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Fünftes Kapitel

Es herrschte vormittags gegen zehn Uhr eine ungewöhnliche Bewegung auf dem großen Weg, der die Abteilung Pandeglang mit Lebak Lebak und Pandeglang sind Unterbezirke der Residentschaft Bantam im Westen von Java. verbindet. »Großer Weg« ist vielleicht eine etwas zu anspruchsvolle Bezeichnung für den breiten Fußpfad, den man aus Höflichkeit und in Ermanglung eines Besseren »Weg« nannte. Aber wenn man mit einem Viergespann Serang, die Hauptstadt der Residentschaft Bantam, verließ, um sich nach Rangkas-Betung, der neuen Hauptstadt von Lebak, zu begeben, konnte man schließlich damit rechnen, in immerhin absehbarer Zeit dort einzutreffen. Also war das, was dorthin führte, ein Weg. Man blieb zwar fortwährend in dem Morastboden stecken, der im Bantamer Tiefland besonders schwer, zäh und klebrig ist, man war zwar oft gezwungen, die Hilfe der Bewohner benachbarter Dörfer anzurufen, – auch wenn sie nicht gerade sehr nah erreichbar waren, denn Dörfer sind in dieser Gegend nicht sonderlich häufig vorhanden, – aber wenn es einem dann tatsächlich gelungen war, ungefähr zwanzig Landleute aus nah und fern zusammenzubekommen, dauerte es für gewöhnlich nicht sehr lange, bis man Pferde und Wagen wieder auf festem Grunde hatte. Der Kutscher knallte mit der Peitsche, die Läufer, – in Europa würde man, glaube ich, »Palfreniere« sagen, aber eigentlich gibt es in Europa nichts, was man diesen Läufern ungefähr gleichsetzen könnte, – diese unvergleichlichen Läufer also, mit ihren kurzen, dicken Peitschen, eilten wieder an beide Seiten des Vierspänners, stießen ihre unverständlichen und undefinierbaren Rufe aus und schlugen die Pferde aufmunternd unter den Bauch. So ging es dann einige Zeit vorwärts, bis der verdrießliche Augenblick wieder da war, in dem man bis über die Achsen im Morast versank. Dann begann das Geschrei um Hilfe von neuem. Man wartete geduldig, bis die Hilfe kam, und ... humpelte weiter.

Oftmals, wenn ich diesen Weg entlang zog, war es mir, als müßte ich an irgendeiner Stelle auf einen Wagen mit Reisenden aus dem vorigen Jahrhundert stoßen, die im Sumpf, versunken und vergessen, liegen geblieben waren. Aber das ist mir nie passiert. Ich nehme darum an, daß alle, die diesen Weg entlang fuhren, endlich doch das beabsichtigte Ziel ihrer Reise erreicht haben.

Es wäre ein schwerer Irrtum, wollte man sich von allen großen Wegen auf Java eine Vorstellung bilden nach dem Maßstab dieses Weges nach Lebak. Die eigentliche Heerstraße mit ihren vielen Abzweigungen, die der Marschall Daendels unter großen Opfern von Menschen anlegte, ist tatsächlich ein Prachtstück, und man muß staunend die geistige Überlegenheit dieses Mannes anerkennen, der, ungeachtet aller Schwierigkeiten, die ihm Neider und Gegner im Mutterlande in den Weg legten, dem Unwillen der Bevölkerung und der Unzufriedenheit der eingeborenen Fürsten zu trotzen wagte, um etwas zustande zu bringen, das noch heute die Bewunderung eines jeden Besuchers hervorruft und verdient.

Keine Pferdepost in Europa – selbst nicht in England, Rußland oder Ungarn – kommt der auf Java gleich. Über hohe Bergrücken, an Abgründen entlang, die einen erschauern lassen, fliegt der schwerbepackte Reisewagen in voller Karriere dahin. Der Kutscher sitzt, wie auf den Bock genagelt, stunden-, ja tagelang hintereinander und schwingt die schwere Peitsche mit eisernem Arm. Er weiß genau zu berechnen, wo und wieviel er die rasenden Pferde zügeln muß, um nach fliegender Talfahrt von einem Bergabhang dort an jener Ecke ...

»Großer Gott, der Weg ist ... weg! Wir stürzen in den Abgrund!« schreit der unerfahrene Reisende.

Er sieht keinen Weg, er sieht nur den Abgrund.

So scheint es. Der Weg krümmt sich, und gerade, wenn einen Galoppsprung weiter das Vorspann den festen Boden verlieren würde, wenden sieh die Pferde und schleudern den Wagen im Winkel herum. Sie fliegen den Berg hinauf, den man eine Minute vorher noch nicht sah, und ... der Abgrund liegt hinter ihnen.

Es gibt bei solcher Gelegenheit Momente, in denen der Wagen nur auf den Rädern an der Außenseite des von ihm beschriebenen Bogens ruht: Die Zentrifugalkraft hat die Innenräder vom Boden gehoben. Es gehört Kaltblütigkeit dazu, in solchen Augenblicken die Augen nicht zu schließen, und wer zum erstenmal auf Java reist, schreibt seiner Familie nach Europa, er habe in Lebensgefahr geschwebt. Aber wer dort zu Hause ist, lacht über diese Angst.

Es ist nicht meine Absicht, vor allem nicht gleich im Anfang meiner Erzählung, den Leser lange mit Beschreibungen von Orten, Landschaften und Gebäuden aufzuhalten. Ich fürchte zu sehr, ihn durch so etwas wie Langeweile abzuschrecken, und erst später, wenn ich fühle, daß ich ihn gewonnen habe, wenn ich aus Blick und Haltung bemerke, daß das Schicksal der Heldin, die irgendwo vom Balkon des vierten Stockwerks springt, seine Teilnahme erweckt, dann lasse ich, unter stolzer Verachtung aller Gesetze der Schwerkraft, sie zwischen Himmel und Erde schweben, bis ich meinem Herzen Luft gemacht habe in der ausführlichen Schilderung der Schönheiten der umgebenden Landschaft oder des Gebäudes, das da irgendwo steht, um einen Vorwand zu haben zu einer vielseitigen Betrachtung der mittelalterlichen Architektur. Alle diese Schlösser gleichen einander. Unabänderlich sind sie von heterogener Bauordnung. Das corps de logis datiert immer aus einer früheren Epoche als die Seitenflügel, die unter diesem oder jenem späteren König angebaut worden sind. Die Türme sind im Zustand des Verfalls ...

Lieber Leser, es sind gar keine Türme da. Ein Turm ist ein Ideal, ein Traum, ein Symbol. Es gibt halbe Türme und ... Türmchen!

Die Schwarmgeisterei, die es für notwendig hielt, Türme auf die Gebäude zu setzen, die zur Ehre irgendeines Heiligen errichtet wurden, dauerte nicht lange genug, um alle diese Pläne vollenden zu können, und die Spitze, die den Gläubigen zum Himmel weisen sollte, ruht gewöhnlich ein paar Stockwerke zu tief auf der massiven Basis und erinnert immer ein wenig an den Mann, der auf Beinstümpfen an einer Jahrmarktsecke bettelt. Nur Türmchen, kleine Nadeln auf den Dorfkirchen, sind fertig geworden.

Es ist wahrhaftig wenig schmeichelhaft für die Kultur des Westens, daß selten die Begeisterung, ein großes Werk zustande zu bringen, lange genug anhielt, um das Werk in seiner Vollendung zu sehen. Ich rede nicht etwa von Unternehmungen, deren Fertigstellung erforderlich war, um die Kosten zu decken. Wer genau wissen will, was ich meine, sehe sich den Kölner Dom an. Er gebe sich Rechenschaft über die großzügige Auffassung dieses Bauwerkes in der Seele des Baumeisters Gerhard von Riehl ..., von dem Glauben im Herzen des Volkes, das ihm ermöglichte, dieses Werk zu beginnen und fortzusetzen ..., von dem Einfluß der Ideen, die solch einem Koloß als greifbare Vorstellung eines unsichtbaren religiösen Empfindens erforderten ..., und er vergleiche diese Schwärmerei mit der Richtung, die einige Jahrhunderte später die Zeit einschlug, die das Werk unvollendet ließ.

Es liegt eine tiefe Kluft zwischen Erwin von Steinbach und unseren Baumeistern! Ich weiß, daß man sich seit Jahren bemüht, diese Kluft zu überbrücken. Auch in Köln baut man wieder an dem Dom. Aber wird man den zerrissenen Faden wieder knüpfen können? Der Kölner Dom ist erst 1880 vollendet worden. Wird man sich in unseren Tagen zu dem zurückfinden, was damals die Kraft des Kirchenvogts und des Erbauers ausmachte? Ich glaube es nicht. Geld wird schon zu haben sein, und dafür kann man Steine und Kalk kaufen. Man kann den Künstler bezahlen, der den Plan entwirft, und den Maurer, der die Steine schichtet. Aber nicht für Geld käuflich ist das verstiegene und doch ehrfurchtgebietende Gefühl, das in einem Bauplan eine Dichtung sah, eine Dichtung aus Granit, die laut zum Volke sprach, eine Dichtung aus Marmor, die gen Himmel wies wie ein ewiges, unbeweglich fortdauerndes Gebet.

Auf der Grenze zwischen Lebak und Pandeglang also herrschte an jenem Morgen eine ungewöhnlich starke Bewegung. Hunderte von gesattelten Pferden bedeckten den Weg, und mindestens tausend Menschen, – was für diesen Erdenfleck sehr viel bedeutet, – liefen geschäftig auf und ab. Alle eingeborenen Dorfhäuptlinge waren hier zu sehen, ebenso wie die Distriktsvorsteher des Lebak-Bezirkes, alle mit ihrem Gefolge, und, nach dem schönen Araber-Bastard zu urteilen, der im Schmucke seines reichen Geschirrs an der silbernen Trense nagte, mußte auch einer der ganz Hohen anwesend sein. Das war auch tatsächlich der Fall. Der Regent von Lebak, Radhen Adhipatti Karta Natta Negara Nur die drei letzten Worte sind der Namen, Radhen Adhipatti ist der Titel, der, soweit das überhaupt vergleichbar ist, einem mittleren Adelsrang in Europa entspricht., hatte mit großem Gefolge Rangkas-Betung verlassen, und ungeachtet seines hohen Alters die zwölf bis vierzehn Pal Pal – indisches Längenmaß, ungefähr 1½ Kilometer. zurückgelegt, die seinen Wohnort von der Grenze der benachbarten Abteilung Pandeglang trennen.

Ein neuer Residentschaftsassistent wurde erwartet, und der Brauch, dem in Indien mehr als irgendwo sonst Gesetzeskraft innewohnt, fordert, daß der Beamte, der mit der Verwaltung einer Abteilung beauftragt ist, bei seiner Ankunft feierlich eingeholt wird. Auch der Kontrolleur, ein Mann in mittleren Jahren, der seit einigen Monaten, seit dem Tode des vorigen Residentschaftsassistenten, als Nächstfolgender im Rang die Verwaltung übernommen hatte, war anwesend.

Sowie der Zeitpunkt der Ankunft des neuen Residentschaftsassistenten bekannt geworden war, hatte man in der Eile eine Pendoppo aufrichten lassen, einen Tisch und einige Stühle hingebracht und einige Erfrischungen bereit gestellt, und in dieser Pendoppo erwartete der Regent mit dem Kontrolleur die Ankunft des neuen Chefs.

Nächst einem Hut mit breiter Krempe, einem Regenschirm oder einem hohlen Baum ist eine Pendoppo sicher die einfachste Vorstellung des Begriffes: Dach. Denkt Euch vier bis sechs Bambuspfähle, die in den Boden gebohrt und an ihren in die Luft ragenden Enden durch andere, dünnere Bambusstäbe miteinander verbunden sind; oben darüber liegt ein Deckel aus den langen Blättern der Wasserpalme, die in dieser Gegend Atap heißt, und das Ganze ist dann eine Pendoppo. Die denkbar einfachste Sache von der Welt, wie man sieht, und sie war hier auch lediglich dazu bestimmt, den europäischen und einheimischen Beamten, die ihr neues Oberhaupt an der Grenze bewillkommen wollten, als Aufenthaltsraum zu dienen.

Ich drücke mich nicht ganz richtig aus, wenn ich den Residentschaftsassistenten als das Oberhaupt, auch des Regenten, bezeichne. Wir müssen hier zu einer Erklärung des Verwaltungsmechanismus in diesen Landstrichen abschweifen, die zum richtigen Verständnis desjenigen, was folgen soll, unbedingt notwendig ist.

Das sogenannte Niederländisch-Indien ist, was das Verhalten des Mutterlandes der Bevölkerung gegenüber angeht, in zwei voneinander sehr verschiedene Teile zu spalten. Ein Teil besteht aus Stämmen, deren Fürsten und Fürstchen die Oberherrschaft der Niederlande als Suzerän anerkannt haben, bei denen jedoch die eigentliche Verwaltung mehr oder minder in den Händen der eingeborenen Häuptlinge verblieben ist. Der andere Teil, zu dem mit einer kleinen, – und vielleicht auch nur scheinbaren Ausnahme –, ganz Java gehört, ist den Niederlanden absolut unterworfen. Von Zins oder Tribut oder Bundesgenossenschaft ist hier keine Rede. Der Javaner ist niederländischer Untertan, der König der Niederlande ist sein König. Die Abkömmlinge seiner ehemaligen Fürsten und Herren sind niederländische Beamte, und sie werden angestellt, versetzt und befördert durch den Generalgouverneur, der im Namen des Königs regiert. Der Übeltäter wird verurteilt und bestraft auf Grund eines Gesetzes, das aus dem Haag kommt; die Steuern, die der Javaner aufbringt, fließen in den Staatsschatz der Niederlande.

Nur von diesem Teil der niederländischen Besitzungen, der demnach tatsächlich einen Teil des Königreichs der Niederlande ausmacht, ist auf diesen Seiten vorwiegend die Rede.

Dem Generalgouverneur steht ein Rat zur Seite, der jedoch auf seine Entschließungen keinerlei bestimmenden Einfluß hat. In Batavia sind die verschiedenen Verwaltungszweige auf entsprechende Departements verteilt, an deren Spitze ein Direktor steht, der das vermittelnde Glied zwischen der Oberleitung des Generalgouverneurs und den Residenten in der Provinz ist. In irgendwelchen Fragen rein politischer Art wenden sich diese Beamten jedoch unmittelbar an den Generalgouverneur.

Die Bezeichnung Resident stammt noch aus jener Zeit, da die Niederlande nur mittelbar, gewissermaßen als Lehnsherr, das Volk beherrschten und sich an den Höfen der damals noch regierenden Fürsten durch einen Residenten vertreten ließen. In jenem Sinne bestehen die Fürsten nicht mehr, und die Residenten sind als Provinzialgouverneure und Präfekten Verwalter der Länder geworden. Ihr Wirkungskreis hat sich verändert, doch ihr Name ist geblieben.

Diese Residenten sind es, die eigentlich die niederländische Oberhoheit gegenüber der javanischen Bevölkerung vertreten. Das Volk kennt weder den Generalgouverneur, noch den Rat von Indien, noch die Departementsdirektoren von Batavia, es kennt nur den Residenten und die unter diesem tätigen Beamten.

Eine solche Residentschaft, – es gibt darunter welche, die nahezu eine Million Seelen umfassen, – teilt sich in drei oder vier Regentschaften, an deren Spitze die Residentschaftsassistenten stehen. Unter diesen wieder teilen sich die Verwaltungsarbeit Kontrolleure, Aufseher und eine Anzahl anderer Beamten, die für das Einbringen der Steuern, für die Aufsicht über den Ackerbau, die öffentlichen Bauwerke, die Wasserwege, die Polizei und das Rechtwesen erforderlich sind.

In jeder Regentschaft steht ein eingeborener Häuptling von hohem Rang, mit dem Titel Regent versehen, dem Residentschaftsassistenten zur Seite. Obgleich nun sein Aufgabenkreis sowohl, wie auch sein Verhältnis zur Verwaltung, ihn durchaus als besoldeten Beamten charakterisieren, gehört ein solcher Regent zum höchsten Adel des Landes und oft zu einer der heimischen Dynastien, die ehemals sein gegenwärtiges Arbeitsgebiet oder einen benachbarten Landstrich unabhängig beherrschten.

Indem man diese Häuptlinge zu Beamten ernennt, schafft man eine Hierarchie, an deren Spitze die niederländische Hoheit, durch den Generalgouverneur vertreten, steht, und macht sich in kluger Politik das alte Feudalansehen zu Nutze, das gerade in Asien von außerordentlicher Bedeutung ist, und bei den meisten Stämmen einen Teil ihrer religiösen Vorstellungen ausmacht.

Es gibt nichts Neues unter der Sonne. Wurden nicht einst die Reichs-, Gau- und Burggrafen Deutschlands ebenso durch den Kaiser ernannt und meist aus den Edlen der Stämme erwählt? Ohne hier besonders auf den Ursprung des Adels, der eine ganz natürliche Erscheinung ist, einzugehen, möchte ich doch darauf hinweisen, wie in unserem Erdteil und, jenseits der Meere, im fernen Indien die gleichen Ursachen die gleichen Folgen zeitigten.

Ein Land ist auf weiten Abstand zu regieren, und dazu braucht man Beamte, die die zentrale Macht vertreten. Unter dem System militärischer Willkür wählten die Römer zu diesem Zwecke die Präfekten, anfangs meist die Befehlshaber derjenigen Legionen, die das betreffende Land unterworfen hatten. Solche Bezirke blieben dann auch »Provinzen«, d. h. eroberte Lande. Aber als dann später die Zentralregierung des Deutschen Reiches den Drang verspürte, ferner gelegene Völkerschaften anders als durch die materielle Gewalt der Übermacht an sich zu fesseln, sobald man sich dazu bequemte, einen ferneren Landstrich aus Gründen der Abstammung, Sprache und Gebräuche der Bewohner als Teil des Reiches zu betrachten, machte sich die Notwendigkeit fühlbar, jemanden mit der Leitung der Regierung zu betreuen, der nicht nur in jener Gegend zu Hause war, sondern der sich auch durch seine Geburt, seinen Stand über seine Volksgenossen erhob, so daß es diesen leichter wurde, sich den Befehlen des Kaisers zu unterwerfen, da diese Befehle ihnen durch einen Mann übermittelt wurden, dem sie bereits zu gehorchen gewohnt waren. Dadurch wurden dann auch teilweise, – manchesmal sogar ganz und gar, – die Ausgaben für eine ständige Bewachungstruppe vermieden, Ausgaben, die entweder der allgemeinen Staatskasse, häufiger aber noch jenem Volksteil zur Last fielen, der bewacht werden mußte. So wurden die ersten Grafen aus den Edelingen des Landes erwählt, und streng genommen ist das Wort »Graf« gar kein adliger Titel, sondern die Amtsbezeichnung einer mit einer bestimmten Aufgabe betrauten Person. Ich glaube deshalb auch, daß im Mittelalter die Auffassung galt, daß der deutsche Kaiser zwar das Recht hatte, Grafen, d. h. Verwalter eines Gaues, und Herzöge, d. h. Heerführer, zu ernennen, daß die Barone aber behaupteten, ihrer Geburt zufolge dem Kaiser gleich und nur Gott untertan zu sein. Dem Kaiser zu dienen, waren sie nur verpflichtet, sofern dieser aus ihrer Mitte und im Einverständnis mit ihnen gewählt war. Ein Graf bekleidete ein Amt, zu welchem ihn der Kaiser berufen hatte, ein Baron betrachtete sich als »Baron von Gottes Gnaden«. Die Grafen vertraten den Kaiser und führten dessen Banner, d. h. die Reichsstandarte, die Barone stellten Kriegsvolk unter ihrer eigenen Fahne auf, sie waren Bannerherren.

Nun brachte es der Umstand, daß Grafen und Herzöge gewöhnlich aus den Baronen gewählt wurden, mit sich, daß die Auserkorenen neben dem Einfluß, den sie auf Grund ihrer Geburt besaßen, noch das Gewicht ihres Amtes in die Wagschale legten, und daraus entsprang dann, im Zusammenhang mit der Erblichkeit der Ämter, später der Vorrang, den die Träger dieser Titel vor dem Baron einnahmen. Noch heutzutage kann es geschehen, daß so manche freiherrliche Familie ohne kaiserliches oder königliches Adelspatent, also eine Familie, die ihren Adel aus der Entstehungsperiode ihres Landes herleitet, die stets von Adel war, weil sie von Adel war, daß eine solche autochthone Freiherrnfamilie eine Erhebung in den Grafenstand als unter ihrer Würde ablehnt. Beispiele dafür sind vorhanden.

Die Personen, die mit der Verwaltung einer solchen Grafschaft beauftragt waren, trachteten naturgemäß danach, beim Kaiser zu erreichen, daß ihnen ihre Söhne oder, falls sie keine hatten, andere Blutsverwandte« im Amte folgten. Das geschah auch gewöhnlich, obgleich ich nicht glaube, daß diese Nachfolge jemals als organisches Recht anerkannt worden ist, wenigstens soweit es sich um diese Beamten in den Niederlanden handelt, d. h. um die Grafen von Holland, von Seeland, von Hennegau und von Flandern, um die Herzöge von Brabant, von Geldern usw.

Was zu Beginn eine Gunst war, wurde dann wohl eine Gewohnheit und schließlich eine Notwendigkeit, aber zum Gesetz wurde diese Erblichkeit niemals erhoben.

In ähnlicher Weise also, – wenigstens was die Auswahl der Persönlichkeiten anbelangt, da von einer Gleichheit der Wirkungskreise hier keine Rede sein kann, obgleich auch in dieser Beziehung manche Übereinstimmung auffällt, – steht an der Spitze eines Bezirkes auf Java ein eingeborener Beamter, der den ihm von der Regierung verliehenen Rang mit seinem autochthonen Einfluß verbindet, um dem europäischen Beamten, der die niederländische Oberhoheit repräsentiert, seine Verwaltungsaufgabe zu erleichtern. Auch hier ist die Erblichkeit der Stellung, ohne irgendwie durch ein Gesetz festgelegt zu sein, zur Gewohnheit geworden. Die Erbfolgeangelegenheit wird meist schon bei Lebzeiten des Regenten geregelt, und es gilt als Belohnung für besonderen Diensteifer und Treue, wenn man ihm die Zusage macht, daß sein Sohn ihm in Amt und Würden folgen werde. Es müssen schon sehr gewichtige Gründe vorhanden sein, wenn von dieser Regel abgewichen wird, und selbst in solchen Fällen wählt man doch gewöhnlich den Nachfolger aus den Angehörigen der gleichen Familie.

Die Beziehungen zwischen den europäischen Beamten und solchen hochgestellten javanischen Großen sind außerordentlich delikater Natur. Der Residentschaftsassistent eines Bezirkes ist die verantwortliche Person. Er hat seine Instruktionen und wird als der oberste Chef des Bezirkes betrachtet. Das schließt nicht aus, daß der Regent, sei es durch besondere Vertrautheit mit den lokalen Verhältnissen, sei es infolge seiner Geburt, wegen seines Einflusses auf die Bevölkerung oder wegen seines großen Reichtumes und seiner dementsprechenden Lebensführung sich weit über den Residentschaftsassistenten erhebt. Obendrein ist der Regent als Vertreter des javanischen Elementes des Landes, der angeblich im Namen der hundert und mehr Tausend Seelen seiner Regentschaft spricht, auch in den Augen der Regierung eine viel wichtigere Persönlichkeit als der simple europäische Beamte, dessen Unzufriedenheit man nicht zu fürchten braucht, da man für ihn viele andere für das gleiche Amt zur Verfügung hat, während die Mißstimmung eines Regenten den Ausgangspunkt aller möglichen Unruhen und Aufstände bilden kann.

Aus alledem ergibt sich der seltsame Zustand, daß im Grunde genommen der Untergebene dem Vorgesetzten befiehlt. Der Residentschaftsassistent trägt dem Regenten auf, ihm Bericht zu erstatten. Er befiehlt ihm, Volk zum Brücken- und Wegebau bereit zu halten. Er befiehlt ihm, die Steuern einzutreiben. Er beruft ihn in den Rat, dem er, der Residentschaftsassistent, selbst vorsitzt, und er rügt ihn, wenn er sich einer Pflichtvergessenheit schuldig macht. Dieses eigenartige Verhältnis wird nur ermöglicht durch eine außerordentliche Höflichkeit der Verkehrsformen, die jedoch weder besondere Herzlichkeit, noch, wo das notwendig erscheint, Strenge ausschließt, und ich glaube, daß der Ton, der in diesem Umgang herrschen soll, nicht besser als durch die darauf bezügliche offizielle Dienstvorschrift charakterisiert werden kann, welche fordert: Der europäische Funktionär hat den eingeborenen Beamten, der ihm zur Seite gegeben ist, zu behandeln wie seinen jüngeren Bruder.

Aber wehe, wenn er vergißt, daß dieser jüngere Bruder bei den Eltern sehr beliebt, – oder sehr gefürchtet, – ist, und daß im Falle einer Meinungsverschiedenheit ihm gerade seine Eigenschaft als älterer Bruder vorgehalten wird, aus der heraus er es unterlassen habe, mit überlegenem Takt und Nachgiebigkeit den jüngeren Bruder zu behandeln.

Die angeborene Höflichkeit des javanischen Großen, – selbst der niedere Javaner ist viel höflicher als sein europäischer Klassenbruder, – macht glücklicherweise diesen scheinbar unhaltbaren Zustand um vieles erträglicher, als man sonst erwarten dürfte. Ist der Europäer gut erzogen, rücksichtsvoll, tritt er mit freundlicher Würde auf, so kann er mit Bestimmtheit darauf rechnen, daß ihm der Regent von seiner Seite aus die Erfüllung seiner Aufgaben leicht macht. Selbst unangenehme Befehle, in die Form höflichen Ersuchens gekleidet, werden sofort strikt befolgt. Der Unterschied an Stand, Herkommen und Besitz wird durch den Regenten selbst überbrückt, der den Europäer als Vertreter des Königs der Niederlande zu sich emporhebt, und schließlich werden die Beziehungen zwischen den beiden, die ursprünglich soviel Gefahren des Anstoßes in sich bargen, die freundschaftlichsten, und häufig entwickelt sich ein sehr angenehmer Verkehr.

Ich sagte, daß diese Regenten auch durch ihren Reichtum den europäischen Beamten weit voraus sind, und das ist durchaus natürlich. Der Europäer, der dazu berufen wird, eine Provinz zu verwalten, die an Ausdehnung manchem deutschen Herzogtum gleichkommt, ist gewöhnlich mittleren Alters, verheiratet und Vater. Sein Amt ist seine Brotstelle. Sein Einkommen ist gerade ausreichend, – und manchmal auch nicht ganz ausreichend, – um den Seinen das Notwendige zu schaffen. Der Regent ist Tommongong, Adhipatti oder gar Pangerang, d. h. javanischer Prinz. Für diesen handelt es sich nicht nur darum, zu leben, nein, er muß so leben, wie es das Volk von seiner Aristokratie zu sehen gewohnt ist. Bewohnt der Europäer nur ein Haus, so ist die Residenz des Regenten oftmals ein Kratoon Kratoon = ein häufig von einer Einfriedung umgebener Sammelplatz mehrerer Häuser und Wohnstätten ganzer Dorfbevölkerungen auf Java., der viele Häuser und Dörfer umschließt. Hat der Europäer eine Frau und drei bis vier Kinder, so muß der Regent eine Mehrzahl von Frauen mit allem, was dazu gehört, unterhalten. Reitet der Europäer höchstens mit einer Suite von Beamten aus, die er für seine Inspektionsreisen braucht, so erscheint der Regent in der Öffentlichkeit nicht anders als von Hunderten seiner Hofhaltung umgeben, die sein Gefolge bilden, das in den Augen des Volkes untrennbar zu seiner hohen Stellung gehört. Der Europäer lebt bürgerlich, der Regent lebt, – und das setzt man bei ihm als selbstverständlich voraus, – wie ein Fürst.

Jedoch das alles muß bezahlt werden. Die niederländische Verwaltung, die sich auf dem Einfluß des Regenten aufgebaut hat, weiß das, und so hat sie logischerweise das Einkommen dieser Regenten zu einer Höhe anschwellen lassen, die jedem Nichtinder übertrieben erscheint, tatsächlich aber selten ausreichend ist, um alle Ausgaben zu bestreiten, die eine solche Lebensweise der inländischen Großen verschlingt. Es ist durchaus nichts Ungewöhnliches, Regenten mit einem Jahreseinkommen von zwei-, ja sogar dreihunderttausend Gulden in Geldverlegenheit geraten zu sehen. Hierzu trägt natürlich nächst der wahrhaft fürstlichen Gleichgültigkeit, mit der sie ihre Gelder verschleudern, die mangelhafte Kontrolle ihrer Untergebenen, ihre hemmungslose Kaufsucht und schließlich auch der Mißbrauch bei, den viele Europäer mit ihrer Sorglosigkeit treiben.

Das Einkommen dieser javanischen Fürsten setzt sich im allgemeinen aus vier Teilen zusammen. Erstens ihr festes Monatsgeld, dann die Abfindungssumme für aufgegebene Rechte, die sie der niederländischen Verwaltung abgetreten haben, drittens eine Art Provision, die sich nach der Menge der in ihrem Bezirk hervorgebrachten Landesprodukte wie Kaffee, Zucker, Indigo, Zimmt usw. richtet, und viertens das materielle Ergebnis ihrer willkürlichen Verfügungsrechte über Arbeitskraft und Eigentum ihrer Untertanen.

Diese beiden letzten Einnahmequellen bedürfen einiger Erklärungen. Der Javaner ist seiner Natur nach Ackerbauer. Der Boden, auf dem er geboren ist, der reiche Ernte bei geringer Arbeit trägt, macht ihn dazu, und vor allem widmet er sich mit Leib und Seele der Bebauung seiner Reisfelder, wobei er auch das beste leistet. Er wächst auf inmitten seiner Sawahs, Gagahs und Tipars Sawah ist das Reisfeld in der Ebene, die der Regen bewässert, Gagah ist das Feld in den Bergen und Tipar dasjenige in Waldlichtungen. Die beiden letzten müssen künstlich bewässert werden.; von seiner frühesten Jugend an begleitet er seinen Vater auf die Felder, wo er ihm mit Pflug und Spaten zur Hand geht, ihm bei Damm- und Wasserleitungsarbeiten hilft zur Berieselung der Äcker. Sein Alter berechnet er nach der Zahl der erlebten Ernten, die Jahreszeit benennt er nach der Färbung der Halme, die auf seinen Feldern stehen; heimisch fühlt er sich unter den Kameraden, die mit ihm padie padie = Reis. schneiden. Sein Weib wählt er unter den Mädchen der dessah dessah = das Dorf, das manchmal auch Negrie oder Kampang genannt wird., die abends unter fröhlichem Gesang den Reis stampfen, um ihn zu enthülsen; der Besitz eines Büffelpaares, das seinen Pflug ziehen soll, ist das Ideal, das ihm lächelt. Kurz, der Reisbau ist für den Javaner das, was am Rhein und in Südfrankreich der Weinbau ist.

Doch da kamen Fremdlinge aus dem Westen, die sich zu Herren machten über das Land. Sie wollten ihren Profit aus der Fruchtbarkeit des Bodens ziehen und befahlen den Bewohnern, einen Teil ihrer Arbeitskraft und ihrer Zeit der Erzeugung anderer Produkte zu widmen, die auf den Märkten Europas einen höheren Gewinn abwarfen. Um den einfachen Mann aus dem Volke dazu zu bewegen, bedurfte es einer sehr einfachen Politik. Er gehorcht seinen Häuptlingen, man hatte es also nur nötig, diese Häuptlinge an dem Gewinn zu beteiligen – und es glückte vollkommen.

Man braucht nur auf die unzählige Menge javanischer Erzeugnisse zu achten, die in den Niederlanden auf den Markt kommen, um sich von der Zweckmäßigkeit dieser Politik zu überzeugen, wenn man sie auch nicht gerade sehr vornehm findet. Denn, wenn jemand die Frage stellt, ob der Ackerbauer selbst einen mit diesem reichen Ertrag nur annähernd übereinstimmenden Lohn erhält, so muß ich eine verneinende Antwort geben. Die Regierung verpflichtet ihn, auf seinem eigenen Grund und Boden anzupflanzen, was ihr behagt; sie bestraft ihn, wenn er die Ernte seiner Felder irgend jemandem außer ihr selbst verkauft, und sie selbst bestimmt den Preis, den sie ihm für den Ertrag seiner Arbeit zahlt. Der Transport nach Europa ist Monopol einer Gesellschaft, die Frachtsätze sind infolgedessen hoch. Die Ermutigungsgelder, die den Häuptlingen ausgezahlt werden, beschweren obendrein den Einkaufspreis, und, – da schließlich doch das ganze Unternehmen einen Gewinn abwerfen muß, kann dieser Gewinn nicht anders erreicht werden, als dadurch, daß man dem javanischen Landmann gerade soviel auszahlt daß er nicht Hungers stirbt. Denn das würde ja die produzierende Kraft der Bevölkerung beeinträchtigen.

Auch den europäischen Beamten wird eine Provision nach Maßgabe der Produktion zugewiesen Diese sogenannten Kulturemolumente, die leicht zur Korruption der europäischen Beamten führten, sind nach Erscheinen der Dekkerschen Anklageschrift von der holländischen Regierung abgeschafft worden..

So wird der arme Javaner durch zweifache Gewalt vorwärtsgetrieben, von seinen Reisfeldern wird er häufig ferngehalten, Hungersnöte sind die Folge dieser Maßregeln – aber in Batavia und Samarang, in Surabaya, Passaruan und Besuan, in Probolinge, Patjitan und Tjilatjap wehen lustig die Wimpel an Bord der Schiffe, auf welche die Ernten geladen werden, die die Niederlande reich machen.

Hungersnot? Auf dem reichen, mit Fruchtbarkeit gesegneten Java Hungersnot? Jawohl, Leser! Vor wenigen Jahren sind ganze Distrikte vor Hunger ausgestorben. Mütter verkauften ihre Kinder, um sich Nahrung zu verschaffen! Mütter haben ihre eigenen Kinder selbst gegessen!

Aber da begann sich das Mutterland mit der Angelegenheit zu beschäftigen. In den Sitzungssälen der Volksvertretungen wurde der Unwille laut, und der damalige Landvogt mußte anordnen, daß man den Anbau der sogenannten europäischen Marktprodukte nicht bis zur Hungersnot ausbreiten dürfte.

Ich bin da bitter geworden. Aber glaubt jemand, daß man solche Dinge ohne ein Gefühl der Bitterkeit niederschreiben kann?

Ich habe noch über die letzte und einträglichste Art des Einkommens der eingeborenen Fürsten zu sprechen, über ihr willkürliches Verfügungsrecht über Person und Eigentum ihrer Untertanen.

Nach der allgemeinen Auffassung in fast ganz Asien ist der Untertan mit allem, was er besitzt, Eigentum des Fürsten. So ist es auch auf Java, und die Abkömmlinge und Verwandten der ehemaligen Fürsten mißbrauchen allzu gern die Unwissenheit des Volkes, das nicht recht begreift, daß ihr Tommongong oder Adhipatti oder Pangerang nun besoldeter Beamter ist, der seine eigenen und des Volkes Rechte für ein bestimmtes Einkommen verkauft hat, so daß die mager entlohnte Arbeit in den Kaffee- und Zuckerrohr-Pflanzungen an Stelle der Abgaben getreten ist, die früher durch die Herren des Landes von den Untertanen erhoben wurden. Nichts ist also selbstverständlicher, als daß Hunderte von Familien aus weiter Ferne zusammengerufen werden, um ohne jede Entlohnung die Reisfelder zu bearbeiten, die den Regenten gehören. Nichts ist selbstverständlicher als die unbezahlte Abgabe von Lebensmitteln an die Hofhaltung des Regenten. Und falls des Regenten gnädiger Blick begehrlich auf das Pferd, den Büffel, die Tochter oder die Frau des geringen Mannes fällt, so wäre es unerhört, wenn der Mann sich weigerte, dieses Objekt der fürstlichen Gnade dem Großen bedingslos abzutreten.

Es gibt Regenten, die von diesen Rechten der Willkür nur mäßigen Gebrauch machen und von ihren Leuten nicht mehr fordern, als zur Erhaltung ihrer standesgemäßen Lebensweise unbedingt notwendig ist. Andere gehen weiter, aber nirgends wird auf dieses Vorrecht ganz verzichtet. Es ist auch schwer, ja sogar unmöglich, diesen Mißbrauch vollständig auszurotten, da er zu tief in den Anschauungen des Volkes wurzelt, das selbst darunter leidet. Der Javaner ist gutmütig, vor allem, wenn es sich darum handelt, seine Anhänglichkeit an seinen Fürsten zu beweisen, an den Abkömmling jener, denen seine Väter schon gehorchten. Er würde es schon als einen Mangel an der Ehrerbietung, die er seinem Erbherrn schuldet, betrachten, wenn er dessen Kratoon ohne Geschenk beträte. Diese Geschenke sind auch oft von so geringem Werte, daß ihre Zurückweisung als Kränkung empfunden werden müßte, und meist ist dieser Brauch eher der Huldigung eines Kindes zu vergleichen, das seinem Vater seine Liebe durch eine kleine Gabe beweisen will, als einem Tribut, den die Willkür eines Despoten erzwingt.

So wird durch einen liebenswürdigen Brauch die Abschaffung eines Mißbrauches erschwert.

Wenn der alun-alun alun-alun = ein weites Vorfeld, um das sich die Gebäude der Großen gruppieren. vor dem Palast des Regenten verwildert, würde sich die Bevölkerung der Nachbarschaft deshalb schämen, und man müßte Gewalt anwenden, wollte man sie hindern, den Platz vom Unkraut zu säubern und ihn in den reinlichen Zustand zu bringen, der der Würde des Regenten entspricht. Für solchen Dienst Bezahlung anzubieten, hieße die Leute auf das Tiefste beleidigen. Aber mehr oder minder nahe diesem alun-alun liegen sawahs, die auf den Pflug warten oder auf Berieselung, zu denen das Wasser oft meilenweit hergeleitet werden muß. Diese sawahs gehören dem Regenten, und er ruft, um seine Felder zu bearbeiten und zu besprengen, die Einwohner vieler Dörfer zusammen, deren sawahs der gleichen Arbeit harren ... Das ist der Mißbrauch!

Das ist der Regierung bekannt, und wer den offiziellen Staatsanzeiger liest, in dem alle Gesetze, Instruktionen und Ausführungsbestimmungen für die Beamten veröffentlicht werden, freut sich über die Menschenfreundlichkeit, die beim Entwurf dieser Anweisungen geherrscht hat. Stets wird dem Europäer, der mit einem Amt im Innern der Kolonien betraut ist, als eine seiner vornehmsten Pflichten ans Herz gelegt, die Eingeborenen vor den Folgen ihrer eigenen Unterwürfigkeit und vor der Habsucht der Fürsten zu schützen. Und als ob es nicht genüge, diese Pflicht ganz allgemein vorzuschreiben, wird dem Residentschaftsassistenten bei Antritt seiner Verwaltungstätigkeit noch ein besonderer Eid abgenommen, daß er seine väterliche Sorge um das Wohl des Volkes als seine höchste Pflicht betrachte.

Es ist sicher eine herrliche Aufgabe, Gerechtigkeit zu üben, den Niederen gegen den Hohen zu verteidigen, den Schwachen zu schützen gegen die Gewalt des Starken, das geraubte Lamm des Armen zurückzufordern aus den Ställen des fürstlichen Räubers – – – das Herz weitet sich vor Freude bei dem Gedanken, daß man zu solch wunderbarer Sendung auserkoren sei, und wer jemals im Innern Javas unzufrieden über Gehalt und Stellung mit seinem Schicksal hadert, der richte den Blick auf diese vornehmste Pflicht, die auf ihm ruht, der denke an die erhebende Genugtuung, die die Erfüllung dieser Pflicht bereitet, und jede andere Belohnung wird ihm unwesentlich erscheinen.

Aber leicht ist diese Aufgabe nicht! Zunächst muß man gerecht beurteilen, wo der Brauch aufhört und dem Mißbrauch Platz macht. Und dort, wo der Mißbrauch besteht, wo tatsächlich Raub und Willkür herrschen, sind vielfach die Opfer selbst mitschuldig, sei es aus übertriebener Unterwürfigkeit, sei es aus Furcht, sei es aus Mißtrauen gegen den guten Willen und die Macht desjenigen, der sie schützen will. Die Eingeborenen wissen, daß der europäische Beamte jeden Augenblick in eine andere Stellung abberufen werden kann, und daß der Regent, der mächtige Regent, bleibt. Ferner gibt es so viele Wege, sich das Eigentum eines armen, wehrlosen Menschen anzueignen! Wenn der mantrie mantrie = ein eingeborener Beamter, der Aufseher- und niedrige Polizeidienste leistet. ihm sagt, daß der Regent sein Pferd begehre, und dieses Pferd bereits seinen Platz in den Ställen des Regenten gefunden hat, so beweist das doch nicht, daß der Regent nicht die Absicht habe, dem Armen einen hohen Kaufpreis zu zahlen – – später, zu irgendeiner Zeit! Wenn Hunderte auf den Feldern des Fürsten arbeiten, ohne dafür irgendwelchen Lohn zu empfangen, so ergibt sich daraus noch nicht, daß der Regent das zu seinem Vorteile geschehen ließ. War es nicht vielleicht seine Absicht gewesen, ihnen den Ertrag des Feldes zu überlassen, sie in reiner Menschenfreundlichkeit auf seinem eigenen fruchtbareren Acker ernten zu lassen und ihr Los zu erleichtern?

Woher sollte sich obendrein der europäische Beamte die Zeugen holen, die soviel Mut hätten, gegen ihren Herrn, den gefürchteten Regenten, auszusagen? Und wagte er eine Anschuldigung, ohne sie beweisen zu können, wo bliebe da die Gesinnung des älteren Bruders, der in einem solchen Falle den jüngeren Bruder ohne Grund in seiner Ehre verletzt hätte? Wo bliebe die Gunst seiner Regierung, die ihm für seinen Dienst Brot und Lohn gibt, ihm das Brot aber aufkündigt, ihn als ungeeignet entläßt, wenn er eine so hochgestellte Persönlichkeit wie einen Tommongong, einen Adhipatti oder einen Pangerang leichtfertig verdächtigt und beschuldigt?

Nein, nein, leicht ist die Aufgabe nicht! Das ergibt sich schon daraus, daß die Neigung der Fürsten, in ihrem Verfügungsrecht über Arbeitskraft und Eigentum der Untertanen die Grenze des Erlaubten zu überschreiten, als allgemein vorhanden vorausgesetzt wird, daß alle Residentschaftsassistenten den Eid leisten, diese verbrecherische Habsucht zu bekämpfen, und – daß doch nur sehr selten ein Regent wegen Willkür und Mißbrauch der Gewalt unter Anklage gestellt wird.

Es scheint also, als ob eine unüberwindliche Schwierigkeit hindernd der Erfüllung der beschworenen Pflicht im Wege steht: » Die eingeborene Bevölkerung zu schützen gegen Aussaugung und Bedrückung.«


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