnete sich, mit Anmut und Wohllaut, zum Sprechen. Signora Ughella, ihre Tochter, war die reinste weibliche Form, welche die warme Phantasie des Künstlers hervorzubringen vermag. Zärtlichkeit war der Ausdruck ihrer ganzen Figur, und der schmelzende Blick ihrer Augen durchdrang unwiderstehlich, wie der elektrische Strahl aus den Wolken, jeden Panzer und Harnisch, der ein empfindsames Herz umschloß. Das Gefolge der beiden Damen bestund aus drei Jungfrauen, die den Nymphen der keuschen Diana, von Raphaels Pinsel, an Anmut glichen. Außer Sir John Bunkel, dem glücklichen Mädchenspäher, der hinter jeder schroffen Felsenwand, in Schlüften und Höhlen, ein Gynäceum von reizenden Dirnen entdeckte, ist es keinem Sterblichen so gut worden, als dem Grafen Ulrich von Klettenberg, von einem so angenehmen Abenteuer überrascht zu werden, als dieses war: da er so unverhofft, aus der nächtlichen Einsamkeit einer unbekannten Wildnis, an einen Lustort, den die Liebesgötter zum Aufenthalte schienen erkoren zu haben, sich versetzt sahe. Er glaubte wenig von Zauberei, und achtete nicht darauf; demungeachtet hatten Nacht und Einsamkeit, die Erscheinung der Alten und ihre Reden, einigen Eindruck auf ihn gemacht, daß ihm etwas Übernatürliches von dem ländlichen Palaste ahndete, in welchen er eingeführet wurde. Anfangs trat er mit Mißtrauen in die reizende Versammlung der Damen ein, die er daselbst vor sich fand; in der Folge war aber so wenig an der Signora Dottorena, als an ihren Gesellschafterinnen, etwas von magischer Zauberei abzumerken, daß er wegen dieses irrigen Verdachtes, den Bewohnerinnen der schönen Villa, im Herzen Abbitte und Ehrenerklärung tat, und ihnen keine andern Künste, als die Bezauberungen der Liebe, wozu sie insgesamt ungemeine Talente zu besitzen schienen, beimaß. Die freundliche Aufnahme, deren er genoß, erfüllte sein Gemüt mit Ehrfurcht und Achtung, gegen die liebreiche Wirtin und ihr reizendes Gefolge; doch Freund Amor, der in diesem Tempel zu präsidieren schien, hatte keine Macht über ihn, eine neue Schalkheit auszuüben. Er verglich im Geheim die jugendlichen Schönheiten, mit welchen er umgeben war, mit der Wohlgestalt der unüberwindlichen Lukrezia, und sein Herz entschied zu ihrem Vorteil.

Nach einer köstlichen Ruhe, die er genossen hatte, wollte er sich in aller Frühe wieder empfehlen und seine Reise weiter fortsetzen; aber die Frau vom Hause ersuchte ihn auf eine so verbindliche Art, zu bleiben, und Signora Ughella bat, mit einem so unwiderstehlichen Blick, ihrer Mutter diese Gefälligkeit nicht zu versagen, daß er Gehorsam leisten mußte. Es fehlte nicht an mancherlei Zeitkürzungen und abwechselnden Vergnügen, den Gast aufs angenehmste zu unterhalten: man tafelte, promenierte, scherzte und kosete auf eine Art, daß der feine Höfling dadurch Gelegenheit bekam, sich von dieser Seite aufs vorteilhafteste zu zeigen. Abends gaben die Damen eine musikalische Akademie, sie waren insgesamt der Tonkunst wohl erfahren, und die welschen Kehlen bezauberten das Ohr des deutschen Dilettanten. –

Zuweilen wurde, unter der Begleitung einer Spitzharfe und Querflöte, ein kleiner Ball eröffnet, und im Tanzen suchte Graf Ulrich seinen Meister. Seine Gesellschaft schien den Damen ebenso angenehm zu sein, als ihm die ihrige behagte, und wie das gesellschaftliche Vergnügen sich immer lieber mit einem kleinen Zirkel, als mit dem lästigen Geräusch zahlreicher Assembleen vereinbart; auch Vertraulichkeit das Band der Zunge dort leichter löst, und der traulichen Offenherzigkeit den Zugang gestattet: so gewannen die Gespräche zwischen Wirtin und Gast, da sie sich nicht über die Gemeinplätze der Wetterbeobachtungen, der Moden und politischen Angelegenheiten hinwälzten, täglich mehr Anziehendes und Zutrauliches.

An einem Morgen nach dem Frühstück, lustwandelte die Signora mit ihrem noch unbekannten Gaste im Garten, und führte ihn abseits in eine Laube. Sie hatte, seit der ersten Bekanntschaft mit dem Fremdling, eine geheime Schwermut an ihm bemerkt, welche der wonnige Aufenthalt in ihrem kleinen Tempe nicht hatte vermindern können. Signora war ein Frauenzimmer, so klug und verständig sie auch war, konnte sie doch das Attribut ihres Geschlechts, den Hang zur Neugierde, mit aller Weisheit nicht verleugnen; und so sehr, nach dem beglaubten Zeugnis ihrer Kräuterfrau, die unsichtbaren Geister unter dem Himmel ihr zu Gebote stehen mochten: so hatten sie, allem Vermuten nach, von dem fremden Gaste im Hause ihr nichts veroffenbaret. Sie wußte nicht, wer er war, von wannen er kam, und wo er hingedachte, und alles das wünschte sie gleichwohl zu wissen, ihre Neugier zu vergnügen. Also ersahe sie diese Gelegenheit ihn auszuforschen, und da er ihr Verlangen nur von ferne merkte, war er willig und bereit, solchem Gnüge zu leisten, und erzählte ihr, mit historischer Treue, seinen ganzen Lebenslauf, verschwieg ihr auch nicht den Liebeshandel mit der stolzen Lukrezia, und schüttete ihr sein ganzes Herz aus.

Diese Vertraulichkeit nahm sie sehr günstig auf, erwiderte solche mit ähnlicher Offenherzigkeit, und offenbarte ihm ihre Domestica gleichfalls. Er erfuhr dadurch, daß sie aus einem angesehenen adlichen Geschlecht aus Padua abstamme, als eine frühzeitige Waise von ihren Vormündern sei gezwungen worden, einen reichen Arzt von hohem Alter zu heuraten, der in natürlichen Geheimnissen große Erfahrung gehabt; aber über dem mißlungenen Prozeß sich zu verjüngen, welcher dem rätselhaften Grafen Cagliostro, der Sage nach, besser geglückt hat, und ihm zu einem nestorischen Alter von dreihundert Jahren soll verholfen haben, den Geist aufgegeben. Durch ihres Mannes Tod sei sie die Erbin eines beträchtlichen Vermögens, und des Nachlasses seiner Schriften worden. Weil ihr eine zweite Verbindung einzugehen nie gelüstet hätte, war sie in der Einsamkeit ihres Wittums darauf verfallen, die Schriften des Erblassers zu studieren, wodurch es ihr gelungen sei, verschiedene nicht gemeine Kenntnisse in den verborgenen Wirkungen der Natur zu erlangen. Zugleich habe sie die Arzneikunst getrieben, und dadurch sich einen solchen Ruhm erworben, daß die hohe Schule ihrer Vaterstadt den Doktorhut ihr aufgesetzt, und einen öffentlichen Lehrstuhl zugestanden habe. Die natürliche Magie sei inzwischen immer das Lieblingsfach ihrer Studien gewesen, weshalb sie das Volk für eine Zauberin halte. Den Sommer pflege sie, nebst ihrer Tochter und deren Gespielinnen, auf diesem angenehmen Meierhofe zuzubringen, welchen sie, um der Alpenkräuter willen in den Tirolischen Gebürgen, erkauft habe; im Winter halte sie sich zu Padua auf, und lehre daselbst die Geheimnisse der Natur. Ihr Haus sei dort, um der jungen Lecker willen, allen Mannspersonen verschlossen, ausgenommen der Hörsaal, der den Zöglingen des Hippokrates offen stehe. Auf dem Lande sei ihr dagegen jeder Gast willkommen, der die Ruhe des Hauses nicht störe.

Die Signora lenkte hierauf wieder auf die unglückliche Liebe des Grafen ein, und schien gutmütig an seinen Schicksalen teilzunehmen; insonderheit konnte sie ihm ihre Verwunderung nicht bergen, daß er der Undankbaren noch mit so fester Anhänglichkeit ergeben sei. »Edler Graf«, sprach sie, »Euch stehet schwerlich zu helfen, da Ihr lieber der Liebe Schmerzen dulden, als die Süßigkeit der Rache schmecken wollt, die der Verschmäheten Labsal ist. Wenn Ihr die Grausame hassen könntet, so war es leicht, Euch ein Mittel anzuzeigen, wie Ihr sie zu Schande und Spott machen, und ihr zwiefach alles Unrecht, das sie Euch bewiesen hat, vergelten könntet. Ich weiß ein Limonadenpulver zu bereiten, das die Eigenschaft hat, heiße Liebesglut in dem Herzen derjenigen Person gegen die anzufachen, von welcher der Liebesbecher dargereicht wird. Wenn Eure Spröde nur mit den Lippen von dem Zaubertranke kostete, würde alsbald ihr Herz gegen Euch entbrennen; wenn Ihr nun sie ebenso verächtlich von Euch stießet, wie sie Euch getan hat, Euer Ohr für ihre Liebkosungen verschlösset, und ihrer Seufzer und Tränen spottetet: so wäret Ihr vor den Augen des deutschen Kaiserhofes und aller Welt an ihr gerochen. Wofern Ihr aber den raschen Minnetrieb nicht bezähmet hättet, und die ungestüme Flamme den brennbaren Zunder wieder entzündete, daß Ihr die Unbesonnenheit beginget, das untrennbare Bündnis mit der Sirene einzugehen: so würdet Ihr eine Furie zum Weibe bekommen, die Euer Herz mit der Schlangengeißel ihrer Wut zerfleischte: denn wenn die Kraft des Pulvers verdünstet ist, bleibet Haß und Groll in der toten Kohle der ausgebrannten Leidenschaft zurück. Wahre Liebe, die durch süße Einigung zwei gleichgestimmte Seelen ineinander schmelzt, bedarf keines Limonadenpulvers, die Gefühle der Zärtlichkeit zu erwärmen. Darum, wo Ihr wahrnehmet, daß die feurigste Liebe oft die kältesten Ehegatten macht, möget Ihr gedenken, daß nicht die Sympathie, sondern das Limonadenpulver die Liebenden zusammengepaaret hat; es findet guten Vertrieb in Eurem Vaterlande, und gehet stark über die Alpen.«

Graf Ulrich bedachte sich ein wenig und antwortete darauf: »Die Rache ist süß; aber süßer noch die Liebe, welche mich an die Unerbittliche fesselt. Ich empfinde das Beleidigende ihres Übermutes tief in meiner Seele, dennoch kann ich sie nicht hassen. Ich will sie fliehen, wie eine Schlange, die mich verwundet hat; aber diesen Mutwillen nicht rächen, sondern ihr verzeihen, und ihr Bild, dieweil ich lebe, in meinem Herzen tragen.« Die welsche Dame machte die Bemerkung, daß die Empfindlichkeit ihres Volkes sich anders arte als die deutsche, und daß eine Beleidigung von der Art, nach ihres Landes Brauch und Sitte, unverzeihlich sei. Doch billigte sie des Grafen gutmütige Denkungsart, und riet ihm, mit einem so liebevollen Herzen, lieber über das tirolische Gebürge zu den Füßen seiner Herzensgebieterin wieder zurückzueilen, und ihre Mißhandlungen zu erdulden, als das Vorhaben auszuführen, eine in seiner Lage unfruchtbare Wallfahrt zum Heiligen Grabe zu tun. So gegründet er indessen diesen guten Rat fand, so wenig bezeigte er Lust, von dem einmal gefaßten Entschlusse abzustehen, worüber die kluge Frau ohne weitere Einrede lächelte.

Nach einigen Tagen kam er, sich bei der freundlichen Wirtin und ihrer schönen Gesellschafterin zu beurlauben, und sie vergönnte ihm jetzt den Abzug nach seinem Gefallen. Am Vorabend des zur Reise anberaumten Tages, waren die Damen alle sehr heiter, selbst die Signora, welche ihre Würde und Ernsthaftigkeit nicht leicht ablegte. Diesmal bezeigte sie gleichwohl ein Verlangen, mit ihrem Gaste zum Valet noch eine Sarabande zu tanzen. Der Graf hielt sich dadurch sehr geehrt, und tat sein Bestes, sich als ein guter Tänzer zu signalisieren, welches der Dame so wohl zu gefallen schien, daß sie die Touren des Tanzes mehrmals wiederholte, bis beide Parten ermüdet waren, und dem Grafen der Schweiß auf der Stirne stund. Als der Tanz geendiget war, führte ihn die flinke Tänzerin, unter dem Schein sich ein wenig zu verkühlen, in ein Kabinett besonders, und nachdem sie die Tür zugetan hatte, nestelte sie ihm, ohne ein Wort zu sagen, das Wammes auf, welches den Grafen von der ehrbaren Frau Wunder nahm; doch ließ er es geschehen, weil er in dem Augenblick nicht wußte, wie er sich in diesem Falle, der ihm noch bei keinem Frauenzimmer vorgekommen war, verhalten sollte. Dieser Verlegenheit machte sich die Signora Dottorena zu Nutzen, touschierte mit gewandter Hand die Schulter des Grafen, rückte und drehete daran hin und her, –

und zog bald darauf etwas aus dem Wammes hervor, das sie flugs in die Schublade einer Truhe verbarg, die sie sogleich verschloß. Die ganze Operation war in wenig Sekunden getan, worauf die Tochter des Aeskulap den duldsamen Patienten vor den Spiegel führte und sprach: »Sehet da, edler Graf! die Bedingung, unter welcher die spröde Lukrezia Euch den Besitz ihres Herzens zugesichert hat, ist erfüllt. Meine Hand hat dem kleinen Makel Eurer körperlichen Vollkommenheit abgeholfen: Ihr seid jetzt so schlank wie eine Tanne, und so gerade wie eine Kerze. Laßt Eure Traurigkeit nun schwinden, und ziehet getrosten Mutes nach Goslar: denn der Eigensinn des Fräuleins hat keinen Vorwand mehr, Euch zu täuschen.«

Graf Ulrich staunte seine eigne Gestalt lange schweigend im Spiegel an, das Übermaß der Verwunderung und Freude machte ihn jetzt so stumm, wie vorhin die Verlegenheit. Er ließ sich auf ein Knie nieder, faßte die wohltätige Hand, welche die Anomalie seines körperlichen Ebenmaßes so glücklich weggenommen hatte, und fand endlich Worte, die innigste Dankbegierde seiner Wohltäterin kund zu machen. Sie führte ihn wieder in den Saal zur Gesellschaft zurück: Signora Ughella und ihre drei Gespielinnen klatschten vor Freuden in die Hände, da sie den herrlichen jungen Mann erblickten, der nun ganz ohne Tadel war.

Vor Ungeduld, seine Rückreise anzutreten, konnte er die Nacht kein Auge schließen. Es gab für ihn kein Heiliges Land mehr: seine Sinnen und Gedanken waren nur auf Goslar gerichtet. Er erwartete den Anbruch der Morgenröte mit sehnlichem Verlangen, verabschiedete sich von der Signora Dottorena und ihren Gesellschafterinnen. Eilig beflügelte er die Füße des Rosses, durch den Stachel seiner ritterlichen Sporen, und trabte voll schmeichelhafter Hoffnung immer den Weg nach Goslar zurück. Die Sehnsucht, mit der schönen Lukrezia wieder einerlei Luft zu atmen, unter einem Dache zu hausen, in einem Gemach zu tafeln, und den Schatten eines Baumes mit ihr zu teilen, ließ ihm nicht Zeit, an den lehrreichen Wahlspruch des Kaiser Augusts zu gedenken: Eile, mit Weile! Als er bei Brixen die Bergstraße herabritt, gleitete sein Rosinant aus, und er tat einen schweren Fall, daß er den Arm an einem Stein zerschellete. Dieser Aufenthalt auf der Reise bekümmerte ihn sehr: er fürchtete, Lukrezia möchte in seiner Abwesenheit ihr Herz versagt haben, von einem glücklichen Eroberer sich zum Altare fortreißen lassen, und solchergestalt es ihm unmöglich machen, sie beim Worte zu halten. Um sich auf allen Fall sicher zu stellen, schrieb er einen Brief an seine große Gönnerin, die Kaiserin, worinnen er ihr avthentischen Bericht von seinem Abenteuer, und auch von dem erlittenen Unfall erteilte, nebst angefügter demütiger Bitte, nichts davon bis zu seiner Ankunft laut werden zu lassen, und schickte damit einen reitenden Boten eilends nach Hofe.

Ihr' Hoheit war aber das Talent der Verschwiegenheit nicht verliehen: ein Geheimnis drückte sie auf dem Herzen, wie ein enger Schuh auf dem Leichdorn. Daher machte sie die empfangene Depesche beim nächsten Courtage der sämtlichen Antischamber kund, und da der erste Kämmerling und Hofschmeichler, aus Liebedienerei gegen die schöne Lukrezia, einen untertänigen Zweifel in die Sache setzte, kommunizierte sie ihm die species facti ad statum legendi im Original, um sich von der Wahrheit zu überzeugen. Dadurch fiel die Relation auch in Graf Ruprechts Hände, der alsbald mit sich zu Rate ging, ob es nicht tunlich sei, auf gleiche Weise der Bedingung des Fräuleins Gnüge zu leisten, und dabei seinem Rival noch obendrein den Rang abzulaufen. Er berechnete die Zeit, welche mutmaßlich bis zur Wiederherstellung des zerschellten Armes seines Mitkompetenten erforderlich sein dürfte, und fand, daß er den Weg von Goslar nach Roveredo, um der Signora Dottorena einen fliegenden Besuch zu machen, und von ihr das beneficium restitutionis in integrum gleichmäßig zu erhalten, – Aufenthalt und Rückweg mit eingerechnet, – eher beendigen könne, wenn er sich nur etwas spute, als die Wundärzte in Brixen ihren Patienten entlassen würden.

Gedacht, getan! Er ließ seinen Wettrenner satteln, saß auf und machte den Ritt mit der Eilfertigkeit eines Zugvogels, der im Herbste in einem andern Weltteile ein wärmeres Klima sucht. Es kostete wenig Mühe, den Aufenthalt der Dame, die er suchte, zu erfragen: sie war allenthalben im Lande wohlbekannt. In Ermangelung der Kräuterfrau, introduzierte er sich selbst, unter dem Inkognito eines irrenden Ritters, und genoß eben die freundliche Aufnahme seines Vorgängers. Der sittsamen Hauspatrona mißfielen indessen gar bald des neuen Gastes freie Manieren, die vornehme Frechheit, die ihm aus den Augen sahe, und sein zuverlässiger entscheidender Ton; ob sie sich's gleich nicht austat, und seiner höfischen Insolenz mit vieler Schonung begegnete.

Es war schon einigemal des Abends kleiner Ball nach der musikalischen Akademie gegeben worden, und Graf Ruprecht hatte immer gehofft, daß ihn die Signora auffordern würde; allein sie schien keinen Geschmack mehr am Tanzen zu finden, und gab eine bloße Zuschauerin dabei ab. Ungeachtet er keine Mühe sparte, ihre Gunst zu gewinnen, und die artigsten Schmeicheleien, nach seiner Weise, ihr vorsagte: so wurden sie doch ihrerseits nur mit kalter Höflichkeit erwidert. Dagegen schien sein Glücksstern bei Fräulein Ughella aufgegangen zu sein, ihr Blick munterte ihn auf, dem Berufe zu folgen, welchen er als ein Hofjunker zu haben vermeinte, auf jeden Schleier, der ein Paar schmachtende Augen verbarg, Jagd zu machen wie ein Seekaper auf jedes Segel, das in seinem Gesichtkreise wehet. Obgleich seine Figur nicht eben sehr anziehend war, so war er doch die einzige Mannsperson in der Gesellschaft auf dem Landhause, und aus Vorliebe für das andere Geschlecht, nahm es Donna Ughella, wenn sie keine Vergleichung unter mehrern anstellen konnte, eben nicht so genau mit der Körperform: ihr Herz mußte beschäftiget sein, wenn sie nicht vor Langerweile sterben sollte. Graf Ruprecht konnte ihren Reizen nicht widerstehen, und da er einer von den leichtsinnigen Kundleuten war, die ein Quintlein gegenwärtigen Genuß, gern für einen Zentner zukünftige Hoffnung eintauschen : so vergaß er der spröden Lukrezia, und erklärte einsweilen die reizende Ughella für die Dame seines Herzens,

Die scharfsichtige Patrona entdeckte bald, daß ein Clodius, in ihrer Villa, das Heiligtum der Vesta verwirre; sie empfand dieses sehr hoch, beschloß dem Spiel ein Ende zu machen, und die Verletzung der Gerechtsame ihres Hauses zu ahnden. Eines Abends proponierte sie einen Ball, und forderte unverhofft den Paladin des Fräuleins zum Tanz auf. Dieser Ehre hatte er sich beinahe verziehen, desto größer war die Freude, die er empfand, daß die Zeit der vermutbaren Entbindung von seiner bisherigen Leibesbürde ihm so überraschend kam. Er machte alle die Meisterschritte in der Tanzkunst, die der eigensinnige Vestris der schönen Liljenkönigin zu versagen sich erdreustete, und für diese Künstlerlaune eine wohlverdiente Bastonade nicht empfing, deren er so würdig war.

Nach geendigter Sarabande, winkte Signora ihrem Tänzer, ebenso wie vormals dessen Vorgänger, in das an den Salon stoßende Kabinett ihr zu folgen, und voll der freudigsten Ahndung, folgte ihren Schritten Graf Ruprecht mit dem Höcker. Sie nestelte ihm, wie gewöhnlich, das Koller auf, welche etwas mißständige Handlung für eine ehrbare Frau, ihn so wenig in Verlegenheit setzte, daß er ihrer geschäftigen Hand vielmehr zur Hülfe kam. Flugs öffnete die Dottorena ihre Truhe, und zog aus einer Schublade eine Substanz hervor, die einem korpulenten Eierkuchen ähnliche sahe, schob ihm diese rasch in den Busen, und sprach: »Unbescheidener, nimm dies zur Ahndung des verletzten Gastrechts, winde dich in ein Knauel, und runde dich wie ein Plauel!« Indem sie dieses sagte, öffnete sie ein Riechfläschgen, und sprengte ihm eine narkotische Essenz ins Gesicht, davon er betäubt zurück auf einen Sofa sank. Als er wieder zu einiger Besinnung kam, fand er sich von ägyptischer Finsternis umgeben, die Wachskerzen waren erloschen, und alles um ihn her war leer und öde. Bald aber regte sich was an der Tür, der Flügel tat sich auf, da trat ein hagres altes Weib herein, mit einer brennenden Laterne, und leuchtete ihm unter die Augen, welche er alsbald, nach der Beschreibung aus Graf Ulrichs Depesche, für die Kräuterfrau der Signora Dottorena erkannte. Da er sich vom Sofa erhob, und inne ward, mit welchem ansehnlichen Zuwachs von Korpulenz er begabt war, geriet er in Wut und Verzweiflung, er faßte die hagre Matrone beim Leibe und sprach: »Alte Unholdin, sag an, wo ist deine Frau, die schändliche Zauberin? daß ich mit dem Schwerte die an mir erwiesne Bosheit räche, oder ich erwürge dich hier auf der Stelle.«

»Lieber Herr«, antwortete die Alte, »erzürnet Euch nicht über eine geringe Magd, die keinen Teil hat an der von ihrer Frau an Euch verübten Schmach. Die Signora ist nicht mehr hier, sondern nebst ihrem Gefolge, sobald sie aus dem Kabinett kam, davongezogen. Unterfahet Euch nicht, sie aufzusuchen, daß Euch nicht noch etwas Ärgeres widerfahre; wiewohl Ihr sie auch schwerlich finden würdet. Ertraget mit Geduld, was nicht zu ändern stehet. Die Signora ist eine mitleidige Frau, wenn sie ihren Unwillen gegen Euch vergessen hat, und Ihr nach Verlauf von drei Jahren wieder hier einsprecht, und Euch vor ihr demütiget, kann sie alles, was sie krumm gemacht hat, wieder so schlicht und gleich machen, daß Ihr würdet durch einen Fingerreif schlüpfen können.« Der wohlbepackte Lastträger gab, nachdem seine Galle ausgetobt hatte, diesem Vorschlag Gehör, ließ sich bei frühem Morgen von dem Meier und seinen Knechten in den Sattel heben, und ritt nach seiner Heimat, woselbst er im Verborgnen blieb, bis der Termin würde abgelaufen sein, welchen ihm die botanische Matrone zur Wiederaussöhnung mit ihrer Signora gesetzt hatte.

Graf Ulrich war indes genesen, und zog triumphierend in Goslar ein; denn er trug keinen Zweifel, daß seine große Gönnerin bei der stolzen Lukrezia seine Rechte aufs beste werde gewahret haben. Als er nach Hof ritt, der Kaiserin aufzuwarten, war ein solcher Zulauf des Volks, die wunderbare Veränderung, die sich dem Gerüchte nach an dem Grafen Ulrich mit dem Bühel sollte begeben haben, in Augenschein zu nehmen, daß eine schwarze Abgesandtschaft des Königs von Habyssinien, die Neugierde der löblichen Bürgerschaft nicht mehr hätte reizen können. Die Kaiserin empfing ihn mit allen Merkmalen ihrer Huld, –

und führte ihm das Fräulein, wie eine Braut geschmückt entgegen, um sie aus ihrer Hand als einen Ritterdank, daß er der mißlichsten Bedingung Gnüge geleistet, zu empfangen. Ihr Mund willigte in die Verbindung mit dem Grafen ein, und im Taumel des ersten Entzückens untersuchte er nicht, ob dieses Geständnis auch mit den Gesinnungen des Herzens übereinstimme. Noch weniger hatte er daran gedacht, wovon er seiner zukünftigen Gemahlin standesmäßigen Unterhalt verschaffen würde, da seine Grafschaft verpfändet war; oder welches Wittum er ihr in dem Ehekontrakt anweisen könnte. Er befand sich in keiner geringen Verlegenheit, als die Kaiserin, die sich dieser Freierei eifrigst unterzog, ihn befragte, welche Gegensteuer er dem Fräulein für den Brautschatz verschreiben wolle, womit sie dieselbe auszusteuren gedächte; und er gestund, daß er kein Eigentum weiter besitze, als sein Ritterschwert, welches er gegen die Feinde des Kaisers also zu gebrauchen gedenke, daß es ihm Ruhm und Belohnung erwerben werde. Das Fräulein wurde befragt, ob sie an dieser idealischen Gegensteuer ihr wolle gnügen lassen, und der Graf befürchtete schon, daß sie einen neuen Vorwand dadurch suchen würde, der Verbindung zu entschlüpfen. Aber seit der Wiederkehr des Grafen schienen sich ihre Gesinnungen gegen den getreuen Amadis merklich geändert zu haben, sie nahm das Wort und sprach:

»Ich bin nicht in Abrede, edler Graf, einer schweren Liebesprobe Euch unterworfen zu haben. Dieweil Ihr Euch nun dadurch nicht von Eurer Liebe abwendig machen lassen, sondern selbst das Unmögliche möglich zu machen versucht habt: so ist es billig, daß ich mich in Eure Hand ergebe, ohne Eure Hoffnung länger aufzuhalten. Ich begehre kein andres Heuratsgut Euch zuzubringen, als mein Herz, und das bißchen Armut von dem Nachlaß meiner Mutter, wenn sie dereinst die Welt gesegnen wird: dagegen verlange ich auch keine Gegensteuer oder Leibgeding als das Eure, welches Ihr mir bereits zugesaget habt.« Die Kaiserin und all ihr Hofgesinde verwunderten sich höchlich über diese edle Gesinnung des Fräuleins, und Graf Ulrich wurde dadurch innigst gerührt. Er erfaßte ihre Hand, drückte sie kräftig an seinen Busen und sprach: »Habt Dank, edles Fräulein, daß Ihr meine Hand jetzt nicht verschmähet: ich will ehrlich dran sein, Euch als mein Ehgemahl zu nähren, wie es einen Ritter ziemet, durch diese Faust und mein gutes Schwert.«

Hierauf ließ die Kaiserin den Bischof rufen, das liebende Paar einzusegnen, und auf ihre Kosten wurde das Beilager bei Hofe mit großem Pomp vollzogen. Nachdem das hochzeitliche Geräusch vorüber war, die Heurat bei Hofe und in der Stadt lange gnug bekrittelt und beschwatzt, der neuen Ehe auch, nach Maßgabe der mancherlei Gesinnungen des teilnehmenden Publikums, die Nativität gestellt war, und nun niemand mehr von den Neuvermählten Notiz nahm: gedachte Graf Ulrich an sein Versprechen, und rüstete sich, ins Heer zu ziehen, seiner Gemahlin ein Erbgut zu erwerben. Sie wollte ihn aber nicht entlassen und sprach: »Im Spieljahr der Ehe kommt es Euch zu, meinem Willen nachzuleben, hernach möget Ihr das Haus regieren und tun, was Euch gefällt. Jetzt begehr ich, daß Ihr mich gen Bamberg zu meiner Mutter geleitet, daß ich sie heimsuche, und daß Ihr Eure Schwieger als Eidam grüßet.« Er antwortete: »Ihr habt wohl geredet, traute Gemahlin, Euer Wille geschehe.«

Drauf machte sich das edle Paar auf, und zog gen Bamberg, und in dem mütterlichen Hause war große Freude und viel Jubilierens, bei der Ankunft der geliebten Gäste. Das einzige, was den Grafen daselbst nicht behagte, war, daß alle Morgen in der Nähe seines Schlafgemachs ein Huhn gackerte, das ihn aus dem Schlafe störte, der in den Armen seiner zarten Gemahlin ihm so süße war. Er konnte sich nicht enthalten, seinen Verdruß darüber ihr zu eröffnen, und schwur dem Huhn den Hals umzudrehen, wenn er es in seine Gewalt bekäm. Lukrezia antwortete ihm lächelnd: »Mit nichten sollt Ihr das Hühnlein abwürgen, das jeden Tag ein frisches Ei legt, und dem Hause guten Gewinn bringt.« Der Graf verwunderte sich, wie eine verschwenderische Hofdame so plötzlich in eine wirtschaftliche Hausfrau sich habe umwandeln können, und erwiderte auf diese Rede: »Ich habe Euch meine Grafschaft aufgeopfert, die Ihr verschleudert habt, Pfaffen und Nonnen damit zu mästen, und Ihr wollet mir nicht ein elendes Huhn zum Gegenopfer verleihen, daran erkenn ich Euch, daß Ihr mich nicht liebet.« Die junge Frau streichelte ihrem Gemahl die vor Unwillen aufschwellende Wange und sprach: »Vernehmet, lieber Herzgespiel, daß dieses Hühnlein, das Eure Ruhe störet, jeden Morgen ein goldnes Ei leget, darum ist es meiner Mutter lieb und wert, ißt mit ihr aus der Schüssel, und schläft bei ihr in der Kammer. Seit neunzehn Jahren hat es das Haus mit diesen köstlichen Eiern versorgt. Daraus möget Ihr urteilen, ob ich um Lohn der Kaiserin Söldnerin war; ob mich der Eigennutz nach Euren Geschenken lüstern machte, und ob sie etwas über mein Herz vermochten. Ich nahm sie, nicht um Euch zu plündern, sondern Eure Liebe zu prüfen, und schüttete sie in den Schoß der heiligen Kirche, um mich von dem Verdachte des Eigennutzes zu befreien. Ich wollte, daß die Liebe allein unsre Herzen verbinden sollte, darum nahm ich Eure Hand ohne Erbgut, und gab Euch die meine ohne Brautschatz; nun soll's weder Euch an der Grafschaft, noch mir an der Aussteuer fehlen.«

Graf Ulrich erstaunte über die Rede seiner Gemahlin: seine Seele schwankte zwischen Glauben und Zweifel. Um den ungläubigen Thomas zu überzeugen, rief sie die Mutter herbei, offenbarte ihr, daß sie das Eiergeheimnis an ihren Gemahl verraten habe, und überließ es ihr, denselben von der Wahrheit zu überführen. –

Die gute Mutter schloß ihre Truhen auf, und der verwunderte Eidam stund wie bezaubert da, als er den unermeßlichen Reichtum erblickte. Er gestund, daß der Brautschatz eines güldnen EiersegensDas Hühnergeschlecht, das goldne Eier legt, ist zwar nicht so gemein und zahlreich, wie das übrige Federvieh, es ist aber doch nicht ausgestorben, oder von der Erde vertilgt, wie das Einhorn, welches nicht mit in die Arche gehen wollte. Denn es gibt noch immer Bräute, die dem zukünftigen Ehekonsorten einen güldnen Eierschatz zur Aussteuer zubringen, zum Beispiel, Milady Hastings, Fräulein Necker, Fräulein von Matignan, die deutschen Landsmänninnen in Wien nicht zu vergessen. Das letztgenannte Fräulein wär für einen Grafen ohne Grafschaft eben keine unrechte Partie. Zur Nachweisung dienet, daß sie die Großtochter des Baron von Breteuil, gegenwärtig dreizehn Jahr alt, und in einem Jahr und sieben Wochen völlig qualifiziert ist, das Brautbett zu besteigen. Schön oder häßlich kommt hier nicht in Anschlag. Wers Glück hat, die Braut heimzuführen, dem wachsen 400.000 Livres jährlicher Renten zu. ein herrlicher Fund für einen Grafen ohne Grafschaft sei; jedoch beschwor er mit einem teuren Eide, daß aller Welt Schätze dem Übermaß der Liebe gegen seine Gemahlin keinen Zusatz zu geben vermöchten. In kurzem war die verpfändete Grafschaft wieder eingelöst, und noch eine andere dazu erkauft, ohne daß es seiner ritterlichen Talente zu dieser Akquisition bedurfte. Er ließ Wehr und Harnisch ruhen, und verlebte seine Tage in Ruhe, beim Genuß des unwandelbarsten Minneglücks; denn die schöne Lukrezia bewies durch ihr Beispiel, daß die spröden Schönen zuweilen die gefälligsten Gattinnen werden.


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