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XXIV.

Seit Tagen währte der mörderische Kampf gegen die Wasser der Theiß, die sich in ihrer trägen Fülle still heranwälzten und unablässig ausbreiteten. Von der hochgehenden, brüllenden Donau zurückgestaut, drückten sie auf die Dämme und stiegen über die Krone.

Die Stromwache hatte das Alarmzeichen spät genug gegeben. Schon als man hinauskam, überflutete das Wasser an mehreren Stellen den Hauptdamm und es zeigten sich Senkungen und Risse gerade dort, wo im März gearbeitet worden war. Das damals noch halbgefrorene Erdreich gab nach, die ungeheueren Regenmengen weichten alles auf. Die Besamung der neuen Flächen war noch zu jung, das Gras, kaum recht aufgegangen, bot keinen Schutz gegen die Angriffe des Wetters.

Diese Lage war kritischer als ein kleiner Dammbruch. Mit einem Blick übersahen die Männer, daß nur eine Erhöhung des großen Dammes in seiner ganzen Ausdehnung helfen konnte. Gergely war anderer Meinung. Er wollte den großen Damm dem Anprall überlassen und den inneren Paralleldamm sichern. Auf den käme es an. Nur wenn ein Bruch im Hauptdamm entstünde, sei dort zu arbeiten. Der Klugsbaltzer widersetzte sich dem nicht, er stellte dem Ingenieur zweihundert Männer zur Verfügung, erklärte aber, daß er auf eigene Faust den Hauptdamm verteidigen wolle, so lange es gehe.

Und so teilte man die Kräfte. Die beiden Haffner, der Straubmichel und alle jüngeren Elemente des Dorfes folgten dem Richter. Die Buben bis herab zum vierzehnten Jahr wurden angenommen. Sie alle wollten dort sein, wo es am gefährlichsten war. Die Überflutung kam vom Spitz her, wo die Stauung am größten war, und ehe die Theiß auch im oberen Lauf so hoch stieg, konnte man ihr entgegengearbeitet haben. Das Unterfangen, die fünf Meter breite Dammkrone auf einer meilenlangen Strecke erhöhen zu wollen, schien vermessen. Woher das Material nehmen, woher die Arbeitskräfte? Vielleicht hatte Gergely doch recht. Der zweite Damm brauchte ja nur das zu halten, was der Hauptdamm durchließ, und man schonte tausend Hände. Aber der Entschluß war gefaßt, und die Arbeit begann. Wo die Überflutungen sich zeigten, wurden obenauf Sandsäcke gelegt in fünffachen Reihen und mit Erdreich beschüttet; wo Risse auftraten, schlug man Pflöcke ein, legte Baumstämme dazwischen und arbeitete mit Steinschüttungen. Das Material wurde unablässig zugeführt. Zwei Tage schaffte man so an dem Damm, es wurde geflickt und gebessert. Dann erst ging man an das große Werk. Vom Spitz aus und von weit droben, dem äußersten Punkt der Überflutung, wurde die gleichmäßige Erhöhung der Dammkrone in Angriff genommen. Wenn es gelang, daß man sich begegnete und die Kette schloß, war wenigstens der größten Gefahr gesteuert. In drei Tagen und drei Nächten wollten die dreihundertfünfzig Männer und Buben, die da standen, das leisten. Sie trauten es sich zu und stürzten mit Todesverachtung in das Unternehmen. Aber am zweiten Tage erhob sich ein föhnartiger Südwind, der ganze Wellenberge über den Damm herüberwarf und jeden Fortschritt zunichte machte.

Es war eine Sysiphusarbeit. Und diese entschlossenen Männer, die nun schon vier Tage und Nächte draußen standen, waren nur Menschen. Als die beiden Komitatsingenieure – dieselben, die im Winter an der großen Kommission teilnahmen – eintrafen, fanden sie die Helden auf dem äußeren Theißdamm beinahe erschöpft. Ihr Vorhaben sei gut, sagten sie, aber man müßte ihnen zu Hilfe kommen.

Sie überschauten mit Kennerblicken die ganze Lage und fanden sie gefährlich; denn die Theiß konnte noch tagelang steigen. Es wurden bis Tokay hinauf und auch von der Marosch aus Siebenbürgen her die höchsten Wasserstände gemeldet, die man je beobachtet hatte.

Sie hielten eine Konferenz mit Gergely, und der verteidigte seinen Standpunkt. Er halte eine Überflutung des Hauptdammes für ungefährlich, wenn der Paralleldamm gesichert sei. Nur Dammbrüche würde er dort bekämpfen. Was die Leute jetzt dort tun, sei unnütz. Aber er habe keine Gewalt über sie.

Die Komitatsingenieure waren nicht seiner Meinung, wenn sie seinen eigenen Arbeiten auch volle Anerkennung zollten.

Und sie begaben sich mit ihm und dem Dorfrichter zunächst einmal zum großen Donaudamm hinüber. Auch von dorther drohte ja Gefahr. Die unabsehbaren, immer höher anschwellenden Wassermengen erreichten auch dort schon beinahe die Krone. Und an zehn Stellen schweißte der Damm und war durchlässig; die Abzugskanäle waren nicht genügend gesichert worden, das Stauwasser reichte schon weit in die Auen und Felder. Man konnte hinter dem Damm schon beinahe von einer Überschwemmung reden. Gergely bezeichnete das als Ergebnis des Regens. Da die Donau zu hoch war, gab es eben keinen Abfluß.

»Herr Kollega,« sagte der ältere der Herren, »die Kanäle und Abzugsrohre waren rechtzeitig zu schließen und diese Regenmengen auszupumpen. Tag für Tag, Stunde für Stunde hätte hier gearbeitet werden müssen in den letzten zwei Wochen. Sie lassen die Donau ja von unten herein!«

Gergely war betroffen von dem Ton, den die Abgesandten seines Onkels heute gegen ihn anschlugen, und er bot seine Demission an. Er wolle niemandem im Wege sein.

»Pardon,« sagte der Sprecher, »dazu haben wir keinen Auftrag. Der Herr Vizegespan hat unser Winterprotokoll sehr ungnädig bemängelt und uns zur Hilfe hergesandt. Zu sonst nichts. Und wenn es Ihnen recht ist, teilen wir die Arbeit. Sie übernehmen die Sicherung der Paralleldämme hier und an der Theiß, Sie leiten sozusagen die innere Verteidigung. Ich halte den Donaudamm und mein Herr Kollega übernimmt das Oberkommando auf dem großen Theißdamm drüben.«

»Gut,« sagte Gergely und biß die Zähne zusammen. Er sah sich abgesetzt, in die dritte Reihe gestellt; und diese Streber, sagte er sich im stillen, werden allen Ruhm an sich reißen, wenn es gut ausgeht.

Nun wandte sich der bebrillte Sprecher, den der Richter nur zu gut im Gedächtnis hatte, an ihn selbst, der bleich und müde dastand und stumm zugehört hatte.

»Herr Richter, mein Name ist Stepan. Sie kennen mich wohl noch. Ich meine es gut. Aller Streit um jenes Winterprotokoll sei begraben. Die Stunde ist zu ernst …« Und er erhob die Stimme: »Ihr Dorf ist in Todesgefahr – wir brauchen noch tausend Arbeiter, wenn mir es retten sollen.«

»Tausend?« stotterte der Richter, den diese ernsten Worte im tiefsten getroffen hatten.

»Sie hätten die Nachbardörfer schon aufbieten sollen, die alle außer Gefahr sind. Sie hätten schon vorgestern Militär verlangen müssen. Es steht schlinnner, als Sie vielleicht glauben. Nach meinen Berechnungen steigt das Wasser noch eine Woche. Schaffen Sie Leute, suchen Sie Helfer!«

Der Klugsbaltzer war nicht leicht aus dem Gleichgewicht zu bringen, aber das packte ihn doch bei einer empfindlichen Stelle. Wie, sie sollten nicht mehr allein imstande sein, sich zu behaupten? Das Dorf habe sich immer selbst geholfen!

»Das ist ausgeschlossen!« rief der Komitatsingenieur. Da ist zu viel versäumt worden. Ich möchte Ihre Verantwortung in dieser Stunde nicht tragen!«

»Wie wäre das?« schrie der Klugsbaltzer. »Jetzt soll ich die Verantwortung trage? Ich allan? Wo is mei Protescht hinkomme? Wo sin die Kartaschpeeler von d'r Kommission? Ufhänge soll m'r se! Ufhänge!«

»Mäßigen Sie sich!« sagte der Ingenieur. »Denken Sie jetzt an sich und Ihre Gemeinde!«

»Vorwärts, Peterl!« rief der Klugsbaltzer seinem jüngsten Sohne zu, einem frischen, vierzehnjährigen Knaben, der sie alle im Wagen hergeführt hatte. »mach' da Waga fertich. Mer fahra!« Und zu den Herren gewendet, sprach er. »So geihn m'r halt als Beddler vun Darf zu Darf und bitta um Hilf.«

Ingenieur Stepan schrieb indessen auf einem Notizblock ein Telegramm an den Vizegespan. »Bitte,« sagte er, »lassen Sie das gleich absenden. Der Herr Vizegespan ist Ihr größter Gönner, er wird alles aufbieten, Sie zu retten.«

»Ja, der ist ein Ehrenmann! Der ja!« sagte der Richter vieldeutig. »Aber wo soll ich tausend Männer hernemma?«

Der Ingenieur zuckte die Achseln. »Das ist Ihre Sache. Es droht äußerste Gefahr von zwei Seiten. Wir sind bereit, zu arbeiten. Und verzweifeln braucht man noch lange nicht. Schaffen Sie namentlich Pioniere herbei!« Und beißend sagte er zu dem Stromingenieur: »Daran hätten Sie längst denken müssen, Herr von Gergely.«

* * *

Mit heißem Kopf und klopfendem Herzen war der Klugsbaltzer heimgekommen. Die Leute umringten ihn schon auf der Straße. Auch der Oberlehrer eilte herbei, der Jellinek und die Klarinéni, sie wollten alle wissen, wie es draußen stehe. Wo denn die eigentliche Gefahr wäre. Der Richter antwortete ausweichend. Nur beim Theißdamm stehe es schlimm, sagte er. Aber es werde schon gehen. Man möge nur den Mut nicht verlieren!

Dem Postmeister band er das Telegramm an den Vizegespan auf die Seele. Es sei sehr ernst, er möge es geheim halten.

Den Oberlehrer Heckmüller nur nahm er mit sich in seine Stube, wenn auch in Ungnade und suspendiert von der Schule, war er ihm der liebste Mann, galt sein Rat ihm am meisten. Und jetzt sagte er ihm alles, jetzt entlud sich der ganze Ingrimm seines Herzens, die ganze Furcht vor dem Ungeheuerlichen, das da draußen drohte. Er müsse selbst nach Josefsfeld hinüberfahren und die Gemeinde herbeirufen und dann fort in andere Dörfer. Der Notär solle Militär herbeischaffen, Pioniere, er wolle die Bauern aufbieten. Aber was kann hier im Dorf geschehen? Soll man den Leuten die Wahrheit sagen? Er, Heckmüller, sei älter, er habe schon 1868 mitgetan, er möge nachdenken, was damals alles geschah. Jetzt müsse er selbst nur schnell etwas essen, sonst halte er's nicht aus.

Und da war auch schon die Bas' Nantschi mit einem Frühstück. Der Peterl hatte ihr alles verraten, sie weinte und schluchzte.

Heckmüller nahm sich die feuchtgewordene Brille ab, und seine Hände zitterten, als er sie putzte. Aber er faßte sich. Der ganze Jammer von 1868 stand vor ihm auf, und auch die Erfahrungen jener Tage erhoben sich und wurden lebendig in ihm. »Wir sind den Hausvätern die Wahrheit schuldig,« sagte er. »Wenn Ihr nach Josefsfeld kommt, bittet auch um Speicher und Hausböden für unsere Vorräte, für unser Getreide, unsere Weine. Ich will meine Seidenzüchter besuchen und in jedem Haus vertraulich reden. Die alten Leute müssen arbeiten, es muß alles fortgeschafft werden, was Wert hat. Pferde sind genug da, Getreide schaufeln kann bald wer. Und es müssen ja auch ein paar Männer heimkommen, wenn Ihr auswärtige Hilfe findet … Aus den tiefergelegeneu Gassen lassen wir heute noch alles heraufschaffen. Die Schulzimmer fassen viel. Und alle Kinder müssen mithelfen … Das Große Wirtshaus liegt um einen Meter höher als die anderen Häuser, und auch die Kirche könnte im Notfall Schutz gewähren … Das beste Gebet ist jetzt die Arbeit … Fahrt nur ruhig fort, Richter. Ich will weiter denken und nachsinnen.«

Der Richter hatte mit Gier gegessen und zugehorcht, wiederholt genickt und gebilligt, was der Oberlehrer sagte.

»Nantschi, das war gut!« sagte er jetzt. »Wann die Männer drauß' nar aa' was häbde. Was Warmes in all der Näss' und der schwera Arweit! Sie sein all' ganz hin.«

»Wird auch besorgt,« sagte Heckmüller. »Bas' Nantschi, Anno 1868 haben die Frauen draußen einige Male gekocht in Sturm und Regen. Reden Sie doch mit der Haffnerssusi und anderen couragierten Frauen; nehmen Sie die Sache in die Hand! Kraut und Speck, Schöpsernes und Gulasch kann man in jedem Kessel kochen.«

Die Bas' Nantschi war sogleich lebhaft angeregt, sie trocknete rasch ihre Tränen: »jo, jo, ich geih glei' nüber zu d'r Susi. Des mache m'r schun heunt Owet.«

Der Richter küßte sein Weib und nahm Abschied. Man möge nur standhaft sein, bis morgen abend sei er wieder zurück.

»Peterl!« rief er zum Fenster hinaus. Hoscht g'füttert? Tränk' die Gäul', mer fahra!«

»Jo, Vatter!« antwortete eine helle Knabenstimme.

Der Klugsbaltzer besprach sich noch kurz mit dem Notär und dessen Stellvertreter und fuhr dann im schärfsten Trab zum Dorf hinaus, gegen die Höhe von Josefsfeld zu, wo die Saaten prächtig standen und wo niemals Hochwasser hindrang. Nicht ohne Neid sah das der Richter. Warum lagen gerade sie in der unglückseligen Tiefebene? Warum hatten es diese Protestanten so gut? Der junge Lehrer Heckmüller erzählte es ihnen vor dreißig Jahren einmal in der Schule, aber er hatte es längst vergessen. Als der edle Kaiser Josef die ersten Protestanten in das Gebiet der Militärgrenze berief, da befahl er, ihnen die allerbesten Ländereien anzuweisen, damit sie an ihre Gleichstellung in seinem Reiche glauben lernten … Sie waren brave Nachbarn geworden für Karlsdorf, diese lutherischen Schwaben. Nie gab es Grenzstreitigkeiten mit ihnen.

Ob aber jemals ein Karlsdorfer Richter zu ihnen hinüber gefahren war, sie um ihre Hilfe anzusprechen, das wußte er nicht; aber er fuhr voll Vertrauen zu ihnen. Ein Schwabendorf wird das andere nicht verlassen in solcher Not.

Indessen machte Heckmüller seine Wege im Dorf.Er traf den alten Wichnersepp, und der gab noch manchen guten Ratschlag von Anno 1830. Und Heckmüller ging hauptsächlich in die tiefer gelegenen Seiten- und Quergassen, ins »Tal«, in den »Grund«, ins »Gässel«, wo auch sein altes Vaterhaus stand. Die Bauern konnten einspannen und ihre Habe in Sicherheit bringen, die Kleinhäusler nicht. Ihnen hauptsächlich mußte man die zehn großen Klassenzimmer einräumen in den beiden Schulhäusern. Ihnen sollte der Tanzsaal des Großen Wirtshauses Dienste leisten.

Und während er so die tieferen Gassen abschritt und sich im Geiste schon das Häusel suchte, in dem er selbst vielleicht seine Tage als Pensionist der Gemeinde beschließen würde, kam ihm ein Wort Georg Trauttmanns in den Sinn, jenes prächtigen Mannes, der nur zwei Tage in der Gemeinde weilte und doch so nachhaltige Eindrücke zurückgelassen hatte in allen, die ihn sahen und ihn reden hörten. Auch das Dorf selbst sei zu wenig gesichert, sagte er, da könnte manches geschehen für den äußersten Fall.

Heckmüller hatte auch die alte Straubin besucht, die lutherische Gertreid, und ihr mitgeteilt, wie es stehe und wie sehr der Michel sich draußen auszeichne. Und dann war er hinausgekommen auf freies Feld. Da war ihm, als ob da draußen einmal ein Damm über die Einbuchtung gelaufen wäre, als ob das Dorf in fernen Zeiten einmal jene Sicherungen gehabt hätte, die der Trauttmann vermißte. Und der Wichnersepp bestätigte es ihm. Das alles sei aufgelassen worden, als man die großen Dämme draußen verdoppelt und auf den höchsten Wasserstand gebracht hatte. Und es seien immer die Ärmsten im Dorf gewesen, die dann doch ab und zu das Wasser bekommen hätten.

Er hatte also richtig gesehen..

Da lag wieder eine Aufgabe auf seinem Wege.

* * *

Noch vor Abend rückten dreihundert Männer aus Josefsfeld ein und traten beim Donaudamm an. Es waren ernste, kernige Gestalten, die nicht viel redeten und sich an die bedrohten Punkte weisen ließen. Wie Werkleute mit Schaufeln und Hauen und Beilen waren sie ausgerüstet, und jeder hatte seinen Tornister mit Lebensmitteln auf dem Rücken für ein paar Tage.

Auch ihr Pfarrer war mitgekommen und hatte im Karlsdorfer Pfarrhaus vorgesprochen. Er bot jede Hilfe an, die seine Gemeinde leisten konnte, und lud den Herrn Amtsbruder für den äußersten Fall, daß er weichen müsse, zu sich. Sein Haus stehe ganz und gar zu Gebote. Im Auftrag des Richters von Josefsfeld könne er melden, daß für beiläufig tausend Personen zur Not Raum geschafft werden kann.

Pfarrer Horvat war überrascht und ergriffen. Ihm hatte man noch gar nicht den hohen Ernst der Lage verraten, und schon war Hilfe da und herzliche Gastfreundschaft. Er dankte. Aber er würde doch wohl nur als letzter weichen, sagte er dem evangelischen Amtsbruder. Das Zentrum des Dorfes liege ja so hoch, daß doch vielleicht für dieses keine unmittelbare Gefahr bestünde.

Draußen brüllte der Donaustrom immer lauter und lauter, als der Abend sich herabsenkte. Auf allen Dämmen schwelten die Zeltlampen in den zahlreichen Laternen, die sich wie die Wachtfeuer in einem wildbewegten Heerlager ausnahmen. Auf dem Mitteldamm aber – er hieß der Grünzeugdamm – brannten helle Flammen; dort hatten die Frauen zehn große Kessel, in denen sonst Wäsche ausgekocht wurde, auf Dreifüße gestellt und bereiteten ihren Männern und Söhnen das erste warme Mahl nach so vielen nassen Tagen. Auch trockene Wäsche und Kleider hatten sie ihnen mitgebracht und sehr viel Zuversicht und Munterkeit. Drei Faß Wein ließ die Klugsnantschi hinausführen und machte mit ihren Töchtern die Mundschenkin. Die Haffnerssusi aber stand mit erhitztem Gesicht zwischen zwei Gulaschkesseln und schwang ihren großen Schöpflöffel wie ein Zepter. Zwischen zwei anderen Kesseln hantierte still und ernst die Bas' Bärbl. Und die Kette setzte sich fort, die angesehensten Bäuerinnen waren mitgekommen und kochten da unter freiem Himmel.

Die Männer lösten sich ab und eilten in Gruppen herbei von der Arbeit. Muntere Worte flogen hin und wieder, man hatte den Humor nicht verloren und schien voll guten Muts. Die Mainacht war frisch, aber windstill und sternenhell. Aus weiter Ferne hörte man ein Sausen und Stöhnen, ein dumpfes Rollen, und es war manchmal, als ob auch der Grünzeugdamm da zwischen den Krautfeldern erbebe. Von ihren Frauen erfuhren jetzt die Karlsdorfer, daß dort drüben dreihundert Männer aus Josefsfeld für sie kämpften. Und man brachte ihnen ein Vivat, ein Eljen, das unheimlich in der Dunkelheit verhallte, ohne das Ohr der Braven zu erreichen.

Ordentlich stolz waren die hungrigen Männer, daß ihren Frauen so etwas Köstliches eingefallen war wie dieser abendliche Besuch, diese Fürsorge für ihr Wohl, und mancher von ihnen gab der Genossin heimliche Ratschläge, was daheim zu tun wäre. Denn in seinem tiefsten Innern zweifelte jeder ein wenig an einem guten Ausgang.

Jörgl und sein Vater kamen endlich auch herbei vom großen Theißdamm. Sie schienen halbtot vor Hunger und Müdigkeit zu sein, und ihr Weg war weit gewesen. Sie leiteten die oberen Arbeiten, weil der Komitatsingenieur am Spitz draußen nötiger zu sein schien. Dankbar waren sie für die trockenen Kleider und die Wäsche, und das Gulasch ließen sie sich wohl munden. Daß auch die Mutter da war, freute den Haffnerslippl ganz besonders. Das hätte er ihr nicht zugetraut, daß sie sich in einen solchen Trubel begeben würde. Und auch er gab stille Ratschläge für daheim. Getreide sollte die Resi fortführen nach Josefsfeld, das Vieh sollte gleich losgebunden werden in den Ställen, wenn Wasser käme. Anno 1868 seien viele hundert Pferde und Kühe in den Ställen ertrunken, weil sie niemand losband in der Verwirrung. Lieber sollten sie laufen, wohin sie wollten, sagte er. Und sie hörte still zu und nickte nur zu allem.

Der Haffnerslippl und sein Jörgl zogen sich in die Dunkelheit hinter ihren Wagen zurück und legten die trockenen Kleider an. Dann lagerten sie sich an der Dammböschung zu kurzer Rast. Jörgl schlief gleich ein, den Vater aber hielt die Sorge wach.

Inmitten des lebhaften Getriebes auf dem Grünzeugdamm tauchte jetzt auch Gergely auf. Auch er hatte Hunger und Durst, und man war just nicht zu freundlich mit ihm. Niemand mochte ihn, keiner besaß Respekt vor ihm. Er hatte einen Teller erlangt und näherte sich damit der schönen Frau Susi. Scherzhaft und zugleich demütig bat er auch um eine Portion Gulasch. Die Susi war nicht überrascht, daß er gerade zu ihr kam, und sie schöpfte dreimal wortlos aus ihrem Kessel, soviel sie fassen konnte, und häufte es auf seinem Teiler. Er aber flüsterte ihr zu: »Sie sind das süßeste Weib, das ich in meinem ganzen Leben gesehen habe … Die Füße möcht' ich Ihnen abbusseln, schönste Frau Susi.«

Ganz erschrocken schaute sich die Susi um, ob denn niemand da wäre und das höre. Sie schämte sich. Eine flammende Röte schlug ihr bis in die Haare empor. Es war gerade niemand in der Nähe, es hatte niemand zugehört …

»Jörgl!« schrie sie, »Jörgl!« in die Dunkelheit hinaus, nach der Richtung ihres Wagens.

Tief betroffen stand Gergely da.

»Jörgl!« rief die Susi noch einmal.

Schlaftrunken antwortete dieser: »Jo – jo – was is denn? … Willscht was, Susi?«

Sie antwortete ihm nicht. Sie hatte wieder ihre Fassung gewonnen. Und sie maß jetzt den Frechen, der spöttisch auf seinen Teller niederlächelte, und dem sie vorher gar nicht ins Gesicht zu sehen gewagt hatte. Ein unbeschreiblicher Hohn lag in ihrem Blick, eine grenzenlose Verachtung.

»Willscht was, Susi?«

»Naa – naa – bleib nar leia liegen und ruhg dich aus … 's is nit der Müh' wert, daß d' ufsteischt,« sagte sie.

Und Gergely zog ab wie ein geprügelter Hund.

Jörgl schlief wieder ein, aber der Vater hatte sich erhoben und kam herzu.

Er hatte alles beobachtet, er ahnte, was da vorgegangen war … Wenn das bekannt gemacht würde! Wenn das die Leute da herum wüßten … Er bat die Susi, sie möchte schweigen. Sonst geschehe vielleicht ein großes Unglück. Es hätten erst gestern ein paar Männer da drüben einander zugerufen, man müßte den Gergely eigentlich ins Wasser schmeißen …

Die Susi sah den Schwiegervater spitzbübisch an: »A Watsch hädd ich ehm äwer doch gäme solla. Nitta?«


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