Johann Karl August Musäus
Volksmärchen der Deutschen
Johann Karl August Musäus

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Franz trabte nun, mit heiterm frohen Mute, nach Antwerpen zu, und wünschte allenthalben eine so gute Aufnahme zu finden, als bei dem Ritter, Eberhard Bronkhorst genannt. Beim Einzug in die ehemalige Königin der flämischen Städte, schwellte ein günstiger Wind das Segel seiner Hoffnung auf. In allen Straßen begegneten ihm Reichtum und Überfluß, und es schien, als wenn Not und Mangel aus der betriebsamen Stadt Landes verwiesen sei. Wahrscheinlicherweise, dacht er bei sich, ist mancher von den alten Schuldnern meines Vaters wieder empor gekommen und wird mir bereitwillig gute Zahlung leisten, wenn ich ihm meine rechtmäßige Forderung dokumentiere. Nachdem er sich von der Ermüdung der Reise erholet hatte, zog er in dem Gasthofe, wo er eingekehret war, vorläufige Nachricht von dem Zustande seiner Schuldleute ein. »Wie steht's mit Peter Martens«, frug er eines Tages seine Tischgenossenschaft bei der Mahlzeit, »lebt er noch, und macht er viel Geschäfte?« – »Peter Martens ist ein solider Mann«, antwortete einer aus der Gesellschaft, »treibt Speditionshandel, und zieht viel reinen Gewinn davon.« – »Ist Fabian von Plürs noch in gutem Zustande?« – »Oh! der weiß seines Reichtums kein Ende, sitzt im Rate, und seine Wollmanufakturen geben reiche Ausbeute.« – »Hat Jonathan Frischkier guten Vertrieb mit seinem Gewerbe?« – »Ei der wär jetzt ein Kapitalmann, wenn sich Kaiser Max nicht hätte von den Franzosen die Braut weghaschen lassen. Ihm war die Lieferung der Kanten zum Brautputz verdungen; aber der Kaiser hat den Kauf, wie ihm die Braut den Handel, aufgesagt. Wenn Ihr ein Liebchen habt, das Ihr mit den Kanten bedenken wollt, so verläßt er sie Euch ums halbe Geld.« – »Ist das Handelshaus op de Bütekant gesunken, oder hält sich's noch?« – »Dort hat's vor einigen Jahren im Gesparre geknackt; aber die spanischen Karavellen haben eine neue Strebemauer dran gesetzt, daß es nun wohl halten wird.«

Franz erkundigte sich nach mehrern Handelsleuten, an die er Forderungen hatte, erfuhr, daß die meisten sich in blühenden Umständen befanden, die zu seines Vaters Lebzeiten bonis zediert hatten, und merkte daraus ab, daß ein verständiger Bankerott von jeher die Fundgrube zukünftigen Erwerbs gewesen sei. Diese Nachrichten heiterten sein Gemüt sehr auf, er säumte nicht seine Papiere in Ordnung zu bringen, und bei der Behörde die alten Schuldscheine zu produzieren. Aber es erging ihm mit den Antwerpern, wie seinen peregrinierenden Landsleuten mit den Krämern in den deutschen Städten, sie genüßen allenthalben einer freundlichen Aufnahme, und werden an keinem Orte gern gesehen, wenn sie kommen Schulden einzutreiben. Einige wollten von den alten Sünden nichts wissen, und meinten, sie wären aus der Konkursmasse, mit fünf Prozent, judizialiter rein abgetan. Es sei des Gläubigers Schuld, daß er die Zahlung nicht akzeptiert hätte. Andere wußten sich keines Melchiors von Bremen zu entsinnen, schlugen ihre infallibeln Bücher auf, fanden keine Schuldpost für diesen unbekannten Namen angemerkt; noch andere brachten eine starke Gegenberechnung zum Vorschein, und es vergingen keine drei Tage, so saß Franz im Schuldturm, um für den väterlichen Kredit zu haften, wo er nicht eher herauskommen sollte, bis er den letzten Heller bezahlen würde.

Das waren nicht die besten Adspekten für den jungen Mann, der Hoffnung und Vertrauen auf die Antwerper Beförderer seines Glücks gesetzt hatte, und nun die schöne Seifenblase verschwinden sah. Er befand sich in seinem engen Gewahrsam in dem qualenvollen Zustande einer Seele im Fegfeuer, nachdem sein Schifflein auf den Strand gelaufen und mitten im Hafen, wo er gegen die Stürme Sicherheit zu finden vermeinte, gescheitert war. Jeder Gedanke an Meta war ihm ein Dorn im Herzen; es war kein Schatten von Möglichkeit mehr vorhanden, jemals aus dem Strudel, in welchen er versunken war, wieder emporzukommen, um seine Hand nach ihr auszustrecken; und gesetzt, er hätte den Kopf auch wieder über Wasser gebracht, so war sie, ihrerseits, doch außerstande ihn aufs Trockene zu heben. Er fiel in eine stumme Verzweiflung, hegte keinen Wunsch als den zu sterben, um mit einem Male der Marter abzukommen, und machte wirklich den Versuch, sich durch Hunger zu töten. Aber das ist eine Todesart, die nicht jedermann zu Gebot stehet, wie dem abgezehrten Pomponius Attikus, dem seine Verdauungswerkzeuge den Dienst bereits versagt hatten; ein gesunder rüstiger Magen ergibt sich nicht so leicht in die Beschlüsse des Kopfs und des Herzens. Nachdem der Sterbenslustige zwei Tage der Speise sich enthalten hatte, bemächtigte sich ein despotischer Heißhunger plötzlich der Herrschaft über den Willen, und verrichtete alle Operationen, die sonst der Seele zukommen; er gebot der Hand in die Schüssel zu greifen, dem Munde die Speise anzunehmen, den Kinnladen sich in Bewegung zu setzen, und er selbst verrichtete die gewöhnliche Funktion der Verdauung ungeheißen. Also scheiterte auch dieser Entschluß, an einer harten Brotrinde, der im siebenundzwanzigsten Lebensjahre in der Tat etwas Heroisches hat, das im siebenundsiebenzigsten ganz daraus verschwunden ist.

Im Grunde war's der hartherzigen Antwerper Meinung nicht, Geld von dem angeblichen Schuldner zu erpressen, sondern nur keins an ihn zu bezahlen, da sie seine Forderungen nicht als liquid anerkannten. Es sei nun, daß die kirchliche Vorbitte in Bremen wirklich zu den Vorhöfen des Himmels gelanget war; oder daß die vermeinten Gläubiger nicht Lust hatten, einen überlästigen Kostgänger auf Lebenszeit zu verpflegen: gnug, nach Verlauf von drei Monaten wurde Franz seiner Gefangenschaft unter dem Beding entlediget, innerhalb vierundzwanzig Stunden die Stadt zu räumen, und der Antwerper Grund und Boden nie wieder zu betreten. Zugleich empfing er fünf Gulden Reisegeld, aus den getreuen Händen der Justiz, die sich seines Rappens und Gepäcks bemächtiget, und den Ertrag, des daraus gelösten Geldes, für Gerichts- und Atzungskosten gewissenhaft berechnet hatte. Mit schwermütigem Herzen verließ er, mit dem Pilgerstabe in der Hand, ganz demütig die reiche Stadt, in die er vor einiger Zeit voll hochfliegender Hoffnung eingeritten war. Mutlos und unschlüssig, was er nun beginnen sollte, oder vielmehr gedankenlos wankte er durch die Straßen, zum nächsten Tor hinaus, ohne sich darum zu bekümmern, wo der Weg hinführe, den der Zufall ihn hatte nehmen lassen. Er grüßte keinen Wanderer und fragte nach keiner Herberge, bis ihn Ermüdung oder Hunger nötigten, die Augen aufzuheben, und sich nach einer Kirchturmspitze, oder sonst einem Merkzeichen von Menschenwohnung umzusehen, wenn er von Menschen Beistands bedurfte. Viele Tage war er ohne Zweck und Ziel in der Irre herumgeschweift, und ein verborgner Instinkt hatte ihn unvermerkt, vermöge seiner gesunden Füße, geraden Weges nach seiner Heimat hinwärts geführet, als er gleichsam aus einem schweren Traum erwachte, und inne ward, auf welcher Straße er sich befand.

Er stand augenblicklich stille, um zu überlegen, ob er förder gehen, oder wieder umkehren sollte. Scham und Verwirrung bemächtigten sich seiner Seele, wenn er bedachte, daß er als ein Bettler, mit dem Stempel der Verachtung gebranntmarkt, in seiner Vaterstadt herumgehen, und die Wohltätigkeit seiner Mitbürger, denen er es ehedem an Reichtum und Wohlstand allen zuvorgetan, nun in Anspruch nehmen sollte. Und wie konnte er der schönen Meta, ohne die Wahl ihres Herzens zu beschämen, in dieser Gestalt unter die Augen treten? Er ließ seiner Einbildungskraft nicht Zeit, dieses traurige Gemälde zu vollenden, sondern nahm den Rückweg mit solcher Eile, als wenn er schon vor dem hohen Tore in Bremen stund, und die Gassenbuben sich versammleten, ihn mit Hohn und Spott durch die Straßen zu begleiten. Sein Entschluß war gefaßt, er wollte einen Seehafen in den Niederlanden zu erreichen suchen, Matrosendienste auf einem spanischen Schiffe nehmen, nach der Neuen Welt segeln, und nicht eher nach seinem Vaterlande zurückkehren, bis er, in dem goldreichen Peru, die Reichtümer wieder erwerben würde, die er so unachtsam verschleudert hatte, ehe er den Wert des Geldes kannte. Bei Anlegung dieses neuen Plans, kam die schöne Meta zwar weit im Hintergrunde zu stehen, daß sie auch dem schärfsten Seherauge, nur als ein dämmernder Schatten, in der Ferne vorschwebte; doch begnügte sich der wandernde Projektant damit, daß sie nun wieder in den Plan seines Lebens eingewebt war, und machte große Schritte, als wenn er, durch diese Eilfertigkeit, sie desto eher zu erreichen vermeinet hätte.

Schon befand er sich wieder an der niederländischen Grenze, und langte unfern von Rheinberg, bei Sonnenuntergang, in einem kleinen Flecken an, Rummelsburg genannt welcher nachher im Dreißigjährigen Kriege ganz ist zerstöret worden. Eine Karawane Lyker Fuhrleute hatten bereits das Wirtshaus angefüllt, also, daß der Wirt keinen Platz hatte, ihn zu herbergen, und ihn aufs nächste Dorf verwies; besonders, weil er wegen seiner jetzigen Landstreicherphysiognomie zu ihm eben nicht das beste Vertrauen hegte, und ihn für einen Diebsspion hielt, der auf das Lyker Fuhrmannsgut eine Absicht habe. Er mußte sich, der großen Ermüdung ungeachtet, zur weitern Wallfahrt rüsten, und sein Reisebündel wieder auf den Rücken nehmen.

Indem er beim Abzuge einige bittere Klagen und Verwünschungen, über die Hartherzigkeit des Wirtes, zwischen den Zähnen hervormurmelte, schien dieser mit dem Zustande des Fremdlings einiges Mitleiden zu empfinden, und rief ihm aus der Tür nach: »Hört doch, junger Gesell, was ich Euch sagen mag, wenn Ihr hier zu rasten begehret, will ich Euch wohl unterbringen. Hier oben im Schlosse sind der ledigen Zimmer gnug, wenn's Euch da nicht zu einsam ist, es wird nicht bewohnt, und ich habe die Schlüssel dazu.« Franz nahm den Vorschlag mit Freuden an, rühmte ihn als ein Werk der Barmherzigkeit, bat nur um Dach und Fach und um ein Abendbrot, sei's gleich in einem Schloß, oder in einer Baurenhütte. Der Wirt war aber ein heimlicher Schalk, dem's wurmte, daß der Fremdling einige halblaute Schmähungen gegen ihn sich hatte entfallen lassen, und wollte sich dafür durch einen Plagegeist rächen, der in der alten Bergfeste hauste, und die Einwohner seit langen Jahren daraus vertrieben hatte.

Das Schloß lag nahe am Flecken auf einem schroffen Felsen, gerade dem Gasthof gegenüber, so daß es nur durch die Fahrstraße und einen kleinen Forellenbach davon geschieden wurde. Der angenehmen Lage halber, wurde es noch immer im baulichen Stande erhalten, war auch mit allem Hausgeräte wohl versehen, und diente dem Eigentümer zum Jagdschloß, der oft darin den Tag über bankettierte; aber sobald die Sterne am Himmel funkelten, mit seinem Hofgesinde davonzog, um den Insulten des Poltergeistes, der die Nacht über darinne tosete, zu entweichen, denn am Tage ließ das Gespenst sich nicht vermerken. So unangenehm für den Grundherrn das Gespilde seines Schlosses mit dem nächtlichen Ungetüm war, so vorteilhaft war ihm der Spukgeist, in Rücksicht der großen Sicherheit für Diebe. Der Graf hätte keinen treuern und wachsamern Hüter des Schlosses bestellen können, als eben das Nachtgespenst, das die verwegensten Diebesbanden in Respekt hielt. Daher wußte er keinen sichrern Ort, zu Aufbewahrung seiner Kostbarkeiten, als dieses alte Bergschloß, in dem Flecken Rummelsburg bei Rheinberg gelegen.

Hinunter war der Sonnenschein, die finstre Nacht brach stark herein, als Franz, mit einer Laterne in der Hand, vor der Pfortentür des Schlosses, unter Geleitschaft des Wirtes anlangte, der in einem Korbe Lebensmittel trug, nebst einer Flasche Wein, die, wie er sagte, nicht in Rechnung kommen sollte. Auch hatte er ein Paar Leuchter und zwo Wachskerzen mitgenommen: denn im ganzen Schlosse war weder Licht noch Leuchter, weil man nie länger des Abends [als] bis zum Zwielichten daselbst verweilte. Unterwegs bemerkte Franz den knisternden schwer beladenen Korb und die Wachslichter, deren er nicht zu bedürfen, und sie doch bezahlen zu müssen glaubte. Darum sprach er: »Wozu dieser Überfluß und Unrat, als bei einem Gastmahl. Das Licht in der Leuchte ist hinreichend dabei zu sehen, bis ich mich aufs Lager strecke, und wenn ich erwache, wird die Sonne hoch herauf sein; denn ich fühle große Ermüdung, und werde auf beiden Ohren schlafen.« »Ich will Euch nicht verhehlen«, antwortete der Wirt, »daß sich ein Gerücht umtreibt, es gehe irre im Schlosse, und wohne ein Spukgeist darinnen. Ihr dürft Euch das gleichwohl nicht irren lassen, wir sind, wie Ihr sehet, nahe genug, daß Ihr uns errufen könnt, wenn Euch etwas Unnatürliches zustoßen sollte; ich werde mit meinem Gesinde flugs bei der Hand sein, Euch Beistand zu leisten. Unten im Hause wird's die ganze Nacht nicht ruhig, und es bleibt immer jemand wach. Ich wohne nun seit dreißig Jahren hier im Orte, kann gleichwohl nicht sagen, daß ich je was gesehen hätte. Wenn's ja zuweilen in der Nacht Gepolter gibt, so sind's Katzen und Marder, die auf dem Kornboden rasaunen. Aus Vorsorge hab ich Euch mit Licht versehen: die Nacht ist doch keines Menschen Freund, und die Kerzen sind geweiht, deren Schimmer die Gespenster, wenn welche im Schlosse vorhanden sind, gewiß scheuen werden.«

Der Wirt sagte daran keine Unwahrheit, daß er nie von einem Gespenste im Schlosse was innen worden sei, bei Nacht hatte er sich wohl in acht genommen, jemals einen Fuß hineinzusetzen, und bei Tage ließ sich der Geist nicht sehen; auch jetzt wagte der Schalk sich nicht über die Grenze. Nachdem er die Tür geöffnet hatte, reichte er dem Wandrer den Korb mit den Viktualien, wies ihn zurechte, und wünschte gute Nacht. Franz trat, ohne Furcht und Scheu, in das Vorhaus, vermeinte, die Spukgeschichte sei leeres Geschwätz, oder eine mißverstandene Tradition irgend einer wirklichen Ereignis, woraus die Phantasie ein unnatürlich Abenteuer gebildet hätte. Er gedachte an die Sage, von dem wackern Ritter Eberhard Bronkhorst, für dessen schwerem Arm ihm so bange war gemacht worden, und bei welchem er dennoch einer so gastfreien Aufnahme genoß. Darum hatte er sich's aus seinen Reiseerfahrungen zur Regel gemacht, von der gemeinen Sage gerade das Gegenteil zu glauben, und ließ das Körnlein Wahrheit, das nach der Meinung des weisen Junkers darin verborgen liegen sollte, ganz aus der Acht.

Nach Anweisung des Wirts, stieg er die steinerne Wendeltreppe hinauf, und kam vor eine verschlossene Tür, die er mit dem Schlüssel öffnete. Eine lange düstre Galerie, wo sein Fußtritt widerhallete, führte ihn in einen großen Saal, und aus diesem eine Seitentür in eine Reihe Gemächer, die mit allen Gerätschaften, zur Zierde und Bequemlichkeit, reichlich versehen waren. Er wählte sich eins darunter zum Schlafgemach, das ihm am freundlichsten schien, wo er ein wohlgepolstertes Ruhebette fand, und aus dessen Fenstern er, gerade unter sich, in den Gasthof sahe, auch jedes laute Wort, das daselbst geredet wurde, vernehmen konnte. Er zündete die Wachskerzen an, beschickte seine Tafel, und speiste mit solcher Gemächlichkeit und Wohlgeschmack, als ein Nobili von Otaheite. Die gebauchte Flasche ließ ihn dabei keinen Durst leiden. So lange die Zähne in voller Arbeit waren, hatte er nicht Zeit, an die angebliche Spukerei im Schlosse zu gedenken; wenn sich auch zuweilen etwas in der Ferne regte, und ihm die Furchtsamkeit zurief: Horch auf! horch auf! jetzt kommt der Poltergeist, so antwortete die Herzhaftigkeit: Possen! es sind Katzen und Marder, die sich beißen und balgen. Aber in dem Dauungsviertelstündgen nach der Mahlzeit, da der sechste Sinn, die Empfindung des Hungers und Dursts, die Seele nicht mehr beschäftigte, richtete sie ihre Aufmerksamkeit, unter den fünf übrigen, allein auf das Gehör, und da flüsterte die Furcht schon immer drei bängliche Gedanken dem Horcher ins Ohr, ehe die Herzhaftigkeit einmal drauf antwortete.

Vor den ersten Anlauf schloß er die Tür ab, schob den Nachtriegel vor, und nahm seine Retirade auf den gemauerten Sitz des gewölbten Fensters. Er öffnete solches, sahe, um sich in etwas zu zerstreuen, an den gesternten Himmel, blickte in den genarbten Mond, und zählte wie oft sich die Sterne putzten. Auf der Straße unter ihm wurd's öde, und ungeachtet der ihm angerühmten nächtlichen Lebhaftigkeit im Gasthofe, wurden die Türen verschlossen, die Lichter ausgetan, und es wurde darinnen so still, als in einer Totengruft. Dagegen stieß der Nachtwächter ins Horn, und ließ sein: »Hört ihr Herren«, über den ganzen Flecken erschallen, intonierte auch, zur Beruhigung des bangen Astronomen, der seine Augen noch immer an den funkelnden Sternen weidete, ein gellendes Abendlied gerad unter dem Fenster, also, daß Franz leicht mit ihm Unterredung hätte pflegen können, welches er, um der Geselligkeit willen, auch gern getan hätte, wenn er vermuten können, daß ihm der Wächter zur Rede stehen würde.

In einer volkreichen Stadt, mitten unter einer zahlreichen Hausgenossenschaft, wo des Getümmels so viel ist als in einem Bienenkorbe, mag's für den Denker eine angenehme Erholung sein, über die Einsamkeit zu philosophieren, sie als die lieblichste Gespielin des menschlichen Geistes zu gestalten, ihr alle vorteilhafte Seiten abzugewinnen, und nach ihrem Genusse zu verlangen. Aber da, wo sie einheimisch ist, auf der Insel Juan Fernandez, wo ein einzelner, dem Schiffbruch entronnener Eremit, lange Jahre mit ihr verlebt; oder bei schauervoller Nacht, in einem tiefen Walde; oder in einem unbewohnten alten Schlosse, wo öde Mauren und Gewölbe Grausen erwecken, und nichts Leben atmet, außer die traurige Eule, in dem zerfallnen Turne: da ist sie, in Wahrheit, nicht die angenehmste Gesellschafterin für den scheuen Anachoreten, der darinne übernachtet, besonders wenn er sich, alle Augenblicke, der Erscheinung eines Poltergeistes gewärtigen muß. Da kann's leicht der Fall sein, daß eine Unterredung mit dem Nachtwächter zum Fenster heraus, eine bessere Unterhaltung gewähret für Geist und Herz, als die anziehendste Lektür eines Panegyrikus über die Einsamkeit. Wenn Freund Zimmermann in Freund Franzens Stelle sich befunden hätte, auf dem Schloß Rummelsburg an der westfälischen Grenze, so würde er ohne Zweifel, in dieser Situation, die Grundideen zu einer ebenso interessanten Schrift über die Geselligkeit ausgesponnen haben, als ihn, allem Vermuten nach, eine lästige Assemblee bestimmt hat, aus der Fülle des Herzens der Lobredner der Einsamkeit zu werden.

Mitternacht heißt die Stunde, wo die intellektuelle Welt Leben und Tätigkeit gewinnt, wenn die vergröberte animalische Natur in tiefem Schlummer begraben liegt. Franz wünschte um deswillen lieber, diese bedenkliche Stunde zu verschlafen, als zu durchwachen, darum tat er das Fenster zu, ging nochmals die Runde im Zimmer, durchspähete Winkel und Ecken, zu sehen, ob alles geheuer sei; schneuzte die Lichter, daß sie heller brennten, und streckte sich flugs aufs Ruhebette, welches seinem ermüdeten Körper gar sanfte tat. Dennoch konnt er nicht so bald, als er wünschte, in Schlaf kommen. Ein kleines Herzpochen, welches er einer Wallung im Blute von der Hitze des Tages zuschrieb, erhielt ihn noch eine Zeitlang wach, und er unterließ nicht, diese Frist zu benutzen, und einen so kräftigen Abendsegen zu beten, als er seit vielen Jahren nicht gebetet hatte, dieser tat die gewöhnliche Wirkung, daß er sanft dabei einschlief. Nach Verlauf einer Stunde, seinem Bedünken nach, erwachte er mit einem plötzlichen Schreck, welches bei einem unruhigen Blute eben nichts Ungewöhnliches ist. Dadurch wurde er ganz munter, horchte, ob alles ruhig sei, und hörte nichts als die Glocke, die eben zwölfe schlug, welche Neuigkeit der Nachtwächter bald darauf, im ganzen Flecken, mit lautem Gesange ankündigte. Franz lauschte noch eine Weile, legte sich aufs andre Ohr, und war eben im Begriff wieder einzuschlafen, da war's ihm, als knarre von ferne eine Tür, und gleich darauf schlug sie mit dumpfem Getöse zu. O wehe! wehe! raunte die Furcht ihm ins Ohr, das ist fürwahr der Poltergeist! Es ist der Wind und weiter nichts, tröstete die Herzhaftigkeit. Doch bald kam's näher, immer näher, wie ein schwerer Mannestritt. Geklingel hier, Geklingel dort, als rasselte ein Delinquent mit schweren Ketten; oder als ging der Pförtner, mit seinem Schlüsselbund, im Schloß umher. Das war kein Windesspiel, die Herzhaftigkeit verstummte, die bange Furcht trieb alles Blut dem Herzen zu, daß es pochte wie ein Schmiedehammer.

Jetzt war die Sache außerm Spaß. Wofern die Furcht die Herzhaftigkeit noch einmal hätte lassen zum Worte kommen, so würde diese den Verzagten an den Subsidien-Traktat mit dem Wirte erinnert und ihn angetrieben haben, die stipulierte Hülfe laut aus dem Fenster zu reklamieren; aber da gebrach's an Entschließung. Der ängstlich Zagende nahm seine Zuflucht zur Matratze, der letzten Schutzwehr der Furchtsamen, und zog sie dichte übern Kopf, wie Vogel Strauß das Haupt hinter ein Sträuchlein birgt, wenn er dem Jäger nicht mehr entrinnen kann. Draußen ging's Tür auf, Tür zu, mit gräßlichem Gepolter, und nun kam's auch ans Schlafgemach. Es drehte rasch am Schloß, versuchte viele Schlüssel, bis es den rechten fand; doch hielt der Riegel noch die Türe fest, bis sie ein harter Schlag, gleich einem Donnerschlag, eröffnete, daß Niet und Riegel sprang. Da trat herein ein langer hagrer Mann, mit einem schwarzen Barte, in alter Tracht und finsterm Angesicht, die Augenbraunen senkten sich zu tiefem Ernste, von der Stirn herab. Um seine linke Schulter schlug er einen Scharlachmantel, und auf dem Haupt trug er einen spitzen Hut. Er zog, mit schwerem Tritt, dreimal das Zimmer schweigend auf und ab, besah die geweihten Kerzen und putzte sie, damit sie heller leuchteten. Drauf ließ er seinen Mantel fallen, schnürte einen Schersack auf, den er darunter barg, und kramte ein Barbierzeug aus, strich flugs ein blankes Schermesser auf dem breiten Riemen, den er am Gürtel trug.

Franz schwitzte Judasschweiß unter der Matratze, befahl sich in den Schutz der Heilgen Jungfrau, und spekulierte ängstlich, was dies Manövre sollte, wußte nicht, ob's damit auf die Gurgel oder auf den Bart gemeinet sei. Zu seiner Beruhigung, goß das Gespenst, aus einer silbernen Flasche, Wasser in ein silbern Becken, und schlug, mit beinerner Hand, die Seife zu leichtem Schaum, rückte einen Stuhl zurechte, und winkte, mit ernster Miene, den angstvollen Lauerer aus seinem Hinterhalt hervor.

Gegen diesen bedeutsamen Wink galt so wenig eine Einwendung, als gegen die strengen Befehle des Großherrn, wenn er einem exilierten Wesir den Engel des Todes, den Capichi Baschi, mit der seidnen Schnur nachschickt, seinen Kopf in Empfang zu nehmen. Das Vernünftigste, was sich in diesem kritischen Falle tun läßt, ist, der Notwendigkeit nachzugeben, zum bösen Spiel gute Miene zu machen, und sich, mit stoischer Gelassenheit, die Kehle gemachsam zuschnüren zu lassen. Franz honorierte die empfangne Ordre: die Matratze begann sich zu heben, er sprang rasch vom Bette auf, und nahm den ihm angewiesenen Platz auf dem Schemel ein. So wundersam auch dieser schnelle Übergang, von der äußersten Verzagtheit zur kühnsten Entschlossenheit scheinen mag, so natürlich wird dennoch das psychologische Journal uns diese Erscheinung zu erklären wissen.

Der spukende Barbier band seinem zitternden Bartkunden alsbald das Schertüchlein vor, ergriff drauf Kamm und Schere, beschnitt ihm Haar und Bart. Dann seifete er ihn kunstmäßig ein, zuerst den Bart, hernach die Augenbraunen, zuletzt die Schläfe, Scheitel und das Hinterhaupt, und schor ihn von der Gurgel bis zum Nacken so glatt und kahl, wie einen Totenkopf. Als er mit dieser Operation zustande war, wusch er ihm das Haupt, trocknete es säuberlich, machte seinen Reverenz, und schnürete den Schersack zu, hüllte sich in den Scharlachmantel, und schickte sich zum Rückzug an. Die geweihten Kerzen brannten vortrefflich helle bei der ganzen Verhandlung, und Franz sahe, vermöge ihres Schimmers, im Spiegel, daß ihn der Scherer in einen chinesischen Pagoden verwandelt hatte. Er bedauerte herzlich den Verlust der schönen braunen Locken, gleichwohl schöpfte er nun wieder frischen Atem, da er merkte, es sei mit diesem Opfer alles abgetan, und der Geist habe weiter keine Macht an ihm.

So verhielt sich's auch in der Tat, der Rotmantel ging nach der Tür, stillschweigend wie er gekommen war, ohne Gruß und Valet, und schien ganz das Widerspiel seiner geschwätzigen Professionsverwandten. Kaum war er aber drei Schritte zurück, so stund er stille, sahe sich mit trauriger Gebärdung nach seinem wohlbedienten Kunden um, und strich mit der flachen Hand über den schwarzen Bart. Eben das tat er zum andern Male, und nochmals, als er eben zur Tür hinausschreiten wollte. Franz geriet dadurch auf die Vermutung, daß das Gespenst etwas verlange, und durch eine schnelle Kombination der Ideen riet er darauf, daß es vielleicht den nämlichen Dienst von ihm erwarte, den es ihm vorher geleistet habe, und er traf's damit glücklicher, als weiland Geisterseher Oeder, der das renommierte Braunschweiger Gespenst inquirierte, wie ein Amtmann den Delinquenten, ohne daß er es zum Geständnis brachte, was es eigentlich mit seiner frivolen Erscheinung wolle.

Da der Geist, ungeachtet seines trübsinnigen Anblicks, mehr zu Schimpf als Ernst aufgelegt schien, und seinen Gast geschabernackt, nicht aber gemißhandelt hatte: so war bei diesem jetzt fast alle Furcht verschwunden. Also wagte er den Versuch, und winkte dem Geiste, sich auf den Schemel zu setzen, welchen er eben verlassen hatte. Sogleich gehorchte das Gespenst, warf den roten Mantel ab, legte das Barbierzeug auf den Tisch, und setzte sich auf den Stuhl, in die Stellung eines Menschen, der sich will den Bart abnehmen lassen. –

Franz beobachtete sorgfältig die nämliche Prozedur, die der Geist zuvor mit ihm vorgenommen hatte, stutzte ihm den Bart mit der Schere, schnitt ihm das Haar ab, seifete ihm den ganzen Kopf ein, und das Gespenst hielt still wie ein Haubenstock. Der ungeschickte Gesell wußte das Messer schlecht zu regieren, hatte noch nie eins in der Hand gehabt, schor den Bart gerade gegen den Strich, wobei der Geist ebenso seltsame Grimassen machte, wie der Affe des Erasmus, indem er das Bartputzen seines Herrn nachahmte. Dabei wurde dem unkundigen Pfuscher doch nicht wohl zu Mute, er dachte mehr als einmal an die sinnreiche Sentenz: Was deines Amts nicht ist, laß deinen Vorwitz, indessen zog er sich, so gut er konnte, aus der Affäre, und schor das Gespenst so kahl als er selbst war.

Bisher war die Szene, zwischen dem Geiste und dem Wandrer, pantomimisch abgehandelt worden, jetzt wurde die Handlung dramatisch. »Fremdling«, sprach jener mit freundlicher Gebärde, »habe Dank für den Dienst, den du mir geleistet hast: durch dich bin ich der langen Gefangenschaft nun ledig, die mich dreihundert Jahre in diese Mauren gekerkert hat, und zu welcher meine abgeschiedene Seele so lange, einer Übeltat halber, verdammt ward, bis ein Sterblicher das Vergeltungsrecht an mir üben und tun würde, was ich bei meinen Lebzeiten andern tat.

Wisse, daß hier ehemals ein frecher Übermütler wohnte, der sein Gespött mit Pfaffen und mit Laien trieb. Graf Hartmann hieß sein Name, war keines Menschen Freund, erkannte kein Gesetz und keinen Oberherrn, übte eitel Mutwillen und Schälkelei, und schändete des Gastrechts Heiligkeit. Den Fremdling, der unter sein Dach einging; den Dürftigen, der ihn um eine milde Gabe bat, entließ er nie, ohne einen bösen Tück ihm zu beweisen. Ich war sein Schloßbarbier, trieb Liebedienerei, und tat was ihm gefiel. So manchen frommen Pilger, der vorüberging, lockt ich mit Freundlichkeit ins Schloß, bereitete das Bad für ihn, und wenn er meinte seiner wohl zu pflegen, schor ich ihn glatt und kahl, und wies mit Hohn und Spott ihn aus der Tür. Da schauete Graf Hartmann aus dem Fenster, und sah mit Lust, wie sich die Otternzucht der Knaben, aus dem Flecken, versammlet hatte, den Geschändeten zu höhnen, und über ihn, wie über den Propheten einst die freche Knabenrotte, Kahlkopf! Kahlkopf! schrie. Des freute sich der Schadenfroh, und lachte teuflisch drüber, daß er den Speckwanst hielt, und ihm die Augen tränten.

Einst kam ein heilger Mann aus fernen Landen, er trug, gleich einem Büßenden, ein schweres Kreuz auf seiner Schulter, und hatte sich fünf Nägelmal, an Händen, Füßen und der Seite, aus Andacht eingenarbt; auf seinem Haupte stund ein Kranz von Haaren, gleich der Dornenkrone. Er sprach hier an, begehrte Wasser seine Füße zu waschen, und einen Bissen Brot. Flugs bracht ich ihn ins Bad, um ihn nach meiner Weise zu bedienen, und respektierte nicht die heilge Glatze, schor ihm die Krone rein vom Haupte weg. Da sprach der fromme Pilger einen schweren Bannfluch über mich: ›Verruchter wisse, daß nach dem Tode, der Himmel und die Hölle, und des Fegfeuers eherne Pforte, deiner armen Seele verschlossen ist. Sie soll als Plagegeist so lang in diesen Mauren tosen, bis ungefordert, ungeheißen, ein Wandrer das Vergeltungsrecht an dir verüben wird.‹

Von Stund an wurd ich siech, das Mark in den Gebeinen vertrocknete und ich verging gleichwie ein Schatten. Mein Geist verließ den abgezehrten Leichnam, und blieb an diesen Ort gebannt, wie ihm vom heiligen Mann ward auferlegt. Vergebens harrt ich der Erlösung aus diesen qualenvollen Fesseln, die mich noch an die Erde ketteten: denn du sollst wissen, daß, wenn die Seele von dem Körper scheidet, sie nach dem Ort der Ruh verlangt, und diese heiße Sehnsucht macht ihr die Jahre zu Aeonen, solange sie in einem fremden Elemente schmachtet. Zu eigner Qual, setzt ich das traurige Geschäfte fort, das ich bei Leibesleben trieb. Ach! bald verödete mein Tosen dieses Haus! Nur sparsam kam ein Pilger, hier zu übernachten. Ob ich gleich allen tat wie dir, so wollte keiner dennoch mich verstehn, und mir, wie du, den Dienst erweisen, der meinen Geist aus dieser Sklaverei befreite. Hinfort wird sich kein Poltergeist in diesem Schloß mehr regen, ich gehe nun zur langgewünschten Ruhe ein. Nun, junger Fremdling, nochmals meinen Dank, daß du mich nun erlöset hast. Wär ich der Hüter tiefverborgner Schätze, sie wären alle dein; doch Reichtum war im Leben nie mein Los, es liegt in diesem Schlosse auch kein Schatz vergraben. Hör aber guten Rat. Verweile hier, bis Bart und Haupthaar Kinn und Glatze wieder decken, dann ziehe heim in deine Vaterstadt, und harre auf der Weserbrücke daselbst, zur Zeit wenn Tag und Nacht im Herbst sich gleichen, auf einen Freund, der dir begegnen wird, der wird dir sagen, was du tun sollst, daß dir's wohlergeh auf Erden. – Wenn aus dem güldnen Horn des Überflusses dir Segen und Gedeihen quillt, alsdann sei meiner eingedenk, und laß, sooft der Jahrstag wiederkehret, an welchem du mich des Verwünschungsfluchs entbandest, zu meiner Seelenruh, mir jedesmal drei Messen lesen. – Nun fahre wohl, ich scheide jetzt davon.«

Mit diesen Worten verschwand der Geist, nachdem er, durch seine Geschwätzigkeit, seine ehemalige Existenz als Hofbarbier, im Schlosse Rummelsburg, sattsam dokumentieret hatte, und ließ seinen Befreier voll Verwunderung über das seltsame Abenteuer. Er stund lange unbeweglich, und war zweifelhaft, ob sich die ganze Geschichte wirklich begeben, oder ob ihn nur ein schwerer Traum getäuschet habe; allein sein kahlgeschorner Kopf überzeugte ihn bald von der Wahrheit der Begebenheit. Er legte sich drauf zur Ruhe, und schlief auf das überstandene Schrecken, bis in die Mittagsstunde. Der betrügliche Wirt hatte schon von frühem Morgen an gelauret, wenn der Wanderer mit der Glatze zum Vorschein kommen würde, um ihn mit heimlichem Hohngelächter, unter dem Anschein der Verwunderung über das nächtliche Abenteuer, zu empfangen. Da ihm dieser aber zu lang zögerte, und schon der Mittag herannahete, wurde ihm die Sache bedenklich, und er fing an zu fürchten, das Gespenst möchte etwas unsanft mit dem fremden Gaste gefahren sein, ihn erdrosselt, oder in so übermäßige Furcht versetzt haben, daß er vor Entsetzen gestorben sei; und seine mutwillige Rache so weit zu treiben, war gleichwohl seine Absicht nicht. Er schellete dem Gesinde, lief mit Knecht und Magd in aller Eile auf die Burg, und kam vor das Zimmer, in welchem er des Abends Licht bemerkt hatte. Er fand einen unbekannten Schlüssel an der Tür; aber diese war von innen verriegelt; denn nach der Verschwindung des Geistes hatte Franz sie wieder verwahret. Er pochte mit ängstlicher Heftigkeit an, daß die heiligen Siebenschläfer von dem Getöse würden aufgewacht sein. Franz wurde munter, und meinte in der ersten Bestürzung, der Geist stund wieder vor der Tür, und habe ihm einen nochmaligen Besuch zugedacht. Da er aber des Wirts Stimme vernahm, der nichts mehr verlangte, als daß sein Gast ein Zeichen des Lebens von sich geben sollte, raffte er sich auf und öffnete das Gemach.

Mit scheinbarem Entsetzen sprach der Wirt, indem er die Hände zusammenschlug: »Bei Gott und allen Heiligen! der Rotmantel ist hier gewesen, (unter diesem Namen war das Gespenste den Einwohnern bekannt,) und hat Euch zum Kahlkopf geschoren, nun ist's vor Augen, daß die alte Sage kein Märchen ist. Aber berichtet mich, wie sahe der Poltergeist aus, was hat er geredt, und wie hat er getan?« Franz, der den Frager vollkommen ausgemerket hatte, antwortete: »Der Geist glich einem Mann in einem roten Mantel, wie er getan hat, ist Euch nicht verborgen, und was er sprach, des bin ich wohl eingedenk: ›Fremdling‹, sprach er, ›trau keinem Wirte, der den Schalk im Schilde führt: was dir begegnen sollte, war ihm wohl bewußt. Gehab dich wohl, ich ziehe fort aus diesem alten Aufenthalte, denn meine Zeit ist aus. Hinfort wird hier kein Poltergeist mehr spuken; ich werde nun zum stillen Alp, will baß den Gastwirt plagen, ihn kneipen, zwicken, drücken, wofern er seine Schuld nicht büßt, dir Dach und Fach und freie Zehrung gibt, bis um dein Haupt sich wieder braune Locken krümmen.‹«

Der Wirt erbebte bei diesen Worten, schlug ein großes Kreuz vor sich, und gelobte, bei der Heiligen Jungfrau, dem Abenteurer freie Zeche, solang er bei ihm verharren wollte, führte ihn in sein Haus und bediente ihn aufs beste. Es fehlte wenig, daß der Fremdling nicht in den Ruf eines Geisterbanners kam, da sich das Gespenst von nun an nicht mehr sehen ließ. Er übernachtete oft in der alten Burg, und ein Waghals aus dem Orte hatte den Mut, ihm Gesellschaft zu leisten, ohne daß er zum Kahlkopf geschoren wurde. Da der Gutsherr erfuhr, daß der fürchterliche Rotmantel nicht mehr in Rummelsburg spuke, ward er darüber sehr froh, und erteilte Befehl, des Fremdlings wohl zu pflegen, der ihn seiner Meinung nach weggebannt habe.


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