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Neuntes Kapitel

Liebe Leser, ich gäbe viel darum, wenn ich genau wüßte, wie lange ich die Heldin in der Luft schweben lassen darf, um mich in Beschreibungen architektonischer Einzelheiten zu verlieren, ohne daß Ihr das Buch mutlos zur Seite legt, ehe die Arme die Erde erreicht. Ich werde jedenfalls, wenn ich in meiner Erzählung einen solchen Luftsprung brauchen sollte, höchstens das erste Stockwerk als Absprung wählen, aber zunächst liegt noch gar kein Grund zur Beunruhigung vor, denn Havelaars Haus hat nicht mal ein erstes Stockwerk, und die Heldin meines Buches, – – du lieber Himmel, die gute, treue, anspruchslose Tine als Heldin! ... ist nie im Leben aus einem Fenster gesprungen.

Der Abschluß des vorigen Kapitels mit dem Hinweis auf die Abwechslung, die das folgende bieten sollte, war eigentlich mehr ein literarischer Kunstkniff, mir einen guten Abgang zu verschaffen, als daß ich ernsthaft der Meinung gewesen wäre, das nächste Kapitel habe nur als Abwechslung Wert. Ein Schriftsteller ist eitel wie ... ein Mann! Sprich häßlich von seiner Mutter, tadele die Farbe seiner Haare, lächle über seine Aussprache, das alles wird er Dir vielleicht verzeihen. Aber rühre nie auch nur an die Außenseite eines Bruchteiles einer Nebensache, die seine Schreiberei betrifft, denn das würde er Dir nie vergeben. Wenn Ihr also mein Buch, nicht schön findet, und wir begegnen irgendwo einander, dann tut, als ob wir uns nicht kennten.

Nein, selbst so ein nur zur Abwechslung geschriebenes Kapitel kommt mir, durch das Vergrößerungsglas meiner Autoreneitelkeit gesehen, höchst wichtig, ja selbst unerläßlich vor, und wenn Ihr es überschlagen solltet und dann von meinem Buche nicht rückhaltlos eingenommen seid, würde ich ohne Zögern im Auslassen eines Kapitels die Ursache finden, aus welcher Ihr mein Werk nicht zu beurteilen vermögt, da Ihr gerade das »Wesentliche« nicht gelesen habt. Und so würde ich, – denn ich bin Mann und Schriftsteller, – jedes Kapitel für wesentlich halten, das Ihr in unverzeihlichem Leserleichtsinn unterschlüget.

Ich kann mir vorstellen, wie die Gattin fragt: »Ist denn etwas an dem Buch?« Und Du antwortest, – horrible auditu horribile auditu = schrecklich zu hören. für mich, – mit dem ganzen Wortreichtum des Ehemannes.

»Hm, ... ich weiß nicht recht ...!«

Barbar, lies erst weiter! Das Interessanteste beginnt jetzt gerade. Und mit bebender Lippe starre ich Dir über die Schulter und messe die Schicht der umgeschlagenen Seiten und suche auf Deinem Antlitz den Widerschein des Kapitels, das doch so schön ist – – –.

»Nein,« sage ich mir, »er ist noch nicht so weit, aber bald wird er freudig aufspringen, in seiner Begeisterung etwas umarmen, vielleicht sogar seine Frau – – –.«

Aber Du liest weiter. Das »schöne Kapitel« muß doch längst vorbei sein, Du bist nicht aufgesprungen, hast nicht umarmt – – –.

Und die Seitenschicht unter Deinem rechten Daumen wird immer dünner, und immer aussichtsloser wird meine Hoffnung auf die Umarmung, – und ich hatte sogar auf eine Träne gerechnet! Du hast den Roman ausgelesen, bis dahin, »wo sie sich kriegen«, und Du sagst gähnend, – eine andere Form der Beredsamkeit in der Ehe –:

»Gott, – – das Buch ist, – – ach, es wird jetzt so viel geschrieben.«

Ja, wißt Ihr denn nicht, Ihr Ungeheuer, Tiger Europäer, mit einem Wort: Ihr Leser, wißt Ihr denn nicht, daß Ihr jetzt eine Stunde gebraucht habt, auf meinem Geist herumzukauen wie auf einem Zahnstocher. Ihr Menschenfresser, darin steckte meine Seele, die Ihr zwischen Euern Zähnen zermahlt habt, als ob Ihr Gras kauen würdet! Es war mein Herz, was Ihr da zerbissen und zerrissen habt! Denn mein Herz und meine Seele hatte ich in dieses Buch gelegt, meine Tränen flossen auf das Manuskript, und mein Blut wich aus den Adern, während ich die Worte niederschrieb. Das alles gab ich Euch. Ihr kauftet es für wenige Stüber, – und nun sagt Ihr nichts als »hm«.

Es ist selbstverständlich, und der Leser begreift, daß ich hier nicht von meinem Buche spreche.

Ich will nur andeuten, um mit Abraham Blankaart Abraham Blankaart, Figur aus einem im vorigen Jahrhundert in Holland sehr populären Roman »Sara Burgerhart«. zu reden – –

»Wer ist das, Abraham Blankaart?« fragte Luise Rosemeyer und Fritz erklärte es ihr, was mir sehr zustatten kam, denn es gab mir die Gelegenheit aufzustehen und wenigstens für diesen Abend der Vorlesung ein Ende zu machen. Ihr wißt, daß ich Makler in Kaffee bin, – Lauriergracht 37, – und daß ich in meiner Branche aufgehe. Es kann sich also jeder leicht denken, wie wenig ich mit der Arbeit des jungen Stern zufrieden war. Ich hatte auf Kaffee gerechnet, und er gab uns, – ja, weiß der Himmel, was er uns eigentlich gab.

Mit seiner Darbietung hat er uns schon drei Kränzchenabende ausgefüllt, und was das Schlimmste ist, die Rosemeyers finden es schön. Wenigstens behaupten sie das. Wenn ich mir eine Bemerkung erlaube, beruft er sich auf Luise. Ihre Zustimmung wiege für ihn schwerer als aller Kaffee der Welt, und außerdem, wenn er von Herzen ergriffen sei usw. usw. Dann sitze ich da und weiß nicht, was ich tun soll. Das Manuskript von diesem Schalmann ist wahrhaftig wie ein trojanisches Pferd. Fritz wird auch nur dadurch verdorben. Ich merke deutlich, er hat Stern geholfen, denn der »Abraham Blankaart« ist für einen Deutschen viel zu holländisch. Ich komme bei der ganzen Sache noch in Verlegenheit.

Das Schlimmste ist, daß ich mich in meinem Verlagsvertrage mit Gaafzuiger verpflichtet habe, ein Buch herauszugeben, das von den Kaffeeversteigerungen handelt, – ganz Niederland wartet darauf, – und nun macht Stern etwas völlig Anderes aus der Sache. Gestern sagte er: »Beunruhigen Sie sich nicht, alle Wege führen nach Rom, warten Sie erst den Schluß der Einleitung ab.« Soll denn das alles immer noch Einleitung sein? Zum Schlusse versprach er mir, daß die ganze Geschichte doch noch auf Kaffee ausläuft, nur auf Kaffee, auf nichts anderes als Kaffee. »Denken Sie an Horaz«, erklärte er noch, »der bereits gesagt hat: omne tulit, punctum qui miscuit Aus Horaz »Ars poetica«. Allen gefällt, das Nützliche mit dem Angenehmen zu verbinden. ... Kaffee mit etwas anderem! Sie machen doch auch nichts anderes, wenn Sie Zucker und Milch in Ihre Tasse tun.«

Dazu muß ich natürlich schweigen. Nicht etwa, weil er recht hat, sondern weil ich der Firma Last & Co. gegenüber die Verpflichtung habe, dafür zu sorgen, daß der alte Stern nicht Busselinck & Waterman in die Hände falle, die ihn schlecht bedienen würden, und die außerdem Gauner sind.

Vor Euch, Leser, schütte ich mein Herz aus, und damit Ihr nach der Lektüre von Sterns Geschreibsel, – wenn Ihr es wirklich gelesen habt, – Euern Zorn nicht über mein unschuldiges Haupt ausgießt, – denn ich frage Euch, wer soll mit einem Makler Geschäfte machen, der ihn Ungeheuer und Menschenfresser schimpft, – lege ich Wert darauf, Euch davon zu überzeugen, daß ich nichts dafür kann. Ich kann doch Stern nicht mehr ausschalten, wo die Sache so weit ist, daß Luise Rosemeyer, wenn sie aus der Kirche kommt, – die Jungens scheinen sie da immer zu erwarten, – ihn gleich bittet, bestimmt abends etwas früher zu erscheinen und recht viel von Max und Tine vorzulesen. Aber Ihr habt das Buch gekauft oder habt es Euch geliehen, im Vertrauen auf den anständigen Titel, der etwas Brauchbares erwarten läßt, und ich erkenne Euren Anspruch an, etwas Gutes für Euer Geld zu erhalten, und deshalb schreibe ich nun selbst wieder ein paar Kapitel.

Ihr seid nicht Mitglieder des Kränzchens bei Rosemeyer und habt es also besser als ich, der das ganze Zeug anhören muß. Euch steht es frei, diejenigen Kapitel, die voller deutscher Überschwänglichkeit sind, zu überschlagen und Euch allein mit dem zu befassen, was ich geschrieben habe, ein anständiger Mann und Makler in Kaffee.

Mit Befremden habe ich aus Sterns Geschreibsel erfahren, – und er hat mir aus dem Manuskript des Schalmannes nachgewiesen, daß es sich um reine Tatsachen handelt, – daß in der Provinz Lebak kein Kaffee angebaut wird. Das ist sehr unrecht, und ich würde es als ausreichenden Lohn meiner Mühe erachten, wenn die Aufmerksamkeit der Regierung durch mein Buch auf diesen Fehler gelenkt würde. Aus den Angaben des Schalmannes geht hervor, daß sich dort der Boden nicht für den Kaffeebau eignet. Aber das ist durchaus keine Entschuldigung, und ich behaupte, daß man sich einer unverzeihlichen Pflichtversäumnis gegen die Niederlande im allgemeinen und gegen die Kaffeemakler im besonderen, ja auch gegen die Javaner selbst, schuldig macht, indem man es unterläßt, entweder den Boden zu verbessern, – der Javaner hat doch nichts Anderes zu tun, – oder falls das nicht möglich ist, die dort wohnende Bevölkerung in anderen Landesteilen anzusiedeln, wo der Boden zur Kaffeekultur geeignet ist.

Ich spreche nie etwas aus, ohne es vorher reiflich erwogen zu haben, und ich wage zu behaupten, daß ich zu diesem Punkte mit besonderer Sachkenntnis spreche, und daß ich über dieses Kapitel reiflich nachgedacht habe, besonders seit ich die Predigt des Pastors Wavelaar in einer Betstunde für die Heidenmission gehört habe.

Das geschah Mittwochabend. Ihr müßt nämlich wissen, daß ich meine Vaterpflichten peinlich erfülle, und daß mir die moralische Erziehung der Kinder sehr am Herzen liegt. Da nun Fritz seit einiger Zeit einen Ton und Manieren angenommen hat, die mir nicht gefallen, – das stammt alles aus diesem verwünschten Manuskript, – habe ich ihn mir vorgenommen und ihm eine Standpredigt gehalten.

»Fritz,« habe ich ihm gesagt, »ich bin mit dir nicht zufrieden, ich habe dir immer ein gutes Beispiel gegeben, und doch weichst du vom rechten Wege ab. Du bist unfolgsam, du machst Verse, und Betsy Rosemeyer hast du einen Kuß gegeben. Die Furcht des Herrn ist der Anfang aller Tugend! Du darfst die Rosemeyer nicht küssen, und du darfst nicht ungezogen sein. Sittenlosigkeit führt ins Verderben, Junge. Lies die Bibel, und sieh dir mal diesen Schalmann an. Der hat die Wege des Herrn verlassen: Nun ist er verarmt und wohnt in einem kleinen Hinterzimmer, ... das sind alles die Folgen von Unmoral und schlechtem Betragen. Er hat dumme Artikel in der »Indépendance« geschrieben und die »Aglaia« fallen lassen. So geht es, wenn man zu selbstgefällig ist. Jetzt weiß er nicht mal, wie spät es ist, und sein Junge hat nur ein halbes Höschen an. Bedenke, daß dein Körper ein Tempel Gottes ist, und daß dein Vater immer hart hat arbeiten müssen, um zu leben, – das ist absolute Wahrheit! – Blicke stets nach oben und bemühe dich, ein anständiger Makler zu werden, damit ich mich auch einst in Driebergen zur Ruhe setzen kann. Sich dir doch die Menschen an, die keinen guten Rat annehmen wollen und Religion und Sittlichkeit mit Füßen treten! Mit Stern mußt du dich nicht vergleichen, denn dessen Vater ist so reich, daß er immer Geld genug haben wird, selbst wenn er nicht Makler wird und mal irgendeine Dummheit anstellt. Bedenke, daß alles Böse eine gerechte Strafe findet. Du brauchst dir nur wieder den Schalmann anzusehen, der keinen Wintermantel hat und aussieht wie ein Komödiant. Paß' in der Kirche gut auf und rutsche nicht auf deinem Sitze hin und her, als ob es dich langweilte! Junge, was soll denn der liebe Gott davon denken? Die Kirche ist sein Heiligtum ...! Und wenn es aus ist, ... dann stelle dich nicht draußen hin, ... und lauere nicht auf die Mädchen, denn dann bleibt nichts von der Erbauung. Du sollst auch Marie nicht immer zum Lachen bringen, wenn ich beim Frühstück aus der Bibel vorlese. Das schickt sich nicht in einem anständigen Hause, und Bastiaans hast du, als er wieder mal krank war, lauter Männchen auf sein Löschblatt gemalt! Das lenkt die Leute im Kontor nur von ihrer Arbeit ab, und es steht geschrieben, daß solche Dummheiten ins Verderben führen. Der Schalmann hat auch, als er jung war, lauter Dummheiten gemacht, auf dem Westermarkt hat er sich mal mit einem Griechen geprügelt. Du siehst ja, wie weit er es jetzt gebracht hat. Mache keine dummen Streiche mit Stern, sein Vater ist reich, das mußt du nie vergessen. Tu, als ob du es nicht siehst, wenn er hinter dem Buchhalter Gesichter schneidet. Und wenn er außerhalb der Kontorzeit wieder mal beim Versemachen ist, dann sage ihm so gelegentlich, wie gut er es bei uns hat, und daß ihm Marie Pantoffel gestickt hat mit echter Florseide. Du kannst ihn auch gelegentlich, ... so nebenbei, unauffällig fragen, ob er glaubt, daß sein Vater von Busselinck & Waterman kaufen würde, und sage ihm, daß das Gauner sind, ... das ist man seinem Nächsten schuldig ... Du bringst ihn dadurch auf den rechten Weg, ... denn das ganze Versemachen ist ja doch nur Verrücktheit. Du mußt brav und gehorsam sein, Fritz; ziehe das Dienstmädchen nicht immer am Rock, wenn sie uns Tee aufs Kontor bringt. Mache mir keine Schande, denn das stört die Anderen bei der Arbeit. Schon Paulus sagt, daß der Sohn dem Vater keinen Verdruß bereiten darf. Ich gehe schon zwanzig Jahre an die Börse, und ich kann wohl sagen, daß ich mich allgemeiner Achtung erfreue. Höre also auf meine Ermahnungen und sei brav. Und jetzt hole dir deinen Hut und ziehe den Mantel an, du gehst mit zur Betstunde, das kann dir nur von Vorteil sein.«

So habe ich mit ihm gesprochen, und ich bin überzeugt, daß ich Eindruck auf ihn gemacht habe, besonders da Pastor Wavelaar in seiner Predigt über die Liebe Gottes, erkennbar aus seinem Zorne gegen die Ungläubigen, nach dem Beispiel von Samuels Fluch gegen Saul, sprach: Sam. XV, 33b.

Während der Predigt dachte ich ununterbrochen darüber nach, wie groß doch der Unterschied zwischen menschlicher und göttlicher Weisheit ist. Ich erwähnte bereits, daß im Manuskript des Schalmannes unter vielem ungereimtem Zeug sich auch manches befand, was brauchbar und vernünftig erschien. Aber wie wenig hat doch das alles zu bedeuten, wenn man es mit der Rede Pastor Wavelaars vergleicht. Und nicht aus eigener Kraft, – denn ich kenne Wavelaar und weiß, daß er nicht von hochfliegendem Verstande ist, – nein, durch die Kraft, die von oben kommt. Der Unterschied wurde noch deutlicher dadurch, daß die Predigt einige Punkte berührte, die auch der Schalmann behandelt hatte. In seinem Manuskript kommt ja viel von Javanern und anderen Heiden vor. Fritz behauptet, die Javaner seien keine Heiden, aber für mich ist jeder, der einen falschen Glauben hat, ein Heide. Ich halte mich an Jesus Christus, den Gekreuzigten, und das wird wohl auch jeder anständige Leser tun.

Weil ich aus Wavelaars Vortrag meine Meinung über die Vernachlässigung des Kaffeebaues in Lebak, auf die ich noch zurückkommen werde, schöpfte, und weil ich als ehrlicher Mann will, daß der Leser für sein Geld auch etwas erhalte, teile ich hier aus der Predigt einige Bruchstücke mit, die mir ganz besonders treffend erschienen.

Aus den angeführten Textworten hatte er kurz Gottes Liebe bewiesen und war schnell zu dem Punkte übergegangen, auf den es hier eigentlich ankam, auf die Bekehrung der Javaner, Malayen, und wie das Volk sonst heißen möge. Er sagte ungefähr folgendes:

»Geliebte im Herrn, das war der Ruf, der an Israel erging (er meinte die Ausrottung der Bewohner Kanaans) und das ist der Ruf, der heute ergeht an die Niederlande! Nein, es soll nicht gesagt werden, daß wir das Licht, das uns erleuchtet, unter den Scheffel setzen, und nicht, daß wir geizen mit dem Brote des ewigen Lebens, das wir anderen zu bringen haben. Werft Euern Blick auf die lieblichen Eilande des Indischen Ozeans, die bewohnt werden von Millionen und Abermillionen von Kindern des verstoßenen Sohnes, des mit Recht verstoßenen Sohnes, des gottgefälligen Noah. Dort kriechen sie in den eklen Schlangenlöchern heidnischen Unwissens, dort beugen sie das schwarze, kraushaarige Haupt unter das Joch eigennütziger Priester, dort flehen sie zu Gott unter Anrufung eines falschen Propheten, der ein Greuel ist vor den Augen des Herrn.

Und, Geliebte in Christo, als ob es nicht genüge, einen falschen Propheten anzurufen, gibt es da noch Menschen, die zu einem anderen Gott, – was sage ich! – die zu Göttern beten, zu Göttern aus Holz oder Stein, die sie sich selbst nach ihrem Bilde schufen, schwarz, abscheulich, mit platten Nasen, Teufelsfratzen!

Ja, Geliebte, – fast überwältigt mich der Schmerz, – noch tiefer sank die Verderbtheit von Hams Geschlecht! Dort hausen Menschen, die überhaupt keinen Gott kennen, unter welchem Namen auch immer es sei! Sie meinen, es genüge vollkommen, den Gesetzen der bürgerlichen Gesellschaft zu gehorchen! Ein Erntelied, darin sich ihre Freude äußert über den Erfolg ihrer Arbeit, scheint ihnen ausreichender Dank an das Höchste Wesen, das die Saat reifen ließ. Dort leben Verirrte, wenn man ein solches grauenvolles Dasein überhaupt Leben nennen kann, denen es genügt, Frau und Kind zu lieben, dem Nächsten nicht zu nehmen, was ihnen nicht zukommt, um ihr Haupt des Abends ruhig zum Schlaf niederlegen zu können. Überläuft es Euch nicht eiskalt bei dieser Vorstellung? Krampft sich nicht Euer Herz zusammen bei dem Gedanken an das Schicksal dieser Narren am Tage des Jüngsten Gerichts, da der Posaunenschall die Toten rufen wird, und der Gerechte geschieden wird von dem Ungerechten?

Aus den vorgelesenen Texten habt Ihr vernommen, daß unser Gott ein mächtiger Gott ist, ein Gott der Rache und der gerechten Strafe. Und Ihr vernehmet das Krachen der Gebeine, das Prasseln der Flammen in der ewigen Gehenna, wo da ist Heulen und Zähneklappern ... Da, ... da brennen sie und vergehen nicht, denn ewig ist die Strafe. Da leckt die Flamme mit nie versagenden Zungen an den heulenden Opfern des Unglaubens. Da stirbt nie der Wurm, der an ihrem Herzen nagt, ohne es je zu verzehren, auf daß ewig ein Herz bleibe in der Brust dessen, der Gott versuchte! Seht, wie man die schwarze Haut von dem ungetauften Kinde schindet, das von der Mutter Brust hinweggeschleudert wurde in den Pfuhl ewiger Verdammnis ...«

An dieser Stelle fiel eine junge Frau in Ohnmacht.

»Aber, Geliebte im Herrn,« fuhr Pastor Wavelaar fort, »unser Gott ist ein Gott der Liebe, er will nicht, daß der Sünder verloren geht, sondern daß er mit der Gnade selig werde in Christus durch den Glauben. Und darum sind die Niederlande auserkoren, um von den Unseligen zu retten, was noch zu retten ist. Darum hat Gott in seiner unerforschlichen Weisheit unserm Lande, klein an Umfang, aber groß in seinem Glauben, alle Macht gegeben über die Bewohner dieser Eilande, damit sie durch das heilige, nie hoch genug gepriesene Evangelium gerettet werden vor den Strafen der Hölle. Die Schiffe der Niederlande fahren über die großen Wasser und bringen Zivilisation, Religion und Christentum den verirrten Javanern. Nein, unser glückliches Vaterland verlangt nicht für sich allein die ewige Seligkeit, auch sie sollen ihrer teilhaftig werden, die unglücklichen Geschöpfe an jenen fernen Stränden, die dort in den Fesseln des Unglaubens, des Aberglaubens und der Sittenlosigkeit gebunden liegen, und die Betrachtung der Pflichten, die uns zu diesem Zwecke auferlegt sind, soll den siebenten Teil meiner Rede ausmachen!«

Was er bisher gesagt hatte, war der sechste Teil.

Die Pflichten, die wir in bezug auf die armen Heiden zu erfüllen haben, wurden aufgezählt:

1. Reiche Geldspenden an die Missionsgesellschaft.

2. Die Unterstützung der Bibelgesellschaft, damit diese die Heilige Schrift auf Java verteilen kann.

3. Förderung der Übungskurse zum Werbedienst für die Kolonialarmee.

4. Der Druck frommer Predigten und gottgefälliger Lieder, die durch Soldaten und Matrosen den Javanern vorgesungen werden.

5. Eine Vereinigung einflußreicher Männer zu gründen, die sich bei unserem erhabenen König untertänigst dafür einsetzen müssen, daß

a. zu Gouverneuren, Offizieren und Beamten nur solche Männer ernannt werden, die fest im wahren Glauben leben;

b. den Javanern erlaubt werde, Kasernen sowohl wie auf der Reede liegende Kriegs- und Handelsschiffe zu betreten, um durch den Verkehr mit niederländischen Soldaten und Matrosen ins Reich Gottes geleitet zu werden;

c. es verboten werde, in Wirtshäusern Bibeln und Traktätchen in Zahlung zu nehmen;

d. in den Opiumpachtverträgen auf Java eine Bestimmung aufgenommen werde, derzufolge in jeder Opiumbude eine Anzahl Bibeln aufliegen müsse, welche Anzahl der Besucherzahl des betreffenden Unternehmens entsprechen müsse, und die dem Pächter die Verpflichtung auferlege, kein Opium zu verkaufen, ohne daß der Käufer gleichzeitig ein religiöses Traktat in Empfang nehme;

e. daß der Javaner durch Arbeit Gott näher gebracht werde.

6. Reiche Geldspenden an die Missionsgesellschaft.

Ich weiß wohl, daß diese letzte Verpflichtung bereits unter 1. angeführt wurde. Aber der Pastor wiederholte sie nochmals, und das kam mir auch ganz natürlich vor.

Aber habt Ihr auf Nummer 5, Abteilung e, geachtet? Gerade dabei mußte ich sofort an die Kaffeeversteigerungen und an die angebliche Unfruchtbarkeit des Bodens in Lebak denken, und ich kann versichern, daß mich dieser Gedanke seit Mittwochabend keinen Augenblick verlassen hat. Pastor Wavelaar hat die Berichte der Missionen vorgelesen, seine gründliche Sachkenntnis ist also wohl nicht zu bezweifeln. Wenn er an Hand dieser Berichte und mit seinem auf Gott gerichteten Sinn behauptet, daß es gerade durch viele Arbeit gelingen würde, die javanischen Seelen für das Reich Gottes zu erobern, dann darf ich doch wohl mit voller Berechtigung die Meinung aussprechen, daß in Lebak sehr gut Kaffee angepflanzt werden könnte. Und mehr noch; wahrscheinlich ist es eine höhere Fügung der göttlichen Vorsehung, wenn der Boden in Lebak sich für Kaffeepflanzungen nicht eignet, denn durch die Arbeit, die erforderlich ist, um den Boden zu verbessern, soll die Bevölkerung des Landes erst für die ewige Seligkeit vorbereitet werden.

Ich hoffe doch, daß mein Buch dem Könige unter die Augen kommt, und daß es sich bald durch umfangreiche Versteigerungen erweisen möge, in wie engem Zusammenhange die Kenntnis Gottes mit den wohlverstandenen Interessen des Bürgertums steht. Es ist doch wunderbar, wie der einfache und unbedeutende Wavelaar, ohne alle menschliche Weisheit, – der Mann hat die Börse nie mit einem Fuße betreten, – aber erleuchtet durch das Evangelium, das ihm auf seinem Pfade scheint, mir, dem Makler in Kaffee, einen Wink gibt, der nicht allein für unser ganzes Vaterland von höchstem Wert sein kann, sondern der mir vielleicht gestattet, wenn Fritz gut aufpaßt, – er hat in der Kirche anständig still gesessen, – mich fünf Jahre früher zur Ruhe zu setzen. Jawohl, Arbeit! Arbeit, das ist meine Devise! Arbeit für den Javaner, das ist mein Prinzip! Und meine Prinzipien sind mir heilig!

Ist nicht das Evangelium unser höchstes Gut? Gibt es etwas Höheres als die Seligkeit? Und ist es nicht darum unsere christliche Pflicht, die Menschen selig zu machen? Wenn als Hilfsmittel dazu Arbeit nötig ist, – ich selbst gehe seit zwanzig Jahren an die Börse, – dürfen wir dann dem Javaner die Arbeit vorenthalten, wo seine Seele sie so nötig braucht, um später nicht in der Hölle zu brennen? Es wäre Selbstsucht, schändliche Selbstsucht, wollten wir nicht alles aufwenden, um die armen, verirrten Menschen vor dem schrecklichen Schicksal zu bewahren, das Wavelaar mit so beredten Worten geschildert hat. Eine junge Frau fiel in Ohnmacht, als er von dem schwarzen Kinde sprach. Vielleicht hat sie einen kleinen Jungen, der ein bißchen dunkel aussieht, ... Frauen sind manchmal so!

Sollte ich nicht auf Arbeit dringen, ich, der von früh bis Abends an nichts Anderes als an seine Geschäfte denkt? Ist nicht dieses Buch, – das mir Stern so sauer macht, – allein schon ein Beweis, wie sehr mir das Wohl unseres Vaterlandes am Herzen liegt, und wie ich dafür alles tue? Und wenn ich so schwer arbeiten muß, ich, der ich doch getauft bin, – in der Amstelkirche, – darf man dann nicht von dem Javaner fordern, daß er sich seine Seligkeit verdiene, indem er fleißig die Arme rührt?

Wenn die Vereinigung, – die unter Nr. 5 meine ich, – zustande kommt, trete ich ihr bei. Ich versuche, auch die Rosemeyers dazu zu bekommen, denn die Sache liegt auch im Interesse der Zuckermakler, obgleich ich ihnen in Glaubenssachen nicht sehr traue, weil das Dienstmädchen, das sie haben, katholisch ist.

Wie es auch sei, ich werde meine Pflicht tun, das habe ich mir selbst gelobt, als ich mit Fritz aus der Kirche nach Hause ging. Ich und mein Haus, wir wollen dem Herrn dienen! Dafür werde ich sorgen! Und mit um so größerem Eifer, da ich immer mehr einsehe, wie weise Gott alles geführt hat, wie lieblich die Wege sind, die uns seine Hand leitet, und wie er uns sorgsam behütet für das ewige und zeitliche Leben, denn der Boden in Lebak kann sehr gut für die Kaffeekultur amelioriert werden.


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